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Die Strapazier-Menscher.

Es war der erste Sonntag im April; der Frühling hatte längst auf Sümpfen und Strömen die Eiskruste des Winters gebrochen und das frische Grün sproßte überall hervor. Die weiten monotonen nur selten von Hügel und Wald unterbrochenen Niederungen der Theiß, nach ihrer Verbindung mit dem Körös, breiteten sich vor den Blicken aus, ein unübersehbares Gebiet von Steppen und Sümpfen, jetzt meilenweit überschwemmt durch die Gewässer, die der schmelzende Schnee der Karpathen in den flachen trägen Strom ergoß.

Scharen wilder Enten bedeckten die Wasserfläche der Sümpfe, die Schnepfe strich über das Geröhr, der Strandläufer hüpfte von Scholle zu Scholle und die Rohrdommel ließ im dichten Schilf ihren weithin hörbaren Ruf erschallen.

Wie eine Schildwache stand der große Fischreiher auf seinem hagren langen Bein, die andere Klaue unsichtbar fest unter den grauweißen Leib gezogen, den langen Hals tief zwischen die Schultern gedrückt, das Auge fast geschlossen. Aber wehe dem Fisch, der sich, von der unbeweglichen Gestalt getäuscht, in seine Nähe wagt. Der Hals schnellt vorwärts, der lange Schnabel streckt sich aus, und der Bewohner des anderen Elements wird der schützenden Tiefe entzogen und verspeist.

Und jeden Augenblick wiederholt sich das Schauspiel, denn kein Fluß Europas ist so fischreich, wie die Lagunen der Theiß, und selbst Seefische, Störe, Hausen und riesige Lachse, treten durch die Donau herauf in den Strom und laichen in dem schlammigen, ruhigen Gewässer.

Die Zahl der Wasservögel ist unermeßlich; ihre über den weiten Feldern von Rohr und Schilf dahinschwirrende Masse gleicht oft einer ewig wechselnden, schnatternden, pfeifenden, krächzenden Wolke.

Dort, wo sich aus dem Sumpf in leichter Anschwellung der Boden zur unermeßlichen Savanne hob, galoppierte eine Herde wilder Pferde über die Fläche, der braune Roßhirt hinter ihnen drein, die Peitsche hochgeschwungen, die kräftigen, kaum bis zum Knie von elender Wollenhose bedeckten Beine fest an den Leib des sattellosen Hengstes gedrückt, den sein wilder Zuruf mehr lenkte, als der Strick, der den Zügel bildete. Unter dem braunen, niedern Hut mit den breiten Rändern flatterte das lange, glänzend schwarze Haar, der braune Mantel von Filztuch, die einzige Tracht über dem schmutzig grauen Hemd, wehte im Winde.

Zur Tränke an einer der sumpfigen Lachen ging die wilde Jagd, vor der Ente und Kiebitz erschrocken in die Höhe stiebten und die Luft mit ihrem Gekreisch und Geschnatter erfüllten.

»Grüß' Di Gott, Rózsa! Kommst zur Schenke, wenn's Mittag macht?«

Der wilde Reiter schwenkte bejahend den Hut. »Hui, Szabó – werd' dort sein! Muß tanzen heutigen Tages!« Der Schweinehirt am Hügel, an dem weit zerstreut bis zum Rande des Weidenbusches die borstige Herde von mehr als tausend Stück lagert, sank zurück in den Schmutz. Es waren, so weit das Auge trägt, die beiden einzigen menschlichen Gestalten der Pußta.

Doch dort – am Horizont, nach Westen hin, wo die Erle und später die einsame Tanne den Horizont zu säumen begann, kräuselte sich Rauch in die blaue Luft, das freundliche Zeichen der Nähe des Menschen.

Zwei ungarische Meilen vom Rande der Sümpfe entfernt zeigte sich der Boden etwas fruchtbarer und ergiebiger. Nicht daß er das freundliche Ansehen der Umgebung eines deutschen Dorfes getragen hätte, keine Spur von Getreidefeld und solidem Ackerbau, aber zwischen den Fichten, die sich dichter und dichter erheben, zeigten sich einzelne Zeichen des dürftigen Anbaues, die langen Furchen eines Kukuruzfeldes mit den sprossenden Stengeln. Trockener und sandiger ward der Boden, je weiter man kam, eine Art von Weg wand sich durch die Fichten, eine vereinzelte Tanya zeigte sich im gerodeten Raum zwischen den Stämmen, eine Strecke weiter eine zweite, dann in der Lichtung des Gehölzes eine ganze Fala, eine Reihe von Hütten und Häusern, im Kreise weit von einander gebaut, ein ungarisches Dorf.

In der Mitte des Platzes erhob sich die Kirche, klein, aber stattlich, von Ziegelsteinen erbaut. Der Magnat hatte sie von einem Baumeister aus Wien vor fünf Jahren erst errichten lassen statt der alten moscheeähnlichen Kapelle, deren Gemäuer, noch aus der Türkenherrschaft stammend, in weiten Sprüngen auseinanderklaffte. Damit hatte er seinem Gewissen für irgend eine wilde That und den Humanitätsprojekten der Regierung Genüge geleistet, und das Kirchlein von Telek war weit und breit als eine besondere Herrlichkeit verschrieen. Die Schule? was kümmerte ihn die Schule? Der Bauer hat zu gehorchen – lernt er das, ist's gut!

Zwei Gebäude standen sich gegenüber an den Seiten der Kirche, das eine die Schenke, das andere, lang gedehnt, einstöckig, von Lehm und Holz errichtet, mit den Schoben der nahen Sümpfe gedeckt, die Kaserne, denn es lag einer der Posten im Dorfe, welche die Regierung über das ganze Land zerstreut hatte. Wie kam das kleine Detachement hierher? Vielleicht hatte das Gouvernement seine besonderen Ursachen gehabt, vielleicht traute man dem vornehmen Adel der Umgegend nicht besonders; vielleicht, daß das wachsende Unwesen der Bethiáren die Gegend allzu unsicher machte, oder die Steuern und Zehnten schlecht eingingen, oder man einen Sammelplatz für die Werber brauchte. Jedenfalls war hier ein Hauptmann vom Banater Regiment Erzherzog Albrecht mit zwanzig Mann und drei Gendarmen stationiert, während in der Runde von zehn Meilen mehrere kleinere Posten unter seinem Befehl standen.

Die Soldaten lungerten vor dem langen Gebäude umher; nur einer oder zwei saßen drüben in der Schenke, denn es war nicht viel Freundschaft zwischen der slavischen Rasse und den Magyaren, und die neueren Ereignisse, die Stellung, welche der Banus Jellacic der ungarischen Bewegung gegenüber einzunehmen begann, vergrößerte die Spannung immer mehr.

Die Soldaten waren hagere sehnige Gestalten mit dunklen Pandurengesichtern, der pechgewichste Schnurrbart, unter dem die weißen Zähne wie die eines Raubtieres hervorblitzten, hing in dünnen Strähnen bis auf die Brust herab oder war hinten am Kopf um die langen fettglänzenden Haare zusammengebunden, die unter der hohen schwarzen Mütze straff niederfielen. In den roten Mantel gehüllt, die kurze Pfeife im Munde, lagen sie vor der Thür, dem Würfelspiel zweier Kameraden zuschauend, oder dehnten sich an der Wand im Sonnenschein. Selbst die Wache lehnte sorglos auf der Mündung der langen Flinte, ohne sich um das Treiben auf dem Platze sonderlich zu kümmern.

Über den Platz selbst aus dem Fichtenwald von Szegedin her lief ein ziemlich gut erhaltener Fahrweg an der Reihe der Tanyen entlang und führte, um einen Vorsprung des Waldes biegend, einen Hügel hinauf, von dessen mäßiger Höhe in der Entfernung von kaum fünfzehn Minuten vom Dorfe ein stattliches, halb altertümliches Gebäude herabsah. Zwei viereckige Türme, noch aus der Feudalzeit mit Mauern von kolossaler Dicke und crenelierten Zinnen versehen, verbunden durch einen eben so festen, etwa fünfzig Schritt langen Mittelbau, bildeten den Hauptteil. Jahrhunderte alter Epheu mit Stämmen, so dick wie ein Mannsschenkel, bekleidete hoch hinauf bis zu den Zinnen das rotgraue Gemäuer mit seinen Bogenfenstern, Erkern und Altanen, und seltsam, wie bunte Schleifenzier an einem alten stählernen Brustharnisch, nahm sich die moderne, mit grünen Gewächsen und frühen Blumen besetzte, zeltartig überspannte Veranda aus, die vor dem Mittelgebäude zwischen den Türmen hinlief, und aus der breite Marmorstufen zu der Auffahrt niederführten, deren steinerne Rampe mit vergoldeten Statuen geschmückt war. Rechts und links an die Türme, im stumpfen Winkel vorspringend, lehnten sich zwei Flügel, ganz im modernen Geschmack erbaut, und die abstechenden Formen und Farben machten in der That einen eigentümlichen Eindruck.

Der Fuß der teils zu einem Rasenplatz, teils zu einem weiten Hof umgeschaffenen Anhöhe war mit weitläufigen Pferdeställen umgeben, an die sich zu beiden Seiten andere Wirtschaftsgebäude anschlossen, zum Teil in der besseren Jahreszeit von mächtigen Nußbäumen verdeckt, von denen von der Einfahrt ab eine stattliche kurze Allee bis zum Einschnitt des Schloßweges in die allgemeine Heerstraße lief.

Überhaupt schien, so wie man um die Ecke der Föhrenwaldung gebogen war, die Gegend wie mit einem Zauberschlag eine andere geworden. Die breiten Gräben, welche früher die Anhöhe der alten Feudalburg umgeben hatten und aus den Lagunen der Theiß gespeist worden waren, waren ausgefüllt mit fruchtbarem Erdreich; an das Schloß selbst lehnte sich ein weitläufiger Park, und rechts und links auf dem leicht emporsteigenden Gelände zeigten sich große Weingärten, jetzt freilich noch dürr und öde, aber bald ein grüner Schmuck der Gegend.

Das Schloß und das Land umher, obschon viele Nemesembereks oder magyarische Freibauern darauf wohnten, gehörte meilenweit einem der reichsten und stolzesten Magnaten Ungarns aus der Familie Pálffy, und die beiden Fahnen von den Türmen, zur Linken die mit den österreichischen Farben, schwarz und gelb, zur Rechten die mit dem Wappen des Besitzers in den ungarischen Nationalfarben, grün, weiß und rot, verkündeten die Anwesenheit des Herrn.

Der Sonntag Lätare, ein bei allen slavischen und mit den slavischen Stämmen verbundenen Völkern noch immer mit mancherlei alten Gebräuchen und abergläubischen Ceremonien verbundener Tag, zusammenfallend mit der Mietsdingung, hatte den Platz vor der Kirche und die Tanyen mit einer fortwährend sich mehrenden bunten Menge gefüllt, die nach dem beendigten Gottesdienst jetzt der ungebundensten Fröhlichkeit sich überließ. Jeden Augenblick kamen im wilden Jagen die leichten Korbwagen der umliegenden Tanyenbesitzer an, die Chikós stehend auf der Deichsel, die lange Peitsche oder den breiträndrigen Hut schwingend, die drei oder vier kleinen langmähnigen Pferde im tollsten Galopp und dennoch so geschickt gelenkt, daß mitten zwischen den Gruppen und fliegenden Buden kein Unfall geschah; reiche Bauern in der kleidsamen magyarischen Tracht mit über das Flechtwerk des Wagens herabhängenden Beinen; auf den Sitzen von Maisstroh Frauen und Mädchen, heiter lachend und winkend. Stattliche Bursche galoppierten hinterdrein oder voraus, neben dem wohlhabenden Bauerssohn der wilde Hirt der Pußta. Vor der Schenke oder einer Tanye, deren Besitzer befreundet oder verwandt, hielten Wagen und Reiter, lustigen Willkommen brachte der Hausvater mit dem Steinkrug in der Hand, das Eljen auf den Lippen; die Frauen begrüßten sich, die Mädchen strichen ihre Zöpfe und bewunderten gegenseitig den reichen Putz der eingeflochtenen Gold- und Silbermünzen und der langen Flitternadeln.

Zehn Mundarten mehrten die Verschiedenheit. Durch das bunte Gewühl schritt stolz der Magyare, den anliegenden blauen Dolman, die fest bis zum Knie schließenden Beinkleider von gleicher Farbe mit schwarzen oder weißen, zuweilen auch silbernen Schnüren und Tressen in endlosen Schnörkeln besetzt, die schwarze Weste mit hundert silbernen Knöpfen verziert, um den Hals leicht das Seidentuch geschlungen, im Mund die kurze Pfeife. Sporen klirrten an den Fersen der blanken Cismen oder Stiefel. Der Szekler in seiner phantastischen Tracht, der Walache in dem weißen zottigen Mantel von Ziegenhaar, die viereckigen Beinkleider gleich den Calzoneras der Mexikaner geschlitzt; der Hirt aus den Szegediner Pußten mit dem weißen Szür oder Bauernpelz und den weiten Gatyen, dem Beinkleid; der gewandte listige Jude oder Grieche durch die Gruppen der Männer und Frauen sich drängend, überall schlecht vergoldete Ketten und Uhren, Tombakschmuck mit blitzenden Steinen, Bänder, Nadeln und Zwirn anbietend; der deutsche Fuhrmann in seinem blauen Kittel, der die zur Seite stehenden hochbeladenen Frachtwagen hinauf führen wollte aus dem Banat nach Buda-Pesth, oder sein Landsmann, der wohlhabende Schafzüchter aus den deutschen Kolonieen in Siebenbürgen; der Kroat mit dem listigen frechen Gesicht; alles drängte sich schreiend, lärmend, lustig durch einander. Sorgfältig wich der arme Slowak in seinem teergetränkten Hemd, den braunen, von Lederstücken zusammengehaltenen Mantel um die Schulter gezogen, der lustigen Menge aus; er ist der Paria unter den bunten Stämmen, deren fleißigster, ewig bereitwilliger Arbeiter er doch ist, und selbst der braune Zigeuner, der vor seiner Schmiede die Pferde beschlug, die ihm in großer Anzahl zugeführt wurden, wendete verächtlich den Kopf ab, wenn er ihn vorüber schleichen sah.

Vor dem Wirtshaus standen unter dem großen Nußbaum mit den knospenden Blättern Tische und Bänke, denn die Zahl der Zechenden hatte in dem langen niedern Gebäude selbst bei weitem nicht Raum gefunden. Ein Faß Szegediner Landwein lag an der Wand auf einem Balkenlager, und die Wirtin und ihre Tochter waren beschäftigt, fortwährend den Hahn zu drehen und Krug auf Krug einzuschenken, die über die Köpfe der Umdrängenden fortgereicht wurden. An den Tischen, auf den aus Tonnen, Schemeln und Brettern improvisierten Bänken saßen die älteren Bauern, die Inhaber und Pächter der Tanyen, die Fuhrleute und Viehhändler, schwatzend von Krieg und Frieden, von der neuen Regierung, die über Ungarn gekommen, den letzten Raubzügen der Betyáren und Raizen, oder der drohenden Haltung und der Grausamkeit der Kroaten an der Grenze des Banats. Mancher drohende, grollende Blick flog dabei hinüber nach dem Wachthaus und den lungernden Panduren, mancher laute Fluch in der an scheußlichen Verwünschungen so reichen magyarischen Sprache scholl keck und herausfordernd aus dem Kreise der Zecher.

Am Baum, auf der natürlichen Estrade eines leeren Stückfasses und zweier mächtigen Kiefernkloben hockte ein wunderliches Orchester, vier Zigeuner, der eine den schweren Cymbal schlagend, zwei andere auf der Geige spielend, während der vierte die melancholische Flöte blies. Das war keine Musik nach Noten und Takt, wie wir sie kennen; kaum eine Melodie zu nennen, wenn nicht etwa die Instrumente sich zu einem kecken Nationaltanz vereinten. Sie machte den Eindruck einer wilden Improvisation, ein Instrument folgte dem andern, nahm ihm die erste Stimme ab, änderte den Takt, den Rhythmus, die Melodie, ging in eine andere Tonart über, und dennoch kein Mißton, kein störender Akkord, kein falscher Griff. Wenn die Flöte, erschöpft von den grellen oder klagenden Tönen, inne hielt oder zu langsamerem Tempo überging, wenn sie in leise verhallendem Ton zu enden drohte, dann rissen die kräftigen Bogenstriche der Geiger sie wieder fort zu neuen Anstrengungen. Man muß diese sinnverwirrenden, berückenden Töne, diese scharfen, in die Seele schneidenden Akkorde gehört haben, um ihre Wirkung auf die träumerischen und doch so kräftigen slavischen und magyarischen Naturen zu begreifen.

Noch war es nicht an der Zeit für den Tanz, und die jungen Bursche und stattlichen vollbusigen Mädchengestalten umstanden daher nur lauschend die Musik oder brachen bei einer lustigen Tanzmelodie in laute Eljen aus und schlugen die Fersen im Takt zusammen. Kreuzerstücke, ja blanke Zwanziger flogen in die Schellentrommel, mit der die junge Zigeunerin – fast ein Kind noch und trotz der raschen Entwickelung dieser Volksstämme erst an der Grenze der Weiblichkeit – zwischen dem Gedräng sich umherwand, die runden brennenden Augen bald sehnsüchtig bittend, bald neckisch herausfordernd in die Augen der Männer tauchend. Die Mädchen lauschten den geheimnisvollen Aussprüchen der alten Hexe, die ihnen aus der Fläche der Hand blanke Husaren und reiche Tanyenbesitzer oder gar einen prächtigen Edelmannssohn zum Geliebten versprach, Weinberge und Land und das Haus voll Kinder. Ein langer, brauner Zigeunerkerl verkaufte Salben und Amulette, die gegen das Melonenfieber, das Verschlagen der Pferde und die Hartherzigkeit der Geliebten gleich sicher helfen mußten; fliegende Garküchen schmorten im Fett die Kolben des Kukuruz oder reichten das gekochte Fohlenfleisch, Collacz und brennende Paprika, die jedes andern Menschen Schlund, als den eines Ungarn, wie Oleum versengt haben würden. Verkäufer von scharfem Slibowitza, dem Branntwein aus Pfirsich- und Pflaumenkernen, hatten ihren Kram an verschiedenen Stellen aufgeschlagen, und der Roß- oder Schweinehirt, der den Kreuzer für das Maß Wein nicht aufzubringen vermochte, der sparsame Chopaki oder der des Getränkes gewohnte Walache holten hier ihre Herzstärkung.

In der großen, reinlich geweißten Schenkstube, deren Wände mit den hoch bis zur Decke aufgetürmten Federbetten, Heiligenbildern, Krügen und Flaschen geschmückt waren, saß um die roh gezimmerten Tische, über denen zahlreiches Zinn- und Irdengeschirr aufgehängt war, stattliche Gesellschaft, die freien Wirte und Tanyenbesitzer des Dorfes, den grauen Schnurrbart streichend, den Weinkrug vor sich, den Négryóckri-Joseph, der kluge Wirt, nie leer ließ. Am Ende des größten Tisches, gleichsam der Gesellschaft präsidierend, saß ein alter Husaren-Wachtmeister in Dolman, Kaipak und Pelz, den Säbel zwischen den Füßen, und führte das große Wort, während seine schwarzen Augen mit jugendlicher Frische nicht allein im Gemach, sondern durch das offene Fenster, an dem er saß, auch draußen umherfuhren und die kräftigen Gestalten der jungen Bursche auf dem Platz mit schlecht verhehltem Interesse maßen.

» Kutialelki erdök! Der Teufel soll mein Eingeweide holen,« sagte er lustig, indem er sich den Wein aus dem gewichsten Schnurrbart strich, »nenn' sich das Soldaten. Hunde! Spricht ehrlicher Husar nicht mit den roten Kerls. Glaubt Ihr vielleicht, König von Hungarn wolle aus seinen Kindern solche rote Burschen machen, die zu nichts gut, als zum Totschießen? Nix da! ein ungarischer Bursch muß werden Husar, wie ich bin!«

»Bist auch was Recht's geworden in diese Jahre viele, daß gezogen bist mit den Werbern davon, Bruderherz!« meinte einer der Bauern.

Der Husar schoß einen bösen Blick auf ihn und richtete sich zu seiner vollen Höhe empor. »Was weißt Du vom Soldatenstand, János,« sagte er rauh, »bist geblieben zu Haus, als die Trompeten haben geblasen, und unsere Säbel dem Franzos gemacht das Garaus. Hast Mädel meiniges gefreit und sitzest auf Haus und Hof, während ich, Andreas Paláczi, mich hab' getummelt nun fünfunddreißig Jahr im Sattel. Bin ich geworden Wachtmeister, is sich das nix? Hab' ich niemals bereut, wenn ich auch hab' gedacht an der Wanka schwarze Augen.

