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Erste Abteilung:
Giuseppe Garibaldi.


Auf dem La Plata.

Die Luft schien noch immer in zitternder Bewegung von den Reflexen, welche die glühenden Strahlen der Aprilsonne von dem beweglichen Dunstmeer zurückwarfen, das die glänzende Fläche des Wassers seit zwei Stunden bedeckte. Keine Wolke am durchsichtigen Himmel, an dem der alles Leben erschlaffende Feuerball sich bereits blutrot zum Horizont senkte. Weiße Nebel ballten sich über dem riesigen La Plata-Strom, dessen unübersehbare, mehr als acht deutsche Meilen breite Fläche sich wie ein Meer dahindehnt.

Diese hier in der Nähe des Wendekreises um das Ende der heißen Jahreszeit so häufigen, oft plötzlichem Wechsel unterworfenen, oft aber auch tagelang andauernden Nebel sind für den kühnen Schiffer gefährlich. Er fürchtet sie; denn es ist unmöglich, in ihnen auf Kabellänge um sich zu schauen, und das felsige Ufer, aus dem hier ein Teil des Strandes besteht, wie die zahlreichen Untiefen, machen jeden Versuch der Annäherung an das Land dann sehr gefährlich.

Der rollende, brausende Ton der Brandung drang aus dem Nebel hinauf zur Höhe der Klippe, auf der, von einer vorspringenden Wand gegen die Strahlen der Sonne geschützt, zwei Männer sich dem dolce farniente, dem träumerischen Nichtsthun hingaben, das den Bewohnern des Südens so lieb und eigen ist. Von der Höhe der Klippe schweifte der Blick weit über das Nebelmeer und über das im Sonnenschein daliegende Land; denn es ist eine Eigentümlichkeit dieser Nebel, daß sie sich zwischen den Küsten niedrig über dem Wasser lagern und darüber hinaus sich nicht erstrecken.

So war es den Blicken der Liegenden möglich, sechs bis acht Mastspitzen zu sehen, die sich über den Nebelwogen in der Entfernung von etwa einer Seemeile erhoben, und an denen lange rote Wimpel bewegungslos niederhingen.

Auf der andern Seite, nach Süden, Westen und Osten schweifte das Auge weit über das flache, nur in niederer Wellenformation sich erhebende Land, das gleich hinter dem Dünengürtel der Küste in üppiger Vegetation prangte, bis hin zu einem leichten Höhenzug. Dieser erstreckte sich nach Süden zu über den Salado und Rio Flores bis zur Sierra del Volcani, jenseits deren das gefürchtete Pays del Diabo, das Land des Teufels, liegt. Nach West und Südwest aber schien sich der Horizont gleich dem Meere im Osten zu unendlicher Fläche zu dehnen, durch keine Höhe, keinen Wald, fast keinen Baum unterbrochen. Dort hinaus lagen die Pampas, durch die einsam der Hirt mit seinen wilden Herden zieht, der Jäger den Büffel verfolgt oder der wilde Indianer auf Beute schweift.

Vereinzelte Truppen von stattlichen Korkeichen und wilden Feigenbäumen zogen sich vom Fuß der mit dem Fächerkaktus bedeckten Felsen nach den höchstens zwei Leguas entfernten Hügelanfängen, von deren Höhe die weißen Mauern einer Quinta im Strahl der Abendsonne leuchteten.

Die beiden Männer auf der Höhe des Felsens schienen auf Fischfang ausgegangen zu sein, denn an den Steinen lehnten einige Geräte, ein starker Fischspeer, Wurfnetze und Körbe. Aber der Nebel hatte sie überrascht, und in träger Apathie hatten sie sich gelagert, um den Untergang der Sonne und den Eintritt der Nacht zu erwarten, mit dem gewöhnlich der Wind vom Lande zur See hin wechselt.

Der ältere von beiden war ein Neger von herkulischer Gestalt, vielleicht achtunddreißig bis vierzig Jahre zählend und von den schwarzen Stämmen des Innern Afrika, die hin und wieder als Gefangene nach den Küstenländern geschleppt und dort, trotz aller spekulativen Humanität der englischen Kreuzer, als »Ebenholz« nach den Küsten des freien Amerika verkauft wurden. Die Stämme zeichnen sich durch riesigen Körperbau und durch eine fast der kaukasischen ähnliche Gesichtsbildung aus, die sich auf das Vorteilhafteste von der affenähnlichen platten Physiognomie der gewöhnlichen Neger unterscheidet.

La-Muerte, so hieß der Schwarze, war nur mit einem Hemde und kurzen Beinkleidern von hellgestreiftem Baumwollenzeug bekleidet. Sein kräftiger, mit dichtem Kraushaar bedeckter Kopf war unbedeckt. Er trug in einer grünen Schärpe um den Leib ein breites Bowiemesser und einen kleinen Flaschenkürbis. Um seinen muskulösen Hals schlang sich eine Schnur von seltsamen Zierraten, aus Knochen, Tier- und Menschenzähnen, Korallenstücken und Glasperlen bestehend. Auffallend an seinem sonst regelmäßigen, selbst nicht unschönen Gesicht war nur der äußerst breite Mund, der dasselbe, wenn er sich öffnete und die Reihe weißer spitzgefeilter Zähne sehen ließ, fast in zwei Hälften spaltete. In den Ohren trug der Neger schwere Goldringe.

Eine über vier Meter lange Lanze von im Feuer gehärtetem Holz, am Ende mit einer scharfen Stahlspitze und einem Busch bunter Papageifedern versehen, stand ihm zur Seite an der Felswand. Der Neger lag lang ausgestreckt, den Kopf in beide Arme gestützt, gleichgültig hinabschauend in den brodelnden Nebelkessel seine Rohrpfeife rauchend.

Ihm gegenüber, mit dem Rücken an die Felswand gelehnt, saß sein Gefährte, ein Mann von gemischtem Blut, wie der tiefgraue Teint und die gelbliche Farbe des glänzenden, rastlosen Auges zeigte. Er war bedeutend jünger als sein Begleiter, vielleicht fünf- bis sechsundzwanzig Jahre, obschon einige Falten auf seiner Stirn und die scharf geprägten Züge ihn einige Jahre älter erscheinen ließen. Seine Gestalt war unter Mittelgröße und hager, wie man es bei der Indianerrasse gewöhnlich findet. Füße und Hände waren schön, der Mund aufgeworfen, mit breiten, Sinnlichkeit und Grausamkeit andeutenden Lippen, während um die Nasenflügel und die Augenwinkel ein Zug lauernder Schlauheit und Habgier lag.

In seiner mit Goldtressen und Stickereien überladenen Kleidung sprach sich die ganze Eitelkeit des Kreolen aus. Eine Jacke von grünem Sammet mit zahllosen Knöpfen von Silber hing zusammengeknotet um seinen Hals. Die Calzoneras oder Beinkleider waren nach mexikanischer Sitte an den Seiten offen, mit farbigen Schleifen gebunden, und zeigten, gleichfalls mit Goldtressen und Stickereien wie die Ärmel der Jacke bedeckt, Unterkleider von hellgelber Seide, reichten aber nur bis über das Knie, während die mexikanischen Calzoneras weit über den Fuß fallen. Das Bein, vom Knie ab, war von Gamaschen von starkem Rindsleder geschützt, an die durch Riemen der sandalenartige Schuh befestigt war. Ein langes schmales Messer mit Horngriff steckte in den Riemen der Gamaschen; ein ähnliches, mit schwerem Metallgriff, eine gefährliche Wurfwaffe in geübter Hand, befand sich in dem Shawlnetz, das den Gürtel bildete und das weite Hemd zusammenhielt. Um den Hals trug er eine schwere goldene Kette mit daran hängender Kapsel, die eine Reliquie umschloß. Der kostbare Vigognehut mit blauer, lang herabhängender und goldbefranzter Schärpe umwunden lag neben ihm, er selbst, nicht wie der Neger, auf dem bloßen Felsen, sondern auf einem Poncho Viereckiger Mantel, der über den Rücken und die Brust herabfällt und in der Mitte eine Öffnung hat. von weißer, jeder Feuchtigkeit undurchdringlichen Wolle. Ein kurzer spanischer Karabiner, reich mit Silber beschlagen, lehnte neben ihm an der Wand.

Der Pardo Pardo, Benennung der Mestizen oder Mischlinge von Weißen und Indianern in den La Plata-Staaten. drehte das Tabaksblatt in seiner Hand zum langen Cigarito, schob die übrigen Blätter wieder in den perlengestickten Beutel, den er am Gürtel trug, und zündete die Cigarre an.

» Santa virginem! ich möchte wissen, wo das Boot in diesem Nebel hingekommen, das wir vor zwei Stunden sahen. Sie müssen zu den verfluchten Ketzern, den Unidados, gehören, sonst würden sie ein Zeichen gegeben haben, die Schiffe zu finden.«

Der Mohr zuckte gleichgültig die Achseln. »Lieben Massa Manuelo so sehr die Libertados? Ich nicht wissen, daß sie besser sein, aber viel weniger tapfer.«

»Zum Teufel mit ihnen! Es sind villaos! Ich liebe weder die Föderalisten noch die Unitarier! Sie sind einem ehrlichen Mann überall im Wege!«

Der Neger fletschte grinsend die Zähne und wies mit dem Daumen über seine Schulter nach der Ebene zurück, auf der sich unter dem Schatten der schlanken Bananen an verschiedenen Stellen Rauchsäulen in die klare Luft erhoben, die Anwesenheit von Menschen andeutend.

