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Der Gefangene von Ham.

Aus dem Morast und Schilf, welche die Ufer der trägen Sonne bilden, erhebt sich eine dunkle rot-braune Masse von riesigen Türmen und öden Wällen. Vier Jahrhunderte sind vergangen, seit der tapfere Graf von St. Pol diese Mauern zur Verteidigung der Picardie erbaut. Ein langes Rechteck mit gewaltigen Cylindertürmen an den Ecken, von denen der Turm des Connetable im nordwestlichen Winkel noch seinen antiken Charakter bewahrt hat, während die anderen Wälle und Mauern roh und kahl geworden, als scheue sich selbst der wuchernde Epheu, an ihnen emporzuranken.

Die ungeheuren Fenster, welche durch die dicken Mauern der Türme Licht und Luft geben sollen, sind vermauert, die kleinen Öffnungen, die man gelassen, schwer mit Eisen vergittert.

Auf dem westlichen Wall, von dessen Höhe man die Aussicht auf ein kleines morastumgebenes Städtchen von altertümlicher Bauart hat, erhebt sich hundert Fuß hoch die viereckige Masse des Eingangsturmes mit ihren sechsunddreißig Fuß dicken Mauern, durch welche die schmale Eingangsthür von der Zugbrücke her gebrochen ist, der einzige Zugang dieses traurigen Sarges für Lebendige.

Denn ein solcher ist es; ein einziger Blick auf die öde Umgebung, auf die finstern Mauern lehrt, daß hier nur eine jener traurigen Anstalten sein kann, welche dem Vogel die Schwingen, dem Menschen das von Gott gegebene Recht der freien Bewegung rauben, ein Gefängnis.

Und so ist es! In diesen Mauern wohnten fünf Jahre jene Männer des Unheils für die weißen Lilien Frankreichs: Polignac, Chantelauze, Peyronnet und Guernon-Ranville; in diesem Kerker beugte General Cabrera seinen intriganten Geist! Es ist das feste Schloß von Ham.

Wenn man durch das Schloßthor eingetreten, steht zur Linken einsam ein halb verwitterter Ulmenbaum. Vor dem Baum im innern Hof dehnt sich ein langes kasernenartiges Gebäude hin, kalt, feucht, erdrückt zwischen den Wällen, die seinen Horizont begrenzen und ihm Luft und Licht wegfangen. Rechts befindet sich eine kleine Eingangsthür mit schweren Riegeln. An dieser Seite war am 25. Mai 1846, vier Jahre nach den geschilderten Ereignissen am La-Plata, ein leichtes Baugerüst aufgerichtet behufs einer nötigen Reparatur. Kalkkübel, Handwerkszeug und Bausteine standen umher.

Im ersten Stockwerk zur Linken bildete ein kleines Zimmer die Ecke des Gebäudes. Das Gitterfenster ging nach dem Turm des Connetable und dem Wall hinaus, auf dem in schützenden Winkeln dichte Fliedersträucher angepflanzt und kleine Blumenbeete geordnet waren. Rosen und die hochgeschossenen Blütenstengel der fritillaria imperialis, der Kaiserkrone, fanden sich auffallend zahlreich unter diesen Blumen und Pflanzen.

Das erwähnte Zimmer war äußerst einfach möbliert. Ein schlechter Fayenceofen stand in einer Nische, neben dem Ofen ein kleines Pult von Tannenholz, angenagelt. In der Ecke stand ein Bett mit Vorhängen von buntem Zitz; auf einem Tisch eine Toilette von vergoldetem Silber neben einem groben Messingleuchter.

In dem Bett, halb von den Gardinen verborgen, lag ein Mann von etwa siebenunddreißig bis achtunddreißig Jahren, schlafend, träumend; auf der schmalen hohen Stirn stand kalter Schweiß.

Straffes braunes Haar fiel in feuchten Strähnen um den eckig gebildeten Kopf; das hagere Gesicht hatte eine eintönige graubleiche, des Blutes entbehrende Färbung. Ein dicker dunkler Schnurr- und Kinnbart verbarg den in tiefen Falten endenden Mund; buschige Augenbrauen wölbten sich finster über dem geschlossenen Auge und der schmalen, kräftig geformten Nase.

Die Gestalt, so weit sie unter der Decke sichtbar wurde, hatte etwas Eckiges, Unvorteilhaftes, war aber in ihrer Hagerkeit muskulös und ließ auf körperliche Abhärtung schließen. Die linke Hand, die auf der Bettdecke lag, war geballt, während die rechte häufig, gleich dem schaurigen Flockensuchen eines Sterbenden, mit den langen hageren Fingern umherfuhr.


Flüchtige Gestalten der Träume – wer vermag euch festzuhalten?

Ein breiter Fluß in flacher nordischer Gegend; auf ankerndem Floß ein prächtiger Pavillon, mit den Fahnen zweier mächtigen Kaiserreiche geschmückt, zwei Männer darunter Hand in Hand, an den beiden Ufern zwei gewaltige Heere in Schlachtordnung, bärtige Kosaken – die prächtigen Grenadiere der Kaisergarde – – –

An einem großen Tisch, mit Karten und Plänen bedeckt, steht ein Mann von untersetztem Bau in einer losgeknöpften Chasseur-Uniform, die Hände auf den Rücken gelegt, eifrig über die Karten hergebeugt. Kerzen erhellen das mit dunklem Sammet ausgeschlagene Gemach, dessen Wände gleichfalls mit Büchern, Karten und Modellen bedeckt sind.

Plötzlich richtet sich der Mann empor, sein Gesicht ist gerötet, die Adern seiner breiten Stirn blutstrotzend, das Auge wie mit Blut unterlaufen. Er thut schwankend einige Schritte, taucht ein Tuch in ein Becken mit Wasser, und legt es auf Stirn und Schläfe. Dann öffnet er rasch die Thür des Kabinetts, die in ein größeres Gemach führt.

Ein Mann in der bunten Mameluckentracht sitzt auf einem niederen Tabouret dicht vor der Thür; ein anderer in mit schweren Goldstickereien überladener Uniform sitzt arbeitend an einer mit Papieren bedeckten Tafel.

» Duroc – une femme!«

Die Thür schließt sich; der Mann in der Chasseur-Uniform wirft sich auf den Divan und deckt das nasse Tuch über sein Gesicht. Sein ganzer Körper zittert.

Nach einigen Minuten rauscht der schwere mit goldenen Bienen gestickte Sammetvorhang einer andern Thür empor, ein reizender Frauenkopf mit hochgeschwungenen schmalen Brauen und schmachtenden Augen lauscht herein und schaut umher, dann folgt die üppig-schöne Gestalt und huscht über den Teppich nach dem Divan, mit einer reizenden Bewegung den Finger auf den Mund pressend, als wolle sie sich selbst Stille gebieten.

Die Dame beugt sich über ihn, der Atem ihres üppigen Mundes erwärmt das Tuch, ihre weiche Hand, die andere hält mehrere zusammengefaltete Papiere, berührt leicht die Schulter des Mannes.

Er fährt empor und wirft das Tuch zurück. Seine stechenden Augen betrachten erst mit Überraschung, dann mit wildem, immer heftiger loderndem Feuer die schöne Erscheinung.

»Wie, Du hier …:? – wie kommst Du hierher?«

»Sire, ich wollte Sie nicht stören, aber eine kleine Bitte, ich weiß, Sie sind so liebenswürdig!« Sie streckt ihm die Papiere, die sie in der Hand hält, entgegen.

Der Mann in Uniform nimmt sie mit einer hastigen Bewegung und wirft einen Blick darauf. » Ah voilà – schon wieder Schulden, Kind? dreimalhunderttausend Franken; c'est fort!«

»O, Sire, die Feste zu Ehren Ihrer Ankunft und des Friedens; meine Kasse ist so schlecht bestellt – und diese Leute sind so unverschämt!« Sie lehnt schmeichelnd das Köpfchen auf die Schulter.

Ein feuriger Schleier scheint sich vor seine Augen zu legen, die in der üppigen Fülle des nach der Sitte der Zeit tief ausgeschnittenen Busens schwelgen. Sie zieht ihn mit süßem Lächeln nach dem Tisch und drückt ihm eine Feder in die Hand; er wirft rasch zwei Zeilen auf ein Blatt Papier, unterzeichnet es, steckt es aber eben so rasch in die Brusttasche der Uniform.

»Was machen Sie da, Sire? geben Sie …:«

»Nicht eher, als …:« Er springt nach der Thür, die in das Vorzimmer führt und schiebt den Riegel vor. Dann umfaßt er wie ein wildes Tier die schöne Gestalt der Dame, preßt sein Gesicht auf ihre Brust, ihren Nacken mit wahnsinnigen Küssen und schleppt sie nach dem Divan.

»Um des Himmels willen – was machen Sie, Sire? …: ich beschwöre Sie …:« Seine gewaltsamen, brutalen Liebkosungen ersticken ihre Bitten, die sich in ein leises Stöhnen auflösen, ein gurgelnder Laut, ein widerwärtig wildes Schnauben …: dann ein leichter Schrei, die Dame windet sich entsetzt in den Armen, die sie krampfhaft umschlungen halten. Der Kopf des Mannes ist hinten über gesunken, seine Augen starr, wie die eines Toten, auf den weit geöffneten Lippen steht weißer Schaum …:

In diesem Augenblick fallen die Augen der Dame, hilfesuchend im Zimmer umherirrend, auf die Wand zur Rechten, eine Tapetentür hat sich geöffnet, in ihr steht die schlanke feine Gestalt einer Frau, deren Gesicht, obschon nicht mehr jung, doch noch großen Liebreiz zeigt, erhöht und erhalten durch die feinsten Künste der Toilette. Dies sonst so freundliche, heitere Gesicht mit den schwarzen schwimmenden Kreolenaugen ist jetzt entstellt von dem Ausdruck zorniger Entrüstung, die kleinen feinen Hände sind geballt auf den Busen gedrückt.

»Abscheulich!«

Mit einem lauten Aufschrei reißt sich die jüngere Dame aus den sie umstrickenden Armen los und wirft sich, die Hände emporstreckend, vor der andern auf die Knie; diese aber wendet sich zornglühend von ihr und tritt zu dem Manne, der noch immer in demselben epileptischen Zustande auf dem Sofa liegt. Ihre Hand deutet befehlend auf die Thür.

»Geh'!«

Die jüngere Dame verbirgt das Gesicht in die Hände und verschwindet. – – – – – – – –


Ein bedeutsames dreistes Lächeln lag auf dem Gesicht des Träumenden. Vielleicht, daß sein Ohr in diesem Augenblicke den Donner der Kanonen des Invalidendoms vernahm, die am 20. April 1808 den Parisern die Geburt eines zweiten Sohnes des Königs von Holland und der schönen Hortense von Beauharnais verkündeten, vielleicht lauschte das Ohr des Träumers in diesem Augenblick jener zierlichen Melodie, die einer der Maurer summte, die eben durch das geöffnete Thor der Festung herbeikamen, das Gerüst zu besteigen.

» Partant pour la Syrie …:« Anfangsworte einer von A. de Laborde verfaßten Romanze, die die Königin Hortense, die Mutter des am 20. April 1808 geborenen Louis Napoleon (des späteren Kaisers) 1810 in Musik setzte. Unter der Restauration wurde dies Lied das Erkennungszeichen bonapartistischer Gesinnung, unter Napoleon III. offizielles Vaterlandslied. A. d. H.

Andere Bilder schienen vor der Seele des Schlafenden vorüberzuziehen, andere Eindrücke spiegelten sich auf seinem Gesicht; Haß, finsterer Groll malte sich in den zusammengekniffenen Lippen, den gezogenen Brauen; dann das Gefühl der Angst, der Furcht, seine Hände öffneten sich, die Brust keuchte.

»Werft die Waffen weg! wir ergeben uns! Fort mit der Fahne!« murmelte er im Traum.


