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2. Die Diamanten-Schlucht.

Manuelo war mit dem geraubten Kinde, der Schnelligkeit seines Pferdes vertrauend und durch das rote Tuch als einer der Föderalisten kenntlich, dem Urwald zu geflohen.

La-Muerte folgte seinem ehemaligen Gefährten mit aller Erbitterung, die ihm dessen Verräterei eingeflößt, und allem Eifer der Liebe für die Herrin und ihr Kind. Aber noch ehe sie den Saum des Waldes erreicht hatten, mußte er bemerken, daß es ihm, wenn nicht ein besonderer Zufall einträte, unmöglich sein würde, den Mestizen einzuholen, weil dessen Pferd weit kräftiger und schneller war, als das seine. Dennoch setzte er seine Verfolgung fort, fest entschlossen, sie nicht aufzugeben, bis er sein Ziel erreicht habe.

Aber auch der Pardo wußte, welchen gefährlichen Feind er auf seiner Ferse hatte, und welcher geübte und scharfsinnige Rostreador der Neger war, fähig, seine Spur durch ganz Südamerika zu verfolgen. Zuerst kam ihm daher der Gedanke, wenn sie weit genug sich in die Einsamkeit des Waldes vertieft hätten, durch die verlockendsten Versprechungen den Schwarzen für sich zu gewinnen; aber er erinnerte sich bald, daß seine Treue für Aniella unbestechlich und durch keine Schätze der Welt zu beirren wäre. Ohnehin widerstand ihm der Gedanke, sein Geheimnis mit einem andern teilen zu sollen. Eben so wenig verhieß ihm ein offener Kampf mit dem Neger Erfolg; denn wenn ihn auch ein Blick rückwärts überzeugt hatte, daß derselbe nicht mit Schießwaffen, sondern nur mit Lanze und Messer bewaffnet war, so kannte er doch seine riesige Stärke zu gut. Er beschloß daher, sich auf die Schnelligkeit seines Pferdes und seine Schlauheit zu verlassen, um jede Spur seines Weges zu verbergen.

Er setzte demnach eilig seinen Ritt in einer, von seinem eigentlichen Ziele gänzlich abweichenden Richtung fort; lange vorher schon hatte er jedes Zeichen von Verfolgung hinter sich gelassen und sprengte einsam durch die Lichtungen des Urwalds.

Er verfolgte diesen Weg bis gegen Abend, dann hielt er sein Pferd am Rande eines kleinen Waldbaches an, schnallte den Poncho und den kleinen Beutel mit getrocknetem Fleisch vom Sattel und suchte in den nahen Büschen ein Bündel von Dornenzweigen, die er an die Steigbügel des Pferdes band, das er von seinem Zügel befreit hatte. Ein Schlag auf die Kruppe setzte das erschöpfte Tier aufs neue in Bewegung, und gestachelt von den in seine Flanken schlagenden Dornen rannte es wie toll davon. Das Kind, das anfangs viel geschrieen, später aber trotz des rasenden Rittes wieder eingeschlafen war, hatte kurz vorher aufs neue seine klaren, hübschen Augen geöffnet und wimmerte jetzt kläglich, offenbar vor Hunger und Durst. Es war ein Mädchen, etwa elf Monate alt, begann bereits die ersten Laute zu stammeln, und das kleine Gesichtchen zeigte die schönen und feinen Züge der Mutter.

Der Pardo hatte zugleich mit den Dornen einige Hände voll saftiger, wohlschmeckender Beeren gesammelt und fütterte damit das Kind, weichte ihm ein wenig Pemmican in Wasser ein und stillte mit dieser kräftigen Nahrung seinen und der Kleinen Appetit. Nachdem dies geschehen, befestigte er die fliegende Wiege des Kindes mit dem Zaumriemen des Pferdes auf seinem Rücken, zog seine Stiefel aus und trat in das Wasser, indem er die Spuren auf der Stelle, von der er das Pferd verjagt, so arrangierte, als sei er dort wieder aufgestiegen, und dann rückwärts bis an den Rand des Baches ging. In diesem setzte er dann wohl eine halbe Stunde weit, dem Lauf des Wassers entgegen, seinen Weg fort, überzeugt, daß er so jede Auffindung der Spur unmöglich gemacht. Erst als die Dunkelheit eingetreten und er einen steinigen, harten Boden in der Nähe der Quelle erreicht hatte, verließ er das Wasser, erstieg den Felsen, der über der Quelle hing und von Bäumen und Buschwerk frei war, und bereitete hier in der Wildnis sein Nachtlager, indem er sich und das Kind in die dichten Falten des Poncho hüllte, und die gespannte Büchse neben sich auf den Boden legte.

Am siebenten Tage nach der Zerstörung der Mission und der Flucht des Mestizen befand sich dieser etwa dreißig Leguas nordöstlich von der Stelle, wo wir ihn verlassen, auf dem Gebiet der brasilianischen Provinz Rio-Grande do Sul zwischen dem Rio-Vacacahy und einem Nebenfluß des Uruguay. Es war eine überaus wilde, öde Gebirgsgegend, in der zerklüftete Felsen und tiefe, wie von gewaltigen Erdumwälzungen in die Oberfläche der Erde gerissene Schluchten abwechselten. In dieser einsamen und traurigen Scenerie öffnete sich ein Thal von gleichem Charakter, das ziemlich schroff zu einem weiten Felsplateau aufstieg und dessen Grund das Bett eines mächtigen, vielleicht seit Jahrtausenden versiegten Bergstroms gebildet hatte, zu dem von beiden Seiten von der Höhe der Felsen tiefe und schroffe Schluchten herabliefen. Die Vegetation dieser wilden und schauerlichen Gegend stach durch ihre Spärlichkeit und ihren Charakter hart gegen den fast tropischen, üppigen Pflanzenwuchs der tiefern Waldregion ab. Nur die Montezumafichte streckte ihren Stamm von den Spitzen der Felsen in die Luft und drängte ihre mächtigen Wurzeln zwischen das Gestein, Flechten wucherten in großer Fülle, und die Moose bedeckten mit ihrem fußhohen Grün die Felsen und Steine.

