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Der Aufstand in Bosnien.

(Fortsetzung.)

Die Sonne stand schon hoch am Horizont, als der russische Offizier, von den Stimmen vieler Menschen, dem Schnauben der Pferde und dem Klang von Waffen und einzelnen Schüssen erweckt, von dem harten Lager sprang und an das Fenster eilte. Ein bunt bewegtes, aber offenbar kein Gefahr drohendes Bild zeigte sich seinen Augen. Das Plateau unter den Kastanien, das sein Blick von dem kleinen Fenster aus übersah, war gefüllt mit Menschen: Reitern und Fußgängern, und den Abhang des Berges herauf stiegen noch immer neue Ankömmlinge, lebhaft begrüßt von den Anwesenden. Es waren ersichtlich meist Krieger, begleitet von ihren Dienern und Freunden, Krieger verschiedener Nationalitäten oder wenigstens von verschiedenem Stamm und verschiedenem Stand, unter ihnen aber bewegten sich auch Mönche und Popen in ihren weiten Talaren und zwei oder drei Männer in abendländischer Kleidung. Die meisten trugen freilich die unkleidsame schwerfällige Tracht der Rajahs der Herzegowina mit den plumpen doppelten Beinkleidern, aber es fehlte auch nicht an der rauhen Struka und der silbernen Feder der Bewohner der schwarzen Berge, der roten goldgestickten offenen Weste über der weißwollenen Bluse. Selbst der Abos, der Mantel von Ziegenhaaren, der schmutzige, einst weiße hundertfältige Phistan des Buren, die schwarzwollene Kepe und die Flokita, das ärmellose Unterkleid waren vertreten. Auffallend war dem Beobachter die Gestalt eines Mannes, der unter dem weißen Mantel die bekannte Kleidung der Garibaldiner, die rote Bluse, trug; also auch hierher hatte die Propaganda, die eben jetzt wieder in Genua ihren Hauptsitz hatte, ihre Fäden gesponnen. Ein kurzes Nachdenken und die Erinnerung, in Rom gehört zu haben, daß eine Zusammenkunft einiger Führer des mazzinischen Komitees, mit Kossuth und anderen Häuptern der ungarischen Revolution stattgefunden, überzeugte ihn leicht, daß die Absicht gegen Österreich gemünzt war und mit den Bemühungen zusammenhing, von den slavischen Ländern und Konstantinopel her eine neue Erhebung in Ungarn zu veranlassen. Das Wiener Kabinet hatte denn auch bereits in Konstantinopel die ernstesten Reklamationen erhoben und die Konfiskation der ganz offen über den Bosporus betriebenen Waffensendungen gefordert, mit der Drohung, sonst sofort in türkisch Kroatien einzurücken.

Unter den Versammelten bewegte sich der Abt eifrig hin und her und es war leicht zu sehen, daß er großen Einfluß übte. Auch Iwo der Blutige befand sich in der Menge, hielt sich aber, nach seiner Gewohnheit, allein und abgesondert, und der Russe bemerkte, daß auch die Menge ihn mit einer gewissen Scheu zu meiden schien.

Selbst wenn er aus der von ihm angehörten Unterredung des Abts mit dem Pascha nicht der Andeutung sich erinnert hätte, daß an diesem Tage eine Versammlung und Beratung der Führer des Aufstandes im Kloster stattfinden solle, mit der unzweifelhaft die Aussendung der Boten noch am Abend in Verbindung gestanden, würde doch das ganze Gebahren der Versammelten über den Zweck ihrer Anwesenheit ihm keinen Zweifel gelassen haben, und er nahm sich daher um so mehr Zeit mit seiner einfachen Toilette, als er wohl zu überlegen hatte, in welcher Weise er seine Mission erfüllen könne, ohne dabei seine Regierung bloßzustellen. Diesen Gedanken machte indes bald der Eintritt des jungen Novizen ein Ende, der die unverschlossene Zelle betrat, um nachzusehen, ob der Gast des Klosters schon erwacht sei und den Besuch des Higumenos empfangen könne, der seiner harre.

Der Offizier vermied es, eine Frage über die Vorgänge der Nacht an den jungen Mann zu stellen, er vollendete rasch seinen Anzug, fragte nur kurz nach dem Schneider und folgte dem Novizen zu dem Gemach des Abts im untern Stockwerk, wo dieser ihn erwartete.

Hier fand er seinen geheimnisvollen Gastherrn allein. Das Gemach, etwas größer als die anderen Zellen, war, abgesehen von einigen Heiligenbildern, ohne Schmuck und Bequemlichkeit, die dem Inhaber wohl sein höherer Rang im Kloster und sein Alter gestattet hätten. Der Abt kam ihm freundlich entgegen und nötigte ihn zum Sitzen, nachdem er dem Novizen befohlen hatte, für ihn ein Frühmahl zu bringen. Erst, als der Knabe sich entfernt hatte, fragte er den Gast, ob er gut geruht habe und in seinem Schlaf nicht gestört worden sei. Der Offizier sah aus dem scharfen Blick, den der Geistliche dabei auf ihn warf, daß er ihn mit der Frage prüfen wolle, und antwortete daher möglichst unbefangen, daß er allerdings durch einen Büchsenschuß gestört worden sei, der dicht unter seinem Fenster abgefeuert sein müsse, daß er aber, als er aufgesprungen sei und hinausgeblickt habe, nur zwei Reiter gesehen habe, die den Bergabhang hinabjagten. Da weiter kein Lärm im Kloster entstanden sei, habe er auch keine Störung weiter verursachen wollen, sich wieder auf sein Lager geworfen und sei bald wieder fest eingeschlafen, bis er vor Kurzem durch das Geräusch der Versammlung vor dem Kloster erwacht sei.

Bedächtig wiegte der Higumenos das Haupt, wie im Zweifel, wie weit er seinem Gaste Auskunft geben wolle, dann aber begnügte er sich, während der Novize den einfachen Morgenimbiß, aus Kaffee und Brod bestehend, hereinbrachte, zu sagen: »Als Sie in dieses Land und zu einer solchen Zeit kamen, mußten Sie auf wilde Szenen gefaßt sein. Der Schuß, der Sie gestört hat, wurde von einem Gegner des Kreuzes abgefeuert und beweist, wie das Ereignis von gestern abend, daß die Feinde unserer Sache uns nahe sind und in schlimmer Absicht selbst in unseren Bergen umherstreifen, wohin sie sich seit langer Zeit nicht gewagt haben, da sie unsere nächsten Nachbarn, die Söhne der schwarzen Berge, fürchten, obschon in diesem Augenblick der Vladika von Montenegro, wenn auch im Geheimen unser Freund, doch im Frieden mit der Pforte lebt. Wie Sie wohl gesehen haben, sind in dieser Stunde die Führer und Freunde der Rajah im Kloster versammelt, um eine Botschaft Ismael Paschas, des Wessirs, zu erwarten, der freies Geleit gegeben ist, und über die weiteren Schritte der Unseren Rat zu halten. Ich ließ Sie, ehe wir die Beratung beginnen, zu mir bitten, um Sie zu fragen, ob Sie der Ratsversammlung beiwohnen wollen oder nicht. Ich bemerke, daß unter den Versammelten sich auch der Agent des französischen Konsuls in Cettinje befindet. Sie würden hier die beste Gelegenheit haben, sich über unsere unglückliche Lage und die Grausamkeit unserer Unterdrücker zu unterrichten, und ich zweifle nicht, daß die Wahrheit Ihr Herz erfüllen wird und Sie am Throne des einzigen Beschützers unserer heiligen Kirche unser Elend bezeugen und unser Flehen um Gerechtigkeit niederlegen werden.«

Die verständigen und ruhigen Worte des greisen Priesters verfehlten in der Tat nicht, einen günstigen Eindruck auf den Offizier zu machen, dennoch aber war seine Mission eine solche, daß er zunächst die Stimme der Klugheit und der politischen Rücksichten hören mußte, und er erklärte daher, daß es für ihn allerdings von dem höchsten Interesse sein würde, der Versammlung privatim beizuwohnen, daß er jedoch vermeiden müsse, etwa im Charakter eines Bevollmächtigten des Zaren zu erscheinen, um nicht falsche Hoffnungen zu erregen und seine Regierung zu kompromittieren.

»Sie können dies leicht,« sagte rasch der Abt, »es bedarf nur einer leichten Verkleidung, nehmen Sie die Kutte eines meiner Mönche!«

»Nein, hochwürdiger Herr,« entgegnete der Offizier, »das wäre eben so unwürdig als gefährlich, da wie Sie mir selbst sagen, Europäer – entschuldigen Sie, ich brauche diese Benennung nur im Gegensatz zur Türkei – zugegen sind, und man mich durch einen Zufall als Russen erkennen könnte. Es wird besser sein, Sie erklären mich der Wahrheit gemäß, doch ohne meinen Namen und Charakter zu nennen, für einen Ihnen empfohlenen Reisenden aus Rußland, der die Gelegenheit benutzt habe, die Lage seiner bedrängten Glaubensbrüder kennen zu lernen, ohne doch sich an ihrem Kampfe beteiligen zu können. Sollte es mir wünschenswert erscheinen, in die Verhandlungen irgendwie durch eine Erklärung oder einen Rat einzugreifen, so kann ich das leicht durch Ihren Mund oder in Person tun.«

»Das genügt, Herr! So lassen Sie uns gehen und Gott erleuchte uns bei dem Werke.«

Der Offizier hielt ihn noch einen Augenblick zurück. »Ich habe mir erlaubt, gestern noch einen Mann in Ihr Kloster zu bringen, der mich um seinen Schutz bat. Was haben Sie über ihn beschlossen?«

»Er möge bleiben, bis wir Gelegenheit haben, ihn nach Cattaro oder Ragusa zu senden. Sobald die Beratung vorbei, Herr, wollen wir uns damit beschäftigen, auch für Ihre Sicherheit und Ihre weitere Reise zu sorgen, die Sie, wie Sie mir gesagt, durch unser armes Land zur serbischen Grenze und nach Belgrad richten wollen; denn ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß dieses stille Kloster wahrscheinlich nicht lange mehr Sicherheit gewähren und vielleicht bald die Stätte eines wilden Kampfes sein wird.«

»Ich bin an die Gefahr gewöhnt, hochwürdiger Herr,« sagte der Offizier, der ein besonderes Interesse für die Entwickelung der Szenen zu empfinden begann, in die er durch den Zufall verwickelt worden, und sich als Soldat zu überzeugen wünschte, wie weit auf die Entschlossenheit und den Mut dieser Männer zu rechnen sei. »Ich spreche Sie von jeder Verantwortung für alles, was mir geschehen kann, frei.«

»Gut denn! Erinnern Sie sich, daß es Ihr Wille war, der Sie hier zurückhält! Lassen Sie uns zu der Versammlung gehen!«

Er öffnete die Tür und sie traten auf den Platz unter den Kastanien, auf dem sich die Krieger und die Ältesten gelagert hatten. Der Abt blieb eine Weile auf der Schwelle stehn, wo er in der Nacht die Unterredung mit dem Moslem gehalten, und von wo sie den ganzen Platz übersehen konnten.

»Lassen Sie mich Ihnen zunächst die wichtigsten der Führer zeigen. Der Mann dort auf der Steinbank, auf der Sie gestern saßen, ist Luca Oukalowitsch, der Ober-Kommandant der aufgestandenen Rajahs. Mehemed Pascha von Trebinje warf ihn unter nichtigem Vorwand in den Kerker, verwüstete sein Land und brannte seine Palanka nieder – nur weil er gedroht, Klage gegen ihn zu erheben wegen der Bedrückung der Rajahs: neben ihm der Pope Bogdan und daneben, zwar noch jung, aber ein bitterer Feind der Türken, Ljubobratic. Der Mann der mit Bucalovich, dem Montenegriner, spricht, ist Wesselitzky, der Abkömmling einer alten Familie von Trebinje, aber in Ihrem Vaterlande geboren, mehr ehrgeizig, als tapfer. Mussits von der Narenta, Peka Pawlovits, Golub von Grahovo und der tapfere Bejnovits, der umsichtigste unserer Capitani. Dort der finstere Serbe ist Karageorgewits, der vertriebene Bali von Serbien, der mit Hilfe der Bosnier wieder auf den Fürstenstuhl von Belgrad zu steigen gedenkt, den der Sohn des Milosch Der Sohn Milosch's war Milan, der Vater des 1903 ermordeten Alexander. König Peter ist ein Karageorgewits. inne hat. Es ist ein Unglück für uns, daß der Befreier Serbiens im vorigen Herbst Am 16. Sept. 1860. gestorben ist, aber ich traue dem Sohne des schwarzen Georg nicht, er ist ein unwürdiger Sprößling seines Vaters und hält es mit den Türken; ich traue ihm nicht und habe die Capitani gewarnt, ihm Wichtiges zu vertrauen. Der Franke neben dem Protopopen Basilius Ilovatz ist der Agent des französischen Konsuls Hecquard in Skadar – – doch, was ist dort für ein Geschrei? Ich muß dahin und Sie für kurze Zeit sich selbst überlassen. Bewegen Sie sich ungescheut in der Menge. Ihre Kleidung als Franke und die Landessprache sichern Ihnen überall Zuvorkommenheit und Vertrauen.«

Der Higumenos eilte fort, dem Aufgang des Berges zu, wo eine Schar von Männern, Weibern und Kindern heulend und wehklagend herankam.

Der größte Teil der versammelten Männer hatte sich nach Belieben auf dem Platz vor dem Kloster in Gruppen gelagert und verzehrte die geringen Mundvorräte, die ihnen die im Lande herrschende Not und Armut mitzubringen gestattet hatte, nur die vornehmeren und Hauptführer des Aufstandes hatten sich um den Steintisch zusammen getan; aber jetzt erhoben sich alle und drängten um die neu Herbeigekommenen, und ein allgemeines Wehklagen, Ausbrüche der zornigsten Erbitterung, Klagen und Verwünschungen gegen ihre bisherigen Tyrannen erhoben sich aus der Menge bei dem näheren Anblick der traurigen Schar.

