John Retcliffe
Solferino
John Retcliffe

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Dritter Abschnitt.

Ein Provisorium!

Die Villa am See.

Die Folge der Schlacht bei Magenta war die völlige Räumung der Lombardei und das Zurückgehen der österreichischen Armee auf die Mincio-Linie, das heißt auf die Stütze des bekannten Festungsvierecks.

Dies geschah natürlich nicht so rasch und nicht ohne einzelne Kämpfe. Von diesen war der bei Melegnano der wichtigste und blutigste.

Wie am Schluß der vorigen Abtheilung erwähnt worden, war das Hauptquartier zunächst nach Binasco verlegt worden, nachdem sich der Generalfeldzeugmeister trotz der Ankunft der frischen Truppen, der günstigen Gelegenheit und der Desorganisation des Feindes gegen den Rath der meisten Generale entschlossen hatte, die Schlacht nicht wieder aufzunehmen und sie somit verloren zu geben. Als Rückzugspunkt wurde zunächst Lodi und die Addalinie angegeben, die auch in den früheren Kriegen der Oesterreicher und Franzosen eine bedeutende Rolle gespielt hat. Pavia und Piacenza wurden verlassen, vieles Kriegsmaterial und eine Menge Proviant zurückgelassen.

Der Rückzug an die Adda geschah, ohne daß bis zum 8. Juni auch nur ein französisches Corps zu erblicken war oder gar die Verfolgung wagte.

Erst am 6. Juni, als der Abmarsch der Oesterreicher sicher war, verlegte der Kaiser Napoleon sein Hauptquartier nach Magenta; am 7ten rückte Mac Mahon in Mailand ein, am Tage darauf hielt unter dem Jubel der Bevölkerung, die sich seit vier Tagen und vier Nächten in einem unaufhörlichen Taumel befand, der Kaiser an der Spitze der Garden mit dem König Victor Emanuel seinen Einzug.

Von hier aus erhielten das 1. und 2te-Corps (Baraguay d'Hilliers und Mac Mahon) den Befehl, die Oesterreicher aus Melegnano zu verdrängen, das die Brigade Roden zur Deckung des Rückzugs besetzt hielt. Fünf französische Divisionen suchten hier die einzige österreichische Brigade zu umzingeln und zu erdrücken, stießen aber auf einen heldenmüthigen Widerstand. Das erste Zuaven-Regiment erstürmte die Barrikaden am Eingang des Orts und den Kirchhof – die 2te französische Division drang von San Brera her in die Stadt und drängte die Szluiner Gränzer nach dem Marktplatz, während die Brigade Ladmirault die Brücke über den Lambro und sechs Geschütze nahm. Von ihrer Rückzugslinie über den Fluß abgeschnitten, von allen Seiten eingeschlossen, blieb dem tapfern Regiment Kronprinz von Sachsen Nr. 11 Nichts übrig, als sich zu ergeben oder bis zum letzten Mann zu fechten. Sein tapferer Kommandeur, Oberst Plankenstein, wählte das Letztere. Von dem Gemetzel, was auf dem Marktplatz der berühmten Schlachtstätte – Melegnano ist das Marignano, bei welchem am 13. und 14. September 1515 König Franz I. die Schlacht gegen die Schweizer schlug, und das im Frühjahr 1848 bei Radetzky's Rückzug von Mailand die tollkühnen Einwohner sperrten, bis der Sturm und die Plünderung ihr Lohn ward – erzählten die Pariser Journale selbst so abscheuliche Einzelnheiten, daß es ihnen verboten wurde, dergleichen zu wiederholen. Die Oesterreicher schlugen sich in dem Verzweiflungskampf, jeder Mann ein Held, gegen die Uebermacht. Das 33ste französische Regiment war in der größten Gefahr, seinen Adler zu verlieren, nur die Aufopferung der Offiziere und Soldaten befreiten ihn. Aber die französische Uebermacht war zu gewaltig – fast der fünfte Mann der Oesterreicher war todt und verwundet; – um die Fahnen zu retten, warfen sich zwei Offiziere mit ihnen in den reißenden Lambro und durchschwammen den Fluß – das brave Regiment gab sich bereits verloren, als die Brigade Boer von Lodi her im entscheidenden Augenblick eintraf und die Lambro-Brücke und die verlornen Geschütze wieder nahm. General Boer und sein Adjutant wurden dabei erschossen, aber unter dem Beistand des Regiments Miguel gelang es dem Rest des tapfern Regiments Sachsen das linke Ufer zu erreichen. Bis nach 8 Uhr wüthete der Straßenkampf, erst ein heftiges Gewitter und die Dunkelheit machten ihm ein Ende.

Wie wüthend der Kampf gewesen, zeigt, daß trotz der geringen Truppenzahl, die wirklich zum Gefecht kam – von den Franzosen drei, von Seiten der Oesterreicher zwei Brigaden – der Verlust der erstern allein 15 todte und 56 verwundete Offiziere, darunter zwei Generale betrug. Die Division Bazaine verlor allein 800 Mann.

Nach dem Treffen von Melegnano wurde alsbald der Rückzug der Oesterreicher gegen den Mincio und Chiese fortgesetzt, am 10ten die Brücke bei Pizzighettone und Lodi zerstört, am 16ten stand die Armee bereits wieder schlagfertig am Chiese, auf den Gardasee, Peschiera und Mantua gestützt; kampflustig und bereit zu schlagen, wie der Feldmarschalllieutenant Ramming bereits am 14ten im kaiserlichen Hauptquartier zu Verona meldete, und in der That bestand auch Anfangs, auf den Rath von Heß, die Absicht, von hier aus wieder die Offensive zu ergreifen.

Aber leider verhinderte das Schwanken der Meinungen den wirklichen Entschluß.

Der einzige Gewinn der Armee war die Entlassung des Grafen Gyulai. Selbst seine Beschützer fühlten, daß er nicht länger zu halten war und der allgemeinen Mißstimmung und dem erschütterten Vertrauen ein Opfer gebracht werden mußte. Am 16. Juni ward der Feldzeugmeister zum Kaiser nach Villafranca berufen und bat hier um seine Entbindung vom Kommando, die sofort ertheilt wurde.

Der junge Kaiser selbst übernahm den Oberbefehl und verkündigte dies zwei Tage darauf, durch eine Proklamation der Armee; Heß trat an die Spitze der Operations-Kanzlei, der tapfere und fähige General Ramming wurde Souschef des Generalstabs. Das Kommando der ersten Armee behielt Feldzeugmeister Graf Wimpffen, das der zweiten Armee der aus Ungarn berühmte Reiter-General Graf Schlick, ein Veteran von 70 Jahren. Unter den Divisions- und Brigade-Generalen fanden gleichfalls vielfache Veränderungen statt und am Schlachttag von Solferino führte die Hälfte der Divisionairs und ein Dritttheil der Brigadiers zum ersten Mal die ihnen untergebenen Truppen, ein von vorn herein mißlicher Umstand.

Am 16ten gleich nach der Entlassung Gyulai's wurden die Couriere aus dem Hauptquartier abgeschickt, um den weitern Rückzug der Armee zu verhindern – aber sie kamen zu spät, ein Theil der Armee hatte bereits den Mincio erreicht, und da man das Heranziehen des französischen Corps unter dem Prinzen Napoleon von Toscana her in der Flanke besorgte, wurde der Rückzug über den Mincio fortgesetzt und am 20. und 21sten ungestört beendet.

Freilich hatte man dabei der schlechten Kopie des großen Onkels zu viel zugetraut; – der Prinz Napoleon war keineswegs sehr beeilt, mit seinem Corps die Oesterreicher anzugreifen, hatte am 31. Mai sein Hauptquartier in Florenz genommen und erreichte erst nach der Schlacht von Solferino Parma. Der Kaiser hatte ohnehin weniger auf seine Hilfe gerechnet und mit seiner Detaschirung nach den Herzogthümern mehr die Absicht verfolgt, diese dem Einfluß der italienischen Bewegung zu entziehen und die Entscheidung in Mittel-Italien in der Hand zu behalten. Die Herzogin-Regentin hatte am 9. Juni bei der Räumung von Piacenza Parma wieder verlassen und sich nach der Schweiz begeben, der Herzog von Modena vermochte sich gegen die Revolutionspartei gleichfalls nicht zu halten und war einige Tage später über Brescello in das Hauptquartier des Kaiser Franz Joseph gegangen. Die Legationen waren gleichfalls von den Oesterreichern geräumt und Ferrara – das doch den untern Po und somit Venedig deckte – aufgegeben worden. In den Herzogthümern und den Legationen verlangte die italienische Partei bereits offen die Vereinigung mit Piemont.

Schwerer und entscheidender noch wogen für den Entschluß des Rückzugs der österreichischen Armee die jetzt immer offener zu Tage tretenden Mängel in dem Verpflegungssystem. Jene schändlichen Betrügereien, die später die Ursache mehrfacher Untersuchungen in Wien und Triest wurden und den Selbstmord des Generals Eynatten herbeiführten, zeigten bereits ihre Früchte. Die Truppen wurden auf das Mangelhafteste verpflegt, oft fehlten die Brodlieferungen, weil entweder keine Bäckereien vorhanden waren oder das Brod bergehoch auf dem Bahnhof zu Verona aufgestapelt liegen blieb; ganze Kolonnen-Magazine blieben aus und selbst die Ernennung des Feldmarschall-Lieutenant Melczer zum Armee-Ober-Intendanten vermochte das seither Versäumte und Unterlassene in diesem Augenblick nicht gut zu machen. Dazu war die Zahl der Verwundeten und Kranken so bedeutend gestiegen, daß um das kaiserliche Hauptquartier zu Verona bereits an 50 000 Mann in den Spitälern lagen. Diese Lage war so entsetzlich, daß man sich entschließen mußte, auf jede Gefahr hin den ganzen Bestand aus Italien fortzuschaffen und täglich mindestens 1200 allein auf der venetianischen Bahn nach den innern Provinzen zurückzusenden.

Am 22. Juni stand die österreichische Armee in einer 4 Meilen langen Stellung hinter dem Mincio mit drei Korps vorwärts desselben. Vier Brücken vermittelten den Uebergang. Der rechte Flügel stützte sich auf Peschiera und den Garda-See, der linke auf Mantua. Das Hauptquartier der zweiten Armee war bei der unglücklichen Eintheilung in zwei besondere Armeen in Valeggio, das der ersten in Roverbella, das des Kaisers in Villafranca auf der Straße von Verona nach Mantua. Die Stärke der Oesterreicher betrug jetzt etwa 160 000 Mann mit 800 Geschützen. Alles fühlte, daß es hier zu einem entscheidenden Kampf kommen mußte und drängte danach.

Die Armee der Verbündeten war langsam dem Rückzug der Oesterreicher gefolgt – man war trotz des Sieges von Magenta in 16 Tagen nur 16 Meilen – vorgegangen. Sie hatte am 21sten den Chiese zu überschreiten begonnen und stand an beiden Ufern desselben, das Hauptquartier des Kaiser Napoleon in Castenedolo. –

Unsere Darstellung muß jetzt die allgemeinen Dispositionen verlassen, um sich mit den Bewegungen des Garibaldi'schen Freicorps zu beschäftigen.

General Garibaldi war nach dem verunglückten Angriff auf Laveno am Lago Maggiore, wie wir wissen, nur durch den Sieg von Magenta aus seiner gefährlichen Lage befreit worden, aber er war ganz der rastlos thätige, entschlossene und kluge Parteigänger, der jeden Vortheil benutzte und dessen Kriegsprogramm allein das »Vorwärts« war! Er folgte daher im Norden an den Alpen entlang Schritt um Schritt dem Rückzug der Oesterreicher aus der Lombardei, nachdem er am 10ten in Mailand eine Zusammenkunft mit dem Kaiser Napoleon und dem König Victor Emanuel gehabt hatte.

Es war das erste Mal, daß der Kaiser seit jener Vorstellung im Salon des Herrn Baroche, als er selbst noch das intriguirende Mitglied der Nationalversammlung war, den berühmten Condottieri persönlich wiedersah, der seitdem – 1849 in Rom – seine Generale so ruhmreich, wenn auch nicht glücklich bekämpft hatte und von dem er argwohnte, daß er dem Attentat vom 14. Januar und der beabsichtigten Erhebung nicht fremd gewesen sei.

Das Zusammentreffen dieser beiden Männer, der beiden hervorragendsten Typen der Revolution, war daher von besonderem Interesse. Der ehrliche Charakter des Generals ließ ihn auch hier gerade und offen sein Ziel verfolgen und er sprach von der Befreiung Italiens von der deutschen Herrschaft und der Vereinigung der ganzen appeninischen Halbinsel als von einer selbstverständlichen Sache und in einer Weise, die dem König Victor Emanuel verschiedene Verlegenheiten bereitete. Der Kaiser schien dies jedoch nicht zu beachten, machte dem General sehr schmeichelhafte Komplimente über seine Waffenthaten und hielt sonst die Unterredung in den Gränzen der Verständigung über die nächsten militärischen Maßregeln. Von den französischen Generalen wurde dagegen der berühmte Freischaarenführer sehr kühl behandelt und er überzeugte sich sehr bald, wie Recht Mazzini hatte, und daß der sardinische Premier seine einzige Stütze war. Stolz und im Bewußtsein seines redlichen Willens und seiner Verdienste um sein Vaterland zog auch er sich zurück und selbst die Ovationen, welche die Begeisterung der Mailänder seiner Person und seinem Namen zum großen Aerger der Franzosen und Sardinier brachten, konnte ihm den Eindruck nicht verwischen. Verstimmt, aber mit dem Entschluß, so unabhängig als möglich den Kampf zu führen, kehrte er nach Como zurück. – Man will wissen, daß jene Unterredung nicht unwesentlich mit dazu beigetragen hat, den Kaiser Napoleon zu dem Entschluß zu stimmen, der später so rasch den Feldzug beendete und das »Frei bis zur Adria!« desavouirte.

Am 8ten schon hatten die Freischaaren Bergamo besetzt und drangen jetzt, ohne das Vorrücken des Hauptcorps abzuwarten, auf die Nachricht am 11ten, daß Brescia geräumt werde, über die Mella vor. Die Bevölkerung von Brescia, bekanntlich eine der unruhigsten und fanatisirtesten von ganz Italien, empfing sie am 13ten mit Jubel.

Auf diesem Marsch und in Folge der Schlacht von Magenta strömten dem General zahlreiche Freiwillige zu, so daß bald seine früheren Verluste ersetzt waren. Einzelne Abtheilungen wurden in das Valtellin – das obere Adda-Thal, – und das Val Camonica, das obere Thal des Oglio, detaschirt und bedrohten somit bereits die tyroler – also die deutsche Gränze und die Alpenpässe.

Nachdem in der Nacht zum 15ten die piemontesische Avantgarde, in Brescia angekommen, war Garibaldi nach dem Chiese vorgegangen, um bei Ponte San Marco eine Brücke zu schlagen und das westliche Ufer des schönen Gardasees gegen Südtyrol hin zu besetzen.

Seine nach Castenedolo hin detaschirten Vorposten geriethen dabei jedoch mit der Arrieregarde des nach dem Mincio abziehenden Corps Urban, mit der Brigade Rupprecht, in Kampf. Die Alpenjäger wurden mit bedeutendem Verlust zurückgeworfen und Garibaldi selbst war in Gefahr, abgeschnitten zu werden. Nur der Umstand, daß der König Victor Emanuel von Brescia aus die ganze Division Cialdini zum Beistand sendete, rettete die Freischaaren, und General Urban zog sich vor der Uebermacht zurück.

Es ist hier wohl die Gelegenheit, der Proclamation zu erwähnen, mit der dieser energische und strenge Krieger das ihm vom Kaiser übertragene wichtige Amt des Festungskommandanten von Verona antrat. Ihr Schluß lautete:

»Damit die Bewohner wissen mögen, mit wem sie es zu thun haben, erkläre ich, daß mir als ehrlichem Oesterreicher Jedermann vertrauen kann, und daß ich Keinem von Euch traue!«

Mit diesem Rückzug der österreichischen Truppen breiteten sich die Freischaaren am westlichen Ufer des Garda-Sees aus und drangen bis Gargageano gegen Tyrol vor. –

 

Es war gegen Abend des 21. Juni, einem Dienstag, als an dem Ufer des Sees in der Gegend von Maderno, zwischen Salo und Toscolano, ein sehr lebendiges militärisches Treiben herrschte. Gruppen der garibaldischen Alpenjäger, die ihre Gewehre zusammengesetzt hatten, lungerten mit der gewöhnlichen Fahrlässigkeit und Willkür der Freischärler im Dienst am Ufer umher, vergnügten sich wie die Kinder, Steine auf den Wasserspiegel zu werfen oder andere Spielereien zu treiben, – einige Wenige setzten ihre Waffen in Stand, und nur eine kleine Anzahl war beschäftigt, mit Hilfe der Fischer und Schiffer aus dem Ort neun große Barken am Ufer in Stand zu setzen und mit allerlei Munition zu versehen.

Zwei Gruppen verdienen unsere nähere Aufmerksamkeit und zeigen dem Leser bekannte Figuren.

Auf einer Erhöhung des Ufers, ein Stück Brod und eine Zwiebel verzehrend, anscheinend sich wenig um die Anstalten umher kümmernd, saß der schurkische Gehilfe des Wechsler Mortara von Mantua, der bucklige Spion. Seine Anwesenheit unter den Freischaaren, nachdem er kaum drei Wochen vorher im Hauptquartier des österreichischen Oberbefehlshabers seine Nachrichten von dem Linksmarsch der alliirten Truppen verwerthet hatte, schien ihn wenig zu tangiren und war offenbar der Beweis, daß er auf beiden Seiten sein löbliches Handwerk betrieb. Daß er außerdem auch das eines gewöhnlichen Spitzbuben nicht aufgegeben hatte, zeigte die Gesellschaft, in der er sich befand. Diese bestand in Niemand Geringerem, als seinem Raubgenossen von Mantua und dem Monte Cenere her, dem Henker Janko's, dem Wolfsjäger Szabó.

Der Wilde schien einen seiner lichten Augenblicke zu haben, in denen seine verdüsterte, haß- und grimmerfüllte Seele sich nicht blos mit seinen blutigen Erinnerungen beschäftigte, sondern im Stande war, den giftigen Rathschlägen und neuen Verlockungen seines kleinen Gefährten zu lauschen. Es war die grimmige rohe Bestie der menschlichen Wildniß, die brutale Kraft neben der Bosheit und List der Schlange. Obschon er ihn zuweilen, in den rohen Ausbrüchen seiner Wuth, sogar mißhandelte, schien der Henker doch eine gewisse Neigung für den kleinen buckligen Schurken zu empfinden und tätschelte ihn oft wie ein Kind, obschon der boshafte Schelm so alt war, wie er selbst.

»Bizony!« lachte der Henker, der um den Hals geknotet einen grauen österreichischen Offiziermantel und dazu ein Paar rothe französische Hosen trug, beides Dinge, die er auf dem Leichenfeld von Magenta in der Nacht nach der Schlacht erplündert – »sag' ich Dir Bursch, war der Kerl nix todt und nur das Bein zerschossen. Kutya teremtete! hat sich der Schuft gewehrt wie toll, als ich ihm wollte abnehmen die Uhr, um die Du mich willst bestehlen Spitzbub, bis ich ihm einschlug den Schädel mit meinem Stock da, mausetodt. Gieb zurück die Uhr Kleiner, oder schlag' ich Dir auch den Kopf ein!«

Abramo schien aber wenig Lust zu haben, die schwere goldene Uhr und Kette, die er seinem Gefährten abgelockt hatte und in der Hand wog, wieder zurückzugeben. Er ließ sie vielmehr mit einer geschickten Bewegung in die weite Tasche seines Rocks gleiten und wandte sich mit einschmeichelndem Grinsen zu dem Slowaken.

»Was soll Dir doch nützen die Uhr, Szabó, mein Freund,« sagte er begütigend. »Du würdest zerdrücken das Ding, das ist leichter Tomback, daß es hätte gar keinen Werth mehr.«

»Teremtete! ich dachte, es wäre Gold!« murrte der Henker.

»Unsinn, Freund Szabó, – verlaß Dich auf mich, der ich zwanzig Jahre bei dem ersten Juwelier der Welt gewesen bin – mögen alle bösen Engel seine undankbare Seele verderben! Es ist Tomback und höchstens werth fünfzehn Lire, der ganze Bettel. Trink, Szabó, mein Freund!« Er reichte ihm eine jener runden Holzflaschen, welche die österreichischen Soldaten tragen. »Es ist ächter Rum, und daß Du siehst, daß ich haben will keinen Vortheil an Dir, werd' ich Dir geben die vollen fünfzehn Lire.«

Dem Slowaken schien der Handel doch nicht so ganz richtig, denn er setzte die Flasche vom Munde ab. »Zeig' die Uhr noch einmal her, Kleiner! Bei der Hölle, schlag' ich Dich mausetodt, wenn Du mich wieder betrügst, wie mit dem silbernen Leuchter, dem einzigen Ding, das ich aus der Kirche stahl, als sie uns beinahe beim Kragen hatten!«

»Daß Du verschwarzen sollst!« rief der Jude giftig und zugleich erfreut, das Gespräch auf einen andern Gegenstand bringen zu können. »Hast Du mich nicht gelassen damals schändlich im Stich, als Du gelaufen bist davon und hast zugeschlagen die Thür, daß ich nicht habe gekonnt heraus und bin geworden gefangen, Du und der Andrea, den die Herrn Franzosen haben erschossen bei Palestro, als er geplündert hat die Todten, was doch ist ein Recht blos von die Herrn Zuaven und ihren Kameraden! Wenn ich Dich anzeig, daß Du hast gemaust die Uhr und den Herrn Offizier todtgeschlagen, der sie hat nicht hergeben wollen gutwillig, werden sie nicht machen mit Dir viel Federlesens und Dich hängen an Deinem eigenen Strick!«

Der Wilde hob grimmig die Hand bei der Drohung, um sie auf dem Schädel seines Genossen fallen zu lassen, aber der Kleine wich dem Schlage behend aus, hielt ihm die Flasche entgegen und sagte listig: »Sei kein Narr, Starker, und laß uns halten Frieden. Was hätt' ich davon, wenn ich Dich wollte anzeigen, daß Du würd'st gehangen? Hier nimm die fünfzehn Lire und die Flasche dazu und wir wollen machen hoffentlich noch manchen Handel und manchen Tausch. Die Villa drüben über'm See steckt voll von Gold und Reichthum und wenn Du aufthust Deine Augen und brauchst Deine Hand, bist Du heute Nacht ein gemachter Mann!«

Der Wolfsjäger brummte etwas in den Bart, steckte aber das Geld ein und trank den Rest der Flasche aus. »Baszom a lelkedet!« schwor er – »Du weißt, daß der Szabó keinen Freund im Stich läßt in der Gefahr – aber die Thür flog mir unwillkürlich aus der Hand und wenn sie mich hätten erwischt, würden sie mich sicher gehangen haben, wo Du mit Deinem Schlaukopf Dich durchgelogen hast. – Aber wissen möchte ich doch, wie Dir's gelungen ist, wenn sie Dich nicht etwa deshalb haben laufen lassen, weil sie zwischen Deinem Kopf und Deinen Schultern keine Stelle finden konnten, um die Schlinge anzubringen.«

Der Kleine warf ihm einen giftigen Blick über diese Anspielung auf sein körperliches Gebrechen zu, dann sagte er: »Erinnerst Du Dich an den Baas, den jungen Rabbi, der gekommen ist in unser Lager an jenem Abend, nachdem er entsprungen war aus dem Kloster?« »Baszom! das Milchgesicht! hol der Teufel alle Kuttenträger: Was ist mit ihm?«

»Nun, ich meine doch, daß der Teufel dicht genug ist auf seinem Nacken. Ich, denke, er wird büßen müssen noch einmal mit dem Strick für unsre Sünden, wie Ihr sagt, daß Euer Messias gebüßt hat für Alle!«

»Hund von Juden, lästere nicht! Was den Pfaffen anbetrifft, so mögen sie meinetwegen alle baumeln. Aber ich verstehe nicht, was wir dabei zu thun haben, es müßte denn sein, daß ich mein altes Handwerk an ihm üben soll!«

»Er hat doch einen Feind, einen mächtigen, was weiß ich, warum? und er will ihm gehen an's Leben. Du bist ein Thier, das nur versteht, wenn man sagt: da – schlag zu! oder: nimm! Aber ich hab doch erlauscht und erkundschaftet Mancherlei und weiß, daß es ist ein Geheimniß mit ihm und daß er sein muß von vornehmer Geburt. Aber wenn er hat Feinde, hat er doch auch Freunde, und wer bezahlt den Abramo am Besten, der wird haben seinen Beistand. Siehst Du dort sprechen die Zwei zusammen?«

»Den Offizier?«

»Ja und den Mann mit dem dunklen Gesicht, der ist ein Chaldäer, ein gelehrter Arzt aus Afrika drüben überm Meer, wie die Leute erzählen!«

»Du hast mir gesagt, daß der Offizier ist derselbe, der mit dem Kuttenträger im Kloster war und wie Du gefangen wurde?«

»So ist's – er ist doch die rechte Hand von dem großen General. Hast Du gesehen, wie er mit ihm spricht? Nun höre, Szabó und streng an Dein Gehirn, denn ich werde vielleicht brauchen Deine Hilfe. Der weise Mann dort, der große Doktor, hat mich gefragt, als er gehört hat, daß ich bin ein Spion, der ihnen bringt Nachricht aus dem Lager der Tedeschi – die Narren! – ob ich kenne den jungen Priester Felicio, der ist bei dem Prälaten aus Bologna, welcher hat große Macht und Einfluß unter den Christen und ist ein Licht ihrer Kirche. Ich habe ihm gesagt, daß er ist in Verona und in strenger Clausur. Ich soll ihm bringen einen Brief, den er mir hat gegeben für ihn und soll ihm helfen zur Flucht.«

»Und was willst Du thun?«

Der Bucklige lächelte verschmitzt – es war offenbar, daß er nicht Lust hatte, seinem Gefährten volles Vertrauen zu schenken, und daß er ihn blos so weit benutzen wollte, als er seine rohe Kraft brauchte.

»Was ich werde thun? Gott Moses – wie kann ich wissen das vorher? Der weise Doktor dort hat mir versprochen eine gute Belohnung, wenn ich bringe diesen Brief dem jungen Rabbi und helfe ihm zur Flucht. Aber was thu ich mit dem Versprechen – wer zahlt baar und am meisten, der hat uns.«

»Und was soll jetzt geschehn, Buckliger?«

»In einer halben Stunde wird doch gehn die Sonne unter und das Dunkel wird liegen auf dem See, daß sie nicht sehn die Boote. Der große Simson, unser General, wird abschicken seine Krieger, daß die eine Hälfte nimmt das Schiff und die andere landet am Ufer und erschlägt die Deutschen, die nicht einmal sind Deutsche, sondern aus dem Land Ungarn und der Türkei, wie ich mir hab' sagen lassen. Wir aber werden folgen in dem Boot mit unserm Freund dem Mylord, der ist so toll darauf, zu schießen die Weißöck, wenn er's thun kann ohne Gefahr, und es müßte zugehn mit großem Unglück, wenn sie sich abgeschlachtet haben und wir nicht erwischen sollten dann von der Beute Etwas für uns, ohne daß wir tragen unsere Haut zu Markte, wie die Narren. Ich werde dann Gelegenheit finden, zu gehn nach Verona, und zu machen mein Geschäft, eh' wir wieder treffen zusammen.«

Der Slowak starrte vor sich hin, dann wandte er seine gerötheten Augen auf den Gefährten.

»Höre, Abramo,« sagte er mit ungewöhnlicher Milde des Tons – »Du bist ein Schurke, schlimmer als der Teufel selbst – aber ich habe Dich lieb, weil wir Kameraden gewesen sind bei mancher schlimmen That, und selbst ein Kerl wie ich doch Etwas haben muß, an dem er hängt. Du sprichst davon, daß wir uns wieder treffen werden, wenn Du zurückkehrst von Verona?«

»Cospetto – das versteht sich. Zwei so gute Kameraden, wie wir, werden uns doch nicht sollen trennen? Wir werden noch machen zusammen manch gutes Geschäft!«

Der Henker schüttelte den Kopf.

»Wir werden uns wohl nicht wieder sehen, Abramo und darum, fene eggemek! behalt meinetwegen die Uhr und nimm Deine fünfzehn Lire zurück, aber gieb mir Branntwein, wenn Du noch welchen hast; denn seit sie mir diese Nacht erschienen, möcht ich, ich hätte den Offizier nicht auf den Kopf geschlagen!« Der Kleine sah seinen Gefährten teilnehmend an; es war nicht das erste Mal, daß er so sprach.

