John Retcliffe
Solferino
John Retcliffe

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3. Zur Diplomatie.

Zwei Männer, in leichte Sommerpaletots gekleidet, der eine hoch gewachsen, der andere kleiner, schmächtiger, kamen in ziemlich leise geführtem Gespräch vom Pariser Platz her über die Linden und gingen nach der Behrenstraße.

Ihre Unterhaltung wurde französisch geführt.

»Ich weiß in der That nicht,« bemerkte der Größere, »was man sich in Sanssouci um meine Familien-Verhältnisse zu kümmern hat. Wenn Madame la Marquise es für gut findet, sich nach ihren Gütern in Belgien zurückzuziehen, so hat Niemand danach zu fragen als höchstens ich. Ich werde in diesem Winter keine Soiréen geben und – voilà tout

»Aber die Gräfin? Man sagt, daß sie selbst eifersüchtig auf die kleine Luzy ist und Ihrer Gemahlin gewisse Nachrichten hat zukommen lassen.«

»Die Gräfin mag meinetwegen nach Turin gehen und sich einen Mann suchen, der mit ihrer Marmor-Atmosphäre zufrieden ist. Aber sprechen wir von unsern Geschäften, denn Sie haben doch nicht umsonst mein Tête à Tête gestört. Also der Fürst ist bei dem Baron?«

»Seit einer halben Stunde – ich sah ihn das Palais verlassen und folgte ihm nach dem Hôtel und hierher.«

»Gut – dann ist es gerade der günstige Moment. Es wird ein ziemlich komischer Empfang sein. Sind die Agenten aufgestellt?«

»Es kann Niemand die Gesandtschaft verlassen, ohne daß ihm gefolgt wird.«

»Und Ricouart?«

»Er ist auf seinem Posten in der Wärterbude mit dem Apparat. Sobald er das Zeichen sieht, wird er die Drähte wechseln.«

»Ich hoffe, daß er den richtigen nicht verfehlt.«

»Sorgen Sie nicht, Monsieur, ich war selbst dabei, als wir gestern die Probe machten.«

»Nun gut – lassen Sie die Pferde bereit halten, damit Sie mir so bald als möglich Nachricht bringen können. Ich soupire bei Luzy. – Diese Russen, lieber Beaumont, sind wirklich vortreffliche Bursche, wo es gilt, Jemand einen Wink zu geben, der einem Dritten Kopfschmerzen macht oder eine Provinz kostet. Ich könnte Budberg wirklich unsere kleine Erfindung der fliegenden Telegraphen-Apparate ablassen, wenn sie nicht gar so vortheilhaft wäre!«

»Haben Sie Neuigkeiten von Turin oder aus dem Hauptquartier gehört?«

»Mon Dieu – als ob Launay je Etwas erführe! Man behandelt wirklich den Re gentilhuomo zu negligère. Graf Cavour ist in Desenzano angekommen, und man trifft Anstalten, Péschiera zu beschießen, da die Kanonenboote zusammengesetzt sind. Der Höflichkeitsaustausch zwischen Verona und Valeggio ist noch immer im besten Gang.«

»König Leopold, der Fürst von Chimay und Graf Esterhazy haben sich in der That Mühe gegeben.«

»Ja – aber wir werden Besseres thun, wie ich hoffe, Au revoir denn – und passen Sie auf! Wenn Herr von Schleinitz eine Ahnung von dem Besuch hätte, den ich zu machen im Begriff stehe, würde er gewiß diese Nacht keinen Schlaf finden.«

Der Größere verabschiedete lachend sich mit einem vertraulichen Kopfnicken bei seinem Begleiter und zog die Schelle an der Einfahrt eines der großen Häuser, die an der Nordseite der Behrenstraße liegen, nachdem er den Kragen seines Paletot etwas in die Höhe gestrichen hatte. Die Thür sprang auf, der Herr trat ein und schritt wie ein berechtigter Besucher ohne Frage an der Portier-Loge vorüber die Treppe hinauf. Eine Antichambre stand offen, ein Diener saß darin am Tisch. –

Der Fremde nahm eine Karte, die in ein Couvert verschlossen war, aus der Tasche und gab sie dem Diener.

