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Im Louvre-Hôtel.

An den großen Steinpfeilern des breiten Portals des »Louvre-Hôtel« zu Paris lehnten zwei Männer von sehr verschiedenem Äußeren, das doch eigentümlich genug war, um die Aufmerksamkeit der zahllosen, vorüberpassierenden Flaneurs zu erwecken; denn die Pariser sind sehr neugierig und benutzen gern jede Gelegenheit, Maulaffen feil zu haben, obschon es an den verschiedensten und auffallendsten Trachten im Straßenverkehr wahrlich nicht fehlt.

Der eine dieser beiden Männer, die augenscheinlich zu dem Dienstpersonal der im Hotel logierenden Fremden gehörten, war eine gewaltige Figur mit starkem Kopf und Barthaar und trug die rote Basquina der Bewohner der Pyrenäen, der andere Sucky, der Laskare, der Steward des früheren Kapitän Hansen, des entlassenen Matrosen »Lyimpfjord.«

Die beiden mußten schon seit mehreren Tagen miteinander bekannt geworden sein, denn sie machten in einem oft höchst possierlichen Kauderwälsch ihre Bemerkungen über die Vorübergehenden oder die Szenen auf dem Vorplatz.

»Ist großer Schad',« sagte der Laskare zu seinem neuen Bekannten, »daß Munschö Mikel nur gefahren ist mit kleine Boot auf die große See; wenn kommt Sahib Kapitän, würde Malakka-Mann empfohlen haben, Munschö Mikel zu heuern als Matros, wenn wir wieder gehn zusammen zu Schiff, der Sahib Kapitän und Sucky.«

»Sie vergessen,« sagte der große Baske in einem Gemisch von Englisch, Französisch und Spanisch, das der kleine Laskare am besten verstand, »daß ich bereits in Diensten von Senora Santarez stehe.«

Der Bronzefarbige zuckte verächtlich die Achseln, als könne er nicht begreifen, wie man in den Diensten einer Frau stehen könne, wenn man stark und groß genug, um den Ehrenposten eines Matrosen am Mast einzunehmen, und machte dementsprechend eine Bemerkung.

»Aber Senor Sucky,« meinte der ehemalige Babeule, der Genosse der Schleichhändler in Biarritz, der hier am Portal des Hotels auf Posten stand, wie er so oft für die Contrabandista an der Felsenküste des Golfs von Biscaya oder vor dem Hause Margarittas Schildwache gestanden hatte, um ihren Schatten am Fenster zu erspähen, »aber Senor Sucky sind ja selbst im Dienst einer schönen Senora?«

»Das seind ganz was anderes Munschör Mikeli das seind eine Lady, und Sucky seind Missus bloß Schmuggler und Lastträger, denn es war in der Tat Miguel, der bescheidene Anbeter von Margarete geborgt, bis Kapitän Hansen seind zurückgekommen von seine große Reise über die Meer.«

»Sie sagten mir einmal, daß der Senor Kapitano, der Bruder Ihres künftigen Herrn, auch nach Westindien gegangen sei, woher der alte Kapitän Lautrec gekommen ist, und wohin ich mit Senora Dona Santarez nächstens mich begeben werde, wenn ihre Geschäfte hier abgemacht sind.«

»Oh, Massa Lautrec,« sagte der Laskare vergnügt, »Massa Lautrec seiend ein verteufelt genteeler Kapitän, er haben dem armen Sucky schon zweimal eine Dollar geschenkt und haben eine verteufelt lustige Missus mit Augen, wie ein Paar Kohlen so funkelnden. Und die kleine Deuvel, ihre Sklavin, seind ein nettes Nigger und fast so hübsch, wie die kleine Person von Ihre Herrschaft – wie heißt sie doch?«

»Sie meinen Louison?«

Der Laskare, obschon eine Art Polyglottist, machte einige mißratene Versuche, den Namen mit französischem Accent nachzusprechen. »Seind sich das doch ein besonderer Zufall, daß der Sahib Kapitän, der Herr von Sucky, gekommen sein mit Master Lautrec und seine schöne Missis zusammen in eine Schiff nach Havre und seind nur schade, daß er ist gegangen nach London, ohne zu wissen, daß seind Sucky und Missus bereits wieder abgereist von London nach Paris. O je!«

» Par Dioux! dann hat der Herr Kapitän Zeit genug gehabt, herüber zu kommen, da er doch wohl der Hochzeit seines Bruders mit der schönen dänischen Dame beiwohnen wird?«

Der treue Laskare schien der Sache nicht so ganz sicher zu sein. »Bei Mahomed! es können sein! Aber Munschör haben vorhin genannt Massa Hansen, den Rat die Legation, meinen Herrn. Da sein Munschör sehr im Irrtum, Massa Hansen, der Kapitän, sein der Herr von Sucky, aber niemals Massa Hansen der Rat!«

»So wollen Sie die schöne Dame verlassen? Par Deos! was zum Teufel will das schwarze Weibsbild, das soeben wieder vorübergegangen ist – es ist das vierte Mal und ich glaube wahrhaftig, Senor Sucky, sie ist in Sie verliebt, weil sie immer so nach Ihnen herüber sieht.«

»Ich haben nicht aufgepaßen auf sie. Beim Propheten, es gehen in diese verteufelten Stadt so viele Weiber auf die Straßen umher und seind so frech, daß man gar nicht kann achten auf die eine oder die andere. Ist sie gewesen so hübsch, wie die kleine Lu – Lui …«

»Louison!«

»Richtig, die kleine Loulon, oder diese kleine schwarze Teufel von Missis Lautrec?«

»Das Weib ist so tief verschleiert, daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Also wenn Sie nicht mit Ihrer Dame reisen wollen, so werden Sie wieder zu Schiffe gehn?«

Der Laskare beugte sich vertraulich vornüber.

»Sein sich gekommen Brief heute Morgen, als die Herrschaft schon seiend fortgefahren zu Kaiser von Frankreich – ist sich Brief von mein Sahib Kapitän, kann Sucky nicht selber schreiben, ist sich zu dumm hier! aber kennt die Handschrift von Kapitän Hansen so gut, wie sein eigen Gesicht – – sein sich drum so vergnügt, als machten Kapitän Hansen selber Hochzeit. Was wollen Munschör von Malakka-Mann?«

Die Frage war an einen Kommissionär gerichtet. Der ihn auf die Schulter geklopft hatte, einen schlau und gewandt aussehenden Burschen mit kurzem, rotem Haar und Bart.

»Bist Du der Steward des früheren Kapitän Claus Hansen, mein brauner Bursche?« fragte der Mann in gutem Englisch.

»Gewiß seind Sucky der Steward von Sahib Kapitän,« sagte eifrig der Laskare, ohne in dem vertraulichen Ton des Fremden etwas zu finden. »Was wollen Munschör von die Steward?«

»Du sollst mit mir kommen, bloß bis in die nächste Gallerte vom Palais Royal; es wünscht Dich jemand zu sprechen, um Dir Nachricht zu bringen von Kapitän Hansen von der »Clary«.«

Der Laskare tat einen Freudensprung. »Lassen Sie gehn keschwind, Munschör,« – er wollte eben dem Basken sein Glück verkünden und ihn bitten, ihn bei »Missus« zu entschuldigen, wenn diese etwa unterdeß zurückkehren sollten, als er bemerkte, daß Freund Miguel oder Mikel, wie er ihn nannte, einer Dame, seiner Gebieterin, entgegenging, die in Begleitung eines Herrn auf dem Trottoir daher kam.

Der Kommissionär führte den bereitwilligen Malayen, den er wie einen Affen zu betrachten und zu behandeln schien, nach dem Eingang der Kolonnaden.

Die Dame, die von Tuilerien her kam, war in der Tat die frühere Bewohnerin des Hauses der Contrabandista in Biarritz: die unglückliche Margaritta Labeule, die verlassene, ihres Kindes beraubte Geliebte des Schmugglers el Tuerto, des Mörders ihres Vaters, des früheren Douaniers, und der neben ihr ging, sich noch schwer auf einen Stock stützend, war der Offizier der Zollwächter von Biarritz, Leutnant Dalbond.

Die unglückliche junge Frau – sie hatte, seit sie Biarritz verlassen, den Namen ihrer Mutter und ihres in der Havannah verstorbenen Oheims Biarritz. I. Abteilung. II. Band. angenommen, war seit dem schrecklichen Schlage, der sie getroffen, sehr verändert, ohne daß durch die Vergeistigung ihres Gesichts ihre Schönheit eigentlich Einbuße erlitten hatte. Es fehlte ihr nur jener leidenschaftliche Reiz vollen glühenden Lebens, der sie früher ausgezeichnet und so verlockend und begehrt gemacht hatte; ihre schöne graziöse Figur war hagerer geworden und das fast üppige Oval ihrer Wangen, die lebensfrische Farbe ihres Gesichts hatte einer dunklen fast durchsichtigen Blässe Platz gemacht.