»Ich glaube, Du bist wieder krank, Freund,« sagte er egoistisch besorgt. »Geh zum Doktor dort, und bitt' ihn, Dir abzuzapfen ein Maaß Blut. Es ist schade, denn Du wirst taugen heute wenig zu dem Zug!«

»Meinst Du? – Laß meine Faust nicht Deinen Arm fassen, sie würde ihn zerbrechen wie Rohr! Was soll mir der Doktor? Hörst Du nicht, daß ich gesagt habe, daß sie mir erschienen ist? Teremtete! gieb mir zu trinken, Schurke!«

Der Bucklige holte aus einer seiner weiten Taschen eine zweite Flasche und reichte sie seinem Gefährten.

»Wer ist Dir erschienen, daß es Dich gemacht hat so schwach?«

»Wer anders als die Wolfsbraut!« Der Wilde hatte den Namen nie vor dem Ohr seines Gefährten genannt, dieser sah ihn daher erstaunt an.

»Die Wolfsbraut?«

»Oder Hanka – wenn Du's besser verstehst! Weißt Du nicht, daß sie jede Nacht, wenn ich schlafe, ihren blutigen Leib an meine Seite legt?«

Der kleine Jude rückte mit unwillkürlichem Grauen einen Schritt von seinem Gefährten weg. Obschon er ein verzweifelter Halunke und zu jeder Nichtswürdigkeit fähig war, konnte er sich doch von dem Aberglauben nicht los machen.

»Szabó, mein Freund,« sagte er – »es hat Dich getroffen der böse Blick!«

»Hund von einem Juden – ihr Auge war diesmal mild und lieblich, wie ich es nie wieder gesehn seit jenem unglücklichen Tage der Mägdeschau. Nur das Todtenauge des Wudkoklaks grinste mich an, wenn der zerrissene Leib sich an meine Seite legte seit mehr als zehn Jahren jede Nacht, und immer Blut und wieder Blut verlangte. Darum erschlug ich den Offizier und habe so Viele erschlagen – nicht, daß ich mich an ihrem Todeskampfe weiden mochte, wie der Schurke von Engländer dort, sondern weil ich Blut brauchte für den Vampyr!«

Der Bucklige erbebte. Die Sage vom bösen Blick und dem Vampyr ist in allen südlichen Landern, nicht blos in den slavischen verbreitet, wenn auch die letztere in diesen mehr ausgeprägt ist.

»Höre mich an, Abramo,« sagte flüsternd der Wolfsjäger, dem es Bedürfniß zu sein schien, sein Herz auszuschütten. »Seit jenem Tage ist sie, wie ich Dir sagte, mir nur mit dem blutig zerrissenen Leib erschienen, wie der Wolf sie auf dem Brautbett ließ in der Nacht, da ich mit meinen Zähnen seine Fesseln löste und ihn auf sie hetzte! Baszom! selbst als ich ihn den Wölfen hinwarf zum Fraß, den Schurken, tausendmal schlimmer als wir Beide, der mir mein Gluck stahl, kam sie so! Aber in der vergangenen Nacht, Abramo, als ich am Feuer lag dort in der Schlucht am Ufer des Sees und auf Dich harrte, da trat sie zu mir, wie zur Hochzeit geschmückt mit der Bunda von Luchsfell, die ich ihr geschenkt, mit der golddurchwirkten Parta und dem Frangengürtel! Ihr Auge war wie das des Rehs vor jenem Unglückstag, wenn sie zu mir kam in die Pußta, und sie lächelte, wie die Sonne durch den Nebel der Theiß und sprach zu mir vom Bonifaciustag, und daß der Török, ihr Bruder, kommen würde zu unserer Hochzeit!«

»Ein lustiger Traum, Schwarzer,« höhnte der Bucklige. »Beim Haupte Jakobs, ich kann mir Dich denken als geputzten Hochzeiter!«

Der ehemalige Sauhirt hörte nicht auf den Spott, er hatte das mit den ergrauenden wilden Haarzotteln umgebene Haupt auf die Hand und den Ellbogen auf das Knie gestützt – so schaute er auf die Fläche des Sees, die im letzten Gold der Abendsonne erglühte.

»Sie müssen Alle zur Hochzeit kommen,« sagte er halb unbewußt vor sich hin, »der Török und die Mutter, der Rózsa und sein Weib, Abrahám und die andern Betyáren. Auch Petrike, der Zigeuner, mit seiner Geige muß dabei sein, den ich an die Thurmzinne henkte in Enyád, damit er uns aufspielt zum Tanz, wenn der Staregessy uns aufführt. Wenn die Hanka erst des Szabó's Weib ist, kann selbst der stolze Graf sie nicht mehr unter die Strapazirmenscher zählen und der Pandur muß auf seinem Bett allein schlafen! –« Plötzlich fuhr er empor.

»Sagtest Du nicht vorhin, Buckliger, daß drüben am Ufer die Seresfaner stehn?«

»Du meinst die Gränzer, Freund Szabó? Eine Kompagnie steht dort – ich habe es Seiner Excellenza, dem General gemeldet, und die Freischaaren werden sie angreifen.«

Das Aussehen des KanászSchweinehirt. – Villafranca I. Theil: Die Strapazirmenscher. hatte sich geändert – der Ausdruck tiefer Melancholie war wieder aus seinen rauhen Gesichtszügen verschwunden, die blutig unterlaufenen Augen glühten wieder in wildem Feuer. »Isten nyéla!« knirschte er – »tragen sie freilich nicht mehr die rothen Mäntel, aber sind doch die alten Hunde auch in den braunen Röcken! – Die Hand meinigte muß dabei sein, wenn der Tod in ihre Reihen kommt und die Hanka soll ihre Opfer haben, auch wenn sie solche nicht fordert. Mach Dich fertig Kleiner, wir wollen dem Engländer dort helfen, Boot seinigtes bereit zu machen für die Nacht!«

Er war aufgestanden und ging nach dem Ufer hinunter, wo in der That Kapitain Peard sich wiederum befand und seinem langen Schlingel von Diener und zwei Schiffern Anleitung gab, ein altes leckes Boot eiligst wieder in Stand zu setzen, um der Fahrt des zum nächtlichen Ueberfall bestimmten Detaschements folgen zu können. Die Lection, die er durch seine Gefangennahme auf schweizer Gebiet in den Schluchten des Monte Cenere erhalten, hatte ihn von seiner Inclination nicht zu heilen vermocht und, von den schweizer Behörden freigelassen, hatte er sich alsbald wieder den Alpenjägern angeschlossen, deren Führer ihn wenigstens nicht offen zurückweisen mochten, um nicht bei der englischen Presse anzustoßen, die sich bekanntlich jedes Landsmannes, und wenn er der niederträchtigste Schurke ist, gegen das Ausland annimmt. Ueberdies hatte General Garibaldi, wie wenig sein ehrenhafter Charakter auch Sympathieen für den englischen Mörder aus Liebhaberei empfinden konnte, durch den Gang der Ereignisse bald Wichtigeres zu thun, als sich um die Anwesenheit eines Abenteurers mehr oder weniger bei seiner Truppe zu kümmern, und so hatte der Kapitain volle Freiheit erlangt, nach Belieben und auf seine Gefahr hin den Freischaaren voranzuziehen oder ihnen zu folgen und auf eigene Hand den Krieg – wenn man diese Menschenjagd aus dem Hinterhalt so nennen kann – gegen die Oesterreicher fortzusetzen. In der Nähe von Brescia war er wieder mit dem Spion, der – je nach seinem Vortheil jetzt beiden Parteien diente – und dessen wildem Begleiter zusammengetroffen und hatte ihren alten schändlichen Vertrag erneuert.

Der Leser wird, wie schon oben erwähnt wurde, später Gelegenheit haben, zu erfahren, wie es dem Buckligen gelungen war, dem wohlverdienten Strick für die Theilnahme an dem Kirchenraub zu entgehen und sich den mächtigen Schutz des Jesuiten-Provinzials wieder zu erwerben.

Am Vormittag des Tages hatte an der Stelle, an welcher wir unsere Darstellung wieder aufgenommen haben, das heißt am westlichen Ufer des Gardasees unfern Salo ein Gefecht stattgefunden. Der österreichische Kriegsdampfer »Taxis« hatte den schützenden Hafen von Peschiera verlassen, um eine Recognoscirungsfahrt an dem Ufer entlang zu machen, zur Erforschung, ob bereits die feindlichen Vorposten bis dahin vorgedrungen wären. Der Mangel jeder Nachricht ließ das österreichische Schiff sich unvorsichtig dem Ufer nähern, und als es um einen Vorsprung bog und sich kurz vor der Bucht von Salo in den Seearm zwischen dem Ufer und den dort liegenden Inseln wagte, sah es sich plötzlich auf der Höhe von Isola di Garda einer dort aufgefahrenen Batterie gegenüber, die ihr gefährliches Feuer gegen den Dampfer eröffnete.

So tapfer auch der österreichische Kapitain und seine Mannschaft waren, blieb ihnen doch Nichts übrig, als auf das Eiligste den Rückzug anzutreten, wobei das Schiff in Brand gerieth. Nur mit Mühe vermochte der Dampfer sich aus dem Feuer zu retten und nahm seinen Weg quer über den See nach dem gegenüberliegenden Ufer, da der Kapitain es nicht wagte, den weiteren Rückweg nach Peschiera anzutreten, und ankerte bei San Vigilio, vor der Villa, welche der Banquier Mortara vor drei Jahren für die Fürstin Trubetzkoi gemiethet und wo diese seither bis auf die Zeit gewohnt hatte, die sie von ihrem Gemahl gezwungen worden war, in Paris zuzubringen oder die sie der Heilung der Wunde ihres Secretairs und Freundes, des deutschen Erziehers, in Nizza gewidmet hatte.

Am Nachmittag hatte ein italienischer Schiffer, dem es gelungen war, weiter oberhalb über den See zu setzen, dem General Garibaldi die Nachricht gebracht, daß der Dampfer in einem Zustand, der ihn zum Widerstand unfähig machte, an dem gegenüberliegenden Ufer ankere und die Mannschaft Anstalt treffe, ihn zu verlassen, und da schon am Abend vorher Abramo sich wieder bei den Vorposten der Alpenjäger eingefunden, mit der Nachricht von dem beabsichtigten Auslaufen des Schiffes aus der Festung neues Vertrauen erworben und Nachrichten über die österreichischen Posten auf dem östlichen Ufer des Sees gebracht hatte, beschloß der General, sofort den schon früher gehegten Plan eines Landungsversuches auf diesem Ufer auszuführen, um sich dort festzusetzen und dann auf beiden Seiten des Sees gegen die tyroler Alpenpässe vorzudringen.

Aus diesem Grunde sah man jetzt die Alpenjäger nebst einer Anzahl Schiffer aus der Umgegend von Salo beschäftigt, die zur Expedition bestimmten neun großen Kähne, von denen jeder zehn bis fünfzehn Mann aufnehmen konnte, in Bereitschaft zu sehen. War es gelungen, sich des gewünschten Punktes auf dem jenseitigen Ufer zu bemächtigen und ihn zu befestigen, so sollte alsbald eine größere Anzahl folgen.

Der General selbst befand sich an der Abfahrtsstelle und ordnete mit seiner gewöhnlichen Ruhe die Anstalten, die mit dem üblichen Lärmen und der übertriebenen und unnützen Beweglichkeit ausgeführt wurden, welche alle Arbeiten der Italiener begleiten. Weiter hinauf am Ufer hatte sich die Abtheilung der Jäger gelagert, welche zu der Expedition bestimmt war, und verbrachte die Zeit bis zur Einschiffung mit Gesang, Trinken, Spiel und Geschwätz, Wenige nur hielten sich, trotz der ernsten Bemühungen ihres Führers, mit der Instandsetzung und Ordnung ihrer Waffen auf.

Der Offizier, dem die Ausführung der Expedition übertragen worden, war der Adjutant des Generals, unser alter Bekannter, der Major Laforgne.

Der Major, obschon selbst in einer Schule voll Mühen und Gefahr erzogen, kannte doch zu gut den Charakter der Freischaaren, um sich mit der Erzwingung einer streng militärischen Ordnung aufzuhalten. Er wußte, daß mit diesen meist jungen übermüthigen und eigenwilligen Männern wohl ein kühner Streich auszuführen, aber schwerlich einem Angriff regulairer Truppen Widerstand zu leisten war und verließ sich daher nur auf sich selbst und einige alte Soldaten, die in fremden Kriegsdiensten ihr Leben zugebracht und als fahrende Landsknechte sich bei dem ersten Signal des ausbrechenden Krieges dem General angeschlossen hatten. Von diesen ließ er die Gewehre und Munitionsbeutel visitiren und hatte ihnen strengen Befehl gegeben, dafür zu sorgen, daß keine berauschenden Getränke in die Boote mitgenommen werden durften. Er war jetzt mit allen Anordnungen fertig und kehrte eben zu der Gruppe zurück, die sich auf der Höhe des Ufers um den General gesammelt hatte.

Der berühmte Condottiere saß auf einen Holzblock, den ihm lästigen Uniformsrock geöffnet, und zeichnete mit der Scheide seines Säbels Figuren in den Sand. Menotti, sein ältester Sohn, hatte sich zornig abgewandt, weil der General seine wiederholte Bitte, den nächtlichen Zug mitmachen zu dürfen, abgeschlagen hatte; Sacchi, der alte Freund und Kampfgefährte des Generals, beruhigte ihn. Unter den zehn oder zwölf Offizieren, die um den General her standen oder saßen, zeichneten sich die hohen schlanken Gestalten des Grafen Batthyányi und des Obersten Türr aus, die beide mit einander sprachen, während der General sich mit einem französischen Stabsoffizier an seiner Seite unterhielt.

Der Letztere war der Oberst Graf Montboisier, der Kammerherr und Adjutant des Kaisers, und von diesem am selben Morgen in das Hauptquartier geschickt, um eine combinirte Bewegung zu verabreden.

In der Gruppe der Offiziere, dem Major entgegentretend und ihm die Hand reichend, befand sich auch der Mohrendoktor, Achmet der Hacene, der treue Freund der Marquise von Massaignac. Glücklich über die Nachrichten, die er von ihr aus Paris erhalten, wo sie schon vor zwei Wochen eingetroffen war und sofort alle nöthigen Schritte gethan hatte, um sich wieder in den Besitz ihres Erbes und ihres Ranges zu setzen, obschon sie vermied, diesen durch ihr öffentliches Erscheinen geltend zu machen, hatte er auf die Kunde, die er an jenem Tage von Palestro durch Major Laforgne erhalten, seinen Abschied von dem Corps erbeten, dem er sich zugesellt, und da sein Eintritt und seine Thätigkeit überhaupt nur eine freiwillige gewesen waren, konnte derselbe ihm nicht verweigert werden und er hatte zum Bedauern aller Offiziere und Soldaten das 3te Zuaven-Regiment verlassen und sich dem Corps der Alpenjäger angeschlossen, da er hier mit Beistand des Major Laforgne leichter Verbindungen mit dem österreichischen Gebiet unterhalten und die ihm gegebene Spur einer Existenz seines Neffen verfolgen zu können hoffen durfte. Mit Hilfe des buckligen Spions hatte er in der That auch bereits Briefe mit dem Herrn von Neuillat gewechselt, der leider gerade in Venedig krank lag, und die Mitteilungen des Juden hatten ihn immer mehr überzeugt, daß mit der Person des jungen Jesuiten-Novizen ein Geheimniß verbunden war, welches der Rektor zu bestimmten Zwecken sorgfältig fest hielt, und das wahrscheinlich seine jahrelangen vergeblichen Nachforschungen nach seiner Schwester und, seit jenem Zusammentreffen der Todfeinde der Jugend an dem Körper des ohnmächtigen Trappers im Garten der Tuilerieen, – nach deren Kinde berührte! Jetzt, nachdem die zufällige Entdeckung bei jener Unterredung mit Major Laforgne und dem Grafen Montboisier auf dem Schlachtfeld von Palestro ihm auch den Beweis gegeben, daß seine unglückliche Schwester wirklich mit dem Fürsten Lichnowski getraut worden, – denn der Oberst hatte keinen Anstand genommen, ihm das von Abramo gekaufte Dokument einzuhändigen, – war seine Sehnsucht um so größer, ihr hinterlassenes Kind, den letzten Zweig seines Königlichen Geschlechts, aufzufinden.

Der General war, wie wir gesagt, in einer Unterhaltung mit dem Adjutanten des Kaisers begriffen.

»Und wann, sagen Sie, lieber Oberst, glaubt man im Hauptquartier diese Schwierigkeiten beseitigt zu haben?«

Nach den gestern eingegangenen Nachrichten sind die zerlegbaren Kanonenboote von Toulon in Genua eingetroffen und bereits verladen worden. Die Ingenieure hoffen, die fehlende Strecke der Eisenbahn von Magenta bis Mailand und die Wiederherstellung der gesprengten Brücken spätestens in vierzehn Tagen vollendet zu haben, so daß Euer Excellenz darauf rechnen können, bis zum 10. Juli die Schiffe am Ufer des Gardasees zu haben. Man wird dann die Verbindung mit Tyrol abschneiden und die Belagerung von Peschiera auch von der Wasserseite beginnen können.«

Der Condottiere lächelte. »Vorerst, Signor Colonello,« sagte er – »nennen Sie mich einfach General und lassen Sie alle Titel weg – ich liebe sie nicht! Was das Versprechen Ihres Hauptquartiers betrifft, so hoffe ich, am 10. Juli bereits auf dem Wege nach Innspruck zu sein, ohne Ihre Kanonenböte. Ich habe zwar eine ziemlich undisciplinirte Schaar unter mir, aber meine Leute haben den besten Willen, vorwärts zu gehen, und so darf ich sie nicht halten. Nehmen Sie nur Verona und Venedig – für die Alpen werde ich sorgen!«

Der Graf schwieg einige Augenblicke – er fühlte, daß er dem gutmüthigen und doch so scharfen Blick des Generals schwer würde verbergen können, daß er eigentlich eine ganz andere Mission hatte, als die einfache Benachrichtigung wegen der Ueberführung einer französischen Flotille.

»Wir werden wahrscheinlich in den nächsten Tagen einen Hauptangriff der Oesterreicher haben,« sagte er dann. »Wir zweifeln nicht an dem Sieg, aber es wird auf alle Fälle nöthig sein, unsere Kräfte zu concentriren und unsere Flanken zu decken. Auf unserer Rechten thut dies das heranziehende Corps des Prinzen Napoleon. Es genügt, um Mantua bei unserm Vorwärtsgehen zu beschäftigen. Auf unserer Linken aber, General, haben Sie diese Aufgabe. Es wäre deshalb gefährlich, sich zu sehr auszudehnen und nach Norden vorzudringen.«

Wiederum zog das bekannte flüchtige gutmüthige Lächeln über die wettergebräunten Züge des bewährten Kriegers.

Die kleinen freundlich blickenden Augen wendeten sich mit einem Ausdruck leichten Spottes auf den Abgesandten. »Cospetto!« sagte er heiter – »sagen Sie es immer frei heraus, man will, daß ich die deutschen Gränzen nicht angreife?«

»Es dürften allerdings viele Gründe vorhanden sein, General,« meinte der Oberst mit der Vorsicht des Diplomaten, »welche es nicht wünschenswerth erscheinen lassen, das Gebiet des deutschen Bundes anzugreifen. So lange wir uns auf das lombardisch-venetianische Gebiet beschränken, haben die Deutschen keine Ursache, sich einzumischen, und Preußen offenbar auch nicht den Wunsch, es für Oesterreich zu thun. Ein Angriff auf Tyrol heißt, die Hilfe Deutschlands für Oesterreich erzwingen! Der Kaiser will es nicht!«

Das Gesicht das Condottiere nahm einen ernstern Ausdruck an, sein Auge richtete sich fest auf den Abgesandten.

»Signor Colonello,« sagte er – »ich glaube, es ist Zeit, daß wir uns verständigen, da Sie mir gesagt haben, daß Sie uns die Ehre anthun wollen, einige Zeit in meinem Hauptquartier zu bleiben. Diese Herren hier« – der erhobene Ton seiner Stimme und eine Geberde rief die Offiziere näher herbei – »können unsere Unterredung immerhin hören, denn es betrifft ihre nächsten Interessen. Sie haben mich an ihre Spitze gestellt, um Krieg für die Befreiung Italiens von der deutschen Herrschaft zu führen. In dem allgemeinen Kriegsplan ist mir der Angriff auf der linken Flanke – das heißt, die Vertreibung der Oesterreicher aus dem Norden – übertragen worden. Ich habe zwar die Ernennung als General des Königs Victor Emanuel angenommen, aber es kann Ihnen.nicht unbekannt sein, daß ich eigentlich auf eigene Hand den Krieg mit den Deutschen führe und in dem Bündniß des Kaisers von Frankreich und des Königs von Sardinien als das dritte Element das italienische Volk vertrete. Das italienische Volk aber ist da, wo das Kind seine ersten Laute in unserer Sprache lallt. Wir haben den Säbel gezogen für das Recht unserer Nationalität und sind bereit, die Rechte anderer Nationalitäten zu ehren. So weit aber die unsere reicht, werden wir gehen, auch wenn zufällig die Politik der Fürsten die Gränzen Deutschlands auf dem Papier bis in den Garda-See vorgeschoben haben sollte. Abgesehen davon, hat uns die Erfahrung von Sesto Calende gezeigt, daß wir in diesem Kriege nur auf uns selbst rechnen können, und somit wird Se. Majestät der Kaiser Napoleon uns auch erlauben müssen, für Italien den Krieg nach unserm eigenen Gewissen zu führen!«

Ein stürmisches »Eviva Italia! Eviva Garibaldi« seitens der Offiziere beantwortete diese unverholene und ziemlich undiplomatische Erklärung.

Der Oberst fand es für besser, auf diese sehr offenherzigen, aber eben nicht sehr vorsichtigen Worte möglichst wenig einzugehen.

»Es ist dies eine Sache, Grcellenza,«, sagte er höflich, »die in dem Kriegsrath der Majestäten zu erörtern ist, ich habe nur den Auftrag, gegen eine Überschreitung der Gränzen des deutschen Bundesgebiets zu warnen; – und da es mir scheint, daß wir noch nicht so weit sind, habe ich Nichts weiter zu thun, als mich Ihrer Siege zu freuen.«

»Sie mögen übrigens unsere Ansicht immerhin dem Kaiser berichten,« sagte der.Kapitain Cavaliere Landucci aus dem Kreise der Offiziere barsch. »Wir fechten für unsere Nationalität, nicht für ihn, gerade wie die Ungarn. Die Proklamation Klapka's aus Genua ist uns Italienern ein zuverlässigerer Bundesgenosse, als Louis Napoleon!«

Der Oberst maß den Sprecher mit einem kalten Blick: »Sie sprechen von der Proklamation, Signor, welche die in der österreichischen Armee dienenden Ungarn auffordert, fahnenflüchtig zu werden und zu uns zu desertiren?«

Bei aller republikanischen Unverschämtheit vermochte Landucci doch nicht die Röthe zu unterdrücken, die sich über seine Stirn verbreitete.

»Von was sonst? Sollen die braven Ungarn etwa die Söldner ihres Tyrannen bleiben? Haben sie nicht eben so gut wie wir damals die Waffen erhoben, wenn sie auch von der Uebermacht besiegt wurden? Jetzt ist die Gelegenheit da, sich zu rächen und das Joch abzuschütteln. Sie mögen dem Beispiel ihrer Landsleute folgen, die bereits in unseren Reihen stehen, – wenn auch manchmal nicht fechten!«

Der Graf Batthyányi, der bisher ruhig, ohne sich mit einem Wort einzumischen oder an den lauten und leidenschaftlichen Demonstrationen der Italiener Theil zu nehmen, zur Seite gestanden hatte, wandte sich rasch gegen den Sprecher.

»Es scheint, Signor Capitano,« sagte er ernst, »daß Sie mit Ihren Worten auf mich zielen?«

»Corpo di Baccho! ich glaube es selbst! aber wenn auch irgend ein Grund oder Gelübde, wie man mir erzählt hat, Sie verhindert, Ihren Säbel gegen die Oesterreicher zu brauchen, sind Sie doch wenigstens hier und werden als Ungar fühlen und denken!«

»Gewiß, Signor! und als ungar'scher Edelmann nehme ich keinen Augenblick Anstand, meine Meinung auszusprechen!«

»Und die wäre, Signor Conte? Sie sehen, daß wir Alle etwas darauf gespannt sind.«

»Die ist, Signor, mein tiefes Bedauern, daß ein tapferer Mann, wie der General Klapka, sich durch schlechte Rathgeber hat verleiten lassen, Soldaten, und noch dazu seinen Landsleuten eine Schurkerei zuzumuthen!«

Ein Ausruf des Erstaunens, der Mißbilligung aus dem Kreise der Italiener antwortete dieser freimüthigen und ehrenhaften Erklärung. Nur der General bewahrte ein tiefes Schweigen.

»Cospetto, das ist stark! und darf ich Sie in unser Aller Namen vielleicht, wenn Ihnen dies nicht etwa mehr Mühen verursachen sollte, als das Ziehen Ihres Säbels, um eine Erläuterung bitten, Signor Conte,« sagte der Florentiner spöttisch, »warum Sie die Proklamation Ihres Landsmannes schmähen, der es wenigstens ehrlich mit der italienischen Sache zu meinen scheint?«

»Diese Erklärung, Signor Capitano,« erwiederte der Graf stolz, »ist wohl kaum nöthig. Der Soldat, der vor dem Feinde die Fahne verläßt, der er geschworen, wenn sie in Gefahr ist – gleichviel, ob er mit politischen Sympathieen dafür kämpft oder nicht, ist in meinen Augen ein Feigling und ein Verräther!«

Eine Todesblässe überzog das Gesicht des Florentiners, denn es war bekannt und von seinen Gesinnungsgenossen gerühmt genug, daß er einer der ersten Offiziere der Truppen des Großherzogs von Toscana gewesen war, welche zu den Piemontesen übergingen. Er unterdrückte mit Gewalt ein brutales Schimpfwort, aber aus seinen Augen sprühte das Feuer des verhaltenen Zorns.

»Wäre es Ihnen vielleicht gefällig, Signor Conte, mir zu sagen, mit welchem besseren Recht Sie sich hier befinden?«

»Mit Vergnügen, Signor, und ich hoffe, daß dies meine Stellung in Ihren Reihen etwas klären wird. Was mich und meine Kameraden anbetrifft, die wir bereits in der italienischen Armee dienen oder noch in ihre Reihen zu treten beabsichtigen, so hat im Jahre 1848 Ungarn offen Oesterreich den Krieg erklärt. Wir haben unser Vaterland verlassen müssen und stehen hier, wie dort, Oesterretch als offene Feinde, bis es die Rechte Ungarns anerkannt und sene Pflichten erfüllt hat, gegenüber. Wäre ich aber noch ein Soldat unter der Fahne Österreichs und stände heute unter dieser, so würde ich nie desertiren, oder ein Uebergehen zu dem Feinde für ebenso feig als schimpflich halten.«

So sehr auch diese Erklärung an einer gewissen revolutionairen Logik litt, so war sie doch so dem ritterlichen ungarischen Charakter entsprechend und so kühn und männlich, daß sie ihren Eindruck wenigstens auf die besseren Elemente der Umgebung nicht verfehlte.

»Was übrigens Ihre persönliche Bemerkung betrifft, Signor Capitano,« fuhr der Ungar fort, »so bin ich jeden Augenblick bereit, Ihnen zu beweisen, daß wenn auch der Säbel einem ungar'schen Magnaten durch Ehrenwort seinen ehemaligen Kameraden gegenüber in seine Scheide gebannt ist, er doch sehr locker sitzt, wenn es gilt, die Beleidigungen eines Dritten zurückzuweisen!«

Ein Paar der Garibaldiens klatschten in die Hände. »Brava! brava! – Ein Duell!«

Der Graf Montboisier von der einen und Major Laforgne von der andern Seite waren dem Grasen sofort nahe getreten, gleich als wollten sie ihm ihren Beistand anbieten.

Aber ein Anderer kam ihnen zuvor.

Der General hatte sich erhoben. Seine Miene hatte keinen Augenblick den Ausdruck der gewöhnlichen Ruhe und Milde verloren.