Ein neblig-trüber, regnerischer Tag, die späte Nachmittagsstunde des 25. März 1831! Zwei Signalschüsse knallen, ein Husar kommt mit der Meldung zurückgesprengt, daß eine Infanterie-Kolonne die Straße kaum vierhundert Schritt von den Thoren der Stadt gesperrt halte. Der General beordert einen Zug Husaren, zur Rekognoscierung vorzugehen. Der junge Fürst Karl Liechtenstein sprengt vor und stürzt sich mit seinem Zuge auf die Rebellenmasse, die mit der wehenden grün-weiß-roten Fahne die Straße besetzt hält. Die Feiglinge werfen die Gewehre weg, die Fahne sinkt, die tapferen Husaren sprengen vorwärts, die Thore von Rimini vor den Flüchtenden zu erreichen; aber diese Thore sind bereits geschlossen, eine Flintensalve empfängt sie, und sie müssen zurückkehren.

Da knallt es hinter den Hecken und Büschen, die den Weg einsäumen, die feigen Verräter haben die Zeit benutzt, ihre Gewehre wieder aufzuraffen und schießen, hinter den Hecken und Zäunen verborgen, auf die zurückkehrenden Husaren. Ein Ober-Leutnant, ein Korporal und vier Husaren werden von den Pferden geschossen, mehrere andere mit dem tapferen Rittmeister verwundet; der Rest des Zuges, siebenundzwanzig Mann, wendet sich gegen die Verräter, wirft das Thor von Flechtwerk, das den Zugang der Hecke bildet, nieder und fällt wütend über die Rebellen her. Die Feigen werfen den Männern gegenüber aufs neue ihre Gewehre fort und fliehen nach allen Seiten, verfolgt von den erbitterten Husaren, die sie ohne Erbarmen niederhauen.

Zwei Brüder, die Anführer der verräterischen Schar, haben gleichfalls ihre Waffen fortgeworfen und fliehen zusammen; der jüngere, ein gewandter Läufer, eine Strecke voran, von einem Husaren verfolgt.

»Zu Hilfe, Bruder! zu Hilfe!«

Der Jüngere kehrt sich um, er sieht den Bruder zu Boden fallen, den Säbel des Ungarn über ihn geschwungen. Aber vergebens ist der Hilferuf; der Bruder nimmt sich kaum die Zeit, einen Augenblick anzuhalten. Der Unglückliche streckt die Hände gegen den Feind. »Willst Du einen Wehrlosen ermorden? Ihr seid keine Soldaten, Ihr seid Räuber und Mörder!«

Der Husar, Andreas Palazsdy ist sein Name, hebt sich im Bügel: »Nix Husar Räuber! Ihr Spitzbuben und Mörder! Gewehr wegwerfen und Ober-Leutnant totschießen – baszom à kutya lelkedet!« Die scharfe Klinge saust nieder; als sich der Fliehende noch einmal umwendet, sieht er den Bruder mit gespaltenem Kopf zu Boden stürzen. Aber er selbst ist gerettet! Der ältere Bruder des Kaisers der Franzosen, Prinz Napoleon Ludwig, geboren am 11. Oktober 1804, verschwand im Jahre 1831 plötzlich auf geheimnisvolle Weise. Die meisten napoleonischen Schriftsteller behaupten, er sei an den Masern gestorben. Hier die Wahrheit!

Wiederum fliegt über das Gesicht des Schlafenden ein Zug dämonischen Frohlockens; näher ist er dem Ziel, aber dort noch im Osten, am Throne von Wien – –

Und nochmals wechselt der Traum: ein Zimmer mit hohen Fenstern, durch die man die grünen Bosquets und herrlichen Alleen des Parks von Schönbrunn sieht; die Wasser rauschen, die Blumen erfüllen mit ihren Düften die warme Sommerluft – alles atmet Leben, Lust und Kraft.

Nur drinnen auf dem Bett, dem einfachen Feldbett des jungen Soldaten, dessen Wiege eine goldene war, liegt ein Mann, kaum zwanzig Jahr alt, und schon ruht sein bleiches Haupt auf dem Sterbekissen, dem Busen der weinenden Mutter. Ärzte und Staatsmänner stehen umher, Männer der Wissenschaft und Diplomaten, berühmte Namen Europas, und ihre prüfenden Augen, ihre berechnenden Gedanken verfolgen sorgfältig den Fortschritt des Todeskampfes auf diesem jugendlichen Antlitz; in ihrer Tasche ist die Depesche schon bereit, um den Höfen von Paris, London, Petersburg und Berlin die glückliche Nachricht zu verkünden, daß Europa unbesorgt wieder aufatmen könne, der Alp der Zukunft sei mit diesem Haupt, das sterbend zurücksinkt, von seiner Brust genommen!

Es ist der 22. Juli 1832! An diesem Tage starb zu Schönbrunn an der Lungenschwindsucht der Herzog von Reichstadt, Sohn Napoleon I. und Marie Luisens, 21 Jahre alt. A. d. H.

Die matten Augen des Schwindsüchtigen beleben sich, sie laufen im Zimmer umher, Erinnerungen scheinen ihre gigantischen Schatten vor seinem schon der Ewigkeit gehörenden Geiste zu erheben, diese Wände scheinen ihre Echos wiederzugeben, die Worte der Dekrete, die vor dreiundzwanzig Jahren das Schicksal Österreichs und Roms bestimmten; dort am Tisch steht noch die Gestalt im grauen Oberrock und dem kleinen Hut, die Feder rasselt über das Papier gleich dem Schlachtschwert.

Und zu der Mutter empor eine Welt anklagend, verklärt durch die ewige Krone, bricht dies Auge. »Vater – ich komme!« ist der letzte Hauch der bebenden Lippe.

Da rasselt in dunkler Mitternacht der gespenstige Tambour seine Reveille über die Gräber der Leichenfelder von Arcole bis zur Moskwa, von den Pyramiden bis Waterloo, und die Schatten der alten Garde steigen empor aus den geöffneten Grüften, über das Meer daher, von der Felseninsel im Ocean stiebt der Hufschlag des Schimmels, drauf sitzt der Mann im grauen Rock und breitet die Arme dem lichten Schatten entgegen, der über dem Baummeer von Schönbrunn zu den Sternen emporschwebt. »Achtung!« die Gewehre der gespenstischen Garde präsentieren klirrend, Vater und Sohn sind wieder vereint!

Nach den Hauptstädten Europas jagen die Couriere, im Volke zwar murmelt es leise von dem giftigen englischen Gold und der bourbonischen Schlange unter der Blütendecke der Wollust, aber Talleyrand und Wellington, Nesselrode und Metternich begrüßen die Throne als gesichert.

Doch auf dem Wege nach Arenenburg fliegt eine einfache Extrapost-Chaise, ein Fremder in den Staubmantel gehüllt, darin; wenige Stunden vorher hätte man ihn unter der Volksmenge sehen können, welche das Thor von Schönbrunn umstand, begierig lauschend jeder Nachricht. Jetzt lag auf diesem Gesicht die kühne Erwartung, der stolze Triumph – – –


Und seltsamer Weise glich das Gesicht des Schläfers den Zügen des Traumbildes – wie auf diesem, malte sich auf dem seinen der kühne Triumph – die Hand des Schläfers streckt sich aus, sie hascht in die Luft, ist es eine Krone, die er zu greifen wähnt?

Er, jetzt der Erste der Napoleoniden!


Der Schläfer fuhr empor, eine fremde Hand hatte leicht die seinige berührt, an der herabsinkenden leckte die Zunge eines großen Windhundes.

»Euer Hoheit müssen sich erheben, es ist sechs Uhr, und Sie haben mir bestimmten Befehl erteilt, Sie nicht länger schlafen zu lassen.«

Der Erweckte rieb sich die Augen noch in den Nachgedanken seines Traumes; er streckte die Arme und dehnte den Körper, dann richtete er sich rasch empor.

»Du hast Recht, Thelin, aber was willst Du? – die Träume sind das einzige, was die Gefangenen haben! Zum Teufel diese Träume, wenn sie nicht zur Wirklichkeit werden! Sechs Uhr! armer Thelin, was werden wir thun mit dem ganzen langen Tage? Es wäre wahrlich besser gewesen, Du hättest mich schlafen lassen!«

Der Klage ungeachtet hatte er bereits das hagere Bein aus dem Bett gestreckt. Der Kammerdiener reichte ihm die Kleider.

»Euer Hoheit vergessen Fidèle, es ist heute sein Tag

»Es ist wahr – wie konnte ich es vergessen! Hast Du ihn bereits untersucht?«

»Er hat ein Papier!«

»Hierher, Fidèle!«

Das große Windspiel kam sofort herbei und legte die Schnauze auf das Knie seines Herrn.

» Couche!«

Der Hund legte sich nieder und streckte die Beine von sich, als wisse er im voraus, was folgen solle. Der Kammerdiener kniete neben ihm nieder und schob die Haare an einer Stelle unter den Vorderbeinen zurück. Nur ein sehr scharfes Auge und eine sehr sorgfältige Nachforschung hätten das geschickte Versteck auszufinden vermocht, das sich hier zeigte. Auf einem Stück der Bauchhaut des Windspiels waren die Haare abgeschoren und ein entsprechendes Stück Haut mit Haaren von gleicher Farbe so geschickt gleich einem Toupé darauf geklebt, daß es eine kleine Tasche bildete, ohne daß es sich im mindesten von dem wirklichen Fell des Hundes unterscheiden ließ. Aus dieser Tasche holte Thelin ein kleines, flach gefaltetes Papier, das er seinem Gebieter überreichte. Es enthielt nur zwei Zeilen in Chiffreschrift, die der Bewohner des Zimmers, der vor seinem Diener in dieser Beziehung kein Geheimnis zu haben schien, laut vorlas.

Die Worte lauteten:

»Die Antwort ist abgegangen. Die Herzogin Ursach' der Weigerung. Sie erhalten heute Briefe. Achtung auf Alles.«

Finsterer Groll zog über das Gesicht des Lesenden.

»Vergeblich gedemütigt vor diesen Orleans! Bei Gott, sie sollen es büßen, wenn meine Zeit gekommen,« murmelte er. »Aber was heißt die Andeutung mit den Briefen? Ist General Montholon oder der Doktor schon auf?«

»Nein, Hoheit, Sie wissen, daß der General etwas leidend ist!«

»Was thut das? ich muß ihn in einer Stunde sprechen.«

»Erlauben Sie, daß ich Fidèle seine Belohnung gebe. Sie sehen, Hoheit, das arme Tier vermag sich kaum noch auf den Füßen zu halten. Bis Royon sind es fünf Lieues, die das Tier hin und her seit gestern zurückgelegt hat.«

Der Bewohner des Zimmers nickte gleichgültig; er schaute in Gedanken vertieft auf das Blatt und hatte in seinem Egoismus längst das treue Tier vergessen, das, so trefflich abgerichtet, in zwei Nächten der Woche regelmäßig den Weg nach Royon und zurück machte und so eine Verbindung des Gefangenen mit seinen Freunden ermöglichte, während die wenigen unter der Besatzung, die etwa auf den Hund achteten, ihn auf der Jagd nach Kaninchen streifend glaubten.

Der Kammerdiener setzte dem Hunde eine Schüssel mit Milch und Brot vor, das dieser rasch verschlang. Dann kroch er auf sein Kissen in einem Winkel des Gemachs, richtete die Augen auf seinen Herrn und war bald darauf eingeschlafen.

Der Gefangene, den sein Kammerdiener mit dem Titel Hoheit angeredet, hatte unterdes seine Toilette beendigt, und ließ sich sein Frühstück bringen.


Carl Ludwig Bonaparte – so hieß der Gefangene – war der dritte Sohn der Stieftochter des Kaisers Napoleon, Hortense Eugenie von Beauharnais, seit dem 2. Januar 1800 mit Ludwig Bonaparte, dem spätern König von Holland, dem Bruder des Kaisers, vermählt. Er wurde am 20. April 1808 zu Paris geboren, wo seine Mutter damals getrennt von ihrem Gatten lebte. Der Kardinal Fesch taufte den jungen Prinzen, dessen Geburt von dem Kaiser, der damals noch keinen Leibeserben hatte, mit besonderer Freude begrüßt wurde, indem er auf die Söhne seines Bruders seine Dynastie zu vererben dachte.