»Bringen Sie dies dem Herrn Baron!«

Der Diener sah erstaunt bald auf das Couvert, bald auf den Fremden.

»Halten's zu Gnaden, aber – der Herr Baron ist nicht zu sprechen – er hat Besuch ....«

»Eben deshalb – bringen Sie die Karte nur hinein!«

Der befehlende Ton imponirte dem Mann – er ging in der That in die Zimmerreihe.

Es dauerte eine Zeit, ehe er wieder kam – der Lauschende hörte mit einem spöttischen Lächeln um die Lippen Stühle rücken und anderes Geräusch – dann ward die Thür aufgerissen und der Herr des Hauses selbst, ein großer hagerer Mann von einigen fünfzig Jahren kam auf den Fremden zu mit den Worten: »Wie, Herr Marquis – dieses unerwartete Vergnügen? – haben Sie die Güte, näher zu treten!«, und führte ihn in den anstoßenden Salon.

Aus einer Bergère im Hintergrund erhob sich ein alter Mann von vornehmer Haltung und ruhigem, etwas leidendem Gesicht. Er trug einen einfachen Uniforms-Ueberrock, dessen Oeffnung jedoch noch den Großcordon eines hohen Ordens zeigte.

Der Marquis, wie ihn der Wirth genannt, ging sogleich auf den alten Militair zu und reichte ihm mit dem Zeichen großer Achtung die Hand. »Lassen mich Euer Durchlaucht zunächst die Gelegenheit ergreifen,« sagte er, »Ihnen mein aufrichtiges Beileid über den Tod Ihres tapferen Neffen auszudrücken. Ich weiß, daß dieser unglückliche Fall auch Se. Majestät den Kaiser tief betrübt hat.«

»Er ist gefallen für den seinen auf dem Felde der Ehre,« sagte der alte Soldat mit Würde. »Das ist Soldatenloos, das dem Fürsten so gut gehört, wie dem ärmsten Rekruten!«

Mit der ganzen Sicherheit des Weltmannes nahm der Marquis den dargebotenen Sessel und die präsentirten Cigarren. »Sie sind berechtigt, meine Herren, einiges Erstaunen zu hegen,« sagte er leicht, »mich so ganz ohne Ceremoniell und Erlaubniß hier zu sehen, aber Sie werden den Besuch entschuldigen, wenn ich Ihnen sage, daß ich so eben hörte, Se. Durchlaucht wollen uns morgen oder übermorgen wieder verlassen und befände sich bei Ihnen, Herr Baron, und es wäre mir in der That schmerzlich gewesen, Durchlaucht, Ihnen meine Verehrung nicht haben ausdrücken zu können. So entschloß ich mich denn privatim zu einem kleinen Ueberfall – überdies hoffe ich, ist ja auch die Diplomatie in dem Waffenstillstand mit einbegriffen!«

Die Beiden wußten sehr gut, daß der Herr Marquis zu täuschen beliebte; indeß in der Diplomatie ist ja fast Alles Täuschung und Verstellung und es kommt nur darauf an, wer am geschicktesten trügt. Sie begnügten sich daher mit einer höflichen Verbeugung.

