Franziska Gräfin zu Reventlow
Der Selbstmordverein
Franziska Gräfin zu Reventlow

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Als er an einem der nächsten Tage in das Kaffeehaus kam, wo Augustin mit seinen Freunden tagte, hielt dieser ihnen gerade einen begeisterten Vortrag über Frau Käthe Tergens. Er kannte sie zwar schon länger, hatte aber noch nie eingehender mit ihr gesprochen und meinte nun, hier sei endlich einmal alles beisammen, an äußerer Erscheinung, an Eigenschaften und den dazugehörigen Lebensumständen. Wie diese Frau sich zum Dasein verhalte, so verhalte sich auch das Dasein zu ihr und ebenso die Menschen, die mit ihr in Berührung kamen.

Die zwei anderen Herren, Leidhecker und Weintrapp, hörten zu, beglückt, daß endlich etwas so Harmonisches entdeckt worden sei und sozusagen unter ihnen weilte. Denn auch ihnen war Frau Tergens eine bekannte Erscheinung, nur war man sich noch nicht klar gewesen, was sie eigentlich zu bedeuten habe.

Erasmus war wie gewöhnlich mit seiner Aktenmappe erschienen, obgleich er das Bureau schon lange vernachlässigte. Die anderen brauchten das nicht zu wissen, man setzte ja immer noch von allen Seiten Hoffnungen auf ihn, während er selbst fühlte, daß ihm der Boden unter den Füßen immer mehr entglitt. Die Aktenmappe wie manche andere Äußerlichkeiten, die ihn umgaben, waren nur noch Theaterrequisiten, auf die er immerhin noch einen gewissen Wert legte.

Er saß ganz zufrieden da und hörte zu, wie man Käthe entdeckte. Sie konnte ja auch einen von diesen dreien heiraten, dachte er, zum Beispiel Augustin, der sie sicher auf Händen tragen würde. Sie ist eigentlich doch immer die Perlenkette, die wir einander anpreisen. Sonderbar ist es mit dieser Frau, jeder ist entzückt von ihr und findet, der andere solle sie doch heiraten. Dabei bleibt sie immer allein und wir anderen ebenfalls.

Augustin lächelte mit seinen runden Augen:

«Für Elisabeth verspreche ich mir sehr viel von der Bekanntschaft mit Frau Tergens. Ich soll sie ihr bringen, sie hat uns auf einen Abend in der nächsten Woche eingeladen.»

«Gewiß wäre es von Vorteil für das Mädchen, wenn es entsprechenden Damenverkehr fände», meinte Weintrapp. Er hatte ein phlegmatisches Gesicht, glattrasiert mit goldener Brille. Übrigens waren sie alle drei glattrasiert, das gehörte zu ihren gemeinsamen ästhetischen Prinzipien...

Und Henning sagte: «Ich hätte sie ja längst mit Frau Käthe bekannt machen können, aber man hat mir Fräulein Elisabeth bis jetzt systematisch vorenthalten.»

«Gott bewahre, lieber Baron», und Augustin wurde beinah verlegen, «es bot sich nur noch keine Gelegenheit. Sie ist ja noch nicht lange hier, und ich halte es in meiner Eigenschaft als Onkel nicht für angebracht, sie mit ins Kaffeehaus zu nehmen.»

«Mit wem verkehrte sie denn bisher?»

«Das ist ja gerade der wunde Punkt, sozusagen mit niemand, außer mit einigen Schauspieleleven und -elevinnen. Sie nimmt, wie Sie wissen, neuerdings dramatischen Unterricht. Ferner wollte sie durchaus nicht in einer Pension wohnen, wie ich wünschte, sondern hat sich ein kleines Appartement genommen.»

«Sie meinte, es sei weniger kostspielig», erläuterte Weintrapp, der für die praktischen Fragen als Sachverständiger galt, «und so störe sie niemanden durch ihre Sprechübungen. Darin mußte man ihr wohl beistimmen, aber andererseits war zu bedenken, ob nicht ihr Ruf durch diese freiere Lebensführung gefährdet wird.»

«Was meinen Sie dazu, Henning?» fragte Augustin. «Sie kennen unsere Gesellschaft besser als ich. Das Mädchen selbst hat leider aus Amerika ziemlich freie Ansichten über Verkehr und dergleichen mitgebracht.»