Auch der russische Offizier, der sich bisher beobachtend unter den Gelagerten bewegt hatte, schloß sich dem allgemeinen Zug an, überall ehrerbietig begrüßt mit dem Wunsch: Gott und die Heiligen segnen den schwarzen Zaren, möge er seinen Kindern Beistand senden! was ihm zur Genüge bewies, daß wenigstens seine Nationalität nicht unbekannt geblieben war.

Aus den Ausrufen und Drohungen schwerer Vergeltung an den Verübern all der Greuel, die jene Männer und Frauen erlitten haben mußten, entnahm er alsbald, daß er eine Schar von Flüchtigen aus den vor drei Tagen von den Baschi-Bozuks des Pascha von Egri Palanka geplünderten und zerstörten Rajahdörfern zwischen Petrowsky und Bayamnsche vor sich hatte, die den Mörderhänden entronnen waren und hierher kamen, um Aufnahme zu suchen oder dem Aufstand sich anzuschließen. Ihr Anblick war in der Tat kläglich und mußte auch das teilnahmloseste Herz bewegen. Fast kein Mitglied der wohl an achtzig Köpfe betragenden Schar war ohne sichtbare Spuren der Mißhandlungen und Gewalttaten. Alle hatten eben nur das nackte Leben gerettet, die meisten waren selbst ihrer Kleidung beraubt oder gingen in Fetzen und Lumpen – viele trugen noch offene, klaffende Wunden oder hatten sie nur auf das notdürftigste verbinden können, – eine Frau schwankte mühsam auf den Arm ihrer ältesten Tochter gestützt, ihr eigener hing kraftlos nieder, und aus den Lumpen, die um die Säbelwunde gewickelt waren, sickerten noch die Blutstropfen, und doch – wer das etwa siebzehnjährige Mädchen betrachtete, das mit verstörtem Blick vor sich hin starrte, mußte denken, daß ihr Schicksal noch schlimmer gewesen sein mußte, als das der in ihrer Verteidigung verwundeten Mutter. Ein anderes Weib trug schluchzend ein Kind in ihren Armen, – das Kind war tot – der Kopf zerschmettert. Die Ärmste hatte dennoch den kleinen schon der Fäulnis verfallenden Leichnam so weit mit sich geschleppt, um ihn wenigstens in die geweihte Erde ihres Glaubens zu versenken! Viele der Leidenden konnten sich kaum noch aufrecht erhalten, sie hatten die zwei Tage der weiten Wanderung, die ersten Stunden von der wilden Mörderrotte gejagt und verfolgt, auf unwirtbaren Wald- und Felssteigen flüchtend, nur von Wurzeln und Kräutern gelebt, denn die Jahreszeit war noch zu früh, um ihnen selbst die Früchte des Waldes bieten zu können. So hatten sie sich zusammengefunden nach den gräßlichen Stunden des Überfalls und, von einsamen Hirten gewiesen, sich nach dem Kloster gewandt, als dem äußersten sichern Punkte der Stellung der Aufständischen, wenigstens einigermaßen geschützt durch die nahe montenegrinische und österreichische Grenze.

Aber noch schlimmer als die Not und das Elend, das die teilnehmenden Blicke sehen, die hilfreichen Hände zu mildern sich mühen konnten, war das, was die Ohren hören mußten von den verübten Gräueln an den friedlichen Menschen. Denn von allen fünf Dörfern, die während einer Nacht und eines Tages von den zuchtlosen Horden der Baschi-Bozuks überfallen und eingeäschert worden waren, hatte sich die Bewohnerschaft eines einzigen bis jetzt an dem Aufstand durch die Unterstützung ihrer Glaubensgenossen beteiligt, die andern hatten sich ferngehalten und bisher in unsäglicher Geduld die schweren Leiden getragen. An dem Morgen des Tages, der so schreckliches Unheil über sie gebracht, waren zwei umherschweifende Arnauten in das arme Dorf gekommen, hatten sich beim Vorstand einquartiert und Geld, Essen und Trinken verlangt. Nachdem sie sich an dem Slibowitza berauscht, hatten sie dem Weibe des Mannes Gewalt antun wollen, obschon sie noch einen Säugling an der Brust trug, und als auf das Geschrei der Frau ihr Mann ihr zu Hilfe gekommen, die schützend ihr Kind den Unholden entgegen gehalten, hatte der eine derselben das unschuldige Wesen ihr entrissen und gegen die Wand geschleudert, daß es an dieser zerschmetterte. Empört hatte der Vorsteher eine eiserne Hacke ergriffen und den Mörder verwundet, aber ehe er den Schlag wiederholen konnte, hatte ein Schuß des zweiten Bozuks ihn tot zu Boden gestreckt. Durch die herbeigeeilte, die Hütte umgebende Menge schlugen die Mörder sich Bahn und entflohen auf den Pferden, deren sie sich bemächtigt hatten, unter den wildesten Drohungen. Sofort waren die Ältesten der Gemeinde zusammengetreten, größeres Unheil fürchtend, und beschlossen eine Deputation zum Pascha abzusenden, um dort das Geschehene zu berichten, aber ehe dies noch erfolgen konnte, brach ein Schwarm wilder Reiter über das unglückliche Dorf her und zündete es auf Befehl des Paschas zur Strafe für die Verwundung seines Kriegers, der an Verblutung gestorben war, an allen Enden an. Die Szenen der Massakre und der Plünderung waren furchtbar, kein Alter, kein Geschlecht wurde geschont, und was die Reiter nicht vernichtet, das fiel in die Hände der wüsten Arnauten und Golatschanen, die zu Fuß hinter ihnen drein stürmten. Kinder wurden vor den Augen ihrer Eltern, die Eltern vor den Augen der zur Sklaverei geschleppten Kinder ohne jede Ursache ermordet, bloß aus Lust am Blut! Frauen und Jungfrauen geschändet und dann getötet, der Pope des Dorfes wurde an der Pforte seines kleinen ärmlichen Gotteshauses erschlagen – hatten in Bosnien doch oft die schismatischen Griechen nur Höhlen und Hütten zu ihrer Andacht, während den lateinischen Christen in Kroatien die Türken den Bau stattlicher Kirchen gestatteten, ein Beitrag zur neueren Politik des päpstlichen Stuhls gegen die Türkei. Auch die anderen Dörfer der Rajahs waren zu gleicher Zeit von den wilden Horden überfallen worden, und als Männer und Weiber auf den Knieen vor dem Pferde des Paschas lagen, um Erbarmen flehend, befahl er höhnend: laßt die Christenhunde im Feuer ihre Messe singen, daß sie's in Stambul hören!

Verhältnismäßig nur wenigen war es gelungen, sich durch die Flucht zu retten, manche mochten wohl noch in den Wäldern umherirren, aber die, denen es gelungen, das Kloster zu erreichen, schworen voll Ingrimm Rache an den Barbaren und flehten um Waffen, um sich ihren kämpfenden Brüdern anschließen zu können.

Während der Abt nach Kräften dafür sorgte, die geflüchteten Weiber und Kinder in den inneren Räumen des Klosters unterzubringen und den Halbverhungerten Speise und Trank zu geben, trat die Versammlung der Führer und Ältesten draußen zur Beratung zusammen und ein Geist der Erbitterung und des Rachedurstes gegen ihre tyrannischen Gebieter belebte sie alle. Dennoch zögerten die vornehmsten Führer mit dem Beginn der Beratung, bis der Higumenos sich seiner Pflichten der Gastfreundschaft und der Barmherzigkeit entledigt, und erst als er wieder auf dem Platze erschien, ordnete sich der Kreis der Männer um den mächtigen Kastanienbaum in der Mitte des Plateaus.

Der russische Offizier sah hierdurch seine bereits im Stillen gefaßte Ansicht bestätigt, daß, wenn auch die hier versammelten Tapferen und Ältesten der Rajah die Glieder, die Arme des entbrannten Aufstandes, der greise Abt des Basilianer Klosters im Stillen doch sein Haupt und Leiter war. Mit einer gewissen Befriedigung hatte er übrigens gesehen, daß dem Zuge der Flüchtigen die sämtlichen weiblichen Bewohner der Kula der Grahoven, die er am gestrigen Abend besucht hatte, sich angeschlossen hatten, wie der darüber hocherfreute Novice Nicolaus ihm mitteilte aus Besorgnis der Frauen. Petros der Hirt wollte am Morgen von der Höhe aus entdeckt haben, daß sich türkische Reiter in verdächtiger Weise im Tale umher getrieben hätten. So habe der Hirt die Gelegenheit des Vorüberzugs der Flüchtlinge benutzt, sie einem früheren Befehle des Higumenos zu Folge zum Kloster zu senden, während er selbst die ihm anvertraute Herde in die schützenden Wälder trieb. Der Abt hatte es übrigens, ohne sich anscheinend persönlich um sie zu kümmern, dem Novizen überlassen, den Frauen im Kloster die geringen Bequemlichkeiten zu verschaffen, die es bieten konnte, und der würdige Schneider hatte sich dabei nützlich gemacht, und nachdem der Offizier sie begrüßt und sich überzeugt, daß sie den Umständen nach leidlich versorgt waren, auch einiges Geld unter die Flüchtlinge verteilt hatte, folgte er dem Abt zu der Beratung der Krieger.

Um den Steintisch unter der großen Kastanie saßen die Häupter des Aufstandes, während die geringeren Krieger und Männer einen großen Ring um sie her bildeten und aufmerksam die Sprecher anhörten, nur von Zeit zu Zeit sie mit stürmischem Beifall unterbrechend, wenn die Gefühle ihrer Leiden oder ihres Rachedurstes besonders angeregt waren. Der Higumenos hatte den Ehrenplatz unter der Eiche selbst eingenommen und leitete offenbar die Verhandlung. Seine größere Klugheit und die im Abendlande während der Zeit der Befreiungskriege gegen die napoleonische Herrschaft gewonnene Bildung und Erfahrung befähigten ihn offenbar dazu und willig fügten sich die anderen Mitglieder des Rates seinen Ansichten. Der russische Agent erkannte dies mit Befriedigung und dennoch lag für ihn noch etwas Rätselhaftes in dem ganzen Gebahren des Greises – ein tief in seiner Brust verborgen gehaltenes Gefühl mußte außer der Liebe zu seinem Vaterlande sein Tun zu einem bestimmten Zweck regeln, und dies zu erfahren wäre ihm von hohem Interesse gewesen.

Als der Offizier zu der Verhandlung trat, hatte grade, nach einem feurigen Aufruf des Luca der Abt das Wort genommen. Er sprach klug und beredt, die Vorurteile und Leidenschaften seiner Zuhörer genau kennend und danach seine Worte einrichtend.

»Es sind viele und wichtige Botschaften eingegangen,« sagte er, »und Euerer Weisheit und Euerem Willen wollen wir es unterordnen, welche der uns zum Beistand gebotenen Hände wir ergreifen wollen, um endlich der unerträglich gewordenen Tyrannei unserer Herren ein Ende zu machen. Bald wird eine Botschaft des Muschir Ismael Pascha erscheinen, welche uns auffordern soll im Namen der fränkischen Konsuln, die Waffen niederzulegen und unser Schicksal den Bemühungen der christlichen Gesandten beim Großherrn anheimzustellen!«

»Schmach über die Gesandten!« schrie der wilde Ljubobratic, »was kümmert sie unser Elend? Sie sitzen in Konstantinopel und haben niemals ein Ohr für unsere Klagen gehabt! Nur ihre eigenen Interessen und die Vergrößerung der Macht ihrer Gebieter vertreten sie beim Großherrn und bewachen einer den andern wie hungrige Hunde, daß keiner von der Mahlzeit, zu der sie das Türkenreich gerne machen möchten, einen Bissen zuviel bekommt! Unsere Not ist ihnen höchstens das Mittel zur Bedrohung des Großherrn. Hat es nicht der Traktate und Friedensschlüsse mit den Türken genug gegeben, wo sie unser Schicksal hätten ändern können, wenn es ihr ernster Wille gewesen wäre? Auf ihre Protokolle und auf das Zeitungspapier haben sie es freilich geschrieben, welche Hattischerifs und Hat's sie dem Großherrn abgerungen zum besten seiner christlichen Untertanen, aber wenn die öffentliche Meinung Europas sich in träger Eitelkeit befriedigt erklärt hat, wer dachte daran, noch dafür zu sorgen, daß die schlauen Versprechungen des Divans auch erfüllt wurden? Ist der Franke, der weit entfernt wohnt, etwa der Schlauheit des Moslem gewachsen? Ist nicht nach jedem dieser Hat's unsere Bedrückung immer unerträglicher geworden, und hat nicht der Divan die Niederlagen, die er gegen die Großmächte Europas erlitten, gerade an uns, den Rajahs gerächt, die seiner Willkür preisgegeben blieben? Haben nicht England, Frankreich und Österreich stets dem schwarzen Zaren, unserem einzigen Freunde, dem Schutzherrn unseres gemeinsamen Glaubens Halt geboten, wenn er den Türken zurück über den Bosporus werfen, und unser Land den Kindern des Kreuzes zurückgeben wollte?! Lauert auf der andern Seite nicht der Schwabi an den Grenzen des Landes und leidet es nicht, daß wir die Früchte unseres Landes selbst zur Küste des Meeres bringen, wir, die Christen, während der Türke jenseits Podgoritza bis hinunter zum Golfe von Arta seine Tartanen die Adria durchstreifen lassen darf?«

»Die Männer der Boccha und der Küste von Dalmatien,« sagte mißbilligend der Abt, »sind unsere Freunde und geben dem armen Rajah Brod und Waffen.«

»Ich habe in Cattaro gehört,« fiel der Protopope ein, »daß Österreich an der Sawe und Donau eine Armee aufstellt und dem Sultan gedroht hat, in Kroatien und Bosnien einzurücken.«