»Also auch Sie keine Spur, mein Freund?« fragte die junge Frau.

»Keine Spur, Madame! Man kannte auf der englischen Gesandtschaft zwar den Namen eines Lords oder Grafen von Lerida, aber der eine behauptete, er habe eine Reise nach Rußland oder gar nach dem Nordpol gemacht, die anderen, man habe seit dem Krimkriege nichts von ihm gehört, er müsse sich in Italien oder sonst wo umhertreiben – hier in Paris sei er überhaupt nie gewesen.«

Die junge Frau biß die Zähne zusammen. »Aber die Worte lauten: Au révoir à Paris!« murmelte sie. »Doch kommen Sie, Freund; folgen Sie mir in meine Zimmer, ich habe wenigstens einige Nachrichten.«

Miguel war ihnen entgegengekommen.

»Briefe angekommen?«

»Nein, Madame, jener Mann nur war hier, den Sie zuweilen empfangen.«

»Wo ist er?«

»Er wird heute Nachmittag wiederkommen.«

»Ist Louison oben?«

»Sie plaudert mit dem Mädchen der dänischen Dame und mit der kleinen Negerin.«

»Sobald Herr Rodelle kommt, führe ihn sogleich ein, guter Miguel!« Der Leutnant reichte dem ehemaligen Schmuggler, obschon er hier nur die Stellung eines Dieners einzunehmen schien, freundlich die Hand. Gemeinsame Neigung und gemeinsamer Haß gleichen die Unterschiede im Leben aus. Dann folgte er der Dame, die von dem Personal des Hotels mit größtem Respekt behandelt wurde, in ihre Zimmer im zweiten Stock.

Es war nicht mehr die arme Margaritta Labeule, die ihn empfing, es war die reiche Erbin in ihren Appartements in dem fürstlich ausgestatteten großen Hotel.

Auch das Wesen, das Benehmen der jungen Frau hatte sich geändert: die naive hingebende Leidenschaftlichkeit, das natürliche ungenierte Wesen hatte einer zurückhaltenden ernsten Haltung Platz gemacht, es war etwas Vornehmes in Sprache und Geberde; wer sie früher gekannt, mußte einsehen, daß die Leiden ihr eine Schule gewesen zur Aneignung einer Bildung, die sie passender zu der Stellung machten, auf die sie jetzt Anspruch erheben konnte. Der ehemalige Contrebandeur oder ihre kleine Dienerin Louison hätten davon erzählen können, welchen Fleiß, welchen Eifer sie seit den drei Monaten, wo sie in Paris war, darauf verwendet hatte, sich die ihr fehlende Bildung anzueignen. Es konnte nicht verkannt werden, daß sie in der kurzen Zeit von sieben oder acht Monaten eine Dame geworden war.

Und dennoch hatte es nur eines Blickes des Leutnants in diese dunklen Augen bedurft, um zu wissen, daß weder Haß noch Liebe aus diesem Herzen geschwunden waren, und daß es für eine teuflische Aufgabe mit der gleichen Kraft schlug, wie an jenem Abend, als sie erfahren, daß sie verraten war.

Ein Wink entfernte das junge Mädchen, nachdem es ihr Hut und Shawl abgenommen, aus dem Boudoir.

»Hören Sie zuerst, mein Freund,« sagte sie, nachdem sie auf einer Causeuse sich niedergelassen und ihm einen Sessel angeboten hatte, »was ich auf der spanischen Gesandtschaft und durch einen geschickten Agenten der Polizei, den ich in Dienst genommen, bis jetzt erfahren.«

»All' meine Mühe …«

»Ich weiß, daß Sie es daran gewiß nicht haben fehlen lassen, aber erinnern Sie sich, mein Freund, daß Sie den ganzen Winter auf Ihrem Schmerzenslager zugebracht haben.«

»Um als ein halber Krüppel es zu verlassen – hätten Sie, Madame, nicht mit so freundlicher Sorgfalt sich meiner angenommen, ich hätte es wahrscheinlich gar nicht mehr verlassen, was doch vielleicht für mich das Beste gewesen wäre.«

»Still, mein Freund, und verlieren Sie den Mut nicht! Sie sind jung und kräftig und werden bald vollständig genesen, um sich mit aller Kraft unserem gemeinsamen Werke zu weihen: Rache und Vergeltung an jenem Bösewicht zu üben!«

»Und dann – wenn es mir gelungen, Ihren Knaben aufzufinden, jenen Mann zur Rechenschaft zu ziehen – werde ich dann hoffen dürfen …«

Sie wandte sich von ihm. »Es wäre schlecht von mir, mein Freund, auch nur mit einem Wort, einer Miene diese Täuschung zu ermutigen. Nein, Dalbond; Margaritta Labeule hat nur einmal geliebt, und ihr Herz schlägt nur noch für den einen großen Zweck ihres Lebens. Sie wird Ihre Freundin sein, so lange dieses dauert, aber niemals mehr!«

Sie reichte ihm die Hand, auf die er sich schmerzlich niederbeugte.

»Wiederholen Sie mir also, mein Freund, was Sie in den Savoyer Bergen erreicht?«

»Sie erinnern sich, daß Sie nach meiner Genesung mich dahin sandten, um die Spuren, die Sie in meiner Erzählung von dem Kapitän Roccabruna gesunden, zu verfolgen. So sehr ich jenen Mann auch zu hassen Ursache habe, ich muß ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen und daher die Beschuldigung zurücknehmen, daß er den Tod jenes jungen Mädchens veranlaßt habe, dem ich meine erste Neigung gewidmet hatte. Man hat sie für tot, für eine Selbstmörderin gehalten, weil sie bald nachdem ihr Geliebter sie schmählich verlassen, verschwand; aber man hatte sich getäuscht. Sie lebt; und zwar in einer vornehmen, ja hohen Stellung in Turin. Ihr Verhältnis zu jenem schönen Chamäleon scheint also ein anderes gewesen zu sein, wenigstens seine Untreue ihr Herz nicht gebrochen zu haben.

Doch ist es mir gelungen, zu ermitteln, daß allerdings ein Kapitän von Roccabruna existiert, wenigstens findet sich eine Besitzung dieses Namens am Strande der ligurischen Küste, deren Besitzer im Auslande leben soll, und nur selten dorthin kommt. Die Villa ist Jedermann verschlossen, nur vom Gärtner und seiner Frau bewohnt. Doch will man in den ersten Monaten dieses Jahres, also nach jenen Ereignissen in Biarritz, ein Schiff, das, nach der Beschreibung der an der Küste wohnenden Fischer, der »Victory« geglichen hat, in dem kleinen Hafen von Roccabruna haben ankern, und den Herrn der Villa ihr einen kurzen Besuch haben abstatten sehen. Wohin das Schiff sich dann gewandt, wußten die Leute nicht; der Gärtner und sein Weib wiesen jede Frage schroff ab. Das ist alles, was ich ermitteln konnte und mit dem, was ich auf der hiesigen englischen Gesandtschaft über einen Grafen von Lerida oder einen Kapitän Waterford hörte, das einzige Resultat.«

»Was meine Nachforschungen anbetrifft,« sagte die junge Frau, »so weiß ich so viel, daß ein Graf Juan von Lerida sich zu anfang dieses Jahres in Madrid aufgehalten hat, daß el Tuerto, der Schmuggler, in den Verkehrsstätten der Contrabandista wohl bekannt ist, und daß ein Graf von Lerida wegen politischer Konspirationen aus Spanien verbannt worden ist und dies Land verlassen hat.«

»Das würde mit dem Besuch in Roccabruna der Zeit nach ungefähr stimmen. Aber wo diesen Proteus, diesen rastlosen, offenbar von reichen Mitteln unterstützten Abenteurer, suchen?«

»Ich weiß nicht, wo wir ihn suchen sollen, aber ich weiß, wo wir ihn finden werden. Wenn wir nur eine Verbindung mit der vornehmen Gesellschaft dieses leichtfertigen Hofes anknüpfen könnten, – vielleicht ließe sich damit eine Spur entdecken, ein Name wenigstens ermitteln: Cl. v. R., den ich hasse, den ich verabscheue! Denn, wie Sie mir selbst gesagt, bewegte sich jener Mann am Hofe von Biarritz.«

Der Leutnant der Douaniers zuckte die Achseln. »Sie wissen, daß hier mein guter Wille erlahmt.«

»Dennoch dürfen wir nicht ermüden, und ich fühle die Überzeugung, daß wir unser Ziel erreichen werden. Vorerst wissen Sie, daß ich mich nach der Havannah begeben will, wo meine persönliche Anwesenheit zur Abwickelung meiner Erbschaftsangelegenheit notwendig ist. Ich habe einen Sohn, für dessen Zukunft seine Mutter, so schmerzlich sie ihn auch jetzt vermißt, sorgen muß.«

Sie trocknete die Tränen aus ihren Augen.