»Ich hoffe, lieber Baron,« fuhr der Franzose fort, »daß wir unsern offiziellen Verkehr recht bald wieder anknüpfen werden. Ich weiß ganz bestimmt, daß der Kaiser, trotz des Krieges, von den freundlichsten Gesinnungen für Ihren jungen Monarchen beseelt und keineswegs mit den Plänen Preußens auf die Suprematie in Deutschland einverstanden ist. Es ist also wahr, Durchlaucht, daß Sie morgen Abend schon nach Wien zurückkehren wollen?«

Ein leichtes Lächeln spielte um die Lippen des alten Fürsten, als er ruhig erwiederte: »Sie sind falsch berichtet, Herr Marquis, ich habe meine Abschiedsbesuche noch nicht gemacht!«

»Desto bester – so haben wir das Vergnügen, Euer Durchlaucht noch länger hier zu sehen – ich wünschte nur bei einer günstigeren Veranlassung; denn Ihr Contre-Antrag von vorgestern am Bundestag dieses lieben etwas meinungsverschiedenen Deutschlands wird Ihre Verhandlungen am hiesigen Hofe doppelt schwierig gemacht haben!«

»Sie sind beendet, verlassen Sie sich darauf, Herr Ambassadeur!« sagte der alte General steif und fest.

»O, ich bitte Sie, Durchlaucht, nicht diesen unangenehmen Namen, wo wir freundschaftlich plaudern!« Wer den Franzosen ganz genau kannte, hätte an dem leichten Zucken der Augenwinkel bemerkt, daß er sich eines gewonnenen Stichs in diesem Spiel erfreute. »Ich kann Ihnen im Vertrauen sagen, daß ich alle Aussicht habe, nach Beendigung des Krieges diesen unangenehmen Posten mit der angenehmeren Stellung in Wien zu vertauschen!«

»Aber so viel ich weiß,« bemerkte der Baron, »erfreuen Sie sich doch am hiesigen Hofe einer besonderen persönlichen Gunst.«

»Ah – bah – vielleicht in Sanssouci, aber nicht im Palais. – Man protegirt mich der Nachbarschaft wegen etwas in der Wilhelmsstraße.«

Alle Drei, er selbst natürlich eingeschlossen, wußten, daß er auf das Unverschämteste log und gerade das Gegentheil der Fall war; denn der Marquis hatte bei jenem unglücklichen Gedanken, den rechtmäßigen Erben in der Regentschaft zu übergehen und sie etwa auf einen anderen Agnaten oder eine Frau zu übertragen, sehr entschieden und selbst mit geheimen Drohungen die Partie des Ersteren genommen. »Dann bitte ich um Verzeihung für meinen Irrthum,« meinte trocken der Baron.

»Ich spreche offen,« fuhr der Marquis fort, »da wir hier nicht auf offiziellem Boden sind. Ihre Politik in Frankfurt beweist, wie wenig Sie selbst auf die Intervention Preußens rechnen oder daß Sie eine selbstständige kaum wünschen, da sie Ihnen Verpflichtungen für die Zukunft auferlegen würde. Die Lombardei kann nicht in Betracht kommen gegen Ihre Suprematie in Deutschland. Auf der anderen Seite sind wir bereits für eine Action am Rhein vollkommen gerüstet und haben gewichtige Bundesgenossen.«

»Es wird Ihnen nicht unbekannt sein,« sagte der Fürst, »daß Se. Königl. Hoheit der Prinz-Regent seinen Truppen Marschordre für den 13ten bereits gegeben hat.«

»Ich weiß das – aber die Dispositionen dürften eine Aenderung erfahren, so wie die dänische Flotte von Kopenhagen ausläuft!«

»Eine solche Demonstration wird sicher Oesterreich und Preußen verbinden, um den Herzogthümern ihre Selbstständigkeit wieder zu geben.«

»Wie, Durchlaucht, – Sie halten ein solches Bündniß für möglich?«

»Warum nicht? – ich glaube sogar ....« er unterbrach sich, aber es war zu spät – der schlaue Franzose lächelte flüchtig bei diesem neuen Erfolg.