Der Thalgrund mußte vor vielen, vielen Jahren zu einer Gold, oder Diamantenwäsche gedient haben, denn an den Seiten des ausgetrockneten Corregos oder Waldbachs sah man die bemoosten und verwitterten Trümmer einzelner Ranchos oder Hütten und Umzäunungen. Jetzt aber war alles längst der Vergessenheit anheimgefallen, keine Spur des Lebens zeigte sich in dieser traurigen Einöde, als der Gaviao do Sartone, der nackthalsige Falke mit schwarzem, stahlglänzendem Gefieder, der hoch über den Felsen schwebte, oder eine Herde großer Miripi-Affen, die, aus den Wäldern herausgekommen, durch die Felsen sprang.

Es mochte etwa acht Uhr morgens sein, als über den Rand einer steilen, versteckten Felsspalte sich das braune Gesicht des Pardo hob, und das scharfe Auge des Einsamen sorgfältig umherspähte. Dann trat die ganze Gestalt aus der engen, schroffen Felswandung, sah nochmals umher und lenkte die Schritte nach dem Urwald am Fuß dieses wilden Felsenmeers. Der Pardo hatte die Büchse über der Schulter, doch schien sie ihm jetzt ein nutzloses Instrument, vielmehr spähte sein Auge auf der kurzen Wanderung, die er unternahm, nach eßbaren Wurzeln und Moosen, die er in seiner Tasche sammelte, und nach den Beeren und herben, aber schmackhaften Früchten der Waldbäume.

Das Gesicht des Gambusino war hager und eingefallen, wie die Mienen derer zu sein pflegen, die unter Hunger und Entbehrungen leiden. Ein wochenlang ungepflegter Bart verunstaltete sein Antlitz, und seine Kleidung war an vielen Stellen zerrissen.

Obschon er sich längst sicher wußte vor jeder Verfolgung und die völlige Einsamkeit dieser Gegend kannte, vernachlässigte er doch keine Vorsichtsmaßregel auf seinem Wege, aber nichts zeigte sich seinem Auge, was ihn im geringsten hätte beunruhigen können. Während er in dem dichten Unterholz, das den hochstämmigen Urwald begrenzte, nach Beeren und Früchten suchte, die bereits seit mehreren Tagen seine und des Kindes einzige Nahrung gebildet hatten, schreckte ihn plötzlich ein Geräusch. Er griff nach seinem Gewehr und machte sich schußbereit, als er bemerkte, daß es eine Jacutinga mit ihren Jungen war, die durch das Lianengebüsch rauschte. Seine Augen funkelten vor lebhafter Gier nach dem Fleisch des Tieres; zweimal hob er die Flinte, um zu feuern, aber jedesmal ließ er sie wieder sinken, die Berechnung überwog den Hunger – wenn der Zufall irgend einen Menschen in die Nähe der Einöde geführt hätte, konnte der Knall ihn verraten, und er wollte ja allein sein, er wollte nicht teilen!

Nachdem er einen hinreichenden Vorrat wilder Früchte gesammelt, lenkte er seine Schritte Zu einer Stelle des Waldes, wo eine kleine Quelle entsprang. Er löschte zuerst seinen Durst und füllte dann eine Flasche, die er mitgebracht.

»Noch zwei Tage, nein, noch drei oder vier,« murmelte er, »dann werde ich reich genug sein, und so lange wird es das Kind schon noch aushalten!« Seine Augen funkelten in unheimlichem Feuer bei dem Gedanken an diesen Reichtum; er betrog sich selbst mit der Zeit, die er sich bestimmte; denn im Grunde seines Herzens fühlte er, daß nach den Erfolgen der letzten Tage er nicht vermögen würde sich loszureißen, bis er alles, alles erschöpft.

Und dennoch besaß dieser Mann, der mit einer Handvoll Beeren oder einer zähen Wurzel kümmerlich sein Leben fristete, bereits unermeßliche Reichtümer.

Der Pardo machte sich nun auf den Rückweg, bei dem er gleiche Vorsicht beobachtete. Erst nachdem er sich überzeugt, daß kein menschliches Wesen zu sehen war, betrat er sein geliebtes Felsenlabyrinth und näherte sich der Spalte, aus der er emporgestiegen war.

Der Gambusino war jedoch kaum in dieser verschwunden, als sich an einer Stelle des dichten Unterholzes, die den Blick den Thalgrund hinauf gestattete, die Wand eines Lianengebüsches leise bewegte, dann zerteilte, und ein schwarzes Menschenantlitz zum Vorschein kam. Der breite, dicklippige Mund öffnete sich zu einem lustigen Grinsen und zeigte die blendend weißen, scharf gefeilten Zahnreihen La-Muertes. Sein dunkles, scharfes Auge durchspähte gleichfalls vorsichtig die ganze Umgebung; dann trat er unhörbar aus dem Gebüsch hervor.

»La-Muerte haben diesen Bösewicht,« flüsterte er; »haben viel Mühe gekostet, aber werden klein Piccaninny befreien, und Massa Manuelo auf seinen Schädel klopfen.«

Vorsichtig blieb der Schwarze dann hinter dem nächsten Felsstück liegen, um erst weiter zu beobachten, ob der Pardo nicht nochmals zurückkehrte, ehe er ihm zu seinem Schlupfwinkel folgte.