»Beu Jäsus! Oberst Adeodato sein ein schöner Mann. Er haben einen Zauber in seinem Blick für die Weiber!«

»Den Teufel hat er, Narr! Er ist ein Feigling, sonst würde er mit seinen Gauchos nicht müßig hier umherlungern, statt drüben überm Fluß die Apostolikos zu schlagen.«

»Senhor Manuelo wissen, daß General Rosas ihm die Hand der Senhora versprochen.«

»Möge ihm das Schicksal Quirogas dafür werden! Aniella ist ein freies Mädchen. Der General hat kein Recht, über sie zu bestimmen. Ihre Besitzungen liegen jenseits des Stromes so gut wie hier. Ich allein bin ihr rechtmäßiger Vormund, denn sie hat keinen nähern Verwandten.«

La-Muerte blies verächtlich über die Fläche der Hand. »Was sein Massa Manuela vor Verwandt? Ich nichts wissen davon. La-Muerte tieses wissen müssen, weil er zwanzig Jahre in tas Haus seines Herrn, und hab' die Senhora geboren seh'n. Hier – dieser Nigger selben,« er schlug kräftig auf seine breite Brust, »sein Vormund von diese Senhorita. Alte Vater hat sie ihm übergeben. Beu Jäsus!«

Der Gefährte rückte ihm naher. »Du vergißt, Amico, daß ich der Pate des alten Herrn bin, also so gut wie sein Sohn. Überdies ist Senhora Aniella meine Milchschwester.«

»Puh! Es seind ein wenig schwarzes Blut in der Milch von diese Kind, aber viel schwarzes Blut in den Adern von Massa Manuelo. Warum sein Massa hierhergekommen über den Strom?«

»Höre mich an, La-Muerte,« sagte der junge Mann entschlossen. »Ich habe Dich an diesen Ort begleitet, um offen und unbelauscht mit Dir reden zu können. Du weißt, daß Senhor Crousa mir früher wohlwollte, er hätte mir sicher die Hand Aniellas nicht verweigert, wenn er länger gelebt – denn par Dios! ich bin auf dem besten Wege, mein Glück zu machen.«

»Sein Senhor Manuelo ein Haciendero geworden? Haben Massa Manuelo viele Pferde und Rinder, wie die Senhora, und Diener und Häuser? Massa seind geworden ein armer Goldsucher und die Senhorita sein vornehme Dame.«

»Ich habe Besseres als Deine Pferde und Rinder, ja selbst als Dein Gold. Ich bin kein armer Gambusino mehr, wie Du schon aus meiner Kleidung sehen kannst – ich bin reich und werde bald unermeßlich reich sein. Aber ich muß Aniella besitzen.«

»Haben Massa Manuelo den Reichtum gestohlen?«

» Filho de puta!« Die Flüche und Schimpfnamen der portugiesischen Sprache sind meist so abscheulich, daß wir vorziehen, sie nicht zu übersetzen. Seine Hand fuhr an das Messer. »Doch was erzürn' ich mich über Deine Worte. Du kannst es nicht wissen. Wenn Du mir schwören willst, das Geheimnis zu bewahren, will ich es Dir entdecken. Ich weiß, daß ich Dir trauen kann.«

Der Schwarze hatte sich aufgerichtet. »Beum Schäddel meines Vadders, der in dem Sand der Wüste liegen, dieses Mund soll niemals davon reden.«

»Wohlan denn! Ich war im Diamanten-Distrikt

Sein Gefährte schüttelte ungläubig den Kopf. »La-Muertes Haar' beginnen grau zu werden – La-Muerte haben es viele Malen versucht, denn dieser Schwarze lieben die glänzenden Stein vor sein Leben, aber es niemals möglich.«

Der Gambusino sah sich spähend um. Dann griff er in den Busen und holte ein Säckchen von Wildleder hervor, das er an einer starken Schnur dort verborgen trug.

Er legte es auf den Poncho, öffnete es bedächtig und zeigte den funkelnden Augen des Negers, der weit vorgebeugt daneben kauerte, den Inhalt.

Es waren etwa zwanzig kleinere und zehn größere Steine, einer von diesen hatte die Größe einer kleinen Haselnuß. Das schräg darauf fallende Licht der Sonne rief tausend farbige Strahlen wach, die gleich Blitzen aus diesen eckigen, ungeschliffenen, teilweise noch von der braunen Quarzhülle bedeckten Krystallen kamen.

Der Mestize, ganz mit dem Glanz seiner Steine beschäftigt, achtete in diesem Augenblick nicht auf die funkelnden Augen, auf die finstere, drohende Miene, mit welcher der Neger ihn betrachtete.

»Wo, Senhor Manuele, wo finden die Diamanten?«

»Das ist mein Geheimnis, Muerte. Die heilige Jungfrau hat es mir gegeben; es hat mich Anstrengung, List und Leiden genug gekostet. Aber Caramba!Du begreifst, daß wo dies war, mehr ist, und daß der Gambusino Manuelo keine schlechte Partie mehr ist für Aniella Crousa, die Haciendera.«

»Ihr sein reich, reich, wie der böse Geist. Aber Ihr sein kein Cavalleiro!«

»Schweig! Wer Gold besitzt, ist alles. Damit kann ich in der alten Welt mich zum Grafen, zum Fürsten machen lassen. Siehst Du diesen Diamanten?«

Er hob einen der größten Steine zwischen zwei Fingern in die Höhe und ließ seinen Bruch funkeln.

»Ich sehen, Massa!«

»Er soll Dein sein, wenn Du thust, was ich Dir sage. Mehr soll Dein sein, zehn solche Steine, wenn Aniella mein Weib wird!«

Der Neger zitterte. In seinem Innern schien ein gewaltiger Kampf vorzugehen. Er blickte wiederholt mit Begier auf den Schatz, der vor ihm lag, und der doch im Grunde nicht viel besser für ihn war, als bunter Spieltand, und dann wieder finster auf den Versucher, der einen Diamanten nach dem andern im Lichte spielen ließ.

Endlich legte er schwer die Hand auf den Arm des Mestizen. »Thun weg die steinernen Sonnen, Senhor Manuelo. Teufel kommen in die Seele, und armer La-Muerte geschworen bei der großen Schlange, als alter Massa Crousa sterben wollen, zu beschützen sein Kind, wie ein Vadder, und ihr zu gehorchen.«

» Diabo! Du erfüllst Deinen Schwur ziemlich schlecht, amico! Dieser Hund von Oribe hat Euch, ohne viel zu fragen, von der schönen Villa de la noches entretenidas Der angenehmen Nächte. hierher über den la Plata gebracht und will sie mit einem seiner Günstlinge verheiraten in drei Tagen, und Du leidest das, ohne Deine langen Arme zu rühren!«

»Was sollen thun La-Muerte, ein armer schwarzer Mann, wenn Senhorita nicht sagen: ›Nein!‹«

»So liebt sie ihn?«

»Aniella sein ein Kind, wild, jung, wie die Antilopen von die Sierra. Wissen nicht, was Liebe sein. Oberst Gondra sein ein Cavalleiro von gut Blut und ein schöner Mann. Senhora Aniella ihn nehmen wie einen andern. Er ihr sehr gleichgültig – pah!« Er blies verächtlich in die Luft, als sei die Heirat eine Sache, die so wenig ihn wie seine Herrin etwas anginge. Dann fuhr er fort: »Wenn die Senhorita lieben und zu La-Muerte sagen: ›Das sein mein Amoroso, den heiraten‹ – beu dem Schäddel meines Vadders! das sein nun ander Ding. Wofür haben La-Muerte seinen Arm und seine Lanze? Keun andrer Mann sie heiraten.«

»Um so besser, wenn sie gleichgültig ist gegen diese Heirat. Dann wird sie meine Bewerbung nicht zurückweisen, wenn dieser verfluchte Gaucho aus dem Wege geschafft ist und ich ihr gleich stehe. Dazu, Freund Muerte mußt Du mir helfen. Es handelt sich darum, Aniella von diesem Ufer zu entfernen und nach Montevideo zurückzubringen. Deshalb bin ich ihr hierher gefolgt. Mein Gold wird uns den Schutz den Präsidenten sichern und dieser Krieg ein Ende nehmen – die englischen und französischen Kaufleute in Montevideo sprechen vieles davon.«

»Wenn Aniella sagen: ›Ja!‹ – La-Muerte sein einverstanden und werden töten mit diese Speer den Espagnol.«

»Das würde uns nichts nützen, Freund, seine Gauchos würden über uns herfallen und uns alle ermorden. Überdies ist die Küste von ihren Schiffen bewacht und eine Flucht unmöglich.«

»Was thun? Niggers Kopf sein zu schwer!«

»Weißt Du, wo Commodore José mit seinen Schiffen sich in diesem Augenblick aufhält? Du mußt oft Nachrichten hören von den Offizieren, die täglich in der Villa verkehren.«

»Dieser Diabo sein bald hier, sein bald da! Ein Teufel. Er verdienen ein Nigger zu sein, so tapfer. Ich hören sagen gestern, daß diese Schiffe ihn wollen aufsuchen morgen und fangen in einer Bucht am Uruguay.«

»Du hast recht – er soll ein Teufel sein! und diese Männer aus den fremden Ländern brennen auf das Gold. Wenn er helfen wollte, sollten mich alle Gauchos der Welt nicht hindern, Aniella zu entführen. Aber wo ihn finden? Kennst Du ein Mittel, mich nach der Banda Banda Oriental, der alte Name der Provinz Uruguay unter der brasilianischen Herrschaft. zurückzuschaffen?«

»Die Churros Landläufer. haben genommen jedes Boot an der Küste! Nicht so viel, auf zehn Leguas zu fangen einen Dintenfisch.« Er wies unwillig auf die nutzlosen Fischgeräte.

»Aber das Boot, das wir vorhin auf der Höhe sahen?«

»Es gehören zu diese Schiff' ohn' Zweifel. Beu Jäsus! Da können es sehen. Das Wasser werden klar! aber was sein das?«

Der dumpfe Knall eines Kanonenschusses donnerte aus den Nebelschichten herauf, die sich plötzlich, wie von einer Zauberhand gefegt, von der Fläche des Wassers zurückzurollen begannen und zum Teil in die hohen, unzugänglichen Schluchten des Ufers drängten, zum Teil wunderbar schnell sich auflösten und in wogenden Massen hin- und herballten, während dazwischen in langen breiten Streifen die schiefen Strahlen der Abendsonne die Fläche des Stromes erhellten und weite Fernsichten über den blauen Spiegel eröffneten.

In dem offenen Raum, den die beiden Männer übersahen, zeigten sich drei der ankernden Kriegsschiffe des Geschwaders von Buenos Ayres: eine Brigg, ein Schoner und eine Goelette. Die Wimpel des vierten in weiterer Entfernung über der Nebelmasse waren nicht mehr erkennbar.

Zwischen der Goelette, der Brigg und dem Schoner ruderte auf offenem Wasser ein Boot, dasselbe, das die beiden Genossen von ihrem hohen Standpunkt aus vor Eintritt des Nebels auf der Höhe des Stromes beobachtet hatten.

Offenbar war auf einem der Kriegsschiffe das Boot entdeckt und durch den Schuß signalisiert worden. Statt aber beizulegen, hatte das Boot gewendet und suchte die Flußhöhe wieder zu gewinnen.

Aber so kaltblütig und geschickt auch das Manöver des Steuernden war – es kam um fünf Minuten zu spät. Die Bramsegel des Schoners, der am weitesten hinausstand, flatterten bereits in die Höhe und blähten sich in dem leichten Winde, der die Nebel stromabwärts vor sich hertrieb, zwanzig Hände waren beschäftigt, die Klüversegel auszuschütten, andere das Ankertau zu kappen und mit einer Boie zu versehen, und ehe das fremde Boot noch der Schooner hinaus nach der Höhe, durchschnitt lustig die Wellen und versperrte ihm den Rückweg.

Zugleich wechselten auf den drei Schiffen rasch die Signale, und die Goelette, die Zeit gewonnen, ihren leichten Anker zu heben, machte sich an die Verfolgung.

Mit dem ersten Blick auf die Manöver hatten der Mestize und der Mohr als Bewohner der Küste erkannt, daß es sich um eine Verfolgung handle, und daß sie sich im Irrtum befunden, als sie geglaubt, daß das Boot zu den ankernden Schiffen gehöre.