»Signor Landucci!«

»Signor Generale!«

»Rufen Sie augenblicklich Ihre Abtheilung zusammen und begeben Sie sich in die beiden Boote, welche zu Ihrer Aufnahme bestimmt sind!«

»Aber General – Sie haben, gehört – –«

Garibaldi zog seine Uhr. »Ich hoffe, Sie haben meine Worte verstanden. In zehn Minuten werden die beiden Boote abstoßen und in der Entfernung von fünf Faden vom Ufer liegen bleiben.«

Unter den Umstehenden, deren Kreis sich durch eine Menge Freischärler verdichtet hatte, die bei dem sehr ungenirten Ton und dem Umstand, daß unter den Soldaten ein großer Theil den bessern, oft den höchsten Ständen angehörte, außer dem Dienst mit den Offizieren fraternisirten, – erhob sich ein Murren der Mißbilligung. Man wollte sich erstens nicht die Unterhaltung eines Zweikampfs entziehen lassen und andererseits Partei für den Italiener zeigen.

»Verzeihen Sie General, wenn ich diesmal nicht gehorche, aber meine Ehre steht auf dem Spiel.«

»Major Laforgne!«

»Hier, General!«

»Ist die Flotille zum Embarkiren bereit?«

»Ich wollte es so eben melden!«

»So lassen Sie zum Antreten blasen!«

Der Adjutant entfernte sich. Gleich darauf hörte man die Hornsignale.

Die meisten Jäger, die zu der Expedition bestimmt waren, eilten zu den Gewehrpyramiden – nur einige wenige zögerten; Landucci mit seinen Freunden befand sich darunter.

Der Freischaarenführer that, als bemerke er den Ungehorsam nicht. Er wandte sich zu dem Chef seines Stabes: »Oberst Carrano

»General!«

»Lassen Sie sofort den zurückbleibenden Zug der Scharfschützen antreten und Jeden, der Ordre zur Einschiffung hat, und beim dritten Signal nicht auf seinem Posten ist, festnehmen und ohne Ansehen der Person erschießen!«

Als ob Nichts vorgefallen, wandte er sich an den französischen Obersten. »Wenn es Ihnen genehm ist? Signor Colonello, begleite ich Sie zum Strande.«

Eben erklang das zweite Hornsignal zum Sammeln. Oberst Carrano ertheilte bereits dem Offizier der Scharfschützen seine Befehle.

Seine Freunde, Menotti, der Sohn des Generals, an ihrer Spitze, zogen den Cavaliere Landucci fast mit Gewalt von dem Platz weg nach seiner Abtheilung. »Bei der Madonna, Capitain,« sagte Menotti – »ich kenne meinen Vater! er ist im Stande, mich selber erschießen zu lassen mit nicht mehr Umständen, als man einen Alpenhasen tödtet, wenn er so spricht und ich nicht gehorchen wollte.«

Der Florentiner fühlte, daß er dies thun müsse. Im Umdrehen kehrte er sich noch gegen den ungar'schen Grafen, der jetzt allein stand, und schüttelte mit jener unnachahmlichen Geberde, mit welcher der leidenschaftliche italienische Charakter Haß und Verachtung ausdrückt, seine Hand gegen ihn. »Wir werden uns wiedersehen, Signor – nach der Expedition!«

Der Graf nickte stolz mit dem Kopf. »Bei dieser, Signore!« dann folgte er dem General zum Wasser. Die einzelnen Abtheilungen, wie sie für die acht Boote bestimmt waren, stiegen bereits ein; die Ersten waren, wie der General befohlen, Kapitain Landucci und seine Leute – Jeder hatte sich gehütet, zurückzubleiben, als das dritte Hornsignal erklang.

Die Sonne war bereits unter dem Horizont, es begann rasch dunkel zu werden, um so mehr, als von Nordwesten her aus den Alpenpässen ein scharfer Wind strich und eine schwere Wolkenbank herauf trieb.

Alles unnütze Geräusch, das Lärmen und Singen war streng untersagt worden. Die Offiziere hatten den Befehl, so bald sie auf die Höhe des Sees gelangt wären, jeden Mann, der gegen das Verbot handelte, ohne Weiteres niederzustoßen und in's Wasser zu werfen. Das Gelingen der Expedition hing offenbar von dem Schweigen ab.

Major Laforgne ertheilte den Befehl, daß die Boote abstoßen und in kurzer Entfernung auf den Rudern liegen bleiben sollten; dann trat er zu dem General, die letzten Ordres zu empfangen.

»Ihre Aufgabe, Major,« sagte der Führer, »ist, zunächst sich des Dampfers zu bemächtigen. In seinem Besitz werden Sie leicht das Ufer beherrschen und den österreichischen Posten aus seiner Stellung vertreiben können. Wahrscheinlich ist der Dampfer bereits ausgebessert, so daß er feine Fahrt wieder aufnehmen kann, oder man ist damit beschäftigt. Halten Sie in diesem Fall die Arbeiter an Bord und thun Sie alles Mögliche, damit der Dampfer morgen früh hier sein und ich Ihnen Unterstützung senden kann. Und nun, mein Sohn – Du bist Seemann und siehst, was sich dort an den Bergen braut. Du hast keinen Augenblick zu verlieren! Gott beschütze Dich!«

Er schüttelte dem Offizier die Hand, der von dem französischen Obersten, dem Ungarn und Doktor Achmet begleitet, das neunte Boot bestieg. Der General hatte Anfangs Lust, den Grafen Batthyányi zurückzuhalten, um einen weiteren Streit zu verhindern, aber er bedachte, daß ihm diese Gelegenheit entziehen, ihn noch größeren Anfeindungen und Verdächtigungen preisgeben hieße und er überließ daher die Lösung des Zwistes den kommenden Ereignissen.

Laforgne winkte noch einmal den Zurückbleibenden.

»A reviderdi

Die neun Boote stießen ab.

Sie waren noch nicht im Dunkel, das bereits auf den Wellen lagerte, verschwunden, als hinter dem Vorsprung des Felsens her, welcher die Seite der kleinen Bucht bildete, ein Kahn hervorkam und von vier kräftigen Armen gerudert, der kleinen Flotille nachfuhr.

In dem Kahn sahen außer den beiden Ruderern zwei Männer.

»Cospetto,« rief der General – »was ist das? Die Zahl der Kähne ist neun – ruft den Burschen zu, zurückzukehren, oder gebt Feuer auf sie!«

Menotti Garibaldi machte eine abwehrende Bewegung. »Es ist keine Gefahr – ich habe sie erkannt,« sagte er. »Es ist der verrückte Englander mit seinen Dienern und dem Spion. Vielleicht befreit uns eine österreichische Kugel diesmal von dem englischen Narren! Dem Juden aber hast Du selbst den Befehl gegeben, nach Verona zurückzukehren und er erfüllt ihn.«

Der General zuckte die Achseln und stieg das Ufer hinauf.

 

Es war zehn Uhr, als die Boote der Freischaaren nach einer angestrengten und gefährlichen Fahrt die Höhe von San Vigilio erreicht hatten.

Der Wind hatte fortwährend an Heftigkeit zugenommen und die Wellen gingen ziemlich hoch in jenen kurzen Stößen, wie sie dem Wasser dieses halb Berg-, halb Binnensees eigen sind und bei ungünstigem Wehen selbst die Dampfschiffe häufig verhindern, an ihrem Bestimmungsort einzulaufen.

Major Laforgne hatte die Mitte seines kleinen Geschwaders eingenommen, um dasselbe leichter beaufsichtigen und seine Befehle ertheilen zu können, indem seine Barke zugleich die Spitze bildete. Vier mit dem See wohlvertraute Schiffer von Salo und Maderno ruderten sie und der Major selbst hatte sich an's Steuer gesetzt. Außer den drei Offizieren, dem Arzt und den Ruderern trug die Barke sechs Scharfschützen, die der Major selbst ausgewählt.

»Valga, me Dios«! sagte der Graf Montboisier, »Ihr General hat Recht gehabt, Herr Kamerad, und ich hätte wirklich besser gethan, in einem der großen italienischen Betten von Salo mich den Angriffen ihrer schwarzen Bewohner geduldig preiszugeben, als mich hier von den verteufelten Wellen dieses See's zu Brei schütteln zu lassen. Ich wünschte, wir wären erst handgemein mit den Oesterreichern und auf festem Boden.«

Laforgne hatte sich mit den Ruderern besprochen. Obschon bei dem Dunkel umher es für jeden Laien unmöglich gewesen wäre, sich zu orientiren, ließ jener Instinkt, der den Seemann leitet, sie doch recht gut erkennen, wo sie sich befanden.

»Einen Augenblick Geduld, Excellenza,« sagte »der Veteran der Ruderer, einen Moment mit seinem Gegenpart die Arbeit ruhen lassend, – »wenn wir zehn Faden weiter sind, müssen wir die Lichter von San Vigilio sehen, das am Ende der Bucht ist, die uns jetzt noch die Höhen verbergen. Wenn das Schiff wirklich an der Stelle liegt, wo es der lange Pietro gesehen haben will, werden wir in einer Viertelstunde bei ihm sein. Heiliger Antonio – dieser Wind bläst, als ob er die Steine von Limone aus ihrem Grunde reißen wollte. Möge er den Tedeschi drüben Verderben bringen!«

Einige kräftige Ruderstriche brachten die Barke weiter und Major Laforgne, der sich mit der Sicherheit des Seemanns im Stern derselben aufgerichtet hatte, sah bei dem Emporsteigen des kleinen Fahrzeuges zu seiner Linken ein Licht blinken und gleich darauf anscheinend tiefer und ferner mehrere andere.

»Es ist die Villa Elena, die von den Fremden bewohnt wird und wo der Posten der Oesterreicher liegt,« berichtete der alte Schiffer. »Die Terrasse des Hauses geht nach dem Meere hinaus, bis der Fels senkrecht abfällt in's Wasser. Das da unten sind die Lichter von San Vigilio. Mögen die Heiligen ihm bald eine andere Herrschaft geben! Unter der Terrasse der Villa ist der See tief genug und hat guten Ankergrund. Wenn der Kapitain des Dampfers ein Seemann ist, wird er sein Schiff dort in Sicherheit vor dem Wogenschwall gebracht haben.«

Der Major setzte die silberne Pfeife an den Mund, um den andern Booten das Signal zu geben, so gut als sie konnten, heranzukommen. Es war nicht möglich, bei dem Heulen des Windes und dem Brausen der Wellen nähere Befehle zu ertheilen und der Major mußte sich daher auf die früher gegebenen allgemeinen und einige verabredete Signale verlassen.

Er befahl daher seinen Schiffern, weiter zu rudern und den Eingang der Bucht zum Zielpunkt zu nehmen, auf deren Seitenwand die Villa Elena liegt.

Wer je den prächtigen See auf dem brausenden Dampfer von Riva her nach Desenzano oder Peschiera durchmessen, wird sich der herrlichen Ansichten erinnern, welche die bis zur Wasserfläche niedersteigenden Ausläufer des Monte Baldo an dem östlichen Ufer bilden.

Auf einem der letzten derselben liegt die Villa Elena, dieselbe, welche der Bankier Mortara drei Jahre vorher für die Fürstin Trubetzkoi gemiethet und die sie seitdem gekauft hatte.

Wir müssen zur Erläuterung der folgenden Scenen eine kurze Beschreibung der Villa und ihrer Lage dem Leser geben.

An der nördlichen Seite der Bucht, an deren Rundung sich das uralte Pfarrdorf Garda befindet, erhebt sich, das Terrain zu einem felsigen Vorsprung, der in den See hinaus tritt und in einer Hohe von etwa 50 bis 60 Fuß an einer Stelle schroff hinabfällt zum Wasser. Dies ist das Cap San Vigilio. Auf dieser Höhe, durch eine mit Weinreben überdeckte Galerie mit den landeinwärts liegenden Hauptgebäuden der Villa verbunden, liegt ein aus einem mittelalterlichen Thurm eingerichtetes Belvedere, von dessen offenen Hellen und Platform man eine prachtvolle Aussicht über die Fläche des See's, seine schönen Ufer und die judikarischen Alpen hat, an deren Hochwänden und fernen Gletschern sich die ersten Strahlen der aufsteigenden Sonne brechen.

Offene Bogengänge, von Weinreben und Rosen bekränzt, ziehen sich an der dem See zugekehrten Seite des Plateaus entlang, bis auch hier die Terrasse durch ein, jedoch niedrigeres Bauwerk unterbrochen wird, das auf kolossalen Grundmauern wahrscheinlich noch aus der Römerzeit errichtet ist, halb Pavillon, halb Citadelle, zwei Stockwerk hoch, oben gleichfalls mit flachem Dach.

Der Fels, welcher die Terrasse bildet, endet hier und fällt weniger steil in vorspringenden Blöcken, durch die sich eine schmale und ziemlich gefährliche Treppe von roh eingehauenen Stufen windet, zum Strande hinab. Der höhere Thurm bildet das Nordende der Terrasse, der breitere, niedrigere das südliche, doch steht durch die Senkung der Terrasse die Höhe der beiden Platformen sich gleich.

Die Villa selbst, das Hauptgebäude, ist in einfachem modernem, italienischen Styl gleichfalls auf den Trümmern eines alten Forts oder einer Burg erbaut, die wahrscheinlich im Mittelalter hier stand und einem jener veronesischen Geschlechter, die um die Herrschaft der alten Römerstadt mit den Scalingern stritten, ein wichtiger Besitz war, da sie ihm große Macht auf dem Gardasee und an dessen Ufern sicherte. Das Gebäude ist ein Viereck, einstöckig außer dem Parterre, auf hohem – eben aus den Trümmern der alten Zwingburg bestehendem – Sousterrain mit Veranden und Balkons, und mit der Hauptfront, dem hallenartigen Hauptbalkon – nach dem Garten und dem See schauend, aber auch auf der Seite nach Osten mit einigen englischen Anlagen umgeben, welche die Auffahrt vom Lande her bis zur breiten Rampe in zierliche, mit Blumen-Medaillons besetzte Rasenflächen einschließen. Weiter hin liegen der Hof und die Wirtschaftsgebäude der Villa.

An dem Abend des Tages, an welchem wir unsere Darstellung auf dem gegenüberliegenden Ufer des Sees wieder aufgenommen haben, also am Dienstag den 21. Juni, befand sich eine ziemlich zahlreiche und sehr verschieden zusammengesetzte Gesellschaft in dem großen Salon des obern Stockwerks der Villa, der mit hohen Glasthüren sich auf den Balkon öffnet. Die Gesellschaft war in verschiedene Gruppen getheilt, die auf den Divans, den Fauteuils und den Plaudersopha's sich zusammen gefunden, – Whist spielten, – oder im Gespräch auf- und niedergingen, während der Samowar, der russische Theekessel, dampfte und der Wind heftig an den Jalousieen der großen Glasthüren und Bogenfenster rüttelte, von denen eine geöffnet war, um den Blick auf das Unwetter und die dunkle weißschäumende Fläche des Sees zu gewähren.

Je rauher draußen das Wetter tobte, einen desto behaglicheren Anblick gewährte das Innere des hell erleuchteten mit Comfort und Geschmack ausgestatteten Gemachs. Dennoch zeigte ein Blick auf die Gesellschaft, daß – während draußen die Elemente kämpften – auch hier genugsam Kampf und Krieg vertreten war, den die Menschen unter sich heraufbeschwören, und ein scharfer Beobachter der einzelnen Personen hätte leicht bemerkt, daß nicht blos das Kleid auf Haß und Streit deutete.

Die beiden Nebenthüren des Salons waren geöffnet und vermehrten mit den sinnreichen Einrichtungen der Decke den Luftzug, welcher die drückende schwüle Hitze draußen erträglicher machte.

In einer Ecke des Salons vor einem großen runden Tisch, auf welchem der Samowar brodelte, saß in ihrem Fauteuil die Herrin des Hauses, die Fürstin Trubetzkoi. Obschon eilf Jahre vergangen waren, seit wir sie – am Beginn unseres Buches – als Cäcilie Helene Pálffy auf flüchtigem Roß von dem glänzenden Schloß ihres Vaters zu dem Dorffeste niederjagen sahen, das ein so trauriges Ende nahm, und obgleich Scenen des Schreckens und der furchtbarsten Leiden seitdem ihr Herz zerrissen und ihre Augen umschattet hatten, war das edle blasse Gesicht doch immer noch von imponirender Schönheit und ein Ausdruck von Stolz, ja von kalter Härte hatte sich gerade heute über diese Züge gelagert, die sonst gewöhnlich nur den Ausdruck einer stillen leidenden Trauer zeigten.

Drei Tage vorher nämlich war ganz unerwartet ihr Gemahl, der Fürst Trubetzkoi von Paris über Dresden und Wien angekommen und hatte sich unter dem Vorwand eines kurzen Besuchs bei seinem Sohn in der Villa einquartiert.

Es war das erste Mal seit ihrer Trennung, ja seit ihrer ganzen unglücklichen Ehe, daß der Fürst sich einen solchen aufgedrungenen Besuch erlaubte, und es hatte allerdings sofort eine von Seiten der Fürstin ernste und bestimmte Erörterung darüber stattgefunden. Indessen der Fürst hatte sich, ganz gegen seine Natur, diesmal so ausweichend und so höflich benommen, er hatte so viel von seiner Sorge um Gattin und Sohn wegen der Kriegsgefahr gesprochen und von seiner unüberwindlichen Sehnsucht, das Kind wieder zu sehen – er hatte endlich so geschickt jede Erörterung ihres Verhältnisses zu vermeiden verstanden und erklärt, daß sein Aufenthalt nur wenige Tage dauern werde, da er alsdann nach Petersburg sich begeben müsse, – daß die Fürstin Nichts entgegnen konnte, als mit kalter Verachtung die Achseln zu zucken und ihre Einwilligung geben, um einen Scandal vor der Dienerschaft zu vermeiden.

Der Fürst hatte also eine Wohnung in den zu Fremdenzimmern eingerichteten Räumen des nördlichen Thurms bezogen, erwies seiner Gemahlin die größte Höflichkeit, schien jedoch sonst damit ganz einverstanden, daß sie sich außer den gesellschaftlichen Berührungen ganz fern und abgeschlossen hielt; denn er schien sehr viele und zum Theil – wie das scharfe Auge des Secretairs beobachtete, – sehr geheimnißvolle Geschäfte zu haben. Er schickte häufig Boten fort und bekam solche, und Tunsa erzählte an den Erzieher, daß sie in der Nacht nach der Ankunft des Fürsten gesehen, wie sein Kammerdiener einen kleinen verwachsenen Menschen durch den Garten zu ihm geführt, dessen Physiognomie ihr schon früher bei irgend einer Gelegenheit aufgefallen war. Auch hatte der Fürst sofort nach seiner Ankunft, die über Verona erfolgt war, verschiedene Besuche in der Nachbarschaft bei den Führern der dort stationirten Truppen-Detaschements gemacht und die Offiziere auf das Gastfreieste zu sich eingeladen. Selbst von Verona her kamen jetzt täglich Besuche.

Neben der Fürstin befand sich Feodora – das Geschäft des Einschenkens ihr erleichternd, während zwei Diener den starken Thee und Rum umherreichten. Der Knabe hockte neben seiner Mutter auf dem Divan, neckte sich mit Feodora und hatte es mit Eigensinn und Thränen, die der Fürst sofort mit einer Bitte unterstützte, schon zwei Mal durchgesetzt, daß die alte Kammerfrau, die ihn zu Bett bringen sollte, wieder fortgeschickt wurde.

Man rauchte, mit Erlaubniß der Hausfrau, in dem Salon. Der Fürst ging, auf seinen Stock gestützt, mit einem älteren Herrn von aristokratischem Aussehen und ruhigen eleganten Manieren in angelegentlichem Gespräch auf und nieder, das er nur zuweilen mit einer Frage an einen oder den andern Offizier unterbrach. Die Zahl derselben betrug sechs, wovon zwei, ihrer blauen Uniform nach der Marine angehörten. Es waren Beide noch junge Leute, der eine Lieutenant, der zweite Aspirant von dem Kriegsdampfer »Taxis«, der unter der Höhe des Caps ankerte, und von dem Befehlshaber desselben mit der höflichen Entschuldigung in die Villa geschickt, daß er durch den Dienst verhindert sei, den Besuch des Fürsten zu erwiedern, den dieser sofort nach der Anfahrt des beschädigten Dampfers an Bord abgestattet hatte, um die Hilfe der Bewohner der Villa anzubieten und die Offiziere dahin einzuladen. Beide saßen mit einem Huszaren-Lieutenant von dem Regiment »Kaiser Franz Joseph« an dem Theetisch.

Ein Jäger-Offizier spielte in der andern Ecke des Salons mit zwei Kameraden Karten, und an dem Fenster, dessen Jalousieen geöffnet waren, stand der Secretair und Geschäftsführer der Fürstin, Rudolph Meißner, im Gespräch mit einem jungen stattlichen Mann in halb militaitairischer, halb bürgerlicher Kleidung, der im Knopfloch seines Rockes das goldene Verdienstkreuz trug.

Die drei Offiziere am Kartentisch waren von sehr verschiedenem Aussehen. Der Jäger war ein Mann von etwa dreißig Jahren, ein Tyroler von Geburt, mit frischem gutmüthigem Gesicht, der Kommandant eines Postens in Garda am Ende der Bucht. Sein Partner dagegen trug die Uniform eines Hauptmanns von den Gränz-Bataillonen, war schon an die Fünfzig und hatte ein wildes, böses und von tiefen Narben, als hätten die Pocken arg darin gehaust, zerrissenes Gesicht. Sein ganzes Wesen hatte einen gemeinen brutalen Ausdruck und er spielte gierig und habsüchtig, ja, nur die Gutmüthigkeit des Jäger-Offiziers ließ diesen übersehen, daß er wiederholt den Versuch machte, die Unaufmerksamkeit seiner Gegner zu benutzen, um dieselben zu übervortheilen.

Der dritte Spieler war ein Mann von anderer Art. Er trug die Uniform eines Offiziers aus dem Generalstab und mochte etwa vierzig Jahre zählen. Sein Auge war intelligent, aber sein Geist offenbar mit ganz andern Dingen beschäftigt, als mit den Karten. Das Gesicht des Offiziers war regelmäßig und dennoch von keinem angenehmen Eindruck. Es lag in der zusammengezogenen Stirn, in den buschigen Brauen und um die schmalen blassen Lippen etwas Hartes, Unzufriedenes, ein Ausdruck von Mißvergnügen und Groll, der sich bis zum Haß steigern konnte.

Wir haben – indem wir diese Figur in unsere Erzählung mischen – zwar die Absicht, eine der Ursachen, vielleicht die wichtigste, aber den Wenigsten bekannt gewordene – zu bezeichnen, welche die traurige Katastrophe von Solferino für die tapfere österreichische Armee herbeiführten, aber wir bemerken ausdrücklich, daß wir hierbei genügend von der Freiheit des Schriftstellers Gebrauch gemacht und Charge und Namen des Verräthers seines Kaisers und seiner Landsleute wie auch andere Umstände vollständig verändert haben.

Kehren wir noch einen Augenblick zu der Gruppe am Fenster zurück.

Rudolph Meißner, der Secretair der Fürstin, der Erzieher ihres Kindes und ihr treuer Freund und Geschäftsführer, und deshalb von dem Fürsten im Stillen bitter gehaßt, war zwar noch immer etwas bleich und leidend an den Folgen der schweren Krankheit, die er überstanden, und in der ihn anfangs Rosamunde und dann die Fürstin und Feodora so sorgsam gepflegt hatten, aber er war doch wieder vollständig hergestellt und im Besitz seiner Kräfte, und heute strahlte auch sein offenes Gesicht und sein ehrliches Auge in ungetrübter Freude; denn der Mann an seiner Seite, dessen Hand er hielt und mit dem er so herzlich plauderte, war ja ein Freund aus der Heimat, der Bürge, daß so Manches ausgeglichen und besser geworden, der Bote einer theuren, nie geschwundenen Erinnerung und vielleicht der Verkünder einer bessern Zukunft. Und wenn auch die Kunde, die er ihm gebracht, ernst genug, wenn auch die Ursache, die ihn hierher an die Ufer des Gardasees geführt, eine traurige und düstere war, die noch mehr der Trauer und des Schmerzes bringen mußte, – alles das verschwand vor der Erinnerung an die Heimat und vor dem Gedanken, daß wenigstens sein treues Herz und seine Ehre wieder makellos in den Augen Derer dastand, an deren Achtung ihm am Meisten im Leben gelegen war.

Der Mann, dessen Hand er jetzt in der Seinen hielt, der Freund aus der Jugendzeit und der Heimat war Otto von Röbel.

Die beiden Brüder waren einige Tage vorher bei der Armee am Mincio angelangt und die warme Empfehlung des Fürsten Windischgrätz an die Oberstkommandirenden, so wie ein Brief an seinen Neffen, den Obersten des Infanterie-Regiments Khevenhäller, hatten den sofortigen Eintritt Friedrich von Röbel's in die Armee und seine Einstellung in dem Regiment des jungen Fürsten ermöglicht. Otto von Röbel hatte zwar selbst keinen Dienst genommen, aber die Erlaubniß erhalten, als Volontair sich dem Regiment anzuschließen, und die Offiziere desselben hatten die beiden Preußen auf das Kameradschaftlichste aufgenommen.

Da der jüngere Röbel in dieser Stellung noch keinen Dienst zu thun brauchte und Herr seiner Zeit war, während sein Bruder natürlich sogleich alle Pflichten des Dienstes vor dem Feind übernommen hatte, so war er von Verona aus an diesem Tage nach der Villa gekommen, wo er wußte, daß der Freund seiner Knabenzeit, der Mann, der so aufopfernd für ihn in Paris eingetreten war und ihm die Rettung seines Lebens damals bei der Erstürmung von Wien gelohnt hatte, sich aufhielt.

Er war mit der innigsten Freude von Rudolph, mit Freundlichkeit von der Fürstin und mit Achtung selbst von dem Fürsten empfangen worden, der sich der muthigen That des jungen Mannes im Circus mit einigen Bemerkungen und Fragen erinnerte, die finstere Schatten auf Otto's Stirn beschworen, denn noch wußte er Nichts von dem Wiederauffinden der Marquise und der Aenderung ihres Schicksals. Ein Brief seines Freundes Laforgne, der ihn von dem seltsamen Abenteuer in Kenntniß setzte, war auf dem Umweg über Paris erst nach ihrer Abreise eingetroffen und Briefe aus der Heimat hatte er hier im österreichischen Lager noch nicht erhalten und es war auch bei dem kläglichen Zustand der Feldpost nicht wahrscheinlich, daß er sobald deren erhalten würde.

Nur ein Auge beobachtete den jungen Mann mit einem bittern Gefühl, wenn auch nicht mit Haß oder Widerwillen. Es war das Tunsa's – Feodora's. Das ganze Wesen der Zigeunerin, das durch den Einfluß der edlen Natur ihrer Gebieterin eine so wesentliche Veränderung zum Bessern erfahren hatte, die sie aus der wilden übermüthigen Maitresse der brutalen Launen des Fürsten zu einer ergebenen aufopfernden Dienerin der duldenden Frau machte, schien seit jenem Zusammentreffen mit Rosamunde am Schmerzenslager des von Beiden so verschieden und doch so tief geliebten Mannes eine neue Wandlung erfahren zu haben. Sie war häufig in tiefe Gedanken versunken, ihr sonst so blitzendes, in seinem Ausdruck ewig wechselndes Auge starrte finster, ja oft unheimlich vor sich nieder, sie sonderte sich von ihrer Umgebung ab und liebte es, allein oder nur mit dem Knaben auf den einsamsten Wegen der Umgebung umherzustreifen. Dies hatte sie schon während des Winters in Nizza und jetzt wieder an den Ufern des Gardasees gethan, so daß die Fürstin häufig gezwungen war, bei der Gefahr, welche die kriegerische Umgebung mit solchen Gängen verknüpfte, ihr diese zu untersagen. Dabei hörte man sie jetzt, wenn sie allein umherirrte oder des Abends – was sie sehr zu lieben schien, – bis spät in die Nacht auf der Terrasse oder den Felsabhängen am See saß, die seltsamen melancholischen Lieder und Melodieen ihres Volkes singen, was sie seit Jahren nicht gethan, und der kleine Prinz vertraute seiner Mutter, wie ihm Feodora gar traurige Geschichten von Mumeli Swa und dem Zigeuner Petrike zu erzählen pflege, dessen Geige erklungen, bis der Henker ihn hinüber in das ewige Nichts gestoßen habe.

Die Fürstin verwies dem Mädchen diese Reden, aber sie brachte es nicht über sich, hart gegen sie zu sein, und da ihre Bemühungen, Tunsa wieder aufzumuntern, erfolglos blieben und sie an dem eigenen Leid zu tragen genug hatte, überließ sie sie schließlich ihren Launen, von der Zeit deren Aenderung erwartend.