Diese Zögerung sollte leider die furchtbarsten Folgen haben. Der Kunstgriff des Pardo an dem Ufer des Baches hatte allerdings den Schwarzen getäuscht, und dieser zwei Tage mit der Aufsuchung des Pferdes verloren, bis er es von den Raubtieren des Waldes zerrissen gefunden und alsdann die List seines frühern Gefährten entdeckt hatte. Zurückgekehrt zu dem Bach, wußte er alsbald, daß dieser die Spur des Kinderräubers verbergen mußte, und setzte am Rande desselben seine Nachsuchungen fort, bis er sie wiedergefunden.

Der Neger war ein zu erfahrener Rostreador, um sie alsdann trotz aller Listen, die der Gambusino auch weiter angewandt, wieder gänzlich zu verlieren, und er folgte ihm, freilich mit großem Zeitverlust, bis zu dem Felsenthal, in dessen Nähe er am Abend vorher eingetroffen war.

Die Felskluft, zu der sich der Pardo gewendet, war eine der schaurigsten und wildesten des ganzen Thales. Man wand sich durch einen langen Felsspalt, der Jahrtausende lang schon zur Rinne der Fluten der Regenzeit oder einer Bergquelle gedient haben mochte, unter überhängenden Felsstücken empor, die so locker und los über einander getürmt lagen, daß jede Erschütterung sie herabzustürzen drohte, bis zu einer natürlichen Felsenpforte, einem Loch von etwa anderthalb Ellen Höhe, die das Wasser zum Ausfluß sich gehöhlt. Jenseits dieser Öffnung, die wahrscheinlich früher viel enger gewesen und nur durch den Zahn der Zeit oder ein zufälliges Naturereignis, seit die Diamantenwäsche des Thals aufgegeben worden, sich erweitert hatte, dehnte sich die Schlucht zu einer Art Rundung aus, rings umgeben von glatten, hohen Felswänden mit Hunderten kleiner Rinnen und Ritzen, wie sie das Bergwasser niederströmend sich eingegraben hatte, bis es diesen Felskessel füllte und durch jene Öffnung dem Thalgrund zuströmte.

Dies war der Ort, wo der Pardo sein Lager aufgeschlagen, die Quelle, aus der er seine Schätze schöpfte, kolossaler, als die glühendste Phantasie sie ihm je vorgemalt.

Es war etwa ein halbes Jahr vor der Zeit, daß wir ihm am Ufer des La Plata begegnet sind, als er durch einen Zufall diesen Ort entdeckt hatte. Auf einer seiner Streifereien, welche die Gambusinos des Südens häufig nach den verlassenen Minen und Wäschen der Regierung richten, war er in jene Gegend gekommen und hatte im Grunde des Thals und in den Rinnen der Bergwässer verschiedene Nachgrabungen gehalten, wie vor ihm wahrscheinlich schon viele seiner Gefährten gethan hatten, ohne die geringste Ausbeute zu finden. Da bemerkte er, eines Morgens unter dem Schutz eines Felsens liegend, einen Affen, der mit einem in der Sonne wunderbar glänzenden Stein spielte. Er scheuchte den Affen auf und dieser floh in das Felsen-Labyrinth, wohin er ihn verfolgte und so den Eingang der Schlucht fand. Eine Kugel streckte das Tier nieder und in seinen Backentaschen fand der Pardo den Stein wieder, der seine Aufmerksamkeit erregt. Er schien ihm anfangs ein diamantenähnlicher Topas von reinem Wasser und nicht unbedeutendem Wert. In dem Lehm, der die Rinnen und Löcher der Felsen füllte, fand er noch mehrere ähnliche Steine, und diese waren es, die er mit nach Montevideo genommen hatte, um sich dort von dem Wert dieses Fundes Überzeugung zu verschaffen; denn der Eintritt der Regenzeit hatte ihn aus der Schlucht vertrieben und jede fernere Nachsuchung unmöglich gemacht. Erst in Montevideo überzeugte er sich durch die angestellten Versuche, daß, was er kaum zu hoffen gewagt, Wirklichkeit sei und die gefundenen Steine Diamanten erster Qualität von bedeutendem Wert waren. Er wäre sofort wieder nach der Quelle dieser Schätze geeilt, wenn er nicht gewußt, daß während der Regenzeit jeder Versuch vergeblich sein mußte, und zugleich nicht gefürchtet hätte, andere auf seinen Weg aufmerksam zu machen. Der gewöhnliche Leichtsinn und die Eitelkeit der Halbfarbigen trieb ihn an, von dem bereits erworbenen Reichtum Gebrauch zu machen, und der Hochmut raunte ihm zu, einer lang verhehlten glühenden Leidenschaft jetzt nachzugeben und als Bewerber um die Hand seiner Milchschwester aufzutreten und diese sich erst zu sichern, da er nicht zu fürchten brauchte, daß das Geheimnis jener Schlucht, die der Zufall ihm entdeckt, bei der gänzlichen Öde jener Gegend in andere Hände fallen werde.

Wir wissen, wie der Gang der Ereignisse und seine ungezähmte Leidenschaft ihn in eine Lage brachten, die ihn sechs Jahre verhinderte, den Diamanten-Distrikt aufs neue zu besuchen, und der entdeckten Schätze sich zu bemächtigen. Die Gier danach stand nur seinem Verlangen, sich an den vermeintlichen Urhebern seiner Leiden zu rächen, nach, und in dem Gedanken, sobald dies geschehen, sofort sich auf den Weg zu machen nach dem Felsenthal, hatte er Sorge getragen, stets alles bei sich zu führen, was ihm bei seinem Vorhaben von Nutzen und nötig sein konnte. Es kann seltsam erscheinen, daß er sich auf einem so weiten und gefährlichen Weg der Beschwerde unterzogen, das Kind mit sich zu schleppen, statt sich seiner durch Mord oder Aussetzen in dem Urwald zu entledigen. Aber der Pardo, obschon Gewissensskrupel nicht seine Schwäche waren, bebte doch vor dem nutzlosen Morde des kleinen Wesens zurück, ja, er empfand sogar ein gewisses rachsüchtiges Behagen in dem Gedanken, das Leben des Kindes in seiner Gewalt zu behalten und zu beschützen. Er glaubte den Vater erschlagen und die Mutter tot oder mindestens gefangen, und wußte dann, welchen Schmerz ihr lebend oder im Sterben der Raub ihres Kindes bereitet haben mußte. Der stete Anblick desselben war ein Triumph, ein stachelnder Reiz seiner Rache. Darum hatte er beschlossen, es mit sich zu nehmen in die fernen Länder, wohin er sich begeben wollte, wenn er die Schätze der Diamanten – Schlucht erschöpft; denn mit jedem neuen Fund wuchs die habsüchtige Gier, die zum wilden Fieber stieg, das nimmer genug bekommen kann.