» Valha me Deos! So wahr mir Gott helfe. rief der Pardo, indem er eilig seine Diamanten zusammenraffte und wieder verbarg, »da ist, was wir brauchen, wenn diese Hunde von Argentinern sie nicht in den Grund bohren!«

In der That: mit einer unerhörten Dreistigkeit der Herausforderung sah man am Sterne des Bootes an der kleinen Stange eine Flagge emporrollen und sich langsam im leichten Winde entfalten. Es waren die grünen und blauen Streifen mit dem Stierkopf von Uruguay. Der Mann am Steuer stand jetzt aufrecht, man sah, daß er auf dem kleinen Fahrzeuge den Befehl führte. Die Barke war außer ihm mit zwölf Leuten bemannt, und da von einem Verbergen seiner Manöver jetzt nicht mehr die Rede sein konnte, sah man die Mannschaft eifrig beschäftigt, einen kleinen Mast einzusetzen und das Segel aufzuhissen.

Obschon die Entfernung des Bootes von den Schiffen und dieser untereinander noch zwei Kanonenschußweiten betrug, wurde die dreiste Herausforderung der feindlichen Flagge doch von allen drei Schiffen mit mehreren Kanonenschüssen begrüßt, die freilich nichts als Pulververschwendung waren.


Bevor wir dem Leser die Jagd, die jetzt begann, vor Augen führen, müssen wir den politischen Verhältnissen des Landes einige Worte widmen.

Bald nachdem sich die sogenannten La Plata-Staaten im Jahre 1810 von der spanischen Herrschaft losgerissen und als unabhängige, verbundene Republiken erklärt hatten, deren vorzüglichste und mächtigste Buenos-Ayres war, brach in ihrem Innern selbst ein langjähriger und mit der größten Grausamkeit geführter Bürgerkrieg, der Kampf der Föderalisten gegen die Unitarier, los. Während man anfangs unter Unitariern oder Apostolikos die Partei verstand, die verlangte, daß alle Staaten eine gemeinschaftliche, in Buenos-Ayres residierende Regierung besitzen sollten, von der die Gouverneure der übrigen Provinzen eingesetzt werden müßten, unter den Föderalisten oder Liberalen aber die Anhänger einer Republik nach nordamerikanischem Muster, in der jeder Staat seinen eigenen Gouverneur wählen und seine inneren Angelegenheiten selbst leiten sollte, entstand bald über beide Namen eine solche Begriffsverwechselung, daß zuletzt gerade die entgegengesetzten Tendenzen darunter vertreten wurden und sie nur noch dazu dienten, die sich bekämpfenden und intriguierenden Parteien des Diktators Rosas und seiner Gegner zu bezeichnen.

Der wildeste Fanatismus politischer Leidenschaften, eine Grausamkeit und Blutgier sonder gleichen. Metzeleien, würdig der Schreckenszeit der französischen Revolution von 1792, bezeichnen jene Bürgerkriege, die erst 1852 mit der Flucht des Diktators Rosas nach London endeten. Namen wie Paez, Artigas, Quiroga, Oribe und Rosas werden in der Geschichte der Menschheit blutige Flecken bleiben!

Einen Hauptschauplatz dieses Krieges gab die 1817 zu Brasilien gekommene Banda Oriental ab, die sich 1825 als cisplatinische Republik konstituierte und jetzt den Namen des Freistaates Uruguay führt. Die wachsende Blüte ihrer Hauptstadt Montevideo reizte die Begierde Rosas, der seit 1831 Diktator von Buenos-Ayres war, und er versuchte, als 1839 eines seiner Werkzeuge, General Oribe, als Präsident von Uruguay gestürzt worden, diesen mit den Waffen an die Stelle des neuerwählten Präsidenten Fructuosa Rivera wieder einzusetzen.

Dieser Kampf, der mit wechselndem Glück auf beiden Seiten zur See und zu Lande geführt und zweimal durch die Einmischung und die Blokade der französischen und englischen Flotten unterbrochen wurde, dauerte bis zum Jahre 1851.

Gegen Rosas und seine Werkzeuge, Oribe, Alda«, Pacheco und Urquiza, also gegen die sogenannten Föderalisten, kämpften auf der Seite Montevideos und der vereinigten Unitarier außer Lavalle, der auf der Flucht nach der Niederlage bei Monte Grande im September 1841 umgekommen, noch die Generale de la Madrid, Acha, Paz, Lopez, die Obersten Nuñez, Silweira und Battle, die Gebrüder Madariaga und der Kommodore Garibaldi.

Zur Zeit, in der wir unsere Erzählung beginnen, im April 1842, stand Rosas auf der Höhe seiner Macht, und das Glück hatte ihn aufs neue begünstigt, nachdem kurz vorher eine neue Anstrengung der Unitaristen ihn gefährlich bedroht hatte. Die Provinz Entrerios hatte sich gegen die Föderation erhoben, Riviera den Gouverneur Echaguë vertrieben, Paz war von Corrientes herbeigeeilt, sich mit ihm zu vereinigen, und der Gouverneur von Santa-Fé, Lopez Mascarilla, hatte sich für die Unitarier erklärt und einen großen Zug Pferde, für Oribe bestimmt, in Beschlag genommen. Der Schreck war unter den Föderalen in Buenos-Ayres allgemein, und die Unitarier daselbst wagten zu ihrem Unglück, wieder ihr Haupt zu erheben. Eine neue Mannschaft wurde ausgehoben und unter den Befehl des Generals Aldao gestellt, der ehedem Mönch gewesen und ein Seelenfreund des ermordeten Wüterichs Quiroga war. Wäre General Lopez als der Nächste damals sogleich gegen die Stadt gerückt, so würde sie sicher in seine Gewalt gefallen sein. Aber wie in allen Bürger- und Revolutionskriegen: Rivera und Paz gerieten in Zänkereien, und während dieser Zeit kam Oribe und Tucuman herab, dem Diktator zu Hilfe. Lopez flüchtete aus Santa-Fé, in dessen Hauptstadt Oribe Blut in Strömen vergoß, Entrerios erklärte sich wieder für die Föderation, und General Paz mußte sich nach Corrientes zurückziehen. – – – – – – – – – – – – –


Die Goelette, den Anker gehoben, die Segel ausgespannt, stand in der bezeichneten Weise nach der Mündung des Stromes hinaus, die Brigg ruhig vor ihrem Anker auf der entgegengesetzten Seite so nahe dem Lande, daß die Verfolgten zwischen ihr und diesem unmöglich vorüber konnten, ohne von einer vollen Lage in den Grund gebohrt zu werden. Die Rückkehr nach dem Ufer von Uruguay hinderte der Schoner, und zwischen diesem und der Brigg lag in der entfernten Nebelbank das vierte Schiff des kleinen Geschwaders.

Wie eine Arena dehnte sich die Wasserfläche auf eine Strecke von vielleicht einer Meile Breite frei zwischen den Nebelmauern.

Mit dem Hauch der Seebrise, die gewöhnlich kurz vor dem Sinken der Sonne noch stärker aufzufrischen beginnt, kam die Goelette ziemlich rasch heran.

Das Boot, den Wind fangend, setzte furchtlos seine Fahrt dem Schoner entgegen fort, der langsam ihm entgegentrieb.

Plötzlich erhellte ein Blitz den dunkeln Rumpf des Schiffes, eine Wolke kräuselte empor und man sah die Kugel des langen Neunpfünders, den der Schoner auf seinem Vorderkastell führte, über die Wasserfläche ricochettieren.

Der Steurer des Bootes hatte, ein kurzes Glas am Auge, die Gefahr wohl beachtet und zur rechten Zeit gewendet; die Kugel flog weit links ab. Dreimal wiederholte sich das Spiel, und immer näher kam das Boot. Aber durch das wiederholte Abfallen war es gezwungen worden, allzusehr nach rechts abzuweichen, und nach einigen Minuten schien der kühne Führer sich überzeugt zu haben, daß es nicht möglich sei, die Lücke zwischen Schoner und Goelette zu passieren.

Das kleine Fahrzeug hielt plötzlich an, das Segel wurde umgeschwenkt und das Boot schoß nach der Mitte des Raumes zurück, der ihm zum Manövrieren blieb, aber immer mehr sich verengte.

Schuß auf Schuß donnerte jetzt aus den langen Vorderdeckkanonen der drei Schiffe, und es gehörte die ganze Geschicklichkeit des Mannes am Steuer dazu, um durch fortwährende Wendungen den jetzt immer gefährlicher werdenden Kugeln kein sicheres Ziel zu bieten.

In diesem Augenblick wurde die Aufmerksamkeit der beiden Zuschauer von dem interessanten Anblick durch ein eilig näher kommendes Geräusch hinter ihnen abgelenkt, das dem Schnauben und dem Hufschlag eines Pferdes glich.

» Pelo amor de Deos!« rief sich umwendend der Pardo; »es ist die Portenna! Gott schütze ihren Hals – der wildeste Gaucho würde das Tier nicht so anzutreiben wagen!«

Der Neger grinzte vor Vergnügen und klatschte seine derben Schenkel mit den Händen. » Nossa Senhora della Serra! Bei unsrer lieben Frau vom Gebirge! Es sein das Kind! Was sie reiten können – sie sein so mutig wie der Cavaliero in das Boot! Nehmen Dich in Acht, filhinha!« Töchterchen!

Die Warnung, die überdies im Getöse der Schüsse verhallte, fand wenig Beachtung, denn die kecke Reiterin, die auf ihrem kleinen indianischen Pferde den schmalen Felsensteig hinaufgaloppierte, stieß dem Tiere den silbernen Sporn an ihrer Ferse in die Flanken und war mit einem gewaltigen Satze auf dem Plateau des Felsens. Ein zweiter brachte das Tier bis dicht an den Rand des Abgrundes, aber die Dressur des Pferdes war so vortrefflich, die Hand der Reiterin so leicht und sicher, daß es nur einer leisen Bewegung des dünnen, aus Riemchen zierlich geflochtenen Zügels bedurfte, um das erhitzte Tier plötzlich zum Stehen zu bringen.

» Logo, logo pai negro Nun schwarzer Papa! – was giebt's hier? Was machen die Republikanos für einen Höllenlärm? Ich hoffe, es ist eine neue Höflichkeit der Capitanos mir zu Ehren.«

»Blutiger Ernst, Aniella!« erwiderte der Mestize; »steh' selbst; ihre Schiffe haben eine arme Barke unserer Landsleute aufgebracht!«

»Ah, Du bist da, collaço!« Milchbruder. Sie reichte ihm die Hand. »Es ist nicht hübsch von Dir, daß Du mich allein läßt unter all den Cavalleiros, da mein Verlobter fort ist. Ich wußte nicht, wo Du geblieben warst, und sattelte mein Pferd, während die Senhors beim Monte sitzen.« Sie reichte ihm die Hand und lehnte sich weit über den Hals des Pferdes, das Schauspiel zu ihren Füßen mit großen Augen überfliegend.

Die kühne Reiterin konnte etwa achtzehn Jahre zählen. Der gebräunte, aber durchsichtig klare Teint ihres Gesichts verriet die Kreolin, wie man die in den amerikanischen Kolonieen geborenen Weißen nennt. Aniella Crousa war die einzige Tochter eines vornehmen portugiesischen Offiziers, der 1817 bei der Besitzergreifung Uruguays dorthin gekommen war und bedeutenden Landsitz an beiden Ufern des La Plata erworben hatte. Ihr schönes Gesicht verriet bedeutende Willenskraft; das blaue Auge, eine besondere Schönheit in diesem Himmelsstrich, strahlte eine Erregbarkeit des Geistes und Herzens, die nur des zündenden Funkens bedurfte, um zur vollen Flamme emporzuschlagen.