Der zweite Sohn Hortenses, geboren am 5. Mai 1807, starb bereits am 14. November 1810, der älteste, Prinz Napoleon Ludwig, verschwand im Jahre 1831 auf geheimnisvolle Weise.

Bei dem Sturz seines Onkels, erst sieben Jahre alt, ging Prinz Louis Bonaparte nach der Rückkehr der Bourbonen mit seiner Mutter in die Verbannung, zuerst nach Augsburg, später nach der Schweiz, studierte unter General Dufour auf der Thuner Militärschule Artilleriewissenschaft und versuchte nach der Juli-Revolution von Florenz aus die Erlaubnis zur Rückkehr nach Frankreich zu erhalten, die ihm jedoch verweigert wurde.

Prinz Louis Bonaparte trat hierauf im November 1830 mit seinem älteren Bruder zu Rom in den berüchtigten Bund der Carbonari, ward ein eifriges Mitglied desselben und versuchte bei einer Straßen-Emeute, unter Vortragung der roten Fahne, die Bevölkerung zur Erhebung für die Republik zu bewegen. Trotz des Schutzes des Kardinals mußte die ganze Familie nach Ancona flüchten, da die päpstlichen Karabiners bereits die Ordre zu ihrer Verhaftung hatten. Die beiden Prinzen stellten sich jetzt (1831) offen an die Spitze der republikanischen Empörung, die eine provisorische Regierung zu Bologna einrichtete. Die haltlose Revolution brach bald zusammen vor den österreichischen Bajonetten; die Großmut des Korps-Kommandanten, Feldmarschall-Leutnants Meinard Baron Geppert, der in Ancona im Palazzo der Königin Hortense selbst sein Quartier nahm, bekümmerte sich weder um diese, noch um ihren von einer Krankheit genesenden Sohn, der nach dem Tod seines älteren Bruders jetzt Prinz Louis Napoleon Bonaparte hieß, und ließ beide ungehindert von dannen ziehen. Sie flohen über Frankreich, wo Ludwig Philipp die Exkönigin besuchte und ihr seinen Schutz zusicherte, nach England, von wo sie jedoch bald nach der Schweiz zurückkehrten und auf dem Schloß Arenenburg in Thurgau ihren Wohnsitz nahmen.

Hier schrieb Louis Napoleon mehrere politische und militärische Broschüren und machte die Bekanntschaft des Obersten Parquin, eines durch großes Vermögen unabhängigen alten Soldaten des Kaisers, der sich seit dem Jahre 1826 auf dem Wolfsberg niedergelassen hatte.

Oberst Parquin war ein enthusiastischer Anhänger des Namens Napoleon; das war nicht zu verwundern, er wurde auf folgende Weise mit dem Kreuz dekoriert.

Eines Tages, als der Kaiser Revue über ein Armee-Korps abgehalten, sah er nach der Inspektion einen jungen Offizier aus den Reihen galoppieren, vom Pferde steigen und sich in seinen Weg stellen. Der Kaiser ritt auf ihn zu. Die Haltung des Offiziers, sowie seine mannhaften Züge, die durch eine tiefe Narbe über Lippe und Wange noch mehr hervorgehoben wurden, fielen ihm auf; dennoch fragte er ihn barsch: »Wer bist Du? was willst Du?« »Ich bin neunundzwanzig Jahr alt,« antwortete der Offizier, fest den durchbohrenden Blick aushaltend, »ich zähle elf Dienstjahre, ich habe fünf Feldzüge mitgemacht, ich habe fünf Wunden, ich habe einem Marschall das Leben gerettet und dem Feinde drei Fahnen abgenommen. Ich bitte um das Kreuz, Sire!« »Nehmen Sie das meine, Kapitän! Ich hoffe, Sie beim nächsten Feldzug an der Spitze eines Regiments zu sehen!«

Das war Oberst Parquin, der den Prinzen nach Straßburg begleitete, als dieser zum erstenmale versuchte, Kaiser zu spielen!

Der Prinz hatte im Juni 1836 Arenenburg verlassen und sich nach Baden-Baden begeben, wo er sich mit mehreren französischen Offizieren aus den der Grenze zunächst gelegenen Garnisonen in Verbindung setzte, und Oberst Vaudrey, gleichfalls einen alten Bonapartisten, der die in Straßburg garnisonierende Artillerie kommandierte, für sich gewann. Im August begab er sich heimlich nach dieser Stadt und hatte dort eine Zusammenkunft mit fünfzehn Offizieren, die ihm ihre Unterstützung und Mitwirkung versprachen. Am 28. Oktober traf der Prinz wieder in Straßburg ein und hielt am Abend des 29. eine Versammlung seiner Mitverschworenen. Am 30. Oktober, früh um fünf Uhr, versammelte Oberst Vaudrey das vierte Artillerie-Regiment im Hofe der Kaserne Austerlitz und stellte den Soldaten Louis Napoleon mit den Worten vor: »Soldaten, eine große Revolution beginnt in diesem Augenblick. Der Neffe des Kaisers steht vor Euch. Er kommt, um sich an Eure Spitze zu stellen und dem Vaterlande seinen Ruhm und seine Freiheit wiederzugeben. Jetzt gilt es, für eine große Sache, die Sache des Volkes, zu siegen oder zu sterben! Soldaten des vierten Artillerie-Regiments, kann der Neffe des Kaisers auf Euch rechnen?« – Der Prinz verteilte zugleich eine Proklamation, welche die Juli-Regierung für ungesetzlich erklärte und einen National-Kongreß verlangte. Er sagte ihnen, daß er durch eine Deputation der Städte und Garnisonen des Ostens nach Frankreich berufen worden sei, Frankreich die Freiheit zurückzubringen! In der That ließ sich das Regiment hinreißen und erklärte sich unter dem Ruf: »Es lebe der Kaiser! es lebe die Freiheit!« für ihn. Während Leutnant Laity die Pontonniere bearbeitete, versuchte der Prinz den Festungs-Kommandanten, General Voirol, für sich zu gewinnen, und begab sich, als dies nicht gelang, nach der Finkmatt-Kaserne, um sich des sechsundvierzigsten Infanterie-Regiments zu versichern. Aber die Geistesgegenwart des Oberst-Leutnants Taillandier machte hier sofort dem Versuch ein Ende. Das Regiment blieb treu, der Prinz mit seinen Anhängern wurde verhaftet und nach Paris gebracht. Die Milde oder vielmehr die Schwäche der Juli-Regierung wagte nicht, ihn zu bestrafen, und begnügte sich damit, ihn nach Lorient und von dort durch die Fregatte Andromeda nach New-York bringen zu lassen.

Mit dieser Entfernung von Frankreich war aber dem jungen Revolutionär wenig gedient, und schon im September 1837 war er wieder auf Schloß Arenenburg, wo am 3. Oktober die Herzogin von St. Leu, die Königin Hortense in seinen Armen starb. Seine Gefährten bei dem Straßburger Putsch waren gleichfalls frei ausgegangen, nur Leutnant Laity wurde später wegen einer Broschüre über das Straßburger Attentat vom Pairshof zu einer Geldbuße von zehntausend Franken und fünf Jahren Festung verurteilt.

Die Umtriebe, welche der Prinz von der Schweiz aus in Frankreich anzettelte, veranlaßten Ludwig Philipp, im Einverständnis mit dem österreichischen Kabinett, durch seinen Gesandten, den Herzog von Montebello, von der Schweiz energisch die Ausweisung Louis Bonapartes zu verlangen. Schon im April 1832 hatte der Prinz das Bürgerrecht des Kantons Thurgau empfangen, und die Radikalen der Schweiz schlugen daher gewaltigen Lärm gegen die verlangte Ausweisung. Aber Louis Napoleon begriff, daß er sich doch nicht werde halten können, da die Forderung durch die Ansammlung einer Truppenmacht an der Schweizer Grenze unterstützt wurde, und zog es vor, abermals in England ein Asyl zu suchen. Hier blieb er, im geheimen Verkehr mit den Führern der politischen Flüchtlinge aus Italien, Polen, Rußland und Frankreich und den englischen Radikalen, bis zum Jahre 1840. Aber die Rastlosigkeit seines Charakters und der Ehrgeiz, der ihn beseelte, ließen ihn nicht ruhen und bewogen ihn, wie ungünstig auch trotz der Demoralisation Frankreichs unter der sogenannten Bürger-Regierung die Verhältnisse waren, zu einem neuen Versuch, sich der französischen Krone zu bemächtigen, der noch kläglicher endete, als der erste.

Der Prinz mietete in London ein englisches Dampfschiff, the city of Edinburgh, und schiffte sich auf diesem mit dem Grafen Montholon, Oberst Voison und dreiundfünfzig anderen Personen nebst einem zahmen Adler ein, den er als Theatercoup über seinem Haupte steigen lassen wollte.

Der Prinz landete am 6. August in der Nähe von Boulogne, nachdem er durch seine Agenten in Frankreich, Lombard, Mesonau und Parpuin, verschiedene Versuche gemacht, Anhänger in den Garnisonen und unter verschiedenen hochgestellten Personen sich zu sichern.

Drei dieser Agenten, Aladenize, Bataille und Forestier, erwarteten ihn am Ufer. Gegen fünf Uhr morgens marschierte die Schar in die Stadt und durchzog die Straßen mit dem Ruf: »Es lebe der Kaiser!« Aber schon der Versuch, einen Posten, aus vier Mann und einem Sergeanten bestehend, an sich zu ziehen, mißglückte. Der Prinz begab sich in die Kaserne des zweiundvierzigsten Regiments und versuchte die Soldaten und Offiziere zum Übertritt zu bewegen. Als der Kapitän Col-Puygellier sich weigerte, auf die Versprechungen zu hören, schoß er eine Pistole auf ihn ab, wodurch ein hinter diesem stehender Soldat verwundet wurde.

Während die Schar nach dem mißglückten Versuch nach der oberen Stadt zog, begegnete man bereits dem Unter-Präfekten, der sich ihr entgegen warf und dafür mit Schlägen mißhandelt wurde. Lombard pflanzte die Fahne auf einer Säule auf, aber mit Ausnahme eines einzigen Leutnants trat niemand über, die Nationalgarde versammelte sich rasch und nahm, nachdem einige Schüsse gewechselt worden, Louis Napoleon und sein Gefolge gefangen, ehe sie sich wieder einschiffen konnten.

Die Nachsicht der herrschenden Regierung hatte jetzt ein Ende, der Prinz wurde unter der Anklage des Hochverrats vor die Pairskammer gestellt und zu lebenslänglicher, Graf Montholon und drei andere zu zwanzigjähriger Einsperrung, die übrigen zu Freiheitsstrafen von verschiedener Dauer, der übergetretene Leutnant aber zur Deportation verurteilt.

Am 8. Oktober schlossen sich die Thore der Festung Ham hinter Louis Napoleon in demselben Augenblick, wo die Fregatte Belle-Poule vor der Insel St. Helena ihre Anker auswarf, um die Asche Napoleons I. abzuholen.

Außer dem General Montholon teilten sein Arzt, Dr. Conneau und der Kammerdiener Thelin seine Haft.

Das war der Mann, den wir auf seinem einsamen Lager träumend gefunden; das war der Gefangene von Ham, der noch wenige Tage vorher an einen Freund geschrieben: »Ich werde von hier aus nur noch auf den Kirchhof oder in die Tuilerien kommen!«


Thelin brachte dem Prinzen die Journale, darunter den Progrès du Pas-de-Calais, das demokratische Blatt, an dem der Prinz in den letzten Jahren seiner Gefangenschaft ganz offenkundig mitarbeitete, und das unter anderem das bekannte »Demokratische Glaubensbekenntnis des Prinzen Ludwig Napoleon Bonaparte« brachte. Aber heute hatte der Gefangene wenig Aufmerksamkeit für die Debatten der Journale, die bereits mit einer Zügellosigkeit auftraten, welche die Regierung Ludwig Philipps mit jedem Tage mehr untergrub. Er hatte sie kaum flüchtig überflogen, als der General Montholon erschien.