Der Pardo hatte sich durch die enge Öffnung gedrängt und befand sich jetzt in der Diamanten-Schlucht.

Der Felskessel hatte im Innern die Ausdehnung eines großen Zimmers; die Wände stiegen schroff etwa dreißig bis vierzig Fuß in die Höhe, nur unterbrochen durch einzelne Risse, Löcher und Regenrinnen, doch schwer oder fast unmöglich von innen zu ersteigen; den einzigen Ausgang bildete die bereits erwähnte Höhlung. Wucherndes Moos drängte sich aus den Felsspalten, der Boden bestand aus einem dicken, von der Hitze der trockenen Jahreszeit jetzt fast zu Staub verbrannten Lehm. In einem Winkel dieser Schlucht, die von der hochstehenden Sonne jetzt mit einer Flut von Licht übergossen war, lag das Kind Aniellas auf einem Lager von Moos und Kräutern. Der Pardo hatte der Kleinen einen Teil der gesammelten Früchte gegeben, und das Kind kroch spielend auf dem Boden umher, begierig nach weiterm Vorrat suchend, denn es war abgemagert wie der Mestize.

Dieser saß neben einem großen, tafelförmigen Stein, auf dem ein langes Messer, ein kleiner, aber schwerer Hammer und zwei feine englische Feilen lagen. Der Boden war mit einer kleinen Handschaufeh in regelmäßige Quadrate abgestochen und etwa zum vierten Teil durchgraben.

Die Stelle um den Pardo her war auf der einen Seite mit zerriebenem, sorgfältig gesichtetem Thon bedeckt, während auf der andern ein Häufchen größerer oder kleinerer, anscheinend zu Stein gewordener harter Thonstückchen von unregelmäßiger Form lag, die er einzeln sorgfältig prüfte, indem er mit dem Hammer die feste Hülle zerschlug und mit dem Messer und der Feile das tote Gestein abbrach. Alle Leidenschaft schien bei jedem neuen Versuch beteiligt, seine Aufregung dieselbe wie die des Spielers, der am grünen Tisch sein Gold, seine Habe auf die Karte setzt, und von deren Umschlag Gewinn oder Verlust, Leben oder Tod erwartet. Die Flinte lehnte an der Felswand, wo der Poncho zu einem Lager ausgebreitet war.

Von Zeit zu Zeit wandten sich jedoch die Blicke des Mestizen von seiner Arbeit hinweg nach einer Stelle des Steines; seine ganze Seele schien dann in seinen Augen zu funkeln, minutenlang war alles andere vergessen und ein stolzes, gieriges Lächeln überflog sein hageres Gesicht, wenn seine Phantasie all die Bilder jeder Lust und jedes Genusses der Erde ihm malte, die jene kleine Stelle ihm verschaffen würde: Reichtum, schöne Frauen, Macht, Ansehen, Neid, Bewunderung, den Gedanken einer Welt!

Dort auf jener Stelle lag der lederne Beutel, der den kleinen Vorrat von Pemmican enthalten, die Schnur war gelöst, der Beutel geöffnet; statt des rohen materiellen Fleischpulvers jetzt ein anderer, kostbarer Inhalt darin bewahrt.

Die Sonnenstrahlen, die durch die offene Decke der Schlucht hereinbrachen, reflektierten mit tausend glänzenden Lichtern in den zu leuchtendem Feuer gewordenen flammenden Farben des Regenbogens von jener Stelle, wo in dem geöffneten Beutel eine Anzahl der kostbarsten Diamanten glänzte. Die Form der Oktaedern und Rhombendodekaedern, welche sie bildeten, vermochte zwar ihren Schein nicht zu dem verdoppelten Glanz des Schliffs zu entwickeln, aber die sorgfältige Reinigung, die der Pardo mit seinen Instrumenten jedem einzelnen Stein hatte zu teil werden lassen, zeigte doch ihr natürliches Feuer und warf genug Reflexe, um die Stelle mit einem wundersamen, zauberischen Glanz zu erfüllen.

Es waren vielleicht hundert Steine, die der Mestize bereits gewonnen, darunter einige von sehr bedeutender Größe.

Der Wert dieser kostbaren Steine, auch der von geringerm Gewicht, wurde dadurch noch gehoben, daß die meisten von ihnen zu den berühmten farbigen Diamanten gehörten und in Grau, Gelb, Grün und Braun spielten, ja einige die höchst seltene orange, rote und blaue Farbe zeigten. Ein Meer des Lichts schien von diesen Steinen auszugehen und die schwere dicke Luft über ihnen gleichsam zu zittern unter der Strahlenbrechung dieser flammenden Farben.