Die Senhora trug die reizende Nationaltracht der spanischen Kreolinnen, einen bis auf die Hälfte der Waden reichenden Rock von schwerer weißer Seide mit Silber gestickt, ein gleiches Leibchen, so tief ausgeschnitten, daß der Ausschnitt fast bis zum Gürtel reichte und den vollen Anblick des Busens gewährte, darüber das kurzärmelige offene Jäckchen von schwarzem Sammet mit zahllosen silbernen Knöpfen und Nesteln. Eine rote Schärpe, die Farbe der Föderalisten, zu denen ihr Bräutigam gehörte, umschloß die schlanke Taille und ließ die befranzten Enden weithin im Luftzug flattern. Der kurze Rebuco, die kappenartige Mantille von schwarzer Seide mit Spitzen geziert, war bei dem hastigen Ritt vom Hinterkopf auf die Schultern gesunken und ließ das prachtvolle schwarze Haar der Donna sehen. Spanische Schnürstiefel umhüllten einen kleinen und zierlichen Fuß und schlossen sich an die feinen hoch hinauf gehenden roten Gamaschenstrümpfe. Nur die äußerste Spitze des Fußes, an dessen Ferse ein silberner Knopf befestigt war, ruhte nach Gauchositte in dem engen Steigbügel von gleichem Metall.

Die schöne Reiterin hatte eine leichte Vogelflinte umgehängt. Einen eigentümlichen Reiz gab ihrem Kopf ein seltsamer Schmuck, ein lebendiger Kolibri. Das niedliche Tierchen, nicht größer als ein Daumenglied, war eines der gezähmten Exemplare, welche die vornehmen Damen von Montevideo und Buenos-Ayres so sehr lieben und selbst in Gesellschaft mit sich herumtragen, obgleich es sehr schwer ist, die kleinen fliegenden Edelsteine so zu gewöhnen. Der Kolibri, mit rotfunkelnder Brust und smaragdnem Gefieder, saß auf der Haarkrone des Mädchens vor dem hohen mit Granaten ausgelegten Schildpattkamm, der die reichen Zöpfe festhielt, und begleitete mit dem Schlag seiner zierlichen Flügel und geöffnetem Schnäbelchen jede Bewegung seiner jungen Herrin.

» Santa virgem! Beschütze die armen Menschen!« flüsterte das Mädchen, als der Pardo ihr mit einigen Worten die Lage der Dinge erklärt. »Es sind unsere Landsleute – ich möchte meinen besten Schmuck drum geben, caro Manuelo, wenn wir ihnen zu helfen vermöchten!«

»Laß das Senhor Adeodato nicht hören, mana, Schwesterchen. sagte spöttisch der Mestize, »er möchte es Dir übel gedenken, daß Du die Blauen in Schutz nimmst, während die Farbe Deiner Charpa rot ist. Aber por Deos: es sind kühne Gesellen, da versuchen sie aufs neue an der Goelette vorüberzukommen!«

»Ihre Kugeln werden sie in den Grund bohren! Barmherziger Heiland, beschütze sie!«

Sie legte die zarte Hand über die Augen, aber schon im nächsten Moment verfolgten ihre Blicke wieder die gefährliche Scene.

» Poltaros! Feiglinge. fluchte der Neger, »ich sehen thun fort diese Flagge – sie ergeben gefangen!«

In der That wurde, während das Segel des Bootes niedergelassen ward, und dieses auf das Bugspriet der Goelette zusteuerte, die Flagge von Montevideo von der Stange, entfernt und ein Triumphgeschrei der Liberalos auf dem Deck und im Takelwerk des Kriegsschiffes begrüßte diese Handlung scheinbarer Unterwerfung. Die Goelette drehte bei, den Schnabel gegen die Höhe des Stromes, und traf Anstalten, die Prise in Empfang zu nehmen.

Das Boot trieb langsam auf sie zu, die Mannschaft hatte die Ruder eingezogen, der Mann im Stern stand aufrecht, die Linke anscheinend unthätig auf der Pinne des Steuerruders.

Die Sonne war bereits untergegangen und das Dunkel senkte sich über die Fläche des Wassers und die treibenden Nebel, so daß nur mit Anstrengung noch die Augen der Zuschauer auf dem Felsen den Vorgängen auf dem Wasser zu folgen vermochten.

Wie absichtslos war das Boot nach dem Hinterteil des Kriegsschiffes und an der Fallreepstreppe vorbeigetrieben, als es an der Schanze des Fahrzeuges anlegte. Man rief ihnen vom Bord, über dessen Bollwerk Offiziere und Matrosen lugten, zu, herauf zu kommen, und warf ihnen ein Tau zu. Der Mann am Steuer erfaßte dasselbe und zog sich daran dicht an die Schiffsseite, so daß das Boot vollkommen außer den Bereich der Kanonen kam, mit denen die Seiten bewehrt waren. Im nächsten Augenblick hörte man bis auf die Höhe der Klippe eine mächtige, klangvolle Stimme den spanischen Ruf: » Fuego!« Feuer. ausstoßen und eine Salve von dreizehn Pistolenschüssen knallte über die Wasserfläche.

Im selben Augenblick hatte ein kräftiger Fußstoß des Steuernden das Boot von dem Schiff ab- und bis unter den Stern desselben getrieben. Im Tempo fielen die sechs Ruder ein und die Barke schoß nach dem Ufer zu, ehe die Föderalisten sich von ihrer Überraschung erholen und das Schiff zu einer Breitseite wenden konnten, und drang kühn in die Nebelbank vor, die den Zugang der Kluft bedeckte, auf deren überragendem Felsplateau die Senhora mit ihren beiden Gefährten sich befand.

» Pelo amor de Deos – sie wagen sich in den Höllenschlund; sie werden an der Brandung der Barre zerschellen und sind verloren, die Unglückseligen!« rief das Mädchen. »Kein Ausgang giebt aus dieser Bucht ihnen Aussicht zur Flucht!«

»Narren die,« grinste der Neger, »wenn nicht ersaufen in tiefe Brandung, werden umkommen in tiefe Pamperos, Pamperos, ein Gewittersturm mit wolkenbruchartigem Regen, der auf dem La Plata wegen der ungeheuren Schnelligkeit, mit der er austritt, gefürchtet ist. Es gehen ihm übrigens stets eigentümliche Vorzeichen kurz vorauf. was kommen. Filhinha müssen kehren eilig nach Hause, weil Wolken nahe!«

»Nimmermehr,« sagte entschlossen das Mädchen. »Was kümmert mich der Pamperos; ich will das Schicksal der mutigen Männer erfahren!«

Indes schienen die untrüglichen Anzeichen des drohenden Unwetters eher zum Vorteil der Verfolgten zu dienen. Die Segel der Goelette wurden eingezogen, man hörte das Rasseln der Ankerketten, wie sie durch die Klüven sausten, das Schiff legte sich um und in der Entfernung von etwa 15 Knoten Knoten, ein zur Bestimmung der Fahrten auf See gebräuchl. Maß; 1 Knoten == 25 Ellen. A. d. Verf. vor die Schlucht, in welche sich die Barke geflüchtet hatte. In dieser Entfernung war das Schiff bei dem morastigen thonigen Ankergrund sicher vor den Gefahren des herannahenden Sturmes und dem furchtbaren Aufschlagen der Brandung, die an dem Felsen und der die Bucht versperrenden Barre Barre, Bezeichnung für Sand- oder Schlammbänke, die den Eingang in Flußmündungen oder Buchten versperren und so der Schiffahrt höchst gefährlich werden können. Im Gegensatz zur Sandbank erstreckt sich die Barre quer von einem Ufer zum anderen. A. d. H. tobte, indem es zugleich den einzigen Ausgang vollkommen beherrschte und den Flüchtigen, selbst wenn sie glücklich ins Innere der Schlucht gelangt sein sollten, jeden Ausweg abschnitt.

Man sah zugleich, wie ein Boot des kleinen Kriegsschiffs niedergelassen und bemannt wurde.

»Sie wollen ihnen folgen, sie wollen sie angreifen in dem Höllenschlund,« sagte atemlos das junge Mädchen, indem es vom Pferde sprang und unwillkürlich nach der Flinte griff. »Wir müssen ihnen helfen!«

» Filho de Deos! was denkst Du? Diese Schufte von Liberalos wissen, was ihr Leben wert ist, und werden sich nicht in die Gefahr begeben, überdies sind ihrer zu wenig in dem Boot, sie rudern nach dem Landungsplatz, sie wollen die Gauchos aufbieten, um sie vom Lande abzusperren, und ich wundere mich in der That, daß ihre Schüsse die villaos Lümmel. noch nicht herbeigeführt haben. Sie können die Mühe sparen, denn es führt kein Ausweg aus der Bucht über die platten Felsen, und sie haben ihre Leichen sicher genug.«

» Por Deos! wenn es nur das wäre!« Ihr Auge begegnete bedeutsam dem des Schwarzen. »Von den Gauchos haben sie wenig zu fürchten; der Oberst ist in Buenos-Ayres, und die Offiziere sind in der Villa. Sie wissen so gut wie wir, daß der Pamperos nahe ist. Aber beuge Dich über den Felsrand, Muerte, und sieh zu, ob Du erspähen kannst, was ihr Schicksal geworden.«

Der Schwarze, der jenen traurigen Namen trug, welcher an die Vergänglichkeit des Irdischen mahnt, umschlang mit seiner Rechten einen hervorragenden Stein und beugte sich weit über den Felsen hinaus.

Die Landbrise, mit jedem Augenblick schärfer über die Fläche des Stromes daherkommend, hatte die Nebel gehoben und ballte sie zu Wolken zusammen, die den Himmel verfinsterten und das nahende Ungewitter verkündeten. Der Gipfel des Felsens war jetzt in diese Wolken gehüllt, die bisher die Wasserfläche zu ihren Füßen verdeckt hatten, während diese frei sich ausdehnte.

»Was siehst Du? – sprich!«

»Beu den Gebeunen meines Vadders, Kind! ich sehen ein schwarzes Ding da unten im Schlund, es bewegen sich – es sein Männer – sie gerettet aus tiefe infernalische Wasser!«

»Ruf' ihnen zu! sage ihnen, daß sie Freunde hier oben haben!«

Der Neger machte aus seiner Linken eine Art Sprachrohr und brüllte hinunter:

» Gente de Paz! Vivan Apostolicos

Einige Augenblicke hörte man nichts als das Brausen der Brandung, dann drang aus dem Schlunde vernehmlich eine sonore kräftige Stimme mit den in spanischer Sprache Das Spanische ist die Hauptsprache dieser Länder, und nur von den brasilianischen Einwanderern wird das engverwandte Portugiesisch gesprochen. gesprochenen Worten:

»Wenn Ihr wirklich Unidados seid, so sagt uns, wo der Feind steht, und was er beginnt?«

Der Neger antwortete ihm sogleich in spanischer Sprache, daß die Goelette den Ausgang der Bucht gesperrt halte und ein Boot abgesandt habe, um die Aufmerksamkeit der in der Nähe biwakierenden Gauchos auf die Verfolgten zu lenken.