»Vom Rößlein zum Tanz,
Und vom Tanze zum Wein,
Und vom Weine zum Mädel,
Husar muß man sein!«

Der alte Soldat schwang den Weinkrug. »Is sich keine Courage mehr in ganz Hungarnland. Wenn der Kaiser-König Soldaten braucht, wer anders kann ihm helfen, als braves Volk von Arpáds Stamm?«

»Eljen Hungaria!« klang es im Kreise, und die Krüge stießen an einander, daß die Scherben flogen und der Wein über den Tisch floß.

» Teremtete! Es sein alles ganz gut,« meinte der widerspenstige Tanyenbesitzer, »aber die Swabi in Wien halten nicht, was sie dem Ungarisch-Mann versprochen. Bassa manelka! Du kommst nicht umsonst hierher, ich kenne Dich! Warum willst Du holen unsere Söhne, wo nicht ist Franzos unser Feind?«

»Der Franzos nicht unser Feind?« höhnte der Husar. »Dummkopf, der Franzos ist allemal Feind von Kaiser in Wien und ein nichtswürdiger Heide, schlechter als Jude und Türk'!«

»Das ist nicht wahr! Mutter meiniges möge verschwarzen, wenn wahr ist, was Du sagst.« Der Bauer schlug mit der Faust auf den Tisch. »Bin ich nicht gewesen in Buda-Pesth vor Tagen zehn? hab' ich nicht gehört mit diesen Ohren, daß Franzos ist unser Freund? Hat gejagt die Swabi zum Teufel und is frei wie Ungarland, wenn ihm sein Recht wird! Wer hat gemacht, daß wir haben Reichstag in Pesth, als unser Freund Franzos?«

Der Wachtmeister sah sich finster um, seine Augen hafteten auf einem großen Mann im Pelz am nächsten Tisch, der ihm den Rücken kehrte. »Ich weiß,« sagte er heftig, »daß die Fremden umgehen im Land und verführen ungarisch Blut. Kommt davon, daß in Pesth die Aktendrescher sitzen an Ständetafel und schimpfen auf König und Ordnung. Aber der Teufel hole ihre Hundeseelen und alle schurkischen Rebellen mit ihnen tausendmal in die unterste Slowakenhölle.«

Der Mann im Pelz stand auf und trat zu dem Tisch des alten Soldaten; er schien den Augenblick für günstig zu halten, sich ins Gespräch zu mischen.

Es war ein großer stattlicher Mann in ungarischer Nationaltracht, im Dolman und den Mente oder Pelz auf der linken Schulter. Unter dem niedern breitrandigen Hut hervor, von dicken Brauen gedrückt, funkelte ein lebhaftes Auge.

»Wenn Ihr es auf die neue Regierung münzt, Wachtmeister,« sagte er mit bestimmten Ton, »so thut Ihr Unrecht. Seid selbst ein Ungar, und solltet Euch freuen, daß Männer aufgetreten, die dem Volke ihr Recht schaffen. Hat nicht der König selbst in Wien es anerkannt, daß Ungarn bitteres Unrecht geschehe, und die neue Regierung eingesetzt? Das sind Männer nach unserm Herzen! Der Bauer soll auf seinem Lande frei sein vom Robot! Wie der Geringsten einer soll der stolze Magnat seine Steuern zahlen, statt des Landes Mark zu saugen. Haben mir nicht ein Recht, mitzusitzen und mitzusprechen, wie die Herren selber – kostet es nicht unser eigen Hab und Blut? Warum sollen die freien Magyaren den Decem zahlen an faule Pfaffen und herrische Edelleute? Wenn Ihr echte Söhne seid voll Arpáds Stamm, nicht schlechte Serben und Slowaken, so ruft einen Eljen den Männern, die dem Vaterlande Ruhm bringen und uns das Recht freier Männer! Eljen Kossuth! Eljen Batthyányi!«

Und »Eljen Kossuth! Eljen Batthyányi!« donnerte es aus fünfzig Kehlen, und der Ruf pflanzte sich fort durch die Menge auf dem Platz.

Selbst der alte Husar hatte mitgetrunken und gerufen; galt es doch dem Vaterlande, der Nation, die jedem Ungarnherzen so teuer sind, und noch war nichts gesprochen, das seinen Soldatengeist oder den Gehorsam gegen den Kaiser beleidigte. Aber schon die nächsten Worte belehrten ihn, was das Ziel des Fremden war.

»Sollen wir Ungarns Jugend, unsere Söhne und Brüder ziehen lassen zum Dienst der Swabi Kälber, der slowakischen Ziegen, oder der kroatischen Eichelschweine? Was gehen uns die Händel der Deutschen in Wien an? Der Ungar möge in Ungarn bleiben und dem Wolfe die Zähne zeigen, wenn er kommt!«

Der Wachtmeister strich sich grimmig den Bart und stieß wild seinen Krug auf den Tisch. » Teremtete!« fluchte er. »Wann hat sich je ein Ungar gefragt, warum ziehen den Säbel für König-Kaiser, wenn ist Krieg? Echter ungarischer Husar immer bereit, zu schützen das Kaiserhaus!«

»Das ist wahr,« riefen die Männer. »Ein Eljen für den König!«

»Wo wäre denn der Krieg?« fuhr der Lange wieder höhnisch nach dem dreimaligen Hurra fort. »Warum sollen wir werben lassen für den Frieden? Es ist ein altes Recht der pragmatischen Union, daß die ungarischen Soldaten nur im Fall eines Angriffs auf das Reich zum Kriege gebraucht werden dürfen und beim Frieden zurückkehren sollen in die Grenzen des Landes. Statt dessen sehen wir die rotmäntligen Diebe hier und unsere Söhne draußen im Reich.« Er wies nach der Pandurenwache gegenüber.

»Nicht Krieg? was weiß Kerl wie Du davon?« zürnte der alte Soldat. »Kaiser brauchen tapfere Ungarn, um Nudelfresser in Italien zu hauen. Sind sie noch schlechter als Franzos, wollen sie machen heilige Vater unser kaput!« Er schlug andächtig ein Kreuz, der größte Teil der Anwesenden, zur katholischen Kirche gehörig, folgte seinem Beispiel, und die Meinung neigte sich stark auf seine Seite.

»Unsinn!« sagte der Fremde; »niemand will dem Papst etwas thun. Aber Freiheit wollen die Italiener so gut, wie wir. Oder hat jedes Volk nicht etwa das Recht auf seine eigene Sprache, seine Sitte und sein Land? Warum will man die Italiener knechten, wenn sie Italiener sein wollen?«

»Sind sich Rebellen verfluchte,« schrie hitzig der Husar. »Müssen lernen gehorchen, wenn Kaiser sagt, thu' dies, thu' das! Können nicht sein eine Nation wie wir, weil keine Ungarn sind, und wir ihr Land erobert für den Kaiser. Den Teufel auf Dein Maul! Komm her, Bursch'!« Er winkte einem Mann, der demütig eben zur Thür hereinschaute, als suche er jemand, und sogleich sich wieder vor den gestrengen Magyaren entfernen wollte.

»Hierher, sag ich Dir – komm hierher!«

Der Angeredete trat schüchtern herein und näherte sich, den Hut in der Hand, dem alten Soldaten.

Es war der Schweinehirt vom Ufer der Theiß, in der ärmlichen Tracht der Slowaken, obschon er eine besondere Sorgfalt auf sie verwandt und zum Fest seinen besten Sonntagsstaat angezogen hatte, ein neues Hemd und einen weniger zerlumpten Mantel.

Trotz der ärmlichen Kleidung und der demütigen Haltung war der Mann eine stattliche Erscheinung. Er mochte etwa zweiundzwanzig Jahre zählen und war, wie die meisten Slaven, von hoher schlanker Statur, aber sehnig und kraftvoll. Aus seinem edelgeformten braunen Gesicht sprang die schmale Nase kühn gebogen hervor. Die großen Augen waren jetzt demütig zu Boden gerichtet, aber wenn er zufällig den Blick hob, lag in dem ganzen Wesen des Burschen, trotz der anerzogenen Scheu und Demut, eine gewisse wilde Energie und Kraft.

»Wie heißest Du?«

»Szabó Herr Husar,« lispelte der Hirt. » Szabó Palkó, ein armer Slowak, Herr!«

»Es ist der Schweinehirt von der Tanya des Paul Mészáros,« sagte einer der Anwesenden.

»Es ist ein Slowak,« verächtlich ein andrer.

» Tót nem ember!« Ein magyarisches Sprichwort: Der Slowak ist kein Mensch!

»Richtig, Bruderherz! Nun denkt Euch,« fuhr der Wachtmeister fort, der dabei heimlich die Gestalt des Hirten mit Kennerblicken wohlgefällig musterte, »denkt Euch, wenn dieser Bursche, der nicht viel besser ist, als das Vieh, das er hütet, jetzt plötzlich käme und zu Euch spräche: ›Ich bin ein Slowak und habe Rechte gleichigte, wie der Magyar. Ich will sein frei und nicht mehr dienen dem Magyar, sondern sitzen in der Tanya. Der Magyar soll reden meine Sprache, ich nicht die seinigte. Ich will werden Herr in dem Land, weil ich geboren in dieses, und der Magyar soll dienen mir als Hirt, wie ich gedient ihm.‹ Was würdet Ihr sagen dazu?«

Ein höhnisches Gelächter erscholl ringsumher – das war ein Gedanke, den ein Magyarengemüt nie im entferntesten auch nur geträumt, und selbst der arme Mensch, der den Gegenstand des Hohns bildete, fühlte sich ganz unheimlich bei solcher Idee.

» Istem teremtete! Is sich denn etwas Besseres ein lombardischer Citronenfresser als ein slowakisches Schwein?« triumphierte der Soldat. »Steht nicht Dein Sohn, Mihál Gábor, als guter Grenadier in des Kaiser-Königs Stadt Mailand, und soll sich kommandieren lassen von Italiener lumpigen? Pfui über den Dummkopf, der daran denkt, und nicht schlagen will für Königs und Swabi-Kaiser sein Land!«

Die treffliche Logik des alten Soldaten that ihre Wirkung. Der Gedanke, daß ein Slowak politische Rechte fordern könne, bewies ihnen klar, daß die Italiener nicht den geringsten Anspruch auf Freiheit hätten, und die trotz des Deutschenhasses seit Jahrhunderten gehegte und mit Strömen von Blut bewiesene Liebe zum Kaiserhause war noch nicht so untergraben, daß der Gedanke, für das Recht ihres Königs zu fechten, sie nicht hätte begeistern sollen.

Jeder Magyar ist ein geborener Soldat, der Krieg ist sein Leben, der Sattel des feurigen Rosses der Platz, wo der Ungar sich am liebsten sieht! Der Magyar ist nicht für die Arbeit geschaffen: das Handwerk von der Feueresse bis zum Fidelbogen für den Zigeuner, der Handel und die Industrie dem Deutschen und dem Griechen, der Schacher dem Juden und die Feldarbeit dem Slowaken, aber dem echten Magyaren für den Ernst der Krieg, für die Lust der Tanz!

Der kluge Sieger im Wortstreit schwang den Krug. »Wein her, Négryóckri-Joseph! Gutes Getränk fließen sich besser durch die Kehle bei Denkspruch fein. Ein gutes Weib, ein hübsch Madel, ein scharfer Säbel und ein tüchtiger Fluch! Bassa manelka! Unser König braucht Soldaten und der Ungargott soll die Hundeseele eines Edelmannes in den stinkendsten Sumpf verwandeln, der seinem Sohne nicht gestatten will, für sein Land und seinen König zu reiten!«

Auf einen Wink von ihm am Fenster – der Wachtmeister schien sich trefflich mit den Zigeunern zu verstehen! – stimmte die Musikbande draußen den Czardas, den wilden Kriegstanz der Magyaren, an; die Bauern tranken dem listigen Vorläufer der Werber zu und versprachen, nichts dawider zu haben, wenn ihre Söhne den Kalpak nähmen; der Fluch, den der alte Soldat darauf gesetzt, duldete bei einem Edelmann, wie jeder Freibauer sich selbst nennt, ohnehin keinen Widerspruch, und ein allgemeines Eljen sprach den Beschluß aus, keine »väterliche Hundeseele« sein zu wollen.

Der Wachtmeister hatte unterdes den Slowaken zur Seite gewinkt. »Du kannst jetzt gehen, Szabó,« sagte er, »aber halte Dich in der Nähe. Du scheinst mir kein solches Vieh zu sein, wie Deine Brüder, und ich habe Lust, Dich glücklich zu machen!«

»Ich danke Dir, Herr!« stöhnte der Slowak. Er ahnte, was kommen solle.

»Jetzt geh'! ich werde später mit Dir reden, denn ich habe hier noch einen auf dem Korn.« Aber der alte Soldat sah sich vergeblich nach seinem Gegner von vorhin um, während der Slowak davon schlich; der fremde, im Dorfe unbekannte und wahrscheinlich zum Gefolge der Gäste auf dem Schloß gehörige Magyar hatte sich, fluchend über den Knechtssinn seiner Landsleute, wie er es nannte, entfernt und draußen in der Menge verloren.

In dieser stieß auch der Slowak bald auf einen Bekannten. Es war der wilde Roßhirt, der am Morgen in der Pußta an ihm vorbeigaloppierte. Szabó betrachtete ihn mit ängstlich besorgtem Blick und sah sich scheu um. »Siehst nach den Gendarmen, Söhnchen?« lachte leise der Blasse, denn das Gesicht des Hirten, sonst gutmütig und freundlich, nur von einem durchbohrend scharfen Auge belebt, war von dunklem, aber auffallend bleichem Teint. »Bah! was kümmern sie mich! Schlage ihnen ein Schnippchen oder jage ihnen 'ne Kugel durch den Wanst. Keine Million Teufel soll mich hindern, mich zu vergnügen und mit meinem Weibe zu tanzen.«

»Um Gott! Nózsa,« flüsterte der Schweinehirt. »Sei nicht zu dreist, Du hast Feinde überall, und viele kennen Dich.«

Der Mann im weißen Szür, dem zottigen Bauernpelz, rollte zornig das dunkle Auge. »Hund von einem Slowaken! hüte Dich, meinen Namen auch nur zu denken. Du willst nicht der unsre sein, so bringe uns auch nicht in Gefahr, oder es möchte Dir schlimm ergeh'n!«

»Der Slowak verrät niemand,« entgegnete leise der Bursche, »aber er mag auch nicht rauben und plündern. Nur wer ihm Böses thut, den haßt er, und Du hast Dein Brot mit mir geteilt, als arme Mutter mein vor Hunger sterben wollt.« Er machte eine Bewegung, als wolle er dem anderen die Hand küssen, der aber zog sie rasch zurück. »Das hast Du mir reichlich vergolten im letzten Winter, als Du Dich zwischen mich und den Bären warfst, da meine Flinte versagte. Aber sei unbesorgt, Abrahám ist bei mir, und der Wirt der Schenke ist unser Freund. Die treuen Flinten sind bei ihm versteckt. Katharina belauert die Spitzbuben von Gendarmen, denen die weißen Raben die Eingeweide verschlingen mögen. Ich muß hier bleiben, denn ich hab' ein Geschäft wichtiges hier!« Der Betyár, denn ein solcher war er offenbar seiner Rede nach, nickte ihm kurz zu und ging nach der nächsten Slibowitza-Bude, der Slowak aber schlich bescheiden weiter aus dem Gedräng, als eine von der Arbeit harte, aber dennoch für ihn in ihrem warmen Druck liebe und weiche Hand die seine faßte.

»Tanzest Du heute mit mir, Szabó? Du bist ja so stattlich geputzt in der blauen Gatya und der Bunda, Dem Schafpelz. daß Hanka Dir Ehre anthun muß!« neckte eine freundliche Stimme. Er sah die, welche er so lange im Gedräng gesucht, mit einer Freundin an seiner Seite und nahm sie in seinen Arm. »Die Heiligen segnen Dich, herzallerliebstes Kind, und lassen es Dir wohlgeh'n! Mein Auge schweifte nach Dir. Nur wenn ich Dir ins Angesicht sehe oder den blutigen Wolf zu Boden schlage, fühl' ich mich glücklich, und eine schwere Wolke der Sorge drückt heute mein Herz, wenn Szabó so schön Dich schaut, schöner als all die stolzen Magyaren-Dirnen in ihrem Putz!«

In der That war das Mädchen vor ihm in ihrer malerischen Tracht eine liebliche Erscheinung. Sie besaß all jenen melancholischen züchtigen Reiz, den die Slavenschönheiten zeigen, und der ihre so unklassische Gesichtsbildung oft so interessant macht. Frische Lippen und schöne Zähne erhöhten den Ausdruck von Unschuld und Freundlichkeit, der sich auf diesem Gesicht ausprägte, und blonde, üppige Haarzöpfe umkränzten es. Das slowakische Vogelnest, die Parta, ein golddurchwirkter zollbreiter Streif von schwarzem Sammet, krönte sie, hinten am Haar befestigt. Ähnlich den Magyaren-Mädchen trug die junge Slowakin den kurzen, weiten, faltigen Rock und die Jacke von grünem Halbtuch, die unter dem roten, mit Schnüren besetzten Mieder durch einen langen, mit Fransen besetzten Gürtel zusammengehalten wurde. Ein Pelz, mit dem wertvollen Felle des Luchs ausgeschlagen, eine Zierde, die sich nicht verdient zu haben, selbst dem ärmsten Mädchen zur Schande gereicht, da der Geliebte ihn als Jagdbeute bringt, hing von ihrer Schulter.

Wenn der Sonntagsstaat des armen Slowaken-Mädchens auch von groben Stoffen und statt der Silberfranzen und Troddeln der reichen Tanyatöchter nur mit wollenem Band verziert war, so kleidete er doch reinlich und zierlich die nicht große, aber üppig kräftige Gestalt.

»Szent-Elisabeth! was ficht Dich an, Szabó? ich glaubte Dich lustig zu finden, weil ich mich um Deinetwillen geputzt mit der Bunda, die Du mir geschenkt, statt die schönen Gulden für unsern Haushalt zu bewahren, und nun schaust Du finster, wie das Gewitter, wenn es von der Donau daher zieht. Sprich, was ist Dir begegnet?«

»Dachtest Du nicht daran, daß heute ist Latäre,« sagte der junge Mann traurig, »daß der Herr wählt die Mädchen und Du zwei Jahre dienen mußt, wenn sein Auge auf Dich fällt, statt daß am Sankt Bonifaciustage lustige Hochzeit ist? Ich möcht', Du wärest in Deinem Rock von Halinatuch geblieben, statt aufzuputzen Dich, wie der Auerhahn, wenn er zur Beiz geht.«

»Ei, sei nicht unwirsch, Szabó,« lachte das Mädchen. »Der gnädige Graf und der Verwalter wissen, daß die kleine Hanka ein arm' Slowaken-Mädel ist und in des Herrn Garten arbeitet mit ihrer Mutter für die kleine Hütte und das Hirsefeld, das man uns läßt. Giebt's doch viele Dirnen von ungarisch Blut, die gern die Menscher werden auf dem Schloß. Wer fragt nach der Verachteten!«

»Weiß nicht!« murrte der Slowak, »hab' so mich schon wenden und drehen müssen und wollt', ich wär draußen mit Dir in der Pußta, weil der alte Schnurrbart dort geworfen hat auf mich ein Auge und red't davon, mich glücklich zu machen.«

»Vielleicht schenkt er Dir schöne blanke Gulden oder gar einen neuen Anzug,« meinte unschuldig das Mädchen. »Gott und die Heiligen sind mit den armen Slowaken und finden sich immer gute Menschen, die Liebes an ihnen thun. Weißt, wie wäre sonst der Török so glücklich geworden in Wien, wenn Gott nicht die Augen der vornehmen Gräfin gelenkt auf sein junges Gesicht.«

»Weiß nicht, ob's ein besonderes Glück ist,« sagte noch immer finster, trotz der Schmeichelworte des Mädchens, der Sauhirt. »Mit den blanken Gulden aber ist's nichts; zum Soldaten wollen sie mich werben; das ist die Ursach', daß der stolze Husar sprach mit 'nem armen Slowaken, und was Dich angeht, so will mir's nicht aus der Seele, daß ich wünschte, Du wärest daheim.«

»Aber Du weißt, daß wir Hörige sind, Szabó,« sagte das Mädchen, »ich war am Jacobitag siebzehn Jahre, und der Vogt würde die Mutter strafen, wenn ich nicht gekommen wäre zur Wahl!«

»Verflucht sei das Recht, das des Weibes Leib und Seele giebt in den Willen des Reichen. Möge ihr Blut zahlen die Lüste, die sie üben an dem unterdrückten Volk!«

»Du redest Dich um Deinen Hals, Szabó,« bat das Mädchen. »Da kommen die Herren; laß uns zur Seite treten, wie sich's ziemt.«

Auf der Straße aus dem Walde brauste ein Reiter- und Wagenzug: zwei Heiducken voran, dann eine prächtige Wiener Equipage durch vier Rappen von bestem Vollblut gezogen, die der wilde, phantastisch in die fliegende Jacke und die weiten, weißen Gatyen gekleidete Kocsis vom Bock aus zügelte. Auf den schwellende Kissen saßen der Graf, der stolze Eigentümer der weiten Güter, und ein alter Offizier in der hechtgrauen österreichischen Generals-Uniform. In einem zweiten Wagen folgte mit einer älteren Dame ein russischer Offizier, über die Obersten-Uniform den gelbgrauen Mantel geschlagen.