«Elisabeth ist ein Kind», sagte Leidhecker, der bisher noch keine Silbe gesprochen hatte. Er war ein schweigsamer Mensch, machte nur hier und da vereinzelte Bemerkungen oder faßte die Quintessenz eines Gespräches in irgendeiner sprichwortartigen Sentenz zusammen. Man nahm seine Aussprüche achtungsvoll entgegen, wie überhaupt in diesem kleinen Zirkel die Eigenart jedes einzelnen mit Liebe kultiviert wurde.

Es folgte eine kurze Pause, während der Zigaretten angezündet wurden und Henning nach der Uhr sah. Die Nichte begann ihn zu langweilen, und Augustin kam wieder darauf zu sprechen, wo er mit ihr Besuche zu machen gedenke. Unweigerlich fiel dabei wieder der Namen des Kommerzienrats Schönlank, sein Haus gehörte zu denen, die in erster Linie in Betracht kamen. Die Käuze schätzten es einmütig wegen seiner vorzüglichen Diners, und außerdem galt es für den Sammelpunkt von allem, was sich auf schöngeistigem und künstlerischem Gebiet betätigte. Eine angehende Schauspielerin konnte sicher nichts Besseres tun, als dort Stammgast zu werden.

Henning ließ ihn ausreden, er sah ein, daß er dem Kommerzienrat doch niemals entrinnen würde, und beschloß, ihm demnächst einen Besuch zu machen.

Über dem Abend bei Käthe herrschte ein ausgesprochener Unstern. Sie hatte kurz vorher einen Bekannten aus früherer Zeit getroffen, einen älteren Schauspieler, der sich speziell für unfertige Talente interessierte, und ihn ebenfalls eingeladen, womit sie Augustin einen Gefallen zu tun dachte. Er kam schon etwas früher, um noch vor dem Eintreffen der anderen eine ruhige Stunde mit ihr zu verbringen. Aber Käthe stand grade am Telephon und war sehr präokkupiert. Sie hatte unerwartet ihr Mädchen entlassen müssen, wodurch dann auch die Köchin aus dem Gleichgewicht geraten war, und verhandelte mit Burmann, ob nicht Josias ihr für den Abend aushelfen könne.

«Setzen Sie sich, Herr Werner», sagte sie und lächelte dem Eintretenden zu, «oder gehen Sie umher und schauen sich meine Zimmer an.»

Er aber zog es vor, neben ihr stehenzubleiben und ihr die unbeschäftigte Hand zu küssen.

«Also, Hans, könnt ihr mir Josias zur Aushilfe schicken?»

«Unmöglich», kam es zurück, «er hat heute Ausgang und ist schon fort. Was sind denn das für Feste, zu denen wir nicht eingeladen werden?»

«Nur Augustin mit der Elisabeth und noch jemand», antwortete sie ärgerlich. «Gott sei Dank, daß ihr nicht auch noch kommt. Was sprichst du denn da? Ist Erasmus auch dort?»

«Ja», sagte dieser und erbot sich, an Josias' Stelle zu kommen und ihr zu helfen. Käthe lachte und versicherte, sie könne ihn nicht brauchen, aber er bestand darauf und wollte wissen, wer der Unbekannte sei.

«Das kann ich jetzt nicht erklären, weil er neben mir steht und zuhört.»

«Das dulden wir nicht», sagte Erasmus, «also ich komme auf jeden Fall.»

Endlich hängte sie den Hörer wieder ein und konnte sich ihrem Gast widmen. Er stand mit gekreuzten Armen da und wartete.

«Entschuldigen Sie...»

«Aber ich schwärme dafür, Telephongespräche anzuhören», sagte er, «die fehlende Hälfte macht es so hübsch geheimnisvoll. Und die kühne Selbstverständlichkeit, mit der der Sprechende ins Leere hineinredet... Der Zuhörer dagegen wird nie wissen, was da eigentlich verhandelt wird. Wer zum Beispiel ist der Mann mit dem biblischen Namen, Josua oder Josias, der anscheinend einen anderen ersetzen soll...»