»Haben Sie die Güte, Se. Majestät, Ihren Allergnädigsten Herrn zu versichern,« sagte er, »daß der Kaiser Louis Napoleon von den freundlichsten Gesinnungen für seine Person beseelt ist. Ich weiß das ganz positiv nicht allein aus früheren eigenen Wahrnehmungen, sondern aus den gestern erhaltenen Depeschen des Grafen Walewski. Aufrichtig gesprochen, Sie sind uns in Italien unbequem – aber ein Königreich Italien würde uns noch unbequemer sein. Sie sehen, wie offenherzig ich bin.«

Der greise Fürst lächelte über die durchsichtige Naivetät. »Sie rechnen ohne den dritten Faktor, Herr Marquis. Selbst wenn wir Italien aufgeben, bleibt Seine Heiligkeit, der Papst!«

»O – Rom ist uns lieber wie Avignon!«

Der Fürst verbeugte sich leicht. »Sie bezeichnen sehr richtig den Charakter der Italiener, oder besser der ganzen katholischen Christenheit, Herr Marquis. Pius IX. würde zum Märtyrer werden, sobald er gezwungen wird, Rom zu verlassen.«

Diesmal fühlte sich der Franzose geschlagen und erhob sich. »Es geht uns Diplomaten wie den Schauspielern, wir können nicht zusammentreffen, ohne von der leidigen Politik zu reden. Und dennoch hatte ich es mir fest vorgenommen, blos Euer Durchlaucht meine persönliche Achtung zu beweisen. Ich nehme also meine Adieu's und bitte Sie, mir ein freundliches Andenken zu bewahren!«

Der alte Fürst geleitete mit dem Wirth den so unerwarteten Besuch bis auf die ersten Stufen der Treppe.

Als er in das Zimmer zurückkehrte, ließ er sich herzlich lachend in den Lehnstuhl zurückfallen. »Bei Sankt Stefan –« sagte er heiter – »der Stoß ist parirt, aber die Finte war nicht schlecht. Jetzt, lieber Baron, lassen Sie Ihren Secretair wieder eintreten, wir wollen unserer Depesche noch eine kleine Nachschrift beifügen.« –

Mit ruhigem, elegantem Schritt hatte der Franzose das Haus verlassen. Ein scharfer Blick durch die Dunkelheit der berliner Laternen zeigte ihm, daß an einer der Hausthüren schrägüber ein Mann noch mit einem Dienstmädchen sehr intim plauderte.

Erst als er um die Ecke gebogen war, dort am Palais, wo Prinz Friedrich, einst »der erste Kavalier Europa's«, jetzt still und resignirt den Kampf mit jener furchtbaren Macht, dem Alter begann, das ihm Nichts von all' den glänzenden Eigenschaften lassen wollte, als ihre schönste: die unendliche Herzensgüte! – förderte er seinen Schritt, sprang bald eine Rampe hinauf und trat in das glänzend erleuchtete Foyer eines Hotels, in dem der Portier und mehre Lakaien ihn mit ehrerbietigen Verbeugungen empfingen.

»Der Graf?«

»In Ihrem Arbeitskabinet, Monseigneur!«

Der Marquis nahm drei Stufen der teppichbelegten Marmortreppe auf einmal und ging von der Antichambre rasch durch mehre Zimmer bis zu einem in Braun und Grün dekorirten Kabinet, wo der Kavalier, der ihn vorhin begleitet hatte, an einem großen Tisch schrieb.

»So, Beaumont,« sagte er heiter, »wir werden heut mit Vergnügen zusammen bei der kleinen Luzy soupiren; ich weiß ihr Geheimniß.«

»Dann gratulire ich Euer Excellenz und mache Ihren bewunderungswürdigen Talenten mein Compliment. Darf man es erfahren?«

»O ja – es heißt Schleswig-Holstein! – Ein Wort verrieth es mir.«

»Ah – das wird unsern Verbündeten im Norden rasch auf die Beine bringen.«

Der Diplomat schüttelte den Kopf, während er sich niedersetzte und die Feder ergriff, um einige Notizen nieder zu schreiben. »Ihre Pferde sind doch bereit?«