»Haben Sie sich meinen Vorschlag überlegt? Wollen Sie hier zurückbleiben, um unsere Nachforschungen fortzusetzen, wollen Sie mich begleiten? In jedem Fall müssen Sie Ihren Abschied aus diesem drückenden, Ihrer unwürdigen Dienst nehmen. Ich bin reich …«

Der junge Mann hatte sich erhoben. »Sprechen Sie das Wort nicht aus, Margaritta, Sie haben mich wenigstens Ihrer Freundschaft gewürdigt, und werden mich durch ein solches Anerbieten nicht beleidigen wollen. Noch dauert der Urlaub fort, den man mir zur Heilung meiner im Dienst erhaltenen Wunden bewilligt hat, und meine kleinen Ersparnisse haben zu den Ausgaben gereicht, die ich bei meinen Nachforschungen machen mußte. Ich darf meine Rache an dem Zerstörer meines Lebensglücks mir nicht von der Frau bezahlen lassen, die ich liebe. Leben Sie wohl einstweilen: morgen werde ich wieder nachfragen, ob Sie mir einen Befehl zu geben haben!«

Er küßte ihre Hand und ging; sie sah ihm traurig nach. – – – – – – – – – – –

Der Kommissionär hatte den in der Hoffnung, seinen Herrn wiederzusehen, glücklichen Matrosen in die Galerien des Palais Royal geführt. Zum Erstaunen des Laskaren trat ihnen hier eine tief in Schwarz gekleidete und dicht verschleierte Frau entgegen, die dem Kommissionär ein Geldstück reichte und ihm dann winkte, sie zu verlassen.

»Laß uns hier in diesen Gang treten,« sagte sie zu dem verblüfften Matrosen, ihn mit sich fortziehend. »Kennst Du mich?«

»Der Malaye war bei dieser Stimme unruhig, er starrte sie furchtsam an – sie schlug den Schleier zurück.

»Bei der schwarzen Schlange! Missus Adda!«

»Ich bins – sprich, was weißt Du von dem Kapitän, Deinem Herrn?«

»Oh, Missus Adda, was wollen Sie ihm zu Leide tun? Haben Sie noch nicht Schlimmes genug gebracht über Sahib Kapitän, wie die schwarze Schlange, der böse Geist, der nachts heimsucht die unschuldigen Menschen!«

»Tor! Erinnerst Du Dich nicht, daß ich ihn mit meiner Seele gerettet vor schmachvollem Tode? Ahnst Du nicht, daß ich hier bin, um ihn vor noch schlimmerem Unheil zu bewahren, als der rasche, vernichtende Tod es ist! Sprich, weißt Du, wo Dein Herr ist?«

»Missus Adda, er leben und ist nicht mehr auf dem Kriegsschiff bei die bösen Kapitän, und Sie haben getan ein Wunder für ihn, Missus Adda, denn der Brief hat gerettet sein Leben. Well! Es wohnen da drüben in dem großen Hause Personen, die gekommen sind aus Westindien, und, als sie gehört haben den Namen von Sahib Hansen, dem Rat, haben sie erzählt an Missis Edda, was sie gesehen auf eine kleine Insel drüben in Amerika, und daß sie gekommen sind mit Kapitän Hansen zusammen auf einem Schiff, und daß er sein gegangen nach London, um zu heuern ein Schiff, womit er kann gehn wieder in See!«

»So kommt er nicht hierher zu der Hochzeit seines Bruders?«

»Sucky noch nicht wissen, Missus Adda! Aber wenn Sie mir schwören wollen bei der großen Schlange – nein, beim großen Gott der Christen, zu dem Sie ja beten, wie Missis Edda und der Sahib Kapitän …«

Ein spöttisches Lächeln flog über das Gesicht der Lappin.

»… Wenn Sie mir schwören, daß Sie nicht daran denken, zu tun Kapitän Hansen ein Leid, so will ich Ihnen sagen, daß heute morgen gekommen sein ein Brief von Kapitän Hansen aus London oder Hâvre, aber Sucky wissen noch nicht den Inhalt, da Missis Edda nicht sein in die Hotel.«

»Und willst Du, sobald Du den Inhalt erfährst, ihn mir mitteilen, Sucky?«

Der Malaye schaute sie mißtrauisch an; eben weil er jetzt wußte, daß sie in einer unbegreiflichen Weise das Leben seines geliebten Herrn gerettet hatte, bewahrte er den Glauben, daß sie eine jener bösen Zauberinnen sei, von deren Existenz er sich nach dem Aberglauben seines Volkes überzeugt hielt, und hatte eine gewisse Furcht vor ihr.

»Wenn Missis Edda es erlauben – gern!«

»Das eben ist es, was nicht geschehen soll. Du darfst auf keinen Fall Edda sagen, daß Du mich gesehen, gesprochen hast! Ich verbiete es Dir! Willst Du Gold? – Du sollst dessen genug haben, aber Du sollst mir treu sein. Du sollst mir dienen.«

»Sucky kein Gold brauchen, Missis Edda geben, was Malakka-Mann bedürfen. Viel Gold sein sehr schlimmes Ding, blenden die Augen, machen Herz schlimm und Kopf wirr!«

Sie sah ihn starr an. »Hast Du auch schon die Erfahrung gemacht, armer Bursche! So muß ich es anders versuchen. Höre mich an, Sucky! Ich schwöre Dir bei allem, was Dir und mir heilig und furchtbar ist, ich will Deinem Herrn nur Gutes tun, ihm einen Dienst erweisen, den nur ich ihm erweisen kann, und den er Dir danken wird, so lange er atmet. Aber ich kann es nur, wenn Du mir vertraust; wenn Edda davon erfährt, ist es unmöglich. Höre mich an, Mann,« sagte sie flüsternd, und ihre Augen blitzten drohend auf ihn, daß dem armen Burschen, trotz des hellen Sonnenscheins und der Tausende von Menschen, die um sie her verkehrten, ganz unheimlich zumute wurde. »Du kennst meine Macht! Bei meinem Zorn! Ich will die schwarze Schlange Deiner Heimat, bei der Du zu schwören pflegst, senden, daß sie Dir das Hirn aus dem Kopfe saugt und ihre giftige Zunge in Deine Augen bohrt, wenn Du Dich weigerst, mir zu gehorchen. Wähle?«

»O, Missus!«

Er wäre fast vor ihr auf die Knie niedergefallen. »Was haben Sucky getan, daß Sie ihn der schwarzen Schlange opfern wollen? Was verlangen Missus, daß ich tun sollen?«

»Zunächst, von meiner Anwesenheit, von unserer Unterredung schweigen, und dann heute Abend um neun Uhr Dich hier, auf dieser Stelle wieder einfinden, um mir zu sagen, was in dem Briefe des Kapitäns steht, und welches seine Adresse ist; denn ich habe ihm Wichtiges mitzuteilen. Geh jetzt, und gehorche, sonst wehe Dir!«

Der Laskare schlich zitternd davon; all' seine gute Laune, die er vorhin gegen seinen Kameraden, den großen Miguel gerühmt, war plötzlich verschwunden.

Er kam grade zur rechten Zeit zu dem Hotel zurück, denn er hatte kaum seinen Posten an der Einfahrt wieder eingenommen, als die Equipage, die seine Herrin, ihren Vater und ihren Bräutigam von den Audienzen zurückführte, wieder in das Hotel einfuhr.

Die Herren hatten nach ihrer Entlassung vom Kaiser im Cour d'Honneur gewartet, bis die Damen vom Empfang Ihrer Majestät zurückgekommen waren; dann hatte der Gesandte seine Gemahlin in seiner eigenen Equipage mitgenommen.

»Ihre Majestät,« sagte die Gräfin Moltke, ehe die Herren sich verabschiedeten, »waren überaus gnädig, und haben mich beauftragt, Fräulein von Halsteen diesen Abend in ihren Cercle einzuführen. Es ist kleiner Empfang, und Sie sehen das vornehme und in Kunst, Wissen und Politik berühmte Paris in diesen eben so interessanten als exklusiven Gesellschaften versammelt. Wenn Sie also noch Bedürfnisse für Ihre Toilette haben, meine Liebe, so versäumen Sie nicht, sogleich bei der Saint Valerie vorzufahren, deren Magazin ja wohl Ihr Trousseau zu besorgen die Ehre hat. Um 9 Uhr werde ich Sie abholen. Bis dahin Adieu!«

Die Equipage entfernte sich, während der Legationsrat seine Braut in den Wagen hob.