Das Kind war bis zu dem Steinblock gekrochen, hatte sich an diesem aufgerichtet und streckte die Händchen nach dem glänzenden flimmernden Spielwerk aus, als der Pardo es bemerkte, den Beutel aus seinen Händen riß und die Schnur zuzog. » Putao!« murmelte er, »willst Du mir meinen Reichtum nehmen, wie Deine Mutter mir das Herz aus der Brust gestohlen?« Er legte den Beutel zur Seite und begab sich wieder an seine Arbeit. Plötzlich jauchzte er laut auf.

» Carámba! wieder ein Stein! die Heiligen sind mir gnädig! Ich will ihnen eine Kerze weihen, so dick wie mein Arm, wenn ich erst den Placer ausgebeutet. Die Thörin, die mich um den bettelhaften Piraten verlassen! In jedem Blick auf ihr Fleisch und Blut will ich meine Rache genießen! Es soll meine Sklavin sein, meine niedrigste Dienerin, wenn die Frauen der alten Welt zu meinen Füßen liegen! Man hat mir erzählt von den Herrlichkeiten in London und Paris – Carájo! – ich will sie genießen, alles – alles! Heilige Jungfrau – das kostbarste Stück von allen – ein schwarzer Diamant!«

In der That hatte die zerbröckelte Hülle einen Stein von wunderbarem Farbenglanz in seinen Fingern gelassen. Er war länglich rund, etwa von der Größe einer türkischen Bohne oder einer kleinen Haselnuß, ohne scharfe Kanten und Ecken und von einer fast schwarzen Farbe. Der Strahlenglanz, den er entwickelte, war unheimlich, aber wunderbar prächtig. Purpurfarbene und violette Blitze schienen aus ihm hervorzusprühen, als der Pardo ihn jetzt hin- und herdrehend im Sonnenschein funkeln ließ. Das Eigentümliche, Geheimnisvolle, was im Diamanten liegt, das Licht und Feuer, das selbständig in seinen von Jahrtausenden versteinerten Gasen zu wohnen und nur dem Strahl der Sonne zu antworten, nicht willen und leblos ihn bloß zu reflektieren scheint, war durch die überaus seltene Farbe des gefundenen Steins noch auffallender, dämonischer. Diesem höllischen, diabolischen Glanz schien das Feuer in den Augen des Mestizen zu entsprechen, einen so wilden Ausdruck hatten sie, von so leidenschaftlicher, gieriger Freude waren seine Züge verzerrt, als er triumphierend den Stein drehte, wischte und putzte. Dann, als käme ihm der Gedanke plötzlich an, legte er ihn hastig hinter sich und griff eifrig nach dem Haufen von Thonstücken. »Mehr! mehr!« murmelte er; »wo dieser war, müssen sich mehr der Steine finden. Jeder Juwelier in Rio de Janeiro würde mit Freuden zehntausend Milreis dafür geben! Ich muß sie alle haben, alle!« Er hämmerte hastig drauf los – aber Stück auf Stück fiel zerbröckelt zu Atomen aus seiner Hand, ohne daß etwas anderes sich zeigte, als taubes, wertloses Gestein.

Die Adern seiner Stirn schwollen in leidenschaftlicher Erregung, immer hastiger arbeiteten seine zitternden Hände. Aber vergeblich – keine Spur eines Diamanten mehr zeigten die aufgehäuften Thonstücke.

» Carámba! – Maldito! Sollte er der einzige sein? – bei allen Teufeln – wo ist der Stein?«

Seine Augen starrten auf das Kind, das wieder am Block emporgekrochen war, den glänzenden Stein erfaßt hatte und ihn eben spielend in den Mund steckte.

» Carájo! bist Du des Teufels? Heraus mit dem Diamanten!« Er fuhr so hastig und roh auf das Kind zu, daß dieses zurückschrak und zu Boden fiel. Es schluckte und würgte, sein Gesicht wurde blutrot, die Augen traten aus dem Kopf – dann, nach einer gewaltsamen Anstrengung, begann es ängstlich zu schreien.

Das Antlitz des Pardo wurde fast grün vor Wut und Schrecken. Er faßte das Kind roh an die Kehle und schwang es empor, das arme Geschöpf wimmerte kläglich.

»Verfluchte Bestie! soll mir denn immer von Deinem Blut nur das Schlimmste kommen? Heraus mit dem Stein, und sollte ich Dir das Herz aus dem Leibe reißen!« Er schmetterte das hilflose Kind in blinder Wut nieder auf den Fels, daß Blut die zarten Glieder überströmte, und suchte ihm mit roher Faust in den Hals zu greifen.

Das Jammergeschrei des armen Kindes war kläglich, aber jeder Ton, der Anblick des Blutes schien nur die bestialische Wut des Gambusino zu vermehren. Die Adern seiner Stirn waren dick geschwollen wie Stränge, in den Augen leuchtete teuflisches Feuer, dunkle Röte überschwemmte sein Gesicht, als wolle das Blut zu allen Fibern herausdrängen!

»Den Diamanten!« keuchte seine Brust, »gieb den Diamanten heraus, Brut der Verfluchten!«

Im nächsten Augenblick blitzte das Messer hoch in seiner Faust, ein Stoß – ein schwacher Schrei – und mit einem Schnitt spaltete er den Körper des unglücklichen Geschöpfes vom Hals bis zum Leib und seine blutüberströmten Hände wühlten mit satanischer Gier in dem in Todeszuckungen sich krümmenden Fleisch.

»Den Stein! den Stein! Gelobt seien die Heiligen – da ist er!«

Er hielt ihn mit keuchendem Atem empor, zwischen dem Blute blitzte es in höllischem Strahl, lang hin – ein Strahl, wie das stechende Auge eines Teufels.

Dann fiel sein Blick plötzlich auf die geschlachtete Kinderleiche, die jetzt regungslos auf dem Stein zwischen dem aufgerissenen Beutel und den zerstreuten Diamanten lag.

»Heilige Jungfrau! was hab' ich gethan!« Die Reaktion, die nach diesem höllischen Paroxysmus teuflischer Habsucht kam, war fast eben so schrecklich.