Rudolph selbst war sich immer gleich gegen das Mädchen geblieben, dankbar für ihre Aufopferung und ihre Liebe, gegen die er nicht blind sein konnte, aber ruhig und ernst. Sie vermied auch seit längerer Zeit, seit seine Krankheit ihre direkte Pflege nicht mehr erforderte, mit ihm allein zu sein, und ein stilles Uebereinkommen schien zwischen Beiden getroffen, nicht die Vergangenheit zu berühren. Feodora wußte, daß der angekommene Fremde der Bruder Rosamundens, des Mädchens, zu dem sie wie zu einer Heiligen aufsah, war, und die leuchtende Freude auf dem Antlitz ihres Hausgenossen zeigte ihr, welche Botschaft dieser empfangen.

Wie es kaum anders sein konnte, bewegte sich die Unterhaltung meist in der Politik und in den Neuigkeiten vom Kriegsschauplatz. Obschon man durch die Offiziere des Dampfers erfahren hatte, daß die Alpenjäger Garibaldi's bereits auf dem westlichen Ufer des Sees schwärmten, fühlte man sich hier auf dem östlichen doch vollkommen sicher, da es bekannt war, daß die Feinde noch keine Flotille auf dem See hatten und Fürst Trubetzkoi die Nachricht mitbrachte, daß der Admiral Dupouy, welcher diese auf dem Gardasee bilden sollte, erst in diesen Tagen Paris verlassen würde. Ueberdies waren alle Landungspunkte an der Küste besetzt; San Vigilio, das unten an der Bucht lag, befand sich ein Detaschement Gränzer, deren Hauptmann eben im Salon sich mit dem Kartenspiel beschäftigte; in Garda – am Ende der Bucht – eine Abtheilung Jäger. Weiter hinab nach Peschiera standen Infanterie- und Cavalerie-Pikets.

Der Fürst spazierte mit dem Herrn in Civil auf und ab. Der Letztere konnte etwa 52 bis 54 Jahre zählen und hatte ein feines aristokratisches Gesicht.

»Sie bleiben auf jeden Fall hier, Baron,« sagte der Fürst – »und fahren erst morgen nach Verona zurück. Es ist genug, daß uns Kapitain Müller diesen Abend seines Dienstes halber verlassen muß, und in meinem Thurm drüben giebt es Raum genug. Ich bin so lange aus Italien fort, und es giebt der Ereignisse so viele, daß ich herzlich froh bin, aus so vorzüglicher Quelle zu schöpfen.«

Der Baron wandte sich mit einer höflichen Verbeugung zur Fürstin. »Wenn ich nicht fürchten darf, Ihro Durchlaucht lästig zu fallen, nehme ich die Einladung an. Ich war in Venedig nicht anwesend, als der Fürst mir seinen Besuch machte, und es war mir eine angenehme Pflicht, denselben zu erwiedern, da mich ein Geschäft nach Verona rief. Wir sind nicht mehr die Jüngsten, und eine Doppeltour von fünfzehn Miglien ist schon etwas zu viel für uns.«

»Ah – bah, Neuillat, Sie machen sich mit Gewalt alt, Sie haben sich vortrefflich conservirt und in den letzten fünf Jahren – ich glaube, wir sahen uns zuletzt in Mantua, ehe die Fürstin die Laune bekam, sich hier anzusiedeln, – fast gar nicht verändert: Schorte wos mi! Da sehen Sie mich an – ich bin nicht alter wie Sie und seit eilf Jahren ein Krüppel!«

Ein giftiger Blick streifte die Fürstin, die von der Anspielung jedoch keine Notiz nahm, sondern die Einladung ihres Gemahls mit einigen höflichen Worten wiederholte.

»Euer Durchlaucht brachten die wichtigste Nachricht mit sich,« setzte her alte Diplomat mit einem seinen Lächeln das Gespräch fort – »die Mobilmachung der preußischen Armee.«

»Oh,« sagte der Fürst eifrig – »es ist noch keineswegs so weit. Einige Armeecorps – wie es die Zeitverhältnisse erfordern. Es ist mehr eine Kriegsbereitschaft, wie ich Sie versichern kann. Der Regent wird herzlich wenig Luft haben, sich für Oesterreich in einen Krieg mit Frankreich und – nun vielleicht auch noch mit andern Mächten zu verwickeln. Die Note des Fürsten Gortschakoff kann nicht ohne Eindruck geblieben sein.«

Der Baron lächelte fein. »Verzeihen Sie Durchlaucht, wenn ich mir unter uns eine Bemerkung erlaube. Die sogenannte »Russenfurcht« scheint mir in Europa etwas außer Mode gekommen, sogar in Deutschland. Ich halte zwar nicht besonders viel von diesem Herrn von Beust und ihn mehr für einen Intriguenmacher, als für einen Staatsmann, aber diesmal – das muß ich gestehen – hat er mit seiner Antworts-Note der öffentlichen Meinung ziemlich gut Ausdruck gegeben.«

Der Russe biß sich auf die Lippen und wechselte die Unterhaltung. »Haben Sie neuere Nachrichten von Rom?«

»Eine wichtige war gestern Abend in Verona verbreitet. Der heilige Vater hat sich ermannt und seine Zustimmung gegeben, daß ein Regiment der Schweizer nach Perugia abrücken sollte, um es wieder zu besetzen. Oberst Schmidt ist ein Mann von Energie, und da die Perugesen sehr fanatische Köpfe sind, dürfte es zu einem harten Zusammenstoß gekommen sein. Die Truppen müssen gestern PerugiaDie Einnahme erfolgte am 20sten unter zahlreichen beiderseitigen Greueln. erreicht haben.«

»Wie – so hat also die Sendung Pietri's nach Rom Nichts geholfen?«

»Signor Pietri,« sagte spöttisch der Andere, »der zwar nicht verstanden hat, die Orsini'schen Bomben zu verhindern, hat jedoch vortrefflich gewußt, aus der Orsini'schen Erbschaft Kapital zu machen, wie der gegenwärtige Krieg zeigt. Aber bei der Forderung, den Cardinal Antonelli zu entlassen, hat man sich erinnert, daß unter den gleichen Umständen bei Napoleon I. die Entlassung des Cardinals Consalvi nach vierzehn Monaten die Aufhebung des Kirchenstaats und die Wegführung Pius VII. zur Folge hatte. Ein Pius und ein Napoleon sitzen wiederum auf dem Thron.«

»Sie sind ein unverbesserlicher Legitimist,« sagte halb lachend, halb ärgerlich der Fürst.

Der Baron wandte sich kurz zu ihm. »Sie nicht?«

Die Frage überraschte etwas den Russen. »O –« sagte er endlich, »es kommt darauf an, wie weit Sie den Begriff ausdehnen. Natürlich, vor Allem der Willen des Kaisers! Aber die Nationen sind nicht mehr in den Kinderschuhen. Sie sehen doch, wie sich in Italien Alles regt, in Parma, in Modena, in Rom, selbst in Neapel. Die Adresse der Geistlichkeit in Brescia an Victor Emanuel und den Kaiser Napoleon ist eine Thatsache, die sich nicht wegleugnen läßt.«

»Man hat sich Mühe genug gegeben, um diesen Erfolg herbeizuführen,« erwiederte der Baron kalt. »Seit Jahren standen die Regierungen auf einem Boden, unter dem systematisch jeder Halt fortgebrochen wurde. Daß Herr Pietri dabei natürlich auch etwas für die weite napoleonische Tasche conspirirt hat, läßt sich nicht verargen. Herrn Cavour, wenn er nicht etwa selbst das kleine Handelsgeschäft betrieben haben sollte, was ich von vorn herein geglaubt habe, dürfte die Petition von Chambery um Einverleibung Savoyens in Frankreich doch etwas die Augen öffnen. Und wenn nicht ihm, so doch den Italienern. – Es ist ein schlimmes Ding Durchlaucht für einen Monarchen, die Revolution zu Hilfe zu rufen!«

»Aus diesem, Grunde,« sagte der Fürst hastig, »hat unser Gesandter in Turin auch Protest gegen die Bildung der ungar'schen Legion eingelegt. Sie wissen, daß Kossuth, Klapka, Kiß und Perezel bereits in Genua sind!«

»Die Führer, ja, aber die Legion fehlt. Die Ungarn sind im Ganzen eine brave Nation; sie zanken sich wohl im eigenen Hause, aber des Kaisers Feinde sind ihre Feinde. Sie haben ein schlimmeres Element in Ihrem eigenen Staat.«

»Sie meinen die Polen, Baron?«

»Ja, die Polen. Passen Sie auf, die Reihe kommt bald an Sie und ich wünsche Ihnen, daß Ihre jetzige Politik sich dann nicht rächen möge.«

»O – Sie irren sich in Ihren Voraussetzungen, Baron – das Kabinet von St. Petersburg hält sich ganz neutral, obschon Sie mir zugestehen werden, daß wir in der That nicht viel Ursach zur Freundschaft gegen Oesterreich haben. Ein Beweis dafür ist, daß der Kaiser den Obersten Tornauw als Militair-Agenten nach Verona sendet!«

»Und Euer Durchlaucht als Civil-Agenten?« sagte der Andere lächelnd. »Für den bevorstehenden Besuch der Kaiserin Mutter in Nizza und das Verfahren Sr. Kaiserl. Hoheit des Großfürsten Konstantin in Konstantinopel gegen den englischen Gesandten muß eine andere Höflichkeit als Gegengewicht ausgetauscht werden. Apropos, Durchlaucht, Sie wissen wahrscheinlich bereits, daß Graf Esterhazy heute in außerordentlicher Mission in London angelangt sein muß?«

»Ich hörte in Wien von der bevorstehenden Abreise,« sagte der Fürst. »Was denken Sie, Baron, daß der Erfolg sein wird?«

»Ei, das kann Niemand wissen,« sagte der Baron mit angenommener Gleichgültigkeit, – »obschon die englische Presse die preußische Mobilmachung jetzt in ganz anderm Sinne betrachtet. Ich denke –«

»Nun?«

»Ei nun – wir werden die englische Flotte bald von Corfu auslaufen sehen!«

Der Russe biß sich wiederum in die Lippen. »Das gäbe also einen europäischen Krieg.« sagte er.

»Wahrscheinlich! – indeß ich hoffe, der Kaiser Louis Napoleon wird sich sehr besinnen, ehe er einen solchen heraufbeschwört – selbst mit der besten Bundesgenossenschaft. Die Deutschen, wenn sie einmal einig sind, was leider für sie selten der Fall, sind nicht zu verachtende Gegner.«

Der Fürst machte an seinem Stock einige Gänge durch den Saal, ohne zu antworten. Er schien in tiefes Nachdenken verloren. Dann blieb er wie zufällig an dem Spieltisch stehen. Obschon er dem Baron den Rücken zugewendet, entging es diesem doch nicht, daß er mit dem Offizier des Generalstabs einen bedeutsamen Blick austauschte.

Der Robber war bald nachher zu Ende – Kapitain Müller legte die Karten nieder und sah nach der Uhr.

»Es ist die höchste Zeit,« sagte er, »daß ich aufbreche. Ich habe fast vier Meilen bis Villafranca zu reiten und werde schwerlich vor Mitternacht dort sein. Ihre Durchlauchten sind so liebenswürdige Wirthe, daß man darüber fast seine Pflicht vergißt. Brechen wir zusammen auf, meine Herren?«

»Gott bewahre –« sagte einfallend der Fürst, »man ist in dieser Einsamkeit froh, wenn man Gesellschaft hat. Kapitain Jurisch hat fünfhundert Schritt bis in sein Quartier und Lieutenant von Wurmser noch keine Viertelmeile bis Garda. Auch Graf Pálffy ist ein zu guter Husar, um wegen eines Rittes bis Peschiera schon jetzt seine Verwandten zu verlassen. In einer Zeit, wo jede Stunde die Schlachtenwürfel auf's Neue rollen können, muß man mit den Minuten geizen. Bei Ihnen, Kapitain, darf ich leider keine Einsprache thun – der Dienst geht vor, aber wenn nicht ernstere Ereignisse eintreten, hoffe ich Sie bald wieder hier zu sehen!«

Der Hauptmann verabschiedete sich von der Fürstin und der Gesellschaft, der Fürst selbst begleitete ihn aus dem Salon und die Treppe hinunter.

»Treten Sie einen Augenblick hier ein, Kapitain,« sagte er, nach einem der Seitenzimmer weisend, »indeß die Diener Ihren Burschen mit den Pferden rufen.« – Der lange Kosak Petrowitsch saß auf dem Flur; der Fürst sprach einige Worte zu ihm auf Russisch; der Kosak erhob sich und nahm wie zufällig seinen Platz in der Nähe der Thür, durch welche der Fürst und sein Gast in das Zimmer getreten waren.

Die beiden Männer befanden sich allein.

»Sind Sie gewiß, Kapitain«,« frug mit gedämpfter Stimme der Fürst, »daß die Angriffsbewegung erfolgen wird?«

»Ich wiederhole Euer Durchlaucht, daß der Feldzeugmeister Heß bereits gestern den Entwurf für das erneuerte Vorgehen der Armee bearbeiten ließ. Wir könnten nur unter großem Nachtheil eine Defensivschlacht auf dem linken Ufer des Mincio annehmen, da das rechte meist weit höher gelegen ist. Die Verteidigungslinie würde über vier Meilen betragen, während die Brücken bei Ferri und Goito nebst den beiden Schiffbrücken unser Vorgehen sichern. Das einzige Bedenken ist .....«

»Nun?«

»Wenn der Kaiser Napoleon so rasch vorrückte, daß wir nicht ohne Kampf über den Mincio gehen können. Aus diesem Grunde hat Baron Heß noch gestern Abend den beiden Armee-Kommandanten eröffnet, daß trotz der damit verbundenen Nachtheile die Vorwärtsbewegung, statt am 24sten, schon übermorgen, den 23sten, stattfinden soll.«

»Und welches sind die Nachtheile hiervon?«

»Die Truppen verlieren nach der Concentrirung ihren Ruhetag. Sie haben zahlreiche Detaschirungen abgeschickt, um Fourage und Lebensmittel in entfernten Empfangsorten zu fassen. Die Rückkehr derselben kann also nicht abgewartet werden. Auch wird man nicht Zeit haben, Truppen des zehnten Corps heran zu ziehen.«

»Wenn wir auf die Erfüllung Ihres Versprechens rechnen können, glaube ich behaupten zu können, daß der Kaiser Napoleon den Uebergang Ihrer Truppen über den Mincio nicht hindern wird. Wann gedenken Sie mir die Details der Dispositionen zu schicken?«

»Wenn es möglich ist, morgen – am Besten übermorgen, da noch Veränderungen vorgenommen werden könnten.«

»Gut. Mein Kammerdiener wird in der bekannten Locanda in Verona Sie oder Ihren Boten erwarten. Für alle Fälle, Ihre Loosung?«

»Villafranca!«

»Gut – die meines Boten wird sein: Revange für Sebastopol.« –

Man hörte die Pferde draußen auf der Rampe der Villa stampfen.

»Es ist Zeit – leben Sie wohl, Durchlaucht,« sagte der Offizier. »In den nächsten Tagen werden wir uns schwerlich sehen, denn ich muß sorgfältig jede Unvorsichtigkeit vermeiden, und der Zufall ist nicht immer so günstig wie heute mit meiner Sendung nach Bardolino. Indeß ich werde das Möglichste thun und ich denke, Sie sollen mit mir zufrieden sein. Ich denke, man soll es bitter bereuen, mich so schmählich zurückgesetzt zu haben!«

»Es ist schändlich,« sagte höhnisch der Fürst, »wie man mit einem Mann von Ihrem Verdienst umgesprungen ist. Doch seien Sie überzeugt, wir halten unser Wort. Das Patent als Oberster und die zehntausend Napoleond'or sind Ihnen sicher nach der Schlacht, sobald Sie eintreten wollen!«

»Ich habe Ihr Wort und wehe Dem, der gewagt hätte, sein Spiel mit mir zu treiben. Gutenacht!«

»Gutenacht und glücklichen Weg!«

Der Offizier schwang sich in den Sattel, hüllte sich fest in den weißen Mantel und sprengte hinaus in das Wetter, gefolgt von seiner Ordonnanz. Hätte er gesehen, mit welchem spöttischen verächtlichen Blick der russische Fürst ihm nachschaute, er würde die Wahrheit des Wortes erkannt haben, daß man den Verrath liebt, aber den Verräther verachtet.

Als der Fürst sich umwandte, um wieder die Treppe hinauf zu steigen, sah er im Vestibüle einen Unteroffizier der Gränzer mit einem Mann in der durch halb Europa bekannten Tracht der slawonischen Hechelkrämer stehen.

»K schorte!« Was will der Kerl hier?« frug der Fürst.

»Halten zu Gnaden Durchlaucht,« berichtete einer der Diener, »der Soldat hat den Mann hierher gebracht, weil er darauf besteht, den kommandirenden Offizier des Postens sprechen zu müssen und behauptet, wichtige Nachrichten für ihn zu haben.«

»Was willst Du? wer bist Du?« frug der Fürst den Slowaken.

Der Mann antwortete nicht sogleich – der Anblick des Fürsten schien ihn betroffen gemacht zu haben.

»Nun, Kerl, verstehst Du nicht Italienisch?«

»Doch, gnädiger Herr,« erwiederte der Mann respektvoll, aber doch mit einem Ausdruck, der sehr von der gewöhnlichen Redeweise dieser Vagabonden abstach. »Euer Durchlaucht sehen, daß ich Einer des wandernden Volkes bin, das von den Ufern der Theiß in fremde Länder zieht, um sein dürftiges Brod zu suchen.«

Der Fürst schenkte auf die Worte ihm den ersten Blick. Der Slowak, der den Hut abgenommen, mochte ein Mann von dreißig oder zweiunddreißig Jahren sein und seine Gesichtsfarbe war blasser als der gewöhnliche braune Teint seiner Landsleute, auch gegen die Gewohnheit derselben reinlich, wenn auch die Kleidung ärmlich und rauh war, der braune Filzmantel und Hemd und Beinkleider von schmutzigem Leinen.

»Was bringst Du?«

»Eine wichtige Meldung, Herr, von dem kommandirenden Offizier!«

Der Fürst stampfte unwillig mit dem Stock auf die Marmorfliesen. »Sukiensyn!« das habe ich schon gehört, Kerl! aber was? der Kapitain ist drinnen beschäftigt – ich werde es ihm bestellen!«

»Verzeihen Euer Durchlaucht,« erklärte der Slowake ehrerbietig aber fest – »ich kann meine Nachricht nur einem österreichischen Offizier sagen!«

Der Fürst hob einen Augenblick den Stock, als wolle er eine solche Unverschämtheit züchtigen, aber der Wunsch, die Nachricht selbst zu erfahren, ließ ihn davon abstehen. Zugleich bedachte er, daß auch wenn er den Hauptmann der Gränzer herausrufen lassen wollte, er doch vielleicht nicht Alles erfahren würde, da ihm die Sprache ihrer Unterredung unbekannt sein konnte. So stieg er denn die Treppe hinauf und befahl dem Unteroffizier, mit dem Slowaken ihm zu folgen.

Der Kosak Petrowitsch hatte eine Bewegung gemacht, als wolle er seinem Herrn einige Worte sagen; aber der rasche Entschluß des Fürsten hinderte ihn daran und er begnügte sich, kopfschüttelnd dem seltsamen Besuch nachzuschauen.

Droben war unterdeß der Fürst in den Salon eingetreten, mit einer Handbewegung seine beiden Begleiter vor der Thür zurückhaltend. Er ging sogleich auf den Gränzer-Offizier los.

»Kapitain Jurisch,« sagte er mit jener herablassenden Vertraulichkeit, welche so leicht die Niederen kirrt, »draußen ist einer Ihrer Unteroffiziere, der einen Kerl aufgegriffen hat, welcher behauptet, Ihnen wichtige Nachrichten zu bringen. Ich habe ihn gleich mit heraufgenommen, damit Sie ihn hier verhören können, und wir haben gewiß Alle gleiches Interesse, Nachrichten zu hören.«

»Wenn Euer Durchlaucht befehlen und erlauben,« erwiederte der Kapitain devot, »ich will ihn sogleich herein kommen lassen.«

Auf einen Wink des Fürsten öffnete jedoch einer der Diener die Thür und führte den Soldaten und den Slowaken ein. Die Männer unterbrachen sofort ihr Gespräch – auch die beiden Frauen richteten ihre Augen auf den in solchen Räumen ungewöhnlichen Gast.

Feodora konnte eine Bewegung nicht meistern, als sie den Slowaken näher angeblickt – ihr Auge wandte sich sogleich auf die Fürstin. Diese war noch bleicher als gewöhnlich geworden und ihre Hand hatte sich unwillkürlich erhoben und auf das Herz gepreßt. Dann faßte sie den Knaben, welcher sich furchtsam vor der fremden Gestalte an sie schmiegte, und zog ihn auf ihren Schooß.

Das Auge der Dienerin und der Herrin kreuzten sich auf eine bedeutsame Weise – die Fürstin lehnte in den Divan zurück, während Feodora ihren Blick starr, mit drohendem Ausdruck, auf den Slowaken gerichtet hielt.

Dieser hatte nur flüchtig sich umgesehen und gegen die Anwesenden eine höfliche, durchaus nicht linkische Verbeugung gemacht. Die vier Offiziere hatten sich erhoben und waren näher getreten. – Otto von Röbel und sein Freund hielten sich zurück, ohne daß ihnen jedoch ein Wort des nachfolgenden Verhörs entging.

Als Hauptmann Jurisch ein Mitglied der so sehr verachteten, lange Jahre von ihm mißhandelten Klasse vor sich sah, tauchte die ganze Brutalität seines Charakters wieder auf.

»Was willst Du, Hundesohn, daß Du Dich erdreistest, hierher zu kommen in so vornehme Gesellschaft?«

Die Frage war in ungarischer Sprache gethan, aber der Fürst legte sich sogleich in's Mittel, dadurch seinen Zweck verfehlt sehend. »Ich bitte Sie, Kapitain, befragen Sie den Menschen auf Italienisch, was wir Alle verstehen und auch er, wie ich mich überzeugt habe. Wir sind nicht alle solche Mezzofanti's wie Sie oder Seine Majestät, Ihr Kaiser, daß wir alle Idiome der großen österreichischen Monarchie kennen!«

»Der gnädige Fürst hier,« antwortete der Slowak sofort ruhig in italienischer Sprache, »hat es befohlen. Ich wollte Euer Gnaden herunter rufen lassen.«

»So – und glaubst Du, daß ich nichts Besseres zu thun habe, als auf den Ruf eines slowakischen Viehes zu kommen? Was willst Du?«

Der Andere antwortete mit einer Gegenfrage. »Sind Sie der Kommandant des Postens in San Vigilio?«

»Das siehst Du, Kerl. Was weiter?«

»Ihr Namen, Herr?«

»Baszom a lelkedet! ich glaube, der Kerl ist verrückt oder betrunken, daß er es wagt, einen kaiserlichen Offizier zu examiniren!«

»Verzeihen Euer Gnaden,« sagte der Slowak fest – »aber ich muß wissen, mit wem ich spreche, damit ich Denen Rechenschaft geben kann, die mich geschickt haben.«

Der Hauptmann wollte eine heftige Antwort geben, aber auf einen Wink des Fürsten änderte er diese.

»Fene egyemek! Meinetwegen denn, aber nimm Dich in Acht Bursche, daß Deine Nachricht der Mühe werth ist, sonst will ich Dich striegeln lassen. Ich bin der Hauptmann Jurisch.«

Der Name schien eine schreckliche Wirkung auf den Slowaken zu machen. Er schauderte zurück, als wenn er auf ein giftiges Thier getreten wäre, dann überflog eine dunkle Röthe sein Gesicht, seine Fäuste ballten sich und ein Blitz tödtlichen Hasses schoß aus seinen Augen.

Während die Andern mit Staunen auf dies Gebahren sahen, schien der wilde Gränzer sein Behagen daran zu haben. Er betrachtete es als eine Wirkung der Furcht vor seinem Namen und es fiel ihm nicht im Traum ein, daß es eine andere Bedeutung haben könnte.

»Kutya teremtete!« sagte er, sich behaglich den langen grauen Schnurbart streichend, – »ich will es meinen, daß Landstreicher wie Du Furcht vor dem Hauptmann Jurisch haben. Ich kenne das Gesindel aus Ungarn her, aber der Jurisch versteht unter ihnen aufzuräumen!«

Der Slowak schien sich unterdeß wieder gefaßt zu haben, er war auffallend blaß geworden, aber er blieb ruhig und hielt seine Augen auf den Boden geheftet.

»Woher kommst Du?«

»Vom Stilfser Joch!«

»Wo Ihr Gesindel Euch doch überall umhertreibt! Was ist's, was willst Du eigentlich?«

Der Slowak hatte den doppelten Holzboden einer seiner Mausefallen aufgeschoben und brachte aus der Höhlung ein kleines Papier zum Vorschein, das er dem Hauptmann reichte. Dieser zögerte mit der Annahme. »Bah – was wird's sein, irgend ein Bettelbrief!«

Der Jäger-Offizier jedoch, der die Ursach der Ablehnung kannte oder merkte, nahm das Blatt und entfaltete es.

»Es ist ein unverwerfliches Zeugniß für die Ehrlichkeit dieses Mannes,« sagte er. »Wir sind hier unter Freunden, also kann ich es vorlesen:«

Das Blatt lautete:

»Vorzeiger dieses, der Slavonier Matthias Cvetkovic geht in meinem Auftrag. Er verdient volles Zutrauen. Feldmarschall-Lieutenant Paumgarten.«

Die Meisten der Anwesenden begannen, den armen Slowaken mit größerer Aufmerksamkeit und Achtung zu betrachten.

»Es scheint,« sagte der Jäger-Offizier, »daß Sie nur diese Verkleidung gewählt haben, um unbehindert durchzukommen?«

»Nein, Herr,« sagte der Wann ernst – »ich bin nichts Anderes, als ich scheine. Ich bin ein armer Slawonier, von dem Gute des Grafen Pálffy, Telek genannt an der Theiß, aber schon lange aus der Heimat fort. Ich habe keine Verwandten mehr, seit meine Schwester Hanka am Lätaretag dort der Wolf zerrissen und meine Mutter in Gram darüber gestorben ist.«

Der Hauptmann der Gränzer schrack unwillkürlich zusammen und trat einen Schritt zurück. Feodora – Tunsa – war aufgesprungen und zu den Männern getreten. »Es ist wahr,« sagte sie mit funkelnden Augen, »und es wissen mehr Leute hier, daß er die Wahrheit spricht.«

Nur die Fürstin blieb bleich, odemlos in der Ecke ihres Divans zurückgelehnt. Sie hielt noch immer die Hände auf das Herz gedrückt, als wolle sie dessen gewaltiges Klopfen bändigen. Aber zum Glück achtete Niemand auf sie.

»Ich bin manches Jahr gleich meinen Brüdern, dem verachteten Volk, durch die Länder gewandert, bis ich eine Heimat in der Region des Schnees und des Eises gefunden habe. Um es kurz zu machen, meine gnädigen Herren, Sie wissen, daß die Pässe über die Alpen in's Tyrol bedroht sind und vertheidigt werden. Auch die tyroler Schützen von Meran und Mals und dem Traffoi sind auf ihrem Posten. Der Feldmarschall-Lieutenant wünschte Nachricht zu haben, wie weit die Italiener und Franzosen bereits auf dem westlichen Ufer des Gardasees vorgedrungen sind, da dem Volk dort nicht zu trauen ist und Alles im offenen Aufruhr steht. Ich habe übernommen, in dieser meiner alten Kleidung in's Land zu gehen und sichere Nachricht zu bringen.«

Die Art und Weise, wie der Hechelkrämer sprach, überzeugte die Anwesenden immer mehr, daß er ein Mann weit über diesem Stand war.

»Aber wie kommen Sie hierher auf das östliche Ufer?« frug der Husar. »Das war doch Ihre Aufgabe nicht?«

»Ich war diesen Morgen in Gargnano, Herr! Dort hörten wir Kanonendonner. Die Posten der Alpenjäger erzählten, daß General Garibaldi heute oder morgen einen Ueberfall des östlichen Ufers versuchen will, um sich hier festzusetzen. Ich war Zeuge, daß Fahrzeuge nach Salo geschafft wurden.«

»Teufel, das wäre!« sagte der Jäger-Offizier und sah sich nach seinem Säbel um.