»Die Gesänge der Bosniaken haben es noch nicht vergessen,« sagte einer der Greise, »daß der große Held, den sie den Prinzen Eugenius nennen, in sieben Schlachten die Türken schlug und bis Serajewo gedrungen ist!«

Der Mann in der roten Bluse war aufgesprungen. »Freunde, tapfere Männer der Herzegowina, wenn Ihr der Sache der Freiheit dienen, – wenn Ihr Euer Land von Tyrannei und Knechtschaft erlösen wollt, so dürft Ihr Euch nimmer mit Österreich verbinden. Österreich ist die stete Unterdrückerin aller Freiheit, die Knechtung der Nationalitäten. Nur von den Männern, die berufen sind, die Freiheit der Völker wieder herzustellen, kann Euch Sieg und Rettung kommen, und der Augenblick ist günstig. Die edle Nation der Magyaren ist im Begriff, sich zu erheben, und die österreichische Zwingherrschaft noch einmal abzuschütteln! Polen wird die russischen Ketten brechen, Italien hat die Bourbonen vertrieben, wenige Wochen noch und auf den Wällen Roms und Venedigs wird die Fahne der italienischen Freiheit und Einheit wehen! Der große Held, dessen Auge für die Völker wacht, dessen Arm Italien seine Befreiung von dem Joch tyrannischer Fürsten erkämpft hat, – er hat auch ein Herz für seine unglücklichen Brüder in Bosnien, und während der große Diktator von Ungarn: Kossuth, die Generale Klapka, Türr und andere sich bereit machen, in ihrem Vaterlande die Fahne der Freiheit zu erheben, während Feldherrn wie General Mieroslawski bereit sind, auf den ersten Ruf sich an Eure Spitze zu stellen, hat er bereits fünfzig seiner tapfern Krieger an Eure Küsten gesendet, um die Kraft unserer Armee, die Erfahrung unserer Feldzüge in Sizilien und Neapel zu Eurer Befreiung anzubieten. Das mächtige England, die einzige Nation, die in dem geknechteten Europa ein Hort der Freiheit der Völker, der Verteidiger der Nationalitäten, der Zufluchtsort aller Bedrohten und Verbannten ist, steht ihm zur Seite. Vor drei Tagen bin ich mit meinen Gefährten in Spizza gelandet, mit Jubel von der Bevölkerung ausgenommen, die ihr Küstengebiet dem tapfern Vladika von Montenegro zur Disposition gestellt hat; in Genua werden Schiffe mit Waffen beladen, um diese nach Montenegro und der Herzegowina zu führen. Auf die ersten Nachrichten von dieser Versammlung bin ich hierher geeilt, um Euch Brüder, Kämpfer der Freiheit und der Unabhängigkeit, den Beistand Garibaldis und seiner Tapfern unter dem Schutz Englands anzubieten. Nur Eures Beschlusses, Eures Rufs bedarf es, und der General wird an diesen Küsten landen mit einer Schar, stark genug. Euer Land von der türkischen Tyrannei und der Bedrohung durch Österreich für immer zu befreien.«

Eine Hand legte sich schwer auf die Schulter des Redners – als dieser sich unwillig umsah, blickte er in das ruhige, entschlossene Gesicht des russischen Offiziers.

»Schweigen Sie, Herr – Ihre Worte, Ihre verruchten Pläne sind einzig geeignet, diese armen Männer, die für ihren Glauben, ihr Leben und ihre Familien kämpfen, ins Verderben zu locken und ihnen den Schutz ihrer wahren Freunde zu rauben. Nicht ehrliche Teilnahme für die Leiden dieses Landes ist es, was Sie ihnen den Beistand der garibaldinischen Freischaren anbieten läßt, sondern einzig der Plan, mit ihrem Blut, auf ihren Leibern sich den Weg zur Insurrektion Österreichs und Polens zu öffnen, der Ihnen auf anderen Seiten durch die Wachsamkeit der Regierungen versperrt ist! Freunde, Glaubensgenossen, traut den Versprechungen dieses Mannes nicht – das Herbeirufen Garibaldis gibt sofort Eurem berechtigten Kampf gegen Eure Unterdrücker einen anderen Charakter und fordert Österreich und Rußland, ja selbst die Swabi gegen Euch heraus! Traut niemals auf die englischen Versprechungen. Blickt auf Syrien, wo der falsche Engländer mit dem Türken Hand in Hand alle Anstrengungen der anderen christlichen Staaten zu Gunsten Euerer Brüder, der gleich Euch von den Türken gemordeten Maroniten, hintertreibt! In demselben Augenblick, wo dieser Mann den Beistand Englands verheißt, hat dasselbe England dem Großherrn gegen hohe Prozente das Geld vorgeschossen, um seine Flotte an Eure Küsten zu senden und englische Schiffe kreuzen mit den türkischen vereinigt vor Antivari! England ist es, dessen Druck Euere Freunde in Griechenland und auf den Inseln verhindert, Euch Beistand zu bringen! England, wagt dieser Mann Euch zu sagen, sei der Hort und Helfer der Unterdrückten – ja, vielleicht, wenn es dabei Länder oder Geld zu verdienen gibt! Noch niemals hat England der Freiheit umsonst einen Dienst geleistet! In diesem Augenblick fordert das Volk der ionischen Inseln seine Befreiung von der englischen sogenannten Schutzherrschaft, die nichts besseres ist, als türkische Zwingherrschaft! seinen berechtigten Anschluß an Griechenland, und das Protektorat Englands antwortet dem gerechten Wunsch der freien Griechen mit hundert neuen Armstrong-Kanonen auf der Zitadelle von Corfu, der Erklärung des Belagerungszustandes und mit Kriegsgericht! Das, Männer der Herzegowina, ist, was Ihr von dem Beistand des Generals Garibaldi und der Hilfe Englands zu erwarten habt. Jetzt wählt zwischen dieser und dem schwarzen Zar von Moskau!«

»Ah – ein russischer Agent,« meinte heftig der Garibaldiner, »ich dachte es mir fast!«

»Ich bin ein Reisender, wie Sie, Monsieur Garibaldien,« sagte spöttisch der Offizier, »der hierher kommt, Land und Leute kennen zu lernen, und sich zu überzeugen, in wie weit ihr Schmerzensschrei gerechtfertigt ist. Der Unterschied zwischen uns ist nur, daß ich ihnen zu helfen wünsche und Sie auf ihre Kosten politisch spekulieren wollen. Sollte Ihnen jedoch meine Anwesenheit unbequem sein, so bin ich gern bereit, Sie oder mich davon zu befreien.«

Der Garibaldiner wollte auffahren, aber ein Blick auf den umgebenden Kreis bewies ihm, daß er wenig Freunde finden würde, – seine Pläne waren vereitelt. »Die Vorkämpfer der Freiheit,« sagte er, »drängen Keinem ihren Beistand auf; wenn die Rajahs der Herzegowina der Meinung sind, daß sie besser tun, auf die zweifelhafte Hilfe des Kaisers von Rußland zu warten, statt die sichere des Generals Garibaldi und seiner Freunde anzunehmen, so mögen sie es zu ihrem Schaden tun!«

Den Augenblick benutzte geschickt der französische Agent. »Seine Majestät, der Kaiser Napoleon, dem das Schicksal der Christen auch dieses Landes zu Herzen geht, obschon sie nicht seiner Kirche angehören, wie seine Sympathien für Eure Glaubensbrüder, die armen Maroniten in Syrien durch die Besetzung des Landes mit seinen Truppen zur Genüge bewiesen, hat Monsieur Hecquard, seinen Konsul in Skadar, beauftragt, Seiner Durchlaucht dem Fürsten von Montenegro 5000 Franks zum besten der armen obdachlos gewordenen Christenfamilien zu übergeben; ich selbst habe sie vorgestern dem Fürsten Nikita überbracht.«

»Und warum,« frug der Protopope,« hast Du sie nicht hierher gebracht, wo es in diesem Augenblick hunderte von obdachlosen Familien gibt, während in Montenegro jede noch ihr Dach hat?«

Der französische Agent schwieg etwas verlegen auf die unerwartete Frage, dann sagte er: »Der Konsul ist der Überzeugung, daß Seine Durchlaucht der Fürst Nikita der Freund seiner Glaubensbrüder in der Herzegowina und das Geld für den Zweck gesicherter in seinen Händen ist, als es bei der Übermacht der Türken in diesem unglücklichen Lande sein würde.«

Der russische Offizier war an den Steintisch getreten: »Ich habe keinen offiziellen Auftrag dazu, auch sind meine Mittel gering, aber ich glaube im Sinne meines erhabenen Monarchen des Zaren zu handeln, wenn ich hier eine Anweisung auf den russischen Konsul Kollegien-Assessor Petkovich in Ragusa, für fünftausend Rubel gültig, zu dem gleichen Zwecke niederlege. Das Geld kann in Beträgen von je tausend Rubeln gegen die Unterschrift des hochwürdigen Abtes dieses Klosters und zweier Kapitanis der Krieger der Rajahs in Ragusa erhoben werden.«

Ein donnernder Jubel- und Dankruf brach rings umher in dem Kreise aus. Die Männer drängten sich um den Offizier, drückten seine Hände und küßten den Saum seines Rockes. »Gott und die heilige Jungfrau mögen den schwarzen Zaren segnen! Die Moskows haben ein Herz für ihre Brüder!«

Auch die zweite Spekulation auf die Not der Söhne des rauhen Landes war durch den geschickteren Schachzug russischer Diplomatie vereitelt.

»Ich kann unseren tapferen mißhandelten Glaubensbrüdern in diesem Lande ferner mitteilen,« fuhr der Offizier mit erhobener Stimme fort, »daß der Zar keineswegs ihrer Not und ihrer berechtigten Klagen vergessen hat, und daß Seiner Majestät Gesandter in Konstantinopel Fürst Alexis Labanoff Rostowsky bei der Pforte die energische Forderung auf genügende Garantien für die volle Ausführung der Bestimmungen des Hat Humayum in den slavischen Provinzen der europäischen Türkei gestellt hat, unterstützt durch eine russische Armee von 50 000 Mann, die in diesem Augenblick am Pruth zusammengezogen wird!«

Wieder erscholl der Jubelruf: »Gott segne den schwarzen Zaren! Laßt uns ihm vertrauen!«

Erst auf den Wink des Abtes legte sich die Begeisterung der versammelten Männer. »Brüder«, sagte der Higumenos, »auch dem guten Willen des Kaisers der Franken gebührt Euer Dank, und möge seine Gabe euch allen zu Gute kommen. Ich schlage vor, daß wir durch unseren Freund, den tapferen Kapitano Bukalovich, den Fürsten Nikita von den neuen Grausamkeiten unserer Unterdrücker unterrichten und ihn um Beistand bitten lassen. Auch dem großen General Garibaldi wollen wir danken für seine Teilnahme, wenn wir auch seinen Beistand ablehnen müssen, da er unsere anderen Freunde mißtrauisch machen könnte. Gott hat unser armes Land derart gemacht, daß ohne den Beistand seiner Söhne, keine fremde Macht es passieren kann. Ich schlage vor, daß von dem Gelde, das dieser edle Herr bei dem russischen Konsul für uns niedergelegt hat, die ersten tausend Rubel sogleich durch einen sichern Boten erhoben und für die armen Bewohner der fünf Dörfer verwendet werden, welche die Grausamkeit unserer Feinde soeben zerstört hat. Ich bin ein Greis, und der allmächtige Gott kann in jeder Stunde meinem Leben ein Ziel setzen. Ich wünschte noch zu einem guten Werke meine Hand zu leihen, bevor ich von euch scheide!«

Dem Wunsche des alten Priesters gemäß wurde alsbald die Anweisung auf das Geld ausgestellt und zweien der Gemeindevorsteher übergeben, mit dem Auftrag, sofort die tausend Rubel in Ragusa einzukassieren, und von einem Teil allerlei Dinge, wie sie den Beraubten und Obdachlosen nötig waren, anzukaufen. Daß Pulver, Blei und Waffen dabei nicht fehlen durften, verstand sich von selbst. Die österreichische Douane war damals sehr nachsichtig, und ungehindert passierten alle Lebensmittel und Ausrüstungs-Gegenstände die dalmatinische Grenze, ja, wurden von den Dalmatinern selbst eine Strecke ins Land hineingeschafft, bis sie in Sicherheit waren.

»Brüder,« fuhr der Higumenos fort, »ich habe eine weitere Nachricht für Euch, denn so arm wir auch sind, haben wir doch auch Freunde in Stambul. Ihr erinnert euch an Omer Pascha den Sirdar!«

»Der Renegat, der im Libanon die Christen verfolgte und 1850 und 1851 in ganz Bosnien durch seine Grausamkeiten und Härte der Schrecken und die Geißel der Rajah war!«

»Der Feind Montenegros,« rief Bucalovich, »der uns bedrängte, und den unsere Junaks tapfer zurückschlugen? was ist's mit ihm?«

»Merkst Du die Gefahr, Sohn der schwarzen Berge?« fragte der Abt. »Auf, und melde dem Bladika Nikita, dem Neffen des edlen Danilos, der bisher gezögert und verschmäht hat, sich offen seiner Glaubensbrüder in der Herzegowina anzunehmen und mit ihnen vereint den Türken zu bekämpfen, daß der Sirdar Omer auf dem Wege nach Antivari ist und der Großherr ihn zum Wessir von Bosnien gemacht hat und er Macht hat auch über Macedonien und Albanien, auf daß er die Rajah mit Füßen trete und die Söhne der schwarzen Berge wieder zum Schemel des Bluttrinkers in Stambul mache!«

»Niemals! Er möge kommen und sich noch einmal an unseren Bergen Beulen in seinen Schädel stoßen!«

»Jetzt Brüder!« sagte der Abt, »werdet Ihr begreifen, warum der Muschir Ismaël sich beeilt, eine Botschaft zu senden und um Unterwerfung zu verhandeln! Er möchte sich den Ruhm sichern, die Rajah unterjocht oder betrogen und Nikschitj befreit zu haben, ehe der Sirdar kommt, sich die Belohnung dafür vom Großherrn zu holen!«

»Verdammt sei das Zaudern!« schrie der wilde Czernagorze. »Freunde, ich habe Euch eine Mitteilung zu machen!«

»Sprich!«

»Der Vladika hat es, da er zur Zeit noch im anerkannten Frieden mit der Pforte lebt, nicht verweigern dürfen, einem Transport von Pferden und Lebensmitteln zur Verproviantierung von Nikschitj von Podgoritza her den Weg durch unser Land zu gestatten!«

»O Schmach!«

»Es ist kein Nachteil für Euch, wenn Ihr Männer seid!«

»Wie meinst Du das, Kapitano Bucalovich?«

»Noch ist der Transport nicht in der Festung! Erst diese Nacht passiert er die Berge von Ostrog, um in der Morgendämmerung sich auf die Posten der Rajahs zu werfen. Ein Ausfall Mahmud Paschas wird der Eskorte der Albanesen die Hand reichen.«

»Die Kolonne darf die Festung nicht erreichen oder alle bisherigen Opfer waren umsonst!«

»Das Weitere ist Euere Sache – Ihr seid gewarnt!«

»Dank, Bruder Bucalovich!«

Die Führer traten sofort zu einem engern Rat zusammen.