«Ein alter Diener», erläuterte Käthe, «ferner Hans, ein Jugendfreund – Erasmus, ein Baron...»

«Und da wollen Sie mich glauben machen, es handle sich nur um Hausfrauennöte... und wer ist denn Augustin?»

Als sie ihm nun gerade auseinandersetzte, was es mit Augustin für eine Bewandtnis habe und daß sie seinetwegen mit ihrem Souper zu glänzen wünsche, kam von diesem eine Botschaft, daß er durch eine starke Erkältung verhindert sei, wenn sie aber nichts dagegen habe, würde Elisabeth alleine kommen.

«So spielt das Leben», sagte der alte Schauspieler befriedigt. «Augustin, um dessentwillen man so viele Ängste aussteht, sagt ab. Ich dagegen, der geringschätzig als ‹noch jemand› bezeichnet wurde, bin hier und denke nicht zu weichen, auch wenn das ganze Programm umgestürzt wird.»

Käthe war im Grunde ganz zufrieden, sie ging hinaus, um die Köchin zu beruhigen, daß der gefürchtete kritische Gast nicht käme, und machte sich dann daran, selbst den Tisch zu decken, wobei ihr Werner in bester Laune an die Hand ging.

Erasmus hatte sich unterdessen gleich auf den Weg gemacht. Er wußte, daß sie ihre Gäste um acht Uhr erwartete, und dachte noch rechtzeitig anzukommen. Eben vor ihm trat ein junges Mädchen in das Haus, er holte sie auf der ersten Treppe ein und wollte rasch vorüber, als sie stehenblieb und ihn ansah. Sie war blaß, brünett, eine lange losgelöste Locke fiel ihr über die Stirn, und sie warf sie mit einer brüsken Kopfbewegung zurück. Dann lächelte sie und war sichtlich etwas erschrocken.

«Lucy?» sagte Henning vollkommen verwirrt. Er begriff nicht gleich, daß sie plötzlich hier vor ihm auf der Treppe stand. «Wie kommen Sie hierher?»

«Was meinen Sie damit», gab sie in großer Verlegenheit zurück. «Ich heiße Elisabeth Augustin. Mir scheint, Sie verwechseln mich mit jemand anders.» Damit ging sie rasch und energisch die Stufen hinauf, es schien sie zu reizen, daß er ihr folgte, und sie funkelte ihn zornig mit den Augen an, als er ebenfalls im zweiten Stock vor Käthes Tür haltmachte.

«Einen Moment, bitte», sagte er nun, als sie anläuten wollte, stellte sich vor und bemerkte, er sei ebenfalls bei Frau Tergens eingeladen und ein Freund ihres Onkels.

«Ja, ich weiß jetzt, wer Sie sind», antwortete sie und errötete bis unter die Locke, die schon wieder in die Stirn fiel. «Aber ich dachte vorhin, als Sie mich so plötzlich anredeten, Sie wollen sich einen Scherz machen.» Sie brach ab und drückte auf die Klingel.

Käthe kam selbst aufmachen, begrüßte beide, bedauerte, daß der Onkel nicht kommen könne, und war sehr herzlich und eilig. «Erasmus, helfen Sie Fräulein Augustin ablegen, ich habe noch einen Moment zu tun, gehen Sie in das kleine Zimmer... Ja, also... Baron Henning – Fräulein Augustin... aber Sie haben wohl schon auf der Treppe Bekanntschaft gemacht?»

«Ja», sagte Henning, Käthe verschwand, und man hörte ihre und des Schauspielers sonore Stimme im Eßzimmer. Henning nahm dem jungen Mädchen den Mantel ab, dann stand sie vor dem Spiegel und schob ihre widerspenstigen schwarzen Haare zurecht. Er sah mechanisch zu, musterte jede Einzelheit ihrer Gestalt und ihrer Toilette, die einen etwas lässigen Eindruck machte. Das an sich elegante dunkle Abendkleid war nicht mehr ganz auf der Höhe, vor allem der Halsausschnitt war mit einer gewissen Verwegenheit arrangiert, als sei im letzten Moment noch etwas geändert worden, und die seidenen Schuhe sahen aus, als dienten sie gelegentlich auch zum Spazierengehen. Nun wandte sie sich ihm zu, ein reizvolles Gesicht mit lebhaften, unregelmäßigen Zügen. Nein, da war kein Zweifel möglich, dieses Gesicht kannte er. Aber es war jetzt nicht Ort und Zeit, um dem Zusammenhang nachzugehen. Er führte sie in das Zimmer, gleich darauf erschienen auch Käthe und Herr Werner, und man ging zu Tisch.