»Die Nachricht ist sehr unwahrscheinlich,« meinte der Fürst – »General Garibaldi weiß gewiß, daß hier überall Truppen stehen. Wenigstens heute sind wir sicher bei dem Wetter!«

»Vorsicht ist nie unnütz,« meinte der Baron. »Ich glaube, daß die Nachricht dieses wackern Mannes alle Beachtung verdient. Wie aber ist es Ihnen gelungen, mein Freund, auf das diesseitige Ufer zu gelangen?«

»Ich mußte bis über Piovese zurück – deshalb komme ich so spät. Aber der Wunsch, meinem Kaiser zu dienen, hat mich alle Hindernisse überwinden lassen. Jenseits Piovese hatte ich das Glück, an einem Landhaus im Bootschuppen einen kleinen Kahn zu entdecken. Mit meiner Zange gelang es mir, das Schloß zu erbrechen und ich vertraute mich ihm an.«

»Und Sie sind ungehindert fortgekommen?«

»Man bemerkte mich freilich zu zeitig und hielt mich für einen Dieb. Man schoß nach mir, aber ich ruderte, was die Arme halten wollten.«

Der Sprecher hob einfach seinen Mantel auf der Schulter, man sah ein Kugelloch darin und auf dem Aermel des Hemdes einen Blutfleck.

»Zum Glück war die Wunde nur unbedeutend – kaum die Haut geritzt. Aber es ist ein weiter Weg für einen kleinen Nachen und zwei Arme. Es war sechs Uhr, ehe ich das Ufer erreichte, und dann hatte ich einen langen Marsch. So sehr ich mich beeilt habe, konnte ich nicht eher den Ort hier erreichen, von dem man mir gesagt hat, daß es der erste große Posten wäre.«

Der Gränzerhauptmann murmelte etwas vor sich hin, wie Bedauern klingend, daß die Kugel des Schützen nicht eine Spanne breit weiter herüber geschlagen sei; auch der Fürst schien nicht sonderlich aufgeregt von der Nachricht und suchte sie noch immer als übertrieben und unwahrscheinlich darzustellen; doch der Husaren-Offizier war bereits während der Erzählung an die Thür gegangen und hatte befohlen, daß sein Pferd so rasch als möglich gesattelt und vorgeführt werde. Auch der Jäger hatte bereits sein Kasket in der Hand und trat mit den beiden Marinen zur Fürstin, um sich zu verabschieden.

Der Secretair derselben kam eben aus dem Vorzimmer zurück. »Herr von Wurmser,« sprach er höflich, »ich habe mir erlaubt, ein Pferd für Sie satteln zu lassen. Wenn auch der Weg nach Garda nicht weit ist, wird es Ihnen bei diesem Wetter und unter den Umständen doch willkommen sein, so rasch als möglich auf Ihren Posten zu kommen.«

»Sie sind sehr freundlich, Herr,« sagte der Offizier, »und ich nehme es mit Dank an.«

»Ich habe ferner geglaubt, im Sinn Eurer Durchlaucht zu handeln,« fuhr der Secretair zur Fürstin fort, »indem ich einige Befehle wegen Sicherung des Hauses und Aufnahme des wackern Mannes dort gegeben!«

Die Fürstin nickte ohne ein Wort zu sprechen.

Der Baron Neuillat hatte dem Slowaken die Hand gereicht, die dieser bescheiden anzunehmen zögerte, während der Fürst keinen Blick mehr für ihn hatte. »Nehmen Sie, Herr,« sagte der Baron – »es ist die Hand eines ehrlichen Mannes, der damit Ihre aufopfernde Treue ehren will. Ich bin der Baron Neuillat, Kammerherr Sr. Majestät des Grafen von Chambord in Venedig, und wenn ich Ihnen je gefällig sein kann, so wenden Sie sich ohne Weiteres an mich. Sie beweisen auf's Neue, daß ein wackeres Herz unter jedem Kittel schlagen kann. Ich hoffe Sie noch zu sehen, ehe ich oder Sie San Vigilio verlassen!«

»Aber meine Herren, meine Herren,« rief der Fürst, – »Sie wollen wirklich mein kleines Souper im Stich und uns hier ohne allen militairischen Schutz lassen? Hätte ich dies ahnen können, ich hätte eher alles Andere gethan, als diese Unke hier selbst herauf zu führen!«

Die Offiziere, auch der Gränzer Hauptmann, der ein sehr ärgerliches Gesicht schnitt bei der Erwähnung des Soupers, waren bereits an der Thür, als plötzlich durch die Höflichkeiten des Abschieds und das Rütteln des Sturms an den Fenstern ein anderer Klang brach.

Ein Schuß – gleich darauf eine Salve von Schüssen!

»K tschorte wos mi! ich glaube, diese naseweisen Freischärler haben es wirklich gewagt, Sie anzugreifen, trotz des schlechten Wetters!« sagte kaltblütig der Fürst.

Die Schüsse kamen offenbar von dem See her. Einen Augenblick standen die Offiziere betroffen über das Unerwartete, dann eilten der Husar und der Jäger aus dem Salon und die Treppe hinunter, Otto von Röbel aber riß die Thür des Balkons auf und stürzte auf diesen. Der Fürst, der Baron und der Gränzer-Hauptmann gingen ihm nach.

Die beiden Marine-Offiziere wollten folgen, als der Secretair der Fürstin mit dem kalten Blute des geprüften Mannes ihren Arm faßte.

»Nicht dort hinaus – der Balkon hat keinen Ausgang! Folgen Sie mir – ich werde Sie auf dem kürzesten Wege führen!«

Er zog sie mit sich aus dem Saal.

Durch die geöffnete Thür drang der Sturm in heftigen Stößen in das Gemach und verlöschte mehrere Lichter. In das Toben des Wetters mischte sich das Krachen von Schüssen und wildes Geschrei. In einzelnen Pausen konnte man deutlich den Ruf hören: »Evviva Garibaldi! Evviva Italia!«

Während dies geschah und der Saal fast leer war, ereignete sich eine andere seltsame Scene.

Feodora hatte den auf dem Schoos der Fürstin eingeschlafenen Knaben, den selbst der entstandene Lärm nicht wecken konnte, auf ihren Arm genommen. Sie trat jetzt mit ihm zu dem Slowaken, der noch immer auf seinem Platz an der Thür stand, ungewiß, ob er sich entfernen solle, und bot ihm die Stirn des Kindes.

»Küsse ihn,« sagte sie slawonisch – »der glänzende Aldobaran leuchtet heute über Deinem Haupte, Sohn des Unglücks und der Leiden!«

Fast unwillkürlich drückte mit einer gewissen Ehrfurcht der Hechelkrämer seinen Mund auf die Stirn des Kindes, das schlaftrunken und ohne die Augen zu öffnen, die Aermchen um den Hals des fremden Mannes schlug.

Die Fürstin, gleichgültig gegen die Gefahr des feindlichen Ueberfalles, hatte die Hände vor das Gesicht gepreßt, – eine Thräne quoll durch die feinen weißen Finger.

Indem traten der Fürst und der Baron mit Otto von Röbel und dem Gränzerhauptmann wieder vom Balkon hastig herein und schlossen die Thür. Der Fürst warf dem Mädchen einen finstern Blick zu, der sie mit dem Kinde von dem Slowaken fortscheuchte.

»Zum Teufel – es ist richtig, man schlägt sich drunten, wahrscheinlich auf dem Wasser dicht unter den Felsen, denn man kann nur das Blitzen der Schüsse sehen und das Geschrei hören.«

»Befehlen Euer Durchlaucht,« frug der Gränzer devot, »daß ich Ihnen eine Sicherheitswache für das Schloß heraufschicke?«

»Ich denke, mein Herr,« sagte der Baron von Neuillat streng, »es wird dringend nöthig sein nachzusehen, wie es mit der Sicherheit Ihrer Mannschaft selbst steht. Die da unten sich schlagen, die wackern Marinen sind Landsleute und bedürfen Ihrer Hilfe!«

»Es ist wahr – eilen Sie, Kapitain,« bemerkte der Fürst. »Ich darf Sie nicht länger aufhalten. Es ist am Besten, wenn Sie kein Militair herauf schicken – so bewahren wir die Neutralität und diese werden beide Parteien achten!«

Während der Gränzer-Offizier jetzt sich eilig entfernte, was längst seine Pflicht gewesen wäre, trat der Secretair der Fürstin wieder in den Salon.

Er wollte zu der Fürstin gehen, als die Frage des Freundes ihn aufhielt: »Was bringst Du für Nachrichten, Rudolph, wo kommst Du her?«

»Ich habe den Offizieren den Weg von der Terrasse zum Ufer gewiesen – garibaldi'sche Freischaaren wollen sich des österreichischen Dampfers bemächtigen, –« er lachte heiter – »sie mögen es thun – sie werden sehen, was sie gewinnen, und sie haben einen warmen Empfang gefunden. – Aber es ist möglich, daß sie den Ort angreifen und sich festsetzen wollen. Die Villa selbst läßt sich nicht vertheidigen, Durchlaucht, aber ich habe bereits Anstalt getroffen, das Castell« – so wurde von den Bewohnern der Villa der niedere Thurm an dem Südende der Terrasse genannt, der zugleich dem Secretair selbst zur Wohnung diente – »in Vertheidigungsstand zu setzen. Es sind Gewehre genug dort und Munition, daß wir uns halten können, bis Hilfe von Garda kommt, und ich erbitte Eurer Durchlaucht Befehl, ob Sie sich dahin zurückziehen wollen?«

Der Bericht und die Frage war an die Fürstin gerichtet, aber der Fürst nahm sogleich in hochmüthigem Ton die Antwort auf sich:

»Ich muß jede Betheiligung an dem was vorgeht, meinen Leuten auf das Strengste untersagen. Dieses Landhaus ist im Besitz eines Unterthans Sr. Majestät des Kaisers von Rußland, also so gut wie neutrales Gebiet. Der Krieg zwischen Oesterreich und Italien geht uns Nichts an – beide Parteien werden unsere Rechte ehren!«

Der Secretair sah ihn erstaunt an, während Otto von Röbel finster die Stirn runzelte.

»Ich glaube, Euer Durchlaucht haben mich mißverstanden,« sagte ernst der Erzieher. »Wir befinden uns hier Gott sei Dank noch auf österreichischem Grund und Boden!«

Der Fürst stieß erzürnt mit dem Stock auf den Boden. »K tschortu! ich brauche Ihre Belehrung nicht – es bleibt bei meinem Befehl!«

»Einen Augenblick, Herr Meißner!« Die Fürstin hatte sich erhoben und war zu den Männern getreten, ihr Gesicht war noch so bleich wie vorhin, aber ihre Miene energisch und entschlossen. »Euer Durchlaucht scheinen zu vergessen, daß Sie sich hier bei mir – als Gast befinden und ich es bin, der Befehle zu ertheilen hat!«

»Madame,« rief der Fürst ......

»Die Feinde des Königs von Ungarn, mein Herr, sind auch die meinen. Herr Meißner, ich bitte Sie, Alles sofort zu thun, was Sie glauben, das für uns ziemt und unsern Landsleuten Beistand leisten kann.«

Der Fürst biß sich in die Lippen, aber er wagte, namentlich in der Gegenwart des Barons, keinen offenen Widerspruch.

Meißner verbeugte sich. »Und Euerer Durchlaucht Person?«

Die Fürstin schüttelte verächtlich das Haupt. »So gern, wie ich mich Ihrer Treue und Ihrem Muth anvertrauen würde,« sagte sie, »so habe ich doch Nichts zu befürchten, man führt ja nicht mit Frauen Krieg und ich bleibe hier unter dem Schutz – meines Gemahls! – Aber eilen Sie, Herr Meißner – das Gefecht scheint heftiger zu werden, – nehmen Sie von meinen Dienern mit, wem Sie Vertrauen schenken – Sie haben unbeschränkte Vollmacht!«

»Und ich hoffe, ihr Ehre zu machen! Vorwärts Otto!«

Er verbeugte sich gegen die Fürstin und kurz gegen die Herren und wollte eilig mit dem Freunde das Zimmer verlassen, als Feodora auf ihn zuflog.

»Dein Gott wird Dich beschützen – Tunsa wird für Dich beten, wenn Du sie auch verachtest! Nimm diesen mit Dir« sie wies auf den Slowaken, der von den überstürzenden Ereignissen gefesselt noch immer an der Thür stand – »es thut nicht gut, daß er hier bleibt; der Geist Mumeli-Swa's ist über ihrem verlorenen Blut und sagt ihm, daß er Dir nützen wird. Nicht über Deinem Haupt, sondern über dem Anderer schwebt Astaroth, der Engel der Vernichtung!«

Meißner hatte kaum auf die exaltirten Worte der Zigeunerin geachtet, die ihm mit starrem Blick nachsah, als er dem Slowaken winkte und eilig den Salon verließ. Dann kehrte sie stumm und ohne sich um die Andern weiter zu kümmern nach dem Divan zurück, auf dessen Kissen sie das schlummernde Kind niedergelegt hatte.

Das Schießen draußen wurde immer heftiger. Der Fürst, erbittert über den Widerstand, den er gefunden, hatte sich mürrisch in einen Sessel geworfen, nachdem er sich überzeugt, daß der kurze Handrevolver, den er in der Brusttasche seines Ueberrocks trug, sich schußfertig darin befand. Baron Neuillat suchte die Fürstin zu beruhigen, die heftig bewegt auf und nieder ging und auf den Lärmen des Kampfes draußen horchte.

Der Secretair hatte, schon vorher seinen deutschen Diener, nach dem Kastell geschickt – jetzt rief er nach dem ungar'schen Reitknecht der Gräfin und ihrem Jäger, einem Steyrer, aus der Dienerschaft, die unten im Parterre erschrocken durch einander lief und eilte mit ihnen durch den Garten nach der Terrasse.

Ihr Lauf war so eilig, daß sie sich nicht einmal Zeit nahmen, über die steinerne Balustrade der Terrasse hinweg nach dem Strande hinunter zu schauen, von wo das Geschrei der Kämpfenden erscholl.

Im Nu waren sie an dem Castell – Meißner schlug die Thür hinter ihnen zu und befahl den Dienern, sie zu verbarrikadiren.

Die schmalen Oeffnungen in den ungeheuren Mauern des Erdgeschosses waren mit Eisenstäben versperrt. Der ziemlich große Raum war leer und diente eigentlich nur zur Aufbewahrung von Gartengeräthschaften und für die Orangerie im Winter. Eine hölzerne Treppe führte in das obere Geschoß, das der Secretair bewohnte, und das aus einem kleinen Flur mit dem Aufgang zur offnen Zinne, einem geräumigen Wohnzimmer und einem Schlafzimmer bestand. Das Kastell bildete den vorspringenden Winkel der Terrasse, deren Balustraden von beiden Seiten bis an das alte Gemäuer stießen, und die steilen und rauhen Felsstufen, welche von dem Strande herauf führten, mündeten an einer zweiten Pforte im Parterre des Kastells, die den einzigen Durchgang dazu bildete.

Da Meißner ein Liebhaber der Jagd war und häufig mit dem Jäger der Fürstin durch die Berge streifte oder auf das Geflügel im See schoß, befanden sich mehrere Gewehre in seinem Zimmer mit hinlänglicher Munition. Der Jäger hatte bei dem Befehl, zu folgen, seine Büchse nicht vergessen und somit war für Waffen gesorgt, da auch Otto von Röbel Säbel und Revolver im Gemach des Freundes bei der Ankunft abgelegt hatte. Jetzt steckten beide nur hastig ihre Waffen zu sich und stürzten nach dem Ausgang, der nach der Bucht hinab führte und aus dem wenige Minuten vorher die beiden jungen Marine-Offiziere ihren Kameraden zum Beistand geeilt waren. – –

Wir müssen unsere Darstellung jetzt eine Viertelstunde zurück verlegen zu dem Augenblick, als Major Laforgne, der Kommandirende der kecken Expedition der Alpenjäger, seinen Boten das Signal gab, sich zu sammeln und auf den Eingang der Bucht von Garda loszusteuern.

Da der Sturm und der Wellenzug hierher ging, waren die Schiffer mit einigen Dutzend Ruderschlägen auf der Höhe des Eingangs.

Major Laforgne hielt sich aufrecht im Stern – mit einem raschen Blick hatte er die Lage der Dinge überschaut.

Im Schutz des felsigen Vorsprungs des Caps, etwas weiter in die Bucht hinein und etwa zwanzig Faden vom Ufer, auf dem weiter rückwärts der kleine Ort San Vigilio liegt, während am Ende der Bucht die Lichter von Garda blinkten, lag der österreichische Dampfer vor Anker. Man sah Lichter an Bord sich auf und nieder bewegen und trotz des stürmischen Wetters gingen Boote ab und zu nach dem nahen Ufer, wo von dem Sturm oft zu hohen Flammenzungen gepeitscht ein Feuer brannte und zahlreiche Gestalten sich bewegten.

Das Feuer warf seine Reflexe weithin über die hochgehenden Wellen und der kühne Parteigänger erkannte sogleich, daß es schwerlich möglich sein werde, unentdeckt bis an den Dampfer zu kommen.

Sein Plan war sogleich gefaßt, als ein ungünstiger Zufall oder eine Unvorsichtigkeit die Ausführung beschleunigte.

Er hatte eben den neben ihm Sitzenden seinen Plan in fliegenden Worten mitgetheilt und sein Boot angehalten und das nächste herankommen lassen,– als von dem entferntesten ein Schuß fiel. Gleich darauf stieg von dem Deck des Dampfers ein Leuchtfeuer in die Luft – die weiße Kugel platzte und streute ihr weißes Licht umher, daß auf weite Strecke die stürmische Wogenfläche fast tageshell erleuchtet war.

In diesem Augenblick sah der Major das nächste Boot zur Rechten dicht an seinem Bord. Mit einem raschen Sprung hatte er sich in dasselbe geschwungen. »An's Ufer, Graf, nehmen Sie mit den Booten links die Häuser und die Villa, indeß ich den Dampfer mit den andern entere!« befahl er und sogleich hatten sich vom Wellenschlag die Kähne wieder getrennt.

»Setzt die Ruder ein!« klang das Kommando des Majors durch den Sturm. »Gebt ihnen eine Salve Bursche, daß sie das Deck räumen! Vorwärts. Es lebe Italien! es lebe Garibaldi!«

Die Schüsse krachten, von den nächsten Booten wiederholte sich die Salve. Erst im Feuer der Schüsse bemerkte der Major, daß er sich in dem Boote befand, das Kapitain Landucci kommandirte.

Aber merkwürdigere Weise antwortete dem Angriff der Freischärler von Bord des »Taxis« kein Schuß. Nur die Bootsmannspfeife gellte ihre Signale und im Schein der ausgehängten Laternen sah man die dunklen Gestalten der Mannschaft aus den Wanten und über das Deck huschen und verschwinden.

»Avanti! Avanti!«

Die vier Boote legten am Boogspriet und dem Steuerbord an, da ihnen diese bei der Lage des Schiffs zunächst – mit lautem Evviva-Geschrei kletterten die Alpenjäger in die offenen Luken und am Takelwerk empor, um so muthiger und lärmender, je gefahrloser es war.

Keine Seele leistete Widerstand – das Deck war leer, wie die im Winde schaukelnden Laternen zeigten.

Major Laforgne und die Offiziere standen einen Augenblick verdutzt, während die Mannschaften bereits über das Deck schwärmten und in die Lücken drangen, um zu plündern – sie dachten an einen Hinterhalt unter dem Deck.

Aber es war Nichts mehr zu plündern – das Deck war leer, wie gesagt – nicht einmal ein eingebraßtes Segel, ein aufgerolltes Tau – in den Luken fehlten die Kanonen – –

Die Bestürzung des Majors dauerte übrigens nur wenige Minuten; vom linken Ufer her, wo das Feuer brannte, klang das Angriffsgeschrei der Seinen herüber, Schüsse fielen, er sah die Boote in der Brandung – plötzlich krachte ein Karonadenschuß, der eigenthümliche Ton einer Kartätschenladung rasselte über die schäumenden Wellen her, und aufprallende Kugeln schlugen an Bord oder ricochettirten an dem Boogspriet vorüber.

Wehgeheul, Wuthgeschrei, folgte Flintensalven, das Lärmen eines heftigen Kampfes!

»Carrajo! – und ich bin nicht dort!« Im Augenblick übersah er die Lage der Dinge, daß die Besatzung das Schiff verlassen, vielleicht, weil sie das Nahen der Boote bemerkt, obschon einzelne Umstände allerdings räthselhaft blieben. Gleich darauf aber hatte er auch erkannt, was das Nothwendigste war. »Kapitain Landucci« befahl er – »schnell zurück in die Boote. Nehmen Sie alle Mann bis auf zehn, kappen sie das Ankertau so tief als möglich, indeß wir versuchen, Ihnen noch andere Taue nachzuwerfen. Der Dampfer muß trotz des Sturmes so rasch als möglich aus dem Hafen bugsirt werden. An die Ruder, Kameraden und wenn .....« Eine Gewehrsalve von Rechts her, aus der Bucht unterbrach ihn, und die pfeifenden Kugeln verwundeten zwei Mann. »Diavolo! – die Oesterreicher haben sich getheilt – ihre Boote sind dort hinaus entwischt – sie greifen uns von beiden Seiten an! Presto! presto! jeder Augenblick ist kostbar!«

Er trieb mit Gewalt die Männer in die Boote zurück, während wiederholt von der Bucht her gegen das Schiff gefeuert wurde und auch vom linken Ufer häufig Kugeln herüber schlugen, wo ein erbitterter Kampf wogte.

Die Alpenjäger, bis auf die Wenigen, die der Major an Bord zurückhielt, waren wieder in den Booten und hatten an das Ankertau ihre Seile geknüpft, auch war es gelungen, einige andere Taue noch an Bord aufzufinden und sie den Freunden zuzuwerfen. Mit aller Kraft legten sich die Männer in die Ruder und da der Sturm etwas weniger heftig tobte, gelang es in der That, den Dampfer zu bewegen, und langsam gegen die anstürmenden Wellen aus der Bucht zu bugsiren.

In diesem Augenblick, als das Schiff eben die Spitze des Caps passirte, hörte man wie aus der Luft eine kräftige frische Stimme:

»Hurrah für Oesterreich!«

Ein dunkler Schatten glitt pfeilschnell an der Wantung des Mastes am Backbord nieder, einen Augenblick sah Major Laforgne, der auf der Brücke zwischen den Radkasten mühsam sich festhielt und einen der Schiffsleute seines Bootes an das Steuerruder gestellt hatte, die Gestalt eines jungen Matrosen oder Kadetten, das Tau noch in der Hand fast neben sich auf dem linken Radkasten stehen, – dann schwenkte die Gestalt ihre Hand: »Es lebe der Kaiser!« und sie verschwand mit kühnem Sprung in den Wellen.

Ein entferntes »Hurrah!« offenbar von den Kameraden des muthigen Burschen, die den Dampfer verfolgten, ließ den Major verwundert und suchend den Blick umherwerfen, als der schwere Schlag wie eines im Sturm flatternden Segels seine Aufmerksamkeit nach oben lenkte und das Räthsel der kecken That ihm löste. Von der großen Stange, etwa mannshoch über dem Mastkorb, flog in schweren Falten die rothe Flagge Oesterreichs mit dem weißen Querstreifen durch die Nacht.

Er wollte eben Befehl geben, ein Mann solle trotz der Gefahr des Sturms hinaufsteigen und sie herunterreißen, da sie an der Stange selbst befestigt war, als ihm unwillkührlich die eigene kühne That seiner Knabenzeit einfiel, als er, der arme unbekannte Schiffsjunge, die Flagge der Itaparika aus den Wellen des La-Plata holte und sie seinem Beschützer – seinem jetzigen Freund und General – zu Füßen legte), und achtend auch den Muth des Feindes beschloß er, sie dort oben zu lassen, bis er das vierfache weiße Kreuz im blauen Felde, die Flagge seines neuen Vaterlandes, als Zeichen des Sieges darüber aufziehen könne.

Das Schiff war jetzt aus dem Bereich des Caps und des Feuers der österreichischen Boote gelangt, die ihre Verfolgung einstellten, aber der ganzen Wucht der Wellen und des Windes Preis gegeben und Major Laforgne an das Boogspriet geeilt, um die Leute in den Booten zu ermuntern, die trotz der rasendsten Anstrengungen es nicht vorwärts bringen konnten, als ein eigenthümliches Schlingern ihn fast zu Boden warf, und der Mann am Steuer seinen Posten verlieh und nach dem Vorderdeck stürzte.

»Heilige Jungfrau beschütze uns! Retten Sie sich Kapitain – das Schiff sinkt!«

Ein Blicks belehrte ihn von der Wahrheit des Rufs. Das Schiff schlingerte hin und her und hob sein Hinterdeck über die Wellen, daß das Boogspriet tief versank. Er begriff, daß ihm nur wenige Augenblicke blieben. Mit einer Stimme, die selbst das Heulen des Sturmes und das Toben des Gefechts übertönte, befahl er: »Hinunter in die Boote, wer sein Leben liebt!« und schwang sich selbst über das Bollwerk und an dem Ankertau in das schäumende Wasser. Der Steuermann folgte ihm mit noch fünf Anderen – vier der Freischärler aber, die entweder den Befehl nicht gehört hatten oder trotz des Verbots sich unter Deck befanden, konnten nicht folgen. Laforgne hatte kaum das nächste Boot erreicht und befohlen, die Taue loszulassen, als der Dampfer sich mit seinem Hinterdeck tief in die Wellen senkte und das Boogspriet wie ein sich bäumendes Ungeheuer bis zum Kiel hoch aus dem Wasser trat. Dann tauchte das Schiff wieder zurück, schwankte nach beiden Seiten wie ein Taumelnder und versank unter den Wogen, während der Wind bis zum letzten Augenblick die edle deutsche Flagge über die dunkle Fläche des Wassers fliegen ließ.

Die Ruderer der Boote, die Gefahr erkennend, hatten hastig zur Seite gehalten und nur mit Mühe konnte der Major, als der entstandene heftige Strudel, der förmlich die Wellen umher zu ebnen schien, sich etwas beruhigt hatte, sie vermögen, noch einmal über die Stelle zu fahren, wo der Dampfer versunken, oder vielmehr versenkt war, denn es erwies sich später, daß das Schiff bei dem Gefecht mit der feindlichen Batterie vor Salo so schwere Lecke erhalten hatte, daß es kaum noch über See bis zum Cap Vigilio zu bringen gewesen war und daß sein Kapitain beschlossen hatte, nachdem es so viel als möglich noch während des Tages geräumt worden war, es in der Bucht zu versenken. Dabei war er von dem Angriff der Boote überrascht worden und, diese noch zeitig genug bemerkend, hatte er mit Recht vorgezogen, die noch nicht am Land befindliche Mannschaft zu salviren, als sich auf einen unnützen und in jedem Fall verderblichen Kampf am Bord des Schiffes einzulassen, dessen Sinken nach Aufhören der Arbeit der Pumpen alsbald erfolgen mußte. Da die nach dem linken Ufer eilenden Fahrzeuge der Freischärler ihm zunächst den Weg dahin versperrten, hatte sich das Boot, das den Rest der Mannschaft des Taxis trug, nach Rechts in die Bucht gewandt und von dort mit ihrem Feuer die Angreifer belästigt, den Augenblick des Sinkens abwartend.

Das Suchen der Boote Laforgnes war vergeblich, – die auf dem Dampfschiff Zurückgebliebenen mit den beiden Verwundeten waren verloren; in den Booten selbst war ein Mann erschossen und einer der Ruderer verletzt.

Sehen wir uns jetzt nach dem Kampf am Lande um, der einen für die Oesterreicher nicht so glücklichen Ausgang genommen hatte. Der größere Theil der Boote, wie wir wissen also vier, war dem gefolgt, in welchem die Alpenjäger ihren Anführer glaubten, der den Grafen Batthyányi hier an seine Stelle gesetzt hatte. Die Entfernung war zu rasch, als daß der Graf den Auftrag hätte ablehnen können, und sein Mannesstolz erlaubte ihm natürlich jetzt nicht im Augenblick der Gefahr zurückzutreten. So ertheilte er den Ruderern den Befehl, so rasch als möglich gegen den Strand zu rudern, wo das Feuer brannte und eine Menge Gestalten sich bewegten und, wie er sah, sich zu ihrem Empfang bereit machten.