Es war unter diesen Umständen sehr natürlich, daß, als die ausgestellten Wachen in diesem Augenblick das Herannahen der Abgesandten des Muschirs meldeten, die Stimmung zu ihrem Empfang und zur Entgegennahme ihrer Vorschläge keine diesen sehr günstige war; dennoch gelang es dem strengen Befehl der Führer, vor allem der Mahnung des Abtes, die Ruhe in der Versammlung herzustellen und sich zu einer würdigen Aufnahme der Abgesandten vorzubereiten.

Während die Krieger niederen Ranges und das Volk zurücktreten mußten, nahmen die Führer wieder ihre Plätze um den Eichentisch ein. Mehrere Kissen wurden vor diesem für die Abgesandten auf den Boden gelegt, und ein tiefes und ernstes Schweigen lag über der ganzen Versammlung, als die Türken jetzt sich näherten.

Nach der vorangegangenen Abmachung war die Reitereskorte der Gesandten des Muschirs am Fuße der Höhe zurückgeblieben, und nur sechs Männer erschienen auf dem Plateau, an dessen Abhang sie von ihren Pferden stiegen und von zwei der Kapitanis empfangen wurden, die sie durch die in gewisser Entfernung rechts und links gelagerte Menge zu den Häuptlingen unter dem Kastanienbaum führten.

Es waren zwei ältere Männer in der militärisch ziemlich unkleidsamen Uniform des Nizam, ein Mufti als Schreiber der Gesandtschaft, ein jüngerer türkischer Offizier mit den Abzeichen eines Mir Alai oder Obersten, und – zum großen Erstaunen der Versammelten – ein christlicher Priester in dem langen braunen Rock eines Popen. Kaum unterdrückte Zeichen des Unwillens begleiteten das Erscheinen des letzteren auf dem Wege zu dem Halbkreis der Kapitanis.

In diesem hatte seinem Range gemäß der Knees Luca Oukalowitsch den Vorsitz übernommen, und auf seinen Wink erhoben sich die Versammelten und erwiderten den stolzen Selam der Abgeordneten.

»Die Gesandten des Muschir sind willkommen,« sagte der Woiwode. »Sie kommen zu armen Rajahs und mögen sich begnügen mit dem, was die Grausamkeit ihrer Brüder uns gelassen hat. Mögen sie Platz nehmen in unserer Mitte. Ihr Haupt ruht sicher in unserem Schoß, wenn sie auch unsere Feinde sind!«

Auf den Wink des Abtes brachten die Klosterdiener Kaffee und die Schibuks, ohne die keine orientalische Versammlung stattfinden kann.

Nach einigen Zügen wandte sich das Haupt der Abgesandten, ein alter weißbärtiger Moslem, zu dem Sklaven, der ihn begleitet, und ließ sich den grünseidenen Beutel geben, der das Schreiben des Muschir enthielt.

»Wir kommen im Namen des Propheten und seines Sohnes, des Gebieters der Welt, um Euch diesen Brief des Begler-Beg von Bosnien und der Herzegowina, des großen Muschir Ismaël zu dringen. Möge Allah Eueren verkehrten Sinn erleuchten und Euern Geist demütig machen. Wer von Euch ist der Aga Luca Oukalowitsch, an den dieser Brief gerichtet ist? Ich bin Mehemed Serdschek, der Kadi von Konjitza.

»Ich habe von Dir gehört und weiß, daß Du keiner der Schlimmsten bist gegen die Rajah,« sagte der Woiwode, den Brief mit jener Achtung empfangend, welche die geknechteten Rajahs selbst während der blutigsten Erhebungen stets der Oberherrlichkeit des Großherrn bewiesen haben und die so oft von den Türken getäuscht und misshandelt worden ist. »Aber was will der Mann dort?« er wies auf den Popen, »er scheint ein Christ nach seiner Kleidung, wenn er damit nicht Mummerei treibt, und ein Diener unserer Kirche?«

Der Pope beeilte sich, die Frage selbst zu beantworten.

»Tapferer Luca, kennst Du denn Alexa, den Diakon des Klosters Morawtzi nicht mehr, der gekommen ist, in Gemeinschaft mit seinem gelehrten und frommen Bruder, dem Higumenos Michael, Euch von Euerem gottlosen Widerstand gegen Eueren gesetzlichen Oberherrn, den mächtigen Großherrn in Konstantinopel, abzuraten und Unterwerfung zu predigen gegen die gesetzliche Obrigkeit, denn der Heiland spricht …«

»Halt, Priester!« donnerte die mächtige Stimme des Woiwoden. »Zuvor beantworte mir eine Frage, ehe wir Deiner Rede weiter horchen.«

»Sprich, tapferer Luca, ich weiß, Du willst nur das Redliche und Gute, und er hat sich nur der böse Geist des Ungehorsams über Deinen frommen Sinn gelagert, wie der Nebel über die Täler unsrer Heimat!«

»So bist Du ein Sohn der Herzegowina? Ich wußte es nicht!«

»Ich bin ein Enkel Ruwims, des Archimandriten des Klosters Bogowadia, den der grausame Aganlia, der schlimmste der vier Deys, zu Tode marterte. Er ist ein Heiliger im Himmel, und sein Enkel sucht in Demut und Gehorsam ihm ähnlich zu werden, darum, o Knees, ermahne ich Dich, die Waffen des Aufruhrs von Dir zu tun!«

»Mögen Deine Worte verdammt sein, Du Sohn eines Hundes!« brüllte der Knees. »Bringt einen Weiberrock herbei und zieht diesem Verräter den Ehrenkaftan eines Priesters des christlichen Glaubens von seinem, nach Furcht stinkendem Leibe, aus. Wisse Alexa, der Du Dich rühmst der Enkel Ruwims zu sein, die Rajah der Herzegowina achten ihren Feind, den Moslem, aber den Verräter an ihrem heiligen Glauben, der ihnen rät, ihre Weiber beschimpfen und ihr Korn von den Rosseshufen ihrer Tyrannen geduldig zertreten zu lassen, den verachten sie, weil er das Kreuz und sein Land schändet und jagen ihn von sich wie einen räudigen Hund! Bringt einen Weiberrock hierher!«

Man brachte in der Tat ein zerrissenes Frauengewand. Vergebens berief sich der Diakon auf den Schutz der Gesandtschaft und forderte Beistand von dem jungen Offizier. Der Mir-Alai wandte sich mit Verachtung von ihm und spie auf die Erde. »Du hast Dich unberufen uns angeschlossen,« sagte er höhnisch. »Du hast nichts zu schaffen mit dem Auftrag des Wessirs. Die Christen, Deine Brüder, haben Recht, Dich für einen Feigen zu halten, der mit doppeltem Odem bläst!« So konnte denn nichts den Diakon von dem ausgesprochenen Urteil retten und in wenigen Augenblicken war er seines geistlichen Gewandes entledigt und, mit dem Weiberrock bekleidet, unter höhnendem Geschrei zu den am Aufgang des Plateaus zurückgebliebenen Dienern gejagt, während er Verwünschungen und Drohungen gegen den Abt ausstieß, der schweigend und ohne sich einzumischen, der Beschimpfungs-Szene beigewohnt hatte.

Auf ein Zeichen des Knees beruhigte sich alsbald die Menge.

»Du hast gesehen, Mehemed Serdschek, Kadi von Konjitza, daß auch die Rajah der Gebirge Gerechtigkeit lieben. Jetzt laß uns die Botschaft des Begler-Beg hören!«

»Sie ist an Dich selbst gerichtet, Knees!«

»Luca Oukalowitsch hat keine Geheimnisse vor seinen Brüdern. Möge der Pope Andreas den Brief Ismaël Paschas in dieser Versammlung öffentlich vorlesen.«

Der Kadi, der wahrscheinlich den Inhalt kannte, biß sich auf die Lippen, aber er konnte nichts tun dagegen, der Brief lautete:

 

»Ismaël Pascha, durch die Gnade unseres Herrn, der Leuchte des Weltalls, Muschir und Begler-Beg von Bosnien und der Herzegowina.

An Luca Oukalowitsch, den ehemaligen Knees der Nahi von Sjenitza, Kapitano der rebellischen Rajahs.

Gegeben in unserer Stadt Bilisce am 10. Tage des Monats Rebi el awwel im 1283. Jahre der Hegira.

Betraut mit dem Schwerte des Großherrn befehle ich Dir Sklave, von Deinem schändlichen Aufruhr gegen die Gebote des Lichtes der Welt abzulassen und die Waffen der im Aufstand begriffenen Rajahs bei meinem Zorn niederzulegen. Du sollst Nikschitj nicht mehr bedrängen und Brod und Fleisch frei eingehen lassen in die Stadt. So Du und Deine Kapitani binnen 3 Tagen nach Empfang dieses Befehls an die Tore von Mostar als Büßende kommt und einen Eid leistet auf den Koran und das heilige Buch Eures falschen Propheten, so soll Euch Vergebung werden und Ihr alle Euer Haupt behalten bis auf zwei, die Euch mein Abgesandter, Mehemed Serdschek der Kadi von Konjitza, nennen wird, der beauftragt ist, Dir, Luca, zehntausend Piaster in gutem Gold zu zahlen für Dein Bemühen, die toll gewordenen Giaurs zu Verstande zu bringen und sie zum Gehorsam gegen den Großherrn und die Gesetze des Reichs zurückzuführen. Auch will das Licht der Welt in seiner Gnade, daß die Bestimmungen seines Hat-Humayum in Euerem Lande zur Ausführung kommen, wie es die Gesandten der Könige des Abendlandes, seiner Vasallen, an seinem hohen Thron zu Stambul von einer Gerechtigkeit erfleht haben, auf daß seine Unterthanen verschiedenen Glaubens inkünftig friedlich beisammen leben und nicht wieder der Stimme der Verleumder und Aufhetzer gegen Euren Herrn folgen mögen. Dies tue ich, Ismaël Pascha, Dir zu wissen, damit Ihr Euch in Eurer Torheit nicht etwa auf falsche Gerüchte und den Beistand der Franken verlassen mögt, der nichts ist gegen die Macht und die Gerechtigkeit des Großherrn. Möge Allah Dich erleuchten, damit meine Abgesandten mir Deine Unterwerfung anzeigen, denn es würde meinem Herzen leid tun, über Dich und alle ferner Ungehorsamen in den drei Livas des Fialet von Bosnien alle Schrecken von Feuer und Schwert zu bringen, bis kein Rebell mehr die Luft dieses Landes verpestet. Denn es ist besser, keine Unterthanen zu haben als ungehorsame. Ich habe gesprochen.«

 

»Und Du hast gelesen, Pope! Und Ihr habt gehört, was Euch bevorsteht, Brüder, wenn Ihr so hartköpfig seid, dem süßen Lispeln des Osmanli nicht wiederum trauen und lieber die Ehre Eurer Weiber und Töchter, das Korn, das Euer Schweiß dem Boden abgerungen, die Hütte, die Euer Haupt gegen Sturm und Schnee deckt, und Euern alten Glauben bewahren zu wollen mit der Kraft Eurer Faust und dem Blut Eurer Herzen! Ist der Brief des Muschir zu Ende?« fragte der Knees.

»Er ist es!«

»So bleibt uns nur noch eins zu wissen, ehe wir gleich den verachteten Juden Buße tun in Sack und Asche, unsere Flinten und Säbel zerbrechen und mit dem Strick um den Hals zu dem Tore von Mostar pilgern, um die Füße unserer alten Herrn zu lecken. Das ist, welche zwei es sind, die der Muschir ausnimmt von seiner Gnade, auf daß wir sie gebunden vor ihn legen, damit er ihre Häupter zur Warnung auf die Zinnen seiner Mauern pflanze! Sprich, Moslem: wer sind die beiden Männer, die der Muschir ausnimmt von seiner unermeßlichen Gnade? Da er mich mit zehntausend Piaster gekauft hat, kann der Kopf des Luca Oukalowitsch schwerlich darunter sein, welchen Ruhm es ihm auch bringen würde!«

»Du redest Dich selbst um Deinen Kopf, Christ,« sagte finster der Kadi. »Es sind die Mörder so vieler Gläubigen, deren Blut um Rache schreit. Es ist der Mann, der sich den Bären der Herzegowina nennt, und sein Genosse: Iwo der Blutige. Liefere sie aus, und die Gnade des Großherrn wird Dich groß machen!«

Ein tobendes Geschrei des Unwillens, verstärkt durch das Zusammenschlagen der Waffen, folgte dem Verlangen des Türken und zeigte die Gesinnung der Versammlung.

Wieder winkte der Knees, und abermals legten sich die brausenden Wogen der erregten Leidenschaft.