»Also nach dem Boulevard des Capucines, Ecke der Rue Caumartin,« befahl der Legationsrat, der den Weg genau kannte, da er ihn öfter mit seiner schönen Verlobten hatte machen müssen, und das Magazin der Madame Saint Valerie ihr empfohlen hatte.

»Ich muß gestehen,« sagte Fräulein Halsteen, als der Wagen mit ihnen dahinrollte, »ich verkehre eigentlich nicht gern mit der Dame dieses Magazins, obschon ich einräumen muß, daß sie einen vortrefflichen Geschmack besitzt und von der vornehmen und eleganten Welt sehr gesucht wird.«

»Es ist in der Tat eine förmliche Gunst, liebe Edda,« sagte der Legationsrat, »wenn Madame Saint Valerie es übernimmt, für die Ausstattung einer fremden Dame zu sorgen. Ich konnte Ihnen keinen besseren Rat geben; von allen Tonangebern der Mode im Jockey-Klub wurde sie mir aufs beste empfohlen. Vicomte von Bressolles hat sie durch seine Protektion en vogue gebracht, und Sie selbst, liebe Edda, sagten mir, daß Sie sehr zufrieden sind.«

Die junge Dame, die ihren Bräutigam bei der Erwähnung der Protektion eines sehr bekannten Lion des Jockey-Klubs etwas von der Seite angesehen, meinte: »Ich finde bloß etwas Unangenehmes in ihrer Persönlichkeit – etwas Dreistes.«

»Dafür ist sie Französin! Und, daß sie das Unglück hat, zu hinken –

»Ich denke, Sie werden mich nicht für so kindlich halten. Doch verlassen wir lieber dies Thema … Da sind wir ohnehin an Ort und Stelle.«

»Nun, ich brauche hoffentlich nicht mit auszusteigen,« fragte der Konferenzrat.

»Bewahre, Papa, Du müßtest denn die Rechnung bezahlen wollen!«

»Ich denke, damit hat es noch Zeit, bis alles in Ordnung ist. Ich habe also unterdes Gelegenheit, eine Zigarre zu rauchen oder mich auf dem Boulevard zu ergehen! Es ist merkwürdig, lieber Hansen, daß Ihr Bruder noch nicht geschrieben und auf den Vorschlag, den Sie ihm gemacht haben, geantwortet hat?«

Die junge Dame wandte sich ab, der Legationsrat zuckte die Achseln. »Sie haben ihn ja kennen gelernt, er ist ein Eisenkopf, er hat es trotz des guten Ausgangs der ganzen Angelegenheit doch mir, seinem Bruder, wahrscheinlich mißdeutet, daß ich nicht mehr für ihn eingetreten bin. Aber, mein Gott, ich wußte ja nicht – und war entfernt …«

Der Konferenzrat nickte. »Ganz recht, je weniger Sie mit dem unverbesserlichen Menschen zu tun haben, desto besser für uns alle. Ich möchte nur in aller Welt wissen, wenn das, was Kapitän Lautrec erzählt, auch nur zur Hälfte begründet ist, welche Bewandtnis es mit jenem Briefe hatte; der Kapitän muß da doch wohl flunkern – dafür ist er Franzose.«

Fräulein Edda war ausgestiegen und trat am Arm ihres Bräutigams in das Magazin, während der Konferenzrat sich eine Zigarre ansteckte und auf den nahen Boulevard trat.

Das Magazin der Madame Saint Valerie war damals, wie der Legationsrat Hansen ganz richtig gesagt hatte, sehr in Mode, und der pikante Geschmack der Besitzerin hielt es vielleicht länger in Distinktion, als es bei der sehr veränderlichen Laune der Pariser Welt sonst der Fall gewesen wäre.

Auch von Madame Saint Valerie erzählt man, wie von manchen anderen, eine pikante Carrière, aber Tatsache war nur, daß der halbe Jockey-Klub und der kleine Cercle des café anglais sich das Wort gegeben zu haben schien, das Magazin in Schutz zu nehmen und allen Kreisen zu empfehlen.

Bei einer solchen Protektion war es leicht, in Mode zu kommen! –

»Madame,« sagte die große Modistin beim Schluß der Verhandlungen über die Toilette des Abends, »werden zufrieden sein; ich werde meine erste Ankleiderin zu rechter Zeit mit den Kartons in Ihr Hotel senden und Sie werden aussehen wie ein Engel. Madame la Princesse Metternich sollen nicht mehr Furore machen als Sie!«

»Ich bitte Sie von dieser Idee abzustehen, Madame,« sagte sehr ernst die junge Dame; »ich wünsche die größte Einfachheit, die sich mit einer solchen Gelegenheit verträgt.«

»Madame sind bei Ihrer Schönheit zu bescheiden,« perorierte die Modistin, »oder Sie wissen, daß unsere Kavaliere oft grade der einfachen Toilette den Vorzug geben, weil sie die Bewunderung nicht von den wahren Reizen abwendet. Madame sollen nach Ihren Wünschen bedient werden. Befehlen Sie, daß ich in den Kartons etwas von unserem exquisiten Rouge beilege? Madame scheinen nicht ganz disponiert oder haben eine leichte Migraine?«

Edda Halsteen, die in der Tat in den letzten Wochen, je näher der Tag ihrer Vermählung heranrückte, ein leidendes Aussehen, ein ernstes, fast finsteres Wesen gezeigt, das auch auf ihr Äußeres seine Wirkung übte, lehnte mit einer Handbewegung ab: »Lassen Sie uns gehen, Johannes!«

Der Legationsrat war voll zärtlicher Aufmerksamkeit. »Trotz alle dem, teure Edda,« sagte er, »hat Madame Valerie nicht ganz Unrecht. Sie sind nicht mehr dieselbe ruhig glückliche Edda, die ich vor sechs Monaten verließ, ein anderer, ich möchte fast sagen, finsterer Geist ist über Sie gekommen. Sie scheinen oft in zerstreute oder melancholische Gedanken vertieft, Ihre sonst so jugendfrischen Wangen sind blaß, Ihr schönes Auge ist nachdenkend, die reizende Stirn oft von leichten Falten getrübt. Sie scheinen leidend, teure Edda, Sie scheinen Kummer zu haben – oder fühlen Sie sich in der Tat nicht wohl?«

»Ich muß gestehen, ich fühle mich in der Tat etwas leidend; doch irren Sie, mein Freund, in Bezug auf meine Stimmung. Bedenken Sie, welche große Veränderung in meinem Leben bevorsteht, und daß doch auch die letzte Zeit mir so manche Kümmernis und Sorge gebracht hat.«

»Meine süße Edda, mein Bruder müßte ein vollständig verlorener, undankbarer Mensch ohne Herz sein, wenn er Ihnen für die Sorge, die Sie ihm gewidmet, die Tränen, die er diesen schönen Augen ausgepreßt hat, nicht ewig dankbar sein sollte!« Er küßte galant ihre Hand oder vielmehr den feinen Handschuh, der sie deckte.

Das Gespräch wurde durch den Konferenzrat unterbrochen, den sie, auf dem Boulevard entlang fahrend, erreicht hatten, und der jetzt am Wagenschlag noch die letzten Worte gehört hatte.

»Das sollte ich doch auch meinen,« sagte er einsteigend, »wenn der Mensch nur ein bischen Takt und Gefühl hat, muß er Ihren Vorschlag annehmen, liebster Hansen; in Dänemark ist doch keine Aussicht mehr für ihn, und er würde nur Ihre Karriere stören.«

Der Wagen rollte die Rue Richelieu entlang und hielt bald in der Einfahrt des Hotels. – – – –


Als der Lascare den Wagenschlag öffnete und seiner schönen Gebieterin heraushalf, flüsterte er ihr zu: »Sucky sein sehr begierig zu hören, was Sahib Kapitän schreibt, sein sich Brief von die Kapitän oben.«

Diese Nachricht beflügelte die Schritte der jungen Dame, und die Röte, die seit langer Zeit zum ersten Mal ihre Wangen übergoß, hätte Madame Saint Valerie am besten überzeugen können, daß ihr Rouge hier überflüssig sei.

Bald darauf saßen alle drei in dem gemeinschaftlichen Salon zusammen, und der Legationsrat hielt den erwarteten Briefs in der Hand.

»Er ist in der Tat von Klaus,« sagte er, ihn öffnend, »aber nicht von London, wie wir erwarteten, sondern wieder von Hâvre. Wollen Sie ihn lesen, Edda …«

Er reichte ihr den Brief und eine Einlage, doch sie wies ihn zurück. »Er ist nicht an mich gerichtet, lesen Sie ihn zuerst.«

»So lesen Sie ihn laut, wenn es keine Familien-Geheimnisse sind,« bestimmte der Konferenzrat.

