Franziska Gräfin zu Reventlow
Der Selbstmordverein
Franziska Gräfin zu Reventlow

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Was die beiden jungen Leute zum Sterben veranlaßt und wo sie sich den Tag vorher aufgehalten hatten, wurde in keiner Weise näher aufgeklärt. Man mußte wohl annehmen, daß es ein ganz momentaner Entschluß gewesen sei. Wenigstens Georg hatte keine Zeile an seine Angehörigen hinterlassen, und wie Hedy es damit gehalten, darüber erfuhren Henning und seine Freunde nichts... Es bot sich keine Möglichkeit, mit ihren Eltern in Beziehung zu treten, sie hatten jeden dahingehenden Versuch seitens der Burmannschen Familie abgelehnt und blieben anonym, die Mutter, welche die Schuhe ihrer Kinder vergolden ließ, und der Vater, der ein Geschäftsfreund des Herrn Schönlank war.

Man wußte nicht einmal, wann und wo Hedy begraben wurde, die Eltern hatten sie reklamiert, und es schien, als sei jede Spur von ihr ausgelöscht.

Georgs Begräbnis dagegen wurde von einem der Familie nahestehenden Geistlichen in der herkömmlichen Weise begangen. Auch Henning und Burmann waren hinausgefahren, der Friedhof lag weit draußen vor der Stadt. Burmann, als Verwandter, stand neben seinem Onkel, während Henning sich möglichst im Hintergrund hielt. Während der Rede des Geistlichen, der die unfaßliche Verirrung eines jugendlichen Gemütes beklagte und Vergebung dafür erflehte, sah Henning eine Gruppe von vier Schülern in seiner Nähe... Es fiel ihm auf, daß sie abgesondert dastanden und von der übrigen Trauerversammlung hier und da mit wenig sympathischen Blicken gestreift wurden, auch der Prediger schaute mehr als einmal verhängnisvoll zu ihnen herüber. Die vier trugen Trauerflor am Arm und schauten regungslos auf das Grab.

Der Selbstmordverein, dachte Erasmus. Er behielt die Jungen im Auge, und als die Versammlung sich auflöste, gesellte er sich zu ihnen und fing ein Gespräch an. Sie gingen dann gemeinsam zwischen den langen Gräberreihen entlang über den Friedhof und kehrten zu Fuß nach der Stadt zurück.

Die Jungen waren bedrückt und erregt, nun hatten sie schon den zweiten aus ihrer Mitte begraben sehen, und diesmal war auch noch ein Mädchen dabeigewesen, das sie alle kannten. Sie fühlten sich wie in einem Schauerroman, der immer neue Fortsetzungen haben konnte. Gegen Henning verhielten sie sich anfangs etwas reserviert, allmählich aber tauten sie auf und erkannten ihn als guten Bekannten Georgs an.

Schließlich lud er sie in ein Weinrestaurant ein, er fühlte eine Art Verpflichtung, die jungen Leute etwas aufzuheitern, zum mindesten die öde Friedhofsstimmung zu verscheuchen, die so beklemmend und nutzlos auf den Lebenden lastete. Als das nicht recht gelingen wollte, versuchte er es mit einem anderen Ton.

«Was da geschehen ist, stellt Sie gewissermaßen vor eine Aufgabe», sagte er zu dem, der ihm der Anführer zu sein schien – er sprach am meisten und sah am erwachsensten aus. «Sie müssen darauf achten, daß keiner mehr folgt. Die Pflicht des Selbstmordvereins ist jetzt, am Leben zu bleiben.»

Wider Willen lächelten sie alle vier, und der Anführer sagte:

«Aber bitte nennen Sie uns nicht so, wir haben doch nie im Ernst einen solchen Verein gründen wollen. Das war so Gerede, wie man eben manchmal spricht, und vor allem sollte es ganz unter uns bleiben.»

«Ich weiß», sagte Henning, «dasselbe hat mir Georg schon einmal gesagt.»

«Aber jetzt ist der Verein nicht mehr auszustreichen», bemerkte ein anderer, ein Schwarzhaariger, Eleganter, der so aussah, als ob er einmal viele Abenteuer und Schulden haben würde. Die übrigen waren uninteressant und verhielten sich schweigend.

Dann wollten sie gehen. Kam einer von ihnen jetzt nicht rechtzeitig nach Hause, so war man gleich in Angst, es sei wieder ein Unglück geschehen...

Henning schenkte ihnen noch einmal ein: «Sie können mich ja von jetzt an als außerordentliches Mitglied betrachten», sagte er zwischen Scherz und Ernst. «Ich bin im Prinzip durchaus dafür. Nur nicht in Ihrem Alter, da soll man noch warten.»

Die beiden Indifferenten lächelten wieder, die anderen blieben ernst und stießen nicht ohne Feierlichkeit mit ihm an.

 


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