»Kadi Serdschek,« sprach der Knees. »Hast Du die zehntausend Piaster bei Dir?«

»Hassan, mein Sklave, führt den Beutel mit Gold an dem Sattelknopf seines Rosses! Du sollst sie zur Stelle haben, da Du als wackerer Mann sie nicht heimlich in Deinen Kasten schließen willst – der Muschir wird andere Wege wissen, Dir zu vergelten!«

»Wohlan, so höre die Antwort des Luca Oukalowitsch, des Knees, den die freien Rajahs der Herzegowina zu ihrem Waffenherrn erwählt haben. Sage dem Muschir, wenn er das Geld, das er mir schmachvoll geboten, verzehnfacht den Witwen und Waisen der fünf Dörfer gibt, die seine schändlichen Horden niedergebrannt und zerstört haben! Wenn er seinen Nizam binnen drei Tagen aus den Grenzen von Bosnien führt; wenn er uns zur Sühne den Kopf des Pascha Wusseïn schickt, der die Kinder seines eigenen Vaterlandes von den Eberzähnen der Schipetaren zerfleischen ließ, und der Großherr auf den Koran und die Bibel schwört, daß niemals ein türkischer Soldat sie je wieder überschreitet, dann soll Friede sein zwischen mir und seinem Wessir. Bis dahin, Kadi, Krieg gegen unsere Tyrannen, Krieg bis aufs Heft des Messers und die letzte Kugel in unsern Flinten: so, Kadi, habe ich, Luca der Rajah, es geschworen!«

Ein stürmischer Beifallsruf bekundete die Zustimmung der ganzen Versammlung, und während dessen hatten die Abgesandten sich von ihren Kissen erhoben.

»Unser Wort ist heilig,« sagte der Abt, »Freunde, diese Männer müssen ungekränkt durch unsere Wachen und zu den Ihren entlassen werden. Ich selbst werde sie begleiten.«

»Noch ein Wort, Christ,« sagte der Mir Alai, der bisher ein stolzes Schweigen beobachtet hatte, unterwegs zu dem Abt.

»Sprich!«

»Ich hörte, daß viele Rajah-Frauen und Mädchen in Dein Kloster geflüchtet sind?«

»So ist es!«

»Ich sah, daß die Kula der Grahowen unterhalb dieses Berges, eine Stunde nach Morgen, leer steht. Sind ihre Bewohner unter den Flüchtlingen?«

»Sie sind es!«

»Alle?«

»Alle, die der Flucht bedurften! Warum fragst Du?«

»Alter Mann, Dein Haar ist weiß, und Du bist ein Derwisch der Christen, die von der Liebesglut, welche wie das Feuer der Vulkane durch die Adern der Jugend rollt, nichts wissen. Ali ist jung noch, und er liebt das Mädchen aus jener Kula. Er möchte sie sehen und ihren Eltern den Kaufpreis dafür zahlen. – Ali ist reich, und sein Vater Savfet Pascha sitzt im Divan, im Rate des Großherrn.«

»Weißt Du nicht, Moslem,« sagte finster der Greis, »daß die Christen ihre Töchter nicht in die Harems der Moslems verkaufen?«

»Du redest Kot, Christ, obschon Dein Haar weiß ist,« sagte verächtlich der Moslem. »Savfet meinte. Du würdest andere Dinge gesehen haben, als den Kauf eines Rajah-Mädchens. Geh' auf den Bazar in Stambul und Adrianopel, und Du wirst mehr als ein Christen-Mädchen sehn, das ihre Eltern und Brüder mit Freuden für blankes Silber dem Harem des Moslem gegeben haben. Ich war zwei Jahre im Abendlande bei den Christen, in Wien und Paris und kenne ihre Gebräuche. Oder verkaufen dort die Armen nicht auch ihre Töchter zu Sklavendiensten an die Reichen? Nur, daß der Muselmann die zu seinem Dienst gekauften Weiber besser behandelt, als die, welche an den Gekreuzigten glauben und sich besser dünken als die ungebildeten Osmanlis.«

Der Abt hatte zu viel im Leben erfahren und beobachtet, um nicht die Wahrheit des Vorwurfs anzuerkennen. »Das Mädchen,« sagte er, »ist dennoch zu gut, um zu bloßer Sinnenlust ein Gegenstand des Kaufs zu sein. Aber Du sollst sie sehen und aus ihrem eigenen Munde hören, daß sie eine echte Tochter ihres Volkes ist; denn Du sollst nicht ohne Antwortschreiben zu dem Wessir zurückkehren, Mir Alai!« Er wandte sich zu dem Novizen, der auf seinen Wink sie begleitet hatte. »Rufe Deine Schwester hierher!«

Der Klosterschüler eilte davon, und bald darauf führte er das Mädchen herbei. Als sie den jungen türkischen Offizier erblickte, errötete sie tief in der Erinnerung des Versuchs, den er gemacht hatte, sie gewaltsam aus dem Hause ihrer Eltern zu rauben. Liegt es doch in der Natur der Frauen, welches Namens und Glaubens sie auch sein mögen, hinter der Brutalität der Sinne, hinter jeder Gewalttat, die ihnen gilt, eine ihre Eitelkeit und ihre Gedanken befriedigende Ursache, die Liebe, zu sehen.

Der Abt betrachtete mit seiner gewöhnlichen strengen Miene das junge Paar. »Ali Savfet, der Mir Alai des Großherrn,« sagte er, »fragt nach der Sitte seiner Väter um den Kaufpreis des Rajah-Mädchens. Soll ich ihn an Petros Deinen Vater damit verweisen? Er ist ein armer Mann und liebt leider das Geld mehr, als seinem Seelenheil gut ist!«

»Heilige Jungfrau! Er wird nicht das Blut seines eigenen Kindes verkaufen! Geh', Moslem, ich konnte Dir verzeihen, daß Du die Rajah-Jungfrau rauben wolltest – aber niemals, daß Du das freie Christen-Mädchen zu kaufen denkst. Lieber den Tod, als die Entwürdigung.«

»Hüte Dich, Rajah-Dirne!« sagte hart der Moslem. »Weißt Du, daß Savfet Macht genug hat. Deinen Stolz zu beugen und Dich schlechter zu machen als die schlechteste Jüdin? Ein Wort von mir, und Du, die ich zu meiner Khanum machen wollte, magst die Beute der Bozuks und Golatschanen werden! Zu niedrig, daß der geringste Arabadschi Dich zum Weibe begehrt!«

»Tue Dein Schlimmstes, Moslem,« rief die Jungfrau, »ich sehe, ich habe Dich für besser gehalten, als Du bist. Niedrig denkt der Türke vom Weibe, das den Sohn Gottes geboren hat, und darum wird untergehn das Geschlecht der Osmanli; denn Gott hat Weib und Mann geschaffen, daß eines am andern erstarke, und der Mann, der sein Weib nicht ehrt, ist schlimmer als das Tier des Waldes und der Vogel in der Luft. Gehe hin zu den Söhnen der schwarzen Gebirge und lerne an dem Rauhesten von ihnen, daß das Weib die Gefährtin des Tapferen und Edlen sein soll, nicht das Spiel seiner Lüste! Sende Deine Räuber und Mörder – mein Glaube lehrt mich zu sterben!«

»Deine Gefährten werden ungeduldig, edler Aga,« sagte mit Hohn der Abt, »es ist besser für Deinen Ruf, daß Du das Weib, das Du begehrst, nach der Sitte der Begs, Deiner Väter, freist, mit Schild und Speer, als mit dem Gelde der Wechsler. Wenn Du ein Junak bist, so hole sie! Der Higumenos wird sie für Deine Boten bewahren. Nimm diesen Brief aus den Händen einer bosnischen Jungfrau für Deinen Gebieter, den Muschir, und möge damit unser aller Schicksal sich erfüllen; denn die Zeit ist gekommen, daß Gerechtigkeit geübt werde zwischen Herrn und Sklaven, zwischen Christ und Muselmann!« –

Er legte in die Hand des Mädchens den sorgfältig in ein Seidentuch geschlagenen und mit Schnüren umbundenen Brief, den ihm der blutige Iwo in der Nacht vorher gebracht und an dessen Wiederbesitz dem Pascha Wusseïn so viel gelegen gewesen, und hieß sie, ihn dem Offizier des Islam gegen das Gelöbnis, ihn sofort dem Muschir auszuhändigen, zu geben. Ihre Hände berührten sich, als es geschah, und ein reinerer, besserer Geist, der Geist jener Ritterlichkeit, der einst die Mauren von Granada mit den Franken um die Schönheit und Liebe edler Frauen kämpfen ließ, der die Krieger des Morgenlandes in die Schranken rief gegen die eisengepanzerten Helden der Kreuzfahrer und die Ritter des löwenherzigen Richard, schien den jungen Osmanli zu überkommen. »Bei Allah und dem Propheten!« sagte er, »Du hast das Herz Ali's gewonnen, Mädchen! Bewahre sie mir, Priester, zu Deinem eigenen Heil; denn ich werde sie von Dir fordern, ehe der Mond zum drittenmal Dein Kloster bescheint!«

Im nächsten Augenblick hatte er sich auf sein feuriges Roß geschwungen und sprengte seinen Gefährten nach, der Higumenos aber schaute finster hinter ihm drein. »Törichter Knabe,« murmelte er, »Du selbst glaubst an das Kismet und wähnst doch, das Schicksal wenden zu können nach Deinem Willen. Ich müßte schlecht den Mann kennen, dessen Verhängnis Du mit Dir trägst auf eilendem Roß, wenn er warten würde, bis Du Deinen trägen Nizam auf die Beine gebracht, das Weib Deines Herzens Dir zu holen aus dem Hause des Rächers!«

Und raschen Schrittes ging er zurück zu dem Kastanienbaum, wo die Führer berieten, was geschehen solle.

»Was meint der hochwürdige Higumenos, das zunächst geschehen muß auf die hochmütige Botschaft des Muschir?«

»Ihm selber die Antwort bringen an die Tore von Trebinje, noch ehe die Sonne wieder die Kuppeln ihrer Minarets vergoldet.«

Allgemeine Zustimmung folgte dem kühnen Rat, und sofort wurde beschlossen, daß die noch disponible Streiterzahl der Rajah sich teilen und der größere Teil gegen Mostar sich wenden, eine geringere Zahl aber der Schar, welche Nikschitj belagerte, zu Hilfe eilen sollte, um die neue Verproviantierung zu verhindern.

Nach einer weiteren Vereinigung sollte der Luca die Führung des Angriffs gegen Trebinje, zunächst gegen Ficebo, übernehmen, das kaum einen Tagemarsch von dem Kloster entfernt liegt; der Häuptling aber, der vom Volke der Bär der Herzegowina genannt wurde und wegen seiner Kühnheit und Tapferkeit großes Vertrauen genoß, wenn er rechtzeitig erschiene, den Überfall des Provianttransports für die bedrängte Festung leiten. Der von dem Montenegriner bezeichnete Paß, durch den der auf 80 Pferde geschätzte Zug auf der Straße durch Montenegro wieder auf bosnisches Gebiet treten sollte, lag nicht weiter als Trebinje von dem Kloster entfernt und war daher noch bei Zeiten zu erreichen. Der Abt übernahm es, dem Häuptling sofort Botschaft zu senden, damit er die zum Überfall bestimmte Schar an geeignetem Punkte treffen möge, Iwo dagegen sollte im Kloster zurückbleiben, um mit den Männern, die dahin geflüchtet, die Weiber und Kinder zu verteidigen.

Es war nun alles Leben und Eifer, denn der Abmarsch mußte mit sinkender Sonne geschehen. Boten wurden nach allen Seiten gesandt, um Verstärkungen und Zuzug aufzubieten, und jetzt zeigte es sich, daß das Kloster des heiligen Basilius nicht allein der Ort der Beratungen der aufständischen Rajahs, sondern auch ihr Hauptwaffenplatz war; denn auf den Befehl des Abtes wurden jetzt die Gewölbe der Kirche geöffnet und Waffen aller Art, Pulver und Blei an die Krieger verteilt, und selbst ein kleines Berggeschütz, leicht durch Pferde oder Menschen transportierbar kam zum Vorschein und wurde der Abteilung des Luca überwiesen. Gedörrtes Mehl und Fleisch und der nie fehlende Slibowitza bildeten den Proviant der Ausziehenden, und als die Sonne noch die Gipfel des Küstengebirges berührte, standen schon die beiden Scharen fertig gerüstet und zum Abmarsch bereit, und in der kleinen, von schweren Quadern massiv gebauten Kirche lagen die Weiber und Kinder auf den Knien im Gebet für ihre ausziehenden Verwandten.

Während eine fast fieberische Tätigkeit den Higumenos zu beseelen schien, hatte der russische Offizier mit einer gewissen Unruhe alle diese Anstalten beobachtet, doch begnügte er sich damit, hin und wieder einen Rat zu erteilen, bis der Abt endlich zu ihm trat.