Zwischen den Equipagen und um sie her galoppierte die Kavalkade, jüngere und ältere Männer in der prachtvollen ungarischen Nationaltracht auf schäumenden, von dem roten, reich vergoldeten türkischen Zügelwerk gebändigten Rossen. Und mitten zwischen ihnen eine hohe schlanke Frauengestalt im eng an die schönen Formen sich schmiegenden Reitkleid von hellblauem Tuch, reich mit Silber gestickt, über den schwarzen flatternden Locken die zierliche Ungarmütze mit der National-Kokarde und dem zitternden Busch der kostbaren Reiherfedern, von blitzender Diamantagraffe gehalten.

Sie war eine Tochter des berühmten Geschlechts der Helden von Sigéth: Cäcilie, eine echte Pálffy!

Aus dem Zuge heraus im Karriere durch die flüchtende Menge, ohne Rücksicht auf Glieder und Leben der Menschen den fliegenden Kram des jüdischen Hausierers überreitend, jagte der Hauptmann der Heiduckenwache und parierte das Pferd vor dem Hause, daß es auf die Fesseln zurücksank. Die Soldaten hatten die Gewehre ergriffen und standen bereits in Reih und Glied.

Zu den wilden charakteristischen Gestalten paßte der Führer, ein Mann von etwa fünfunddreißig Jahren, groß, sehnig und hager, mit dem finsteren Zuge auf der Stirn, den die Rassen der unteren Donau zu haben pflegen. In den schiefen Augen lag Härte und Grausamkeit, das eckige Kinn verkündete starren Sinn und Energie der Leidenschaften. Um die knochige Gestalt hing der rote Szeklermantel, als sie sich vom Pferde warf und vor die Soldaten sprang.

»Achtung! Präsentiert das Gewehr!«

Die kleine Zigeunertrommel schlug, die Gewehre klirrten in den unbehilflichen taktlosen Handgriffen der rohen Grenzer, und Reiter und Equipagen hielten in dem schnell von der Menge gebildeten Kreis vor der Woche.

Die Herren verließen die Wagen, die Reiter gaben zum Teil ihre Pferde den herbeieilenden Dienern. Der russische Oberst, der soeben seine Dame aus der Equipage gehoben, sprang eilig herbei, der jungen Gräfin die Hand zu bieten. Ihr blitzendes Auge schaute sich vergebens nach dem Kavalier um, dem sie den Ritterdienst zugedacht. Aber Graf Stephan hielt abseit unter der Menge und beugte sich, unbekümmert um seine Pflicht, vom Sattel, mit einem Fremden zu sprechen. Unwillig berührte sie leicht die Hand des Russen und schwang sich mit der Sicherheit der vollendeten Reiterin vom Pferde.

Der Feldzeugmeister, ein alter Mann mit dem starren österreichischen Kriegergesicht, war zu den Soldaten getreten und musterte die Gestalten. »Fürwahr, an der Grenze der Türkei oder in einem Dorf Ihrer Pußten, lieber Graf,« sagte er zu dem begleitenden Wirt, »mögen die Bursche an ihrem Platze sein, aber ich würde mich sehr bedenken, sie bei unseren Wienern auch nur drei Tage einzuquartieren. Ich meine, die Kehlen würden eben so in Gefahr sein, wie das, was nicht niet- und nagelfest wäre im Hause. Sie würden dem lieben Herrgott die Sterne vom Himmel stehlen, wenn sie nur hinauf könnten.«

»Wenn Euer Excellenz meinen, daß das Kroaten- und Grenzer-Gesindel in Ungarn lieber gesehen ist, sind Euer Excellenz im Irrtum,« entgegnete stolz der Graf. »Es macht böses Blut im Lande, daß die Regierung sich auf die slavischen Nationalitäten stützt, und der Banus hat sich in letzter Zeit Dinge erlaubt, die Ungarn nicht dulden darf. Die Beschwerden der Stände darüber sind ein Teil unserer Forderungen.«

»Ich weiß, ich weiß; aber ich denke, wir sind einverstanden darüber, liebster Graf, daß das Land jetzt um jeden Preis ruhig gehalten werden muß. Wir brauchen die deutschen und ungarischen Truppen in Italien und der Hauptstadt, und müssen gerüstet sein für unsere Rechte, da der König von Preußen sich an die Spitze der deutschen Bewegung durch seine Proklamation gestellt hat.«

Der Ungar lächelte verächtlich. »So lange wir zu Österreich stehen und seine Kriege fechten, hat es nichts zu fürchten. Moriamur pro rege nostro! Aber man verrät uns in Wien selbst, man macht den Rebellen Versprechungen, welche die uralten Rechte der Magnaten aufs Schwerste kränken. Man will unsere Güter mit Grundsteuern belasten und uns dafür den Robot nehmen. Der Bauer und der Bürger sollen gleiches Recht haben, wie der Magnat. Wenn der König selbst den Adel ruiniert, mag er sehen, wie er mit dem Pöbel und den Preußen fertig wird.«

»Das sind die notwendigen Früchte der Ideen, mit denen dieser saubere Herr Kossuth und Ihr eigener Verwandter Batthiányi dem Volke die Köpfe verdrehen. Ich hoffe, der Neffe wird in dem Hause eines Pálffy keinen Platz finden für die Theorieen seines Oheims!«

»Seien Sie unbesorgt – Graf Stephan Batthiányi sollte der Verlobte meiner Tochter werden, aber noch heute heb' ich das Verhältnis auf, ich mag keinen Verräter seines Standes zu meinem Schwiegersohn. Lieber noch soll sie Fürst Trubetzkoi haben. Man hätte von vornherein nicht die Phantastereien der jungen Leute und Weiber sanktionieren sollen durch Nachgeben und Ernennung ihrer Helden zu Ministern!«

»Ich versichere Sie, der Kaiser hat es nur mit dem größten Widerstreben gethan und bedauert lebhaft, daß er Männer wie Sie beleidigen und aus dem Rat des Erzherzog Palatinus entfernen mußte. Aber es soll Ihnen volle Satisfaktion werden, sobald wir wieder Herren der Situation sind, und dazu eben brauchen wir die Kroaten und Böhmen. Ihnen und Ihren Freunden das zu sagen und mich von der Stimmung zu überzeugen, habe ich diese Inspektionsreise unternommen. Wir sind so fest entschlossen wie Sie, an den alten Rechten und Satzungen der Stände festzuhalten im kleinen wie im großen, wenn wir auch scheinbar für kurze Zeit der Strömung nachgeben. A propos, Graf, ist es nicht gerade die Ausübung einer Ihrer alten Herrenrechte, die uns hierher führt?«

»So ist es, Excellenz; die Strapazier-Menscher sollen gewählt werden, und ich habe meinen Verwaltern strengen Befehl erteilt, alle Pflichtigen zu stellen, um gerade jetzt zu zeigen, daß der Adel seinen Rechten nichts vergiebt. Wenn es Ihnen gefällig ist, so lasse ich beginnen. Wir sprechen nach Tisch weiter über die politischen Fragen. Am Abend wollen wir uns dann den Tanz anschauen; Sie werden sehen, wie wenig das Volk sich um Politik kümmert, wenn ihm nicht die Köpfe verdreht werden.«

Die beiden Aristokraten, die langsam im Gespräch sich von der Gesellschaft abgesondert, näherten sich dieser wieder. Die Dorfrichter und Amtleute hatten unterdes Ordnung in die Menge zu bringen gesucht und in einer breiten Doppelreihe die Mädchen aufgestellt, die in diesem Jahre der Bestimmung und Wahl der Gutsherrschaft verfallen waren.

Die Wahl der Strapazier-Menscher ist eine alte, aus der Zeit der Leibeigenschaft herstammende und in vielen Gegenden Ungarns bis in die neueste Zeit aufrecht erhaltene Sitte.

Am ersten Sonntag des April versammelten sich vor dem Gutsherrn alle Mädchen des Gutsbezirks, die seit dem letzten Frühjahr ihr siebzehntes Jahr zurückgelegt hatten. Der Edelmann wählte unter ihnen die, welche er zum Dienst auf seinem Hofe oder in seinem Hause brauchte; sie müssen ihm zwei Jahre dienen und sind ihm unterthan mit Leib und Leben.

Nach dem Gutsherrn kam der Offizier des Militär-Kommandos, das in dem Bezirk stationiert war.

Er hatte das Recht, sich das Mädchen zu wählen, das ihm am besten gefiel. Sie verrichtete Magddienste bei ihm und ihr Körper diente zur Befriedigung seiner Lust. Im nächsten Jahre, oder wenn er ihrer überdrüssig geworden, verfiel sie zu gleichem Zweck den Soldaten des Kommandos; wenn die zwei Jahre um waren, kehrte sie zurück mit dem, was sie sich erspart, in die Hütte der Eltern. Niemand rechnete ihr den Dienst zur Schande – der alte Gebrauch wollte es so, der Edelmann war der Herr des Landes, der Leib der Hörigen gehörte ihm, wie der Grund und Boden, und der Soldat war stets ein Edelmann!

In neuerer Zeit ward die alte Sitte zwar nicht mehr in gleicher Ausdehnung geübt, und mit dem Vasallentum und der Leibeigenschaft waren die Verpflichtungen gefallen, aber noch immer hatte sich in vielen Gegenden des Landes der Brauch selbst erhalten; der Dienst geschah gegen Lohn, und selbst die Töchter der Freibauern nahmen keinen Anstand, mit denen der Häusler und Roboten des Guts, jener großen Bevölkerung, die von dem Gut des Edelmannes lebte, sich einzustellen in die Reihe und ihren Dienst anzubieten.

Es war wie mit dem Dienst der Söhne des Landes für den König und Kaiser. Wie hoch der Ungar auch seine Freiheit achtete, – jeder Bursche würde es für eine Schande gehalten haben und von den Weibern verspottet worden sein, hätte er den Werbern feig aus dem Wege gehen wollen.

Ebenso war es mit den Mädchen. Da stets die Schönsten und Stärksten gewählt wurden, galt die Wahl für eine Ehre, nach der man sich drängte.

Graf Stephan hatte dem Mann gewinkt, der vorher in der Csárda gegen den alten Husaren das Wort geführt, als sei etwas an seinem Sattelzeug in Unordnung, das gebessert werden könne, ohne daß er abzusteigen brauche. Während der Fremde sich mit dem Gurt zu thun machte, flüsterte der junge Edelmann mit ihm. »Haben Sie Nachrichten, Mak

»Er wird diesen Abend hier eintreffen. Der Wirt der Csárda ist benachrichtigt, das hintere Zimmer für uns bewahrt.«

Der Graf neigte noch tiefer den Kopf. »Beobachten Sie jede Vorsichtsmaßregel,« sagte er eindringlich. »Das Zusammentreffen unserer Freunde muß in dem Lärmen der Zecher und in dem Trubel des Festtags möglichst unbemerkt bleiben. Die Ankunft des Grafen Latour macht uns besondere Vorsicht nötig und auch dem Russen trau' ich nicht. Der Moskowite ist ein Spion. Ist der Betyár zur Stelle?«

»Ich habe ihn gesprochen, er bewegt sich dreist in der Menge.«

»Rózsa Sandor ist ein ganzer Kerl. Männer wie ihn werden wir brauchen können. Ich werde ihn dem Minister vorstellen. Jetzt Adieu, Freund, und Vorsicht, damit mein Verwandter nichts merkt, die Entlassung hat ihn zu unserem Feinde gemacht. Sobald die Tafel aufgehoben, nehme ich mit den anderen die Gelegenheit wahr, zu Euch zu kommen.«

Er richtete sich im Sattel empor, und ritt langsam der Scene im Mittelpunkt des Platzes zu.

Der Verwalter verlas die Namen der gutsgehörigen Mädchen, keine einzige fehlte; viele freie dagegen hatten sich in ihre Reihe gestellt. Die derben ungarischen Gestalten in den hellblauen und grünen kurzen Röcken und Jacken, den Kopftüchern, Schleierhäubchen und Krönchen von Goldstoff darüber, nahmen sich stattlich aus, wie sich eine jede vorzudrängen und ihre Vorzüge geltend zu machen suchte, während die Slowaken-Mädchen demütig zurücktraten.

Während die Gesellschaft vom Schloß durch die Reihe sich bewegte und der Graf und sein Verwalter hin und wieder eins der Mädchen zum Dienst bezeichneten, das dann, als wäre ihr eine besondere Ehre geschehen, dankend den Rockschoß des Herrn küßte und von den Ihren fröhlich umringt wurde, hatte sich Graf Stephan der schönen, von dem russischen Fürsten geführten Tochter des Hauses genähert.

Der junge Graf war eine hohe, schlanke Gestalt und die prächtige Nationalkleidung hob sie noch mehr. Über dem Dolman, dessen blaue Farbe unter der Masse der Silberstickereien und Schnüre fast verschwand, hing der kostbare Pelz. Um die Hüfte wand sich die Schärpe in den ungarischen Nationalfarben, die gleiche Kokarde prangte am Kalpak. Das Gesicht des jungen, etwa dreiundzwanzigjährigen Mannes war intelligent. Wie sein berühmter, durch seinen Tod zum politischen Märtyrer bestimmter Oheim, war er ein eifriger Anhänger der Sache der nationalen Unabhängigkeit.

»Mein Cousin,« sagte die Gräfin Cäcilie, den finstern Blick des jungen Mannes nach den Wählenden auffangend, »scheint an dem alten Recht wenig Gefallen zu finden.«

»Es ist, wie Sie sagen, schöne Cousine. Der Brauch gehört nicht mehr in unsere Zeit und ist eines freien Volkes unwürdig. Leib und Wille jedes Menschen sind frei geschaffen von Gott und nicht das Sklaveneigentum eines andern.«

»Ich sehe nicht ein, was diesen Leuten für Nachteil dadurch geschieht, daß sie dienen müssen,« sprach der Russe. »Wir machen weniger Umstände damit, der Bauer gehört dem Edelmann, und er kann ihn nehmen, wann's ihm beliebt.«

»Das mag bei Ihnen Sitte sein, Fürst, Gott sei Dank, nicht mehr bei uns.«

»So viel ich weiß,« bemerkte der Oberst höhnisch, »sind auch in Ungarn alle Rechte bei den bevorzugten Klassen, und die › misera plebs contribuensDas niedere Volk, das nach der altungarischen Verfassung an den Reichstagen keinen Anteil hatte. Selbst die Deputierten des dritten Standes, der Städte, hatten nur Sitz, aber keine Stimme. hat nur zu gehorchen und zu zahlen.«

»Das soll anders werden,« sagte enthusiastisch der junge Mann, »mit der neuen Zeit, die über mein Vaterland gekommen ist. Der niedrigste Juhasz Schafhirt. Ungarns soll sein Recht vertreten sehen in der Verfassung, so gut wie der reichste Magnat. Jeder soll gleich tragen zu den Lasten des Staates, aber auch gleichen Anspruch haben an ihn, nur der Adel des Herzens und Genies werden künftig herrschen.«

»Das sind die französischen Theorieen von Dreiundneunzig und der deutschen Phantasten,« erwiderte spöttisch der Fürst. »Der Kaiser, Ihr Herr, wird solchen Ideen nicht nachgeben und Waffen dagegen haben.«

»Der Kaiser ist unser König, nicht unser Herr. Österreich besitzt, Gott sei Dank, kein Sibirien.«

»Das ist schade genug; ich denke aber, der Kufstein wird für politische Schwärmer und Rebellen genügen!«

Die Hand des jungen Magnaten fuhr an den Säbelgriff; die Augen der Nebenbuhler maßen sich herausfordernd. Gräfin Cäcilie, die den Arm des Fürsten losgelassen, trat dazwischen. »Es ist unartig, meine Herren,« sagte sie gebietend, »sich in meiner Gesellschaft über Politik zu streiten. Dafür sind die Ständetafel und das Kabinett meines Vaters. Sie sind zu unvorsichtig, Stephan,« fuhr sie in lateinischer Sprache, die jedem vornehmen Ungar geläufig ist, zu dem jungen Manne fort. »Sie werden meinen Vater durch diese Angriffe gegen die Rechte des Adels noch ganz erbittern. Wie stehen unsere Angelegenheiten?«

»Die Versammlung findet diesen Abend statt!« erwiderte rasch der Graf. »Richten Sie es ein, daß Sie der Gesellschaft sich entziehen können. Mak ist bereits hier und bemüht, das Landvolk gegen die Werber aufzuregen.«

»Meine klassische Gelehrsamkeit ist zu gering, Gräfin,« bemerkte mit so devoter Miene der Fürst, daß man nicht wissen konnte, ob sie Malice oder Beschämung ausdrückte, »als daß ich Ihnen in die Zeit der Römer folgen könnte; ich muß mich mit der Sprache der Gallier begnügen, um Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Ihre Excellenz die Frau Gräfin Ihnen dort winkt.«

»Sie haben Recht, Durchlaucht, und ich bitte um Entschuldigung, aber es ist eine alte ungarische Gewohnheit. Wir wollen sehen, was meine Mutter wünscht.«

Die stolze Schönheit rauschte weiter; einen Augenblick blieben die beiden Nebenbuhler zurück und ihre Augen begegneten sich.

»Da ich zufällig den Kufstein noch nicht bewohne,« sagte mit einer kalten Verbeugung Graf Stephan, »so werden Sie, Herr Oberst, mir vielleicht die Ehre erzeigen, Ihre Bezeichnung als Rebell zu vertreten.«

»Ich stehe zu Diensten,« erwiderte stolz der Russe.

»Der Mond geht um neun auf, also diesen Abend um zehn Uhr – ich werde Sie an jenem Vorsprung des Waldes erwarten.«

»Und ich meine Abreise ankündigen – das ist ja doch hauptsächlich, was Sie bezwecken.«

Er folgte mit höhnischem Lächeln der jungen Gräfin, die bereits mit ihrer Mutter sprach. Das Lorgnon ins Auge gekniffen, prüfte er mit der Miene des Kenners die Reihe der Mädchen, bis sein Blick an den beiden letzten hängen blieb: Hanka, der Slowakin, und der jungen Zigeunerin, die vorhin die Kreuzer der Menge gesammelt und sich jetzt keck in den Kreis der älteren Dirnen gedrängt hatte.

Die Blicke der in Lumpen gehüllten Kleinen funkelten wie zwei glühende Kohlen aus dem braun-bleichen Gesicht. Es lag etwas in den Zügen des vierzehn- oder fünfzehnjährigen Mädchens, das einen Vulkan von Leidenschaft und Wollust ahnen ließ, und der Fürst mit jener brutalen Neigung, welche die altrussische Aristokratie für die Frauen des Zigeunerstammes hegt, trat unwillkürlich einige Schritt näher, um diese sich entwickelnden Formen, die verschmitzte Lockung in den Augen der kleinen Hexe besser zu würdigen.

»Ich meine, Du bedürftest eines Mädchens für Deine französische Zofe, Kind,« sagte die Gräfin zur Tochter, »sieh zu, ob Dir eine der Dirnen gefällt.«

Gräfin Cäcilie betrachtete die Mädchen – auf Hanka blieb ihr Auge, ihr Finger wies auf sie. »Diese gefällt mir.«

Die Gräfin sah durch ihr Glas nach dem errötenden Mädchen. »Es ist eine Slowakin,« meinte sie verächtlich, »Du mußt ein magyarisches Mädchen wählen, obschon sie weniger zur Arbeit taugen. Wir müssen uns in diesem Augenblick populär machen.«

Graf Stephan bestätigte. »Wählen Sie selbst, Maman, die Person ist mir gleich. Was hatten Sie noch mit dem russischen Spion, Vetter? Wenn es zu einem Renkontre kommt, vergessen Sie nicht, daß ich Ihr Sekundant sein muß. Ich hasse dieses fatale Tartarengesicht.«

Der junge Mann flüsterte ihr einige beruhigende Worte zu und blieb fortan an ihrer Seite trotz der finsteren Blicke des alten Grafen. Die Gräfin hatte unterdes ihre Wahl getroffen, sie war auf die Tochter des angesehensten Tanyenbesitzers gefallen, der, obschon er sich, wie fast jeder der Freibauern, für einen Edelmann hielt, doch in unzähligen Eljen seine Freude darüber zeigte, sein Kind im Schloß zu sehen. In diesem Augenblick teilten zwei Ereignisse die Aufmerksamkeit der Menge.