Unbesorgt auf die riesige Kraft ihres Majordomus vertrauend, dies Amt bekleidete der Sklave in ihrem Haushalt, hatte sich die Senhora über ihn hinausgebeugt und versuchte mit ihren blitzenden Augen das Dunkel in der Tiefe zu durchdringen. Ängstlich barg sich ihr kleiner flatternder Gefährte in ihrem Haare.

»Sie dürfen nicht dort unten bleiben, Señor,« rief das Mädchen und ihre Stimme zitterte vor Erregung. »Ehe eine halbe Stunde vergeht, wird der Pamperos in all seiner Wut ausbrechen, und Sie würden umkommen m dieser schrecklichen Kluft.«

»Wer Sie auch sein mögen, schöne Señorita,« antwortete die Stimme aus der Tiefe, »nehmen Sie unsern Dank für die Teilnahme, die Sie uns zeigen. Der Rat ist gut, aber, diavolo! er ist schwer genug zu befolgen, denn wir stecken hier in einer verdammten Falle, und die Felswände sind glatt wie Spiegel!«

»Rudern Sie an das Ende der Schlucht, Señor, und warten Sie dort,« rief das Mädchen. »Wir sind im Augenblick bei Ihnen!«

»Was meinst Du damit, Aniella?« fragte erstaunt der Pardo; »giebt es einen Weg hinunter in die Schlucht?«

»Warum sollte man mich die Rastreodora Pfad- und Spurfinderin. Der Scharfsinn der südamerikanischen Rastreodores übersteigt fast noch den der nordamerikanischen Wilden. nennen,« entgegnete das Mädchen, »wenn ich auf zehn Leguas in der Runde nicht jeden Pfad kennen würde! Frage La-Muerte, und er wird es Dir sagen. Wir sind zehnmal zusammen hinuntergestiegen. Aber nun frisch ans Werk, denn jeder Augenblick ist kostbar. Komm, Bibi, in Dein sicheres Versteck, damit Dir kein Leid widerfährt!«

Mit zarter Sorge nahm sie den kleinen Vogel und barg ihn in ihrem Busen. Dann löste sie vom Sattel ihres Pferdes die zusammengerollte Schlinge des Lasso, warf sie um ihren Arm und übersprang die Felsspalte, welche das Plateau von dem heraufführenden Fußwege schied. Im nächsten Augenblick war sie hinter den Felsvorsprüngen verschwunden.

Der Neger schickte sich an, ihr zu folgen, als die Hand des Mestizen ihn zurückhielt.

»Beim Himmel, Muerte, das ist ein wunderbares Glück,« raunte der Halbblütige ihm zu. »Diese Unidados kommen wie gerufen – nimm« – er drückte den Diamanten in seine Hand – »und laß uns die Gelegenheit benutzen, unsern Plan auszuführen.«

» Bem! ich sein bereit, aber Massa wissen, daß der Wille dieses Kindes Gesetz sein für Muerte!«

Der Pardo nickte einwilligend in eitlem Selbstvertrauen und beide beeilten sich, dem geflügelten Schritt des jungen Mädchens zu folgen. Indem sie, unbekümmert das an Gehorsam gewöhnte Pferd auf dem Plateau zurücklassend, auf dem steilen Pfad um eines der vorspringenden Felsstücke bogen, schwang sich der Schwarze gewandt auf dessen Höhe und half dem nachfolgenden Gefährten herauf. Die in den Fugen des Gesteins wurzelnden Schlingpflanzen zurückbiegend, stieg er mit sicherm Fuß von hier aus abwärts nach dem Innern der kleinen Bucht, von Stein zu Stein, bald an den zackigen Enden, bald an den Wurzeln der in der Tiefe immer üppiger wuchernden Lianen sich festhaltend. Vertraut mit solchen gefährlichen Wegen durch sein eigenes Handwerk, folgte ihm der Gambusino, und so gelangten beide nach einer kurzen, aber ziemlich gefährlichen Anstrengung, auf einen Vorsprung, wo sie Aniella bereits antrafen.

Es zeigte sich, daß der breite, flache Stein, auf dem sie standen, etwa sieben Meter über dem Wasser der Bucht lag, zu der die Felswand von dieser Stelle so senkrecht und glatt herniederstieg, daß ein Erklimmen ohne besondere Hilfsmittel nicht denkbar war.

Dicht unter diesem Plateau sah man auf dem verhältnismäßig ruhigen Spiegel der Bucht die Barke der Unidados liegen, ihre Bemannung auf die Ruder gestützt, die Hand am Kolben der Pistolen, des weiteren Verlaufs der Ereignisse harrend.

Aniella ließ das Ende des Lassos, den sie um den Arm gewickelt trug, in die Barke fallen. »Es ist unmöglich, weiter hinunter zu gelangen, Señor,« sagte sie. »Sie müssen jetzt Ihrer eigenen Kraft vertrauen. Eilen Sie; jede Zögerung kann Ihr Verderben herbeiführen!«

Der Mann im Stern flüsterte seinen Gefährten einige Worte zu, man hörte das Knacken der Pistolenhähne – dann erfaßte er den zugeworfenen Strick, dessen Ende das Mädchen um einen Stein geschlungen, und schwang sich mit der Sicherheit des geübten Kletterers empor. Im nächsten Augenblick stand er vor den Helfern.

Die herrschende Dunkelheit ließ seine Züge nicht genau erkennen, doch gestattete sie, zu sehen, daß der Fremde ein Mann von mittelgroßem, muskulösem Wuchs war und einen starken Bart trug. Er mußte noch ziemlich jung sein, wie der volle Klang seiner Stimme, und die Elastizität seiner Bewegungen zeigten.

»Señora,« sagte er, »empfangen Sie nochmals meinen Dank für die Hilfe, die Sie Unbekannten geleistet. Aber erlauben Sie mir, ehe ich meine Gefährten heraufkommen lasse, Sie um Beantwortung einiger Fragen über unsere Lage zu bitten.«

»Fragen Sie, Señor!«

»Zuerst – es soll dies kein Mißtrauen sein, aber ich bin für das Leben meiner Gefährten verantwortlich, – wie kommt es, daß wir so unverhofft auf diesem feindlichen Strande Freunden begegnen?«

»Mein Name, Señor, ist Aniella Crousa; ich bin die Tochter des verstorbenen Kapitän Crousa da Pinheira aus Montevideo!«

»Wem sollte der Ruf des ehrenwerten Portugiesen und seiner schönen Tochter unbekannt geblieben sein, Señorita,« sagte der Unbekannte. »Aber verzeihen Sie, wenn ich deshalb meine Verwunderung ausspreche, Sie hier zu sehen.«

Die Dunkelheit verbarg das tiefe Erröten, das die Wange des schönen Mädchens überzog. »Sie wissen wahrscheinlich nicht, Señor, daß ich Besitzungen auch diesseits des La Plata habe; die Villa, die sich zwei Leguas von hier befindet, gehört dazu. Ich bin eine Frau und kümmere mich nicht um den politischen Streit, der leider mein Vaterland zerrüttet. Ich hatte also keine Ursache, dem Willen Don Manuel Rosas mich zu widersetzen, der mich aus meiner Heimat hierherführte, um mich zu verheiraten. Aber, ob Unidados oder Libertados – ich glaube hochherzig genug zu fühlen, um tapfere Männer nicht in die Hände grausamer Übermacht fallen zu lassen, wenn ich es verhindern kann! Dies sind mein Milchbruder und mein vertrauter Diener, die mir von der andern Seite des Stromes gefolgt sind.«

»Das ist genug, Señora; ich bitte um Entschuldigung und vertraue ganz Ihrem Wort. Was thun die Schiffe des Admiral Brown?«

»Der Admiral selbst ist mit seinen beiden Fregatten den La Plata hinabgesegelt, um sich nach Buenos-Ayres zu begeben. Kommodore Pedro Ximeno kommandiert den Rest des Geschwaders. Die Goelette, die Sie verfolgte, liegt etwa fünf Minuten entfernt, vor dem Eingang der garganto do diabolo, Teufelsschlucht. in die Sie wunderbarer Weise den Eingang gefunden haben, ohne an den Klippen zu zerschellen. Die Schiffe haben, soweit ich bemerken konnte, Anker geworfen, und bereiten sich auf den Pamperos vor. Aber es ist unmöglich, daß Sie die Brandung am Eingang der Schlucht in dieser Finsternis nochmals passieren können.«

»Ich weiß es, Señora, und deshalb müssen wir den Landweg wählen, um aus dieser Falle zu entkommen. Ahoi, Mannschaft!«

» Si – si

»Einen Augenblick noch, Señor!« Sie legte unwillkürlich die Hand auf seinen Arm. »Ich muß Sie von einem Umstande unterrichten, der Ihnen wahrscheinlich unbekannt ist. Es kampiert eine Abteilung Gauchos in der Nähe der Küste, zwischen hier und meinem Hause, in dem sich die Offiziere befinden.«

»Ein Boot der Goelette muß bereits gelandet sein, um die Schufte zu benachrichtigen,« fügte der Pardo hinzu.

»Wer kommandiert die Gauchos – und wie stark sind sie?«

»Oberst Adeodato da Gondra,« entgegnete das Mädchen zaudernd, »es sind ihrer zwei Kompagnieen.«

»Der Schurke! ich kenne seine Grausamkeit, aber auch seine Feigheit!«

»Er ist abwesend,« fügte die Señorita hastig hinzu, »er befindet sich in Buenos-Ayres und kehrt erst in drei Tagen zurück. Die Offiziere seiner Milizen sind in diesem Augenblicke in meinem Hause, und ich hoffe, daß das Unwetter sie abhalten wird, sich mit Ihrer Verfolgung zu beschäftigen. Aber ich weiß in der That nicht, Señor, was ich weiter zu Ihrer Rettung thun soll.«

In der That war das Unwetter nahe daran, loszubrechen. Die Luft, ohnehin schon beengt in dieser Kluft, wurde unerträglich dick und schwül, und von Zeit zu Zeit fuhr der grelle Schein von Blitzen darüber hin; in der Ferne hörte man das dumpfe Rollen des Donners.

»Ist ein Boot in der Nähe, dessen wir uns bemächtigen könnten?«

»Nur das der Goelette; aber es wird zu gut bewacht sein. Alle Boote sind nach den Schiffen gebracht. Ich muß gestehen, Señor, ich scheine selbst eine Art Gefangene, wenigstens habe ich nicht Mittel, meine Estancia Landbesitzung. an diesem Ufer zu verlassen. Allerdings wird meine Lust am Umherstreifen wenig gehindert, und so führte der Zufall und der Kanonendonner der Schiffe mich heute hierher.«

Der Fremde dachte einen Augenblick nach. »So bleibt uns nur ein Mittel,« sagte er entschlossen. » Marochetti, Sacchi und Ihr anderen, schneidet die Taue ab und befestigt sie an den Seiten der Barke. Antonio und der Deutsche herauf zu mir! Arbeitet schnell, denn es gilt Leben und Freiheit. Wie viel Fuß Wasser unterm Boot?«

»Vier Fuß dicht am Felsen!«

Die beiden Männer schwangen sich herauf.