»Ich wiederhole es, in fünf Minuten werde ich im Sattel sein.«

»Und wissen Sie genau selbst den Weg oder bedarf es Ihres Reitknechts?«

»Ich habe ihn gestern noch gemacht!«

»Dann werden wir Ihren Diener zurücklassen – ich habe mich anders besonnen, ich werde Sie selbst begleiten.«

»Wie Sie befehlen.«

»Noch Eins – ehe ich es vergesse. Ist der Kerl wieder bei Ihnen gewesen, der uns damals bei der Belagerung von Sebastopol so gute Dienste leistete?« »Er kommt alle acht Tage, um sich einige Winke für die auswärtige Presse zu holen. Er unterhält Verbindung mit einigen republikanischen Blättern in der Schweiz und England.«

»Desto besser. Ich werde mich seiner bedienen, um mich für die Censur meiner Moralität mit einigen kleinen Artikeln zu revangiren. Ich zahle stets dergleichen aus und wenn die Münze bis an die Stufen eines Thrones rollte. Doch – ich glaube, da kommt unser Bote! – Herein!« rief er auf das leise Kratzen an der Thür.

Der Kammerdiener führte einen gewöhnlich aussehenden Mann herein, der sehr eilig aussah.

»Ich bin mit der Droschke gekommen,« sagte der Mensch. »Der Secretair des Herrn Gesandten ist eben nach dem Schloßplatz zu gegangen. Ich kenne ihn ganz genau; er steckte ein Papier in die Brusttasche, als er aus dem Hause trat.«

»Es ist gut –« bemerkte der Graf, »die Sache ist bereits erledigt, ich brauche heute Ihre Dienste nicht weiter. Nehmen Sie!«

Er reichte ihm zwei Fünfthalerscheine. Der Mann empfahl sich mit einem Kratzfuß. Er hatte kaum das Zimmer verlassen, als der Diplomat ungeduldig Hut und Handschuh ergriff.

»Das ist rascher, als ich dachte. Sie müssen sie fertig gehabt haben und wir brauchen die weitere Nachricht nicht erst abzuwarten. – Vorwärts, sonst könnten wir zu spät kommen.«

»O Sie wissen ja – es dauert mindestens eine halbe Stunde. Die Chiffern müssen sorgfältig copirt werden.«

»Das wird nicht viel nutzen – das Wiener Kabinet wechselt sie sehr oft. Der Fürst wird sich jedenfalls des neuen Signalbuchs bedienen. Es ist ein Glück, daß unser letzter Courier es mitgebracht. Haben Sie das Licht?« »In der Tasche!« Der Attachée öffnete die Thür, die beiden Männer verließen das Zimmer, das der Kammerdiener sorgfältig verschloß und stiegen die Treppe hinab. Vor der Thür richteten sie ihren Gang nach dem Anhalter Thor – in dem unbelebteren Theil der Wilhelmsstraße stand ein Thorweg offen – ein Reitknecht hielt im Hofe zwei gesattelte Pferde.

»Guillaume!«

»Hier, Herr Graf!«

»Du wirst zurückbleiben – warte, bis ich zurückkomme!« Die beiden Cavaliere schwangen sich in die Sättel und trabten die Straße entlang, durch das Thor – als sie auf der öden Militairstraße waren, galopirten sie. – – –

»Ist denn auf Tivoli noch so spät Feuerwerk heute?« frug fünf Minuten später ein von Backes in der Hirschelstraße her mit Frau und drei Hunden heimkehrender Stammgast.