»Und welchen Entschluß hat Major Tschernajeff gefaßt, da er es verschmähte, mit den Boten nach Ragusa oder mit dem Abgesandten des Wessirs zu den Konsuln nach Mostar zu gehen? Der Agent des Franken-Konsuls ist im Begriffe nach Cettinje zurückzukehren.«

»Sie wissen, hochwürdiger Herr, daß ich hierher gekommen bin, Land und Vorgänge zu beobachten, nicht, bei der ersten Gefahr mich furchtsam zurückzuziehen. Ich bleibe.«

»So wollen Sie im Kloster verweilen, oder haben Sie Lust, eine dieser Scharen zu begleiten? Gefahr ist überall.«

»Ich muß gestehen,« sagte der Offizier, »ich hätte große Lust zu dem letzteren; denn ich möchte mich überzeugen, ob diese Männer so tapfer zu fechten verstehen, wie ihre Begeisterung es verheißt, und möchte sehen, wie ihre Fechtart ist. Nur möchte ich volle Neutralität dabei beobachten und mich in keiner Weise avancieren, wenn es nicht etwa« – fügte er lächelnd bei – »die Verteidigung meiner eigenen Person erheischt.«

Der Abt sann einige Augenblicke nach. »Es ließe sich wohl bei beiden Expeditionen Ihr Wunsch erfüllen, doch welche würden Sie vorziehen?«

»Jedenfalls die der Aufhebung des Provianttransportes; sie wird den freiesten und eigentümlichsten Kampf geben, und – wenn ich es Ihnen gestehen soll – ich wünschte, die Bekanntschaft des Bären der Herzegowina zu machen.«

»Wohlan, es sei! Ich werde Ihnen den Knaben Nikita mitgeben, der Sie schon einmal begleitet hat. Er wird Sie zu dem Manne führen, den das Volk den Bären nennt, vielleicht wegen der Kraft seiner Hand oder weil er sich fern hält von seinen Mitkämpfern, wie der Bär der Wildnis allein auf seinen Raub ausgeht. Sehen Sie nach Ihren Waffen und Ihrer warmen Decke für den Nachtfrost; denn die Morgen sind noch immer kalt im Gebirge. Ich werde dafür sorgen, daß eines der kleinen Bergpferde für Sie bereit ist, denn die Wanderung auf den ungebahnten Pfaden unserer Berge würde zu ungewohnt für Sie sein, und Sie dürfen sich unbedingt der Sicherheit des Tieres vertrauen. Nur müssen Sie mir das Versprechen geben, ohne zu fragen oder zu deuteln, allen Anordnungen des Bären Gehorsam zu leisten.«

»Ich bin Soldat und gebe mein Wort. Ich werde doch Gelegenheit haben, hierher zurückzukehren, wenn nicht etwa eine verirrte Kugel mir den Weg erspart?«

»Wir werden uns wiedersehen, wackerer Moskow, und nun lassen Sie uns scheiden, denn jene Männer warten auf mich zum gemeinsamen Gebet, und ich denke, auch Ihnen wird der Segen eines alten Mannes nicht von Nachteil sein. Möge er Ihnen Glück und Ruhm bringen in Ihrem ferneren Leben, denn Sie zeigten ein warmes Herz für Bosnien, mein Vaterland!«

Er trennte sich von dem Offizier, der eilig sein Gemach aufsuchte und sein weniges Gepäck in Ordnung brachte. Als er mit dem umgeschnallten Plaid, der Jagdtasche und der kurzen Büchse ausgerüstet wieder vor der Pforte des Klosters erschien, fand er den Novizen zwei der rauhhaarigen, kleinen Bergpferde am Zügel, die so sehr den Kosakenpferden der Steppen gleichen, nur starkknochiger als diese sind, und den Abt im vollen kirchlichen Ornat, die Monstranz erhoben, während alles Volk nach dem Ritus der griechischen Kirche vor dem Heiligtum umherstand, das Gesicht nach Osten gewendet. Die vom strengen türkischen Gesetz verbotene Glocke hallte ihre feierlichen Töne durch die Abendluft, während die Sänger des Klosters den 94. Psalm angestimmt hatten, den das Volk schweigend hörte. Dann erhob der Priester seine Stimme in den feierlichen Sprüchen des Bekenntnisses und Segens, und das Volk fiel ein.

Das dreimalige Zeichen des Kreuzes, das Schwenken des Weihwedels und die improvisierte Weihe der Krieger, die für so manche die letzte sein sollte, war vorüber.

Eine Handtrommel gab das Zeichen zum Aufbruch; ein Händedruck der Krieger an die in anderer Richtung abziehenden Freunde und Leidensgenossen, eine letzte Umarmung von Weib und Kind, und dahin zogen die beiden Abteilungen der Kämpfer des Kreuzes.

Mit Verwunderung hatte der Offizier bemerkt, daß Abt Michael, ehe er zurückkehrte in das kleine Gotteshaus zu der verstümmelten Bewohnerin des Turmes der Grahoven trat, und indem er das Kreuz über sie machte, einen Kuß auf ihre Stirn drückte; schien doch das Weib selbst von diesem Zeichen der Teilnahme tief ergriffen, ja erschrocken, und ihr Auge folgte mit dem Ausdruck des Schreckens der hohen Gestalt des Abtes. Aber der Russe fand keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn der Novize berührte ehrerbietig seinen Arm und forderte ihn auf, das Pferd zu besteigen und den Voranziehenden sich anzuschließen. – – – –


Mitternacht war vorüber – der Mond warf seine Streiflichter auf den rauhen, kaum erkennbaren Pfad des Kriegszuges durch die wilde, von weit überhängenden Felsblöcken oft ganz verdunkelte Schlucht.

»Im Namen des Gekreuzigten, Halt!«

Die Vordersten des Zuges standen. Petros, der Hirt, der an der Spitze ging, seinen großen Schmiedehammer auf der Schulter, den breiten Gürtel mit Handjar und Pistolen gespickt, schwang seine furchtbare Waffe.

»Wer bist Du – Freund oder Feind?«

»Blinder Narr! Kennst Du den Bären nicht?«

Eine hohe Gestalt trat aus dem tiefen Dunkel der Felsenwand ins helle Mondlicht – ein Murmeln der Begrüßung lief den langen in Indianer-Reihe, höchstens zwei Mann hoch wandernden Zug entlang – es war seit einer Stunde schon der strenge Befehl gegeben, jeden Lärm, jede laute Äußerung zu vermeiden.

»Gegrüßt sei der Bär, der Befreier der armen Rajah der Herzegowina!« Händedrücke der Führer der einzelnen Abteilungen wurden mit dem geheimnisvollen Häuptling gewechselt, im Kreise drängten sie sich um ihn, berichteten die getroffenen Anordnungen und empfingen kurze und bestimmte Befehle.

Der Russe vermochte nur die hohe imposante Gestalt des gefürchteten Kapitano zu sehen. Er trug die gewöhnliche Kleidung des bosnischen Bauern, aber über seine breiten Schultern hing ein mächtiges schwarzes Bärenfell und die Kopfhaut des Tieres mit dem leuchtenden weißen Gebiß bildete eine Art Kaputze oder Baschlik nach russischer Art, das Gesicht fast völlig verhüllend, sodaß man aus ihr heraus nur den weißen wallenden Bart und die funkelnden gebietenden Augen sah, während die Klauen des Untiers gleich den Flügeln des Baschliks um Hals und Brust gekreuzt, den seltsamen Mantelschmuck festhielten.

Der geheimnisvolle Krieger führte weder Flinte noch blanke Waffe, seine Rechte stützte sich auf eine schwere Eichenkeule, kein Schmuck, kein Abzeichen sonst deutete den Rang und die Berechtigung des Befehlenden an, aber doch hatte die Stimme, die rauh und halb gedämpft aus dem zottigen Kopfschmuck hervordrang, etwas so Gebieterisches, daß wohl niemand in der Schar gewagt hätte, ihrem scharfen kurzen Gebot den Gehorsam zu verweigern.

Der Novize war von seinem Klepper gestiegen, bat den Offizier, einige Augenblicke den Zügel zu nehmen und drängte sich durch den Kreis in die Nähe des hohen Mannes, dem er offenbar von seinem Begleiter berichtete.

»Sage dem Moskow,« hörte der Offizier ihn antworten, »er sei willkommen und möge tun nach seinem Gewissen. Ich werde später mit ihm reden – die Zeit drängt und unser Weg ist noch weit. Vorwärts Brüder!«

Der seltsame Führer, seine Keule über die Schulter werfend, trat, nachdem er nochmals den Befehl vorsichtigen Schweigens wiederholt hatte, an die Spitze des Zugs neben den Sauhirten, mit dem er, während der Marsch alsbald wieder begann, ein leises Gespräch unterhielt.

Der Offizier hatte aufmerksam den rauhen Anführer beobachtet. Trotz des dumpfen Tones seiner Stimme lag seinem scharfen Ohr doch ein bekannter, schon gehörter Klang in ihr, und während er darüber nachsann, ohne eine Erklärung zu finden, flüsterte er dem Novizen zu: »Dein Vater scheint bekannter mit unserem neuen Kapitän, als die anderen Leute. Vielleicht weiß er näheres von ihm? Meinst Du nicht?«

»Der Higumenos, mein Lehrer und Gebieter,« erwiderte einfach der Knabe, »hat mich gelehrt, die Geheimnisse anderer zu achten. Mein Vater Petros hat mehr als einmal an der Seite des Bären gefochten und genießt sein Vertrauen, denn der große Anführer der Rajah gibt ihm stets den gefährlichsten Posten! – Aber laß uns schweigen, Herr, denn der Bär duldet keinen Ungehorsam und wir sind bereits in dem Gebiete der schwarzen Berge.«

Der Offizier fühlte zu sehr die Richtigkeit der Bemerkung des Knaben, um ihn weiter auszuforschen und setzte schweigend den Weg fort, die Großartigkeit der wilden Szenerie bewundernd.


In hundert Katarakten brausen die Gebirgswässer über die Felsen, himmelhohe Fichten und Tannen heften sich in wunderbarster Weise an und in das Gestein, und riesige Eichen und Birken wuchern an den Ufern im Tale.

Nieder bewegte sich jetzt der Zug, der sich bisher an den mächtigen Berglehnen auf der Höhe hingewunden, und stieg niederwärts, wo die Felsen in Wänden und Zacken emporwuchsen und jeden Schritt gefährlich machten, oder tiefe Schluchten sich öffneten, dann hinauf in die Berge der Tschernagora!

Der russische Offizier und die wenigen, die mit den kleinen Bergpferden beritten gewesen, hatten längst den Sattel verlassen und ihre Tiere am Zügel geführt, da der Pfad an den Felsen durch den Niedergang des Mondes viel zu gefährlich geworden war, um ohne dessen Licht sitzen zu bleiben; einer der Krieger hatte die Leitung des Pferdes des Russen übernommen und, ehe dieser es bemerkt, stand der Führer des Zuges jetzt an seiner Seite.

»Sei gegrüßt, edler Moskow,« sagte der Kapitano. »In fünf Minuten sind wir am Ort unseres Hinterhalts. Nach dem Wunsche Michaels des Higumenos wirst Du nur ein Zuschauer des Gefechts bleiben, statt Dein eigenes Schwert zu ziehen für die Befreiung der Unterdrückten?«

»Höhere Rücksichten zwingen meinen Wunsch. Sei überzeugt, tapferer Kapitano, daß, wenn mir einst die Verhältnisse erlauben sollten, offen für die Christen der Donau-Provinzen, meine Glaubensgenossen, einzutreten, ich nicht zögern werde, auch mit meinem Säbel offen ihre Sache zu führen gegen den Halbmond.«

»Du hast Recht – der Kluge wartet seiner Zeit. Ich will Dich an einen Ort führen, der Dir erlauben wird, unsere geringen Anstalten, wie sie nicht hohe Kriegskunst, sondern das einfache Gebot der Klugheit und die Erfahrung in solchen Kämpfen der Schwachen gegen den Starken uns gelehrt hat, sowie den Kampf selbst zu sehen, zu erkennen, wie der Rajah zu fechten und zu sterben versteht für sein Land, so rauh und armselig es Dir auch erscheinen mag. Von der Stelle, zu der ich Dich führen werde, wird es Dir leicht sein, alles zu übersehen und Dein Pferd zu erreichen, wenn die Panagia uns nicht gnädig ist und wir unterliegen. Der Knabe wird an Deiner Seite bleiben, denn das Gebot der Kirche Aus diesem Grunde begnügen sich z. B. die Popen in den Kämpfen der christlichen Stämme, an denen sie stets tapfer teilgenommen, den Feind zu Boden zu schlagen, statt ihn zu töten. verbieten ihm ohnehin, mit der Waffe zu töten; Du kannst Dich unbedingt seiner Führung überlassen, wie auf dem Wege hierher. Und nun muß ich Dich verlassen, denn es ist nicht das erste Mal, daß in diesem Paß gefochten worden und das Blut der Christen und Muselmänner in Strömen geflossen ist, als die Wessirs des Sultans und selbst die Begs auf diesem Wege einzudringen suchten in das Land freier Männer, der Söhne der schwarzen Berge. Zuletzt tat es Omer Pascha der Sirdar, der jetzt kommt, seine alten Niederlagen zu rächen! Auch die Moslems sind klüger geworden und vertrauen nicht mehr, wie törichte Knaben, auf ihre Zahl.«

»Noch eine Frage, ehe Du gehst. Deine Pflichten zu erfüllen, tapferer Kapitano – wie nennt Ihr diesen Paß und das Feld?«

»Es ist der Paß von Ostrog, im Bezirk der Katunska Nahia,« sagte der Häuptling, auf ein natürliches Felsentor deutend. »Ich bitte Dich, folge mir, denn wir haben kaum noch eine Stunde bis zur Dämmerung und zum Anbruch des Tages!«

Der Kapitano ging voran und führte den Offizier in ein wahres Labyrinth von gewaltigen Felsmassen und mit Gesträuch und mächtigen Fichten umwachsenen Steinblöcken. Nur die genaueste Ortskenntnis konnte ihm erlauben, bei dem matten Licht, das der bereits hinter die Berge im Westen getauchte Mond noch am Himmel verbreitete, sich hier zurecht zu finden. Mehrfach trafen sie bereits ausgestellte Wachen, oder begegneten kleinen Abteilungen von drei bis vier Mann, die dem Kapitano kurz und flüsternd berichteten und ebenso neue Weisungen erhielten. Nur einmal verstand der Offizier Frage und Antwort, während er zugleich in einiger Entfernung ein Geräusch wie das Knirschen einer Säge hörte.