Aber dieser Empfindung sollte rasch eine andere, die des Schreckens, folgen!

»Verdammter Piccaninny-Mörder! – Möge der Fluch des Obi Dich verderben!«

Der Pardo starrte empor und auf der Höhe der Felsenwand in das fahle Antlitz La-Muertes, dessen Haar sich sträubte, während die Augen vor Entsetzen nur das Weiße des Apfels zeigten.

»O Du arm' Piccaninny! Gewöhnlicher Ausdruck der Neger für kleine Kinder. – o Du Teufel, verfluchtiger!« schrie der Mohr. »Sterben sollst Du, wie Du Kind von Señora gemordet!« Und seine Hand schwang drohend die lange Lanze.

Aus seinem Schrecken auffahrend hatte der Mestize nach dem Gewehr gegriffen und richtete es auf den Schwarzen. »Verfluchter Du selbst! Du selbst mußt sterben, denn Du hast zu viel gesehen!«

Der Speer zischte durch die Luft und schleuderte die sich entladende Flinte aus den Händen des Mörders, ihn selbst nur leicht am Arm verwundend. Aber ein donnerndes Prasseln antwortete dem Knall des Schusses.

Die Kugel plattete sich auf der Felswand über der Öffnung; nicht der Arm des Mohren, sondern die Hand des allmächtigen Gottes hielt Gericht über den feigen Mörder des hilflosen Kindes! In der Felsenschlucht rollte die Explosion des Schusses wie zehnfacher Donner, die engen Wände der Schlucht erbebten unter dem Luftdruck und eine gewaltige Masse des überhängenden Gesteins löste sich aus seinen lockeren Fugen und stürzte mit Krachen nieder, den Zugang des Felskessels mit seinen Trümmern dicht versperrend.

Der Pardo war von dem Schlag der Lanze und der Erschütterung der Luft in die Knie gesunken; im nächsten Augenblicke erkannte er das Schreckliche seiner Lage und fiel ohnmächtig nieder auf das Gesicht. – –

Es war Nacht, als der Gambusino von dem frischen Tau, der auf seine Glieder fiel, wieder zum Bewußtsein kam. Der Mond stand hoch am Himmel und sein bleicher Strahl tauchte, fast Tageshelle verbreitend, nieder auf den Grund der Schlucht. Auf dem Stein in der Mitte lag in seinem gespenstigen Licht der schwarze Diamant neben der blutigen verstümmelten Leiche des Kindes.

Der Pardo saß auf dem Boden; er legte die Hand an die Stirn, alles schien ihm wie ein wüster Traum – erst nach und nach erinnerte er sich, wo er sich befand, was geschehen.

Neben ihm steckte noch tief im Boden der lange Speer des Mohren, sein Arm schmerzte von dem geronnenen Blut der Streifwunde, dort drüben blitzte der unheimliche schwarzrote Strahl – da lag der Sack mit den Diamanten – und dort – – –

Es durchschauerte ihn wie Fieberfrost, als er am Boden hin nach der Stelle kroch, wo der Ausgang sich zur Felsenspalte öffnete. Aber eine dichte Mauer versperrte ihn. Vergeblich war sein Drängen und Stoßen an den Steinen, sein Rütteln und Graben, seine Hände bluteten von den scharfen Kanten und nicht eine Linie breit wich die ungeheure Steinlast.

Sein Haar begann sich zu sträuben, wieder und wieder versuchte er seine Kraft – Gott im Himmel! war er denn lebendig begraben – begraben mit dem Leichnam des Kindes und den Millionen an kaltem Juwelenglanz?

Wie er sich abmühte, erschreckte ihn ein heiseres, höhnisches Lachen von der Höhe des Felsens. »Piccaninny-Mörder mussen sterben! Massa Manuela haben klein Aniella ermordet, Fluch über sein Blut!«

»La-Muerte! höre mich an!«

»Mussen sterben! mussen sterben! Helfen nichts, zu reden mit schwarzem Mann – Wehe! Wehe!«

Der Pardo warf sich in finsterm Grimm auf den Poncho an der Felswand. Er hoffte auf den Tag, aber er vermochte nicht zu schlafen, so erschöpft er war, der blutige Leichnam des Kindes und die unheimlichen Blitze des Diamanten standen ihm immer vor Augen. Er verhüllte das Gesicht, um nicht hinüber zu sehen nach dem schrecklichen Fleck, den die bleichen Mondstrahlen erleuchteten.

Es war eine schreckliche Nacht für den Mörder; drunten im Urwald heulte der Jaguar, und sausend bogen sich die langen düsteren Zweige der Montezumafichte vor dem Winde!

Die Stunden schienen Jahre zu werden in seinen Gedanken!

Dann endlich röteten sich die Ränder des Felskessels, und der Tag zog herauf.

Der Jaguar verstummte und zog sich zurück in die Tiefen des Waldes, der Mensch erwachte und begann sein Tagewerk, grausamer als das der Bestie der Wildnis!

Die Sonne stand schon hoch über den Felsen, ehe der Pardo es wagte, die Decke von seinem Antlitz zu schlagen und scheu umherzuschauen. Ein brennender Durst trieb ihn empor, seit dem vorigen Morgen hatte kein Tropfen Wasser seine jetzt heiße, trockene Kehle benetzt.

Die Augen fest auf den Boden gerichtet, denn er wagte nicht, nach oben zu schauen, noch nach der Steinplatte mit seinem Opfer, schlich er nach dem Winkel, wo die Kalebasse mit dem Wasser stand, das er am vorigen Morgen an der Waldquelle geholt.