»O, er ist nur kurz; Klaus schreibt sehr lakonisch, die Feder ist ja auch wohl nicht die Sache seiner derben Hände. Hören Sie!«

Der Brief war in der Tat kurz, er lautete:

 

Mein Bruder!

Deinen Brief habe ich in London erhalten ich beantworte ihn von hier. Die Menschen dachten es böse mit mir zu machen – Gott hat es gut mit mir gemacht und einen seiner Engel mir zum Beistand gesandt. Das Wie begreife ich freilich nicht, doch kann der schwache Menschenverstand überhaupt die Macht und die Taten der Engel begreifen? Deiner freundlichen Einladung zu Deiner Vermählung mit Fräulein Halsteen – Gott segne sie für ihre Güte, indem er sie und Dich glücklich mache! – kann ich leider nicht Folge geben.«

 

»Es ist doch etwas Takt in dem Mann,« murmelte halblaut der Konferenzrat.

 

»Vielerlei hindert mich daran, unter anderem die so eben hier übernommene Pflicht, ein schönes Schiff, die ›Josephine‹, das bereits zur Abfahrt beladen, an Stelle seines plötzlich verstorbenen Eigentümers und Kapitäns nach der Havannah zu führen. Doch sei Du und Deine Braut überzeugt, daß das Herz und das Gebet eines einfachen Mannes bei Euch sein werden an dem wichtigen Tage.

Wiewohl verbannt aus der Heimat durch den Machtspruch eines Königs, kann ich doch Deinen Rat, ein Bürger Amerikas zu werden, nicht befolgen. Der Sohn der friesischen Halligen kennt nur eine Heimat, und das Meer soll die meine sein, bis ich mit Recht den Fuß wieder auf die freie, deutsche Erde Holsteins setzen kann! Wohin ich nach Zurücklegung der gegenwärtigen Fahrt segle, weiß ich noch nicht, da das Schiff bei seiner Rückkehr aus der Havannah von der Witwe seines Eigentümers verkauft werden soll. Doch werde ich von Zeit zu Zeit Euch Nachricht von mir geben.

Was Deinen Vorschlag betrifft, mir von der Erbschaft unseres Onkels einen Teil überweisen zu wollen, da nach den englischen Gesetzen, unter welche die Erbschaft fällt, wenn keine besondere Bestimmung des Erblassers vorliegt, das Erbe dem Erstgeborenen gehört, so verzichte ich auf Deine Güte. Ich würde das Geld unseres Onkels doch nur zum Schutz und für die Rechte seines und unseres Vaterlandes verwenden können. Gott aber hat mir für diesen heiligen Zweck auf fast wunderbare Weise bereits reichliche Mittel in die Hand gegeben, von denen bei dem Andenken unseres Vaters jeder Schilling dazu verwendet werden soll. Bis diese Zeit gekommen, und ich hoffe, sie ist näher, als wir denken, nährt den freien deutschen Mann die freie Arbeit auf freiem Meer!

Gott segne Dich und segne Edda.
Klaus.«

 

»Da haben Sie den Dank für Ihre überflüssige Großmut!« sagte heftig der Konferenzrat. »Aber was meint der Mensch mit ›reichlichen Mitteln,‹ die ihm zur Unterstützung der Rebellion und des Hochverrats in die Hände gegeben sein sollen? Was zum Henker kann das bedeuten?«

Der Legationsrat zuckte die Achseln. »Ich habe keine Ahnung davon. Hübsch ist es allerdings nicht von Klaus, so hochmütig meinen brüderlichen, guten Willen zurückzuweisen! Er ist und bleibt ein Starrkopf!«

»Und ein gefährlicher Rebell!« sagte hart der Rat. »Aber was ist das da für eine Einlage.«

»Ein Brief an Kapitän Lautrec!«

Eine Art gurgelndes Schluchzen machte ihn aufmerksam. »He, Sucky! bist Du hier?« Erst jetzt bemerkten sie, daß der Laskare im Zimmer geblieben war und den Inhalt des Briefes mit angehört hatte.

»Oh Je! Oh Je! Sucky armer Mann,« schluchzte der Bronzefarbige. »Sahib Kapitän armen Sucky ganz vergessen, der Kapitän liebt doch mehr als sein eigenes Leben. Oh Je! Oh Je!«

»Nein, Sucky,« sagte die junge Dame, die den Brief in die Hand genommen und ihn noch einmal still für sich gelesen hatte. »Hier ist eine Nachschrift für Dich, hör zu!« und sie las:

 

»Wenn Fräulein Halsteen der Dienste meines treuen Suckys nicht mehr bedarf, so bitte ich sie, mir ihn zu senden und meinen Dank zu genehmigen für den Schutz, den sie ihm so lange gewährt hat!«

 

Der Laskare tat vor Freuden einen Sprung und klatschte in die schwieligen Hände. »Oh, Missus, nun wird Sucky bald Sahib Kapitän von guter Missus erzählen können! Ich wissen, Kapitän werden hören das gern!«

»Geh, Sucky,« sagte die junge Dame eilig, »trage diesen Brief zu Kapitän Lautrec, seinem Freunde. Wir sprechen später über Deine Reise!«

Der Laskare haschte nach ihrer Hand, sie zu küssen, und fühlte den dankbaren Druck ihrer schlanken Finger. Dann machte er sich eilig auf den Weg; denn er tat nichts lieber, als sich durch den wackeren Pflanzer-Kapitän von seinem Herrn erzählen zu lassen, so gering auch sein Verständnis des Französischen war.

Als sie allein waren, sagte Edda: »Haben Sie mir nicht gesagt, Vater, daß nach deutschem und dänischem Recht alle Kinder gleich berechtigt an dem Erbe des Vaters sind?«

»Gewiß! Warum fragst Du?«

»Weil demnach Herr Klaus Hansen gleiches Recht an die Erbschaft hat, wie Johannes. Das Erbe selbst, wenn wir es vom Standpunkt des englischen Erbrechts betrachten, mußte zunächst dem Vater, als dem einzigen Bruder des Verstorbenen, dem Prediger Hansen, zufallen. Von diesem erbten es die Söhne und zwar zu gleichen Teilen.«

»Was verstehst Du von den Gesetzen, albernes Mädchen,« sagte ärgerlich der Konferenzrat. »Der Prediger Hansen ist wahrscheinlich vor dem Erblasser in Indien gestorben und sonach Dein Bräutigam hier der einzige und alleinige Erbe nach dem Urteil der Londoner Advokaten. Auch hast Du aus jenem sauberen Briefe zur Genüge gesehen, daß Dein künftiger Herr Schwager – diese Verwandtschaft könnte mir wahrlich heute noch die Verbindung verleiden! – jeden Anteil an der Erbschaft zurückweist! Gott sei Dank, denn er würde sie, wie er mit lobenswerter Offenheit eingesteht, doch nur zum Unheilstiften verwendet haben.«

»Herr Klaus Hansen, Vater,« sagte das Mädchen mit ruhiger Entschlossenheit, »wird seinen rechtmäßigen Anteil an dieser Erbschaft erhalten, und es muß sich ein Mittel finden lassen, ihm diesen zu sichern, oder er wird überhaupt nicht der Schwager von Edda Halsteen. Ich bin zu stolz, mich mit ungerechtem Gut zu beflecken!«

»Mädchen!« Der Konferenzrat schlug heftig auf den Tisch. »Reize mich nicht!«

Das junge Mädchen hatte sich stolz erhoben. »Sie kennen meinen Charakter, Vater,« sagte sie fest und mit einem etwas verächtlichen Blick auf ihren Bräutigam, »und Herr Hansen wird ihn zu würdigen wissen. Fassen Sie danach Ihren Entschluß, indeß ich mich zurückziehe!«

Sie wollte nach ihrem Zimmer gehen, aber sie kam nicht dazu, denn nach einem Klopfen und dem mürrischen: Entrez! des Konferenzrats, dem vielleicht die Unterbrechung ganz erwünscht kam, wurde die Tür geöffnet, und die beiden Mitbewohnerinnen des Hotels, Madame Santarez und Fräulein Josephine Lautrec traten hastig ein.