»Habt Ihr die Blöcke gewählt?«

»Ein einziger wird diesmal genügen, es ist der Fels, den die Leute die Kralle Scheitans nennen, groß und schwer genug, um selbst die Pforte der Hölle zu sperren.«

»Aber er liegt wohl seit tausend Jahren auf seinem Steinbette und die Winter von vielen hundert Jahren sind spurlos an seiner Festigkeit vorübergegangen.«

»Bei dem heiligen Theodosius, meinem Schutzpatron, Kapitano, Du kannst Dich auf mich verlassen, meine Hütte steht keine halbe Stunde weit von hier im Gebirge, und ich ernähre mich und mein Weib davon, die Saumtiere und die Reisenden nach Ostrog, zur Veste Spusch und bis Podgoritza durch die Schluchten zu führen, damit sie den Musselims nicht Steuern zu entrichten brauchen. Die schweren Regengüsse des Winters haben die Wurzeln der großen Fichte gelockert, die unter dem Block hin sich strecken, und was Menschenhände nicht vermocht hätten, hat die Hand Gottes durch die Wurzeln eines Baumes getan – der Fels ist so locker, daß es nur einer starken Erschütterung bedarf, ihn in die Schlucht zu stürzen. Es wird die Arbeit mancher Woche fordern, den Weg für die Reiter wieder gangbar zu machen!«

»Und Du meinst, daß die Patrone genügen wird, den Block zu heben und ins Rollen zu bringen?«

»Ich habe sie zwischen den Stein und seine Unterlage gelegt, wie Du mich hießest. Ihre Explosion würde ein Haus in die Luft sprengen. Es ist merkwürdig, daß ein wenig Baumwolle eine solche Wirkung hat. Es ist ja wohl eine jener teuflischen Erfindungen der Schwabi?«

»Ich sah sie von den Österreichern in Ragusa brauchen. Jetzt bleibt nur noch, daß Du das Zeichen richtig beachtest – verstehe mich wohl, erst wenn das letzte Pferd die Stelle unter dem Felsen passiert hat. Ich hoffe, es soll ein Tag werden, wie jener, den die Sven Oslobod Die Piesme, welche die Hegira der Montenegriner besingt, d. h. die Befreiung vom türkischen Joch durch die Ermordung sämtlicher Türken im Lande in einer Nacht auf Veranstaltung des Vladika Danilo Petrowitsch Nieguschi (1703), also eine Art Bartholomäusnacht oder sicilianische Vesper. besingt. Auf Deinen Posten, Mann. –«

Das waren die Worte, die der russische Offizier gehört, und sie genügten, ihn Furchtbares erwarten zu lassen.

Der Platz, an welchem der Anführer jetzt hielt, war in der Tat ein gut gewählter. Erst als er darauf aufmerksam gemacht wurde, gewahrte der Offizier, daß die Felsenwand zu seinen Füßen jäh in die Tiefe schoß, eine etwa zwanzig Fuß breite Schlucht bildend, während sie auf der andern Seite eben so schroff wieder in die Höhe stieg. Beide Ränder der Schlucht waren von Gebüsch und Bäumen besetzt und hinter dem Stamm eines solchen konnte der Russe sich bequem lagern und ungesehen die ganze Tiefe überblicken, die etwa vierzig bis fünfzig Fuß betrug. An dem dunklen Grunde konnte der Offizier den weiteren Lauf der Straße verfolgen und ein für Terrainkenntnisse geübtes Auge bemerkte zugleich, daß in einiger Entfernung die zusammentretenden Felsen einen noch engeren Durchgang, das bereits vorhin erwähnte Felsentor bildeten, mit dem dann der gefährliche Paß endete und der Weg bergabwärts in eine für die Passage bequeme Lichtung trat.

»Jetzt, Major, leben Sie wohl, verlassen Sie Ihren Posten nicht ohne die höchste Not, und wenn Sie keinen Schuß für die Rajah tun wollen, so schlagen Sie doch ein Kreuz für unseren Sieg!«

Mit den Worten war der Mann verschwunden, der Offizier versuchte so gut wie möglich sich hinter dem Stamm der Fichte einzurichten. Eine Zeitlang war er allein, dann bemerkte er, daß der Knabe Nikita zu ihm schlich, jedoch nur durch Zeichen seine Anwesenheit zu erkennen gab, denn bereits sah man durch die Wipfel der Bäume den Tag dämmern.

So mochten sie fast eine Stunde schweigend und beobachtend gelegen haben, während das Tageslicht immer mehr hervortrat, obschon die Sonne noch nicht aufgegangen war. Der Offizier hatte jetzt Gelegenheit, sich mit dem Terrain besser vertraut zu machen und begriff, daß die Stellung der Rajahs, wenn es ihnen gelang, die Vedetten oder Spürer der türkischen Kolonne zu täuschen, nicht besser gewählt sein konnte. Mit seinem Feldstecher übersah er das ganze Terrain des voraussichtlichen Kampfes und bemerkte, daß es bei einem Überfall den Angegriffenen unmöglich sein würde, rechts oder links an den Wänden der Schlucht emporzuklimmen und sich so zu retten.

Endlich vernahm sein scharfes Ohr in der Ferne einen Ton, wie das Locken des wilden Auerhahns, das sich an dem Rande der Schlucht fortzupflanzen schien bis zu ihrem Ausgang. Dann folgte wieder tiefes Schweigen, bis nach etwa zehn Minuten der rasche Trab zweier Pferde sich hören ließ, durch das Aufschlagen der Hufe auf den harten Steinboden schon in der Entfernung erkennbar. Der Klang kam rasch näher, jetzt war er fast unter ihnen, und ob die Tiefe der Schlucht zwar noch immer im Zwielicht lag, erkannte der Offizier doch leicht, als er vorsichtig hinter dem Stamm der Fichte hinablugte, die Gestalten zweier türkischen Reiter. Die langen, schlanken Lanzen, die sie führten, belehrten ihn, daß es albanesische Spahis waren.

Sie hielten an dieser Stelle, blickten umher und der eine von ihnen ritt, vorsichtig sich umschauend und fast jeden Stein der Schlucht prüfend, langsam auf das Felsentor zu und durch dasselbe hindurch.

Nichts rührte sich weiter umher, bis nach einiger Zeit der Spürer in gleicher Weise zurückkehrte und bei seinem Gefährten hielt.

»Der Prophet ist mit uns; die Augen und die Ohren der Giaurs sind geschlossen, und wir haben nichts mehr zu besorgen. Ich habe alles genau geprüft, wenn die Sonne über den Horizont tritt, wird man jenseits dieses von den Dämonen Scheitans gemachten Weges die Minarets von Nikschitj sehen können. Ich will hoffen, Mahmud Pascha hält seine Augen offen. Reite zurück, Ibrahim, zu dem Aga und verkünde ihm, daß der Zug den Weg passieren kann, da alles sicher ist, indes ich nach vorne gehe und auf dem nächsten Hügel die Rauchsäule steigen lasse, die den Brüdern in Nikschitj befehlen soll, den Ausfall auf die Ungläubigen zu beginnen. Allah hat unser Unternehmen gesegnet. Ich hätte kaum gedacht, daß diese Hunde von Czernagorzen sich treu ihrem Versprechen beweisen würden!«

Die Stille in der Wildnis war so groß, daß man jedes Wort der Unterredung deutlich hatte hören können. Der zweite Reiter jedoch, statt davonzusprengen, deutete nach Osten, wo eben die ersten Sonnenstrahlen über den Höhen die Föhren und die Bergspitzen vergoldeten. »Der Aga möge einen Augenblick verziehen,« sagte er, »es ist Zeit zum Gebet!«

Damit stiegen die beiden Reiter von den Rossen, knieten auf den Felsboden, das Gesicht nach Mekka gewandt, und verrichteten ihr kurzes Morgengebet.

Der Offizier war von der einfachen Handlung tief ergriffen; wenn er auch nur ein untätiger Zuschauer der kommenden Szene sein sollte, der Gedanke, daß in wenigen Augenblicken diese beiden Krieger, die nichts Schlimmes ahnten, vor diesem Gott stehen sollten, zu dem sie eben vertrauend ihre Seele erhoben hatten, lastete drückend auf der seinen. Ob Allah – ob Gott – es war dasselbe allmächtige und allgütige Wesen, zu dem wir alle beten, während wir doch jeden Augenblick bereit sind, den Bruder, den uns die Güte dieses Gottes gegeben, zu zerfleischen.

Erst der Galopp des zurücksprengenden Kriegers weckte den Major aus dieser Betrachtung.

Langsam hatte der andere Albanese seinen Weg wieder gegen das Tor fortgesetzt, jetzt mußte er es überschritten haben und im Freien sein – im Freien, wo die Geschwindigkeit seines Pferdes bei einem Überfall ihn doch noch retten konnte! Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte der Russe, das Haupt erhoben, nach der Seite hin; mit Hilfe seines Glases konnte er sogar die Gestalt des Reiters sogar noch sehen –

Kein Schuß fiel –

Aber plötzlich schwankte der Reiter einen Augenblick und stürzte, wie vom Blitz getroffen, schwer zu Boden!

Nur einen dunklen Punkt hatte der Offizier die Luft durchschneiden sehen – der Schimmel des Albanesen bäumte, und wollte wiehernd davon sprengen, aber wenige Schritte und starke Hände faßten seine Zügel.

Der Knabe mit seinen gesunden Augen hatte schärfer gesehen, als selbst das Glas des Offiziers.

»Der Vater hat den Hammer geschleudert,« sagte er leise, »er trifft auf zwanzig Schritte das Ei – er hat ihm den Kopf zerschmettert; Gott möge seiner Seele gnädig sein, wenn er auch ein Moslem war!«

Es war in der Tat so geschehen, wie der Knabe sagte; die furchtbare Waffe war aus dem Hinterhalte mit tötlicher Sicherheit geschleudert worden; ein Schuß mit seinem Echo zwischen diesen Felsenwänden hätte sie ja verraten müssen und alle bisherige Vorsicht wertlos gemacht!

Nur wenige Augenblicke, und das Pferd und die Männer, die es gefaßt jenseits des Felsentores, waren wieder verschwunden in ihre Verstecke; von der anderen Seite her, noch aus der Ferne, aber näher und näher kommend, hörte man das Geräusch der Kolonne, die den rettenden Proviant zur bedrängten Festung brachte.

Noch eine Weile, dann zeigte das Glas des Russen die Spitze, sechs Nizarmreiter, voran der Führer des Zugs, ein wohlbeleibter Aga, neben ihm der Späher, – dann eine kleine Abteilung Fußsoldaten, dahinter die schwer bepackten Saumrosse mit ihren Führern – die Breite der Schlucht erlaubte nicht, daß sie zu dreien und mehr herankamen – dahinter wieder ganz in der Ferne die Lanzen albanesischer Irregulären.

Mit Lärmen und Schwatzen – die Pferde schnaubend unter ihrer Last, die Führer, den einfachen Singsang ihrer Nation plärrend, kam der Zug heran, die ganze Breite des Passes füllend – schon hatten die vordersten Reiter das Felsentor erreicht und wollten es überschreiten – der russische Offizier sah nur noch, wie zwei hohe dunkle Gestalten plötzlich wie aus der Erde gestiegen sich vor den Reitern erhoben und ihnen den Ausgang sperrten – grimmes Geschrei – nieder auf die Köpfe der vordersten Pferde schwang Petros zermalmend den Hammer, der Anführer die furchtbare Eichenkeule … Schüsse knallten, Angst- und Schmerzenslaute …

»Allah schütze uns! Der Bär! Der Bär!«

Der Führer der Eskorte, der Aga an der Spitze des Zuges, war ein wohlerfahrener tapferer Soldat – er hatte die Schlachten an der Donau und die des Krimkrieges mitgefochten, vielleicht in zehn Ländern das blutige Kriegshandwerk getrieben. Sein Roß war zwar unter dem Keulenschlage des Rajahhäuptlings gestürzt, der Aga aber glücklich, das Pistol in der Hand, auf die Beine gekommen. Statt es auf den Feind zu richten, von dem das im Todeskampf schlagende Pferd ihn trennte, richtete er die Mündung auf den Albanesen, den Späher.

»Verflucht seist Du, verräterischer Hund!«

Der Schuß knallte unter den zwanzig anderen, die sich jetzt von allen Seiten aus den Büschen aus der Höhe der Felsenwände, zwischen Blöcken und Steinen her auf die Überfallenen richteten – wer fragte da nach dem zu unvorsichtigen Späher!

»Im Namen Allahs – haltet zusammen Ihr Gläubigen! Wendet die Pferde – zurück – zurück – hierher, Soldaten –«

Ein gewaltiger Knall, wie eine Salve von hundert Schüssen zu gleicher Zeit – ein Krachen und Brechen – Staub und Steinsplitter füllten die Luft bis zur Stelle hin, wo auf der Höhe der Wand vor der gewaltigen Erschütterung der russische Offizier sich am Stamme der wankenden Fichte festhielt – der Novize am Boden lag …

Ein Geheul wie von einer Schar Verdammter – und sie waren ja verdammt, verdammt zum wehrlosen unrühmlichen Tode – übertäubte den Knall der Schüsse, das Klingen der blanken Waffen – »Allah! Allah! – Wir sind verraten, die Schwarzen haben den Eingang der Schlucht versperrt! Fluch über den Verrat!« Die Pferde schnaubten und schlugen, viele bluteten unter den verirrten Kugeln der Schützen, den Säbel zwischen den Zähnen, suchten die Führer der Lasttiere die Wände der Schlucht zu erklimmen, bis ein Schuß oder ein Hieb sie todt oder verwundet in den Grund zurückwarf. – Andere, und sie waren die Klügsten und Glücklichsten, suchten, durch den Staub der noch rauchenden Felsentrümmer zurückklimmend, Pferde und Ladung im Stich lassend, den Eingang des Passes wieder zu erreichen, und vielen gelang die Flucht – vorn aber wütete die Schlacht in unbezähmbarer Wut. Wo die Keule des Bären niederfiel, schlug sie Mann oder Roß zu Boden – wo der Hammer des Schmiedes, des Sauhirten, traf, tötete er. Nicht mehr die beiden allein wehrten jetzt den Ausgang, wen der strenge Befehl nicht auf der Höhe der Felswand festhielt, um von dort den gehaßten Feind zu erlegen, stellte sich ihm im Ausgang mit der blanken Waffe entgegen.