Ein wilder Fluch entfuhr seinem Munde; die Flasche war heruntergefallen von dem Felsvorsprung, auf den er sie gestellt, entweder von der Erschütterung der Explosion oder heruntergestoßen von dem Kinde – das wenige Wasser, das darin geblieben, war längst verdunstet von der heißen Atmosphäre.

Vergeblich setzte er sie an den Mund, dann schleuderte er sie grimmig zu Boden.

Wieder antwortete ihm ein heiseres, höhnisches Lachen von der Höhe der Felswand, der Rächer wachte! Der kurze, scheue Blick nach oben zeigte ihm das schwarze Gesicht des ehemaligen Gefährten.

Stumm rannte er aufs neue zu dem von der Hand Gottes verschlossenen Eingang und begann wieder den verzweifelten Versuch, die gewaltigen Steinmassen zu erschüttern und hinwegzuschieben. Er stemmte den Flintenlauf zwischen die Fugen und bediente sich seiner als Hebel – der Schaft brach und blieb in seinen Händen; er raffte das noch blutige Messer vom Boden auf, wohin er es geworfen, und stieß es in die Spalten der Steine; die Klinge zersplitterte an den scharfen Kanten, die Masse rührte sich nicht; – die mit der Kraft der Verzweiflung geführten Hammerschläge lösten kaum einzelne Splitter los.

Nach stundenlanger Anstrengung schien der Mestize endlich das Vergebliche jeder Arbeit einzusehen und einen neuen Entschluß zu fassen.

Die Sonne sendete glühende Strahlen hinunter in den Felskessel. Manuels waffnete sich mit finsterm Trotz und schaute nach dem Rande der Felsen, der Neger war nicht mehr zu sehen, die Sonnenhitze schien ihn von seinem Posten vertrieben zu haben in den Schatten vielleicht eines anderen Felshanges oder Baumes; vielleicht hatte er ihn. ganz seinem Schicksal überlassen, nachdem er sich überzeugt, daß jeder Ausgang der Schlucht versperrt war. Bereits begann unter dem glühenden Himmel und in der schwülen, durch den Luftzug der Öffnung nicht mehr erfrischten Atmosphäre die schreckliche Auflösung der Leiche. Hoch droben am glänzenden Himmel schwebte ein dunkler Punkt, ein Geier, als wittere er die Beute – es war das einzige lebendige Wesen außer ihm.

Der Pardo suchte jetzt mit aller Gewalt seine Ruhe, sein kaltes Blut wiederzugewinnen. Er verbarg den Beutel mit den Diamanten auf seiner Brust; aber obschon es ihn mit der wieder erwachenden Gier der Habsucht einen bedeutenden Kampf kostete, gewann er es doch nicht über sich, den verhängnisvollen schwarzen Stein den gewonnenen Juwelen hinzuzufügen. Es graute ihm davor, und er ließ ihn dort, wo er lag, neben dem verwesenden Leichnam. Dann steckte er das Heft des Messers mit dem Stumpf der Klinge in den Gürtel und prüfte mit dem Blick die Felsenwände Fuß um Fuß.

Er schien zuletzt gefunden zu haben, was er suchte; ein höhnisches Lächeln zuckte um seinen Mund, während er die Lanze des Mohren aus dem Boden zog und die Stücke der zerbrochenen Flinte und die beiden Feilen zu sich steckte.

»La-Muerte – höre mich!«

Keine Antwort folgte dem Ruf; der Pardo wiederholte ihn zwei-, dreimal, immer lauter und dringender.

Alles blieb still.

»Er ist fort! die Heiligen seien gepriesen! Ich werde leben und mich rächen!«

Er stürzte zu der Felswand, zur Stelle, die er vorhin für die allein mögliche erkannt. Dort stemmte er den langen Speer des Mohren in den weichen Fußboden und lehnte ihn in eine Felsenritze der Wand fest. Nachdem er sich nochmals überzeugt, daß er die Diamanten auf der Brust und alles Nötige im Gürtel hatte, begann er das schwierige Werk der Ersteigung. Jede Spalte, jede Ritze der Felswand und der sich kreuzenden Regenrinnen benutzend, um den Fuß zu neuem Halt einzuzwängen, wo kaum die Zehe Platz zu haben schien, stieg er weiter und weiter. Als er fast das Ende der Lanze erreicht, bohrte er die zerbrochenen Stücke der Flinte in die Felsritzen, um weitern Halt für die Hände und Füße zu gewinnen, dann die beiden Feilen, mit denen er die Diamanten gereinigt. Triumph leuchtete aus seinem durch die rasende Anstrengung verzerrten Antlitz, je höher er kam, endlich fehlten kaum noch sechs Fuß zum Rande des Felsens. Er ergriff die letzte Waffe, die er hatte, das zerbrochene Messer, und preßte es in die Spalte. Lieber wollte er mit seinen Händen oder einem Stein und Ast die Raubtiere des Waldes bekämpfen, waffenlos jeder Gefahr trotzen, als in diesem steinernen Sarge langsam verschmachten.

Es glückte ihm, das Messer zu befestigen – er schwang sich empor – seine Hand erfaßte den Rand der Felsen, einen vorspringenden Stein – heilige Jungfrau! gerettet – gerettet! er hob sich mit der Anstrengung aller Muskeln empor – sein Kopf stieg über den Felsrand – vor ihm die Freiheit – das Leben – der Reichtum – schon erkannte sein Auge das dunkle Baummeer des Urwaldes – – –

» Carámba!«

Dicht vor ihm, hinter dem Felsblock empor, an den seine Rechte sich klammerte, richtete sich das schwarze drohende Gesicht La-Muertes auf.

»Piccaninny-Mörder müssen sterben, wo klein weißer Engel gestorben sind!«

Der Gambusino versuchte mit beiden Händen sich festzuklammern und auf die Höhe zu schwingen; Schaum trat auf seine Lippen bei der gewaltigen Anstrengung und der entsetzlichen Angst – seine Augen irrten blutunterlaufen umher.