Auf der Straße von Kecskemet daher jagte ein leichter Korbwagen, der Csiko auf dem Vordersitz blies in ein altes verbogenes Horn und kündigte zugleich durch seine bunte Jacke sich als Postillon der nächsten Station an. Auf dem Sitz von Maisstroh saß ein junger Offizier, der, sobald das Gefährt vor der Schenke hielt, nach dem Wirt rief.

Négryóckri-Joseph kam eilig herbei und zog die Mütze; der Soldat findet in Ungarn immer Beachtung. »Was befehlen Euer Gnaden? Mein Haus steht zu Diensten.«

»Ich bedarf nichts als eine Antwort. Befindet sich Seine Excellenz der Feldzeugmeister Graf von Latour noch auf dem Schloß des Herrn Oberst-Kämmerer?«

Teremtete! Herr kommen zur rechten Zeit. Excellenz stehen da drüben mit ganze Herrschaft und schauen junge Dirnen aus Dorf gehörige!«

Der Offizier sprang vom Wagen und schritt eilig durch die Menge. Der alte General hatte ihn bereits bemerkt und kam ihm entgegen. »Verzeihung, Excellenz, daß ich Sie hier aufsuche, aber die Depesche duldet keinen Aufschub. Von Sr. Maj. dem Kaiser.«

Der General legte die Hand an den Hut, dann nahm er die Depesche und öffnete sie. Es war ein amtliches Schreiben der Militär-Central-Kanzlei und einliegend ein Handbillet. Der Feldzeugmeister las zuerst dieses, dann das offizielle Schreiben.

»Ich werde leider von Euer Excellenz Gastfreundschaft nicht länger Gebrauch machen können,« sagte er verbindlich zu seinem Wirt, »und bitte um die Erlaubnis, sogleich nach dem Schloß zurückkehren zu dürfen, um meine Reiseanstalten zu treffen. Man beruft mich nach Wien zurück und Seine apostolische Majestät haben die Gnade gehabt, mir das Portefeuille des Kriegsministeriums in Stelle des General Zanini zu übertragen.«

Er nahm den Oberst Kämmerer unter den Arm und ging mit ihm in ernstvertraulicher Unterredung über den Platz, nachdem er den Überbringer der Depesche angewiesen, ihm zu folgen.

» Bassa manelka! Der Teufel hole das Viehzeug! Was thust Du hier unter den Hörigen? Pack' Dich, schwarzer Satan, eh' ich Dir die Peitsche gebe!«

Tunsa, das braune Zigeunermädchen, drückte sich wie ein Wiesel zusammen, das ein Schlupfloch sucht. Ihre brennenden schwarzen Augen blickten so verlockend demütig zu dem barschen Verwalter auf, der sie mit roher Gewalt aus dem Kreise treiben wollte. »Tunsa möchte so gern den blanken Herren dienen, hat's schlimm bei Vater und Bruder, wenig zu essen, viele Schläg'. Warum soll Tunsa nicht eben so gut sein, wie schlechte Slowaken-Mädchen?«

»Narr! Volk wie Du ist nicht zum Arbeiten gewöhnt und zu 'was anderm bist Du noch zu jung. Pack' Dich!« Eine Hand klopfte dem Verwalter auf die Schulter; es war der Hauptmann der Panduren.

»Bei der Saba! komm' ich bald an die Reih'?«

»Die Herrschaft hat gewählt, es ist an Ihnen, sich das Mensch auszusuchen.«

Der Panduren-Offizier strich wohlgefällig den lang herabhängenden pechgewichsten Schnurrbart. »Wie viele?« fragte er lüstern.

»Eine, Hauptmann, eine!« lachte der Verwalter. » Bassa manelka! Sie sind ein halber Türke! Die Wahl steht Ihnen frei.«

» Ne 'ma Turtschina bez potuitscheniaka!« Wieder durchliefen die funkelnden Augen des Panduren die Reihe. Bei allem Haß, der zwischen den Nationalitäten gärt, hätte doch jede der Magyaren-Dirnen die Wahl gern auf sich fallen sehen; wie gesagt, es ist eine Anerkenntnis der Schönheit und keine Schmach im Volke mit diesem Kebs-Verhältnis verbunden.

Die Augen des Panduren begegneten zwei anderen, die neugierig ihm folgten. Es war Szabó, der Kanász, Schweinehirt. der neben seinem Mädchen stand, ihre Hand in der seinen, Beide hocherfreut, daß die Gefahr an ihnen vorübergegangen. Nun brauchten sie nicht zu warten, am nächsten Bonifaziustag konnte der Staregessy, der Hochzeits-Älteste, bestellt werden. Der Offizier wählte sicher eine der reichen Magyaren-Dirnen, die sich loskaufen mochte, wenn sie sich zu dem Dienst nicht hergeben wollte.

Aber plötzlich leuchtete es wie Besorgnis und Schrecken in den Blicken des Burschen; die Augen des Offiziers funkelten so höhnisch und drohend gegen ihn, der Pandur streckte die Hand aus und legte sie schwer auf die Schulter des Slowaken-Mädchens. »Diese da soll mein Mensch sein und unsere Kuwelian Die Lieblingssuppe der Panduren. kochen!«

Der Verwalter nickte gleichgültig und machte ein Zeichen bei dem Namen. Was kümmert ihn die Totenblässe, das Zittern des Mädchens, der kurze stöhnende Aufschrei des Mannes an ihrer Seite?

»Vergebt, Herr, Hanka soll werden mein Weib am Szent Bonifaztag!« Dem Kanász klappten die Zähne, seine Glieder zitterten vor innerer Aufregung, als er diese Einrede vorbrachte.

»Dummkopf! Such' eine andere, oder frag' nach zwei Jahren nach; für jetzt gehört sie Seiner Gestrengen. – Bedanke Dich, Hanka, für die Ehre, die Dir geworden. Bist ein Blitzmädel und gönn' Dir's von Herzen. Mach' Dich lustig heutigen Tages, die Zeit ist Dein. Um neun Uhr trittst Du den Dienst an; hast Du verstanden?«

Das arme Mädchen neigte stumm das Haupt; sie dachte an keinen Widerstand, die Gewohnheit der barbarischen Sitte war zu groß, als daß sie selbst ihr Unglück recht gefühlt hätte.

Desto tiefer empfand es für sie der Mann, der sie liebte. Es war, als ob alle Schleusen seines Gefühls, die Erkenntnis seiner Menschenrechte sich plötzlich in ihm geöffnet und diese in wildem Kampf mit der gewohnten Demut und Niedrigkeit ränge; als ob er jetzt erst fühlte, wie teuer das Mädchen seinem Herzen. Er hatte die schwieligen Hände auf die Augen gedrückt, er stöhnte und taumelte wie ein Trunkener.

Der Verwalter war schon längst fort und zu den Wagen geeilt, welche die Herrschaft unter dem Eljenrufen der Menge eben besteigen wollte. Der Panduren-Kapitän sah mit boshaft schielendem Blick auf den Unglücklichen und winkte dem Mädchen. »Um Neun beim Appell dort im Hause, oder sollst Du Jurisch kennen lernen, Du und Deinigte!« Damit ging er.

Neben dem Zigeunerkind, der einzigen, die mit Teilnahme das so plötzlich getrennte Paar betrachtete, stand plötzlich der russische Fürst.

» Tuds né metul? Sprichst Du deutsch, kleine Hexe?«

» Igen urom, blanker Herr. Willst Du mir einen silbernen Gulden schenken? Ich sage Dir wahr, ob Du Glück hast bei der blanken Gräfin.«

»Närrchen! mehr als den Gulden. Nimm das einstweilen,« er reichte ihr zwei Imperials, seine Augen glühten in die funkelnden der Kleinen – »nimm und sei heute Abend dort drüben, wo das Kreuz steht am Wald. Ich habe mit Dir zu reden; es handelt sich um Dein Glück.«

»Sorge nicht, Blanker! Tunsa wird dort sein – sie möchte gern glücklich werden!«

Der Oberst erreichte die Equipagen, noch ehe der General und sein Wirt ihren Wagen bestiegen. Indem er sich an den neuen Minister drängte und ihm gratulierte, nahm er die günstige Gelegenheit wahr, ihm leise einige Worte zu sagen. »Diesen Abend noch wird in der Csárda eine Versammlung der Revolutionsmänner stattfinden, treffen Sie Ihre Anstalten danach, Excellenz; man will die Wegführung der jungen Mannschaft durch die Werber verhindern. Graf Batthiányi glaubte nicht, daß ich Latein verstände, und verriet sich.«

Der Minister drückte ihm dankend die Hand. »Ich werde dafür sorgen. In einer halben Stunde soll der Offizier, der die Depesche brachte, nach Szegedin unterwegs sein.«

Die Wagen rollten dem Schloß zu.

Jubelnd, in überlauter toller Lustigkeit drängte die Menge an dem Hirten und seinem Liebchen vorüber; der Tag gehörte noch den gewählten Dirnen zur Freude und Lust, er mußte gefeiert werden, und Väter, Brüder und Liebsten halfen dazu.

Wer kümmerte sich um das Paar, um die bedrohte Liebe, die zertretenen Herzen? Er war ja nur ein Slowak, sie war ja nur ein Slowaken-Mädchen, und die Wahl eine Ehre für sie. Was that's im schlimmsten Fall dem Burschen, ob sein Mädchen zwei kurze Jahre bei des Königs Soldaten schlief, dann konnte er sie immer noch heiraten, wenn er Lust hatte!

Eine Hand faßte den Arm des Stöhnenden. »Was greinst Du, Bruderherz? Du bist zwar nur ein schlechter Slowak, aber Du bist ein Mann, und ein Mann darf nicht weinen in ungarischem Land!«

Der Schweinehirt stöhnte tief auf. »Es ist aus mit mir! Hauptmann, verfluchtiger, haben gewählt Hanka zum Mensch, nix Hochzeit, nix Freude mehr auf der Welt; Szabó kann sterben geh'n!«

»Narr! Nimm Dein Mädel in den Arm und hinaus mit ihr in die Pußten! Die Herren in Buda-Pesth halten die Hand jetzt über tapferen Betyá! Dem roten Hund eine Kugel durch den Leib, ich leihe Dir meine Flinte!«

Katharina, die Frau des Räubers, Die Betyáren sind die umherschweifenden Räuber der ungarischen Steppen, gewöhnlich Hirten, oder als solche von Zeit zu Zeit sich wieder verdingend, um die Verfolgung zu täuschen. suchte ihrerseits das weinende Mädchen zu trösten; der Betyár war der einzige, der ihm eine uneigennützige Teilnahme bewies, denn selbst der alte Husaren-Wachtmeister, dessen Nahen den falschen Roßhirten verscheuchte, hatte seine Absichten im Auge, obgleich dem biedern Soldatenherzen der Jammer des Burschen leid that. »Frisch auf, Junge; der Madel giebt's überall in der weitigen Welt, und ein schlanker Kerl, wie Du, darf sich nicht grämen, wenn besser Lieb ihm winkt!

Der Tage giebts viel
Das Rößlein zum Ernst
Und das Mädel zum Spiel.

»Nimm den Kalpak, ich werd's schon machen und Dich zum Soldat, obgleich Du ein Slowak bist!«

»Ach, gnädiger Herr Soldat, wollte gern dem König dienen,« stöhnte der Hirt, »wenn ich wüßt', daß Hanka nicht heut zu dem roten Hauptmann müßt'! Bin ein Kerl unglücklicher, wenn's geschieht, und thu' mir ein Leids!«

Der Husar sann einige Augenblicke nach. »Höre, Du bist ein Thor, aber es will mich bedünken, Du hast nicht ganz Unrecht, wenn Dir die Dirne wirklich ans Herz gewachsen. Bassa manelka!! hätt' die Wanka auch selbst dem Schloßherrn meinigen nicht überlassen mögen, eh' ich Husar ward. Kann Dir nicht selber helfen, Bursch', aber einen Rat will ich Dir geben, wenn Du versprechen willst, den Kalpak zu nehmen, wenn's glückt. Slowaken-Mädel wird warten auf Dich, besser als die Magyaren-Dirn', die den Janczi heiratete, als ich kaum meinigten Rücken gekehrt!«

»Beim Szent Kereszt! Heiligen Kreuz. Szabó wird thun, was Ihr befehlt, wenn Ihr so gut sein wollt, zu raten in seinem Unglück.«

»Hab' dem Hauptmann aus dem Banat nix zu befehlen,« sagte der alte Soldat, »aber ein andrer hat's. Hast Du den General geseh'n, der gekommen mit Grafen unsrigtem?«

»Hab'!«

» Teremtete! Kann sich befehlen dem Lump von Panduren mir nix, Dir nix! Ist geworden die Excellenz Graf Latour vom Feldzeugmeister der erste im Reich nach König-Kaiser, ist geworden Kriegsminister. Geh' zu ihm aufs Schloß, mach' Fußfall, sag', wolltest werden braver Husar, wenn Hauptmann Pandur Dir läßt Deine Dirn'!«

»O, Szent Istvan! Wie kommt armer Slowak in das Schloß vor großem Grafen? Ist sich ein unmöglich Ding!«

»Ist Deine Sache, Bursch'; hab' ich kein Liebchen, um die ich's thu'. Sag', Du bringst ein schön Geschenk, lassen's Dich schon zu. Kenne die großen Herren. Ist Sitte, zu bringen ein Geschenk, wenn man hat eine Bitte!«

»Aber ich bin arm; ein Slowak hat nichts als das Leben!«

Der Husar zuckte die Achseln und blies einen Strom von Tabaksqualm dem Unglücklichen ins Gesicht. »Dann rat' ich Dir, nimm den Kalpak und laß die Dirn' dem Roten!«

Er wollte gehen, als der Slowak ihn festhielt. »Halt, Herr! ich hab's! Gott und die Heiligen haben's gegeben dem armen Szabó in seine Seele. Er wird haben ein schönes Geschenk für den hohen Herrn. Weine nicht, Hanka! sei lustig und tanz' mit unseren Brüdern!«

»Wo willst Du hin?«

»Frag' nicht, Herz! Wenn Abend kommt, ist Szabó bei Dir! Szabó wird für den König reiten, aber Hanka wird nicht dem roten Offizier gehören!« Er schwang lustig den Hut und rannte wie besessen davon. Kopfschüttelnd schaute ihm der Husar, schon halb getröstet das Mädchen nach, und als die anderen Slowaken-Dirnen kamen, sie zum Tanz zu holen und heimlich den Sieg zu preisen, den sie über die stolzen Magyaren-Mädchen errungen, waren die Thränen versiegt, und sie dachte an das Schicksal des Abends bereits nicht anders, wie als ob es so sein müsse und gewesen sei von Alters her.

Wenn der Szabó sie liebte – was schadet es ihm? Nach zwei Jahren konnte er sie ja freien, wenn der Narr nicht vorher unter die Soldaten ging!


Die Werber waren am Nachmittag richtig gekommen und nach ihnen der Abend, und Tanz und Gelag im vollsten Gang, denn der Ungar, wenn er einen Festtag begeht, will die Lust mit vollen Zügen genießen und endet erst spät.

Die große Stube der Csárda, des Dorfwirtshauses, war gedrängt voll von zechenden Bauern, jungen Burschen und Husaren. Die Zigeuner saßen unter den Fenstern und spielten lustige Weisen, ein frisches Weinfaß war unter dem Nußbaum aufgeschlagen, im Flur, der die Küche bildete, auf dem Platz vor der Schenke tanzten die Bursche und Mädchen den Hahnentanz; die Csikos und Gulyas, die Pferde- und Rinderhirten, ließen ihre Peitsche klatschen um die fliegenden Dirnen im lustigen Peitschentanz; lauter Jubel und Gesang an allen Ecken, drüben vor der Kirchenthür, um die Herren Magyaren nicht zu stören, drehte sich das slowakische Volk in dem wilden Reigen, bis Tänzer und Tänzerin schwindelnd zu Boden stürzten.

An dem großen Tisch in der Schenke wurde angeworben. Die Bursche drängten sich förmlich hinzu, wer zurückgewiesen wurde, schlich beschämt unter dem Gelächter der Dirnen davon; es waren ihrer wenige genug, denn der Wachtmeister schien Ordre zu haben, daß diesmal der Kalpak jedem Kopfe passen müsse, die einzige Prüfung, die mit den Rekruten vorgenommen wurde. Ein Handschlag war der Fahneneid. Dann ging's zurück zum Trunk und Tanz; es war ja die letzte Nacht in der Heimat, mit dem Morgengrauen zogen die Werber mit den Geworbenen davon.

Hei! wie heiß waren die Küsse der Mädchen, wie flogen die kecken Dirnen im Mohntanz, wie klapperte das Silber im Beutel, den der Vater dem Jungen wohlgefüllt mit dem langmähnigen flinken Pferd mit auf den Weg gab, auf den Weg, von dem er vielleicht nicht wiederkehren sollte ins Ungarland.

Die frisch geworbenen Rekruten, die Strapazier-Menscher vom Mittag waren die Wildesten, Lustigsten in der Menge der Lustigen. Es war gar der letzte Abend der Freiheit!

Die Menge hatte sich auch sichtlich vermehrt durch neue Zukömmlinge. Wilde kühne Gestalten zeigten sich unter dem muntern Bauernvolk – die Hirten entfernter Pußten, die erst mit dem sinkenden Abend gekommen, die Nacht hier zu verjubeln. Auch vornehme Gäste kamen – zu Pferd und zu Wagen; in die weißen Mäntel von Halinatuch gehüllt, schlichen sie durch die Menge oder verloren sich an der Hinterthür der Csárda.

Es war bereits dunkel, ein Feuer von Fichtenkloben brannte auf dem Platz vor der Kirche, große Fichtenspäne leuchteten statt der Fackeln vor der Thür der Schenke und an den fliegenden Buden der Slibowitza-Verkäufer, als auf der Straße von Pesth her ein Dreigespann vor die Thür der Csárda rasselte.

Zwei Männer saßen darin und stiegen aus.

Der Mann, den der junge Graf Batthiányi mit dem Namen Mak benannt, schien sie erwartet zu haben, denn er war alsbald an der niedern Korbkalesche und begrüßte sie mit mehreren anderen, die aus dem Gewühl und dem Hause herbeikamen. Dienstfertig zeigte Négryóckri-Joseph, der Wirt, über den Flur den Weg zu dem im Anbau gelegenen Hinterzimmer, das für die Fremden bereit gehalten schien. Als sie das Haus betraten, blieb der Ältere von ihnen – er mochte etwa sechsundvierzig Jahre zählen – einen Augenblick stehen und schaute auf das lustige Nachtbild auf dem Platz. Der Mantel war von seiner Schulter herabgesunken und enthüllte die fein gebaute Gestalt von mittlerer Größe, die in den ungarischen Attila gekleidet war. Unter der Mütze mit der Feder schaute ein bräunliches Gesicht hervor, mit scharfem Profil, von einem lichtbraunen gestutzten Bart umrahmt. Das sonst milde Auge verfinsterte sich, als die prahlerischen Flüche der Werber zu seinen Ohren drangen, als er die jungen Bursche mit den Kalpaks der Husaren auf dem Kopf tanzen und springen sah. Sein Begleiter mußte ihn erinnern, ehe er weiter ging.

Es mochte noch keine halbe Stunde seit der Ankunft der Fremden verflossen sein, die sich nach einem kurzen Imbiß und nachdem sie die auszeichnende Federmütze mit dem das Gesicht beschattenden breiträndrigen Hut der Landleute vertauscht, unter das Volk gemischt hatten, als auf dem Wege vom Schloß her Vorreiter mit Fackeln voran, die Reisewagen heranfuhren, und auf dem Kirchplatz hielten. Gleich hinterher kam zu Fuß die Gesellschaft vom Schloß, der Oberst-Kämmerer mit dem neuen Kriegsminister, der russische Fürst mit der stolzen Tochter des Hauses, Batthiányi und viele andere der Gäste. Sie gaben den Scheidenden das Geleit; denn auch der russische Oberst hatte angekündigt, daß er noch diesen Abend seine Reise nach Belgrad und den Fürstentümern fortsetzen müsse, und sie wollten den Fremden nun das Dorffest noch in seinem muntersten Glanz zeigen.

Ein Eljengeschrei begrüßte die Herrschaft und ihre Gäste, aber es war nicht mehr der allgemeine jubelnde Zuruf. Mak und seine Gefährten hatten während des Nachmittags ihre Zeit nicht verloren; viel lauter tönte der Ruf: » Eljen Hungaria!« – ja, es mischte sich von vielen Stimmen ein » Eljen Batthiányi! Eljen Kossuth! Eljen szabadság!« Es lebe die Freiheit. ein. Der Minister runzelte die Stirn, aber er war klug genug, zu thun, als höre er es nicht.