Der General, der berühmte Freund des Kaisers auf St. Helena, zählte damals bereits vierundsechzig Jahre. Seit seiner Jugend war Charles Tristan de Montholon, Graf von Lee, einer der eifrigsten Anhänger der Napoleoniden gewesen und hatte am 18. Brumaire aus der Hand des ersten Konsuls den Ehrensäbel erhalten. Die Feldzüge in Italien, Österreich und Polen hatten seinen Leib mit Narben bedeckt. Er war es, der 1811 von Würzburg aus jene merkwürdige Denkschrift an den Kaiser über die Lage der deutschen Höfe und deren feindselige Gesinnung gegen Frankreich richtete, die den Kaiser hätte warnen können, wenn der korsische Übermut nicht die ganze Welt außer Frankreich gering geschätzt hätte. Als bei der Abdankung von Fontainebleau so viele der Paladine der neuen Tafelrunde auf das Schmählichste von ihrem alten Herrn abfielen, und, um den eigenen Raub zu sichern, ihn im Unglück verließen, war es General Montholon, der von seinem Kommando im Departement Loire herbeieilte, um dem Besiegten seine Dienste anzubieten. Dessen erinnerte sich der Kaiser in den »hundert Tagen« und ernannte ihn zu seinem General-Adjutanten. Nach dem endgültigen Sturz des Korsen war es wieder General Montholon, der ihm mit seiner Familie nach St. Helena folgte. Seine Ergebenheit und Treue für den Gefangenen blieben dieselbe bis zu dessen letztem Atemzug.

Von dem Kaiser zu einem der Testamentsvollstrecker ernannt und zum Bewahrer eines Teils seiner Manuskripte bestellt, scheute General Montholon weder Mühe noch Opfer, um die übernommene Pflicht zu erfüllen, wie die von ihm herausgegebenen Schriften beweisen.

Daß ein solcher Mann auch ein treuer und fanatischer Anhänger der Familie des Kaisers sein mußte, läßt sich denken. Nach dem Tode des Herzogs von Reichstadt richtete er sein Auge auf den Prinzen Louis Napoleon, als den nächsten Erben der politischen Hinterlassenschaft des Kaisers, und er war es hauptsächlich, der in dessen Innerm die Hoffnung auf den französischen Thron nährte.

Der Prinz eilte dem General entgegen. »Wissen Sie schon, daß mein Gesuch an den König eine abschlägige Antwort erfahren wird?«

»Ich habe nie daran gezweifelt; was konnten Sie von einem Orleans erwarten? Sie wissen, daß ich mich stets gegen einen solchen Schritt erklärt habe.«

»Aber mein armer Vater! Seine Todesgefahr war eine so gute Gelegenheit, mir die Freiheit zu geben,« meinte der Gefangene naiv.

»Hoffen Sie auf das Volk, die Nation, Hoheit, nicht auf die Diplomaten,« sagte der alte General mit Feuer. »Die Unzufriedenheit mit dieser Bastard-Regierung wächst mit jedem Tage. Dieser Mann war blind, als er es wagte, die Manen des Kaisers in dem Herzen des Volkes und der Armee zu wecken, indem er seine Asche nach dem Invalidendom führte!«

Der Prinz lächelte bitter. »Auf das Volk? ich habe es kennen gelernt! Ich verachte die Kanaille gründlich aus tiefstem Herzen. Der vergoldete Sarkophag im Invalidendom macht diese leichtsinnige Menge vergessen, daß ein lebender Bonaparte in dem Sarg dieser Wände verschmachtet!«

»Auch Ihre Zeit wird kommen, Hoheit! Die Schule, die Sie jetzt durchmachen, wird Ihrer Zukunft einst Früchte tragen, Sie lernen die schwere Kunst, zu warten!«

»Warten! warten! und unterdes rollt die Welt, und eine andere Dynastie befestigt sich auf diesem Throne, der mir gehört!«

»Ich dächte, Sie hätten sich nicht zu beklagen. Während Sie diese Mauern umschlossen, hat das Schicksal Ihren gefährlichsten Gegner aus dem Wege geräumt. Der Herzog von Orleans allein war Ihnen gefährlich, denn die Armee liebte ihn, weil er kühn und tapfer war!«

Der Prinz schwieg einen Augenblick. »Ich kann es nicht länger aushalten hier,« sagte er dann, »ich verzehre mich selbst! Ich werde keine Zeit mehr haben, mit ihnen allen fertig zu werden, einem nach dem andern, und Sie wissen doch, Graf, daß ich ein guter Erbe bin, der jedes Legat gewissenhaft zahlen will!«

Der General nickte mit dem grauen Kopf. »Rußland, Österreich, Preußen, und dann England! Sie sind ein gelehriger Schüler, Sire. Aber wenn Ihr Blut zu ungeduldig wird, warum haben Sie den wiederholten Vorschlag der Soldaten der Garnison nicht längst angenommen, Ihnen zur Flucht behilflich zu sein?«

Der Prinz biß sich auf die Lippen. Er wollte nicht gestehen, daß er mehrmals die größte Lust dazu gehabt, daß ihm aber der Erfolg stets zu zweifelhaft erschienen war. Selbst dem bewährten Freunde der Familie gegenüber konnte er es nicht unterlassen, zu heucheln. »Sie kennen mein Herz, Graf; ich wünsche, nicht noch mehr Freunde ins Verderben zu stürzen; es ist genug, daß ich Sie hier sehe!«

Der General zuckte ungeduldig die Achseln. »Wenn Sie nicht den Mut haben, durch Ströme von Blut zu waten, so werden Sie nie Ihr Ziel erreichen. Für den, der einen Thron erobern will, dürfen die Menschen bloß Werkzeuge sein. Aber ich kenne Sie besser. Wenn Sie erst die Macht haben, werden Sie die Menschen benutzen, noch weniger empfindsam, als der Kaiser, Ihr Oheim!«

Das Auge des Prinzen funkelte, als er so offen sich in seinen geheimsten Gedanken angegriffen sah. »Sie vergessen einen andern wichtigen Punkt!«

»Welchen?«

»Den Umstand, daß stets, wenn wir glaubten, der Soldaten sicher zu sein, ein unerwartetes Hindernis dazwischen trat, ein Wechsel der Wachen, eine strengere Aufsicht, selbst ein plötzlicher Wechsel der Garnison.«

»Es ist wahr! sie ist bereits fünfmal geändert worden, seit wir hier sind.«

»Es will mich zuweilen bedünken,« fuhr der Prinz ungeduldig fort, »als hätten wir hier außer unseren offiziellen, einen geheimen Aufseher, der nicht will, daß ich ohne seine Erlaubnis diesen schändlichen Ort verlasse, während er auf der andern Seite vermeidet, mir Ungelegenheiten zu verursachen. Selbst die Korrespondenz durch Fidèle scheint ihm nicht unbekannt zu sein, denn zweimal sind Briefe, die er überbringen mußte, auf unerklärliche Weise verschwunden, ohne daß mir irgend eine Spur gezeigt, wo sie geblieben. Wären sie in den Händen der Regierung, so hätte sie sicher davon Gebrauch gemacht.«

Der General schwieg nachdenkend; der seltsame Umstand, auf den der Prinz aufmerksam gemacht, war ihm zur Genüge bekannt, aber eben so wenig erklärlich.

In diesem Augenblick wurde die Unterhaltung durch ein dreimaliges Kratzen an der Thür unterbrochen.

»Komm herein, Thelin, was giebt es?«

»Hoheit,« sagte der eintretende Kammerdiener, »ich sehe den Boten des Gouverneurs über den Hof kommen mit dem Briefpaket. Ein Fremder ist bei ihm.«

»Endlich! Vielleicht die Bestätigung der Nachricht! Nehmen Sie die Briefe in Empfang, General, ich mag dieses widerwärtige Gesicht nicht sehen; es ist immer, als wolle der Mensch mich vergiften mit seinen Augen.«

Der Prinz und der Graf befanden sich in dem vor dem Schlafzimmer liegenden Gemach, das dem ersteren zum Salon, zur Bibliothek und zum Arbeitskabinett diente. Die beiden Fenster desselben, welche die Aussicht auf den Schloßturm am Eingang und auf die Ulme im inneren Hofe gewährten, waren sorgfältig mit festen Eisenstangen vergittert. Auf beiden Seiten des Kamins stand in grau angestrichenen Ständern von Tannenholz die kleine Bibliothek des künftigen Despoten von Frankreich.

Der Bewohner dieser ärmlichen Zimmer, zu denen noch die gleiche Wohnung des Doktor Conneau und zwei andere ähnliche Zimmer auf der anderen Seite eines schmalen Ganges kamen, in deren einem sich der Prinz mit chemischen Versuchen beschäftigte, wollte eben den Salon verlassen, und sich in sein Schlafzimmer zurückziehen, als der Kammerdiener nochmals eintrat und meldete:

»Kapitän Bernard bittet um die Erlaubnis, Eurer Hoheit Briefe überreichen und Ihnen einen Fremden vorstellen zu dürfen.«

Zu gleicher Zeit überreichte Thelin die Karte desselben. Der Prinz hatte kaum Zeit, den Namen der Karte zu lesen, »Henry Viscount von Heresford,« und sie dem General hinüberzureichen, als die Thür, noch ehe er die Annahme des Besuches ausgesprochen, ziemlich brüsk geöffnet wurde, und der Offizier, gefolgt von dem Fremden, auf der Schwelle erschien.

Der Kapitän Bernard, der Offizier vom Platz, war eine große, ziemlich ungeschlachte Gestalt mit rohen, an das Feldlager erinnernden Manieren. Sein Gesicht glich auffallend dem eines Bullenbeißers mit zottigen wirren Haaren und wurde noch mehr durch eine tiefe Narbe entstellt, die quer über den Mund schnitt und einen Teil seiner Lippen gleich einer Hasenscharte weggenommen hatte. Das einzige, was in diesem Gesicht nicht geradezu widerwärtig, schienen die großen blauen Augen, deren Ausdruck der einer großen Ruhe und Entschlossenheit war. Der Kapitän hatte sich in Afrika unter Bugeaud bei vielen Gelegenheiten ausgezeichnet und war infolge einer Schußwunde, die sein linkes Bein lähmte, zum Festungsdienst versetzt worden. Die Art und Weise, wie er seit den drei Jahren seiner Anwesenheit in Ham den Prinzen behandelte, der durch seine Stellung gezwungen war, sich in allen Angelegenheiten an ihn zu wenden, hatte einen tiefen Haß in diesem gegen ihn hervorgerufen.

»Citoyen Bonaparte,« sagte eintretend der Kapitän, »ich bedaure, Sie mit meiner Gegenwart schon so zeitig behelligen zu müssen, aber ich habe den Auftrag des Gouverneurs, Ihnen diese für Sie eingegangenen Briefe zu überbringen und Ihnen diesen Engländer vorzustellen, der Ihnen seinen Besuch zu machen wünscht.«

Er legte mehrere Briefe vor dem Prinzen nieder, die alle, bis auf einen mit einem großen amtlichen Siegel verschlossenen, geöffnet waren. Der Gefangene war seinem Besuch höflich entgegengetreten und lud ihn mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen, während der Kapitän nach einer kurzen und kalten Begrüßung des Generals sich mit dem Rücken gegen das Fenster lehnte und in dieser Stellung gemäß seiner Dienstinstruktion Zeuge der Unterhaltung blieb.