Dies war in der That der Fall. Man hatte während des Nachmittags hierher in die Nähe der wenigen Fischerhäuschen, welche hier liegen und von dem Cap den Namen führen, die Armirung des Dampfers geschafft und sie aufgehäuft. Marinesoldaten und Matrosen arbeiteten mit Hilfe der Gränzer, sie in Sicherheit zu bringen, denn die italienische Bevölkerung des Dorfes zeigte wenig Lust, mit Hand anzulegen. In San Vigilio stand allerdings eine halbe Compagnie der Gränzer, aber da von ihr die Küste bis Montagna und Castelleto hinauf bewacht werden mußte, befanden sich in Wahrheit kaum fünfundzwanzig Mann mit einem Officier in dem Dorf, so daß die Zahl der Vertheidiger des Landungsplatzes mit der anwesenden Mannschaft des Dampfers wenig über fünfzig betrug.

Man war eben fertig geworden mit der dringendsten Sicherung der Armirung und der größere Theil der Mannschaften des Dampfers und des Gränzer Kommandos hatte bei dem Unwetter bereits das Ufer verlassen und sich in die Gebäude zurückgezogen, während der Rest die Kameraden erwarten oder der Versenkung des Schiffes beiwohnen wollte, als der erste Schuß von den Booten fiel und gleich darauf die Theilung derselben erfolgte. Zum Glück war der erste Lieutenant des Dampfers anwesend, und da die eine der Karonaden noch nahe am Ufer stand und Munition zur Hand war, stieß er selbst eine Kartätschbüchse ein und richtete das Geschütz.

Die fünf Boote der Alpenjäger rannten in zwei Linien gegen den Strand unter dem Ruf: Evivva Italia! Evviva Garibaldi! und waren etwa noch zehn Faden entfernt, als das Geschütz sich entlud. Da in der Eile aber der Schuß zu nah auf das Wasser aufgesetzt war, ricochettirten die meisten Kugeln über die Boote weg und nur in dem vorderen wurden drei oder vier Mann verwundet.

»Avanti!« befahl der Graf – »hinan, ehe sie ein zweites Mal schießen können!«

Die Ruder strichen aus, die Boote flogen durch die Brandung, während von beiden Theilen ein flüchtiges Gewehrfeuer unterhalten wurde, und ehe in der That die Karonade noch einmal geladen werden konnte, stießen die Kähne der Freischärler an das Ufer oder die dort befestigten Boote des Dampfers und die Nachen der Fischer.

»Avanti!«

Durch das Schießen und das Lärmen stürzten die Bewohner und hie bei ihnen Einquartirten auf's Neue aus den Häusern. Ueberrascht – die Zahl der Feinde nicht kennend, die ohnehin die Uebermacht bildete – wurden die Marinen und die Gränzer trotz ihres muthigen Widerstandes zurückgedrängt und auseinandergesprengt. Graf Stephan, den Säbel in der Scheide, kommandirte ruhig mitten in dem Gedräng. Es war, als ob er den Tod herausfordere, aber keine der Kugeln verletzte ihn, obgleich die eine seinen Rock zerriß und der Bayonnetstoß eines Marinesoldaten nur durch die rasche Parade des Obersten Montboisier, der mit dem Mohrendoktor nicht von seiner Seite wich, von seiner Brust abgewandt wurde. Ein trauriges Lächeln überflog sein Gesicht, als er dem Franzosen dankend zunickte.

Unter den Freischärlern zeichnete sich ein großer ungeschlachter Kerl aus, der nur mit einem keulenartigen, großen Ast und einem Messer bewaffnet war und mit diesem Pfahl, den er so leicht wie einen Rohrstock handhabte, die Gewehre der Gränzer – denn er hielt sich wie absichtlich nur an diese – unter wilden slawonischen und ungarischen Flüchen nieder- und sie selbst zu Boden schlug. Er trug einen grauen österreichischen Offiziermantel um den Hals geknotet und sein Anblick und Wesen hatte etwas so Furchtbares, daß Alle ihm möglichst auswichen.

Während so das Gefecht Mann gegen Mann tobte, schlug regelmäßig von fünf zu fünf Minuten eine Kugel aus dem Dunkel von der Fläche des Wassers her in die Reihen der tapfern Vertheidiger des Ufers und tödtete oder verwundete einen Mann.

Es war das Boot des englischen Kapitains, von dem die Schüsse her kamen und dieser der Schütze. Es hielt sich sorgfältig in kurzer Entfernung vom Ufer und während der buckliche Spion seinem Freunde, die Brandung durchwatend, gefolgt war und jetzt hinter einem der Kähne sich in Todesangst sorgfältig gedeckt hielt, mußten die beiden Schiffer und der lange englische Diener des kleinen Menschenjägers das Boot mittels einer langen Stange vom Ufer abhalten.

»By Jove!« murrte der Kapitain, – »Sie halten den Kahn nicht fest – ich habe gefehlt schon zwei Mal, und das ist fatal! – Jetzt – bleiben Sie möglichst ruhig – ich habe den Mann gerade unter'm dritten Knopf!«

Aber ehe der Engländer seine menschenfreundliche Absicht ausführen konnte, erhielt er einen solchen Schlag gegen bas Gesicht, daß ihm drei Zähne ausgebrochen wurden und er bewußtlos über den Bord seines Bootes fiel. Der lange Bediente ließ das Gewehr, das er lud, fahren und zog seinen blutenden Herrn wieder in den Kahn, ihn so vor dem Ertrinken rettend. »Goddam,« murmelte er – »ich habe es immer gedacht, es ist eine uncomfortable Beschäftigung für einen Gentleman und ich will den Dienst aufgeben. Shocking!«

In dem Augenblick, wo der würdige Jäger auf seine Mitmenschen nämlich das Léfaucheur-Gewehr geladen und aufgehoben hatte, um einen neuen Schuß abzufeuern, hatte von dem Ufer her eine wohlgezielte Kugel den Lauf getroffen, das Mordinstrument zersplittert und den Kolben ihm gegen die Kinnbacken geschleudert. Der Schuß kam von den Stufen des Felsens, die hinauf zu dem Kastell der Villa führten und Otto von Röbel, der von dort das heimtückische Manöver beobachtet hatte, war der Schütze.

»Hierher, Landsleute – hier – ziehen Sie sich hierher zurück!« klang zugleich der Ruf des Secretairs.

Die beiden jungen Marine-Offiziere, die beim Beginn des Gefechts so eilig den Salon der Fürstin verlassen hatten und, von Meißner an die Treppe geleitet, ihren Kameraden zu Hilfe geeilt waren, fochten am Fuß derselben mit etwa fünf oder sechs Matrosen und Marinesoldaten gegen eine überlegene Anzahl der Garibaldiens. Ihnen galt der Zuruf des Secretairs und gedrängt von der Uebermacht zogen sie sich in der That nach dieser Seite zurück, die ihnen den einzigen Ausweg bot, während die beiden Freunde von der Mitte des Aufgangs her und oben der Jäger und der deutsche Diener Meißners, ein ehemaliger Soldat, sie mit ihren Schüssen deckten und die Freischärler verhinderten, ihnen zu folgen.

Während des kurzen Gefechts war es dem jungen Röbel ein Paar Mal gewesen, als sähe er draußen im Gedränge des Handgemenges bekannte Gestalten, aber die Beleuchtung des von den Streitenden zertretenen und auseinander geworfenen Feuers und der aufblitzenden Schüsse war so unsicher und schwach, daß die Spuren rasch wieder verloschen oder er sich geirrt zu haben glaubte. Jedenfalls hatte er keine Zeit und Gelegenheit, jetzt darüber nachzudenken; denn mit Verlust eines Mannes, der von den Stufen heruntergeschossen und eines andern, der leicht verwundet wurde, gelang es den Offizieren mit ihrer kleinen Abtheilung, die Terrasse zu erreichen und sich in das Kastell zurückzuziehen, dessen schwere Thür sofort geschlossen und wohl verwahrt wurde.

Das Gefecht unten am Strand hatte unterdeß ein rasches Ende genommen, als Major Laforgne mit seiner Abtheilung nach dem Versinken des Dampfers den Seinen zu Hilfe eilte. Die Uebermacht war jetzt so groß und der Angriff wurde so ruhig und gut geleitet, daß die Marinen und die Gränzer sich zurückziehen mußten und endlich in der Dunkelheit zerstreuten.

Ehe dies geschah, ereignete sich aber eine eben so seltsame, als schreckliche Scene.

Der Hauptmann der Gränzer war erst in dem letzten Theil des Gefechts zu den Seinen gekommen und hatte daran Theil genommen. Er war ein alter wilder Soldat und es fehlte ihm nicht an Muth in einem gewöhnlichen Kampf. Er hatte bisher an einer andern Stelle gefochten, im Drange des Gefechts wenig auf das Geheul geachtet, das der wilde Kämpfer mit dem Baumast ausstieß, und war eben im Begriff, seine Leute noch einmal zu sammeln, als er sich dem schrecklichen Freischärler gegenüber fand.

Die Dunkelheit war zu groß, als daß er das Gesicht desselben zu erkennen vermocht hätte, aber ein ungewohntes Erzittern überlief ihn, als er die Stimme des Mannes jetzt nahe vor seinen Ohren hörte, denn – so roh und abgestumpft auch seine Nerven und Gefühle sein, so wenig Spuren von Gewissen er auch haben mochte, – die unerwartete Begegnung mit dem Bruder des armen Slowaken-Mädchens und die Erinnerung an dessen schrecklichen Tod so wie an den Racheschwur ihres Geliebten war nicht ohne Eindruck geblieben.

Und kaum vermochte er zu zweifeln, daß ihn jetzt, nach langen Jahren, nachdem er damals in dem Wolfslager der Haide von Enyád durch einen glücklichen Zufall, der Rózsa Sandor dort vorüber geführt und den glücklichen Schuß zur rechten Zeit hatte thun lassen, der schrecklichen Rache des Kanasz entgangen war, – das waltende Geschick, die Hand der ewigen Gerechtigkeit ihn auf's Neue seinem Todfeind gegenüber geführt habe.

In diesem Augenblick erklang laut der Ruf von rückwärts her: »Kapitain Jurisch, decken Sie die linke Flanke! Zurück! zurück!«

»Jurisch?!« es war, als ob alle Teufel der Hölle in diesem einen Schrei aufjauchzten. »Wo? wo?«

Der Kanasz, der Henker und Räuber sprang zurück. Er ließ den Baumast fallen, der seither seine furchtbare Waffe gewesen war und raffte einen der letzten großen Brände aus dem zertretenen Feuer, den er wie rasend durch die Luft schwang. »Der Jurisch! wo? wo?« – die stiebenden Funken zeigten ihm eine fliehende Gestalt im braunen Rock der Gränzer – ein Soldat warf sich ihm mit dem Bayonnet entgegen – ein einziger Schlag auf den Kopf des Mannes, und er fiel zu Boden. Ueber den Körper hinweg sprang die Riesengestalt des Henkers. »Hussah Jurisch – elender Bräutigam steh! die Wolfsbraut kommt!«

Einen Augenblick ermannte sich der Hauptmann – er drehte sich um, zum ersten Mal seit zehn Jahren starrten die beiden Todfeinde einander wieder in's Auge, während der Offizier ein Pistol auf seinen Verfolger abschoß. Der mächtige Körper des Wolfsjägers erbebte, wie von einem Schlage, dann aber stürzte er wieder vorwärts, und der Hauptmann floh in die dunkle Nacht hinein.

»Hussah, Wolfsbraut! Der Szabó kommt, heute ist Hochzeit!«

Die Stimme verlor sich in der Ferne; – die Scene hatte einen solchen Eindruck gemacht, daß einige Momente lang die Feindseligkeiten geruht hatten. Wer jetzt erklang die ruhige feste Kommandostimme des Majors:

»Avanti! Avanti! Graf Stephan, nehmen Sie zwanzig Mann und besetzen Sie rasch die Gebäude dort oben. Kapitain Landucci, sichern Sie die Boote, indeß ich den Feind verfolge und bemächtigen Sie sich des Geschützes! Avanti, avanti, meine Bursche! Es lebe Italien!«

Die Befehle wurden vollzogen, der Major mit dem Rest seiner Schaar verfolgte die zersprengten Oesterreicher, während Abramo, der jetzt wieder zum Vorschein kam, dem Grafen den gewöhnlichen Weg hinauf zur Villa zeigte, als sei er hier wohl bekannt. –

 

Das Wetter hatte sich während des kurzen Gefechts bedeutend geändert, es war, als ob der Föhn von den westlichen Alpen her nur die Fahrt über den See der kecken Expedition habe verleiden wollen, und mit dem schnellen Gange der Gebirgswinde war der Sturmwind bereits über die Bucht von Garda hinweg gebraust und tobte in der Richtung der Adria weiter. Es war, als sei das Wetter das Vorspiel der furchtbaren Naturerscheinung, die drei Tage später dem blutigen Kampfe der Menschen zeigen sollte, daß der Donner Gottes gewaltiger ist, als der ihrer Kanonen. –

In dem Salon der Fürstin Trubetzkoi herrschte die größte Aufregung. Niemand wagte sich zu entfernen, selbst den Knaben konnte man nicht zu Bett bringen und Feodora trug ihn auf ihrem Arm. Die noch im Hause gebliebenen Diener kamen und gingen unaufhörlich, Nachrichten bringend oder in ihrer eigenen Besorgniß Schutz von der Herrschaft hoffend.

Der Fürst stand an den Tisch gelehnt, verdrießlich und erregt, und horchte auf die Schüsse. »Es ist Wahnsinn, es ist eine schändliche Frechheit,« murrte er, »meinen Befehlen zu trotzen. Was soll die Gegenwehr der Handvoll Leute, sie wird uns nur Verlegenheiten bereiten! Der Teufel hole diesen Kerl, der hier im Hause den Herrn spielt – er wird wohl wissen, warum! – Hören Sie, Baron – mir ist, als fielen die Schüsse seltener – der Sieg ist wahrscheinlich entschieden, und ich will einmal hinunter schicken – – –«

Er wurde durch einen heftigen Lärmen unterbrochen, der von unten aus dem Hausflur die Treppe herauf drang. Im nächsten Augenblick wurde die Thür aufgerissen und Hauptmann Jurisch stürzte in den Salon.

Der Offizier der Gränzer bot einen entsetzlichen Anblick. Er hatte keine Waffen mehr – den Säbel fortgeworfen, – als die abgeschossene Pistole in seiner Hand. Das struppige graue Haar – unbedeckt – starrte gleich den Schlangen der Medusa um ein todtenbleiches wild verzerrtes Gesicht, auf dem die rothen Flecken der einst vom Wolfe gerissenen Narben sich wie feurige Maale hervorhoben. Die Uniform war geöffnet, zerrissen, an vielen Stellen von Funken verbrannt – aus dem Munde floß Schaum, die kräftige Brust keuchte wie die eines Verendenden.

So stürzte er – während alle Anwesenden erschrocken aufsprangen – bis in die Mitte des Salons und sank dort athemlos zu Boden.

»Kapitain Jurisch!« rief der Fürst.

»Um Himmelswillen – nicht den Namen! Bei Gottes Barmherzigkeit, verbergen Sie mich! Halten Sie ihn auf, den Furchtbaren – den Schreckl ....«

»Hussah Wolfsbraut! Die Hanka wird diese Nacht nicht allein schlafen! Hussah, der Szabó kommt!« brüllte es die Treppe herauf zwischen dem Gekreisch der Diener.

Der Unglückliche versuchte sich emporzuraffen – die Glieder versagten ihm das erste Mal den Dienst – dann taumelte er auf, öffnete die Balkonthür und verschwand durch diese. Gleich darauf hörte man einen Fall, einen Schrei – –

»Die Wolfsbraut kommt! Hussah blanker Jurisch, halt an! Tót nem ember! Der Slowak ist kein Mensch! Der Slowak ist der Wolf!«

Wie ein Sturmwind – wie ein vernichtender Orkan brauste es herein in den Saal – die Funken stoben umher – der weiße Offizierrock flog um die Schultern – das blutunterlaufene Auge blitzte grimmig, suchend, umher.

»Jurisch! Jurisch! blanker Bräutigam!« Sein Blick fiel auf die geöffnete Balkonthür – die Hand schwang den Brand um den Kopf, daß die Funken auf Möbel und Kleider stoben.

Mit einem Satz war der Schreckliche an der verhängnißvollen Thür – mit einem zweiten an der Brüstung – ein zweiter schwerer Fall – ein gräßlicher Fluch – –

Die Fürstin war halb ohnmächtig in ihren Fauteuil zurückgesunken, der Baron sprang zu ihr, Beistand zu leisten, da Tunsa gleich einer Statue regungslos dastand, den weinenden Knaben auf dem Arm, und dem Gräßlichen nachstarrte.

Fürst Trubetzkoi hatte einen Augenblick den kurzen Revolver, den er aus der Tasche gezogen, erhoben, um auf die schreckliche Erscheinung zu schießen; aber diese ging mit Blitzesschnelle vorüber und er ließ die Hand wieder sinken.

»Tschort mienia wazmi! Was kümmert's im Grunde mich? – ich fürchte, Kapitain Jurisch wird eine schlimme Viertelstunde haben!«

Er wandte sich gleichgültig nach der Eingangsthür aber er fuhr zusammen und legte die Linke wie nachsinnend an die Stirn und der Ruf nach dem Kosaken Petrowitsch blieb auf seinen Lippen stocken.

Draußen auf dem Flur erklang eine ernste sonore Stimme. »Wer ist der Herr dieser Villa? – wo ist er?«

Gewehre rasselten auf den Marmorfliessen; – auch die Fürstin war zusammengezuckt bei dem festen Ton dieser Stimme.

Ein Hauch quoll über ihre Lippen, ein Hauch, der aus dem Herzen kam, das sich so lange Jahre verschlossen: »Stephan

Er war es!

Nur die Zigeunerin hatte den Namen gehört und hob ihre blitzenden Augen. In die Thür des Salons trat eine hohe schlanke Gestalt, den Säbel – die einzige Waffe, – in der Scheide im Arm. Hinter ihm kamen der Oberst Montboisier und der Mohrendoktor. Freischärler in ihren Blousen, das Gesicht vom Pulverdampf geschwärzt, folgten.

»Wo ist der Herr dieser Villa?« wiederholte der Ungar seine Frage. Aber plötzlich fuhr er zurück; sein Blick war auf den Russen getroffen, der mit weit geöffneten Augen ihn anstarrte. »Fürst Trubetzkoi!«

»Ja, der Fürst Trubetzkoi ist's, Verfluchter! Will sich denn das Grab niemals über Dir schließen?«

Aber der Graf hörte ihn nicht – seine Blicke flogen suchend umher – sie trafen die Fürstin, die bleich, zitternd, wie von dieser Stimme geweckt sich aus ihrer Ohnmacht erhoben hatte.

»Cäcilie

Er that rasch, alles Andere um sich her vergessend, zwei Schritte auf sie zu.

Aber der Fürst warf sich vor seine Gemahlin. Diesmal senkte sich der erhobene Arm nicht, – diesmal knallte der Schuß.

»Tschort w twoju duschu!«

Ein Schrei des Entsetzens – die Sinne der Fürstin wurden nochmals von wohlthätiger Ohnmacht umschleiert – der Fürst ließ erstarrt den Revolver fallen, als er das Schreckliche sah, das er angerichtet.

In dem Augenblick, da er die Hand hob und gegen die Brust des verhaßten Feindes abdrückte, war Tunsa, die Zigeunerin, vor denselben gesprungen. »Tödte ihn nicht, Gospodar, die Mumeli-Swa hat mir's verkündet, daß die Kugel sich auf Dich selbst zurücklenkt! – Mörder! Mörder!«

In das Gekreisch des Mädchens mischte sich der Schreckensruf der Männer. Die Kugel hatte sich auf den Schützen zurückgewandt – das Haupt des Knaben sank zurück, aus dem Rücken unterhalb der Schulter spritzte ein Blutquell.

»Mörder!« wiederholte der Ungar – »schändlicher Mörder! – Corporal Morelli, bemächtigen Sie sich dieses Mannes, Sie stehn mir mit Ihrem Leben für ihn ein!« – Er war zu der bleichen, bewußtlosen Gestalt der Fürstin getreten und stand mit gefalteten Händen vor ihr. »O Gott!« sagte er leise, »so müssen wir uns wieder sehen, nach all' den Jahren des Leidens!« Er kniete an ihrer Seite nieder und küßte ehrerbietig ihre herabhängende Hand.

»Schamloser Bube!« knirschte der Fürst – »es war eine abgekartete Sache mit dieser Buhlerin und ich der Narr, der in die Falle ging!« Er rang vergebens in den Armen zweier kräftiger Freischärler, die sich der seinen bemächtigt hatten.

Der Graf sah ihn mit einem Blick tiefer Verachtung an.

»Hüten Sie sich, Fürst Trubetzkoi,« sagte er fest, – »denn die Stunde der Abrechnung von Temesvár und Kiel ist gekommen. Nicht der Graf Batthyányi, sondern Sefer-Bey, der Krieger des Elbrus steht vor Ihnen und Ihre Rechnung ist schwer. Ich weiß nicht, mit welchem neuen Verbrechen Sie diese jetzt belastet haben – aber was ich hier sehe ....«

»Ein Bankert! Fluch über die Metze – das Blut des Trubetzkoi flieht nicht in seinen gemeinen Adern!«

Die Wuth ließ ihn selbst die Liebe zu dem Kinde vergessen, das eifrige Verlangen, seinen Namen fortdauern zu sehen, das ihn zu dieser merkwürdigen Anhänglichkeit und Einbildung gebracht hatte, mit der er sich glauben machte, es sei wirklich sein Kind.

Die Stirn des ungar'schen Grafen zog sich finster zusammen. »Corporal Morelli, schaffen Sie den Mann hier in ein anderes Zimmer und bewachen Sie ihn wohl! – Signoritta –« wandte er sich zu dem jammernden Mädchen, das den Knaben auf den Divan gelegt und schreiend vor ihm kniete – »hier ist keine Zeit zu Klagen und Thränen – rufen Sie die Frauen der Dame und lassen Sie sie fortbringen. Doktor Achmet, ich bitte Sie, sehen Sie nach ihr und dem Kinde!«

Der Baron hob den Kopf, als er den Namen des Arztes hörte. Dieser hatte die Aufforderung nicht erst abgewartet, um seine Hilfe zu bringen, die bei dem Knaben am Nöthigsten war. Er schüttelte bedenklich den Kopf, als er jetzt die Wunde untersuchte und befahl, nachdem er sie verbunden, das Kind zu Bett zu bringen und sorgfältig in der angegebenen Lage zu halten. Die Frauen der Fürstin waren jetzt jammernd um das Unglück herein gekommen und hatten sie weggetragen.

Dies hatte einige Zeit fortgenommen und jetzt erst achtete der Graf auf den Umstand, daß im Garten der Villa ein Gefecht fortzudauern schien, denn man hatte zwei Schüsse hintereinander von daher vernommen, und als der Graf sich jetzt nach dem Balkon wandte, sah man aus dem Garten eine Feuersäule emporsteigen.

Eine dunkle Röthe des Zorns überflog die Stirn des Ungarn. »Was geht dort vor?« donnerte er – »wer wagt es, Privateigentum anzutasten und den Mordbrenner zu spielen? Sehen Sie sofort zu, Sergeant Alosta, und bringen Sie mir Rapport, während ich die Villa besetzen lasse. –

Ein Schrei – obschon entfernt – so furchtbar, so gellend, daß er die Nerven der blutgewohnten Männer erbeben machte, klang vom Garten herauf, und ein Geheul folgte darauf wie das eines wilden Thiers in Todesnöthen, während sich ein kurzes gellendes Hohnlachen hinein mischte.

»Stimm' das Hochzeitslied an, Hauptmann Jurisch! Wo ist der Zigeuner mit seiner Geige? Der Staregessy kommt! Hussah, der Wolfsjäger ist da!«

Es war ein schreckliches Autodafé, das hier gehalten wurde. Das Geheul, das nichts Menschliches an sich hatte, wurde schwächer und schwächer – ein widriger süßlicher Geruch begann sich zu verbreiten –

 

Als der Gränzer-Offizier in Todesangst vor seinem Verfolger auf den Balkon flüchtete und hinunter in den Garten sprang, hatte er den Fuß gebrochen. Dennoch schleppte er im Dunkel sich weiter und es gelang ihm, einen kleinen chinesischen Pavillon zu erreichen, der sich zwischen der Villa und dem sogenannten Kastell befand. Er kroch in das Innere und blieb auf dem Boden liegen.

Der schreckliche Wolfsjäger war ihm mit einem Sprung gefolgt und schwang den brennenden Holzscheit um sich, sein Opfer zu entdecken. Aber es war vergeblich, daß er hier und dorthin stürzte, bis ein leises Stöhnen ihm den Aufenthalt des Unglücklichen verrieth. Mit einem Ruf bestialischer Freude stürzte er in den engen Kiosk und warf sich auf sein Opfer, das keinen Widerstand mehr leistete.

Im Nu hatte er den Strick von seiner Hüfte gerissen und den Elenden so zusammengeschnürt, daß er sich nicht zu regen vermochte. So ließ er ihn am Boden liegen und trat auf die Schwelle, wo der Brand eben am Verlöschen war. Ein Schlag schüttelte auf's Neue die Funken, dann hielt er bedächtig die auflodernde Flamme an die ausgetrockneten Holzwände und steckte sie an.

Er selbst setzte sich mit verschränkten Armen auf die Schwelle des Kiosk und begann eine Todtenklage seiner Heimat zu singen, die nur zuweilen von einem Fluch oder einem Hohnlachen unterbrochen wurde.

Dies war der Augenblick, wo kurz hinter einander vom Kastell her Schüsse fielen. Es waren der Jäger und die Offiziere, welche sie thaten, um dem Gränzer zu Hilfe zu kommen. Jedesmal schüttelte sich der Wilde, aber er blieb auf seinem Posten und hütete den Ausgang des Kiosk. Jetzt auch erscholl jener schreckliche Schrei und darauf das Geheul des Gebundenen, dem die Flammen immer näher rückten und den sie mit fallenden Bränden und Funken überschütteten.

Meißner rang die Hände und bedeckte seine Augen vor dem schrecklichen Schauspiel. »Barmherziger Gott, das ist entsetzlich! Laßt uns einen Ausfall machen und versuchen, den Unglücklichen zu retten!«

Otto von Röbel hielt ihn zurück. »Es ist zu spät, die Baracke muß gleich zusammenstürzen und dort schwärmen bereits die Freischärler. Wir werden selbst Mühe genug haben, uns ihrer zu erwehren!«

In der That füllte sich die Terrasse mit Garibaldiens, die von der Verfolgung der Marinen und der Gränzer kamen und von dem Feuerschein angelockt wurden.

»Maledetto, das riecht ja abscheulich,« sagte der Sergeant. »Wie verbranntes Fleisch! Auf Kerl und spricht was hier vorgeht? Du wirst verbrennen, wenn Du hier nicht fortgehst!«

Er stieß den Kanasz mit dem Fuß an; dieser taumelte empor, seine blutunterlaufenen Augen glühten wie die eines Wahnwitzigen, der er in der That war.

»Was wollen Sie von mir? Ich feiere die Hochzeit der Hanka, ich singe dem da drinnen sein Hochzeitlied?«

»Wie Schurke – dort drinnen ist ein Mensch, der verbrennt? Aus dem Wege, Nichtswürdiger!«

Der Wolfsjäger aber breitete die Arme vor der Pforte aus. »Der Wolf mochte ihn nicht, er war selbst zu schlimm für die Bestie der Pußta! Ich hab' das Hochzeitsmahl erkauft mit meinem Blut, und Niemand soll es mir stören!«

Er riß den Offizier-Paletot von seinen Schultern und das schmutzige Hemd auseinander.

Auf seiner mit Haaren bedeckten Brust waren drei rothe Punkte, aus denen in dicken dunklen Tropfen Blut quoll.

Drei Kugeln hatten ihn getroffen – die eine des Gränzers, zwei von den Schützen drüben im Kastell.

»Die Hanka wird Blut genug haben, wenn sie kommt! warum stört Ihr des armen Slowaken Hochzeitsfest?«

Er taumelte schwer zu Boden – in demselben Augenblick stürzten die Trümmer des brennenden Kiosk zusammen. Das Geheul des Verbrennenden hatte schon lange aufgehört. –

Schüsse knallten aus der Ferne – sie kamen näher und näher! Das langgezogene Hornsignal der wackern österreichischen Jäger klang dazwischen! – –

In das Nebenzimmer des Salons der Villa, in dem zwei Freischärler den Fürsten bewachten, war der Oberst Montboisier getreten.

Der Fürst saß jetzt theilnahmlos, finster vor sich hinstarrend in einem Lehnsessel. Der Oberst trat zu ihm.