Die Gesellschaft blieb auf dem Platz vor dem Nußbaum stehen; – hätte der österreichische General gewußt, welche glühenden drohenden Blicke von mehreren Stellen der Menge auf ihn gerichtet waren, ihm wäre vielleicht eine Ahnung des furchtbaren Schicksals aufgestiegen, das der hohe Posten, den er so eben übernommen, ihm bringen sollte!

»Den Czardas, den Czardas!« befahl der Verwalter. »Seine Excellenz wünschen den Czardas zu sehen, ehe das Volk den Tod austreibt.«

Ein lustiges Eljen antwortete dem willkommenen Gebot. Im Nu faßten die Husaren und die rüstigsten Tänzer der Menge die Mädchen, drehten sie wirbelnd im Kreise, stellten sich zum Tanze und schlugen die Hacken zusammen, daß die Sporen im Takt klirrten.

Dem Minister hatte sich Hauptmann Jurisch, der Kommandeur des Postens, genähert, sich zu verabschieden.

»Ich höre,« sagte der General, »das Unwesen der Betyáren nimmt in der Gegend auffallend zu. Halten Sie strenge Aufsicht, Hauptmann, und suchen Sie des berüchtigten Rózsa Sándor, des Gefährlichsten, habhaft zu werden. Es steht ein Preis auf seinem Kopf.«

»Fünftausend Gulden, Excellenz,« sagte demütig der Offizier. »Wollt' sie haben schon längst, wär' nix so dickköpfig dumm dies Volk im Szegediner Land.«

Der Minister winkte ihn näher heran. »Die Stimmung hier umher gefällt mir überhaupt nicht,« sagte er leiser. »Sie sind Offizier des Kaisers und der Banus von Kroatien hat Sie als treu und zuverlässig empfohlen. Haben Sie ein Auge auf alles – es sollen Zusammenkünfte der Unzufriedenen in der Nähe stattfinden. Ich habe bereits den Befehl nach Szegedin gesandt, daß Ihr Kommando verstärkt werde, um die Nachbarschaft im Zaum zu halten – geben Sie dem Wachtmeister der Werber einen Wink, sich danach zu richten.«

Der Offizier legte salutierend die Hand an die Mütze und zog ein grimmiges Gesicht, das dem Volk nichts Gutes bedeutete. »Besorgen Euer Excellenz nix, kann ich mich verlassen auf Heiducken die meinigten.«

Graf Stephan berührte leicht den Arm seiner schönen Cousine. »Blicken Sie dorthin, Cäcilie, dort unter dem Baum, links von den Zigeunern.«

»Zwei Männer in der Bunda. Ich kann die Gesichter unter den großen Hüten nicht erkennen.«

»Er ist es – der zur Rechten!«

»Wer?«

»Der Agitator, die Hoffnung Ungarns!«

Eine freudige Röte überzog das Gesicht des Mädchens. »Ich sah ihn nie,« sprach sie hochaufatmend, »der Zufall trieb immer sein Spiel und unser Aufenthalt am Kaiserhof.«

»Sie sollen ihn heut noch kennen lernen. Um 9 Uhr ist die Zusammenkunft. Wenn Sie ihr beiwohnen wollen, sind Sie willkommen.«

»Sobald diese Fremden fort, bin ich da!«

Keck und lustig schrillten die Fidelstreiche der Zigeuner, die gellenden Töne der kleinen Flöte, Männer und Weiber jauchzten vor Lust im stürmischen Tanz, ein allgemeiner ansteckender Taumel schien die Menge erfaßt zu haben, selbst die ältesten Bauern hoben die Hacken und nickten mit den kurzen Pfeifenstummeln den Takt, während die Augen in der Erinnerung der wilden Jugendlust glühten!

» Eljen Hungaria!« Hoch das Ungarland!

Wie sie sprangen und wirbelten die rüstigen Tänzer! Hoch auf im kräftigen Satz, bald wieder lang geschnellt am Boden, klirrend das Eisen der Fersen im lustigen Spiel, das zum blutigen Ernst das mutige Roß ins Gewühl der Schlacht spornt, auf die schlanke Hüfte die Faust gestemmt, die so kräftig den Säbel schwingt!

Plötzlich gellt es mitten hinein in die rauschende Musik, in das Eljenjauchzen der Tänzer und Zuschauer.

»Platz für Szabó! Platz für Szabó, den Kanász! Ein Geschenk für den Swabi-General!«

Ein Gelächter bricht sich Bahn: was will der lumpige Slowak? – wie kann der Schweinehirt es wagen? Der Tanz stockt, durch die Scheu zur Seite drängende Menge keucht eine hohe Gestalt heran, eine schwere Last auf der Schulter, von dem zerrissenen blutbefleckten Bunda halb verhüllt, aus der Wolle des Mantels ein funkelndes, grünes Auge, zuckende langbehaarte Beine mit scharfen Krallen.

Szabó, der Sauhirt, ist es wirklich, der den Tanz der Magyaren stört. Hinter ihm drein zieht der furchtlose verkappte Betyár das Slowaken-Mädchen, das er vom Platz an der Kirchenthür geholt, wo sie den Liebesgram und die Sorge um den Liebsten unterdes im Wirbeldrehen vertanzt hat.

Der Schweinehirt bietet einen furchtbaren Anblick. Sein Gesicht ist von Schmutz und Blut und einem tiefen Riß auf der linken Wange entstellt, die offene Brust, um die das zerrissene Feiertagshemd in Fetzen hängt, zeigt eine gleiche Wunde, wie von scharfen Klauen zerrissen, seine ganze Kleidung ist mit Blut und Morast besudelt, nur sein großes Auge leuchtet triumphierend, voll freudiger Hoffnung.

Vor der Gruppe der Herrschaft angekommen, wirft er mit einer raschen Gebärde die Last, die er trägt, dicht vor den Füßen des Generals zu Boden und sich daneben auf die Kniee, die Hände bittend erhoben.

»O Herr, nimm, was Szabó Dir bringt, zum Geschenk, und laß ihm Hanka, sein Leben!«

Ein Schrei des Erschreckens, des Staunens entschlüpfte jedem Mund; die Umstehenden wichen scheu zurück.

Das Geschenk, das der arme Pußtahirt bringt, ist ein riesiger lebendiger Wolf. Das Tier ist an den vier Füßen zusammengeknebelt und so seiner Kraft beraubt. Der heiße dampfende Rachen der Bestie ist durch ein kurzes, starkes, an beiden Enden gespitztes Holz auseinander gespeilt und zeigt, von dem geronnenen Blut des zerrissenen Gaumens befleckt, die scharfen glänzenden Zahnreihen; die grünen runden Augen des wütenden machtlosen Tieres suchen vergeblich ein Opfer.

Der Wolf hatte auf der Stirn zwischen den Augen einen großen gelbweißen Fleck, jeder der anwesenden Hirten und Bauern erkannte ihn daran; er war der gefürchtetste Schafdieb der Gegend und hatte schon viele Pferde zerrissen. Vergeblich war bisher alle Jagd auf ihn gewesen.

Aber dem armen Slowaken hatte die Liebe das Herz und den Arm gestählt. Vielleicht hatte er einmal gehört, daß große Herren wilde Bestien in Menagerieen halten; das einzige, was er schenken konnte, war sein Blut. Er hatte es darauf gewagt, ohne Waffen die Bestie in ihrem Lager, das er in der Pußta aufgespürt, zu überfallen und sie mit Hilfe seines dicken Wollenmantels zu knebeln.

»Was soll das bedeuten? – wer ist der Bursche?«

»O Herr – der Gott der Magyaren und der armen Slowaken mögen rühren Herz das Deinigte! Ich bin Szabó, der Kanász, und der Hauptmann der Roten hat gewählt mein Mädchen zum Mensch, das ich freien wollt' am Szent Bonifaztag. Du bist ein Mächtiger, Herr! gieb frei das Slowaken-Mädchen, und Szabó wird geh'n für Dich und den König unsern in den Tod!«

»Was redet der Mensch? er scheint ein mutiger Kerl und sollte Grenadier werden. Das Regiment ›Richter‹ kann Leute brauchen!«

Der Hauptmann der Panduren drängte sich herbei.

»Kenn' ich den Bursch', Excellenz! ist er einer von den Zuhaltern des Rózsa Sándor, des Betyár; weiß er, wo der Spitzbub' versteckt, und will nicht sagen, wo?«

Der Minister faltete finster die Stirn. »Kennst Du Rózsa, den Räuber?«

Der Slowak beugte die Stirn. »O Herr gnädiger, höre meine Bitte!«

»Als getreuer Unterthan des Königs mußt Du angeben, wo die Gesetzverächter zu finden sind. Nehmen Sie die nötige Mannschaft, Kapitän, und lassen Sie sich von dem Mann zu dem Ort führen, wo der Räuber festzunehmen ist. Er soll seinen Antheil haben an der ausgesetzten Belohnung!«

»Herr, gnädiger mein!« stöhnte der Slowak, »was hat Betyár zu schaffen mit Hanka, meinem Lieb?!«

»Was soll's mit dem Mädchen? – was will der Bursche eigentlich?«

Der Gutsherr schlug sich ins Mittel. »Der Kapitän, Excellenz, hat bei der Wahl vorhin, wenn ich Recht verstanden, ein Mädchen zu seinem Dienst bestimmt, das der Hirt heiraten will. Der Offizier ist in seinem Recht.«

Der Heiduck strich sich den Schnurrbart und lächelte wohlgefällig.

»Hoher Herr,« wimmerte der Slowak, »Hanka ist das Leben von armen Szabó. Wer sie ihm nimmt, nimmt seine Seele. Herr, üb' Gnade und befiehl Hauptmann, zu geben die Hanka frei, bei der Mutter des Szen Christ, oder es geschieht ein Unglück!«

»Willst Du bekennen, wo der Betyár sich versteckt hält?«

»Herr, der Slowak ist kein Verräter. Üb' Gnade an ihm, wie der Herrgott Dir mög' gnädig sein in Deiner Todesstunde!« Er umfaßte die Füße des Feldzeugmeisters, der ihn rauh von sich stieß. »Du verdienst keine Rücksicht. Die Rechte der Soldaten müssen geehrt werden und sollen um eines Verstockten willen, wie Du, keine Ausnahme erleiden. Die Sache ist Ihre Angelegenheit, Kapitän, und geht mich nichts an. Wenn Du sagen wolltest, wo der Betyár ist – das änderte die Sache!«

»Ich kann nicht, Herr!«

Der General stieß ihn nochmals von sich. »Leben Sie wohl, Herr Graf!«

»Erbarmen, Herr! Erbarmen mit Szabó und der Hanka!«

»Befreien Sie mich von dem Frechen. Lassen Sie ihn den Werbern überweisen, damit er gehorchen lernt!«

Zehn Hände griffen nach dem armen Slowaken, der mit blutunterlaufenen Augen und entstelltem Gesicht auf den Mann starrte, der so hartherzig seine letzte Hoffnung vernichtete.

Eine Umwälzung schien in seiner Seele, in seinem ganzen Wesen vorzugehen, seine Augen schossen einen Blitz finstern Hasses, seine Hand schüttelte sich drohend gegen den Mächtigen!

»Bei dem Gott der Slowaken, Fluch über Dich, der Du so mit der Bitte der Armen thust! Möge Dir auch keine Gnade werden!«

Die Husaren und einige der mitleidigeren Bauern rissen ihn zurück und hielten ihn fest; der Menge dauerte überhaupt die Scene schon zu lange, sie wollte zu Lust und Tanz zurückkehren, der »Tod« war noch nicht geschwemmt! Es war ja auch nur ein armer Slowak und »der Slowak ist kein Mensch!«

Der Minister hatte bereits den Fuß auf dem Wagentritt, als eine mächtige Stimme erscholl und ihn umsehen machte.

»Wenn Ihr den Rózsa Sándor braucht, um dem Szabó zu helfen – hier ist er!«

In der Mitte des Kreises stand trotzig der kecke Geächtete, auf seinem blassen Gesicht ein spöttisches Lachen.

»Du hast mich geseh'n, zwanzig hier können's bezeugen, daß ich der Sándor bin; nun halt' Dein Swabiwort und glückliche Reise!«

»Wo sind die Gendarmen? Greift den Unverschämten! Auf ihn, Soldaten!«

Einer der nahestehenden Gendarmen stürzte sich auf den Betyáren, aber das Volk wich zurück, selbst die Husaren machten mehr Lärm, als wirkliche Anstalten, den Räuber zu fassen, von dem der Ruf bereits so wilde Thaten erzählte. Der kecke Feind des Gesetzes ist immer der Held der ungebildeten Menge.

Dem Betyáren hatte sein Weib die Flinte in die Hand gedrückt, die sie auf sein Geheiß aus der Csárda geholt. » Közel ne jöjj, mert mindjárt meghalz!« Komm mir nicht nahe, sonst stirbst Du! donnerte die Stimme des Räubers, und sein Kolbenschlag traf den Helm des mutigen jungen Gendarmen, daß er wie ein gefällter Baum lang zu Boden stürzte. Mit höhnischem Gelächter sprang der Räuber durch die ihm Bahn machende Menge davon; dem nächsten der verfolgenden Gendarmen streckte einer der Männer in Mänteln den Fuß vor, daß er fiel, über ihm schloß sich die Menge und regalierte ihn mit Fußtritten, und im nächsten Augenblick schon scholl durch den entstandenen Lärm der spöttische Eljenruf des fliehenden Räubers und der Galopp seines Pferdes, der ihn in die sichere Pußta trug, wo er jeder Verfolgung gespottet hätte.

Daß eine solche ganz unnütz wäre, erkannte sofort der Hauptmann der herbeieilenden Panduren; dennoch sandte er drei oder vier von diesen zur Unterstützung der Gendarmen dem Flüchtlinge nach, überdies waren Scenen wie die eben vorgegangene in dem wilden Volksleben zu gewöhnlich, um viel daraus zu machen. Der Feldzeugmeister aber schüttelte bedenklich den Kopf. »Das Volk ist allzu verwildert, Graf,« sagte er zu dem Oberst-Kämmerer. »Es kommt eine schlimme Zeit über Österreich; mögen alle, die es wahrhaft gut meinen mit dem Vaterlande, fest zusammenhalten.« Er reichte ihm nochmals die Hand und stieg in den Wagen. Aus dem Schlage winkte er noch den Panduren-Offizier heran. »Halten Sie strenge Aufsicht auf alles, was hier vorgeht diesen Abend, und erstatten Sie darüber Rapport, Herr,« sagte er ernst. »Noch im Laufe der Nacht erhalten Sie Verstärkung von Szegedin. Lassen Sie den Burschen, der mit den Betyáren unter einer Decke steckt, festnehmen und ins nächste Werbedepot abliefern. Gott gebe, daß der Kaiser an diesem Lande nicht noch schlimmere Erfahrungen macht, als bisher.«

Die Postillione hieben auf die Pferde, und der Wagen flog davon auf der einsamen Straße nach Pesth. Wenige Monate später – und Graf Baillet von Latour sollte mit dem eigenen Leben diese Erfahrung bezahlen!

Der russische Fürst verabschiedete sich jetzt gleichfalls – er hatte noch vor Beginn der Tafel eine kurze Unterredung mit dem Oberst-Kämmerer gehabt, und dieser begleitete ihn mit besonderer Höflichkeit zu seinem Wagen und lud ihn laut ein, recht bald den Besuch zu wiederholen.

»Wenn Ihre Excellenz die Frau Gräfin und Komtesse Cäcilie mir die Hoffnung gewähren wollen, daß die Erneuerung meiner Huldigungen ihnen nicht unangenehm sein wird,« sagte der Russe galant, »so hoffe ich Sie im nächsten Herbst auf Ihren Gütern oder im Winter in Wien wiederzusehen und dort eine bedeutsame Frage für mein Leben weiter zu erörtern.«

Die Komtesse verneigte sich kalt. »Die Gäste des Grafen, meines Vaters, werden stets bei uns die gebührende Aufnahme finden.« Sie achtete das Stirnrunzeln des Magnaten nicht, als sie sich kurz ab wieder zu ihrem jungen Verwandten kehrte.

Der Fürst zog die Uhr. »Wahrhaftig! in anderthalb Stunden schon zehn Uhr; ich kann um Mitternacht in Szegedin eintreffen, wenn ich unterwegs keinen Aufenthalt finde!« Sein Auge begegnete dabei dem Blick des jungen Magnaten, ein flüchtiger Wink genügte, sich zu verständigen; dennoch hatte die Gräfin ihn aufgefangen. Der Fürst grüßte noch wiederholt, während das rasche Dreigespann ihn bereits davon trug. Der alte Magnat reichte seiner Tochter den Arm, um sie zum eigenen Wagen zu führen. Graf Stephan hatte erklärt, noch im Dorfe zurückbleiben zu wollen; mehrere der jüngeren Edelleute, welche die Gesellschaft des Oberst-Kämmerer gebildet, schlossen sich ihm an.

Als Jurisch, der Panduren-Kapitän, nach dem Platz zurückkehrte, war um den gefesselten Wolf und den Slowaken noch immer ein zahlreicher Kreis versammelt, aber die veränderliche Stimmung der Menge bereits wieder der Neigung zur tollen Lust gewichen.

Das Hauptfest des Abends war ja noch im Rückstand!

»Laßt uns den halál austreiben! Den halál! den halál!«

Die jungen Bursche heulten und schrieen, die Mädchen jubelten!

»Wer soll der halál sein? Wo ist ein Slowak?«

» Bassa manelka! Wer anders, als Szabó! Ist sich braver Bursch'! Hat den Wolf gefangen! Wird sich wehren tapfer!«

»Ein Eljen für den Szabó, den farkasvadász!« Wolfsjäger.

Zwanzig, dreißig Hände faßten den starr vor sich hin brütenden Burschen, an dessen Schulter die Hanka weinte.

»Sei lustig, Szabó, Slowak! Sollst haben Slibowitza und Wein, wenn machst Deine Sache gut! Laß Madel laufen, giebt's viele in der Welt!«

Rohe Hände langten herüber, dem Slowaken mit Holzkohlen das Gesicht zu schwärzen, Hut und Mantel wurden ihm mit Gewalt abgerissen und eine alte Kuhhaut ihm umgeworfen, auf den Kopf drückte man ihm einen Kranz von Maisstroh, an dem zwei Ochsenhörner befestigt waren.

Vergeblich wehrte sich der Mann wie verzweifelt gegen die ihm zugedachte Ehre; dem Tollmut der jungen kräftigen Bursche gegenüber, unterstützt von den jubilierenden Bauern, reichte seine Kunst nicht aus, ja, mancher harte Faustschlag traf den Widerstrebenden, und sein Widerstand erhöhte nur noch die Lust, denn der halál muß sich wehren, ehe er geschwemmt wird, sonst fehlt das Beste.

Wir haben bereits erwähnt, daß in den Ländern der slavischen Rassen noch viele alte Volksgebräuche, teils aus der Heidenzeit, teils aus der ersten Periode der Einführung des Christentums, sich erhalten haben.

Dazu gehört das »Tod-Austreiben« am Sonntag Lätare vor Ostern. Ein als Teufel vermummter Bursche wird auf einem Wagen oder Pferde durch das Dorf geführt, unter dem Hohngeschrei, dem Schmutzwerfen und den brutalen Späßen der Menge in einer Pferdeschwemme geschwemmt und ein Strohmann an seiner Stelle vor der Kirchthür verbrannt. Während des Umzuges sammeln seine Kameraden bei den Dorfbewohnern Lebensmittel, Geld oder sonstige Geschenke, die teils verzehrt werden, teils dem Hauptakteur zu gute kommen.

Die Bursche des Falu oder Dorfs meinten daher, dem Sauhirten noch eine große Gunst zu erzeigen, indem sie ihn zum halál machten.

Offenbar soll der Gebrauch an die Vernichtung, das Austreiben der alten Heidengötzen erinnern.

»Vorwärts, Szabó! lauf', daß wir den Tod fangen!«

»Ist sich der Wolf ein schönes Geschenk an Excellenz General,« sagte der Panduren-Offizier, der sah, daß jetzt nicht der Augenblick sei, sich des Slowaken zu bemächtigen, »können wir brauchen das Fell. Tragt ihn in das Haus und werft ihn hinter die Thür. Kann nicht der Jäger schlafen bei Hanka, soll wenigstens bewachen sein Geschenk unser Lager!«

Zwei der Panduren steckten ihr Gewehr durch die Beine des Wolfs und schleppten ihn nach dem Wachthaus.