»Warum?««

»Es stieg eben da in der Richtung eine Rakete mit blauen Sternen in die Hohe! Es ist doch bald eilf Uhr.«

»Sie probiren vielleicht für Morgen. Gehen wir morgen dahin – das Bier soll gut sein.«

»Warum nicht, liebe Ida. Einstweilen, bis wir nach München und Tegernsee kommen, müssen wir uns behelfen. Was kochst Du morgen zu Mittag?« – –

 

Eine der kleinen Wärterbuden an der Eisenbahn nach Dresden, auf einsamem Feld, etwa eine halbe Meile von der Stadt, hatte um diese Zeit einen eigenthümlichen Bewohner.

Der wirkliche stand draußen an der Bahn an einem Feldweg, der von der Chaussee heran führte und schien dort zu horchen oder auf Posten zu sein. Endlich näherte er sich dem Häuschen, dessen Fensterläden und Thüre fest verschlossen waren, während man doch durch die Spalten bemerken konnte, daß im Innern helles Licht schien.

Der Mann klopfte an den Laden. Erst als er es drei Mal gethan, antwortete eine Stimme mit ausländischem Accent.

»Wer ist da? was wollen Sie?«

»Es kommen Reiter über das Feld, Herr. Von der Seite her, wo das blaue Licht aufstieg.«

»Gut! Gehen Sie ihnen entgegen und führen Sie dieselben hierher, damit sie keinen falschen Weg nehmen.«

Der Mann that, wie ihm geheißen. Nach einigen Minuten kam er den Feldweg entlang mit zwei Reitern, die er bis zu dem Häuschen führte.

»Steigen Sie ab, meine Herren,« sagte er, »Ihr Freund erwartet Sie. Ich werde die Pferde einstweilen dort hinten an den Baum anbinden, da fällt es nicht auf, wenn der Güterzug kommt. Wenn Sie dieselben bedürfen, so rufen Sie mich nur, – aber im Andern bleibt es dabei – ich weiß nicht, was Sie da drinnen treiben, und es muß Alles in Ordnung bleiben, damit ich keine Ungelegenheiten habe.«

»Ich stehe dafür, und die zweiten hundert Thaler erhalten Sie, ehe wir gehen!«

Der Mann faßte an die Mütze, nahm dann die Zügel der Pferde und entfernte sich damit. Die beiden Fremden – dieselben, die wir vorhin verlassen – traten zu der Bude.

»Oeffnen Sie, Dulon, wir sind es!«

Die Thür öffnete sich sofort, und warf einen breiten Lichtschein auf den Bahndamm. Als die Beiden eingetreten waren, wurde sie rasch wieder geschlossen.

»Wie, der Herr Marquis selbst?!«

»Wie Sie sehen. Einige Umstände machten es notwendig. Außerdem erspart es uns Weitläuftigkeiten. Nun – wie weit sind Sie?«

Er warf einen prüfenden Blick rings umher. »Mein Himmel,« sagte er – »mit welchen wenigen Bequemlichkeiten und wie beschränkt diese Leute doch leben!«

Das Innere war kaum acht oder zehn Fuß im Geviert – ein einfacher, kaum weißgetünchter Raum. Ein hölzernes Gurtbett mit einem Strohsack und einer Decke nahm einen großen Theil ein, daneben stand ein Tisch. Zwei Schemmel, ein Schränkchen an der Wand, ein kleiner Spiegel, eine Wanduhr und ein Kleiderrechen bildeten das ganze Mobiliar. Auf dem Tisch stand eine Lampe, daneben auf alte Bierkruken gesteckt, brannten zwei Wachskerzen und erhellten vollständig den kleinen Raum.

Zwei Holzdielen aus der einfachen Decke des Stübchens, die einen kleinen Boden bildete, waren ausgehoben. Eine kurze Leiter lehnte an der Wand. Aus der Oeffnung hingen zwei lange starke Drähte herab, die bis zu einem eigenthümlichen Apparat auf dem Tisch reichten, von dem sie wieder aufwärts gingen.«

Sachverständige hätten ihn sofort als einen sehr geschickt und zierlich gefertigten Morse'schen Telegraphenapparat erkannt, dessen leicht transportable Batterie sich unter dem Tisch befand. Ein langer Papierstreif und das eigentümliche Schnurren, mit dem er abrollte, zeigte, daß der Telegraph eben in Thätigkeit war. Der gegenwärtige Inhaber des Häuschens, offenbar ein Mann von Fach, einige vierzig Jahr, mit vollem schwarzem Backenbart und etwas verschmitztem Gesicht, war eben im Begriff gewesen, die Depesche zu copiren.