»Ei, was haben wir gehört, meine allerliebste, liebe Edda, mein schönstes Bräutchen,« rief die kleine lebhafte Kreolin, die junge Dame liebkosend umfassend, »Sie gehen heute Abend zu Kaisers, oder vielmehr, damit eine so wilde Hummel, wie ich, es mit dem nötigen Respekt sagt –« und sie machte einen gezierten Knix nach den Pas der Quadrille à la cour! – »zu Ihrer Majestät der Kaiserin der Franzosen in die Tuilerien?«

»Es ist heute Abend der Cercle Ihrer Majestät«, sagte Fräulein Halsteen, »Ihre Majestät waren so gnädig, bei der Vorstellung die Frau Gesandtin zu erinnern, und diese will so gütig sein, mich unter ihre Protektion zu nehmen, aber ich habe noch keine schriftliche Einladung erhalten, die, wie ich gehört, üblich oder nötig ist.«

»So – und was wäre denn das?« fragte das muntere Mädchen, die Hand mit einem blauen Kuvert hinter dem Rücken hervorbringend und dasselbe zierlich präsentierend. »Wir haben es auf dem Weg zu Ihnen aufgefangen, man wollte es eben aus dem Bureau heraufbringen, es ist eine Ehre für das ganze Hotel, wie Monsieur Charles, der erste Garçon, versichert! Ja, wer doch auch eine solche Ehre haben könnte – aber zu dergleichen kommt eine simple Kapitänstochter nicht, selbst wenn sie Braut ist! Ja, wenn ich noch den hübschen Marquis von Saint Brie geheiratet hätte, der mir tausendmal versichert hat, wie nett ich mich als Frau Marquise machen müßte, statt diesen dummen Vetter Gautier, der auch nur ein lumpiger Kapitän ist, und sogar nicht einmal mehr bei der Garde. Vorausgesetzt, daß er überhaupt noch auf der Welt ist, was ich gar nicht glaube, obschon Papa wie närrisch darauf besteht, ihn aufzusuchen, und deshalb durchaus selbst nach Italien reisen will, noch dazu ohne mich mitzunehmen! Als ob Josephine Lautrec nicht hübsch und reich genug wäre, daß sich ein Freier selbst um sie bemühen muß. Nicht wahr, schönes Bräutchen?« und sie faßte Fräulein Halsteen um die Taille und wirbelte umher, daß diese Mühe hatte, sich von dem lebhaften Mädchen los zu machen, dem sie große Vorliebe zeigte, seit es sich durch einen Zufall herausgestellt, daß sie den Kapitän Klaus Hansen kannte und mit ihm über den Ozean gekommen war.

»Denken Sie, Edda,« plauderte die Kleine weiter, »daß mich Papa – ich bliebe sonst ganz gern in Paris und am liebsten bei Ihnen, wenn Sie hier geblieben wären – daß er mich in ein Kloster stecken will während seiner Abwesenheit, zu sehr frommen Nonnen, den soeurs du sacré coeur, wo es keine Bälle gibt, auf die ich mich doch so sehr gefreut, und wo man nicht einmal ins Theater gehen darf oder im Bois spazieren fahren! Ist das nicht abscheulich! Oh, Sie müssen es Papa ausreden – à propos, ich hatte es ja ganz vergessen, er läßt Ihnen schönstens danken für den Brief vom Kapitän Hansen, den Sie ihm geschickt haben. Der brave Mann! Ich glaube, den hätte ich heiraten können, wenn nicht der Marquis …« sie schlug sich auf den Mund. »Ja so – wissen Sie Edda, Herzensfreundin, Sie könnten mir im Vertrauen einen großen Gefallen tun.«

»Von Herzen gern, wenn ichs vermag! Aber was schreibt denn Kapitän Hansen?«

Die Herren hatten längst das Feld geräumt, um die Damen in ihrer Unterhaltung nicht zu genieren.

»Oh, erst das Wichtigere, Eddachen,« schmeichelte die Kreolin. »Wenn Sie diesen Abend zu Kaisers gehen, da sind ja doch alle vornehmen Herrschaften versammelt, oder sie kennen wenigstens alle einander, wie auf unseren Pflanzungen die Niggers einander kennen, und wohnten sie auf beiden Enden von Guadeloupe. Und da der Marquis von Saint Brie doch auch ein vornehmer Herr ist, und zwar ein sehr vornehmer Herr, wie ich mir habe sagen lassen, nur daß er all sein Geld verspielt hat oder Klöster davon gestiftet, so ist er vielleicht heute Abend da – und – und …«

»Nun, und …« fragte lächelnd Fräulein Halsteen.

»Bah, ich meinte nur, da könnten Sie ja vielleicht, wenn Sie mit ihm tanzen – und er tanzt gewiß mit Ihnen, denn er sucht sich immer die schönsten Tänzerinnen – nun, da könnten Sie ja vielleicht ihn, so bei Gelegenheit, wissen lassen, daß Kapitän Lautrec von Guadeloupe sich zur Zeit grade in Paris befindet« –

… »Und seine schöne Tochter!« …

»Oh, das ist gar nicht nötig, er wird schon von selbst fragen. Und – hören Sie, Edda, wenn er nicht da ist, so hören Sie doch vielleicht von ihm, und – nun –, und Sie fragen einmal, ob man ihn kennt, und wo er jetzt wohl sein mag!«

»Ich werde nicht verfehlen,« sagte Fräulein Halsteen, welche trotz der schweren Gedanken, die ihr auf dem Herzen lagen, doch die naive Koketterie der kleinen Kreolin belächeln mußte und einen andern Zweck mit dem Eingehen auf ihre Wünsche verband. »Aber nun, Kind, lassen Sie mich auch hören, was Herr Klaus Hansen Ihrem Papa schreibt, denn in dem Briefe an seinen Bruder steht nur wenig von seiner Person.«

»Ah, denken Sie, er will schon wieder zu Schiffe, als echter Seemann, wie Papa meint, der verzweifelt große Stücke auf Monsieur Hansen hält – ich meine natürlich den Kapitän, nicht Ihren Herrn Bräutigam – und sagt, er wäre der tüchtigste Seemann, der ihm seit langen Jahren vorgekommen, trotz seiner Jugend! Also er will schon wieder nach West-Indien, und zwar von Havre aus, auf einem Fregatt-Schooner, der dazu, was das komisch ist! gerade so heißt, wie ich la bel … nein, Unsinn, » la Josephine« heißt er, und er macht eine Beschreibung von dem Schiff, grade als hätte er sich verliebt darein, pah, als ob man sich in Holz und Eisen verlieben könnte. Aber er meint, Besitzer eines solchen Schiffes zu sein, das würde ihn einst sehr glücklich machen und wäre eines der Ziele seines Lebens, und Papa meint, ein so tüchtiger Mann wie der Kapitän würde es gewiß noch dahin bringen, und dann könne er in der ganzen Welt nach seinem Behagen umhersegeln und offen seine geliebte Flagge zeigen, ohne sich einen Daus um diesen häßlichen König von Dänemark zu scheren, der ihn verbannt hat. »Na, ich glaube, da habe ich schon wieder eine Dummheit gesprochen, gewiß und wahrhaftig ich wollte Ihnen nicht weh tun, Edda; denn ein König oder ein Präsident sind doch immer Respektspersonen für ihre Landeskinder, und da Sie doch nun einmal eine Dänin sind – na, es ist nur gut, daß Ihr Papa es nicht gehört hat!«

Fräulein Halsteen hatte die Kreolin plaudern lassen, ohne sie auch nur mit einer Silbe zu unterbrechen. Es war wie ein Blitz, wie eine plötzliche Helle über sie gekommen bei dem Plaudern des harmlosen Mädchens – ja das war ein Fingerzeig von oben – so – und nur so mußte es gehn! So konnten sich die trüben Differenzen lösen, die ihr das Herz bedrückten. Jetzt, als sie sich klar geworden über das, was sie zu tun habe, unterbrach sie die Kleine mit der Frage: »Wie lange fährt mau von Havre bis Paris, Sie wissen, wir sind über Ostende gekommen.«

»Sechs Stunden – oh, er hätte sich schon abmüßigen können, der werte Herr Kapitän, zu Ihrer Hochzeit zu kommen, wenn er nur gewollt hätte, und ich würde ihn tüchtig dafür schelten an Ihrer Stelle, beste Edda!«

Sie achtete nicht darauf. »Bleibt Ihr Herr Vater jetzt zu Hause, und wann kann man ihn am besten sprechen, liebe Josephine? Ich möchte seinen Rat erbitten in einer kleinen Angelegenheit. Aber, mein Gott, wir haben bis jetzt ganz allein geredet und Madame Santarez, unsere liebe Freundin, ist ganz schweigsam geblieben. Wir haben Sie gewiß sehr gelangweilt, Madame?«

»Gewiß nicht, Fräulein Halsteen. Ich kam, um Ihnen meine Dienste für Ihre Toilette anzubieten zu diesem Abend – und« sagte sie zögernd – »Ihnen auch eine Bitte vorzutragen, die der unserer kleinen Freundin fast gleicht.«

Edda Halsteen hatte für die junge Frau, die sie als ihre Zimmernachbarin schon bald nach ihrem Eintreffen hatte kennen lernen, von vornherein eine große Sympathie gefaßt, diese Sympathie hatte sie ahnen lassen, daß auch Madame Margaritta Santarez ein tiefes Leid im Innersten ihres Herzens verbarg, und wenn auch die leidenschaftliche Glut, die bei aller Zurückhaltung manches Mal aus dem Benehmen der jungen Frau hervorbrach, wenig mit den Gewohnheiten der Nordländerin harmonierte, das Gefühl, eine Leidende vor sich zu sehen, macht ja auch größere Schranken schwinden, als etwa den Zwischenraum zwischen Eider und Pyrenäen.