»Seid Ihr fertig, Kameraden?«

»Fertig! Was sollen wir thun?«

»Alle herauf bis auf die beiden Stärksten. Wir müssen das Boot aus dem Wasser heben und über die Felsen bringen. Es ist ein verzweifeltes Mittel, aber es ist unsre einzige Rettung. Wo ist François?«

»Hier, Monsieur!« Der Knabe, ein Bursche von kaum acht Jahren, aber behend wie ein Affe, sprang auf das Plateau. »Was giebt's zu thun für mich?«

»Such' Dir den Weg hier herauf und halte scharfen Ausguck, daß niemand sich naht. Señora, darf ich Sie bitten, zurückzutreten? An die Taue, Männer, und fest gezogen. Versucht das Boot von unten zu heben. Eins – zwei –«

Die Mannschaft der Barke war bis auf zwei Leute an dem Lasso emporgeklommen und hielt die Stricke, an denen man das Boot befestigt.

»Drei! – angezogen, Männer, so lieb Euch das Leben ist, denn jetzt kommt der höllische Pamperos!«

Ein Geheul wie von tausend Dämonen brach vom Meere her in den Kessel der Schlucht und schien über ihren Häuptern im tollen Wirbel zu kochen und zu brausen. Der ganze Himmel stand von zuckenden Feuerstrahlen in Flammen und es war eine Tageshelle, die jeden Gegenstand deutlich erkennen ließ.

In dem fahlen Licht der Blitze erblickte Aniella zum erstenmal den Fremden deutlicher, und die gigantische Anstrengung, in der er begriffen und die jeden Muskel seines Körpers spannte, erhöhte noch das Eigentümliche seiner Erscheinung.

Er konnte etwa 32 bis 33 Jahre zählen, und obschon seine Gestalt nur mittelgroß war, trug sie doch das unverkennbare Gepräge des Gebietenden, ans Befehlen Gewöhnten. Sein Gesicht war offen und frei, die Stirn hoch und mächtig hervorspringend, die Nase edel und leicht gebogen, der fest geschlossene Mund und das kräftige runde Kinn von einem starken, rötlichen Bart bedeckt, während das gelockte, zurückgestrichene unbedeckte Haar von brauner Farbe war. Das große dunkle Auge blickte fest hinab in die kochende Tiefe, wo die beiden Männer vergebens sich mühten, die Barke emporzuheben.

Die Kleidung des Unbekannten war die gewöhnliche der südamerikanischen Seeleute, weite Beinkleider von gestreiftem Baumwollenzeug mit weißer Linnenjacke. Sie zeigte nur dadurch den Rang des Offiziers an, daß die blau-grüne Schärpe mit goldenen Fransen geschmückt war.

Auch die Senhora sah sogleich, daß die riesigen Anstrengungen der Männer vergeblich waren. Im selben Moment auch wandte sie sich zu dem Neger und wies in die Tiefe.

»Zu Hilfe, Muerte!«

Man hörte einen plätschernden Fall, und der nächste Blitz zeigte die aus den Wellen emportauchende Gestalt des Negers, wie er an den Steinen am Rande sich festklammerte und Kopf und Schulter unter den Boden der Barke schob.

»Hoi – up!«

Das Boot hob sich unter der gemeinschaftlichen Anstrengung und wurde emporgezogen. Im nächsten Augenblick schwangen sich die beiden Matrosen ihm nach; der Schwarze folgte.

»Faßt an, Kinder! Gott und die Heiligen mögen uns beistehen!«

Auf die Schultern der Männer gehoben, wurde die Barke Schritt um Schritt den steilen Felspfad emporgetragen, aus einem Weg, den kaum bei Tage der Fuß des kühnsten Jägers zu betreten gewagt hätte. Nur die Gewohnheit und Sicherheit der Seeleute, unbekümmert um den tobenden Sturm, auf schwanken Raen und Tauen umherzuklettern, machte es ihnen möglich, auf dem schrecklichen Wege vorzudringen, und das grelle, kaum verschwindende Licht der Blitze diente sogar dazu, ihr Werk zu erleichtern.

Von dem jungen Mädchen mitten in diesem Aufruhr des Himmels mit ruhiger Besonnenheit zurechtgewiesen, war der Knabe gleich einer Katze voran geklettert und hatte bereits den gefahrloseren Pfad erreicht, wo das Schnauben des Pferdes ihn zuerst stutzig machte. Die Hand am Griff seines Messers stand er lauschend da, bis das Herbeikommen Aniellas und des Pardo seiner Besorgnis ein Ende machte. Glücklich und nur mit geringen Beschädigungen wurde die Barke auf den breitern Pfad gehoben; der Seemann, der den Befehl über seine Gefährten führte, war der letzte, der sich hinaufschwang.

Einige Augenblicke ruhten alle von der gewaltigen Anstrengung aus. Jetzt zum erstenmal hatte der Fremde Gelegenheit, in dem Schein der Blitze die Schönheit des jungen Wesens zu bewundern, dessen Energie ihn gerettet.

Mit der vollendeten Höflichkeit des Weltmannes und der biedern Offenherzigkeit des Seefahrers nahte er sich ihr und nahm ihre Hand, die er ehrerbietig an seine Lippen drückte. »Señorita,« sagte er, »der schwerste Teil unserer Rettung ist gethan, und Ihnen verdanken wir sie. Tapfere Männer werden nie vergessen, in ihr Gebet zur heiligen Jungfrau den Namen Aniella Crousas einzuschließen. Die Flut des Himmels wird in wenig Augenblicken herniederströmen; es ist Zeit, daß wir nicht mehr an uns, sondern an unsere schöne Retterin denken, und daß Sie uns mit Ihren Freunden und Dienern verlassen. Wir werden leicht von hier aus eine Stelle des Ufers erreichen, an der wir unser Boot ins Wasser bringen können.«

»Ich werde Sie an eine solche führen, Señor,« sagte der Pardo hastig.

»Aber der Pamperos? die Gefahr ist zu groß!«

»Wir sind an den Sturm und die Gefahr gewöhnt, Señorita, und der Gedanke an die Teilnahme eines Wesens wie Sie, wird unsere Kräfte stärken und uns unüberwindlich machen selbst gegen den Pamperos.« – Ein kurzes schneidendes Pfeifen brach durch das Tosen des Sturmes. »Hören Sie das Signal meiner kleinen Meerkatze; der Bursche scheint einen sichern Ort gefunden zu haben, und es ist Zeit! Auf mit dem Boot, Ihr Männer, und vorwärts. Und Sie, Señorita, leben Sie wohl, und verzeihen Sie nur, daß ich Sie dem Schutz dieses schwarzen, aber braven Mannes überlasse!«

»Nein, Señor,« sagte das Mädchen entschlossen, »ich werde von dieser Stelle nicht weichen, bis ich weiß, daß Ihre Rettung gelungen. Dieser Felsenhang wird mich schützen gegen die Fluten des Himmels, und mein Gebet wird Ihre Schritte begleiten.«

Die Seeleute waren mit ihrer Last schon voran – einige Augenblicke noch zögerte ihr kühner Führer, während bereits schwere Tropfen aus den tief niederhängenden Wolken herabfielen, und der Sturm mit jedem neuen Stoß an Heftigkeit zuzunehmen schien.

»Noch eins lassen Sie mich wissen, Señorita, ehe ich scheide,« bat der Fremde, – »lassen Sie mich erfahren, unter welchem Namen ich später an Aniella Crousa denken muß, damit, wenn mein Säbel im Kampf auf den Ihres Gatten trifft, der meine sich senke im Gedächtnis an die Retterin unseres Lebens. Den Namen! den Namen Ihres Verlobten!«

Das Haupt der Kreolin war abgewandt, wie in tiefer Scham, während ihr Mund kaum hörbar in dem Toben des Sturmes, den Namen flüsterte.

Wie von einer giftigen Natter gestochen, zuckte der Fremde beim Klange dieses Namens empor und ließ ihre Hand fallen, die er aufs neue ergriffen. »Oberst da Gondra, jener Höllenhund selbst, der feige Schlächter eines Rosas und Oribe! O Señorita, ich konnte Ihnen vergeben, daß eine Tochter Montevideos einem Föderalisten, einem Feinde ihres Landes ihr Herz und ihre Hand gab; aber einem Scheusal in Menschengestalt, einem Mörder um des Mordes willen – niemals! Ich wollte eher in jene Schlucht mich zurückwünschen, als daß mein Ohr diesen Namen gehört. So will ich denn der Tochter jenes Landes, für das ich mein Schwert erhoben, zeigen, was ein Fremder dafür zu thun imstande ist, wenn die eigenen Kinder seinen Henkersknechten sich verbinden!«

Ein Schritt in den Schatten des Felsens – und er war verschwunden. Ihr Ruf, ihr Wort verhallte in dem Toben des jetzt gleich einem Gießbach aus den geöffneten Schleusen des Himmels herabströmenden Regens, und der Neger umfaßte die halb ohnmächtige Gestalt und trug sie in den Schutz des überhangenden Felsens, wo er die geliebte Gebieterin zwischen der rauhen Wand und dem zitternden Pferde vor dem Rasen des Wetters zu schützen suchte. –

Eine Stunde war vergangen, die rinnenden Regenbäche, an den Felsen zu stürzenden Strömen geworden, die Nacht zum Tage in dem zuckenden Schein der Blitze – betäubt war Ohr und Geist von dem gewaltigen Donner, der Wasser und Land aus seinen Grundvesten zu reißen schien; fortgerauscht war der grimme Pamperos, den riesigen Strom entlang zum Meere – leise nur rieselte es die Felsenrinnen noch hinab zum Grunde der Schlucht, hell brach der Strahl des Mondes durch das Gewölk, und weit über den ganzen Horizont breitete sich mit Windesschnelle der klare, sternenfunkelnde Himmel.

Bewegungslos auf den Sattel ihres Pferdes gestützt, schaute die Kreolin stumm, ohne Antwort für die freundliche Zusprache des treuen Negers, noch immer hinab auf die Wasserfläche.

Erst ein lauter Ausruf des Erstaunens von den Lippen des Schwarzen erweckte sie aus ihrer Erstarrung. Das Auge folgte der Richtung der Hand des Sklaven, die nach der Stelle wies, an der vor dem Sturm die Goelette ihre Anker geworfen.

Die Stelle war leer, das Schiff verschwunden, während die anderen noch sicher und ruhig an ihren Ketten lagen.

Von der Höhe des Stromes, wo der Horizont sich zu den Gewässern verlief, blitzte es auf. Die letzten Luftwellen des Orkans trugen auf ihren Schwingungen den dumpfen Donner eines schweren Geschützes an ihr Ohr!


Der Pamperos tobte in seiner tollsten Wut. – Die Luft schien eine feste, greifbare Finsternis, so ungeheure Massen von Staub, aufgewirbelt auf den großen trockenen Ebenen kamen sausend auf seinen Fittichen dahergefahren und vermischten sich mit den Strömen von Regen, so daß oft nicht einmal das Licht der Blitze sie zu durchdringen vermochte, obschon deren oft mehr als zwanzig mit eigentümlich rasselndem Laut ringsum von allen Seiten die Luft durchfuhren, begleitet von so gewaltigen Donnerschlägen, daß sie die Sinne zu betäuben drohten.