»Nun, Monsieur Dulon, wie weit sind Sie?«

»Ich glaube, Ihr Signal, Monseigneur, zum Einhängen der Drähte kam gerade zur rechten Zeit. Kaum fünf Minuten darauf war mein kleiner Bursche in Thätigkeit – So – jetzt eben schließt er.«

Das Surren des sich abwickelnden Streifens hatte in der That aufgehört.

»Dann bitte – copiren Sie so rasch als möglich. Lieber Graf, machen, Sie sich an die: Arbeit. Was sind es?«

»Ziffern– einzelne Zahlen!«

»Es ist wie ich dachte. Hier ist das Buch, Graf!«

Während der Telegraphist die Punkte der Depesche in Buchstaben oder Zahlen copirte und die einzelnen Streifen hinüber reichte, hatte sich der Attaché auf dem Bett des Wärters etablirt und war eifrig beschäftigt, die Depesche auf Grund des Schlüssels zu dechiffriren.«

»Seine Durchlaucht haben gewiß keine Ahnung von unserer kleinen Abendunterhaltung,« sagte lachend der Marquis. »Aber – was wollen Sie! – Chacun a son tour! – Geben Sie her!« Er las die ziemlich lange Depeche, – dann setzte er die Unterhaltung in italienischer Sprache fort, welche der seinen Apparat beobachtende Telegraphist nicht verstand.

»Es ist, wie ich sagte. Hier haben Sie es. Unter der Bedingung, daß Preußen den Oberbefehl der Bundesarmee erhält und daß Oesterreich der Führung eines Krieges mit unseren Bundesgenossen an der Eider und dem Einrücken in Schleswig-Holstein sich nicht widersetzt, soll der Abmarsch der Truppen nach der französischen Gränze sofort und die Kriegeserklärung bei einer Ueberschreitung der Waffenstillstandslinie erfolgen.«

»Und was soll geschehen?«

»Nun, wir können natürlich nicht verhindern, daß der Courier, der heute Nacht über Breslau abgeht, den Inhalt überbringt, aber wir können die vorläufige Benachrichtigung verzögern, und ich denke, es wird für dem Kaiser von Wichtigkeit sein, sechsunddreißig Stunden eher in den Besitz der Nachricht zu kommen, als der Kaiser Franz Joseph in Verona.«

»Sollen wir also die Depesche ganz fallen lassen?«

»Das wäre gefährlich. Ueberdies sehen Sie hier am Ende – Nummer 23. Das bedeutet, wenn ich mich recht erinnere: Empfangsbescheinigung erwartet.«

»So ist es!«

»Das Ausbleiben derselben würde Verdacht erregen. Wir müssen also eine temporisirende Antwort abgehen lassen. Lassen Sie sehen. Der Courier, welcher mit dem Nachtzug geht, ist morgen Abend um 8 Uhr in Wien. Um 9 Uhr sind die Depeschen übergeben – um 10 Uhr, wenn Graf Rechberg nicht in Gesellschaft ist, – gelesen. Die Differenz mit der telegraphischen Meldung wird natürlich Anfragen in Berlin veranlassen – schwerlich bei Nacht, man kennt die Schwerfälligkeit des wiener Büreaudienstes. Ein Entschluß des Kabinets und der Rapport an den Kaiser Franz Joseph selbst mit dem Telegraphen wird daher schwerlich vor Montag Nachmittag oder gar Abend in Verona sein, also 24 Stunden später als unsere Nachricht über Paris in Valeggio, wenn Sie morgen früh mit dem ersten Zug nach Dresden gehen und von dort um 12 Uhr telegraphiren.«