Auch hatte Edda Halsteen eine gewisse Achtung vor der etwa zwei Jahre jüngeren, neuen Bekannten gewonnen, als sie gesehen, mit welchem Ernst, mit welchem eisernen Fleiße diese bemüht war, sich Kenntnisse und Fähigkeiten zu erwerben, zu deren Gewinnung sie wahrscheinlich früher durch andere Verhältnisse, als ihre gegenwärtigen, keine Veranlassung gehabt hatte, und sie mühte sich, bei jeder Gelegenheit ihr auf diesem Wege beizustehen, ohne sie durch eine zudringliche Frage zu belästigen.

So hatten sich denn beide Frauen inniger an einander geschlossen, denn mit dem feinen, weiblichen Instinkt hatte auch Margaritta leicht begriffen, daß die schöne nordische Dame trotz ihres ausgesprochenen Brautstandes, im Herzen einen Kummer barg und in der ihr nahe bevorstehenden Vermählung anderen Motiven folgte, als der innigen Liebe einer Braut zu dem Manne ihrer Wahl.

»Sprechen Sie! Ich bitte!«

»Es hatte sich am Hofe Ihrer Majestät bei der Villeggiatura im vorigen Herbst, ein Mann durch einen besonderen Dienst, den er der kaiserlichen Familie zu leisten Gelegenheit hatte, Zutritt verschafft; ich weiß nicht, ob er ein Spanier oder Engländer ist, doch führt er einen spanischen Namen. Viele der Personen in der Umgebung der Kaiserin müssen sich seiner erinnern, und mir liegt in meiner Erbschafts-Angelegenheit viel daran, zu erfahren, ob diese Person schon Paris und den Hof besucht hat, oder Paris besuchen wird. Vielleicht bringt es der Zufall mit sich, daß Sie Gelegenheit haben, den Namen zu hören oder auszusprechen. Es muß eine Dame in der Nähe der Kaiserin geben, die diesen Mann kennt, doch vermag ich auch deren Namen nicht mit Bestimmtheit anzugeben, da ich jenen hohen Kreisen zu fern stehe. Ich weiß aber die Anfangsbuchstaben ihres Namens: C. de R.«

»Aber dann müssen Sie, liebe Freundin,« sagte abbrechend die Dänin, »mir den Namen jenes Herrn mitteilen, wenn ich darauf achten soll.«

»Ich weiß nur, daß er am Hofe zu Biarritz sich als den Conde Don Juan de Lerida vorgestellt hat.«

»Ich danke Ihnen und werde Ihrem Vertrauen nach Kräften zu entsprechen suchen. Und nun, meine Freundinnen, bitte ich Sie, mich in mein Boudoir begleiten zu wollen, denn bei einer Gelegenheit wie die heutige haben Frauen doch so manches zu besprechen.«


Einige Stunden später geleitete der alte Kapitän Lautrec mit echt französischer Kourtoisie das Fräulein Halsteen zur Tür ihrer Gemächer.

»Verlassen Sie sich darauf, Madame, wenn der alte Lautrec auch nur ein ungeleckter Bär ist, solch einem jungen Seehund versteht er schon eine Nase zu drehen und ihn in das Fahrwasser zu lootsen, in das er ihn haben will!

»Soll mir eine wahre Freude sein, dem Burschen weiß zu machen, ich hätte ihm das Geld geliehen, das Schiff zu kaufen, das ihm so gewaltig ins Auge gestochen, und er solle mirs ordentlich verzinsen und nach Belieben wieder zahlen. Das stachelt zur Ordnung und Arbeitsamkeit, obschon das bei dem Kapitän weiß Gott nicht nötig ist, denn er ist ein an Seele und Leib stockgesunder Maat. Morgen früh um ½ 8 ist der alte Lautrec auf dem Bahnhof und zum Mittagessen im Hotel Frascati, so gewiß ich mein Mädel lieb habe wie meinen Augapfel. Sobald ich den Burschen und das Schiff habe, setzt's ein Telegramm, und zu Ihrer Hochzeit bin ich wieder hier, und überteuert sollen Sie bei dem Kauf auch nicht werden, dafür lassen Sie vier gesunde Seemannsaugen sorgen, die's verstehen! Gott befohlen, Mademoiselle! Ich habe mir bei meinem Bankier nur noch einen guten Wechsel auf Havre geben zu lassen, und amüsieren Sie sich gut heute Abend.«

Er küßte ihr die Hand und öffnete die Tür. – –


Die Gräfin Moltke hatte eben Fräulein Halsteen abgeholt, der die beiden Freundinnen bis zur Vorfahrt des Wagens beigestanden hatten, – als es neun Uhr schlug, und Sucky mit einer gewaltigen Furcht vor dem Einbohren der schwarzen Schlange in seine Schlitzaugen sich eilig auf den Weg machte, um das ihm befohlene Rendezvous nicht zu verfehlen. Er fand die schwarze Dame bereits an der Stelle, wo er sie am Vormittag verlassen hatte.

»Es ist gut, daß Du Wort gehalten, Sucky,« sagte sie, »komm hierher, wir sind hier unbelauschter. Nun sprich schnell, war der Brief von Kapitän Klaus und was enthielt er? Aber rede die Wahrheit, oder zittre vor meiner Strafe!«

Der kleine Malacca-Mann, wie er sich zu nennen pflegte, hätte sich eher selbst die Zunge abgeschnitten, als daß er sich diesmal zu einer Lüge oder Ausflucht mißbraucht hätte. Auch hatte er ja nichts seinen geliebten Herrn Kompromittierendes zu berichten, als höchstens, daß der Kapitän durchaus nicht zur Hochzeit der Missis Edda habe kommen wollen, und so berichtete er denn getreu, so weit er ihn begriffen, den Inhalt dieses Briefes. Einige Fragen seiner Quälerin ergänzten leicht, was etwa noch mangelhaft war.

»Hast Du Dir die Adresse Deines Herrn gemerkt?«

»Gewiß, Missus, wohnen in London Tavern an die Quai, das führen den Namen wie große Kirche in Paris, wo sein die Haus für die armen Kranken.«

»Du meinst Notre-Dame?«

» Yes, yes, Missus sehr gescheut, fast so klug wie Missis Edda, die soeben sein gefahren zu große Kaiserin von Frankreich. Quai Notre-Dame! so seind die Adresse. O Missus, Sucky haben schon viel gelernt in sein arme Schädel; müssen schwarze Schlange nicht lassen schlagen in die Gehirn von armen Malacca Mann.«

»Wenn Du gehorsam und treu bist, gewiß nicht. Und was soll nun mit Dir werden, Sucky, wenn Deine Herrin heiratet und mit ihrem Gatten, wie Du sagst, nach Italien reist?«

Der Laskare rückte an seinem Wachshut und schob ihn auf das andere Ohr.

»Oh, Sucky gehn zu Sahib Kapitän, Missis Edda haben versprochen, kleine Malacca-Mann zu schicken am Tag vorher, ehe sie gehn werden, Mann und Weib, nach Hâvre zu seinem Sahib, daß er kann trösten Massa Kapitän!«

»Und weshalb sollst Du ihn trösten?« fragte die Schwarze rasch.