»Mylord,« sagte der Prinz, »empfangen Sie zunächst meinen Dank für die Ehre, daß Sie auf Ihrem Wege durch Frankreich einem Ihnen unbekannten Gefangenen einen Besuch widmen, und genehmigen Sie meine Entschuldigung, daß ich Sie nicht in Ihrer eigenen Sprache begrüße, aber dieser Herr hier« – er wies auf den Kapitän – »versteht, so viel ich weiß, kein Englisch, und er ist der Aufseher selbst meiner Worte!«

» Yes, yes! genieren Sie sich nicht! ich bin nur gekommen, Sie zu sehen, weil ich gehört sprechen soviel von Ihnen und Sie nie gesehen in London. Ich liebe sehr die Merkwürdigkeiten; Monsieur Guizot ist so gütig gewesen, mir anzuvertrauen diesen Brief, als ich war in Paris, um den Königsmörder Lecomte zu sehen.«

»So verdanke ich Ihnen, Mylord, die Überbringung dieser Depesche.«

» Yes! Lesen Sie; genieren Sie sich nicht; ich werde Sie unterdes sehen!«

Der Engländer legte sich mit der Unverschämtheit eines echten Excentric in seinen Stuhl zurück, hielt das Lorgnon vor das Auge und begann, den Prinzen von oben bis unten gleich einer Sehenswürdigkeit zu mustern. Obschon er als vornehmer Herr das Französische fließend sprach, redete er es doch mit der scharfen englischen Betonung und jener eigentümlichen Wortstellung, die auf der Stelle den echten Sohn des Inselreiches erkennen ließ. Indem der Prinz, ohnehin bisher nur von den Formen der Höflichkeit davon zurückgehalten, jetzt begierig nach der königlichen Antwort griff, warf er selbst einen Blick auf den Besuch, den er dem Ruf nach längst kannte, den er aber während seines Aufenthaltes in England nie persönlich gesehen, da der Marquis damals Nordafrika bereiste, um mit Gerard Löwen zu schießen, und plötzlich sich entschlossen hatte, mit seiner Yacht eine Reise um die Welt zu machen.

Der berühmte Londoner Excentric schien ein Mann von einigen dreißig Jahren, von schlanker, ziemlich großer Gestalt. Er trug kurze rötliche Haare, die den Irländer verrieten, und nach englischer Sitte einen starken, hochblonden Backenbart mit sorgfältig rasiertem Kinn. Seine Gesichtsfarbe war etwas dunkel, die Züge waren fein, gewissermaßen etwas weibisch und nach der Nase spitz zugekniffen, die Stirn niedrig, das von langen Wimpern verschleierte Auge matt und hinter einer Brille noch mehr versteckt.

Dennoch lag etwas in dem Gesicht und der Erscheinung des vornehmen, durch seinen Reichtum und seine Sonderbarkeiten bekannten Besuchers, was dem Prinzen besonders auffallen mußte, denn er wiederholte zweimal mit einem Zug leichten Nachdenkens den Blick auf dies Gesicht, ehe er den Brief nahm und öffnete.

Eine dunkle Röte überzog das grau-bleiche Gesicht des Prinzen bei dem Lesen der wenigen Zeilen. Es war eine kurze und kalte Weigerung des Ministers auf einen nochmaligen Brief, den der Prinz an Louis Philipp geschrieben und worin er ihn gebeten hatte, ihn seiner Haft in Ham zu entlassen, um sich auf den Wunsch seines schwer kranken Vaters zu diesem nach Florenz begeben zu können, indem er versprach, sich jeden weiteren Versuchs gegen die Juli-Regierung zu enthalten. Der Brief war durch den Sohn des Marschalls Ney dem Könige selbst übergeben worden.

Obschon der Prinz bereits durch geheime Korrespondenzen von dem abschläglichen Inhalt unterrichtet war, vermochte er doch nicht, seine Bewegung vor dem Fremden, der ihn rücksichtslos anstarrte, zu unterdrücken. Er reichte das Schreiben General Montholon und sagte: »Es ist, wie wir gedacht; man verweigert mir auf das Härteste eine Gunst, die ich verlangt. Entschuldigen Sie, Mylord, aber ein armer Gefangener ist nicht immer Herr seiner Gefühle!«

»O, ich weiß, ich weiß! Es ist nicht angenehm, gefangen bleiben zu müssen, wenn man sein will gern frei.«

»So kennen Sie den Inhalt des Briefes!«

» Yes! Ganz Paris kennt ihn bereits. Sie haben sich wieder einmal blamiert, Sir, mit Ihrem Schreiben, und Ihre Freunde sind sehr bös!«

Der Prinz fuhr auf bei dieser Impertinenz, und wiederum rötete sich seine Stirn; aber die ruhige Insolenz, mit welcher der Brite ihn ansah, bewog ihn, sich wieder niederzusetzen.

»Ihre Ausdrücke sind etwas hart, Mylord,« sagte er nach einer Pause, »indes ich habe zu bedenken, daß Ihnen die Gefühle eines französischen Herzens fremd sind.«

»Bah! ich sage, was ich denke. Sie wissen sehr gut, Sir, daß ich habe Recht. Entweder Ihr Brief an Louis Philipp sein eine Lüge, oder Sie haben gehandelt thöricht. Dieser König ist ein Narr; Monsieur Guizot lacht Sie aus, er sagt, das bonapartistische Blut werde Zeit haben, hier seine ehrgeizigen Pläne vergessen zu lernen.«

»Wie, Mylord, man denkt doch wohl nicht im Ernst daran, mich hier mein ganzes Leben eingesperrt zu halten?«

»Warum nicht, Sir? Madame La Duchesse d'Orleans wissen sehr wohl, daß ihre Aussicht auf den Thron von Frankreich nicht gefährdet wird durch den Grafen von Chambord, sondern durch den Namen Bonaparte!«

»Ha, dieses Weib! Preußen hat sich beeilt, ihr legitimes Blut an den Thron von Frankreich zu verkaufen, um diesen für die Orleans festzukitten. Bei meiner Seele! die Bourbonen haben alle Ursache, diesen Liebesdienst nicht zu vergessen, und ich werde es gleichfalls nicht thun. Ich will sie zur Bettlerin machen, zum ewigen Juden der modernen Völker, gleich den Bourbonen, wenn ich erst frei sein werde!«

»Vorläufig, Monseigneur, sind Sie es nicht, und es ist dazu wenig Aussicht!«

Der Prinz bedeckte das Gesicht mit den Händen.

»Kommen Euer Herrlichkeit hierher, um einen Besiegten und Gefangenen zu verspotten?« sagte General Montholon mit strenger Miene.

»Nein, Sir!« Der Engländer richtete sein kaltes, ruhiges Auge auf den alten Krieger und spielte gleichgültig mit seinem Lorgnon. »Ich komme hierher, um Monseigneur zu machen eine Einladung!«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Sie waren bei dem Turnier, das Lord Eglinton gegeben in Schottland. Wohlan, Monseigneur, wir haben heute den 25. Mai; ich beabsichtige, zu geben auch ein Turnier, das vereinigen soll alle Abenteurer von ganz Europa, und ich bin gekommen, Sie einzuladen dazu!«

»Mylord, das heißt, die Verhöhnung, deren Sie bereits General Montholon beschuldigt, nur vermehren. Ich bin Gefangener!«

»O, man hat Beispiele der Flucht! Wenn es Ihnen ist recht, wollen wir davon sprechen.«

»Mein Herr –«

»Ich habe Ihnen zu sagen einiges darüber, Sir, aber wir sind nicht allein hier.«

»Mylord, was Sie mir auch mitzuteilen haben, Kapitän Bernard kann es ebenso gut hören, wie mein Freund General Montholon. Ich habe keine Geheimnisse vor ihnen.«

»O doch! einige kleine! Was diesen Herrn betrifft,« fuhr der Brite gleichgültig fort, indem er auf den Kapitän wies, »so kümmere ich mich nicht darum. Aber ich habe Ihnen zu sagen viel, was der Herr General nicht wird hören gern. Sie haben da, wie ich sehe, ein anderes Zimmer. Lassen Sie uns gehen da hinein, indes diese Herren bewachen unsre Thür!«

»Mylord, ich begreife Sie nicht, und bei all meiner Nachsicht für Ihre Excentricitäten müssen Sie doch eine Grenze haben. Der Herr Kapitän Bernard gestattet mir nicht, Besuche unter vier Augen zu empfangen, und ich muß daher auf die Ehre verzichten …:«

»Ah bah! wenn Sie beunruhigt nur das! …:« Der Lord wandte sich zu dem beaufsichtigenden Offizier und machte ein schnelles Zeichen von der Stirn zur Brust mit seiner linken Hand.

Der Kapitän verbeugte sich, indem ein Lächeln sein häßliches Gesicht überflog, und wies mit der Hand nach der Thür des Schlafzimmers.

»Jetzt, Monseigneur,« sagte der Brite fest, indem er sich erhob, »lassen Sie uns gehen, denn wir haben schon verloren der Zeit zuviel. Lassen Sie Ihren Diener oder Doktor Conneau stehen auf Wache in dem Gang, und Sie, meine Herren, bewachen den Salon und den Hof und bürgen für jede Überraschung.«

Der Prinz sah erstaunt bald seinen bisherigen Wächter, bald den Engländer an; aber begreifend, daß es sich hier um ein Geheimnis handle, und gewöhnt an alle möglichen Intriguen, gab er General Montholon einen Wink und öffnete dem Lord die Thür seines Schlafgemachs, indem er ihn einlud, einzutreten.

Als beide sich hier allein befanden und einander gegenüber saßen, eröffnete der englische Pair sofort das Gespräch.

»Monseigneur,« sagte er, »Sie werden mich finden vertraut mit Ihren Angelegenheiten besser, als Sie denken. Wir müssen sprechen offen wie Männer, und ich werde Ihnen geben Beweise, daß Sie mir vertrauen können. Sie wünschen sobald als möglich zu verlassen den Kerker von Ham?«

Der Prinz nickte.

»Sie haben dazu weniger Aussicht als je. Die Herzogin von Orleans hat sich energisch gegen jede Befreiung im Familienrat ausgesprochen und die schwache Nachgiebigkeit des Königs besiegt. Die Garnison wird binnen drei Tagen aufs neue gewechselt werden mit einem Regiment, das zu den Afrikanern gehört und den Herzögen unbedingt ergeben ist; die Maßregeln Ihrer Haft sollen verschärft und Ihnen namentlich die journalistischen Arbeiten verboten werden. Hier, dieser Brief von Odilon-Barrot wird das, was ich Ihnen sage, bestätigen.«

Der Lord hatte eine Brieftafel geöffnet und überreichte aus einer Reihe von Briefen, die sich darin befanden, einen dem Prinzen, der ihn rasch überflog.

»Das ist sehr niederschlagend, Mylord, ich gestehe es. Aber Sie werden mir zugeben, daß der gegenwärtige Zustand Frankreichs ein solcher ist, der alle Augenblicke eine Umwälzung in Aussicht stellt.«

»Sie vergessen, Monseigneur, daß Louis Philipp seit sechzehn Jahren verstanden hat, eine der Parteien mit der andern im Schach zu halten, die Konstitutionellen mit den Radikalen, die Legitimisten mit den alten Anhängern des Kaisertums. Die Krisis ist allerdings nahe, aber bedenken Sie wohl, daß man zur Verhütung einer solchen auch gewaltsame Mittel anwendet, wenn es gilt, einen Thron zu erhalten. Man hat gegen die Sozialisten die Bajonette; ein zufälliger Tod in den Mauern von Ham kann die Familie Orleans sehr rasch von einem anderen gefährlichen Gegner befreien.«

»Wie, Mylord, Sie glauben, mein Leben wäre in Gefahr?«

»Die Beispiele in der Geschichte fehlen nicht. Ihr Oheim ließ Engheim erschießen, bloß weil er ihn für den Gefährlichsten hielt. In der Politik giebt es keine Verbrechen, sondern nur Notwendigkeiten und Staatsstreiche.«

»Aber ich habe Freunde außerhalb dieser Mauern, die für meine Zukunft wachen, Personen, die mir nahe stehen!«

Der Lord lachte. »Die dynastische Opposition der Herren Odilon-Barrot und Duvergier d'Hauranne? Sie haben nur Worte. Ihre persönlichen Freunde und Verwandten? Warten Sie.« Er nahm einen zweiten Brief hervor. »Sie werden hier die Antworten finden auf die Vorschläge, die Sie vor acht Tagen mittels Ihres getreuen Fidèle abgesandt haben.«

»Wie, Mylord, Sie wissen …:?«

»Ich wiederhole Ihnen, ich weiß alles. Lesen Sie!«

»Von meinem Bruder, von Morny!« Er las hastig; bitterer Ärger zeigte sich auf seinem Gesicht und er ballte den Brief, noch bevor er ihn ganz gelesen, in der Hand zusammen. »Daß sich meine Mutter mit einem Gecken, wie der schöne Flahault, vergessen konnte, trägt seine Früchte. Graf Morny ist der natürliche Sohn der schönen Königin Hortense und ihres Großstallmeisters, des ebenso galanten als schönen Grafen Joseph Flahault de la Billarderie, und am 23. Oktober 1812 in Paris geboren. Der kinderlose Graf Morny aus Isle de France wurde für 800,000 Franks bewogen, das Kind zu adoptieren. Seine Runkelrüben-Spekulationen gehen ihm über die Zukunft seiner Familie.«

Wiederum zuckte das spöttische Lächeln um den Mund des Engländers. »Der Deputierte von Puy de-Dome,« sagte er, »ist gänzlich ruiniert; eine Revolution ist eine gewagte Sache. Er findet bessern Vorteil in diesem Augenblick, von dem Vater seines intimen Freundes irgend eine Aktienkonzession sich zuweisen zu lassen, oder irgend ein hübsches Amt, das er verkaufen kann. Hier ist ein Brief von Ihrem St. Simonisten.«

»Von Persigny? Er wenigstens ist ein treuer Freund; er hat es in Straßburg und Boulogne bewiesen.«

»Herr von Persigny verkehrt jetzt ziemlich frei in Versailles, und ich muß gestehen, er besitzt noch denselben Eifer für Sie, wie früher, aber ihm fehlt jeder Einfluß auf die Parteien. Sie haben noch einen Versuch bei Magnan gemacht?«

Der Prinz sah ihn mit unverhohlenem Erstaunen an.