»Die Combination ist vortrefflich.«

»Ich werde morgen den dänischen Gesandten avertiren, jede Avancirung in Copenhagen bis auf weitere Ordre von Paris zu inhibiren.«

Er schrieb mit Bleistift einige Augenblicke auf die Rückseite des Papiers, das die Depesche enthielt. »So – das wird genügen. Dauernde Unentschlossenheit des Preußischen Kabinets – Empfindlichkeit über den Antrag in Frankfurt am 7ten; – unerfüllbare Forderungen – der Courier das Nähere – Empfangsbescheinigung erwartet. Der Salat ist so gemischt, daß man die Unbestimmtheit der Floskeln wahrscheinlich der Vorsicht gegen die preußische Telegraphie zuschreiben wird und das kleine Quiproquo am Ende gar nicht an den Tag kommt – jedenfalls spät genug, daß man in Paris und am Mincio die nöthigen Entschlüsse gefaßt haben kann!«

Der Begleiter oder Secretair des Diplomaten war mit der Einchiffrirung beschäftigt. Als sie beendigt war, reichte er den Zettel dem Telegraphisten.

»Hier, Monsieur Dulon – nehmen Sie die unterbrochene Leitung wieder auf und befördern Sie diese Depesche nach Wien. Sie werden die Abgangszeit natürlich um eine halbe Stunde später ansetzen müssen.«

»Sehr wohl, Monsieur le comte!«

»Ihr Wagen hält an der Chaussee. Seien Sie vorsichtig mit ihrem Koffer bei der Rückkehr in die Stadt und mit der Herstellung der Drähte.«

»Es soll keine Spur des Abschneidens zurückbleiben – es ist an der Verbindung der Faden geschehen.«

»Gut – ich denke, wir haben dann Nichts weiter hier zu thun. Soll ich die Pferde holen?«

»Wenn ich Sie bitten darf! Es ist Zeit, daß wir zu Luzy kommen. Das arme Kind wird gar nicht wissen, wo ich bleibe.«

»Ich bitte um Urlaub, wenn ich morgen abreisen soll.«

»Ach richtig – nun ich glaubte, Sie würden die Zeit bei einer Flasche Champagner mit uns abwarten. Aber ganz nach Ihrer Bequemlichkeit! – Adieu, Monsieur Dulon. Lassen Sie sich nicht stören.«

Draußen führte ein Pfiff die Pferde mit ihrem Aufseher herbei.

Als der Graf aufstieg, drückte er dem Mann, der sie herbeigebracht, ein Päckchen Kassenscheine in die Hand. »Hier mein Freund, es sind zwanzig Thaler drüber – Einthaler-Scheine, damit Sie beim Ausgeben sich nicht auffällig machen. Vorsicht und Schweigen!« »Ich schwöre Ihnen – überdies weiß ich ja gar nicht, warum Sie eigentlich mein Hundeloch gemiethet haben. Wenn Sie wieder was brauchen, für solche Miethe steht's Ihnen immer zu Diensten. – Sehen Sie – da kommt daß Signal vom Güterzug, ich muß die Laternen aufholen!«

Die Glocke über dem Wärterhäuschen schlug an. – Während der Beschäftigung des Mannes sprengten die Reiter davon. – –

 

Am Sonntag Nachmittag bei dem Diner in der Casa Mastei zu Valeggio sagte der Kaiser Louis Napoleon zu seiner Umgebung, als von der Dauer des Waffenstillstands die Rede war, die Worte: »Faisons mieux, faisons la paix!«

Zwei Stunden später traf in Verona der General Fleury mit der Einladung an den Kaiser Franz Joseph zu einer persönlichen Zusammenkunft in Villa-Franca ein.


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