Durch diesen Aufruhr der Natur, durch diesen Gigantenkrieg von Wasser, Feuer und Luft brach sich die kleine Schar mit ihrem Boot Bahn, von Zeit zu Zeit im Schutze eines Felsstücks rastend, hundertmal in Gefahr, zerschmettert, ersäuft, zerrissen zu werden.

Der kurze Weg zur Küste hinab, sonst wenige Minuten erfordernd, kostete einen Kampf von fast einer halben Stunde; während dieser Zeit, in den kurzen Pausen der Donnerschläge und während sie unter dem umgestülpten Boot selbst Schutz und neue Kräfte sanden, machte der, den sie Kapitain José nannten, diesen Männern mit Ruhe und Bestimmtheit einen Vorschlag, vor dessen Gedanken schon der Gambusino, dessen Nerven doch auch durch manche Gefahr gestählt war, zurückbebte.

Diese Männer aber willigten ohne Zaudern in den Vorschlag. François, der Knabe, den sie in ihre Mitte genommen, damit der Sturm ihn nicht über die Felsen schleudere, klatschte jubelnd in die Hände.

»Señor,« sagte der Pardo zu dem Kapitän, indem er den Mund an sein Ohr legte, »gönnen Sie mir fünf Minuten; ich habe Ihnen einen Vorschlag, zu machen, der Sie reich machen soll, wenn Sie dieses unausführbare Unternehmen aufgeben und in der Flucht Ihr Heil suchen.«

Der Kapitän antwortete nur mit einer zurückweisenden Gebärde. »Das Boot auf den Kiel, Leute! Dicht heran an die Brandung; haltet die Ruder fest und steckt die Waffen zur Hand!«

»Bei San Jacob von Kompostella! ich beschwöre Sie, Señor, geben Sie mir Gehör; es betrifft die Rettung Aniellas!«

»Der Señora? In das Boot, Leute, sechs an die Ruder! die anderen bereit am Stern zum Abstoßen. Reden Sie, Señor, die Augenblicke sind kostbar.«

»Sie selbst – es gilt, sie von der Tyrannei der Föderalen zu befreien – ich muß mit Kommodore Garibaldi sprechen oder ihm Botschaft senden.«

»So begleiten Sie uns!«

Der Mestize zögerte.

»Bei Gott! dort kommt die Welle, der Augenblick ist da! fest, Ihr Männer. Hinein in das Boot, Señor, wenn Sie Mut haben!«

Ein Moment kurzer Ruhe in dem Wüten des Sturmes; der Gischt der Brandung schäumte hoch auf an dem flachen Ufer, an dem sie mit dem Boot der günstigen Gelegenheit harrten. Das Auge Kapitän Josés, der bis an die Kniee im Wasser stand, war auf die dunkle, mit weißem Schaum bedeckte Wasserfläche gerichtet.

»Aniella …:« Der Mestize vollendete die Rede nicht. Wie eine dunkle Wand kam es heran und begrub einen Augenblick lang alles unter der überstürzenden Flut.

Dann fühlte sich der erschrockene Gambusino von einer mächtigen Faust erfaßt und gleich einem Bündel Ware mitten zwischen die Matrosen in das Innere der Barke geschleudert. Im nächsten Moment schwamm diese, durch einen kräftigen Stoß vom Ufersand gelöst, auf dem Kamm der zurückweichenden Woge, und der Kapitän schwang sich über den niederen Bord und faßte mit kräftiger Hand das Steuer.

»Die Hälfte ans Ausschöpfen, Männer,« lautete sein Befehl, und die Stimme klang ruhig. »Fest in die Ruder! fest, oder die Flut schleudert uns gegen die Klippen!«

Nieder tauchte die Barke durch die anstürmende Welle und hob sich dann hoch auf ihren Gipfel – dreimal wurde das kleine Fahrzeug zurückgeschleudert, und dreimal trieben es die Ruder wieder vorwärts.

Zu seinen Füßen, fast bewußtlos vor Todesangst, lag der Mestize in dem Wasser, das die Hälfte der Mannschaft mit rasender Anstrengung aus der Barke zu schöpfen suchte.

Ein tiefer Atemzug entfuhr endlich der Brust des Kapitäns; das Boot hatte das freie Wasser gewonnen, die drohendste Gefahr war überstanden, und das kleine, durch keine Segel belästigte Fahrzeug gehorchte, ein Spiel der Wogen, doch dem Steuer, und flog regelrecht auf ihren Kämmen dahin, oder tauchte in ihre tiefen Höhlen.

Aber wie – was soll das bedeuten? Die Hand an dem Steuer wendet dasselbe; statt hinaus auf die tobende, aber sichere Höhe der wilden Gewässer kehrt die Barke in weitem Bogen zurück zu dem Ufer, nach der Stelle, wo das Licht der Blitze am Horizont wieder die mächtigen Schatten der verlassenen Felsen zeigt! Und näher noch als das gefährliche Ufer taucht in diesem unaufhörlichen Feuer des Himmels ein anderer Schatten auf, eine dunkle Masse, schwankend und fliegend auf dem Kamm der Wellen, mit schlanken Spieren und Masten sich abzeichnend gegen den flammenden Himmel, die Goelette, von ihren Ankern geschützt, harrend auf die Beute, die sie sich sicher wähnt, lebendig oder tot; denn selbst wenn es den Verfolgten gelungen wäre, sich in die Schlucht zu retten: kein atmendes Geschöpf kann die Wut des Pamperos zwischen den engen Felswänden überdauern.

Der Kapitän beugt sich nieder zu dem wimmernden Mestizen, seine Hand zieht ihn empor. »Wenn Sie ein Mann sind, Señor, so sorgen Sie für Ihr Leben. Die Barke wird in wenig Momenten an der Wand jenes Schiffes zerschellen, und jeder muß dann für sich selbst sorgen. Wenn wir das Deck jenes Schiffes genommen, sollen Sie zum Kommodore gelangen, so wahr mir Gott helfe und seine Heiligen!«

Die Gestalt des Mannes schien zu wachsen, wie er in der schwankenden Barke am Steuer stand, das Auge auf das Schiff gerichtet, dessen Vorderteil man näher und näher kam. »Auf Eure Posten, Kameraden! werft die Ruder ins Wasser, ihr Dienst ist vorbei für diese und jene Welt! Die Messer zwischen die Zähne und – Gott sei unseren Seelen gnädig!«

Umher zuckten die Blitze, der Donner dröhnte; eine große Woge warf auf ihrem Kamm das leichte Boot mit den fünfzehn Menschen gegen das Schiff, aber die Hand des Mannes am Steuer preßte es im letzten Augenblick zur Seite; und an der scharfen Kantung vorüber, die es wie ein Messer zerschneiden mußte, flog es am Backbord hin und stieß hoch emporgehoben gegen die Schiffswand.

Wohl krachten und brachen die leichten Planken, wohl stürzte der Wasserberg über und durch die geöffneten Fugen; die dünnen Bretter versanken unter den Füßen der Tapferen. Aber der kurze Augenblick des Anpralls hatte bereits genügt für die gewandten, auf die verzweifelte That vorbereiteten Seeleute, sich an den Netzen, Wanten und Tauen des größeren Fahrzeuges festzuklammern, und zerschlagen, zerschunden, zerstoßen, warfen sie sich über das Bollwerk, klommen die Wanten hinauf und sprangen hinab aufs Verdeck.

Der einzige sogar, dessen von dem Anprall gebrochener Arm nicht vermochte, die Kette festzuhalten, sank ohne Laut, ohne verräterischen Todesschrei in die Wogen zurück.

Aber ein andrer Todesschrei gellte durch den Aufruhr der Natur, der argentinische Offizier stieß ihn aus, der auf dem Vorderdeck mit zwei Matrosen die Wache hatte, und hinter dem Fockmast gekauert, an diesem sich festgebunden. Der Säbel des Unitaristen-Kapitäns spaltete sein Haupt, als er sich, erschreckt von dem Anblick der fremden Gestalten, emporzuraffen versuchte.

Ein einziger Blick belehrte den Kapitän, daß der größte Teil seiner Leute bereits an Bord war. Er selbst hatte sich an den Ketten des Fallreeps festgehalten und hinaufgeschwungen, während seine Linke den zitternden Mestizen nach sich zog.

» Vivan los Unidados! Nieder mit der Föderation!« tönte eine gellende Knabenstimme vom Hinterdeck her durch Sturm und Donner.

» Por amor de Dios! Der junge Schelm ist bereits am Steuer und hetzt uns zu früh die Schurken auf den Hals. Zu Hilfe, Ihr Leute, und sperrt die Luken!«

Ein einziger schwacher Pistolenschuß knallte, der Wachtmann am Steuer, der die Waffe unter seinem Regenkittel getragen, hatte ihn auf den Knaben gethan, der wie eine Katze die Treppe des Hinterdecks hinaufgehuscht und bemüht war, die Thür der Kajüte mit seinem Dolch zu sperren. Der Kapitän ließ den unfreiwilligen Teilnehmer der Heldenthat auf das Deck fallen und war trotz des furchtbaren Rollens des Schiffes im nächsten Augenblick an seiner Seite, ein Schlag mit dem schweren Metallgriff des Schiffsäbels, den seine Rechte führte, streckte den Steuermann zu Boden. Unterdes waren die drei oder vier Männer, welche ihn begleiteten, über die Wachtmannschaft hergefallen, die sich auf dem Deck der Goelette befand und sich vor der Wut des Sturmes unter dem Bollwerk und den Segeln geborgen hatte.

Jeder Stoß der breiten langen Matrosenmesser, jeder Hieb mit dem Kolben der schweren Schiffspistolen, denn zu jedem anderen Gebrauch hatten die Wassergüsse des Himmels und des Stromes die Waffen längst untauglich gemacht, tötete einen Feind oder machte ihn kampfunfähig.

»Zu den Luken! zu den Luken!« klang die Stimme des Führers über Sturm und Geschrei.

Die Goelette war mit sechsundvierzig Mann bemannt; zum Glück für die Angreifenden befanden sich zwei der Offiziere und die Bootsmannschaft der Barkasse am Lande, die ersteren auf der Quinta der Señora, die anderen mit der Meldung an den kommandierenden Offizier bei den Gauchos, und das so rasch ausbrechende Unwetter hatte ihre Rückkehr verzögert. Dennoch überstieg die Zahl der Föderalisten-Mannschaft auf dem genommenen Schiff noch um mehr als das Doppelte die ihrer Gegner.

Glücklicher Weise hatte die Mannschaft selbst die Lukenklappen geschlossen, das Innere vor der strömenden Sündflut zu schützen, und der heulende Sturm, der brüllende Donner tobten so arg, daß von dem Kampf auf Deck kaum ein Ton hinunterdrang in die geschlossenen Räume. Mit der furchtbarsten Anstrengung waren die Montevideer bemüht, die Lukenklappen durch Taue und was bei dem entsetzlichen Schlingern des Schiffes ihre Hand erreichen konnte, von außen festzumachen, während jeden Augenblick die Bewegungen des Schiffes sie von einem Bollwerk zum andern schleuderten. Den linken Arm um den Hauptmast, stand der Kapitän, mit seinem Wort die Arbeit der Gefährten leitend und sie ermunternd.