»Der General ist ein glücklicher Soldat, der zwar dem Kaiser alles verdankt, aber er wird nur nach einem Erfolge sich Ihnen anschließen, ebenso Castellane. Der würdige Pair hofft bei einem abermaligen Dynastiewechsel auf den wirklichen Marschall, wie er Maréchal de Camp wurde, damit die Herzogin von Berry ihre in Arrest geschickten Tänzer durch einen neuen Obersten des Regiments für den Ball in den Tuilerien zurückerhielt. Die Genannten sind die einflußreichsten von den alten Offizieren; die jüngeren, namentlich die Armee von Algier, sind Orleanisten oder – Republikaner; nur ein großer Erfolg kann sie Ihnen gewinnen, und bis jetzt, Monseigneur, haben Sie nur die Erfolge der Lächerlichkeit für sich.«

»Mylord, was berechtigt Sie zu dieser Sprache?«

»Ich wiederhole es Ihnen, die Teilnahme für Sie und – meine eigenen Pläne. Wenn man Revolutionen machen will, darf man nicht mit Blut sparen. Merken Sie sich die Lehre! Jeder Putsch wird zur Lächerlichkeit und stärkt den Gegner.«

Der Prinz hatte mit fortwährend wachsendem Erstaunen der energischen Redeweise dieses Mannes zugehört, um so mehr, als ihm diese Stimme, die jetzt jeden fremden Accent verloren, immer bekannter vorkam. So sehr er auch sich zu beherrschen und seine Gedanken zu verheimlichen verstand, vermochte er doch dem rätselhaften Besuch gegenüber die Eindrücke nicht zu verbergen. Er erhob sich ärgerlich über diese Niederlage.

»Mein Herr,« sagte er entschlossen, »Sie sind nicht, was Sie scheinen, entweder also …:«

»Nachdem ich sie überzeugt, daß Sie von Ihren bonapartistischen Freunden nichts zu hoffen haben,« sagte lachend der Engländer, »will ich Ihnen einen anderen Freund zeigen, der es vielleicht besser versteht, Ihnen zu helfen.«

Er schob mit einer schnellen Bewegung der Hand die Brille von den Augen und riß die falsche Tour, Brauen und Backenbart, den er trug, ab.

Mit Gedankenschnelle schien sich das Äußere des Mannes verändert zu haben. Lockiges schwarzes Haar umgab eine hohe gebietende Stirn, die von mächtigen Gedanken und Leidenschaften gefurcht war. In dem Schwung dieser dunklen Brauen und der flammenden Glut der großen dunklen Augen, die bisher zum monotonen Starren verschleiert gewesen waren, lag etwas so Mächtiges, daß man fühlte, man müsse sich diesem Willen unterwerfen oder kämpfen mit ihm auf Tod und Leben. Das Gesicht, bisher spitz und spöttisch, hatte eine edle Regelmäßigkeit angenommen, die keiner vergessen konnte, der es einmal gesehen.

Der Gefangene starrte es mit Erstaunen an. »Um des Himmels willen – Signor Mazzini! …:« Giuseppe Mazzini, Leiter der Bewegung für die Einigung Italiens als Republik, geb. 22. Juni 1805 zu Genua, gest. 1872 in Pisa, studierte Rechte und Litteratur und wurde in seiner Vaterstadt Rechtsanwalt. Im Jahre 1830 wurde er des Carbonarismus verhaftet, mußte sechs Monate in der Festung Savona schmachten und dann verbannt sein Vaterland verlassen. Er begab sich nach Marseille, wo die Exilierten ganz Italiens zusammenströmten und gründete dort den Geheimbund des »Jungen Italien«. Im Jahre 1831 richtete Mazzini den berühmten Brief an Karl Albert, König von Sardinien (1831-1849), der mit den verhängnisvollen Worten schloß: »Die Nachwelt wird darüber richten, ob Sie es vorzogen, der erste unter ihren Zeitgenossen oder der letzte von Italiens Tyrannen zu sein.« Der Einfluß des jungen Italiens wuchs mit Riesenschnelle, die Agitation verbreitete sich über die ganze Halbinsel, und die italienischen Regierungen forderten von Louis Philipp die Vertreibung Mazzinis und seiner Anhänger aus Frankreich. Mazzini ging nach Genf, wo er den Plan zu einer Revolution in Piemont entwarf. Der Versuch scheiterte und Mazzini wurde von der Regierung Karl Alberts zum Tode verurteilt. Er antwortete, indem er mit der Umgestaltung des »Jungen Italien« zu einem »Jungen Europa« einen Bund der Völker gegen die Throne ins Leben zu rufen unternahm. Revolutionäre Schriften und Manifeste folgten rasch auf einander, bis die Kabinete von Turin, Wien, Berlin und Paris energisch seine Ausweisung von der Schweiz forderten. Er begab sich nach England, um von hier aus seine Agitation fortzusetzen, während er gleichzeitig sich einen geheimen Zufluchtsort in der Nähe von Genf, zwischen Weinbergen versteckt, bewahrte. Während dieser revolutionären Agitation fand sein Genie Zeit zu glänzenden litterarischen Arbeiten und zur Gründung einer Sonntagsschule für die armen Savoyarden-Knaben, bei der er selbst das Lehramt übernahm. Wir haben bereits oben erwähnt, daß nach dem Unternehmen der Gebrüder Bandiera das Ministerium Wellington-Aberdeen im Jahre 1844 seine Agitation zu beschränken und zu überwachen suchten, aber die ausschweifenden Begriffe der englischen Presse von Freiheit, sobald sie nicht den eigenen Vorteil berührt, sicherten ihm den öffentlichen Schutz und entflammten seine Thätigkeit zu immer kühneren Plänen. So gründete er die »Internationale Liga der Völker«.

»Still! nicht so laut. Wir sind erst beim Prolog, mein Lieber, und haben noch viel zu verhandeln. Es freut mich, daß meine Maske selbst so scharfe Augen, wie die Ihren, getäuscht, und ich wünsche um alle Welt nicht, daß General Montholon erfährt, wer ich bin; denn das möchte meine Absichten stark gefährden.«

Der berühmte Verschwörer schob lächelnd dem noch immer fassungslosen Haupte der Bonapartisten seinen Sessel wieder hin. »Setzen Sie sich, Prinz, und lassen Sie uns weiter plaudern. Was ist da zu verwundern, daß Sie mich einmal in den Mauern von Ham sehen? Sie wissen, ich habe den Zauberring, der mich unsichtbar macht und durch die Schlüssellöcher spazieren läßt, wenn ich will.«

»Aber Kapitän Bernard …:«

»Ist Mitglied der Marianne, so gut wie Sie eigentlich noch den Carbonaris angehören.«

»Das erklärt mir manches!«

»Wohlan, lassen Sie uns jetzt von Geschäften sprechen. Sie wissen, daß Sie diesen tollen Zug nach Boulogne ganz gegen meinen Rat unternahmen, obschon ich Ihnen Forestier dazu lieh. Der Ausgang war vorauszusehen, und ich habe Ihnen denselben vorausgesagt. Wäre Louis Philipp ein Mann gewesen, so hätte er Sie erschießen lassen. Sie können also noch von Glück sagen, daß Sie so davon gekommen sind. Unterdes sind die Verhältnisse ernster geworden, und was ich Ihnen vorhin unter der Maske meines guten Freundes, des Marquis, gesagt, der mich in diesem Augenblick im Kostüm seines Bedienten im Hotel dieser guten Stadt Ham erwartet, das war keine leere Drohung, sondern ist Wahrheit.«

»So glauben Sie wirklich – man könnte …:«

»Die jetzige Regierung muß eilen, wenigstens einen ihrer Feinde für immer abzufertigen. Sie haben gesehen, wohin Sie mit Ihrer Spekulation auf Wiederherstellung des Kaisertums gekommen sind, die ich Ihnen übrigens gar nicht verübeln will. Der Bonapartismus vermag Sie nicht aus diesem Kerker zu retten und Ihnen eine Zukunft zu begründen. Wohlan, ich komme mit einem andern Vorschlag, der beides zu leisten vermag.«

»Sprechen Sie, Signor!«

»Sie vermögen keine Revolution zu machen, aber Sie können einer solchen dienen. Lassen Sie Ihre Träume von dem Kaiserthron fallen, und werfen Sie sich aufrichtig den Republikanern in die Arme. Dann sollen Sie in zwei Stunden frei, und in zwei Jahren Präsident der französischen Republik sein!«

Der Prinz sah vor sich nieder. Jetzt, nachdem er wußte, mit wem er zu thun, kehrte alle Zurückhaltung und Heuchelei seines Charakters zurück, und er folgte wie ein vorsichtiger Spieler Schritt vor Schritt den kühnen Schachzügen des Gegners.

»Signor,« sagte er endlich, »seien wir aufrichtig. Sie brauchen mich!«

»Gewiß! ich fürchte mich nicht, es offen zu gestehen. Im Jahre dreißig, als ich im Kerker von Savona lag und meine Mutter mir in einem Brot den Zettel mit den Worten sandte: » Polonia insurrexit!« war ich es, der riet, Sie an die Spitze der polnischen Revolution zu stellen. Sie zauderten, und als Sie sich endlich entschlossen hatten, traf Sie in Dresden die Nachricht von dem Sturm auf Praga.«

Der Prinz beugte schweigend das Haupt unter diesem Vorwurf.