»Es ist Zeit, daß Du antrittst den Dienst – nehmt sie mit und habt ein Aug' auf sie!« Einer der Soldaten faßte sie am Arm. »Brauchst nix zu weinen, Wetterhex'! Sollst haben alles gut und wenig Schläg', wenn Du folgst unsre Offizier!«

Sie schluchzte laut auf, als der Heiduck sie fortzog. Szabó sah, Szabó hörte es; gestoßen, getrieben von allen Seiten, stürzte er sich auf den Kreis, sich Bahn zu machen zu ihr, aber Gelächter, Geschrei, Jauchzen roher Lust begegneten seiner Wut, wie seinen Bitten. Die grausamen Verfolger drängten ihn weit ab, sie schlugen mit Feuerbränden nach ihm, sie stießen und schoben; wie ein gehetztes Wild flog er vorwärts, die wilden behenden Bursche immer dicht hinter ihm drein, weit über das Dorf hinaus in die Heide, bis er erschöpft, atemlos zusammenbrach, und sie den Überwältigten, Willenlosen, die Zigeunermusik voran, im Triumph auf dem alten blinden Pferde zurückschleppten, von Thür zu Thür mit lustigem Gesang, den falschen »Tod«, während in seinem Herzen der wirkliche wohnte!

Brennende Kienspäne, an den Wänden in eisernen Ringen aufgesteckt, nach der Sitte der Tanyen, erhellten das niedere, aber ziemlich große Gemach, das den hintern Anbau der Csárda bildete, und das meist zur Aufbewahrung von Feldfrüchten oder Gerätschaften diente, jetzt aber mit Männern gefüllt war, die in Gruppen sich unterredeten, oder im Halbkreis den Fremden umgaben, der am Abend auf der Straße von Pesth eingetroffen war.

Es befanden sich mehrere der Gäste des Oberst-Kämmerer in der Versammlung, die zum Teil aus jüngeren Männern in der reichen ungarischen Nationaltracht und Mitgliedern des geringern Adels aus der Gegend, zum Teil aus Männern bürgerlichen Standes, Ärzten, Advokaten, Kaufleuten, Grundbesitzern aus Szegedin und niederen Beamten bestand. Auch mehrere Bauern und Tanyenbesitzer und selbst solche, die am Mittag noch willig ihre Söhne dem Werbebann versprochen, befanden sich jetzt darunter. Die Vornehmsten und Einflußreichsten der Gesellschaft hatten sich um den Fremden gesammelt und unterhielten sich eifrig mit ihm; Graf Stephan ging von einer der Gruppen zur andern, mit allen sprechend und unruhig lauschend, ob die Gräfin nicht bald erscheinen werde.

Der Fremde sah nach der Uhr. »Es ist Zeit, Graf, daß wir die Versammlung eröffnen,« sagte er mit dem Tone des Befehls, »in zwei Stunden spätestens muß ich auf dem Wege sein, denn man erwartet mich morgen in Szolnok. Geben Sie das Zeichen, daß die Beratung beginnt.«

»Einige Augenblicke noch, Gräfin Cäcilie hat versprochen zu erscheinen und muß jeden Augenblick kommen.«

»Ich weiß, daß die junge Gräfin und ihre Mutter eifrige Freundinnen der heiligen Sache der Nation sind,« beharrte der Fremde, »aber was wir hier zu beschließen haben, ist Männerwerk und darf durch keine Weiberlaune aufgehalten werden. Geben Sie das Zeichen, daß ich zu der Versammlung sprechen will!«

Der junge Graf verneigte sich und schlug mit dem Griff seines Säbels auf den Tisch. Sogleich verstummten alle Gespräche, und alle versammelten sich im Halbkreis um den Mann, dessen Agitation seit einigen Jahren schon die Blicke und Hoffnungen aller Unzufriedenen in Ungarn und jetzt des ganzen Europa auf ihn gelenkt hatte.

Ludwig Kossuth – denn der berühmte Agitator selbst war es, der in der Versammlung erschienen – zählte damals bereits sechsundvierzig Jahre. Er ist am 16. September 1802 zu Menok im Komitat Zemplin geboren. Der Sohn armer adeliger Eltern kroatischen Stammes, erhielt er seine Bildung im Piaristen-Kollegium zu Satoralja-Ujhely und studierte die Rechte auf dem Kollegium zu Sarospatak. Nachdem er von 1827-31 in seinem Komitat die Advokatenpraxis betrieben und sich als Redner Einfluß in den Komitats-Versammlungen gewonnen, trieb ihn glühende Begeisterung für die Sache Ungarns und wohl ebenso – da er eigentlich der magyarischen Nationalität gar nicht angehörte – feuriger Ehrgeiz nach Pesth, sich dort ein größeres Feld seiner Thätigkeit zu suchen. Er war der erste, der die Landtags-Verhandlungen in Preßburg – um der Censur zu begegnen, in einem geschriebenen Journal – veröffentlichte. Mit Wesselény und anderen wegen eines ähnlichen Journals und Opposition gegen die Regierung 1837 des Hochverrats angeklagt und in Ofen gefangen gesetzt, wurde er durch die erzwungene Amnestie von 1840 befreit und trat nun als Redakteur des » Pesti hirlap« an die Spitze der demokratischen Opposition, deren Lehren immer mächtiger in die große Masse drangen und das Evangelium der Jugend wurden. Im November 1847 vom Pesther Komitat als Deputierter zum Landtag geschickt, wurde er bald einer der Führer der Opposition und riß durch seine Kühnheit und seine glänzende Beredsamkeit alles mit sich fort. Preßfreiheit, ein verantwortliches Ministerium, Vereinigung Siebenbürgens mit Ungarn, öffentliche Verhandlung aller Staats-Angelegenheiten, allgemeine Besteuerung auch des Adels und Gleichheit vor dem Gesetz, Reform des Urbarialwesens und Abstellung der Avitizität, das waren die Forderungen der Volkspartei, nachdem auf den früheren Reichstagen bereits die Herrschaft der magyarischen Sprache durchgesetzt worden.

Man befand sich im heftigen Kampf mit der unfähigen starren Regierungsmaschine, als die französische Revolution vom Februar 1848 ausbrach und mit ihr auch die Bewegung in Ungarn.

Am 3. März hatte Kossuth eine feurige flammende Rede in der Versammlung der Stände gehalten; auf den Flügeln der Presse flog sie nach Wien, und die Volkserhebung der Kaiserstadt, Metternichs Sturz war die Folge davon. Eine magyarische Deputation, an ihrer Spitze Graf Ludwig Batthiányi, der Führer der liberalen Adelspartei, und Kossuth, der Leiter und Vorkämpfer des Volkes erschien in der Hauptstadt und zog am Vormittag des 16. März, unter dem Jubelruf der zahllosen Volksmenge, im glänzenden National-Kostüm zu Fuß durch die Straßen Wiens nach der Hofburg, dem zitternden Kaiser die Adresse des ungarischen Reichstages zu überbringen. Die Antwort war die Ernennung des Grafen Batthiányi zum Präsidenten eines besondern ungarischen Ministeriums, in das Szemere, Deák, Méssáros und Kossuth als Finanzminister, eintraten, die Abschaffung der Roboten, der Zehnten an den Klerus, allgemeine Besteuerung und die Bildung einer National-Garde.

Aber schon in der nächsten Zeit wuchsen die Forderungen, wuchsen die Pläne der Führer der bisher unblutigen Revolution; nicht mehr eine konstitutionelle abgesonderte Regierung Ungarns – ein völliges Losreißen von der österreichischen Monarchie, ein freies Ungarn galt es, zu erringen, und wer könnte zweifeln, daß schon damals dem Ehrgeiz des berühmten Agitators die Wahlkrone Ungarns als das Ziel seiner stolzen Pläne vorschweben mochte. Dazu kam der rasch hervortretende Gegensatz der deutschen, der kroatischen und serbischen Nationalitäten, welche die Herrschaft des Magyarentums nicht dulden wollten und gleiche Rechte verlangten, die Agitation und Wahl Jellachichs zum Banus von Kroatien.

Der konstitutionellen Partei gegenüber, die mit dem, mit den Neuerungen und dem drohenden Verlust aller Rechte unzufriedenen hohen Adel noch fest zum Verband mit Österreich hielt, entwickelte die Demokratie die rüstigste Thätigkeit; die Sendboten der Führer zogen durch das Land, die Gemüter des Landvolks, dem bisher der Kaiser-König als ein von Ungarn untrennbarer Begriff, die Treue für das Haus Habsburg als eine mit der Muttermilch eingesogene heilige Pflicht galt, auf den gänzlichen Bruch vorzubereiten; Kossuth selbst flog mit Windeseile im geheimen von der einen Versammlung zur andern und schürte das Feuer.

Eine solche war es, in der er jetzt erschienen, denn Süd-Ungarn war der Hauptplatz der wachsenden Agitation, die bereits die Aufmerksamkeit und die Sorge Rußlands, des großen Rivalen der Donau, erregte.

»Männer vom Blute Arpáds, Magyarenbrüder!« erscholl die Stimme des Agitators, und kein anderer Laut war hörbar in der Versammlung, »der Ruf des Vaterlandes, seine Not hat uns hier versammelt, damit wir beraten mögen, wie unsere Freiheit nicht bloß zu erringen, sondern auch zu sichern sei für alle Zukunft. Denn falsch ist der Deutsche und herrschsüchtig, und nimmer wird er es ehrlich meinen mit Ungarns Recht. Drei Jahrhunderte hat die Krone des heiligen Stephan auf einem unsrer Nation fremden Haupt gesessen, drei Jahrhunderte hat der Magyar seine Habe und sein Blut gegeben zur Verteidigung des Kaiserhauses, das uns zum Lohn unsere Freiheiten geraubt, und aus freien Männern Sklaven gemacht hat, wie seine anderen Völker sind. Von Osten dämmerte der Tag, aber von Westen her stieg die Sonne der Freiheit empor, die leuchten soll über alle Völker, und so auch über das Ungarland. Ein Sturm rüttelte an dem Thor der Kaiserburg zu Wien: der Wille der Völker; Ungarns hochherzige Söhne nahmen innigen Anteil, als sich die so lange geknechteten Völker in Paris, in Wien und im Preußenland erhoben, und der Ungar verlangte gleichfalls sein Recht. Man hat nicht gewagt, es uns zu verweigern; denn in dem Hauch jenes Sturmes zittern die Throne und die Tyrannen fliehen vor dem entfesselten Zorn des Volkes. Metternich, der Feind unsrer Freiheit, ist nicht mehr, der schwache Kaiser bewilligt alles – Ungarn hat wieder seine eigene Regierung! Aber schon sinnen die Ratgeber der österreichischen Krone, wie sie das Ungarland, ihr teuerstes Kleinod, aufs neue beugen und es seiner Waffen berauben können. Blickt um Euch, Brüder, Magyaren! wenig erst ist gethan für die wahre Freiheit des Volkes, denn die Männer, denen die große Aufgabe geworden, haben mit tausend Hindernissen zu kämpfen. An den Reichen und Mächtigen, die ihre Vorrechte opfern sollen zum besten des Volkes, hat der Österreicher seine Stützen; unter den Swabi, die wir in unserm Lande duldeten und reich machten mit unseren Ernten, nähren seine Söldlinge den hochmütigen Undank! Den falschen Kroaten, den tückischen Slaven hetzt die Wiener Politik gegen Euch, die wahren und einzigen Herren dieses Landes. Der Palatinus zaudert und sucht ängstlich den Fortschritt der Freiheit aufzuhalten. Drohend rüstet unser Feind, der Ban, an der Grenze und will sich nicht fügen in die Befehle des Reichsrats und der Minister, obschon doch Kroatien und Slavonien Ungarn unterthan sein sollen. Glaubt Ihr, daß er das aus eigenem Willen gethan, oder nicht vielmehr im hinterlistigen Auftrag der Hofkanzlei zu Wien?«

»Schmach über die Swabi! Laßt ihn kommen, den Räuber von Agram! Wir wollen ihm zeigen, was ungarische Säbel vermögen!« Die Hand der Männer klirrte an den Waffen oder hob sich beteuernd in die Höhe.

»Werdet Ihr es wirklich?« fragte der Redner höhnisch. »Sagt mir, Brüder, Magyaren, womit wollt Ihr den Banus besiegen und Euer Recht gegen die Intriguen von Wien verteidigen? Habt Ihr keine Augen, zu sehen, daß die slavonischen und illyrischen Regimenter von der falschen Politik des Kaiserhauses ins Land gezogen werden, und der Kroat und Pandur die Posten in Euren Städten und Dörfern bildet? Wißt Ihr nicht, daß die ungarischen Truppen gegen unsere heiligen Verträge in diesem Augenblick nach Italien geschleppt werden, um für die Swabi gegen ein Volk zu fechten, das seine Freiheit schützen will, gleich wie wir das Ungarland? Was nützt uns die Bildung einer National-Garde, wenn täglich die Blüte des Landes von den schlauen Werbern aus dem Lande selbst geholt wird, um unter österreichischen Fahnen – vielleicht nächstens gegen Ungarn selbst zu kämpfen!«

»Nimmermehr – kein Magyar kämpft gegen sein Vaterland!«

»Wartet's ab – ihre Schlauheit hat schon Weisere bethört, als die rasche Jugend. Ich sehe Männer unter uns, wackere freie Männer, die noch vor wenigen Stunden ihre Söhne den österreichischen Schergen verkauft haben, während das Ungarland vielleicht am Vorabend eines blutigen Krieges für seine Freiheit steht! Könnt Ihr Eure Rechte verteidigen, wenn Ihr Eure Kämpfer selbst in die Fremde treibt? Schmach über das Ungarnherz, das dem Vaterlande den Rücken wendet in der Stunde der Gefahr – hundertmal größere Schmach dem freien Mann, der sein Kind zum Schergen der Fremden macht!«

Eine wilde Erregung gab sich in der Versammlung kund. »Er hat Recht! Ungarns Söhne gehören in Ungarns Grenzen, so will es das Gesetz der Union! Was sollen wir thun, um unsere Rechte zu wahren, um die Freiheit zu schützen?«

»Zwanzig Schritte von hier verlocken die Werber Eure Kinder. Werdet Ihr sie ziehen lassen ungehindert? Schande über Euch, wenn Ihr's thut. Habt Ihr geseh'n wie der stolze Magnat mit dem Leib Eurer Töchter feilscht – werdet Ihr es länger dulden? Bildet Vereine überall durchs Land, bewaffnet Euch und Eure Söhne, damit der erste Ruf Euch bereit findet, und wählt die Führer. Alte Soldaten sind unter Euch – laßt sie die Schwadronen und die Bataillone der Honveds bilden. Vertreibt Gewalt mit Gewalt und verjagt das fremde Soldatenvolk; vieles, was das Ministerium noch nicht wagen darf, kann ungescheut das Volk thun. Sendet Männer in die Stände Versammlung, die wahre Freunde des Volks, nicht der Deutschen und der Magnaten sind. Alle ungarischen Truppen müssen nach Ungarn zurückgesandt werden, Kroatien muß sich unterwerfen, die Feinde der Freiheit müssen abgesetzt, die Aufhebung der Roboten und Zehnten, die Besteuerung der Magnaten muß nicht bloß versprochen, sie muß sofort eingeführt werden. Wenn der König-Kaiser ein Herz für Ungarn hat, so möge er selbst nach Buda-Pesth kommen! Dahin gehört der Herrscher von Ungarn, und wenn er sich weigert – was soll Ungarn länger dann mit solchem König, der nicht sein rechter König sein will?«

Das kühne Worte machte anfangs viele erbeben, aber es war gesprochen, der Zunder in die erregten Gemüter geworfen, und blutige Ernte sollte er tragen!

»Nieder mit den Feinden der Freiheit!« rief enthusiastisch der junge Magnat. »Dem Vaterlande opfere ich die Rechte meines Standes und will nichts sein, als ein freier Ungar! Ein unabhängiges freies Ungarreich und der beste seiner Söhne an seiner Spitze! Schwört mit mir den heiligen Eid, Magyarenbrüder, unser Blut und Leben der Freiheit des Vaterlandes zu weihen!«

»Blut und Leben! Wir schwören es!« Die Säbel flogen aus den Scheiden, die Hände streckten sich empor zum Schwur.

Mak, der gewandte Agent der revolutionären Partei, war auf die Bank gesprungen. »Und Leben und Blut für den Vorkämpfer unsrer Freiheit! Unsern Eid Ludwig Kossuth, dem Führer der Ungarn!«

Und wiederum wurde der Schwur geleistet; die Männer umarmten einander im Rausch wilder Begeisterung, kühner, glänzender Träume von der Wiedergeburt des Vaterlandes.

Der Agitator drückte dem jungen Magnaten die Hand. »Sorgen Sie mit Mak dafür, daß die Adresse mit den Forderungen an den Reichstag sofort unterzeichnet wird. Der Ausmarsch der Rekruten wird die beste Gelegenheit sein, die Bewegung ausbrechen zu lassen und die Menge mit fortzureihen. Ihr Oheim und ich rechnen auf das Komitat.«

Mak hatte unterdes die Bauern und die Tanyenbesitzer bearbeitet; es wurde beschlossen, daß die junge Mannschaft noch im Laufe der Nacht in die Pußten geschickt werden solle, um den Werbern entzogen zu werden. Die Männer entfernten sich, ihren Freunden und Nachbarn den gefaßten Entschluß zu verkündigen.

»Zum Henker mit dem Hund von Betyáren!« sagte Mak von ihrer Begleitung zurückkehrend. »Ich rechnete sicher darauf, daß er den Gendarmen eine Nase drehen und zur rechten Zeit wieder hier sein würde; denn an Mut, dem Teufel die Zähne zu weisen, fehlt es ihm nicht. Aber ich habe mich vergeblich nach ihm und dem Weibe umgesehen, obschon es gleich zehn Uhr ist.«

»Zehn Uhr?« Der junge Magnat, der mit dem Agitator und mehreren Führern der Versammlung eifrig beschäftigt gewesen, sprang erschrocken auf. › Isten nyéla!‹ es ist die höchste Zeit. Begleiten Sie mich, einer von Ihnen, meine Herren! Es gilt eine Ehrensache, und ich muß um zehn Uhr zur Stelle sein!«

»Mit wem?« Der Minister hielt ihn am Arm zurück.

»Mit dem russischen Spion, dem Gast meines Vetters Pálffy. Seine Abreise war nur scheinbar, er erwartet mich am Saum des Waldes!«

»Ich bin der Ihre, Stephan,« sagte einer der jungen Edelleute. »Ich sah am Mittag, wie Sie Worte wechselten, und ich dachte mir den Ausgang um der Gräfin willen. Haben Sie Pistolen?«

»Der Russe wird die seinen geben. Sie griffen nach den Mänteln und stürzten dem Ausgang zu, aber ein donnerndes »Halt!« fesselte ihren Fuß.

Die sonst so ruhige Stirn des Agitators hatte sich finster zusammengezogen, in seinen Augen lag drohender Zorn.

»Nicht von der Stelle, sag' ich! Ist das der Gehorsam, den Ihr mir gelobt? gehört einem thörichten Streit das Blut, das Ihr dem Vaterlande geweiht? Schließen Sie die Thür, Mak! Keiner soll das Zimmer verlassen, ehe wir unser heiliges Werk beraten!«

Die Uhr des nahen Kirchturms hob aus, man hörte die hellen Glockenschläge der zehnten Stunde.

Graf Stephan taumelte zurück und schlug die Hände vor das Gesicht. »Meine Ehre! ich bin gebrandmarkt, wenn ich nicht zur Stelle komme. Dieser falsche Russe wird meine Schande durch die Welt schreien!«

»Er wird Ihnen vielleicht eher gegenüberstehen als Sie es denken,« sagte der Minister streng. »In der ersten Schlacht für Ungarns Freiheit, der allein Ihr Leben gehört, werden Sie zeigen, daß ein Batthiányi kein Feigling sein kann. Ich bin Ihrem Oheim für Sie verantwortlich, dort ist Ihr Platz – schreiben Sie, was ich Ihnen diktiere.«

Der junge Magnat wankte fast willenlos zu dem Tisch; seine Hand faßte krampfhaft die Feder, während der Minister ihn fest unter seinem Blick hielt.

Kossuth diktierte: »An die Bewohner der Komitate Szegedin und Gyula.« Mechanisch fuhr die Feder über das Papier – aber noch ehe die Worte vollendet waren, stampfte der junge Graf wie wild auf den Tisch und sprang empor. Sein Gesicht glühte, sein Entschluß war gefaßt. »Geben Sie Raum, Herr,« sagte er rauh zu dem ihm noch einmal entgegentretenden Minister, »über die Ehre eines Batthiányi hat ein Kossuth nicht zu entscheiden. Fort von der Thür, Mak, oder ich spalte Ihnen den Schädel!« Den blanken Säbel in der Faust, stürzte er nach der Thür, die der Agent auf einen Wink des Ministers frei gab, und eilte hinaus; der von ihm gewählte Sekundant folgte ihm.