Es gab viel Gelächter und einiges Durcheinander, da alle der bedrängten Hausfrau beispringen wollten. Elisabeth fand sich rasch hinein, um so mehr, als man sie von vornherein nicht als Fremde behandelte. Henning übernahm allen Ernstes die Bedienung und duldete nicht, daß die Damen sich betätigten. Er servierte geschickt wie ein gelernter Kellner und brachte die Köchin, die das unziemlich fand, in große Verlegenheit, besonders, wenn er die leeren Schüsseln zurückbrachte. Werner dagegen war begeistert und meinte, er sähe jetzt ein, daß auch ein Baron zu etwas gut sein könne, und wo er das gelernt habe.

«Meinem alten Josias abgesehen», sagte Henning. «Ja, es ist nichts mehr mit den Vorurteilen der Kaste, Herr Werner. Meinen Sie nicht auch, ich könnte noch ganz gut als Oberkellner Karriere machen, wenn alle Stränge reißen?»

Der hielt das für einen harmlosen und billigen Scherz.

«Ja, sie reißen, Herr Werner, sie reißen, sie sind eigentlich schon gerissen», fuhr Henning fort in dem melancholisch wohlerzogenen Ton eines Kellners, der mit seinem Gast über das Leben redet, und reichte ihm den Salat.

«Pfui, Erasmus», rief Käthe dazwischen, sie konnte diesen Ton bei ihm absolut nicht leiden.

Dann erwachte in Werner der Regisseur, er machte darauf aufmerksam, wie diese oder jene Bewegung auf der Bühne gemacht werden müsse. Das Gespräch kam auf das Theater, und Werner erklärte sich bereit, Elisabeth nachher ein wenig zu examinieren.

«Geht nur schon hinüber», schlug Käthe vor, «wir werden hier inzwischen Ordnung schaffen.»

Werner und Elisabeth gingen in den Salon, und es dauerte nicht lange, so hörte man lebhaftes und lautes Sprechen. Erasmus hatte sich wieder auf seinen Platz gesetzt: «So, Käthe, lassen wir die beiden nur deklamieren und trinken wir in aller Ruhe noch ein Glas Wein zusammen. Wie finden Sie das Mädchen?»

«Ich finde gar nichts mehr. Ich bin ganz müde, es ist mir zu ungewohnt, mich für meine Gäste so anzustrengen. Gott sei Dank, daß Augustin nicht kam, meine Harmonie geht schon an einem fehlenden Dienstboten in die Brüche.»

«Mehr Temperament!» rief nebenan Werner mit klangvoller Donnerstimme.

«Hat sie welches?» fragte Käthe ermattet, «sie sieht entschieden so aus, und die Käuze beklagen sich ja auch darüber. Bei Tisch fand ich allerdings ihr Benehmen eher schüchtern und gezwungen.»

«Die Käuze mochten dennoch nicht unrecht haben», sagte Erasmus in gedämpftem Ton. «Ich bin wieder einmal im Zweifel, ob ich Ihnen etwas erzählen soll.»

«Was ist denn nun wieder? Sie machen mich wirklich nervös, Erasmus. Ich will lieber nichts mehr mit Ihren Geschichten zu tun haben.»

«Es sind gar nicht meine Geschichten, sie passieren mir nur.»

«Also...»

«Also diese Elisabeth ist identisch mit Lucy... vielmehr mit der Dame, die ich neulich in der Bar für sie gehalten habe.»

«Sie haben wohl tatsächlich schon Halluzinationen», sagte Käthe und schüttelte ihre müde Zerstreutheit ab.

«Nein, dies war keine – ich erkannte sie gleich wieder, als ich sie auf der Treppe traf, und jetzt bin ich meiner Sache vollkommen sicher. Sie hat sogar dasselbe Kleid an.»