Der Matrose schielte sie im hellen Gaslicht von der Seite an. »Sollten Missus Adda das nicht wissen, zu sehn in die Herz von Massa Kapitän, wo doch sein Missus eine große Zauberin, die können gehn über das Meer schneller als der Sturm aus Nord-Ost?«

»Und was sollte ich sehn in dem Herzen des Kapitän Hansen?«

»Oh Je! daß der Kapitän liebt die Missis Edda und daß es vielleicht besser wäre, wenn Missis Edda heiraten könnte Sahib Kapitän, als seinen Bruder, den Rat, denn Missis Edda haben ebenfalls sehr gern im Herzen den Sahib Kapitän, wie ihn lieben müssen Alle, die ihn sehn.«

»Meinst Du? Aber da ist freilich nichts zu machen, da der Rat Hansen durchaus heiraten will Deine Herrin Edda!«

»Hm,« meinte der Laskare, »warum haben Gott oder der Prophet der Malacca-Männer gemacht Missus Adda genau so wie Missis Edda, wie zwei Schwestern so ähnlich, daß selbst eigner Vater, gnädiger Herr, nicht könnten unterscheiden sie zwei, warum Ehemann? – Warum heiraten nicht Missus Adda den langen Mann von die Feder, und werden vornehme Frau, und lassen heiraten Missis Edda den Sahib Kapitän?«

Die Lappin sah mit einem gewissen finstern Staunen auf den kleinen Malayen. »Meinst, Du, Sucky? Was Du nicht für ein kluger Kopf bist! Warum rätst Du mir denn nicht, da ich Edda Halsteen so sehr gleich sehe, selbst den Kapitän, Deinen Herrn zu heiraten?«

»Weil Massa Kapitän sogleich wissen würde, daß es nicht Missis Edda sein!«

»Und eben noch hast du gesagt, daß der Rat mich für sie halten müßte.«

»Massa Rat,« sagte der Laskare rasch, und ohne sich zu bedenken, – »das sein was Anderes! Massa Rat lieben mit den Augen und Sahib Kapitän lieben Missis Edda mit dem Herzen!«

Ein tiefes Stöhnen drang über die Lippen der Unheimlichen, die rasch ihren dunklen Schleier über das Gesicht fallen ließ. »Du hast Recht, Mann,« sagte sie, »so ist denn keinem zu helfen, und jeder muß sein Geschick erfüllen. Wann ist die Trauung?«

»Am Montag Morgen, Missus, und dann reisen Massa Rat gleich mit die junge Frau nach die Schweiz ab. Aber Sucky gehn schon zwei Stunden vorher zu seinem Herrn, da Missis Edda nicht haben wollen, daß Sucky sie als Frau sehen von dem Bruder des Sahib Kapitän.«

»Wenn nicht eher,« sagte die Schwarze, »so wirst Du am Sonntag Abend um dieselbe Stunde hier an dieser Stelle sein, Mann, um eine Bestellung an Deinen Herrn mitzunehmen und mir Lebewohl zu sagen. Sollte ich eher Deiner bedürfen, so werde ich Mittel finden, es Dich wissen zu lassen. Da, nimm dies und sei treu und verschwiegen.«

Diesmal weigerte sich der Laskare nicht, die Börse mit Gold anzunehmen, die sie ihm reichte, ja, er küßte ihr die Hand, die sie ihm gab, wie er dies von anderen Personen bei seiner Gebieterin gesehen hatte. Aber er schrak fast zurück, als er seine Lippen auf diese Hand drückte, denn sie fühlte sich so kalt an wie die einer Toten.

Als er sich umsah, war die Schwarze im Gedränge der Promenirenden verschwunden, und er kehrte, allerlei Gedanken in seinem Kopf hin und her wälzend, zu dem Hotel und seinem Freund, dem großen Miguel, zurück, um diesen einzuladen, mit ihm in einer nahen Restauration eine Flasche Wein zu trinken; denn Sucky dachte, obschon er eigentlich ein Muselmann war, doch mehr als Kosmopolit, wenigstens, was das Getränk und seinen Herrn, den Kapitän, anbetraf.


In der Eingangshalle des Bahnhofs von Rouen an der Rue d'Amsterdam war am andern Morgen ein starkes Gedränge, denn der Zug zur berühmten Seestadt am Kanal La Manche sollte in fünfzehn Minuten abgelassen werden.

Ein alter Herr mit kurz geschorenem, borstig grauem Haar und verwittertem Gesicht, eine kleine Reisetasche in der Hand, trat eben vom Schalter zurück, als er beim Umdrehen vor einer elegant in Schwarz gekleideten Dame zurückprallte und lachend den Hut zog.

»Potz Nigger und Bramsegel, Mademoiselle Halsteen – das nenne ich eine Überraschung! Sie wollen doch nicht etwa selbst nach Hâvre segeln oder sich überzeugen, ob ich auch Wort halte? Parbleu, da kennen Sie mich auch noch schlecht; wenn der alte Kapitän Lautrec einmal sein Wort gegeben, die Anker zu lichten, da müßte es seltsam kommen, wenn er nicht auch zur bestimmten Zeit in See ginge!« – Er war mit ihr weiter hinaus in das Foyer getreten. »Oder haben Sie sich etwa anders besonnen – nun da muß ich Ihnen rund heraus sagen, daß ich mir's nun einmal in den Kopf gesetzt habe, daß Kapitän Hansen la belle Josephine als Eigentum haben soll, und da ich ihm älterer Verpflichtungen wegen mein eigenes Mädel, die Josephine, nicht geben kann, soll er wenigstens den Fregatt-Schooner haben, und wenn ich jeden Frank von dem Kaufgeld auf Nimmerwiedersehen meiner eigenen Tasche bezahlen soll. Der alte Lautrec kanns, und es wird nicht ein gar zu großes Leck in meines Mädchens Brautgedinge reißen, wenn ich mir den Spaß mache. Ich habe da dreimalhunderttausend Franken in guten Anweisungen auf den besten Bankier in meinem Portefeuille, und so viel wird der Schooner schwerlich kosten. Ich hätte nicht geglaubt,« fuhr der alte Pflanzer etwas ärgerlich fort, »daß Sie nach dem gestrigen Abend schon so früh aus den Federn sein werden, sonst hätte ich noch Ihre Befehle diesen Morgen eingeholt; denn ich weiß leider von meinem kleinen Kobold her, daß die Entschlüsse des verdammten Weiberv… Pardon! – der jungen Damen wollte ich sagen, über Nacht oft ganz andere werden, obschon ich's, ehrlich gestanden, von Ihnen kaum gedacht hätte.«

»Sie irren, Herr Kapitän,« sagte die Dame, »meine Entschlüsse haben sich nicht im Geringsten geändert, und ich kam nur, um Sie zu begrüßen und Sie zu fragen, ob Sie auch Geld genug bei sich führen, sonst –« ihre Hand zog eine kleine gestickte Brieftasche hervor – »bitte ich …«

»Nein, nein, Mademoiselle!« wehrte der Kapitän, »ich habe, wie ich Ihnen schon sagte, Geld genug, um das Schiff für unseren Freund zu kaufen, mit Stumpf und Stiel, das heißt vom obersten Stängenknopf bis zum untersten Kielschwein, habe auch nötigenfalls Kredit in dem Nest! Aber es freut mich, daß Sie so aufmerksam sind, und ich werde mein bestes tun; in vier Tagen soll die Josephine segelfertig sein, wenn Geld und Erfahrung dazu helfen können. Da kann ich Ihnen gleich eine Idee noch sagen, die dem alten Lautrec über Nacht gekommen ist! Ich weiß zwar nicht, ob die Josephine schon auf Passagiere eingerichtet ist, aber wenns nicht der Fall, wird sichs doch leicht und rasch mit allen Bequemlichkeiten machen lassen, und da hätte ja unsere Freundin, Madame Santarez, gleich eine gute Gelegenheit zur Überfahrt, die zehn Mal besser ist, als die Reise mit einem der verdammten stinkenden modernen Dampfer; denn es geht nichts über ein tüchtiges Segelschiff, und da wüßten wir, daß sie in den besten Händen wäre.«

Die Dame nickte. »Es wäre vortrefflich, aber, Herr Kapitän, da wird eben das zweite Signal zum Einsteigen gegeben, – es ist die höchste Zeit. Und wann dürfen wir Sie zurück erwarten?«

»Ich sagte es Ihnen, am Sonntag Abend vor Ihrer Hochzeit! Und nun Adieu, Mademoiselle, und grüßen Sie Papa und Bräutigam! Die Haifische sollen mich haben, wenn ich nicht wünsche, es wäre der andere Bruder!« brummte er halblaut zwischen den Zähnen, doch so, daß sie es hören konnte. »Also Gott befohlen! Und nehmen Sie meinen kleinen Flederwisch etwas in Ihren Schutz, so weit es Ihre Zeit gestattet, Mademoiselle!«

Fort war er; drei Minuten später pfiff die Lokomotive.

Die Dame in Schwarz war am Ausgang zum Perron stehen geblieben und schaute sinnend dem Zuge nach!

»Sollte der Zufall mir diesen Fingerzeig gegeben haben, daß der Plan gelingen kann? Dieser Mann hat nicht den geringsten Zweifel gehegt! – Schwester Edda! Schwester Edda – ich gebe Dir Viel, alles, meine Seele! – um der Rache für meine arme verratene Mutter willen, der Rache an diesem herzlosen Mann! Wohlan, die Stunde der Vergeltung ist gekommen – wirst auch Du mir einst vergelten – und das Andenken der Unglücklichen, Verworfenen segnen? – Nein, ich bin entschlossen – nur eine reine Hand, die nicht vom Blute trieft, gehört in die seine!«

Sie zerriß das für die Fahrt nach Hâvre bereits gelöste Billet und winkte einer der Regie-Droschken, heranzukommen.



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