Aber auch die Türken fochten tapfer. Was ist der Tod dem Muselmann, wenn sein Kismet! und vollends, wenn erst seine Leidenschaft, seine Blutgier erregt ist! Der verachtete Rajah sollte die Krieger des Padischah überwinden? Die Unterdrückten und Geduldigen, die bisher der Schemel ihrer Füße gewesen waren, jetzt ihre Herren – ihre Sieger? – Keine Gnade! Wieder und wieder stürmte der Aga, der alte Soldat, mit seinen Tapferen gegen den Ausgang, und wieder wurden all seine Anstrengungen zurückgeworfen. Jetzt war er im Handgemenge mit Petros! Ein furchtbarer Schlag des wuchtigen Hammers zersplitterte den Damascener Stahl des Säbels, wieder hob sich die gewaltige Faust des Rajah – da trafen die Revolverkugeln des Aga ein und zwei Mal die unbeschützte Brust des Schmieds – aber noch im Fallen schleuderte dieser die schwere Waffe, sodaß der Gegner unter ihr zusammenbrach – Rajah und Moslem lagen sterbend am Boden, und über ihre zertretenen Körper her tobte der letzte Kampf.

Mit dem Fall ihres tapferen Führers fiel der letzte Mut der türkischen Soldaten und was nicht unter den Streichen der rachedürstenden Christen sank, suchte in wilder Flucht rückwärts die Rettung.

Kaum der dritte Teil der Osmanli überschritt wieder die montenegrinische Grenze und erreichte Ostrog – die ganze Ladung der Kolonne war verloren, der Zweck des Zuges vereitelt.

Aber auch von den Rajahs deckten nicht wenige mit dem blutigen Leib den so glänzend verteidigten Ausgang der Schlucht. Als der Kampf – er hatte länger als eine Stunde gewährt – zu Ende war, und, was an den Lasttieren unverwundet geblieben war, jubelnd aus dem bösen Paß herausgeschafft, den Berg hinabgeführt und die Beute verteilt wurde, da rollte manche Träne aus Männeraugen den gefallenen Freunden, grobe Hände suchten den Schmerz der Wunden durch Verband und heilsame Kräuter zu lindern, überall war der Bär zur Hand, bat und riet oder schlichtete den Streit um die Beute, aber wenn er an die Leiche des Hirten kam, dann ging er schweigend vorüber, denn dort kniete der junge Klosterzögling und badete das starre Antlitz des erschossenen Mannes mit seinen Tränen. Wie rauh und roh der Hirt auch gewesen war gegen Frau und Kinder, er war doch sein Vater gewesen, und der Knabe war in all' seinem Leid stolz auf den heldenhaften Tod des niederen Mannes, seines Erzeugers, für das heilige Vaterland. Der Anführer der Schar wußte zu wohl, daß der Schmerz namentlich der Jugend sich austoben muß, ehe der Trost ein Recht an ihn hat, und indem er das Wort späterer Tröstung dem russischen Offizier überließ, zog er sich zurück in den höher gelegenen Teil der Wildnis, den Befehl gebend, zwei große Gräber zu graben, das erste für die gefallenen Christen, das andere für die Moslems, ihn selbst aber erst zu rufen, wenn die Boten, die man zu den Belagerern der Festung gesandt hatte, ihnen das Gelingen der Unternehmung zu verkünden und Beistand zur Fortschaffung des erbeuteten Proviants zu holen, wieder zurückgekehrt wären. Selbst der russische Offizier wagte den geheimnisvollen Häuptling in seiner Einsamkeit vorerst nicht zu stören, in der Meinung, daß die Blutarbeit des Morgens wohl auch diese riesenhafte Natur erschöpft haben mußte. Er hatte die Keulenschläge des gewaltigen Mannes noch vor Augen und dachte darüber nach, warum der Häuptling wohl jede bessere Waffe verschmähte, und, nachdem er aus den von den Rajahs erbeuteten Vorräten eine leichte Stärkung zu sich genommen, fühlte er sich selbst von den Anstrengungen des nächtlichen Marsches und den Aufregungen des Morgens so erschöpft, daß auch er ein paar Stunden zu ruhen beschloß und abseits vom Kampfplatz, doch nahe genug, um bei jeder Aufforderung zur Hand zu sein, in der Nähe der Stelle, wo der Novize ihre beiden Pferde untergebracht hatte, von dem schwellenden Moos und den wuchernden Farren sich flüchtig ein Lager bereitete, auf dem er, in seinen Plaid gehüllt, alsbald entschlief.

Sein Schlaf war nach all' der Anspannung der Nerven so tief und fest, daß ihn selbst der Lärm und Jubel der Rajahs nicht unterbrach, die von ihrem Lager vor Nikschitj herbeigekommen waren, und denen an dem erbeuteten Proviant wahrscheinlich ebensoviel lag, wie den Belagerten selbst an ihm gelegen hätte, auch nicht die Anstimmung der Trauergesänge, als die christlichen Krieger ihre gefallenen Brüder ins Grab legten. Erst, als die Sonne bereits wieder im Sinken war, erwachte er von einer leichten Berührung.

Neben ihm stand Nikita, der Novize, die Zügel der beiden Bergpferde um den Arm geschlungen – tiefe Stille sonst rings umher, wie sie am Morgen vor dem blutigen Kampfe geherrscht hatte, und, hätte den Aufspringenden ein Blick in die Tiefe nicht noch so manche Spuren des Kampfes gezeigt, er würde kaum an ihn geglaubt haben, denn keiner der Krieger, kein lebendes Wesen außer ihnen selbst zeigte sich mehr umher – alles mußte den Platz schon vor längerer Zeit verlassen haben.

»Wo sind Deine Freunde, Nikita? Wo ist der Bär? Warum hat man mich nicht gerufen, mein armer Knabe?«

»Es geschah auf den Befehl des Knees, Herr; die Rajahs sind fort, die meisten nach Nikschitj, die anderen nach ihren Hütten und Palanken.«

»Und der Bär?«

»Er muß eine dringende Botschaft erhalten haben, denn er befahl alsbald den Aufbruch, nachdem wir sie begraben,« sagte der Knabe mit besorgter Miene; »mir befahl er, bei Dir zu bleiben, und Dich zu einer bestimmten Stunde zu wecken, wenn die sinkende Sonne dort jene Bäume berührt, damit Du noch bei ihrem Licht Grahowo erreichen möchtest.«

»Grahowo?«

»Der Bär hat mir befohlen. Dich so weit zu geleiten, bis wir seine Minarets sehen und Du den Weg nicht mehr verfehlen kannst.«

»So soll ich nicht zum Kloster zurückkehren?«

»Heute nicht, Gospodin – wünschest Du es zu tun, so wirst Du es morgen leicht von Grahowo aus erreichen; nur ein Bergrücken hindert Dich, es von dort zu sehen, und Grahowo – wenn es auch in den Händen der Türken ist – ist doch sicher für Dich, Du findest dort Christen, Europäer!«

Der Knabe sagte das alles mit so seltsamem Ausdruck, daß der Offizier aufmerksam darauf wurde.

»Aber Du selbst?«

»Ich soll, wenn ich Dich so weit geführt und in Sicherheit weiß, sofort auf den verstecktesten Pfaden zum Kloster zurückkehren.« Der Novize blickte sich scheu um, dann sagte er flüsternd, obschon doch nur außer den Ohren seines Gefährten die Toten ihn hätten hören können: »ich glaube, es droht dem Kloster eine Gefahr …«

»Welche?«

»Die Leute, die von Nikschitj gekommen, sprachen von neuen Rauchsäulen, zerstörten Plemen Dörfern., und erzählten, daß die Vaschi-Bozuks des bösen Paschas ihren Zug in jene Gegend genommen.«

»Allmächtiger Gott! Und der Bär?«

»Ich glaube, er ist seinem Freunde, unserem Vater, dem Higumenos zu Hilfe geeilt!«

»So hat er doch genügende Mannschaften mitgenommen, um das Kloster zu verteidigen bis weitere Hilfe kommt?«

»Niemanden – Petros, mein Vater, wäre sicher mit ihm gegangen, läge er nicht tot in seinem Grabe.«

»Armer Bursche!« sagte der Offizier, sich des Unglücks des Novizen erinnernd. »Aber warum sind die Krieger, die er hierher geführt, und die noch unverletzt sind, ihm nicht gefolgt zum Entsatz des Klosters?«

»Du hast selbst gehört, Gospodin, daß der Volksrat sie zur Verstärkung der Rajahs vor Nikschitj bestimmt hatte – der Bär aber ist der letzte, der die Sache seines Freundes dem allgemeinen Interesse opfern würde. Aber sorge nicht unnütz, das Kloster ist fest und hat schon mehr als einem Sturm widerstanden. Auch fehlt es nicht an Männern dort, denke an Iwo den Blutigen und die Geflüchteten. Abt Michael und seine Mönche sind tapfer und kriegserfahren.«

»Großer Gott, was sind diese wenigen zur Verteidigung so vieler Frauen und Kinder, und Du weißt nicht, Knabe …« er dachte an die Drohungen des wilden Führers der Baschi-Bozuks in der vorvergangenen Nacht an der Pforte des Klosters. »Vielleicht ist es dem tapferen Krieger, den Ihr den Bären nennt, nicht einmal gelungen, das Kloster zu erreichen!«

»Er kennt den geheimen Gang, der durch die Felsen gehauen worden schon vor Jahrhunderten, als das Kloster gegründet wurde, durch den auch ich zurückkehren werde, um das Los der Meinen zu teilen. So Gott und die heilige Jungfrau es wollen, hat der tapfere Wojwode Luka die Türken bereits vor Trebinje geschlagen und die Mauern erstiegen. Wenn er von der Gefahr des Klosters hört, wird er zurückkehren und die Golatschanen verjagen! Vielleicht auch kannst Du ihnen Einhalt tun von Grahowo her durch Deine Landsleute, die fränkischen Konsuln!«

Die naive Hoffnung des Knaben schien dennoch dem Offizier wenigstens einen Anhaltspunkt zu geben, wenn auch nach dem Bekanntwerden des Überfalles in dem Ostrog-Paß wenig Aussicht war auf ein Einschreiten der gesetzmäßigen türkischen Behörden gegen die Excesse der Irregulären. Dennoch mußte das versucht werden.

»So laß uns eilig aufbrechen, Knabe, damit wir noch vor Nacht Grahowo erreichen. Du wirst mich dahin begleiten, ich übernehme die Verantwortlichkeit dafür bei dem Abt.«

Der Novize schüttelte den Kopf, während er so rasch wie möglich die Pferde den steilen Abhang hinuntergeleitete. »Du vergißt, edler Gospodin, daß meine Pflicht dem Kloster des heiligen Basilius gehört und ich Mutter und Schwester dort habe. Nachdem Petros, mein Vater, im Kampf für das Land unserer Geburt gefallen ist, bleibt es meine Pflicht, die Meinen zu verteidigen, und Iwo soll mich nicht umsonst gelehrt haben die Flinte zu führen und den Vogel im Fluge zu treffen. Ich werde den Abt bitten, mir Waffen zu geben und den Kampf zu gestatten. Da ich noch nicht das Gelübde abgelegt, ist es keine Sünde für mich, mit Kugel und Messer das Blut der Feinde zu vergießen.«

Beide schien jetzt dasselbe Gefühl der dringenden Eile zu beseelen. Nur wenige Augenblicke verweilte der Novize noch am Fuß der Schlucht, um auf dem gemeinsamen Grabe seines Erzeugers und seiner Landsleute ein Gebet zu verrichten, dann bestieg er wieder den Klepper, und sie wandten sich nun der Richtung nach Grahowo zu. Obschon kein gebahnter Weg dahin führt und sie sich immer noch auf einer gewissen Höhe halten mußten, um nicht etwa streifenden Baschi-Bozuks in die Hände zu geraten, konnten sie sich doch mehr der Niederungen bedienen und kamen beim Tageslicht rascher vorwärts als bei dem Marsch der vergangenen Nacht.

Dennoch berührte die Sonne bereits den westlichen Horizont, als die Reiter auf jenem Bergrücken anlangten, der das im Tal liegende Grahowo von dem Orjen-Gebirge trennt. Die letzten Strahlen des scheidenden Tagesgestirns zeigten im Bergkessel, kaum eine Stunde noch entfernt, den einfachen fast nur von griechischen Christen bewohnten Ort Grahowo, während sie noch einzelne Kuppen des Orjen-Gebirges vergoldeten.

»Dort, Herr,« sagte der Novize hastig hinabdeutend, »dort liegt Grahowo, dort bist Du in Sicherheit. Möge die Panagia mit Dir sein und Dich schützen – lebe wohl.«

Noch einmal versuchte der Russe den Knaben zu bewegen, zunächst mit ihm nach Grahowo zu gehen, aber dieser begnügte sich, sein Pferd nach der andern Seite zu wenden und auf die Bergwand des Orjen zu deuten, auf deren mittlerem Plateau das Kloster des heiligen Basilius liegen mußte.

Noch war es zu früh in der Jahreszeit, als daß die Stellung der untergehenden Sonne ihren vollen Schein auf die nach Nordosten gewendete Bergwand hätte fallen lassen und das Kloster zeigen können, obschon es nur wenig weiter als eine Meile in direkter Linie von dem Standpunkt der Reiter entfernt sein konnte – es lag bereits in dem Schatten des Gebirges. Aber, als das Auge des Offiziers der Richtung folgte, nach welcher die ausgestreckte Hand des Novizen wies, konnte er zu seinem Entsetzen an jener Stelle eine hoch aufsteigende weiße Rauchwolke erkennen, deren Spitze vielleicht von den Strahlen der eben verschwindenden Sonne leicht gerötet war, – mit einem Aufschrei spornte der Knabe sein Pferd und ohne Wort, ohne Abschied jagte er den Abhang nach Norden zu hinab.

Als der Offizier auf dem Weg nach dem Tal von Grahowo sich nochmals zurückwandte – die Sonne war bereits hinter den Bergen in der Adria verschwunden, – sah er in dem rasch herabsinkenden Dunkel an jener Stelle die Rauchsäule rotglühend sich an der Wand des Orjen-Gebirges emporheben!



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