«Und hat sie Sie auch wiedererkannt?»

«Zweifellos, aber sie will nichts davon wissen.»

«Das ist nun allerdings eine unangenehme Geschichte», meinte Käthe nachdenklich. Dann wurden sie unterbrochen, der alte Josias kam, er war von seinem Ausgang zurückgekommen und wollte fragen, ob man seiner noch bedürfe. So überließ man ihm das Weitere und ging zu den anderen hinüber.

Elisabeth wollte schon um zehn aufbrechen, sie habe morgen früh Unterricht, sagte sie, und müsse ausschlafen. Dann sträubte sie sich in fast auffälliger Weise gegen Hennings Begleitung, sie wolle keine Störung verursachen und sei gewöhnt, allein zu gehen. Schließlich bat sie, man möchte ihr ein Auto rufen, und hoffte, auf diese Weise allein fortzukommen. Es geschah, aber Henning begleitete sie hinunter und stieg dann ohne weiteres mit ein.

«Was war denn das jetzt?» sagte Werner, der mit Käthe allein geblieben war, «sie wollte nicht, absolut nicht, und der Baron sah sie die ganze Zeit wie ein Tierbändiger an. Dann fährt sie davon, und er verschwindet ebenfalls. Ihnen ist auch irgend etwas nicht ganz recht – ... Ja, das Leben...», und er tat ein paar große Schritte auf und ab. «Ihr Jugendfreund heißt Burmann, wie ich vorhin hörte – war es nicht auch ein Burmann, der junge Mensch, der sich umbrachte?»

«Ja, sein, Vetter.»

«Nun, mir scheint, es geht um Sie herum ganz interessant zu. Komplizierte Menschen und komplizierte Ereignisse.»

«Ach nein», sagte Käthe bedrückt, «wir sind alle ganz gewöhnliche Menschen, aber der liebe Gott spielt ein bißchen Verhängnis mit uns.» –

Henning hatte sich auf dem Rücksitz niedergelassen, um dem jungen Mädchen ins Gesicht sehen zu können.

«Was meint also Herr Werner zu Ihren schauspielerischen Leistungen?»

«Er war ganz zufrieden», erwiderte sie unruhig, «und möchte mit meinem Onkel sprechen. Eine lange Rede hat er mir darüber gehalten, ich sei noch zu unruhig und sprunghaft, aber an Talent fehle es mir nicht.»

«Nein, das glaube ich auch», sagte Henning langsam und betont.

«Wie wollen Sie das wissen?»

«Nun, Sie haben Ihre Rolle damals und heute abend wieder recht gut gespielt. Aber ich werde keinesfalls mit Ihrem Onkel darüber sprechen.»

Wieder traf ihn ein unruhiger Blick, und sie versuchte überlegen zu lächeln. «Wissen Sie, Herr Baron, ich habe schon öfters von Ihnen sagen hören, Sie wären ein sonderbarer Mensch. Mit mir sind Sie wirklich nun recht sonderbar. – Was wollen Sie eigentlich von mir?»

«Und warum sagen Sie das so gereizt? – Das war ungeschickt. Ihr Talent versagt doch manchmal. Dagegen wäre es kein übler Effekt, wenn Sie jetzt sagen wollten, daß Sie mich wiedererkannt haben.»

«Nun ja», sagte Elisabeth mit einem raschen Entschluß, «ich habe Sie gleich wiedererkannt, aber Sie verstehen wohl, daß es eine unangenehme Situation für mich ist.»

Beide schwiegen. Das Auto fuhr langsam, da noch viel Verkehr auf der Straße war, und Elisabeth sah mit ihren lebhaften Augen zum Fenster hinaus, als ob sie das sehr interessierte.

Sie ist leichtsinnig und gefaßt, dachte Henning, dann beugte er sich ein wenig vor und sagte mit einem Lächeln: «Also – – Lucy.»

Sie zuckte leicht zusammen: «So sagen Sie mir jetzt, bitte, warum haben Sie mich immer so genannt. Ich habe Ihnen schon mehrmals gesagt, daß ich nicht so heiße.»

«Darauf habe ich nicht geachtet, ich war den Abend nicht ganz normal, wie Sie vielleicht auch bemerkt haben. Die Art unserer Bekanntschaft war ja auch nicht grade normal oder, sagen wir, nicht die in unseren Kreisen übliche.»