Jetzt aber, sei es, daß ein Zufall die eingeschlossene Mannschaft aufmerksam gemacht, sei es, daß man die Wache auf Deck ablösen wollte und die Ausgänge verschlossen fand: deutlich zwischen dem Rollen des Donners hörte man wütende Schläge von unten gegen die Lukenklappen und das Geschrei und die Flüche der Eingesperrten.

»Nimm die fünf Stärksten, Marochetti, und versuche das Vormars- und das Stagsegel zu setzen. Wir müssen die Anker kappen und uns der Gnade der Wellen überlassen!«

»Das ist sicheres Verderben, Giuseppe! In diesem Sturm vermag kein Mensch sich auf der Raa zu halten!«

»Es muß geschehen oder wir sind in ihren Händen!« Er hatte das Sprachrohr am Kompaßhaus gefunden. »Zwei Mann mit Äxten an die Ankerketten! Hinauf auf die Vor-Bramstänge und das Segel bereit! – Lös't die Schlingen des Stag!«

Er sprang ans Steuer und löste die Taue, mit denen die Spieren festgebunden waren. Das Enterbeil, mit dem er sich aus dem Waffenkranz am großen Mast bewaffnet, hing am Riemen vom Gelenk seiner rechten Hand.

»Aufgepaßt, Männer! Wahre die Kajüte, Sacchi, und halte die große Luke im Auge – jetzt – auf mit dem Stagsegel! haut« –

Eine Kugel pfiff an seinem Ohr vorbei – nicht den Knall hörte er im neuen Donner, nur das Zischen des Bleis. Schnell wie der Blitz, der am Himmel zuckte, kehrte er sich um und starrte in das drohende Antlitz eines Feindes, der sich eben über die Galerie des Hinterdecks schwang – drei – vier Gestalten kletterten ihm nach; Kurzdegen, die glänzenden Klingen der Machetes, die Läufe der Pistolen funkelten im Feuer des Firmaments.

Der Kapitän schleuderte dem nächsten Gegner das Sprachrohr ins Gesicht. »Haut das Ankertau durch! kappt! kappt!« donnerte seine gewaltige Stimme über das Deck, während er mit der Linken am Steuer sich festklammerte und die Rechte das Enterbeil schwang.

» Viva el Union!« An dem stahlbeschlagenen Stiel des Beils zersplitterte der Kurzdegen des Spaniers und der Schlag der furchtbaren Waffe warf diesen kopfüber zurück in die schäumende Flut.

Ein gewaltiger Ruck erschütterte das Schiff. Gefaßt von der heranstürmenden Welle, hob sich das befreite Bugspriet hoch in die Luft, so daß der Stern bis über die Galerie in die dunkle Flut versank, die zwei der Bedränger hinwegspülte. Mit Donnergetöse fing sich der Sturm im gelösten Stagsegel und drohte die Taue aus ihren Schoten zu reißen. Das Schiff trieb einige Momente über Stern und drehte sich dann um sich selbst. Es war der dringende Augenblick, in welchem das Steuer seine Kraft üben mußte, wenn die Goelette nicht rettungslos in die tosende Brandung treiben sollte.

Der Kapitän warf sich, achtlos auf alles andere umher, in die Speichen. »Los mit dem Vormarssegel! alle Hände an die Taue!«

Über seinem unbeschützten Haupte schwebte die Machete, geschwungen von der Faust des grimmen Föderalisten, der allein die Galerie des Decks zu überschreiten vermocht.

Einen Augenblick, und es war um den Tapfern geschehen!

Da funkelte es über seinen auf die Speichen des Rades gebeugten Körper hinweg, eine Knabenhand nur hatte den Wurf gethan, aber die Enterpike zischte durch die Luft, und die lange schneidende Spitze drang in die Brust des Spaniers.

» Maldito demonio!«

Das Schiff richtete sich empor, es begann dem Steuer zu gehorchen und flog vor dem Sturmwinde dahin, ab von der gefährlichen Küste.

Ein Blick auf den bäumenden Körper des Feindes auf den Planken des Decks zeigte dem Kapitän, was geschehen.

»Dank, François! Beim Himmel! ich vergelte Dir's, Bursche!«

Der Knabe hielt sich keuchend an der Wantung fest, von der herab er den Wurf gethan. Mehrere der Männer eilten herbei, sie regierten das Steuer, sie bewachten die Brüstungen, um jeden der Feinde, der den verzweifelten Versuch des Emporklimmens machen sollte, hinunter zu stoßen in die immer noch tosende Flut.

Aber die Goelette flog jetzt in verhältnismäßiger Sicherheit vor den Wellen dahin, der Höhe des Stromes zu; die Donner verhallten in schwächeren Schlägen, und der Pamperos eilte dem Schiffe weit voraus dem Meere zu. Kaum eine halbe Stunde, und durch die zerzausten fahrenden Wolken blitzten einzelne Sterne, und begann der Mond seine Silberstrahlen zu streuen auf die erregten Wasser.

Die Unidados hatten bis dahin aufs äußerste angestrengt, mit der Rettung und Leitung des Schiffes zu thun gehabt. Jetzt musterte der Kapitän seine Mannschaft. Zwei fehlten von den zwölf Tapferen, den einen hatte die zerschellende Barke mit hinabgezogen in den Todesschlund, den andern der Sturm bei dem Lösen des Vormarssegels über Bord gerissen – keiner war unverletzt, teils von den Quetschungen beim Ersteigen des Schiffs und der Arbeit auf dem Deck, teils vom Kampf bei Überwältigung der Wachen. Aber in aller Augen war jetzt der Triumph, funkelte noch der ungebeugte kühne Geist.

»Es ist Zeit, Kameraden,« sagte der Kapitän, »daß wir vollends Herren des Schiffes werden. Untersucht die beiden Karonaden dort, erneuert die Ladungen aus dem Pulverkasten, wenn es nötig ist, und richtet sie gegen das Vorderkastell. Sacchi, nimm das Steuer, und Ihr anderen stellt Euch mit den Waffen an die große Luke.«

Die Befehle waren in wenigen Augenblicken erfüllt. Man hatte dabei Manuel, den Pardo, aufgehoben, der blutig und zerschlagen sich zwischen den Geschützen festgeklammert, und ihn auf eine Bank gesetzt.

Kapitän José stand mit dem Enterbeil in der Hand an der Seite der Luke. Auf seinen Befehl wurden die Decken, Taue und Ketten, die man darüber geworfen, fortgeräumt und ein Loch in die Ecke der Klappe geschlagen.

Sofort streckten sich zwei – drei Flintenläufe und Spieße hervor.

»Keine Thorheit, Männer,« sagte hastig der Kapitän. Das Schiff ist in unsrer Gewalt, und ich müßte Euch alle töten, wenn Ihr nicht der Vernunft Raum gebt. Ist ein Offizier unter Euch, mit dem ich verhandeln kann?«

Ein junger Aspirant meldete sich, es war der einzige Offizier, der noch auf dem Schiffe war; der Kapitän hatte den Tod gefunden, es war der Kreole, den der Schlag des Enterbeils über die Galerie des Sterns in die See geworfen.

»Señor,« sagte der Führer der Unidados, »das Kriegsglück ist wechselnd und es gereicht keinem Tapfern zur Schande, von einem andern Tapfern überwunden zu werden. Ihr Deck ist in unsrer Gewalt, und das Schiff bereits auf der Höhe des Stromes, außer jeder Möglichkeit der Hilfe für Sie. Ich gebe Ihnen fünf Minuten Bedenkzeit, ob Sie meine Bedingungen annehmen wollen, dann lasse ich Feuer geben!«

Es erfolgte eine kurze stürmische Beratung zwischen der unter der Luke versammelten Mannschaft des Schiffes, dann fragte der junge Offizier, welches die Bedingungen wären, die man ihnen gewähren wolle; denn in diesem zur Metzelei ausartenden Bürgerkriege der südamerikanischen Republiken war gewöhnlich Gefangenschaft mit grausamem Tode ziemlich gleichbedeutend.

Kapitän José eröffnete ihnen, daß sie ihr Ehrenwort zu geben hätten, keinen Widerstand weiter zu versuchen, daß die Mannschaft einzeln auf das Deck steigen und ihre Waffen dort niederzulegen hätte. Dann müsse sich jeder nach dem Vorderdeck begeben und dort sich unter dem Bollwerk niedersetzen, bis das Schiff die kleine Flotille des Kommodore von Montevideo erreicht. Dafür sollte jedem das Leben und seine persönliche Habe gesichert sein, und er am Ufer von Uruguay frei ans Land gesetzt werden, von wo sie die Truppen Oribes erreichen könnten, die Montevideo seit einem Jahre belagerten.

Die Bedingungen waren so überraschend günstig, daß sie alsbald angenommen wurden. Das Werk der Entwaffnung ging unter den drohenden Mündungen der Karonaden rasch vorwärts, und die besiegten Föderalisten nahmen die ihnen angewiesene Stelle ein, mit Groll im Herzen und einem Fluch auf den Lippen, als sie – noch immer einunddreißig Mann – erkannten, von welch geringer Zahl sie überwunden worden.

Aber es war zu spät, den Sieg nochmals zu bestreiten, die Macht in den Händen ihrer Gegner und das feste, gebietende Auge des feindlichen Führers zeigte ihnen, daß jeder Versuch einer Auflehnung unfehlbar mit ihrem Verderben enden müsse.

»Jetzt, Kameraden,« sagte heiter der Kapitän, »sind wir die Herren des Schiffes und verdienen, daß die Farben Montevideos die besiegte Flagge von Buenos-Ayres ersetzen! Aber zum Unglück liegt die unsere auf dem Grunde der Teufelsbucht, und wir müssen uns die Freude versagen, den schönen Augen unserer Retterin zu zeigen, was die entschlossenen Kämpfer der Freiheit zu thun vermögen!«

» Vive l'Union! Vivan los Unidados!« klang da eine helle Stimme von den Groß-Rahlingen des Mastes, die blauweißen Streifen mit der goldenen Sonne flatterten nieder aufs Deck und hoch an der Zugleine der obersten Gaffel wehte die blaugrüne Flagge von Montevideo, von einem jubelnden Viva der Tapferen begrüßt.

François, der Knabe, hatte sie um den Leib geborgen, ehe er die Felsenwand der Teufelsschlucht an dem Lasso Aniellas erstieg. Der tolle Bursche jubelte jetzt in dem Tauwerk des Mastes, den seine Hand geschmückt.

Mit der Lösung der großen Kanone auf dem Vorderdeck wurde die Flagge begrüßt. Das Echo des Schusses war es, das der letzte Odem des Orkans hinübertrug zu dem Ohr der Kreolin! –

So kam's, daß ihr Auge die Goelette nicht mehr auf dem Ankerplatz fand!



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