»Laß mich herauf, La-Muerte! laß mich herauf, ich will Dich reich machen, so wahr die Heiligen mir gnädig sein mögen!«

Der breite Mund des Negers zog sich grinsend fast von einem Ohr zum andern. »Massa Manuelo sein ein halber weißer Mann, ein Caballeiro! dürfen nicht fürchten den Tod. Möchten klein Kinder morden, dieser Caballeiro, und dann nicht sterben? Ho, ho!« Sein Gelächter war teuflisch, als er die Finger des Pardo mit unwiderstehlicher Gewalt langsam von der Felsenkante losbrach.

Der Mörder wehrte sich verzweifelt, indem er sich festzuhalten und ihn selbst zu umklammern suchte. »La-Muerte, mein Freund, hab' Erbarmen mit mir – ich will Dir Schätze geben – laß mich hinauf – hinauf …:«

Sein Geschrei erstickte in grausigem Röcheln, der Neger preßte seine Kehle zusammen und stieß ihn mit unwiderstehlicher Kraft zurück. Einen Augenblick schlugen die Arme des Verbrechers verzweifelt durch die Luft, wie als suchten sie dort einen neuen Haltepunkt, dann stürzte er rücklings über und schlug schwer auf den Boden der Schlucht nieder.

Das grimmige Gelächter des Schwarzen begleitete seinen Fall.


Wieder war ein Tag und eine Nacht vergangen – wieder drang der heiße Strahl der Sonne in das furchtbare Felsengrab.

Ein gurgelnder Laut quoll herauf, kaum noch einer menschlichen Stimme ähnlich.

»La-Muerte – wo bist Du?«

»Hier, Señor Don Manuelo. Der arme Nigger flechten von den Lianen schönen festen Strick, zu steigen in diesen Ort, wenn Massa Manuelo tot sein.«

»La-Muerte – bei der Mutter, die Dich geboren – habe Erbarmen mit mir! Mein Schenkel ist gebrochen bei dem verfluchten Sturz – mein Bein geschwollen – es zerreißt meine Eingeweide – es brennt wie höllisches Feuer in meiner Kehle! Wasser – einen Tropfen Wasser, so wahr Du ein Christ bist und an Gott und die Heiligen glaubst!«

Der Neger lachte hämisch. »La-Muerte glauben nur an Obischlange, Der Obidienst ist im Geheimen unter den Negern Amerikas sehr verbreitet. wenn er auf dem Pfad der Rache sein und kennen kein Mitleid.«

»Ich will Dir Millionen geben; sieh diese Diamanten! Sie sind ein Königreich wert. Ich will Dir ein Drittteil geben, nein, die Hälfte, wenn Du mich rettest! – Du sollst alles haben, alles!«

Der Neger saß mit herabhängenden Beinen auf dem Felsrand. »Massa Manuelo machen armen schwarzen Mann lachen! La-Muerte wird finden all die schönen blanken Steine, die er so sehr liebt, wenn Massa tot sein.«

» Parsaro! mögst Du …:« Der giftige Fluch verwandelte sich in wildes Stöhnen des Hasses und Schmerzes und dann wieder in heiseres Gurgeln. »Hilfe! Hilfe! – Mutter Gottes, ich sterbe! Nein, ich will nicht sterben – will leben – und müßt' ich das Fleisch von meinen Beinen nagen! – Dort – dort« – – –

Noch zwei Tage waren vergangen.

Wenn der Ruf des Campanero den Morgen verkündete, bis zum Augenblick, daß murrend und unheimlich seufzendes Ächzen ausstoßend der Nachtaffe durch die düstere Krone des ficus gigantea glitt! beim heißen Mittag, wenn der Gecko durch die Blätter raschelte, wie um Mitternacht, wenn der leuchtende Cucujusschwarm durch die Büsche schwirrte und der hungernde Jaguar im fernen Walde seine Stimme erhob – immer stiegen gräßliche Töne aus der Schlucht empor – zuerst die verzweifelnde Bitte, das heisere Geschrei, der wilde Fluch – dann der rasende Schmerz, der in den Eingeweiden wühlt – das Stöhnen des langen Kampfes und das Ächzen des sterbenden Mörders.

Um ihn her Schätze, um eine Welt zu kaufen, und nicht genügend für ein Stück Brot, für einen einzigen Trunk der verschmachtenden Kehle!

Denn der leuchtende Diamant dort unten, den der sterbende Verräter mit der letzten Kraft seiner Hand an die röchelnde Brust drückte, konnte nicht härter sein, als das Herz, nicht tauber, als das Ohr des schwarzen Rächers, der, unempfindlich für Fluch und Bitte, für Jammer und Todesgestöhn, da droben saß, sein Seil flechtend und ein munteres Lied summend, wie die Neger sie dichten zu ihrem Tanz und ihren Festen.

Dann kam eine Nacht und ein Morgen, und alles war still dort unten auf dem Grunde der Diamanten-Schlucht. Auf dem Felsblock bleichten die weißen abgenagten Knochen des Kindes, neben dem funkelnden schwarzen Diamanten traf der Sonnenstrahl auf eine gekrümmte, regungslose, kaum der menschlichen Form noch ähnliche Gestalt und hoch oben am Himmel zog der Geier seine lüsternen Kreise.

Die Lianen-Leiter des Mohren war schon längst fertig, ihr Ende um den Felsblock geschlungen, den die Hand des ringenden Mörders so hoffend umklammert hatte.

Jetzt warf der Schwarze mit spöttischem Lachen das andere Ende in die Schlucht. »Vier Tage früher, Massa Manuelo, und Du sein jetzt kein stiller Mann! Schöner Pardo werden nimmermehr klein Piccaninny schlachten!«

Er stieg in die Schlucht.



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