Elisabeth sah sehr jung und ziemlich beschämt aus und fragte: «Ich weiß. Es ist wohl eine dumme Frage, wenn man sich so benimmt wie ich damals, aber sagen Sie mir bitte: Für was haben Sie mich eigentlich gehalten?»

«Für Lucy, wie Sie schon wissen.»

«Wer ist das?» fragte sie weiter – «das heißt also, Sie haben mich mit einer anderen verwechselt?»

«Wenn man es so nennen will, ja. Es tut mir leid, eine so ungalante Tatsache zugeben zu müssen.»

«Geschieht mir ganz recht», sagte das Mädchen plötzlich mit amerikanischer Nüchternheit. «Ich weiß ja selbst nicht, was mir damals eingefallen ist. Ich habe mich so gelangweilt, seit ich hier bin, und bekam auf einmal Lust, mich unsinnig zu amüsieren. Was geschehen ist, kann man nicht mehr ändern. Aber ich weiß schon – – –»

Sie wurde, während sie sprach, immer lebhafter und zutraulicher, wie ein Kind, das seine ungezogenen Streiche erzählt und bis zu einem gewissen Grade auf Verständnis rechnet. «... Ich fürchte überhaupt, ich bin leichtsinnig, und das nimmt einmal ein schlechtes Ende.»

«Ja», sagte Henning, «man darf sich einen solchen Leichtsinn nicht leisten als junge Dame, die zur Gesellschaft gehören will. Von mir haben Sie nichts zu befürchten, aber daß Sie gerade an mich gerieten, war nur ein liebenswürdiger Zufall.»

«Und Sie? Verachten Sie mich jetzt nicht, wie die Mädchen in Romanen immer fragen?»

«O nein, dazu bin ich, abgesehen von allem anderen, viel zu höflich. Darf ich ganz offen mit Ihnen reden? – Sind Sie erst eine berühmte Schauspielerin, so machen Sie, was Sie wollen, da sieht man Ihnen durch die Finger und nimmt von vornherein an, daß Sie kein Musterleben führen. Einstweilen aber sollten Sie sich Ihrer Existenz als beschütztes junges Mädchen anpassen, sonst kommen Sie unter die Räder. – – Sonderbarerweise komme ich öfters in die Lage, derartige Mahnreden zu halten. – Ihr jungen Mädchen seid eine schwierige Sache. Man möchte so gerne sagen: Amüsiert euch nur, Kinder, das Leben ist kurz genug, aber man darf nicht.»

«Wenn es nun aber nicht mehr zu ändern ist», sagte Elisabeth wieder mit einer Beimischung von Eigensinn, und Erasmus maß sie mit einem langen Blick, während ihr eine heiße Röte ins Gesicht stieg.

«Wir sind jedenfalls in eine wunderliche Beziehung zueinander geraten, und ich denke gerade darüber nach, wie wir uns da aus der Affäre ziehen.»

Er machte eine Pause und dachte an ganz andere Dinge: «Sagen Sie mir, bitte, noch das eine: Haben Sie hier – nach dem Vorher frage ich nicht – schon öfters solche Abendunternehmungen gemacht, und dann – wie kamen Sie zu dem schwedischen Herrn?»

«Den kenne ich aus der Pension, wo ich zuerst wohnte – und es ist nichts dahinter. Ich war an dem Abend im Theater, zum erstenmal allein, sonst hat mich immer einer von den Onkeln begleitet. Da traf ich ihn, er lud mich ein, mit ihm zu essen. Gott, und dann bekam man Lust, noch etwas zu unternehmen, und wir gingen in die Bar...»

Das Auto hielt.

«Wir sind schon da. Trinken Sie noch eine Tasse Tee bei mir», sagte Elisabeth hastig. «Ich habe jetzt eine eigene Wohnung.»

«Ja, ich möchte wohl noch etwas weiter mit Ihnen sprechen.»

Man stieg aus, und sie führte ihn in ihre Wohnung, die erst flüchtig eingerichtet war und den Eindruck machte, es würde wohl auch so bleiben. Alles lag und stand ein wenig achtlos durcheinander.