»Thörichte Knaben,« murmelte der Agitator, »Ungarn braucht Eurer nicht, um frei zu werden, aber wenn der Zügel in meiner Hand, soll Euer trotziges Magnatenblut gehorchen lernen! Was ist das für ein Lärm vor der Csárda? es muß etwas Ungewöhnliches geschehen sein – vielleicht sind sie handgemein mit den Werbern!«

Man hörte in der That wilden Lärm, Weibergekreisch, Männerstimmen, die nach Waffen riefen, gellendes Hilfegeschrei – Mord! – Alle eilten dem Ausgang zu, zu schauen was es gäbe.

Graf Stephan hatte die Schwelle der Csárda noch nicht überschritten, als zwei Reiter in gestrecktem Galopp heran sprengten und sich von den Pferden warfen – ein junger Mann in der Magyarentracht, in den langen Halinamantel gehüllt, das Gesicht mit dem Hut verdeckt; hinter ihm in seinem Szür der Betyár.

»Was ist hier geschehen? was geht hier vor?«

Vor der Stimme bebte der junge Magnat zurück. »Bei allen Heiligen – Gräfin Cäcilie?«

»Still!« Das Mädchen, denn sie war es in der That, legte ihm die Hand auf den Mund. »Ist der Minister noch hier?«

»In der Hinterstube – sie sind alle versammelt. Verzeihen Sie, daß ich mich nicht aufhalte, und leihen Sie mir Ihr Pferd. Eine Ehrenpflicht, die ich fast versäumte …:«

Die Gräfin faßte ihn an den Arm und wies auf einen großen Blutfleck auf ihrem weißen Mantel. »Unbesorgt,« sagte sie, »Ihre Ehre ist gewahrt, Vetter; Rózsa kann Ihnen das weitere sagen. Aber wenn Herr Kossuth hier nicht gesehen zu sein wünscht, so muß er sich vorsehen. In zehn Minuten wird eine Kompagnie Militär aus Szegedin hier sein, die zum Schutz der Werber kommt!«

Der Minister stand bereits hinter ihnen und hatte die letzten Worte gehört. »Lassen Sie anspannen, Mak,« sagte er ruhig, »und Dank Ihnen für die Warnung! Ich hoffe, die Zeit ist nicht mehr fern, wo der Minister Ungarns den Soldaten des deutschen Kaisers auf andere Weise begegnen wird.«

Schüsse knallten in dem Knäuel der Menge, die sich um das Wachthaus drängte; kopfüber stürzten Männer und Frauen über einander her, ein wildes Geheul – über die Liegenden hinweg sprang ein dunkler Körper und huschte über den Platz, das schreiende Volk hinter ihm drein.


Der bedeutsame Wink, den der russische Fürst und Graf Stephan beim Scheiden ausgetauscht, die Betonung, die der erstere auf die zehnte Stunde gelegt, und das Zurückbleiben des jungen Magnaten im Dorfe, hatten Gräfin Cäcilie vollends überzeugt, daß ihr Verdacht über die Folgen des Streites am Morgen richtig gewesen, und eine Herausforderung der beiden Nebenbuhler stattgehabt hatte.

Kühn und männlich in allen Entschlüssen, war der ihre sogleich gefaßt; nicht das Duell zu verhindern, das konnte der stolzen Tochter der Pálffys nicht in den Sinn kommen, aber die Aufregung, die Besorgnis um den Mann, dem sie ihre Liebe gegeben, hätte sie unmöglich unthätig des Ausgangs harren lassen.

Kurzes Nachdenken zeigte ihr, daß das Rendezvous auf der Straße nach Szegedin, auf der Fürst Trubetzkoi abgereist war, oder in ihrer Nähe stattfinden mußte.

Ihre Erziehung hatte sie mit allen männlichen Übungen vertraut gemacht; mit leichter Mühe verschaffte sie sich aus der Garderobe ihres verstorbenen Bruders ein ungarisches Männer-Kostüm, das dem des Grafen Stephan glich. Eine halbe Stunde nach ihrer Rückkehr ins Schloß stand sie an dem Seitenausgang des Parks, wo der Reitknecht auf ihren Befehl ihr Pferd bereit hielt; zwei Minuten nachher jagte sie allein durch die lichte Mondnacht querfeldein über die Fläche, das Dorf vermeidend, bis sie jenseits desselben die Straße nach Szegedin erreicht hatte.

Hier mäßigte die Gräfin den Lauf ihres Pferdes und ritt langsam den Weg entlang, zur Rechten und zur Linken spähend, ob sie kein Anzeichen bemerken könne. So war sie bereits einige Minuten in dem Tannenwalde fortgeritten, als sie an einer von dem Mond beschienenen Stelle das Schnauben eines Pferdes hörte und das niedrige Gehege sich teilen sah. Ein Reiter, in den weißen Szür gehüllt, den Hut über das Gesicht gezogen, erschien in der Öffnung, und die Flinte in seinem Arm, bereit zum Anschlag, bewies ihr, daß sie auf ihrer Hut sein müsse.

Im Augenblick war eine der beiden Pistolen, die sie in die Schärpe gesteckt, in ihrer Hand und der Hahn gespannt. Das Knacken desselben schien jedoch wenig Eindruck auf den Fremden zu machen.

» Baszom a Mágnást! laßt das Ding stecken,« sagte er gleichmütig; »wenn ich Euch ans Leben oder auch nur Euch etwas leichter machen wollte, würde ich nicht gewartet haben, bis der Puffer in Eurer Hand war. Wenn Ihr, wie ich nach Eurer Kleidung schließe, ein echter Magyar seid, sollt Ihr einem Manne einen Dienst erweisen, dessen Ruf schlimm genug ist, der ihn aber, bei Gott! sich verdient hat nur an den Feinden und den Blutsaugern des Vaterlandes!«

»Was willst Du?«

»Die Stimme sollt' ich kennen,« meinte der Fremde, »obschon ich sie selten genug gehört habe, und ich nicht wüßte, wie die Eigentümerin hierher käme zu dieser Stund'!«

»Nochmals – was willst Du? Ich habe ein Magyarenherz und verrate keinen Landsmann!«

» Teremtete! Der Teufel soll meinen Leib fressen, wenn es nicht ist, wie ich gedacht. Ist sich's die schöne Gräfin vom Schloß, des jungen Herrn Braut seinigte!«

»Und wer bist Du?«

Der Betyár nahm den Hut ab und warf die Flinte auf den Rücken. Das volle Mondlicht fiel auf sein Gesicht. »Weiß nicht, ob schöne Dame gehört von Rózsa Sándor dem Betyár; bin ich's, wie er leibt und lebt.«

Die Gräfin erbebte einen Augenblick, sich allein in dem Wald, in so unmittelbarer Nähe des weit berüchtigten Räubers zu sehen, sofort aber gedachte sie seines mutigen und von einem gewissen Edelmut zeugenden Auftretens zu Gunsten des armen Slowaken, dessen Zeugin sie gewesen, und begriff, daß sie persönlich nichts von ihm zu fürchten hatte. Seine nächsten Worte bestätigten dies auch.

»Gendarmen verfluchte haben mich getrieben weit hinaus in die Pußta, aber hab' ich gedreht ihnen die Nase so groß, und bin gekehrt zurück, während sie laufen immerzu nach dem Fluß. Möge der Teufel ihre Seelen in den Sumpf stecken. Rózsa hat versprochen, in dem Falu zu sein, wenn die Männer zusammenkommen, die ein Herz haben fürs freie Ungarland! Ich muß in das Dorf, aber ich möchte gern wissen vorher, was geschehen ist, nachdem ich geritten davon, und ob die Spitzbuben haben gefangen gesetzt Katharina, das Weib meinigtes.«

»So viel ich weiß, ist nichts der Art geschehen. Man hat Deine Verfolgung als zwecklos aufgegeben, und wenn Du warten willst, sollst Du unter dem Schutz eines Mannes in das Falu Dorf. zurückkehren, an den die Häscher sich nicht wagen werden. Bist Du auf dem Wege von Szegedin einem Wagen mit dem Dreigespann begegnet, einem der Gäste meines Vaters?«

» Teremtete! es war der russische Knäs.«

»Wohl! und hat er seinen Weg fortgesetzt?«

»Weiß nicht, was er hat – glaub', er ist Spion, und bin ihm gefolgt deshalb. Eine Meile von hier hat er lassen umkehren den Wagen, ist gefahren dort drüben ans Waldend', wo die drei Tannen stehen. Da sitzt der Knäs seit einer halben Stund' im Mondschein und thut schön mit der Zigeuner-Dirn', die gewartet auf ihn, wo Kreuz steht, das steinerne.«

»Höre mich an, Mann,« sagte entschlossen die Gräfin. »Kannst Du mich in die Nähe führen, ohne daß er's merkt? Ich möchte ihn belauschen, denn die Dirne ist nicht die einzige Ursach', wegen deren er zurückgekehrt ist.« Ein Gedanke, von dem aufsteigenden Zorn gegen den treulosen Bewerber erweckt, flog durch ihren Kopf. »Vielleicht hab' ich noch ein ander Geschäft, und Du sollst reich belohnt werden für den Dienst.«

Der Betyár erklärte sich bereit, Nachdem beide von den Pferden gestiegen, ging er voran und führte sie vorsichtig am Saum der jungen Föhrung entlang in die Nähe der bezeichneten Stelle.

»Pscht – Herrin – schau' auf! Da sind sie, so wahr Augen die meinigten sehen können.«

Gräfin Cäcilie erblickte den Wagen, auf dessen Bock der Kammerdiener des Fürsten saß, seine Pfeife rauchend. Der Csikos lag neben seinen Pferden auf der Erde.

Etwa hundert Schritt von der Stelle, wo der Wagen hielt, saßen ein Mann und ein Mädchen auf den Wurzeln einer großen Tanne. Der Mann hatte eine Rumflasche neben sich stehen und das Mädchen im Arm. Es waren der Fürst und die junge Zigeunerin. Die Gräfin befand sich jetzt, indem sie allein vorsichtig so weit sich genähert, kaum zwanzig Schritt hinter dem Paar, und in der Stille der Nacht hörte sie die lüsternen frechen Liebkosungen des Tartaren, die ihr das Blut in die jungfräulichen Wangen trieben.

»Ich dachte mir's fast,« lachte der Fürst, indem er das Zigeunermädchen noch enger auf seinen Schoß zog, »daß der junge Kampfhahn ausbleiben würde. Er mag sich in den Augen der stolzen Närrin sonnen, während ich Deine heißen Lippen küsse, Mädchen, die mehr wert sind, als alle Gräfinnen ganz Ungarns.«

Die junge Dirne hatte sich rückwärts mit dem Oberkörper über seine Knie gelegt; ihr geöffneter Mund zeigte die weißen Reihen der Zähne. Ihre Hand spielte an seinem Kinn, die schwarzen Augen waren halb geschlossen.

»Nimmst Du Tunsa mit in Dein goldenes Schloß, Blanker?« fragte sie. »Tunsa will Dich lieben und küssen, wenn Du ihr schöne Kleider giebst und rotes Gold!«

»Du sollst mit nach Moskau und Petersburg; ich laß Dich ausbilden von den französischen Tänzern, kleine Hexe, und Du sollst Dein eigen Haus haben, wie eine Fürstin.«

»Aber die Dienstleute im Schloß sagen, Du wolltest die weiße Gräfin heiraten, oder der blanke Magnat, der so stolz auf die armen Zigeuner herabsieht. Aber d'rum soll er sie nicht haben, sondern Du, Tunsa wird's schon machen und ist gar nicht eifersüchtig, wenn Du nur ihr Glück machst, wie Du versprochen hast!«

»Närrin! Du willst mir zur Gräfin verhelfen? Wie wolltest Du's anfangen?« Er küßte wieder ihre roten Lippen und fuhr mit lüsterner Hand über die halb entwickelten Formen.

»O, Tunsa kann vieles, wenn sie auch noch jung ist. Sie hat die Mumeli Swa, die Mutter des Stammes, oft belauscht, wenn sie ihre Liebestränke kochte. So wahr der Aldebaran über dem Schloß funkelt, aus dem sie das arme Zigeunerkind mit Hunden jagten, als es in der Winterkälte um Brot und Raum am Feuer für die Großmutter bat; die schlanke Gräfin soll Dein werden, der Du eine offene Hand hast für die Kinder der Heide!«

Der Fürst spielte lächelnd mit den Pistolen, die er neben sich gelegt. »Ich denke, ich habe hier ein Mittel, mein Püppchen, das sicherer zum Ziele führt, als all Deine Zaubertränke. Wir wollen warten, bis die Uhr im Dorf die zehnte Stunde geschlagen, und dann fort nach Szegedin. Seine Ehre ist verloren, wenn er nicht kommt, und die Braut dazu. Einstweilen laß uns das Leben voll Lust genießen bis zum letzten Tropfen. Halt – was schleicht dort im Holz?«

»Es ist der Fuchs, der auf Beute geht. Blanker, oder der Hase in seinem Nest,« lachte das Zigeunerkind. »Trink' und küsse Tunsa, denn es weht kalt über die Heide.«

Er setzte die Flasche an den Mund und sog den heißen starken Trank in langem Zug, dann riß er die Dirne zu sich nieder.

Die Gräfin hatte sich hastig entfernt. Wenige Augenblicke nachher saß sie wieder zu Roß; einige Worte hatten genügt, den Betyár über seine Rolle zu verständigen und seinen Wiederspruch zu besiegen.

Der Fürst sprang empor. »Dort kommen Reiter aus dem Gehölz!« Er pfiff nach seinem Kammerdiener, der eilig herbeikam. »Führe das Mädchen zum Wagen und laß sie dort bleiben, bis die Sache entschieden. Hier, Kind, nimm die Börse, und kehre zu den Deinen zurück oder geh', wohin Du willst, wenn der Satan mir einen Streich spielen sollte!«

Noch bevor der erste Reiter herankam – der zweite hielt sich in einiger Entfernung – war der Diener, der an solche Geschäfte seines Herrn gewöhnt schien, wieder bei ihm.

Der Mann stieg vom Pferde und band dasselbe an einen Stamm, der zweite that dasselbe und blieb, in seinen Mantel gehüllt, stehen.

»Ist sich Graf Istvan Stephan. dort gekommen allein mit mir. Bin ich freier Ungar, also Edelmann so gut wie einer,« sagte der Mann ohne weitere Vorstellung. »Können wir gehen ans Werk, totzuschießen schuftigen Moskowiten.«

Der Fürst lachte hell auf. »Eine neue Species von Sekundanten; indes das paßt zu dem meinen. Sprich mit dem Gentleman, Pierre, und bringe das nötige in Ordnung.«

Er ging einige Schritte auf und nieder, der französische Kammerdiener machte mehr durch Zeichen als durch Worte sich dem Ungar verständlich und maß die Entfernung ab, fünfzehn Schritt. Der Ungar wies grinsend auf die Pistolen, die er in der Hand trug, und bedeutete ihn, daß jeder der Herren sich seiner eigenen Waffe bedienen solle.

Der russische Oberst stellte sich auf seinen Platz, sogleich kam der Mann im Mantel heran, ließ diesen fallen und zeigte die Person des Grafen Stephan in der ungarischen Tracht; nur der Hut beschattete tief das Gesicht, so daß der Fürst trotz des hellen Mondscheins nicht die Züge des Gegners zu erkennen vermochte.

»Da unsere höchst ehrenwerten Zeugen,« sagte er spöttisch, »sich nicht verstehen und unsere Rechte bestimmen können, so schlage ich vor, gleichzeitig zu schießen, sobald mein Kammerdiener zum drittenmal in die Hände klatscht. Er hat einige Erfahrung in solchen Dingen.«

Sein Gegner machte eine stumme zustimmende Verbeugung; der Diener des Russen trat zur Seite.

» Fene Egyemek! Ich will seine Hundeseele haben, wenn er Ihnen ein Leids thut!«

»Still!«

»Sind Sie bereit, Herr Graf?«

Der Magnat nickte und hob das Pistol.

Der Diener schlug zum erstenmal die Hände in einander.

»Zielen Sie gut, es gilt Ihrer schönen Cousine. Wenn Sie noch etwas in diesem Leben an sie zu bestellen haben.«

»Schurke!«

Der Russe stutzte bei dem Klang dieser Stimme – im selben Moment klatschte das dritte Signal, und die beiden Schüsse verschmolzen in einen einzigen Knall.


Hussah! Baszom a lelkedet! Ein lustiger Halál! »Frisch auf, Burschen! in die Schwemme mit ihm! in die Schwemme!«

Der tolle Knäuel peitschte auf den lahmen Gaul, im wilden Jagen ging es der Pferdeschwemme zu; Pferd und Reiter flogen kopfüber in den Morast.

»Wo ist der Halál? Laßt uns den Teufel verbrennen! Kurvaniád! Ein lustiges Feuer, Bursche, und den Reigen d'rum her!«

Erschöpft, zerschlagen, zerstoßen, blutend, von Schmutz und Wasser triefend, floh der Slowak, von seinen Peinigern, die ihr wüstes Spiel jetzt mit der Strohpuppe trieben, befreit, über den Platz, sprang über die Fenzen und Düngerhaufen der Tanyen und erreichte keuchend das Wachthaus. Sein Aussehen hatte fast nichts Menschliches mehr.

»Wo ist der Capitány? um der Szen Muttergottes willen! Szabó muß sprechen den Capitány!« Die Panduren der Wache lachten ihn aus; er rang keuchend mit ihnen, bis er die Thür des großen Flurs gewonnen, wo um das Herdfeuer die wilden Soldaten lagerten und der Kapitän mit dem langen Schibuck saß und sich von Hanka, dem Strapazier-Mensch, den heißen Punsch, mit rotem Pfeffer gewürzt, brauen ließ.

»Was will der Hund? Den Teufel über seine Seele!«

Der Slowak warf sich zu seinen Füßen und umklammerte seine Knie. »Erbarmen, Gestrenger! Szabó will Dein Knecht werden und alles thun, aber gieb die Hanka frei!«

»Hund von einem Slowaken! Du und Deinigte sind schuld, daß Jurisch im Dorf bleiben mußte, statt an der Tafel des Magnaten sich gut zu thun. Fort mit Dir, eh' ich Dich schlagen lasse tot wie tolles Vieh. In die Kammer, Dirn', und bereite mein Lager. Es ist Zeit, daß ich komme zu meinem Recht!«

Er faßte das willenlose Mädchen und stieß sie durch die Thür, die zu der niederen, aber geräumigen Stube führte, welche sein Quartier bildete. »Fürcht Dich nix vor dem Wolf! Ist ja Hochzeitsgeschenk von Deinem Liebsten und kann zuseh'n zu unsrer Lust!«

Der Slowak hatte sich erhoben.

»Willst Du die Hanka frei geben, Capitány?«

»Ist der Bursche verrückt?«

»Zum letztenmal – verhütig' es Gott, aber es giebt ein Unglück!«

»Die Dirne ist schön und ihr Leib ist jung! Sie soll mir machen Lust vielligte, so wahr ich der Jurisch heiße!«

Ein wütender Faustschlag traf ihn in den frechen Mund, daß das Blut unter dem langen Schnurrbart hervorquoll. Mit einem raschen Griff hatte der Slowak zugleich den Säbel des Taumelnden aus der Scheide gerissen und stürzte mit der blanken Klinge auf ihn los.

Aber ehe der geschwungene Stahl ihn noch durchbohren konnte, warfen zwei der Panduren sich zwischen sie, andere faßten den Sauhirten um den Leib und warfen ihn trotz seines rasenden Widerstandes zu Boden. Der Lärm hatte die draußen lungernden Soldaten und viele Weiber und Männer an die Thür gezogen. Die Nachricht, daß Szabö Palkó, der Kanász, den Panduren-Hauptmann habe erschlagen wollen, verbreitete sich schnell und rief manches nur halb unterdrückte Eljen für den wackern Burschen hervor.

Hanka, die Ärmste, um die alles das geschehen, hatte das Gemach verlassen und kniete vor dem Offizier, der sich auf einen Schemel am Feuer niedergesetzt, das Blut aus dem Gesicht trocknete und das grünliche schiefe Auge mit satanischem Ausdruck auf den Unglücklichen gerichtet hielt, der gewagt hatte, sich an ihm zu vergreifen.

»Bindet den Hurensohn! Schnürt ihm die Glieder fest, daß die Bestie sich nicht regen kann.«

Mit Stricken wurden dem Slowaken Arme und Beine von der fixen Hand der Panduren zusammengeschnürt, daß er wie ein Ball auf dem Padlás, dem gestampften Lehmfußboden, lag.

»Soll ich ihm stecken Knebel in Mund den seinigten, oder ihm schlitzen die Zunge mit dem Messer?« fragte der. eine der Henker.