»Ich bedauere aufrichtig, Durchlaucht,« sagte er tröstend, »daß wir uns hier so begegnen müssen und das Unglück, das geschehen ist. Aber ich komme, um Ihnen zu sagen, daß Doktor Achmet Hoffnung giebt, das Leben des Kindes zu erhalten. Nur wird die größte Ruhe und Sorgfalt nöthig sein, und auch die Fürstin, Ihre Gemahlin, bedarf derselben.«

Der Russe schien die Worte kaum zu hören, wenigstens antwortete er nicht darauf. »Verstehen diese Leute Französisch?« frug er leise.

»Ich glaube nicht, Durchlaucht, doch können wir uns leicht überzeugen. – Sie sehen, Kameraden,« fuhr der Oberst an die beiden Wächter gewendet fort, »daß dieser Herr sich in sein Schicksal fügt. Es wird also keiner harten Bewachung mehr bedürfen.«

Der Korporal schüttelte den Kopf. »Verzeihen Sie, Signor,« sagte er, »wir sind Italiener und verstehen Ihre Sprache nicht. Da Sie die unsere sehr gut sprechen, bitte ich Sie, in dieser uns zu sagen, was Sie wünschen.«

Der Oberst wiederholte seine Worte und da die beiden Freischärler gesehen, in welchem vertrauten Verhältniß der französische Offizier zu ihrem eigenen Anführer stand, traten sie zurück und nahmen keine Notiz weiter von dem Gespräch.

»Sie haben gehört, Durchlaucht, sprechen Sie jetzt!«

»Hören Sie mich an,« murmelte der Fürst – »die Augenblicke sind kostbar. O daß der Tag erst da wäre, der sie Alle vernichten soll – sie, ihn, sie Alle! – Die österreichische Armee wird am 23sten eine Vorwärtsbewegung machen über den Mincio und am 24sten die verbündete Armee angreifen!«

»Das ist wichtig – wissen Sie das gewiß?«

»Es ist aus derselben Quelle, aus der ich Ihnen bereits vorgestern die Nachrichten durch den buckligen Spion sandte.«

»Er ist wieder hier – er ist mit herüber gekommen!«

»Desto besser. Senden Sie dem Kaiser die Nachricht, aber bleiben Sie selbst in der Nähe. Morgen – oder spätestens übermorgen Abend werden wir die genauen Dispositionen des Angriffs erhalten!«

»Valga me Dios – das wäre famos! Dann wäre der Sieg uns sicher!«

»Ich wünsche ihn!« knirschte der Fürst. »Dann werde ich Herr hier sein! Doch sorgen Sie dafür, daß der Uebergang der Oesterreicher über den Mincio nicht gestört wird.«

»Das wäre ein großer Fehler! Verlassen Sie sich darauf, es wird nicht geschehen. Kann ich Ihnen sonst in Ihrer Lage irgendwie dienen?«

»Nein – doch wenn Sie mir einen Dienst leisten wollen, sorgen Sie – daß dieser Mann – Graf Batthiányi, nicht wieder in meine Nähe kommt! Verflucht sei die Kugel, die ihn verfehlt!«

»Ich werde das Möglichste thun.«

»Noch Eins! – Der Thurm links auf der Terrasse, über der Einfahrt in die Bucht muß sofort gestürmt werden. Er sichert Ihnen den Verkehr mit Ihren Booten unten am Ufer, da dort eine Treppe ist, und den Erfolg der Expedition. Massakriren Sie Alles, was darin ist – eine Handvoll Rasender hat sich dort hinein geworfen!«

»Auf Wiedersehen, Durchlaucht – sobald wir hier festen Fuß gefaßt, kehre ich zu Ihnen zurück und werde dafür sorgen, daß Ihre Haft aufgehoben wird. Ich höre Major Laforgne und muß zu ihm.«

Es war in der That Laforgne, der von der Verfolgung der Feinde zurückkehrend in die Villa gekommen war, in deren Erdgeschoß man die Verwundeten gebracht hatte, Freund und Feind, denen der Mohrendoktor jetzt hilfreiche Hand leistete. Graf Stephan erstattete ihm Bericht von dem Vorgefallenen. »Ich kann Ihnen die Verhältnisse nicht erklären, Kamerad,« sagte er düster – »aber ich bitte Sie, die Verantwortlichkeit des Befehls in diesem Hause von mir zu nehmen. Die Last erdrückt mich!«

»Wie Sie wollen, Herr Graf – Alles was ich höre, beweist aber, daß Sie als tapfrer Mann und als Ehrenmann gehandelt haben. Ich bin Ihrer Meinung, daß wir das Privat-Eigenthum achten müssen, aber diesmal wird die Notwendigkeit gebieten. Ich höre von den italienischen Bewohnern des Dorfs, daß in Garda, etwa zwei Miglien von hier, ein starkes Detaschement Jäger steht, und da mir die Villa am günstigsten scheint, um uns hier festzusetzen, bis Hilfe von Salo kommt, und wir wahrscheinlich noch diese Nacht angegriffen werden, müssen wir unsere Vorbereitungen treffen.«

Der Oberst Montboisier, der dem Gespräch beigewohnt, machte den Major sofort mit der Mittheilung bekannt, die ihm der Fürst von dem Kastell gemacht.

»Das ist wichtig,« sagte Laforgne. Landucci ist stark genug, sich an der Bucht zu halten, er hat den größern Theil der Leute bei sich, aber wir müssen mit ihm in Verbindung bleiben. Dieser Thurm oder das Kastell muß unbedingt genommen werden, um uns den Ausweg zu sichern. Lieutenant Caffarelli,« befahl er dem Offizier, der ihn bei der Verfolgung begleitet, »fordern Sie die Leute zur Räumung des Thurms auf und wenn man sich weigert, so nehmen Sie ihn!«

Der Offizier entfernte sich – dies war der Augenblick, in dem man die entfernten Schüsse hörte und die Hornsignale der österreichischen Jäger.

»Caramba,« sagte der Major – »ich glaube, sie greifen bereits unsere Vorposten an. Jetzt gilt es, sich seiner Haut zu wehren. Graf Batthiányi, lassen Sie die Bewohner des Hauses in die hintern Räume oder die Keller in Sicherheit bringen.«

Der Major traf jetzt rasch seine Anstalten zur Vertheidigung der Villa, indem er Schützen in die Wirthschaftsgebäude legte und den Rest seiner Mannschaft so gut als möglich postirte. Die Zahl derselben war aber in der That nur gering, da die Ausstellung der Posten und der Auftrag des Lieutenants Caffarelli sie noch mehr geschmälert hatte. Dieser mußte bereits mit den Vertheidigern des Kastells sich im Kampf befinden, denn man hörte Schüsse von dort knallen.

Auch der Angriff vom Lande her näherte sich hörbar immer mehr. Die Posten der Alpenjäger zogen sich eilig vor der Uebermacht des andringenden Feindes zurück.

Lieutenant von Wurmser war auf dem Pferde, das die Vorsorge Meißner's für ihn hatte satteln lassen, rasch genug nach Garda gelangt und hatte das Detaschement, das aus achtzig Mann bestand und von einem Oberlieutenant kommandirt wurde, allarmirt. Noch ehe sie ausrückten, stieß der Kommandant des gesunkenen Dampfers, der nach der Aufgabe des Gefechts sofort nach dem Innern der Bucht gerudert war, mit seiner Bootsmannschaft zu ihnen, und sie nahmen die Gränzer und Marinen auf, die von den Freischärlern vertrieben worden. Ihre Zahl war jetzt mehr als genügend, um diesem Feinde gegenüber den Angriff zu beginnen und rasch wurde derselbe organisirt. Die Posten der Alpenjäger wurden leicht zurückgetrieben und am Fuß der Anhöhe, die zur Villa emporstieg, trennte sich die Kolonne der Angreifenden, indem der eine Theil sich nach den Fischerhütten und dem Eingang der Bucht, der andere nach der Villa wandte.

Während unten am Strand sich Kapitain Landucci mit Glück wehrte und die Oesterreicher nur langsam vorwärts dringen konnten, versuchte Laforgne vergeblich einen gleichen Widerstand auf der Höhe. Die kleinen beweglichen Jäger, eine vortreffliche Truppe der österreichischen Armee, drangen unaufhaltsam vor und warfen die Freischärler aus den Wirtschaftsgebäuden. Bald blieb ihnen nur die Villa selbst noch als Halt, aber Major Laforgne sah ein, daß er auch hier nicht mehr lange werde Widerstand leisten können. Er sandte Boten auf Boten an Lieutenant Caffarelli, sich um jeden Preis des Thurms zu bemächtigen.

Dies war indeß ein schwieriges Unternehmen, denn ehe Aexte und Balken oder Steine herbeigeschafft waren, um die starke Eingangsthür zu zertrümmern, waren zwei von den Alpenjägern durch die Schüsse der Vertheidiger getödtet und drei verwundet. Endlich gelang es ihnen, an die Thür selbst zu kommen und hier waren sie durch die Dicke der Mauern vor den Kugeln der Besatzung selbst aus dem obern Stockwerk gesichert. Die Schläge der Aexte krachten gegen die Thür und die kühnen Vertheidiger des Kastells, einsehend, daß sie das Erdgeschoß nicht länger zu halten vermochten, zogen sich in das obere Stockwerk zurück und schickten sich an, mit ihrem Leben den Zugang dahin zu verteidigen.

Selbst Matthias der Slowak, der vorhin der schrecklichen Scene mit Szabó, dem ehemaligen Kanasz, den er im Feuerschein wieder erkannt, mit verhülltem Gesicht beigewohnt und jede Kugel, die nach ihm geschossen wurde, gleichsam selbst empfunden hatte, – ergriff jetzt ein Pistol und stellte sich zur Vertheidigung.

Die Nacht war darüber vorgeschritten und bereits zeigte sich der Schimmer des beginnenden Tages.

Montboisier war noch einmal zu dem Fürsten hinaufgestiegen, von dem man die beiden Wächter längst zurückgezogen hatte, weil man sie nöthiger zur Vertheidigung brauchte. Er traf ihn noch in demselben Gemach, aufmerksam auf das Schießen lauschend.

»Durchlaucht,« sagte er – »wir sind angegriffen worden und müssen uns zurückziehen, wenn dies überhaupt möglich sein wird. Wenn ich fallen oder gefangen werden sollte, so senden Sie die Botschaft auf einem andern Wege – bei dem Geist der Bevölkerung werden Sie leicht einen solchen finden.«

»Gott sei Dank – er kann fallen!«

»Wer?«

»Der Verfluchte, der Verhaßte, für den ich mein Kind getödtet habe!«

Der Franzose zuckte die Achseln. »Ich habe keine Zeit, Ihnen weiter Rede zu stehn. Entkommen wir glücklich, so findet Ihr Bote mich in Salo!«

Er ging, ohne sich weiter um den Fürsten zu kümmern, der seine Entfernung kaum bemerkte und mit geballten Händen, mit flammendem Auge auf jeden Schuß lauschte.

In dem Speisesaal der Villa, der im Parterre unter dem Salon des ersten Stocks lag, fand er den Major, der eben die Nachricht von seinem Lieutenant erhalten hatte, daß es ihnen gelungen sei, die Thür des Kastells zu sprengen und daß Kapitain Landucci sich noch unten wacker an den Booten halte. Der Franzose flüsterte ihm einige Worte zu, die Andeutung der wichtigen Nachricht, die er vorhin von dem Fürsten erhalten.

»Das entscheidet und kürzt jeden Entschluß ab. Wir haben genug gethan für die Ehre und müssen uns jetzt zu retten suchen. Doktor Achmet, Sie müssen Ihre Patienten zurücklassen, wenn Sie nicht gefangen werden wollen.«

Der Doktor mit den Verwundeten beschäftigt, die zu ihm hereingebracht worden waren, wollte antworten, als eine Hand sich auf seine Schulter legte. Es war der Herr, den er vorhin flüchtig im Salon der Fürstin bemerkt und der menschenfreundlich bisher bei dem Verbinden Beistand geleistet hatte.

»Bleiben Sie,« flüsterte dieser in spanischer Sprache, welche die meisten der Anwesenden nicht verstanden. »Ich bin der Baron Neuillat, den Sie suchen, und bürge für Alles!«

Der Major hatte sich übrigens bereits wieder abgewendet, die Augenblicke drängten.

»Nun gilt es noch Eins, Signori – wer übernimmt es, den Rückzug zu decken?«

Es war natürlich der gefährlichste Posten – den Major und Montboisier riefen höhere Pflichten.

»Ich!« sagte ruhig der Ungar.

»Sie, Graf Stephan?«

»Ich werde der Letzte sein, der dies Haus verläßt! Kümmern Sie sich nicht um mein Schicksal. Kapitain Landucci schlägt sich am Strand – ich habe ihm zu beweisen, daß ich die Gefahr nicht scheue, auch ohne die Klinge in der Hand. Geben Sie Ihre Befehle Major, und beeilen Sie sich!«

Es war in der That keine Zeit zu verlieren – Laforgne bestimmte sechs der kaltblütigsten und besten Schützen, die unter dem Befehl des Grafen den Rückzug decken sollten; dann wurden rasch die andern Leute von den Fenstern und dem Gitter, das die Flanken der Villa bildete, nach der Terrasse zurückgezogen.

Etwa fünf Minuten noch hielt der Graf das Gefecht an der Front der Villa, denn schon drangen in dichtem Tirailleurschwarm die österreichischen Jäger über den Platz, dann gab er gleichfalls das Zeichen zum Weichen.

Die kleine Schaar, von der erst ein Mann gefallen war, hatte kaum das Parterre verlassen, als die Jäger in das Haus drangen; Lieutenant von Wurmser war einer der Ersten.

Er traf auf den Baron. »Ich nehme Ihren Schutz in Anspruch Herr,« sagte dieser, »für die Verwundeten und den wackern Arzt, der ihretwegen zurückgeblieben ist. Lassen Sie dem fliehenden Feind einen Ausweg, es ist des Unheils schon genug geschehen in dieser Nacht.« Der Offizier stellte sogleich eine Wache in das Gemach, wenn auch seine Pflicht ihm nicht erlaubte, dem zweiten Wunsche nachzukommen. Ueberdies war ein Anderer zur Stelle, der mit aller Wuth des Hasses zum Gegentheil mahnte.

Es war der Fürst. Das Morgenlicht hatte ihm den Todfeind unter den Letzten der flüchtenden Freischärler gezeigt, die langsam Schritt um Schritt sich über die Terrasse nach dem Kastell zurückzogen, während der größte Theil ihrer Kameraden bereits durch die Pforte nach dem See zum Strande hinunterklomm. All' seine Gedanken concentrirten sich jetzt nur auf diesen.

»Auf sie – auf sie Lieutenant!« kreischte der Fürst mit wüthender Geberde – »hier über den Balkon ihnen nach, oder sie entkommen Ihnen. Tausend Gulden dem Mann, der den Schurken dort niederschießt – den Offizier mit dem Säbel im Arm –! Was thun die Feiglinge dort oben, daß sie keine Hand rühren?«

Der letzte Ausruf, mit einem gräßlichen russischen Fluch vermischt, galt der kleinen Besatzung des Kastells, die in der That ihr Feuer eingestellt hatte.

Die Ursach war folgende.

Als Lieutenant Caffarelli in das Erdgeschoß des Thurms, oder, um den Namen beizubehalten, des Kastells drang, waren allerdings rasch einige Schüsse mit den Vertheidigern des obern Stockwerks gewechselt worden. Aber sie thaten beiderseitig nicht viel Schaden, da das Dämmerlicht ungünstig für das Zielen war und die Eile so wie Stellung der beiden Parteien dasselbe ohnehin nicht viel erlaubten und somit die Schüsse nur auf's Gerathewohl gethan werden konnten. Einer der beiden Marine-Lieutenants war dabei leicht verwundet worden.

Jetzt kamen die Freischärler von der Villa her in vollen Haufen. Der Jäger hob eben die Büchse, um auf sie aus dem Fenster zu schießen, ehe sie den Eingang erreicht, aber Otto von Röbel hinderte ihn daran, da es ihn anwiderte, auf die Fliehenden aus dem Hinterhalt zu feuern, und im nächsten Augenblick erkannte er die Stimme, die mit ruhigem Ton Befehle ertheilte und in dem kommandirenden Offizier, als er sich umwandte, den Freund.

»Ruhig Leute, ruhig! zieht Euch langsam zurück – Front gegen den Feind! Wir dürfen die Braven, die unsern Rückzug decken, nicht im Stich lassen. Kümmert Euch um den Thurm nicht, wenn sie nicht selbst uns angreifen! Caramba! lauft nicht wie eine Heerde Schaafe, wenn der Wolf kommt! – Wer kein Blut sehen kann, der muß nicht Soldat werden! – So – nun ruhig durch den Thurm und den Felsen hinab – spart das Feuer – spart das Feuer für unten! Carai – wir werden noch gepfeffert genug werden in dieser Rattenfalle und kehren wie die begossenen Hunde zurück ohne Schiff und Gewinn! – Halten Sie die Leute in Ordnung bei dem Hinuntersteigen, Oberst Montboisier – indeß ich dem Grafen das Zeichen gebe!«

Der Preuße war während der ruhigen, wie auf der Parade in kurzen Pausen gegebenen Befehle nach der Treppe gesprungen, wo Meißner seinen Posten hatte. »Um Himmelswillen Rudolph – kein unnützes Feuern. Weißt Du, wer der Offizier ist, der sie kommandirt?«

»Sprich!«

»Laforgne – mein Freund! dem Du am Circus in den Elysäischen Feldern mit mir aus den Händen der Polizei halfst!«

»Mein Gott – welches Zusammentreffen!«

Otto von Röbel hatte bereits des Secretairs Platz eingenommen, als eben sein alter Feind und Freund, der Kämpfer der Revolution, in die Pforte des Kastells trat, während Batthiányi und seine Leute sich bereits im Garten mit den österreichischen Jägern schlugen.

»François! François Laforgne!«

»Caramba – welche Stimme?«

»Es ist die meine!« – den Kampf umher vergessend, die Büchse in der Hand, sprang Otto mit zwei Sätzen die Treppe hinunter und warf sich an die Brust des Freundes. Nur die Geistesgegenwart des Obersten Montboisier rettete dabei sein Leben, da einige der letzten Freischärler glaubten, es handle sich um einen Angriff auf ihren Anführer und ein Bayonnetstoß ihn von hinten durchbohrt hätte, wenn nicht der Säbel des Franzosen das Gewehr noch im rechten Augenblick zur Seite geschlagen.

»Othon – wo kommst Du her?«

»Wir stehen bei der österreichischen Armee – ich und Friedrich! Leider wieder Dir gegenüber!«

»Du weißt doch, was geschehen?«

»Was? – Doch wir haben keine Zeit zum Erzählen – Fort! fort mit Dir, oder Du wirst der Gefangene der Oesterreicher!« Er drängte den Freund nach dem Ausgang.

»Die Marchesa – Rositta ....«

»Himmel, was ist mit ihr?«

Meißner war dem Freunde gefolgt. Er schob mit Gewalt den Major nach der Pforte.

»Carmen ist frei, gerettet! – ich lasse Dir Doktor Achmet, er weiß Alles! Gott schütze Dich! – Avanti cacciatori!«.

Die letzten Worte klangen schon von den Stufen zum Ufer her – drei der Alpenjäger, die übriggebliebenen von dem kleinen Arrieretrupp des Grafen, stürzten ihm nach durch das Sousterrain, mit Gewalt sich Bahn brechend – hinter ihnen durch die Thür nach dem Garten klang bereits das jubelnde »Hurrah!« der österreichischen Jäger – das Kommando des Offiziers – dazwischen eine gelle kreischende Stimme: »Haltet auf ihn, brave Jäger! Tausend Gulden, wer den Verräther niederschießt!«

Eine hohe Gestalt schwankte in die Thür des Sousterrain, der Letzte auf seinem Ehrenposten – Stephan Batthiányi – den Säbel in der Scheide im linken Arm, den rechten blutend herabhängen, – das stolze, blasse Gesicht noch immer dem Feinde zugekehrt!

Die fliehenden Alpenjäger kümmerten sich nicht um ihren Offizier; – Laforgne, der gewiß nicht gewichen wäre, ehe er auch ihn in Sicherheit gewußt, war durch die Freunde fast mit Gewalt hinausgedrängt worden –

Graf Stephan war allein in der Gewalt seiner Feinde, die von dem Garten her jetzt herbei eilten und die im Innern des Kastells den Durchgang sperrten.

Die Jäger waren bis auf einige Schritte heran, als der Fürst, der hinter ihnen drein kam, seinen Ruf wiederholte. In diesem Augenblick glitt der Slowak die Treppe herab und faßte den Arm des Secretairs. »Retten Sie ihn,« flüsterte er – »Sie retten das Leben der Fürstin!« Er hatte die Worte kaum gesprochen, als Graf Stephan langsam rückwärts in den innern Raum trat – mit starrem Blick umhersah und zwei Schritte nach dem gegenüberliegenden Ausgang that. Dann entrang sich ein leises Stöhnen des Schmerzes seinen Lippen und er brach zu Boden.

Im Moment war Meißner an seiner Seite, während der Slowak bereits den Kopf des Gefallenen unterstützte. »Ergeben Sie sich, Herr, Sie sind mein Gefangener!«

Ein ernster, doch nicht unfreundlicher Blick des Grafen, ein leichtes Nicken des Hauptes war die Antwort und die Linke hob den Säbel, der seine Scheide nicht verlassen, zum Zeichen der Erklärung. Der Secretair nahm die Waffe und richtete seine Blicke nach dem Eingang, durch den die Jäger jetzt, die Büchse mit dem Hirschfänger darauf zum Angriff in der Hand, herein sprangen. Als sie in dem Gewölbe nur die Vertheidiger desselben mit dem Verwundeten beschäftigt sahen, eilten die Vordersten flink dem Ausgang zu und bald knallten ihre Büchsen wieder auf dem Felsen munter hinter den Flüchtenden.

Major Laforgne und der französische Oberst hatten glücklich das Ufer erreicht, wo Kapitain Landucci noch immer tapfer sich mit den Oesterreichern schlug, obschon diese ihn hart bedrängten. Der Major übernahm sofort den Befehl und gab die Ordre zum Einschiffen. Es gehörte all' seine Energie dazu, um zu verhindern, daß das nicht in eine regellose und dadurch um so gefährlichere Flucht ausartete. Auch hier behauptete er einen der letzten Posten und hielt mit scharfem Feuer den Weg vom Kastell herunter rein und den Feind an dem schmalen Strand in gehöriger Entfernung, während Oberst Montboisier und die Offiziere der Alpenjäger die Embarkirung der stark gelichteten Mannschaften leiteten.

Das erste Boot, das schon vorher vom Ufer stieß und eilig hinaus auf den im Morgenroth erglühenden Spiegel des Sees ruderte, war das des englischen Kapitains, der sich mit beiden Händen den Kinnbacken hielt und keine Lust vorläufig zu weitern Schießversuchen hatte.

Erst während des letzten Gefechts auf dem Strande hatte Laforgne bemerkt, daß der tapfere ungarische Graf fehlte, aber es war unmöglich, um seinetwillen einen Versuch zu machen und er mußte ihn mit Bedauern seinem unbekannten Schicksal überlassen. Mit dem letzten Boot und einem so schweren Herzen über den starken Verlust und das mißlungene Unternehmen, daß er kaum dem Wiederfinden des Freundes einen Gedanken widmen mochte, verließ er das Ufer, von dem die Jäger und Gränzer mit Siegesjubel noch so lange als möglich fortfuhren, ihren Rückzug zu beunruhigen.

 

Hinter den Jägern drein, welche nach der Einnahme der Villa den Garten von den Feinden gesäubert, war, von jenem Haß getrieben, welcher selbst die eigene Gefahr gering achtet, der Fürst gefolgt, wie wir oben gesehen haben, sie fortwährend anspornend, den Offizier der Feinde, der ihren Rückzug leitete, speziell auf's Korn zu nehmen. Er konnte in der Morgendämmerung und in der Entfernung nicht bemerken, daß in der That eine der Kugeln ihn bereits verwundet, und als der Graf in dem Eingang des Kastells verschwand und er ihn entkommen wähnte, kannte seine Wuth keine Gränzen und er drängte durch die Soldaten, um wo möglich vom Felsen herab selbst noch einen Schuß hinter ihm drein zu thun.

Plötzlich sah er da seinen Feind hilflos, blutend und ohnmächtig zu seinen Füßen liegen.

Eine dämonische Freude zuckte über sein häßliches Gesicht, nur geschmälert durch den Umstand, daß der Bewußtlose blos durch den Arm geschossen war, und er hätte am Liebsten befohlen, ihm mit einigen Bayonnetstößen den Garaus zu machen oder dies selbst gethan, wenn er es gewagt hätte.

Dennoch konnte er nicht ganz den Ausbruch seiner Freude mäßigen. Indem er mit dem Fuß nach ihm stieße rief er frohlockend: »Da liegt der Nichtswürdige! – Nehmt Stricke, Soldaten, schnürt ihm die Glieder zusammen, daß er sich nicht zu rühren vermag! Der Bursche ist einer der schlimmsten Hochverräther an Eurem Kaiser und verdient den Galgen, dem er schon einmal entlaufen ist, und an dem er baumeln soll, oder ich will nicht Trubetzkoi heißen! Fort mit ihm, werft ihn zu den Andern und bewacht ihn wohl!«

Der Secretair hatte sich unwillig aufgerichtet. »Euer Durchlaucht sehen, daß dieser Offizier verwundet ist!«

»Was thut's – er ist nicht besser, wie die Andern und ich will, daß meinem Befehl Folge geleistet wird!«

»Ich bedauere, Eurer Durchlaucht widersprechen zu müssen, aber dies wäre ein unwürdiges Verfahren, in das ich nicht willigen kann. Der Offizier hier ist mein Gefangener!«

»Skotina! Wie – Sie erdreisten sich ...«

»Ich bitte Eurer Durchlaucht nicht zu vergessen, daß ich die Ehre habe, nicht in Ihren Diensten zu stehen!«

»Und ich,« sagte der junge Röbel, »werde dafür sorgen, daß diesem Offizier die Behandlung eines Gentleman zu Theil wird!«

Der Fürst warf Beiden einen wüthenden gehässigen Blick zu, der sie erdolcht oder vergiftet hätte, wenn er die Macht dazu gehabt. Dann drehte er sich um und humpelte erboßt davon, um den kommandirenden Offizier aufzusuchen und dort durch seinen Bericht möglichst ungünstig, für den Gefangenen zu wirken. Bald darauf, während die Freunde noch berathschlagten, was am Besten zu thun, kam ein Oberjäger mit dem Befehl, daß der verwundete Offizier nach dem Parterre der Villa gebracht werden solle, wo der Wundarzt des Detaschements mit Hilfe des fremden zurückgebliebenen Arztes beschäftigt war, in den durch den Zwang der Umstände rasch zur Verbandstätte und zum Lazareth eingerichteten Räumen den Verwundeten beider Parteien Beistand zu leisten.

Man mußte sich dem Befehl fügen und Otto von Röbel und sein Freund begleiteten die Jäger, welche den Offizier auf einer Gärtnertrage fortschafften.

Auch Szabó, der Wolfsjäger, der blutend an den rauchenden Trümmern des Kiosk lag, wurde fortgetragen.

Die eiligen Worte, welche der flüchtende Freund ihm zugerufen, beflügelten übrigens die Schritte Otto von Röbel's und als sie nun mit ihrer blutigen Begleitung – Graf Stephan war unterdeß wieder zu sich gekommen, und blieb schweigend und finster auf seinem harten Lager – den Haupteingang der Villa erreicht hatten, eilte er voraus in die Speisehalle.

Der Major hatte die Wahrheit gesagt, er sah die bekannte Gestalt des Mohrendoktors sich eifrig unter den Verwundeten bewegen und mit seiner aufopfernden Menschenliebe ihnen jeden möglichen Beistand leisten.