«Es war noch nie Besuch hier», entschuldigte sie sich, «ich gehe morgens früh fort zum Unterricht und nachmittags zum Zuschauen in die Theaterproben. So wird es hier immer noch nicht fertig.»

Ihre Mutter war sicher noch eine Indianerin, dachte Henning, die irgendwo im Urwald ihren Haushalt führte. Ich fange an, die Sorgenfalten der Käuze zu verstehen.

Das Mädchen mochte seine Gedanken erraten und sagte, die Onkel kämen nie hierher, und es habe einen großen Kampf gekostet, bis man sie alleine wohnen ließ.

Im Nebenraum sah man ein Bett und einen großen Spiegel. Henning räumte nachsichtig einige Kleider von einem breiten Sessel, während Elisabeth Hut und Mantel nebenan auf das Bett warf und dann die Tür hinter sich zuzog. Dann sollte sie weiter von dem Schweden erzählen, aber sie hatte ihn nur einmal auf der Straße gesehen, ehe er abreiste, und wußte sonst nichts über ihn.

«Was sagte er denn über den Verlauf des Abends?»

«Er fand, ich hätte ihn schnöde behandelt, aber er lachte darüber, besonders, daß Sie ihn so zornig behandelten und daß Sie mich beständig Lucy nannten. Dann meinte er, er sei Ihnen früher schon einmal begegnet, wußte aber nicht, wer Sie wären.»

«Ah, das wollten Sie also von ihm erfahren. Es ist doch recht schlimm, Elisabeth – Sie wußten nicht einmal, wer ich sei.»

«Ja», gab sie kleinlaut zu, «er war auch sehr neugierig und fragte alles mögliche. Ich habe ihm nur gesagt, Sie wären nachher ganz vernünftig geworden und hätten mich ganz korrekt nach Hause gebracht.»

«Und jetzt? Sehen Sie mich nur nicht so unglücklich an. Unser Abenteuer ist etwas eigenartig, hat aber den Vorteil, daß niemand außer uns beiden darum weiß. Ich schlage Ihnen vor, wir ignorieren es und verkehren weiter miteinander, als ob nichts geschehen sei. Ihre drei Onkel wissen, daß ich Sie bei Frau Tergens kennengelernt habe, wir werden uns nun wohl öfters sehen und uns zwanglos begegnen, wie das in unseren Kreisen üblich ist. Vielleicht werden wir noch ganz gute Freunde... Oder finden Sie, daß ich Sie nach dem, was vorgefallen ist, heiraten müßte? Ich kann Ihnen nur davon abraten – aus allen möglichen Gründen.»

Ihr kam dieser Gedanke so unerwartet, daß sie hell auflachte.

«Nein, das brauchen Sie nicht. Ich glaube, ich bin überhaupt keine Frau zum Heiraten.» Dann fügte sie ernster hinzu: «Ich war damals wirklich etwas verliebt in Sie, und es reute mich, daß ich nicht einmal wußte, wer Sie waren.»

«So?» sagte Henning und sah sie scharf an: «Das war aber doch Ihre eigene Schuld. Sprechen wir nicht mehr davon. Und jetzt ist es vorbei?»

«Ja – ich danke Ihnen, daß Sie die Sache so gentlemanlike geordnet haben.»

Er stand auf, um zu gehen, und gab ihr die Hand: «Sie sind eigentlich ein liebes Mädel, Elisabeth, aber geben Sie mehr acht auf sich. Schaffen Sie zum Beispiel das Chaos hier in Ihrer Wohnung ab und überhaupt – Chaos tut niemals gut, vor allem in äußeren Dingen. Ich fühle jetzt beinah so etwas wie Verantwortung für Sie...»

Sie nahm die Lampe und leuchtete von der Treppe aus, bis er die Haustür gefunden hatte. Er sah sich unten noch einmal um, ihr warm getöntes, lebhaftes Gesicht lächelte, und sie warf die Locke zurück – Henning nickte ihr zu, und unterwegs fiel ihm ein, daß er ihr ja noch von Lucy erzählen wollte und manches andere. Aber man würde nun wohl öfters zusammenkommen, und das war ihm ein ganz sympathischer Gedanke.


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