»Sie wurden ein Mitglied der Carbonari,« fuhr unbarmherzig der Agitator fort, der nie einen Augenblick von seinem großen Ziel, der Befreiung Italiens, abgewichen war, »und Sie versuchten, die Sünde von Warschau in Italien wieder gut zu machen, aber Ihre Feigheit bei Rimini verdarb alles.«

»Das Blut der Bonaparte ist dort geblieben! vergessen Sie das nicht, Signor!«

»Nicht das Ihre, Prinz! Sie wendeten sich von den republikanischen Verbindungen ab, andere Einflüsse begannen Sie zu bestimmen, die Idee der Wiederherstellung des napoleonischen Kaiserthrones in Ihnen alles andere zu beherrschen. Sie wissen selbst, wie weit Sie damit gekommen sind; Sie haben sich lächerlich gemacht, das Schlimmste, was einem Mann des Umsturzes passieren kann. Aber noch übt der Name Napoleon einen bedeutenden Zauber, nicht allein in Frankreich, sondern in der ganzen Welt; in Verbindung mit ihm wäre die republikanische Partei allmächtig, und deshalb, Prinz, komme ich in diesen Kerker, um Ihnen eine solche Verbindung vorzuschlagen. Ihr demokratisches Glaubensbekenntnis Vom 21. Oktober 1843. zeigt mir, wenn es aufrichtig gemeint ist, daß Sie würdig geworden, die Sache der Freiheit zu verfechten, und für die Befriedigung Ihres Ehrgeizes werden wir Sorge tragen.«

Der Neffe des Kaisers hob langsam die Augen auf den kühnen Enthusiasten. »Sie wissen, Signor, ich bin ein Gefangener, die Nachrichten dringen nur zum Teil zu mir. Welche Aussichten hat die Revolution?«

»Ich will Ihnen die Skizze kurz entwerfen. Hier in Frankreich wird die Regierung täglich verhaßter; selbst den Bürgerstand, auf den sie sich bisher mit ihrer Friedenspolitik gestützt, beginnt dies System von erkaufter Volksvertretung, Verkäuflichkeit der Ämter, Bestechung, gemeinen Spekulationen und Immoralität vom Minister bis zum Thürsteher herab anzuekeln. Cabières und Teste stehen am Rande eines Skandalprozesses, der König selbst ist durch die Veröffentlichung der geheimen Briefe dem Haß verfallen, die Armee nur, so weit sie in Afrika beschäftigt ist, zufrieden. Die nächsten Kammerwahlen müssen das System in seiner ganzen Erbärmlichkeit zeigen. Die geheimen Gesellschaften vergrößern sich mit jedem Tage, der » National« predigt die Republik, die Kommunisten erheben offen ihr Haupt, Louis Blanc, Ledru Rollin, Carnot, Mari Caussin und viele andere warten auf das erste Signal; die Legitimisten, Ihre eigene Partei, werden die Revolution begünstigen, in der der Stärkste oder der Klügste Sieger bleibt.«

»Aber das andere Europa? wird man nicht im Fall einer Umwälzung die Bourbons mit den deutschen Bajonetten wieder auf den Thron Frankreichs zu setzen suchen?«

»Wenn Paris das Signal gegeben hat, wird das andere Europa sich, ehe vier Wochen vergangen sind, erheben. In Berlin ist alles vorbereitet, unsere Agenten warten nur auf eine günstige Gelegenheit, die offenbare Liebhaberei des Königs zum Konstitutionalismus für die Revolution auszubeuten. Polen wird dazu wieder das Signal geben, obschon es in Posen und Krakau jetzt unterlegen, und Mieroslawski Gefangener ist. Wien und Dresden werden mit der Revolution nachfolgen; in einem der süddeutschen Staaten ist ein großer Teil der Truppen bereits auf unserer Seite. Die Idee der Wiederherstellung eines einigen Deutschlands wird die trägen Gemüter verlocken. Man wird die deutschen Provinzen jenseits der Eider gegen die dänische Herrschaft revoltieren und so England und Rußland zu thun geben. Für letzteres sorgt Bakunin. Österreich steht am Rande seines Verderbens. In Prag, in Ungarn, in Mailand wird die Revolution zu gleicher Zeit ausbrechen; in Ungarn ist uns ein großes Talent in der Person des Pester Advokaten Kossuth entstanden; in Italien wirken Mamiani, Balbi, d'Azeglio und Gioberti; den tüchtigsten Kopf bewahre ich mir an den Ufern des La Plata.«

»Aber Sardinien – der Papst?«

»König Karl Albert ist ein Spielwerk in unseren Händen. Seine Eitelkeit verblendet ihn, wie sie ihn früher zum Tyrannen machte. Ich durchschaue ihn, mein Brief hat es schon im Jahre Einunddreißig bewiesen. Er glaubt sich zum Schwert Italiens berufen und sehnt sich danach, mit Österreich sich zu messen und die Lombardei in die Tasche zu stecken. Er sowohl wie Papst Pius ahnen nicht, daß sie nur ein Werkzeug in unseren Händen sind.«

»Die Schilderungen, Signor, mögen richtig sein; Sie müssen dies besser wissen, als ich. Aber Sie haben mir noch immer nicht den Preis genannt, den ich zu zahlen habe.«

»Wohl! kommen wir zur Sache. Ich brauche zur Befreiung Italiens die Umwälzung in Frankreich, denn das Bündnis dieses Bürgerkönigs mit Österreich wird täglich inniger, seine Einmischung in die Schweizer Angelegenheiten immer gefährlicher. Der Name Napoleon hat seine Zauberkraft für die Franzosen; Sie werden diesen Namen an die Spitze der Revolution stellen, und der Sieg ist unser. Ich verspreche Ihnen dafür die Präsidentschaft der Republik Frankreich.«

»Aber was muß ich thun?«

»Präsident bleiben, ohne Kaiser werden zu wollen, und die italienische Revolution unterstützen.«

»Und wenn ich mich nun weigere?«

»So bleiben Sie Gefangener in Ham, bis die Politik der Orleans, oder der strafende Dolch eines Carbonari Ihrem Ehrgeiz ein Ende macht. Sie werden sich des Schwurs erinnern, der das Recht giebt, den Abtrünnigen mit dem Tode zu bestrafen.«

Der Prinz schaute betreten zu Boden. »Sie haben ein verführerisches Bild gezeichnet, Signor. In welcher Zeit glauben Sie, daß die Revolution ausbrechen kann?«

»In zwei Jahren! was man thun will, muß ein Ganzes sein. Italien und Paris sind zwar bereit, aber unsere Agenten in Polen, Ungarn und Deutschland brauchen Zeit. Mit jedem Tage verwickeln sich die Tyrannen fester in ihr Netz. Das Blut der Brüder Bandiera Die Gebrüder Bandiera, österreichische Marine-Offiziere, gingen mit dem tollen Plane um, die österreichische Flotte der italienischen Revolution in die Hände zu spielen und wurden in Calabrien gefangen und erschossen. ist nicht umsonst geflossen. Ob Graham und Aberdeen Die Thatsache, daß der ehemalige Staatssekretär des Innern, Sir James Graham, im Einverständnis mit Lord Wellington und Aberdeen, die Korrespondenz Mazzinis überwachte und seine Pläne den italienischen Regierungen mitteilte, erregte bekanntlich in England große Entrüstung. Die öffentliche Meinung nahm den Revolutionär in Schutz und rächte die Verletzung des Briefgeheimnisses mit der Spottbezeichnung: gegrahamt! auch meine Briefe stehlen und mich belauern lassen: sie wissen nichts, und die englischen Radikalen sind stark genug, mich zu schützen. Meine Proteste gegen das schändliche Werbesystem für die römische Tyrannei in der Schweiz und gegen die Bedrohung der Unabhängigkeit Krakaus schüren in diesem Augenblicke neue Flammen. Wenn die Zeit gekommen, werden sie ausbrechen!«

»Wer wird Italien insurgieren?«

»Ein Mann, auf dessen Eifer und Thatkraft man volles Vertrauen setzen darf, Garibaldi

»Aber er befindet sich in Montevideo.«

»Wenn die Zeit gekommen, wird er meinen Ruf erhalten und ihm folgen. Graf Walewski, Graf Walewski, am 4. Mai 1810 geboren, ist der natürliche Sohn des Kaisers Napoleon und der schönen Polin Walewska, die er auf einem Ball in Warschau kennen lernte und von ihrem alten Gatten nach dem Schloß Walowize entführen ließ. der Sohn Ihres Oheims, der wenigstens Ihren Namen ehrenvoll in Polen vertrat, hält die Hand über ihm, während Herr Guizot glaubt, daß er einzig seine Instruktionen in den La Plata-Staaten vertritt.«

»Resümieren Sie kurz die Bedingungen, die Sie mir stellen!«

»Die ›Internationale Liga der Völker‹ bietet Ihnen die Bundesgenossenschaft. Sie wird Sie an die Spitze der französischen Republik stellen, und Sie verbinden sich dagegen auf den Eid, den Sie beim Eintritt in die Carbonari geschworen, die Revolutionen der Nationalitäten mit den französischen Waffen zu unterstützen und namentlich die Freiheit Italiens erkämpfen zu helfen und zu schützen.«

»Welche Bedenkzeit geben Sie mir? denn ich breche mit Vergangenheit und Zukunft.«

»Fünf Minuten; die Zukunft gehört Ihnen!«

Der Gefangene war an das Fenster getreten und starrte, die Stirn an die Scheiben gedrückt, hinaus nach dem öden Wall und den finstern Umrissen des Turmes des Connetable. Die Sehnsucht nach Freiheit und Macht kämpfte gewaltig in seinem Herzen gegen die Träume eines größeren Ehrgeizes. Plötzlich zuckte er zusammen, ein stolzes Lächeln überflog sein bleiches Gesicht; sein Auge war auf die einsame Schildwache am Wall gefallen. Der junge Soldat, der dort stand, hielt unverwandt die Blicke auf ihn gerichtet, und als er sich bemerkt sah, schaute er rasch umher und präsentierte dann das Gewehr.

Der kleine Zug der Anhänglichkeit für den Namen Napoleon entschied über das Schicksal der Revolutionen. Der Gefangene preßte fest die Zähne zusammen, indem er murmelte: »Jedes Mittel zum Ziel!« und wandte sich rasch gegen das Haupt der europäischen Agitation.

»Ich bin entschlossen!«

»Die Antwort?«

»Ich will frei sein. Italien soll es sein, sobald ich an der Spitze der französischen Armee stehe.«

»Das ist genug, Bürger-Präsident. Wiederholen Sie den Eid!« Er zog aus der Brusttasche seines Rockes einen Dolch, um dessen Klinge ein Cypressenzweig mit weiß-rot-grünem Band geschlungen war, das berühmte Erkennungs- und Erinnerungszeichen des ›Jungen Italiens‹; die Klinge trug die Devise des Bundes: ›Jetzt und Immer!‹ Louis Napoleon legte die Hand auf diese Klinge und wiederholte die furchtbaren Worte, die der Italiener ihm vorsagte.

»Jetzt, Prinz, wissen Sie, was Sie zu erwarten haben, im Fall Sie Ihren Eid nicht halten. Das weitere verhandeln wir in London, und es ist Zeit, sich mit Ihrer Flucht zu beschäftigen. Lassen Sie mich meine Toilette wieder herstellen und in den Salon zurückkehren. Was Sie General Montholon sagen wollen, ist Ihre Sache!«

Der falsche Lord vollendete rasch seine Toilette. Als sie in den Salon zurückkehrten, fanden sie dort die Gruppe noch unverändert, nur daß Doktor Conneau sich eingefunden hatte und mit dem Kapitän sprach, während General Montholon sich mit den Journalen beschäftigte.

Der Prinz ging auf den alten Soldaten zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »General,« sagte er, »Sie sind mein ergebener Freund und werden sich daher freuen, zu hören, daß sich endlich eine Gelegenheit bietet, diesem Kerker zu entfliehen.«

»So lassen Sie uns ihn sobald als möglich verlassen, Hoheit. Parbleu! ich wollte es nicht sagen, aber ich bin seiner herzlich müde!«

Der Prinz war in einiger Verlegenheit. »Die Anordnungen, mein lieber General,« meinte er, »gehören diesem Herrn. Ich habe an Mylord gleichfalls einen aufrichtigen und ergebenen Freund gefunden, und wir müssen uns in seine Anweisungen fügen. Ich weiß selbst noch nicht, welche Mittel er anwenden will, mich zu entführen, ohne andere Personen dabei zu kompromittieren.«

Sein Blick bezeichnete den Offizier, der mit der frühern starren Gleichgültigkeit den Verhandlungen zuhörte.