»Nein! Er soll reden und schreien! Baszom a császart! Sein Geschrei soll sein Lust für Jurischs Ohr!« Er hatte sich erhoben und war zu dem Gefangenen getreten. »Hund verfluchtiger,« sagte er mit einem tückischen Fußtritt, »weißt Du, daß ich könnte Dich lassen machen tot, weil Du vergriffen Dich am Offizier?«

»Erbarmen, Herr!« schluchzte das Mädchen; »schenke Szabó das Leben; wir wollen Dir beide dienen unser Lebelang!«

Der Hauptmann faßte die hübsche Slowakin und riß sie empor. »Weiß ich was besseres, als zu machen den Hund tot; kann ihn brauchen der Kaiser, und soll er vorher haben Strafe, die seine Hundeseele soll schmerzen mehr, als der Tod. Werft das Vieh hinein in die Kammer, soll er liegen bei seinem Geschenk die ganze Nacht und sehen, wie Panduren-Offizier hat sein Recht in schuftigem Ungarland!«

Die rohen Grenzer jubelten über den Einfall ihres Führers; wie ein Sack wurde der Slowak aufgehoben und auf den Fußboden der Wohnung des Hauptmanns geworfen, kaum zwei Schritt von dem Wolf entfernt. Der Panduren-Offizier schleppte das Mädchen hinein. »Haltet die Wach' gut, Heiducki, und daß keiner uns stört!« Dann schloß er die leichte Bretterthür.

Das Gemach des Hauptmanns war ziemlich groß, denn es nahm die ganze Breite des Gebäudes ein und bildete dessen Ende. Zwei Kienspäne, in eisernen Klammern an der dünnen, nur von Lehm und Fachwerk gebildeten Wand, beleuchteten die Stube und trieben ihren Qualm an die niedere Decke. Das ganze Mobiliar bestand aus einem grob gezimmerten, im Boden festgemachten Tisch mit einigem Schreibgerät, Gläsern und Krügen darauf, zwei oder drei Schemeln und einer großen Pritsche oder Feldbettstelle am anderen Ende des Zimmers, in der ein Bund Maisstroh, ein Bärenfell und einige wollene Decken das Lager des Postenkommandanten bildeten. Auf Pflöcken an den Wänden hingen Kleidungsstücke und Waffen des Hauptmanns. Ein einziges schmales Fenster ging hinaus auf den Kirchplatz. Einige neugierige Gesichter tauchten wie Schatten vor den erblindeten Scheiben auf beim Eintritt des Grenzers und seiner Beute, verschwanden aber gleich darauf, von der Schildwache vertrieben.

Zur Seite der Thür lag das gefesselte Raubtier, machtlos in seiner Wut und zuweilen nur ein heiseres Schnauben aus der zerrissenen Kehle hören lassend; kaum zwei Schritte von ihm entfernt im Winkel, dicht an der Hinterwand der Stube und des Gebäudes, lag der Slowak, dessen Arme und Beine mitleidslos zusammengeschnürt waren.

Seit seiner Überwältigung hatte der Ärmste keinen Laut mehr von sich gegeben und ohne sich zu rühren die Mißhandlungen der Soldaten ertragen. Auch jetzt lag er stumm und still; nur sein dunkles, fest auf die Slowakin gerichtetes Auge zeigte, daß noch Leben in ihm war.

Der Hauptmann hieß das bebende Mädchen eine alte Decke vor das Fenster hängen, während er Säbel, Mantel und Mütze ablegte.

»Zieh' Dich aus, Hanka!«

Das arme Mädchen zitterte so stark, daß sie sich nicht zu rühren vermochte. Der Pandur hatte selbst die Decken des Lagers zurückgeworfen und begann sich zu entkleiden.

»Wird's, Dirne, oder soll die Peitsche helfen?«

Das Mädchen, das im Gefühl der altgewohnten Knechtschaft und hergebrachten Sitte sich vielleicht gar nicht geweigert haben würde, die rohen Befehle ihres neuen Herrn zu erfüllen, wenn nicht die Gegenwart des Geliebten ihr Herz zusammengeschnürt und den Widerstand der Schamhaftigkeit in ihr wach gerufen hätte, hob flehend die Hände zu ihm empor.

»Herunter mit der Bunda!« Er hatte eine schwere Peitsche ergriffen und schwang sie drohend gegen das Mädchen. Ihre zitternden Hände verrichteten ihm nicht schnell genug das Werk, mit frecher Faust riß er in einem Griff den Pelz von ihren Schultern, die Parta aus ihrem Haar. Ein zweiter Griff zerriß die Haken des Mieders, das Hemd über ihrem Busen. Zu dem Rausch und der Brutalität des Hasses kam mit dem Blick auf die enthüllten vollen Formen des Mädchens die roheste Sinnlichkeit.

»Schnell, Dirne, spute Dich! Du siehst ja, Szabó Liebster der Deinigte wird ungeduldig und will ins Brautbett!«

Die Peitsche klatschte drohend zu dem rohen höhnenden Gelächter durch die Luft; in der Pause eines Moments klang ein Ton durch das Gemach, wie das zermalmende Aufeinanderknirschen der Zähne.

»O, Herr, ich will alles leiden; aber schone mein – thu' fort die Späne!«

»Närrchen! was kümmert Dich das Licht?« Er riß das Kleid ihr vom Leibe, erfaßte die Flüchtende mit starkem Arm und schleppte sie zum Lager. »Soll ich Gehorsam lehren noch einer slowakischen Magd? Den Teufel über Deinen Trotz! wag' nicht zu mucken, sonst sollst Du fühlen die Faust des Jurisch!« Er warf sie brutal auf das Bett und legte die gespannten Pistolen auf den Schemel am Kopfende.

»Nun, Szabó, Slowak, sei lustig, Bursch', und heul' mit dem Wolf uns das Brautlied! Nimmer wirst Du heben die Hand wider Jurisch mehr!«

Die Kleider flogen auf den Boden; wie der Wolf auf seine Beute, stürzte er sich auf das Lager und umfaßte den schaudernd sich windenden Körper des schluchzenden Mädchens.

Die flackernde, rote Glut der Kienspäne schlug durchs Gemach und warf ihren schwachen, züngelnden Schein auf die empörende Scene.

Dann, als schämte sich das Licht dessen, was es beschien, erlosch knisternd die eine Flamme, darauf die andere.

Draußen auf dem Platz tönte noch immer das lustige Toben der Menge, die Fiedel und schrillende Flöte der Zigeuner; die Strapazier-Menscher flogen im wilden Tanze mit den trunkenen jubilierenden Burschen.

In dem Gemach hörte man nur das unterliegende Ringen, das Stöhnen brutaler Gier, das leise Wimmern des Mädchens und das Schnauben des Wolfes. Der Mensch wetteiferte mit der Bestie.

»Hei, Szabó Slowak, bei Szent Lajos! die Dirne ist süß! Baszom teremtete! wie gefällt Dir die Brautnacht?«

Eine halbe Stunde mochte vergangen sein, jeder Widerstand des armen Mädchens hatte aufgehört, der Mörder ihres Glückes berauschte sich in der Erschöpfung der brutalen Lust.

Welche Feder vermöchte zu beschreiben, ja, nur anzudeuten, was während der Zeit der unfreiwillige Zeuge seiner Schmach, der rohe Sohn der Natur mit seinen ungezähmten Leidenschaften und Gefühlen empfand.

Aus dem Starrkrampf, der zuletzt seine Sinne und Nerven umfangen hielt, erweckte ihn jetzt ein kratzendes, scharrendes Geräusch, das dicht an seinem Kopfe in der Wand seit mehreren Minuten fortdauerte.

Gleichgültig gegen alles, außer der Wut und dem Schmerz, die ihn verzehrten, rührte er sich nicht.

Dann hörte das Geräusch, das immer näher gedrungen, auf, und ein kalter Luftzug berührte seine mit Schweiß bedeckte Stirn.

Er wußte, ohne das Haupt zu wenden, daß dieser Luftzug von einer Öffnung in der leichten Lehmwand herkommen mußte, die eine unbekannte Hand von außen gemacht.

»Szabó Palkó! Szabó Slowak!«

Der Hauch der fremden Stimme war so leicht, daß er kaum zu seinen Ohren drang; dennoch, in dem gespannten Zustand der Nerven, fühlte er sogleich, daß eine befreundete Seele ihm nahe.

Mit unsäglichem Schmerz drehte er den Kopf der Öffnung zu. »Wer ruft Szabó, den Elenden?«

Der leise Ton schien draußen vernommen, denn sofort kam die Antwort: »Kathrina Bodó, das Weib des Sándor, ist's, die Dir nahe!«

»Dank Dir, Kathrina! die Unglücklichen allein wissen, wie wohl eine Freundesstimme thut. Wo ist der Betyár?«

»Er ist fort und ich hoffe, in Sicherheit. Kann Kathrina etwas für Dich thun, Szabó Slowak? Ich weiß daß Du den Rózsa meinigten gerettet vor den Tatzen des Bären und möchte dankbar Dir sein.«

Der Gefesselte schwieg einen Augenblick; dann flüsterte er:

»Hast Du ein Messer?«

»Ja!«

»Versuch' es, ob Du den Strick durchschneiden kannst, der meine Hände und Füße knebelt.«

Er wand und drehte sich, bis der Knoten dem Loch in der Mauer gegenüberlag; aber vergeblich waren die Bemühungen der Frau, mit dem Messer den Strick zu erreichen, und die seinen, den Knebel um die Gelenke nahe genug zu bringen.

»Kann ich nicht; es ist unmöglich! Armer Szabó!«

Ein Gedanke, der Hölle entstiegen und dennoch eine Wohlthat seinem gemarterten Hirn, zuckte durch seine Seele.

»Laß das Messer fallen! schieb' es herein!«

Ein leichter Klang der fallenden Klinge verkündete, daß sie seiner Weisung Folge geleistet.

»Ich danke Dir, Kathrina Bodó. Grüße den Rózsa und bet' für die Seele vom armen Slowak. Die Panduren möchten Dich sehen, wenn Du länger weilst um des Szabó willen.«

»Was murmelt das Tier?« Der Kapitän fuhr aus seinem Taumel empor. »Sie ist schmuck, Dein Mädel, Hund von einem Slowaken! Küsse mich, Dirne, daß Dein Liebster es hört.«

Und laut schmatzten die geilen Küsse durch das Dunkel.

Der Sauhirt hatte nach langem Suchen das Messer erfaßt. Zu der eigenen Befreiung konnte er es nicht anwenden, das machte die Lage der geschnürten Hände unmöglich. Der menschliche Ball schob sich von der Wand ab nach der Stelle, wo der Wolf lag, geschnürt wie er selbst.

Es war, als ob das Tier die Nähe seines Feindes, seines Überwinders fühlte; es schnob und keuchte und wälzte sich unruhig hin und her.

»Teufel verfluchtigter! haltet Ruh', Du und der Wolf! seid Ihr beide eifersüchtig, Szabó Slowak?«

Der Gefangene antwortete nicht. Er hatte sich mühsam so gedreht, daß seine Handgelenke die Krallen des Wolfes berührten; das Messer begann an dem Knoten des Strickes zu sägen, obschon die scharfen Klauen seine Hände und Arme zerfleischten.

Wer ihn hätte schauen können in dem Dunkel, das im Gemach herrschte, nur durch den schmalen Lichtreflex gedämpft, der durch die Spalten der schlechten Thür vom Herdfeuer des Flurs hereinfiel, würde seine Augen jetzt grimmiger haben funkeln sehen, als die des Wolfs, seine Brust im unterdrückten Stöhnen sich gewaltiger heben, als die Flanken des keuchenden Tieres.

Seine blutenden Finger fühlten nach dem Strick, der den Wolf geknebelt hielt – nur noch an dünnen Fasern hing der Knoten.

»Küsse mich, Dirne! Lustig! lustig! bist ein tüchtig Mensch – sollst's gut haben bei Jurisch! Fene egyemek! was ist's mit dem Vieh? – Kutya teremtete! was thust Du mit dem Wolf?«

Ein wildes Geheul, ein Hohngelächter antwortete ihm; zwischen den Zähnen hervor zog die Hand des Slowaken das Holz aus dem Rachen der Bestie, daß Fetzen Fleisch und Knochensplitter daran hingen, mit einem heftigen Ruck riß der Wolf die Bande vollends auseinander und sprang empor.

»Hussah, Wolf! hussah, Kamerad! Wolf und Slowak kommen zur Hochzeit!« Es war, als ob das Tier auch jetzt noch, im Ausbruch ungefesselter Wut und des grimmen Schmerzes, den Bezwinger fürchte, denn nicht auf diesen, die sichere Beute, warf es sich, sondern sprang, einer anderen Witterung folgend, mit dumpfem Geheul vorwärts. Ein Pistolenschuß knallte aufs Geratewohl durch das Dunkel, die Kugel schlug in die Mauer und der Pulverblitz zeigte, wie das grimme Tier mit den glühenden Augen im gewaltigen Satz durch die Luft flog, und wie der Schütze entsetzt sich aus das Lager zurückwarf, nach Hilfe brüllend.

Im nächsten Moment ein wildes Ringen, der entsetzliche Fluch einer Männerstimme, der gellende furchtbare Schmerzensschrei eines Weibes, der in Röcheln verscholl. Gegen die vereinte Kraft der Panduren, die aus dem Flur ihrem Offizier zu Hilfe eilten, hielt der Slowak mit Riesenkraft, zusammengeschnürt wie er war, minutenlang die Thür, die sich nach innen öffnete, und vor die er sich gewälzt. In dem Lichtschein, der mit der aufgedrängten Spalte lang durch das Gemach gerade auf das Bett des Hauptmanns fiel, erschien ein wirrer, sich bäumender Knäuel, Schrei auf Schrei, Röcheln, das Geheul des Tieres – –

Endlich gelang es den Panduren, die Thür aufzudrücken und mit Waffen und Feuerbränden in das Gemach zu dringen. Zwischen den beiden ersten sprang der Wolf mit gewaltigem Satz hindurch, warf einen dritten über den Haufen und gewann die offene Thür des Wachhauses. Schüsse knallten hinter ihm drein, kopfüber stürzte die neugierig herbeiströmende Menge auseinander und mitten durch sie hindurch floh in weiten Sprüngen die bluttriefende Bestie wie ein gespenstiger Schatten davon, der Heide zu.

Der Schauplatz des furchtbaren Ereignisses war jetzt gedrängt voll Menschen. Alles fragte, erzählte, zeterte. Der Anblick, der sich den Augen bot, war in der That entsetzlich. Die fast nackte Leiche der jungen Slowakin hing zu dem Lager heraus in einer Blutlache, die Brust zerfleischt, die Kehle von den scharfen Zähnen der Bestie durchbissen. Der Panduren-Hauptmann lag ohnmächtig, lebendig, aber von Wunden bedeckt, neben ihr. Gesicht, Brust, Arme waren in dem wütenden Kampf mit der Bestie auf das Furchtbarste verletzt, sein ganzer Anblick eine einzige Masse von Blut. Dennoch schien eben nur der Blutverlust ihn seiner Sinne beraubt zu haben und kein edlerer Teil verletzt zu sein, wie das Atmen der Brust und eine rasche Untersuchung des alten Husaren-Wachtmeisters ergab; daß er sich zurückgeworfen auf die andere Seite des Lagers, hatte ihn von dem ersten Angriff des wütenden Tieres gerettet, das sich zunächst auf das unglückliche, schutzlose Mädchen geworfen.

»Wo ist der Slowak? Hat die Bestie ihn zerrissen?« fragte der Husar.

»Ist sich lebendig, hat sich heile Haut, weil er mit Teufel in Bund!« schrieen die Panduren durcheinander, als die menschliche Kugel von Fußtritten nach dem blutigen Lager gestoßen wurde. »Er muß sterben! Hat gemacht den Wolf frei und gelegen vor der Thür!«

Säbel und Handjars erhoben sich, ihm den Garaus zu machen; die Wache hatte seinen Ruf gehört, der Umstand, daß der Wolf ihn verschont, verbreitete den Glauben an irgend eine übernatürliche Kraft.

»Unsinn!« schrie der Husar, die Bedränger zurückstoßend. »Daß keiner Hand an ihn zu legen wage, der Slowak gehört Kaiser-König, ist er Soldat! Seht selbst: seine Hände und Arme sind gleichfalls vom Wolfe zerbissen. Löst dem Schelm die Stricke! der Teufel hole den rotröckigen Schuft, der ihn hierher geschleppt!« Auf seinen Befehl löste einer der Husaren die Bande des Gefangenen. Durch einen Fußtritt belehrt, daß er von seiner Freiheit Gebrauch zu machen habe, erhob sich der Slowak. Sein Auge ruhte starr, mit unheimlichem Ausdruck, auf der Leiche des Mädchens und dem blutigen Körper seines Feindes. Sein Gesicht hatte eine aschgraue Färbung, die verwundeten Arme und Hände waren über die Brust gekreuzt.

»O Szabó Slowak,« flüsterte eine Stimme an seiner Seite, »was hast Du gethan!« Katharina, das Betyárenweib, zeigte ihm verborgen das Messer, dessen sie sich in der Verwirrung unbemerkt wieder bemächtigt. »Was hast Du gethan, böser Bub'!«

»Was ich mußte!« Er wandte nicht einmal das Haupt nach ihr um.

»Der Slowak darf nicht fort! Er muß vor den Richter! Isten nyéla! Keiner der Burschen soll mit den Swabi-Werbern ziehen!« Viele Stimmen schrieen widersprechende Beteuerungen durcheinander. Der alte Husar schaute sich giftig um; viele Gesichter, die noch vor einer Stunde mit ihm den Weinkrug geleert und aufs Wohl der jungen Husaren getrunken hatten, blickten ihn jetzt trotzig, drohend an.

Da wirbelte eine Trommel; Kommandoworte; Gewehre klirrten auf dem Platz – – –


»Was ist geschehen, Cäcilie? Wessen ist das Blut auf Ihrem Mantel? was soll die Verkleidung? Sie tragen den Arm im Tuch?«

»Eine Schramme, Vetter, nichts als eine Schramms; die Kugel, die Ihrem Herzen bestimmt war, streifte bloß meinen linken Arm. Die meine traf besser. Da sehen Sie!«

Von der Kirche her marschierte der Zug der Soldaten. Hinter ihnen kam eine Kutsche, der Wagen des russischen Obersten, von Soldaten mit Kienfackeln umgeben.

Auf dem Boden des Wagens kniete das Zigeuner-Mädchen und hielt den Kopf des Verwundeten an ihrer Brust, ihm jede mögliche Hilfe leistend. Der Fürst lag auf den befleckten Kissen ausgestreckt, das Blut schien aus einer gefährlichen Hüften- oder Weichenwunde gequollen, die sein französischer Kammerdiener so gut als möglich verbunden hatte.

»Mumeli-Swa! wo ist die Mumeli-Swa?«

Die alte Zigeuner-Hexe drängte durch die Menge. »Was willst Du, Goldkind? Wo bist Du gewesen so lange?«

»Koch' Deine Kräuter, Mutter Mumeli-Swa, der Herr mit der offenen Hand bedarf ihrer. Die Blanken morden einander, und für die braunen Leute kommt gute Zeit. Die weiße Herrin soll die Seine werden, wenn er aufkommt; Tunsa hat's ihm versprochen, wenn sie auch wenig Freude von einander haben werden!« setzte sie spöttisch hinzu.

Der Wagen fuhr nach der Csárda.

»Fort mit uns, Vetter Stephan,« flüsterte die Gräfin. »Wir wollen mit dem Minister reden; es ist besser, Sie kehren auf der Stelle mit diesem nach Pesth zurück, denn wir werden den Russen auf das Schloß holen müssen, und der Graf, mein Vater, wird sehr erbittert gegen Sie sein.«

»Ich bin gebeugt – entehrt …:«

» Ebbadta! Keine Thorheit! Ihr Blut gehört jetzt mir, und ich weihe es dem Vaterlande! Ungarns Tochter hat sich selbst frei gemacht von drohenden Banden – befreien Sie Ungarn von den seinen!«

Sie zog ihn mit sich fort.

Fünf Minuten später, noch ehe der russische Fürst in die Csárda gebracht worden, und der Offizier des eingetroffenen Detachements von den Ereignissen des Abends durch die Werber recht in Kenntnis gesetzt war, rasselte aus dem hintern Thor der Herberge das Gefährt, mit dem zwei Stunden vorher der künftige Diktator Ungarns zu der Versammlung gekommen. Drei Männer, in ihre Mäntel gehüllt, saßen auf dem Stroh; Rózsa Sándor, der Csikos und Betyá, lenkte das flüchtige Dreigespann, das auf der Straße nach Pesth und Szolnok den leichten Korbwagen davon trug.


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