»So lassen Sie hören, mein Herr,« sagte der General finster zu dem Engländer, denn er haßte die ganze Nation von Grund seiner Seele, und ein unbestimmtes Gefühl schärfte noch seine Abneigung gegen das Individuum insbesondere. »Lassen Sie hören, denn ich werde nur meine Einwilligung geben, wenn ich die Sicherheit des Gelingens sehe.«

Der falsche Viscount zog ruhig seine Uhr. »Es ist jetzt neun Uhr; in fünf Minuten werde ich Sie verlassen, und dem Gouverneur sagen, daß ich meinen Besuch nicht habe verlängern dürfen, weil Sie befinden sich krank.«

»Ich? oh kehren Sie sich nicht an mich, Mylord.«

Der Verschwörer lächelte. »Ich hoffe Sie stets zu sehen bei guter Gesundheit, General. Es ist aber nötig, daß Sie sich legen zu Bett, und der Doktor verschreibt eine Medizin. Monseigneur wird zubringen bei Ihnen den Tag.«

»Ich verstehe noch immer nicht,« murrte der General, der unzufrieden zu werden begann.

»Der Prinz wird sich in einer Stunde in Ihre Wohnung begeben und dort bleiben den ganzen Tag. Nachdem er eingetreten, wird er seinen Bart vollständig abschneiden, und sobald alles sicher ist, anlegen seine Verkleidung.«

»Welche?«

»Sie werden haben bemerkt, daß an diesem Hause mehrere Arbeiter sind thätig. Um Mittag entfernen sich diese Leute alle aus der Festung. Sie werden warten zehn Minuten und dann als Arbeiter gehen hinterher, als ob Sie sich verspätet hätten.«

» Parbleu! der Plan ist nicht übel, aber wo bleiben wir?«

»Thelin kann vorausgehen dem Prinzen, um Medizin zu holen in der Stadt.«

»Und ich und Doktor Conneau?«

»Sie, General, bleiben in Ihrem Bett, und der Doktor wird Ihnen leisten Gesellschaft oder spazieren gehen auf den Wällen.«

Der Graf zog ein schiefes Gesicht, indes faßte er sich alsbald und sagte mit schlecht verhehltem Seufzer: »Wenn's denn nicht anders sein kann – in Gottes Namen! Aber was bürgt uns für die Sicherheit des Prinzen, wenn es ihm auch gelungen, unerkannt aus dem Thor zu kommen?«

»In einer Stunde reise ich ab. Ich nehme den Weg über St. Quentin, Cambray und Valenciennes nach Brüssel; es ist derselbe, dem der Prinz wird folgen. In Ham wird stehen ein einfaches Fuhrwerk bereit, aber mit tüchtigem Pferd. Hier ist die Adresse, wo Monsieur Thelin es kann holen ab; Sie werden warten auf das Fuhrwerk am Kirchhof von St. Sulpie. Monsieur Thelin wird nehmen auf diesen Paß Extrapost in St. Quentin. Am Kreuzweg nach Beauvoir, wo Sie verlassen den Wagen, werden Sie finden einen Mann in grüner Blouse mit einem Packen. Dieses Paket enthält die Kleider, die Sie anzulegen haben. Die Person, die Sie erwartet, wird Ihren Diener über das Weitere unterrichten und Sie führen um die Stadt auf den Weg nach Cambray, wo Sie die Extrapost erwarten. Der Paß ist gut, und Sie werden Postpferde bereit finden bis Brüssel.«

»Ihre Anstalten lassen nichts zu wünschen übrig, Mylord, ich gestehe es zu – aber mir scheint die Hauptsache noch zu fehlen.«

»Was?«

»Die Kleidung selbst! Wie kann einer von uns sie erlangen, ohne daß es auffällt?«

Der Lord zuckte spöttisch die Achseln. »Ist es Ihnen gefällig, Kapitän, sich ein wenig auszukleiden?«

Ohne ein Wort zu sagen, trat der Offizier in eine Ecke des Zimmers und zog seinen Uniformrock aus. Er trug darunter eine alte Blouse, die er abzog, und um die Brust gewunden eine mit Farbe und Kalkflecken beschmutzte Hose. Eine ähnliche Ledermütze, die er aus der Tasche zog, vervollständigte das Kostüm, dessen er sich rasch entledigte.

»Ich würde Ihnen mitgebracht haben eine falsche Perücke,« sagte der Lord, »aber Sie wissen vielleicht nicht damit umzugehen, und ein Zufall kann werden zum Verräter. Das Abschneiden der Haare und des Bartes ist besser. Vor der Thür des Generals finden Sie Holzschuhe; das weitere wird sein die Sache Ihrer Gegenwart des Geistes. Und jetzt, Sir, leben Sie wohl! ich werde erwarten Sie morgen in Brüssel!«

Der Prinz reichte ihm stumm die Hand, ein kräftiger Händedruck bestätigte den geschlossenen Bund. – – –


Es war zwölf Uhr mittags, die Arbeiter an dem Bau hatten wenige Minuten vorher ihre Arbeit verlassen und sich durch das Thor der Festung entfernt, als Thelin, der die Erlaubnis erhalten hatte, eine Medizin für General Montholon in der Stadt bereiten zu lassen, den Hund Fidèle an der Schnur, das Haus verließ und nach dem Thor zuging.

Etwa zwanzig Schritt hinter ihm folgte der Prinz, als Arbeiter verkleidet, plumpe Holzschuhe an den Füßen, das Gesicht beschmiert und ein großes Brett auf der Schulter.

So ging er mitten durch die Wachen und die auf dem Hofe sich umhertreibenden Soldaten dreist auf den Thorweg des Schloßturmes zu.

In diesem Augenblick kam ein Schlossergeselle, der ihn für einen Kameraden hielt, und wollte ihn ansprechen. Thelin gewahrte es glücklicherweise noch zeitig genug, trat auf den Schlosser zu und ließ sich Feuer von ihm für seine Cigarre geben.

Etwas weiter entfernt begegnete der Prinz einem Offizier, der einen Brief las, aber nicht auf ihn achtete, dann schritt er durch eine Gruppe von dreißig Soldaten, die vor der Wachtstube standen.

Endlich, nachdem er, ohne eine Miene zu verziehen, an mehreren Schildwachen vorbeigekommen, befand er sich vor der letzten am Thor.

Er wollte das Gitter eben passieren, das der Thorwart Thelin öffnete, als er eine Stimme flüstern hörte:

»Gott geleite Sie und vergessen Sie Frankreich nicht!«

Der Prinz erbebte! seine Augen aufschlagend, erkannte er in der Schildwache, die gesprochen, den jungen Soldaten, der drei Stunden vorher vor seinem Fenster Posten gestanden und salutiert hatte.

Der Prinz setzte, während der Thorwart das Gitter öffnete, sein schweres Brett dicht neben der Schildwache nieder und bückte sich, als beschäftige er sich mit seinen Schuhen. »Ich danke Dir, Freund. Dein Name?«

» Florentin Jeannon

»Wenn Du hörst, daß ich in den Tuilerien bin, so fordere Dir Dein Leutnant-Patent bei mir.«

Der Soldat half ihm selbst das Brett wieder auf die Schulter heben; wenige Augenblicke nachher überschritt der Prinz die Zugbrücke und setzte nach sechs Jahren zum erstenmale wieder seinen Fuß auf freie Erde.

Während Thelin nach der Stadt ging, um an dem bestimmten Ort das Kabriolet zu holen, schritt der Flüchtling trotz seiner Holzschuhe rasch vorwärts und erreichte glücklich den Kirchhof von St. Sulpice, wo er den Wagen erwarten sollte. Es war eine qualvolle Viertelstunde, bis dieser kam, denn jeden Augenblick fürchtete er das Alarmzeichen von den Wällen der Festung zu hören, das seine Flucht verkündete. Endlich erschien der Wagen, der Prinz stieg auf den Bock und übernahm die Rolle des Kutschers. Sobald man aus dem Gesichtskreis der Wälle war, ging es im Galopp davon.

Eine Stunde nachher war man am Kreuzweg von Beauvoir, im Angesicht der einst so berühmten Veste St. Quentin. Ein Mann, mit einer grünen Blouse bekleidet und einem Ranzen neben sich, saß auf dem Rain unter dem Schatten des Gebüsches, das sich bis an die Straße erstreckte. Als der Wagen nahte, erhob er sich und betrachtete die Reisenden aufmerksam; dann trat er zu dem haltenden Wagen und machte rasch mit dem Daumen der linken Hand das Freimaurerzeichen der Carbonari.

Der Prinz erwiderte es.

»Steigen Sie aus, Signor,« sagte der Fremde in reinem Italienisch, »und gehen Sie einstweilen in jenes Gebüsch. Ich werde Ihnen sogleich folgen, sobald ich diesem Manne einige Anweisungen gegeben.«

Der Flüchtling gehorchte ohne weiteres; nach wenigen Worten mit Thelin kam ihm der Fremde ins Gebüsch nach und öffnete sein Paket.

Ein vollständiger Reise-Anzug, wie ihn etwa wohlhabende Kaufleute tragen, war darin. Der Prinz kleidete sich rasch um, der Fremde steckte die Arbeiterkleider in seinen Ranzen und reichte dem Prinzen dann ein Paar gezogene Terzerols und ein Stilet.

»Für den Notfall; aber es wird nicht nötig sein, Ihr Paß wird Sie ohne Aufenthalt über die Grenze bringen, wenn ein unglücklicher Zufall Ihre Flucht nicht etwa zu zeitig verraten hat. Sind Sie hinreichend mit Geld versehen?«

»Ich habe mitgenommen, was ich hatte, aber es ist nicht viel.«

»Nehmen Sie diese Börse; es sind fünfzig Sovereigns darin, und nun kommen Sie.«

Der Prinz folgte seinem Führer, von dem er nicht wußte, ob er ihn kannte und in das Geheimnis eingeweiht war; denn er hatte in seiner Anrede noch kein Wort fallen lassen, was darauf hindeutete.

Sie gingen auf einem Fußsteig im Gebüsch fort und um die Stadt, bis sie nach etwa einer halben Stunde die Chaussee nach Cambray erreichten und an der Brücke Halt machten, die über den Fluß führt.

Wenige Minuten darauf sahen sie eine Staubwolke vom Thor von St. Quentin her rasch daher kommen.

»Das ist der Wagen!«

Die Extrapost war nur wenige Schritte noch entfernt, und Thelin winkte bereits seinem Herrn, als plötzlich der Fremde diesen hart an den Arm faßte.

» Diavolo! Sehen Sie dort hin!«

Ein Blick genügte. Auf der Straße von St. Quentin kamen zwei Gendarmen im vollen Galopp daher gesprengt.

»Wir sind verraten; man kennt meine Flucht, man verfolgt uns!«

»Hinein in den Wagen und schießen Sie den Postillon vom Bock, wenn er nicht in Karriere fährt. Ihre Hand, Prinz, daß ich sie küsse! Diese Hand wird Italien die Freiheit wiedergeben!«

»Und Sie? …:«

»Was ist an meinem Leben gelegen? Ich werde es opfern, um die Schergen der Gewalt aufzuhalten und meinem Vaterlande seine Hoffnung zu erhalten.«

Er hob ihn in den Wagen – der Schlag fiel zu.

»Ihr Name, Freund! Ihren Namen!«

» Felix Orsini

Der Wagen rasselte davon, der Italiener stellte sich mitten in den Weg, die Hand am Griff des Doppelpistols unter seiner Blouse. Sein energisches, kühnes Gesicht zeigte den gefaßten Entschluß.

In diesem Augenblick schlugen die Gendarmen, kaum noch hundert Schritt von ihm, den Feldweg nach Vermond ein und galoppierten plaudernd weiter.


London, den 29. Mai.

»Prinz Louis Napoleon, dem es gelungen, nach sechsjähriger Haft vor vier Tagen aus seinem Kerker in Ham zu entfliehen, ist heute Morgen in London angekommen. Er hat einen Brief an Sir Robert Peel gerichtet, in dem er dem Minister erklärt, daß er sein Gefängnis nicht verlassen habe, um einen neuen Versuch gegen die Regierung Ludwig Philipps zu unternehmen. Der Prinz spricht die Hoffnung aus, daß diese freiwillige Erklärung genügen werde, um die Gefangenschaft seiner Freunde abzukürzen.«

(Times.)



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