»Doktor Achmet!«

Der kleine Arzt blickte rasch empor: »Die Stimme kenne ich! – bei Boabdil, meinem Ahnherrn – das ist mein wackrer Deutscher, der Retter meines Herzblatts! – Einen Augenblick, Monsieur de Reuble – es ist der letzte Verband, den ich anlege und sogleich bin ich bei Ihnen!«

Der junge Mann aber trat zu ihm. »Ich bitte, Doktor, lassen Sie sich nicht stören in Ihrem Werk der Pflicht und Barmherzigkeit. Da ist meine Hand – und hier ein Offizier, dem Sie Ihre Hilfe widmen müssen. Sagen Sie mir nur das Eine – habe ich François recht verstanden, ist Señora Rositta aufgefunden?«

»Aufgefunden und gerettet aus den Händen der Schwarzkutten, mein Junge, und in Paris und so viel ich glaube, voll Sehnsucht und bestem Willen, ihrem Lebensretter ihren Dank zu beweisen,« berichtete der Arzt in französischer Sprache. »Bei der Krone der Hacenen, die einst über das schöne Granada herrschten, das ist ein merkwürdiger Tag und dies hier« – er wies auf den zerschmetterten Arm des Ungarn, »eine verteufelte Wunde, die ihrem Eigenthümer das Glied kosten würde, wenn mich nicht ein glücklicher Zufall hierher geführt hätte. – Kommen Sie einen Augenblick hierher, mein Herr,« wandte er sich zu dem deutschen Wundarzt, »und sagen Sie mir, was Ihre Ansicht von diesem Arm ist?«

»Er muß abgenommen werden eine Handbreit unter der Schulter,« erklärte dieser mit der Gleichgültigkeit seines Metiers. »Das Ellenbogengelenk ist zerschmettert – es ist keine Rettung als Amputation, wenn man dem Mann das Leben erhalten will. Wenn Sie es wünschen, können wir sogleich daran gehn!«

»Lento! tardo! Kollega,« lächelte der Mohrendoktor, der trotz des Blutes und der Leiden und seiner Theilnahme daran sehr vergnügt und zufrieden zu sein schien. »Haben Sie niemals von einer Operation gehört, die man Resection der Gelenke nennen kann?«

»Nein!«

»Bueno! Mit Ihrer Hilfe will ich sie morgen ausführen, nachdem wir vorläufig den Arm verbunden haben.

Diable – dem Burschen da – ich erinnere mich seiner – wird diesmal seine Riesennatur schwerlich helfen. Es ist zuviel! drei Kugeln in der Brust, von denen jede einzelne hinreichend ist, einen Stier zu tödten! – So hat Ihnen also der Major nichts Näheres erzählt von dem Zufall, der ihn Carmen – denn das ist ihr rechtmäßiger Namen jetzt! – finden ließ und von den verhängnißvollen Umständen ihrer Befreiung?«

»Keine Sylbe, und – der Wahrheit die Ehre – er war auch wahrhaftig nicht in der Lage dazu!«

Der Doktor lächelte vor sich hin. »Das glaube ich selbst! Bei meinen Vätern von Granada – Ihre österreichischen Jäger sind etwas zuverlässigere Bursche als unsere garibaldischen Alpenjäger. Es wird dem Major verteufelt angekommen sein, so retiriren zu müssen! – Aber denken Sie, Monsieur de Reuble, daß man die Marquise von Massaignac wie die niederste Magd als eine Gefangene in ein Kloster gesperrt hatte und sie zwingen wollte, eine Nonne zu werden! Rositta – die beste Reiterin – eine Erbin von Millionen!«

Der junge Deutsche stieß unwillkürlich einen Seufzer aus. Selbst Rositta, die Kunstreiterin, hatte ihm näher, erreichbarer gestanden, als die reiche und schöne Marquise von Massaignac. »Ich brauche nicht zu fragen, wer der Schurke war, der die Schuld trägt!«

»Gewiß nicht! derselbe und sein guter Freund, die Sie damals im Foyer der großen Oper verhaften ließen, um ihren niederträchtigen Plan auszuführen. Aber der Eine steht jetzt vor dem Richterstuhl Gottes und den Andern wird seine Verwandtschaft mit der schönen Kaiserin der Franzosen sicher nicht schützen.«

»Wie – der Senateur Marquis von Massaignac .....?«

»Wurde am Monte Cenere, in dessen Kloster seine einzige Schwester eingesperrt war, durch einen Sturz von dem Felsen zerschmettert, und ich glaube nach aller Beschreibung, daß der arme Teufel hier, der bereits im Delirium liegt, seine Hand dabei im Spiel hatte. Carmen, das Goldkind, ist jetzt die einzige und bereits anerkannte Erbin des ganzen Reichthums der Massaignac!«

Wiederum entfloh bei dieser Ankündigung ein tiefer Seufzer der Brust des jungen Mannes, – er vermischte sich mit dem wilden Schrei der Phantasieen des Sterbenden.

»Der Slowak ist kein Mensch! – Hui – wie die Zähne des Wolfs in der Brust wühlen! Ducke Dich! ducke Dich Wölflein – es hilft Dir Nichts – der Szabó schnürt Dir die scharfen Klauen zusammen, damit sein Hochzeitsgeschenk hübsch säuberlich ausschau! Warum stößt der General mächtiger des armen Slowaken Geschenk mit dem Fuße von sich? Tót nem ember – der Slowak ist kein Mensch! – Laßt den Wolf los! Es ist Hochzeitsnacht und der alte Mann mit dem weißen Haar kommt die Treppe herunter – ich muß sein Blut sehen!«

Auf Matthias', des Slawoniers Bitten, hatte man den unglücklichen Landsmann desselben in eines der Seitenzimmer gebracht. Dort hinein auch war der Graf, der vornehme Magnat, auf eine Matratze gelegt worden.

Matthias war jetzt allein bei ihnen, während die beiden Freunde sich entfernt hatten, um nach den Vorgängen draußen zu sehen, nach dem Befinden der Fürstin und des Kindes sich zu erkundigen und sich ihres Gefangenen anzunehmen, denn die Offiziere waren so eben vom Ufer heraufgekommen, da von einer Verfolgung des Feindes nicht die Rede sein konnte.

Es war jetzt die Sache Meißners, in Stelle der kranken Herrin und des Fürsten, der finster umherhinkte, den Wirth zu machen und für eine Erfrischung der Offiziere und Mannschaften nach dem Gefecht zu sorgen, und auf ihm allein lag die Last, da weder Feodora noch eine der andern Frauen sich sehen ließen; sie schienen alle mit der Herrin und dem Kinde beschäftigt, an dessen Bett der Arzt sich jetzt befand.

Wiederholt ging ihm dabei der Gedanke an den verwundeten Ungarn und sein Verhältniß zur Fürstin durch den Kopf. Er hatte von Tunsa-Feodora allerdings gehört, daß die Fürstin früher vor der ungar'schen Revolution mit einem jungen Magnaten, der in dieser eine Rolle gespielt, verlobt gewesen sei, daß aber jenes Verhältnis sich in einer schrecklichen Weise mit dem gewaltsamen Tode des jungen Grafen gelöst habe, an dem der Fürst, ihr Gemahl, nicht unbetheiligt gewesen sei. Und jetzt plötzlich tauchte derselbe Mann lebend wieder auf; denn nach Allem, was er von dem Slawonier gehört über die That des Fürsten bei seinem Erscheinen, konnte es keinem Zweifel unterliegen, daß es der frühere Geliebte der unglücklichen Frau war. Obschon der Secretair in Vielem noch nicht klar sah, verehrte und achtete er die Fürstin doch zu aufrichtig, um nicht alsbald auch fest entschlossen zu sein, was irgend in seinen Kräften stand, für den Mann zu thun, der ihrem Herzen einst theuer gewesen und wahrscheinlich noch war.

Mit diesen Gedanken wollte er eben wieder das Zimmer verlassen, in welchem der Räuber und Mörder in wilden Phantasieen lag und in dem er nochmals nach dem Grafen gesehen, als ihm Feodora auf der Schwelle entgegen trat.

Das Gesicht der Zigeunerin, immer beweglich und der Spiegel der Seelenaufregungen, die sie verzehrten, hatte einen finstern entschlossenen Ausdruck, wie er kaum je sich erinnerte, an ihr gesehen zu haben. Es war bleich, übernächtigt, aber die schwarzen runden Augen funkelten wie zwei glühende Kohlen.

»Ist er todt? Hat er wirklich ihn ermordet?« frug sie mit heiserer Stimme.

»Wer? Wen meinen Sie, Feodora?«

»Wen soll ich meinen anders, als ihn – den er geschworen hat, zu vernichten und den ich selbst verderben half, ich – die nichtswürdigste Creatur, die that, wessen ich sie beschuldigte, die nicht werth war, daß ihr Fuß mich von sich stieß! Den blanken Grafen meine ich, der auf dem schwarzen Roß an ihrer Seite wie der Sturmwind daher brauste an jenem Tag, als die Tochter der Haide das Feuer ihrer Väter verließ, – um dem bösen Geist Leib und Seele zu geben. Wo ist der blanke Ungarngraf, todt oder lebendig?«

»Graf Batthiányi?« Er hatte sie in das Vorzimmer zurückgedrängt. »Gott sei Dank, er lebt, nur der Arm ist zerschmettert von einer Kugel, und auch diesen giebt der Arzt Hoffnung, zu erhalten. Er ist mein Gefangener und ich hoffe, nicht blos sein Leben zu retten!«

Sie hatte die Hände auf die Brust gepreßt, als wolle sie das stürmisch pochende Herz bewältigen. Jetzt brach sie in Thränen aus und ehe der Secretair es verhindern konnte, hatte sie seine Hand gefaßt und geküßt.

»Du bist ihr guter Engel, wie ich ihr Dämon war,« sagte sie leidenschaftlich. »Laß mich hinein zu ihm, damit ich ihm ein Wort des Trostes flüstere, das alle Wunden heilen wird. Glücklich die, welche es zu hören vermögen!«

»Liebe Freundin,« beruhigte sie der Secretair, »es ist mir lieb, daß ich Sie traf. Sagen Sie der Fürstin, daß ich in Allem zu ihren Diensten bin, was auch die unglückliche Dame mir zu befehlen hat. Wie ich zu meiner Freude höre, ist Hoffnung, das Leben meines kleinen Zöglings zu erhalten, das die Hand des eigenen Vaters gefährdet hat. Lassen Sie uns Beide zusammen stehen, um den Verwundeten da drinnen zu schützen; denn ich will Ihnen nicht verhehlen, daß er in dem Fürsten auch jetzt einen schlimmen und gefährlichen Feind zu haben scheint und wir müssen ihn daher sorgfältig bewachen!« Die Augen der Zigeunerin, noch eben von den leidenschaftlichen Thränen getrübt, funkelten wieder wild und drohend. Sie schüttelte das schwarze Haar zurück, das in aufgelösten Strähnen um ihren Kopf flog.

»Wehe ihm, wenn er es wagt, die blutige Hand nach Jenem zu strecken!« rief sie heftig. »Die Mumeli-Swa ist der entarteten Tochter ihres Volkes erschienen und die Todtenfidel des Vaters klingt rufend in ihr Ohr! Tunsa's Auge liegt auf der Lauer, wie der Luchs auf den Aesten des Baumes – der bleiche Stern des Ungarlandes soll wieder leuchten frisch und roth und wenn es Tunsa's Herzblut kosten sollte!«

Sie drängte sich an ihm vorbei in das Gemach; Meißner, der ihr excentrisches Wesen kannte, ließ sie gewähren und ging eilig zu den versammelten Offizieren. –

In dem Gemach der beiden Kranken war es, trotz des prächtigen Scheins der Morgensonne draußen doch recht düster und schwer. Die vier Kinder desselben Landes, die hier so plötzlich versammelt waren, trugen alle ein schweres Herz. Die kleine Zigeunerin, die an der Matratze des Grafen zusammengekauert saß, erzählte ihm von ihrer Herrin, von jener fürchterlichen Nacht, nachdem sie in die Trauung gewilligt, um die Mutter zu retten und den Geliebten, und wie sie erst am Morgen erkannt, wie schändlich sie getäuscht worden. Die Zigeunerin verhehlte dabei ihre eigene Schuld nicht, noch versuchte sie, dieselbe zu beschönigen; dann erzählte sie, wie das Unglück der stolzen Magnatentochter so gräßlich, so entsetzlich geworden, daß das elendeste Geschöpf der Pußta gewiß nicht mit ihrem Loos getauscht hätte, und von der Ergebung, mit der sie dies Alles ertragen; wie der stumme und stolze Schmerz ihr boshaftes Herz gerührt und sie aus der Aufpasserin der unglücklichen Frau, die zum Hohne ihr Haus mit ihr theilen mußte, zu ihrer treuen Dienerin gemacht hatte, die sie vertheidigte wie der Hund seinen Herrn gegen die brutalen Launen des Fürsten, bis ihr Geist sich selbst wieder so weit empor gerafft, um selbstständig ihm trotzen zu können. Nur von dem Opfer – jener traurigen Hingebung an die Forderung des Fürsten – das die Herrin für die Bewilligung der Trennung von ihm gebracht und dessen lebendiger Zeuge jetzt von der Hand desselben Mannes getroffen war, von dem Kinde, vermied die Zigeunerin zu sprechen.

Graf Stephan war kaum in weniger erregter und fieberhafter Stimmung gewesen bei dieser Erzählung, als der Sterbende in der andern Ecke des Gemachs, der bald in wilden Phantasien raste, bald stöhnend sich auf dem Lager wälzte. Wie gering war Alles gewesen, was er selbst erduldet, gegen das Leid und Elend, das die Geliebte getragen, und wie schweres Unrecht hatte er ihr gethan bei der Beschuldigung der Treulosigkeit und des Vergessens, als er sein Herz loszureißen versuchte von ihrem Andenken.

Aber eine grimme Wuth erfaßte ihn gegen den Mann, der ihm und ihr, die er mehr liebte als sein Leben, all' dies Leiden bereitet, der ihr Glück, ihren Frieden gestört hatte mit roher Hand und teuflischer Bosheit, und er raffte sich von seinem blutigen Lager empor und hob den zerschmetterten Arm, bis der zuckende Schmerz ihn daran erinnerte, daß er ein Gefangener, ein Krüppel sei, preisgegeben der Bosheit seines Feindes, und während das Gefühl seiner Ohnmacht ihm den kalten Schweiß auf die Stirn trieb, sank er zum Schrecken des Mädchens wieder zurück in die Kissen vom Fieberfrost geschüttelt.

So fand ihn zu seinem Bedauern der Doktor und trieb unmuthig die gefährliche Wärterin von seinem Lager. Der Arzt war nicht allein gekommen, in seiner Gesellschaft befand sich der alte ehrwürdige Pfarrer von Garda, ein in der Villa von der Fürstin gern gesehener Gast, der auf die Nachricht von den Ereignissen eilig herauf gekommen war, zu trösten und zu rathen. Der Doktor – obschon selbst ein arger Freigeist – führte ihn an das Sterbelager des Räubers.

In dem Kreis der Officiere war es indeß zu ernsten Erörterungen gekommen. Der Baron von Neuillat hatte sich sofort an den Kommandanten des versenkten Dampfers, dem seinem Range nach jetzt der Befehl zukam, mit der Anzeige gewandt, daß auf seine Veranlassung Doktor Achmet bei dem Rückzug der Franzosen zurückgeblieben sei, um die Verwundeten nicht zu verlassen, und die Aufopferung, mit welcher er sich derselben ohne Unterschied der Nationalität angenommen, veranlaßte die Offiziere zu der Erklärung, daß man nicht daran denke, ihn als Gefangenen zu behandeln und daß er nur sein Ehrenwort geben solle, die Villa bis zum Eingang der weiteren Entscheidung aus dem Hauptquartier nicht verlassen zu wollen, um von jeder anderweiten Beschränkung befreit zu bleiben.

Eine ernstere Erwägung und sogar einen ziemlich scharfen Wortwechsel veranlaßte die Bestimmung über den andern Gefangenen, den Grafen Batthiányi. Der Fürst hatte sich auf das Eiligste angelegen sein lassen, den Rang und Stand des Verwundeten zu verkünden, so wie daß er bereits aus der ungar'schen Revolution von 1848 und 49 geächtet und eines der gefährlichsten Häupter derselben gewesen sei, das man bis jetzt irriger Weise todt geglaubt. Der Umstand, daß er als österreichischer Unterthan jetzt wieder in den Reihen der Feinde im Kampf gegen die kaiserliche Armee gefangen genommen worden, mußte seine Schuld erhöhen und in den Augen der Offiziere sie zu Hochverrath stempeln. Die Bemerkungen des Fürsten trugen dazu bei, die feindliche Stimmung zu erhöhen; der Einspruch des Secretairs, daß Graf Batthiányi eigentlich als sein persönlicher Gefangener betrachtet werden müßte, wurde daher scharf zurückgewiesen und nur die ganz bestimmte Erklärung der beiden Aerzte, daß ein längerer Transport des Verwundeten ohne die größte Lebensgefahr vorläufig nicht auszuführen sei, schützte ihn davor, sofort mit Escorte nach Verona gebracht zu werden.

Es handelte sich nun darum, eine Stelle zu finden, wo neben der ärztlichen Pflege eine sichere Bewachung möglich war, da man so viel als möglich die Villa selbst mit militairischer Besatzung verschonen wollte. Der Secretair bot seine Wohnung im Kastell an, der Fürst aber erklärte dasselbe für nicht genügend sicher und bot dafür den Raum im zweiten Stockwerk seines Thurms, der ein Gemach mit vergitterten Fenstern enthielt und in dem die Bewachung leicht und jede Flucht unmöglich wäre. Sein Haß, der sich an dem Unglück des Todtfeindes weiden und ihn selbst bewachen wollte, wußte alle Einwände zu beseitigen und es wurde daher die Ordre gegeben, den Gefangenen dahin zu schaffen und mit aller Rücksicht zu behandeln, aber zugleich mit der größten Strenge zu bewachen, während eines der vor der Villa liegenden Wirthschaftsgebäude zum einstweiligen Lazareth für die andern Verwundeten eingerichtet wurde.

Für den Arzt wurde ein Zimmer im Parterre der Villa in Bereitschaft gesetzt, da der Fürst, der jetzt – seines Opfers sicher! – plötzlich wieder die größte Zärtlichkeit für den verwundeten Erben seines Namens entwickelte, – dessen unmittelbare Nähe bei dem Kinde verlangte.

Wahrend die Dienerschaft im Innern die Spuren des Kampfes der vergangenen Nacht so gut als möglich beseitigte, die Offiziere ihre Rapporte machten und die Gefallenen begraben wurden, – trat der Tod in seiner schrecklichsten Gestalt an das Lager eines Menschen, den die Sünde Anderer aus dem stillen Frieden eines unbedeutenden und deshalb glücklichen Daseins gerissen und zum Mörder und Verbrecher gemacht hatten.

Auf dem Strohsack am Boden lag die kräftige Gestalt des Räubers ausgestreckt und seine Hand hatte im wilden Delirium selbst den mühsam ihm angelegten Verband abgerissen, daß die Wunden bloß lagen und die Tropfen schwarzen Blutes über die behaarte Brust quollen.

Achselzuckend hatte der österreichische Chirurg das Lager verlassen, – er wußte, daß menschliche Hilfe vergeblich war. Auch der alte Geistliche konnte nichts Anderes bieten, als sein Gebet, denn die wilden Fieberphantasien des Kranken machten jeden geistlichen Zuspruch unmöglich.

So sah er in einiger Entfernung und betete die Worte der Kirche für den Sterbenden.

Nur Zwei hatten den Armen nicht verlassen – zwei Wesen, welche die Armuth der Jugend, die Verachtung der Menschen, die Leiden und Freuden der Heimath einst mit ihm getheilt, – Matthias, der wandernde Kesselflicker, der Bruder des Mädchens, dessen Tod ihn hinausgetrieben durch die Welt, bis er heute entsetzlich sie und sich an ihrem Mörder gerächt, und Tunsa, das Zigeunerkind, die wilde Blüthe der Haide, die mit allem Glanz und aller Lust der Welt nicht die Erinnerung an jene Haide und an die zersprungene Fidel des armen Zigeuners ihres Vaters hatte betäuben können.

Der Slowak hielt die Hand des Mörders in der seinen, während Tunsa von Zeit zu Zeit die heiße Stirn des Mannes kühlte, der ihren Vater gehenkt.

»Der General mit dem weißen Haar« murmelte der Sterbende – »was will er von mir? – Die Hanka will Blut haben! – Und der Offizier dort – Leichen rings um! warum saugst du an ihnen nicht dich satt, gieriger Wolf, daß ich seinen Schädel zerschmettern muß? – Wie er die Hände flehend empor hebt – ein Schlag – hu, wie es knirscht, und der Vampyr mit dem weißen Leichentuch fliegt über das Todtenfeld! – Barmherzigkeit – sie sind Alle hinter mir – Petrike und die Wolfsbraut – das Weib am Kloster und der alte Mann dort in Wien! Haltet die Gespenster von mir – sie sind schlimmer als der Vampyr! Verflucht sei die Hand, die mir das Bayonnet in die Hand gab! – Hussah! Der Wolf ist los! der Wolf kommt!«

Er rang sich los von den Armen der ihn Haltenden und richtete sich auf dem Lager empor. Plötzlich wurden seine flammenden wilden Blicke ruhiger, indem sie auf dem Mann und dem Mädchen an seiner Seite hafteten, und er fuhr mit der Hand über die Stirn.

»Was ist geschehen – wo bin ich? Das ist Matthias, der Bruder Hankas – aber die Hanka ist nicht hier!« –

»Sie ist im Himmel, Szabó mein Bruder, sie erwartet uns!« – »Im Himmel? – wie – wie – es ist Nacht vor mir – der Himmel ist nicht für den armen Slowak – der Mann mit dem weißen Haar steht dort – an der Laterne hängt sein Leib – –«

»Gott ist barmherzig! Der Heiland ist für uns Alle gestorben am Kreuz, auch für den Aermsten und Sündigsten! Hoffe auf seine Gnade, Szabó mein Bruder und laß uns beten zu ihm!«

»Beten – beten! Weißt Du auch Matthias, daß Mörder blutige nicht können beten zu Gott? Sie sind verflucht in Ewigkeit!«

»Szabó, des Herrn Gnade ist unermeßlich, auch für den schwersten Sünder, wenn er bereut!«

Der Geistliche war näher getreten. »Miserere Domine gemituum, miserere lacrimarum ejus: et non habentem fiduciam, nisi tua misericordia, ad tuae sacramentum reconciliationis admitte!«

Der Sterbende sah in starr an. »Was will der Pfaff hier? Schafft ihn fort, die Hanka feiert die Brautnacht, eh der Priester Segen seinigten gesprochen! – wer kümmert sich um den Slowak? Laßt den Petrike kommen, daß er die Fidel spielt! Baszom teremtete! Der Petrike kann nicht kommen, der Szabó, sein Freund, hat ihn aufgehenkt am Thurme von Enyád, während Tochter seinigte, die Hure, jubelt mit den blanken Herrn! – Laßt den Wolf los – Hussah, Jurisch, der Szabó kommt!«

Der Geistliche wandte sich ab von dem Lager und hob die Hände: »Herr, erbarme Dich seines unsterblichen Theils und gehe nicht ins Gericht mit seinen Sünden!«

Die Zigeunerin blickte finster nach dem Sterbenden. »Tunsa vergiebt Dir, denn sie weiß, wie die Liebe das Herz zerreißt! Geh voran auf dem dunklen Weg in das Nichts – sie wird Dir folgen!«

Der Slowak war zurückgesunken – er hielt noch immer die Hand des Bruders seiner Geliebten – seine Augen hatten sich weit geöffnet und starrten empor, ein mildes freundliches Lächeln stieg auf die rauhen finstren Züge, gleich denen eines Kindes, das träumt.

Es ist eine wohlthuende heilige Sage, daß die Visionen jener Unglücklichen, denen das Leben ein schweres Kreuz voll Leiden und Elend, voll Schrecken und Schmerzen war, – in ihrer Todesstunde ihnen freundliche Bilder der Heimath oder der Jugend verzaubern, während der Glückliche im Leben gar oft die dunkelsten Gestalten dieses Lebens mahnend und rächend um sein Sterbebett versammelt sieht!

Die ewige Gerechtigkeit beginnt ihr Werk in jener großen Stunde.

Mit Staunen sah Matthias die Züge des sterbenden Mörders sich verklären.

»Siehst Du die Pußta, Török – wie sie sich ausdehnt, weit, weit, – bis zum Fichtenwald, wo wir so oft gespielt, Du, und die Hanka und der arme Szabó. Die Leute sagen, Herr gnädiger drüben im blanken Magnatenschloß wolle einen Kanász machen aus dem Szabó Palko, wie sein Vater war. Aber der arme Szabó will ein Csikos werden, der durch die Pußta jagt, wie der Wind vom Theiß! Und vor sich hat er die Braut in der Parta und der Bunda und der Staregessy ladet die Gäste und die Zigeuner spielen auf dem Gerüst den Csardas und die Bauern tanzen mit der hübschen Slowakenbraut, – Török – die Hanka ruft mich – und es ist Frühling in der Pußta – die Blumen blühen und der Reiher streicht durch das Schilf – der Himmel ist blau überm schönen Ungarland und der Slowak ist ein Mensch – frei – frei – die Hanka – –« er breitete die Arme aus – der Kopf sank zur Seite – der Mörder war todt!

 

Als der Fürst, von Petrowitsch, dem Kosaken begleitet, um Mittag sich in seine Wohnung in dem alten Veroneser Thurm zurückzog, in dessen oberem Geschoß mit doppelten Posten bewacht, jetzt Graf Stephan im Fieber lag, fand er Abramo, den buckligen Spion auf seiner Schwelle kauern. Er nickte ihm gnädig zu und befahl dem Kosaken, ihn einstweilen an einem sichern Ort unterzubringen, bis er ihn rufen lasse.

Eine Stunde vorher waren der Baron Neuillat und Otto von Röbel nach Verona zurückgekehrt. Beide – jeder für sich – hatten eine lange Unterredung mit dem spanischen Arzt gehabt; beide Gespräche schienen wichtig genug, denn alle Drei befanden sich in ernster nachdenklicher Stimmung, als der Doktor sie zum Wagen geleitete, da Otto von Röbel, dem der Baron sehr gefiel, mit Vergnügen die Einladung angenommen hatte, mit diesem zu fahren.

Der Baron reichte aus dem Wagen nochmals dem Arzte die Hand, während an der andern Seite Meißner bei dem Freunde blieb und ihm Grüße in die Heimath auftrug, wohin Otto sogleich von Verona aus schreiben wollte, ob vielleicht Briefe aus Paris eingegangen wären, und der Fürst mit einigen Offizieren des starken Truppendetachements, das im Laufe des Vormittags in Eilmarsch angekommen war, im Eingang der Villa stand und den Kneifer im Auge spöttisch und mißtrauisch den ihm räthselhaften Verkehr beobachtete.

»Seien Sie versichert, Doktor« sagte der Baron, »daß ich sofort Alles aufbieten werde, der Sache auf den Grund zu kommen. Graf Mortara – wenn sich auch seine genaue Verbindung mit dem Orden nicht in Abrede stellen läßt, – ist doch ein Mann von Ehre und Rechtschaffenheit, und wird sich nicht weigern, sich gleichfalls der Sache anzunehmen. Daß Sie auf so merkwürdige Weise in Besitz des Dokuments gekommen sind, ist von größter Wichtigkeit, verwahren Sie es wohl. Wenn sich unser Argwohn bestätigt, so hat der junge Mann vollen Anspruch auf den Titel wie auf das Erbe, und der Orden kann sich nicht weigern, ihn frei zu geben. Aber wir müssen mit der größten Vorsicht verfahren, indem wir das Terrain sondiren, denn unsre Gegner sind schlau, sie halten fest an ihren geheimen Plänen und glauben Sie mir, es fehlt ihnen auch keineswegs an Macht und Einfluß, auch wenn sie vorläufig die Rolle von Flüchtigen und Vertriebenen spielen. Ich wünschte nur, Sie könnten des kleinen Schurken, jenes jüdischen Spions, wieder habhaft werden, dessen ich mich von Mantua und Mailand noch sehr wohl erinnere, und der den Verkehr mit dem Prälaten uns sehr erleichtern könnte!«

»Ich weiß mit Bestimmtheit, daß er von Salo mit herüber kam, aber seitdem ist er spurlos verschwunden. Er hat versprochen, meinen Brief dem jungen Felicio einzuhändigen, aber ich kann natürlich nicht wissen, ob es ihm gelungen ist, sich nach Verona durchzuschleichen, oder ob er mit den Alpenjägern wieder nach dem andern Ufer zurückgekehrt ist, während sein wilder Genosse sein Ende gefunden hat.«

»Vamos«! es läßt sich nicht ändern – wir müssen suchen, ohne ihn fertig zu werden. In jedem Fall erhalten Sie so bald als möglich Nachricht von mir aus Verona, und ich hoffe, daß die Beschränkung Ihrer Freiheit ohnehin nicht lange dauern wird. – Wenn es Ihnen gefällig ist, Monsieur de Reuble!«

»Ich bin zu Ihrem Befehl!«

»Vorwärts denn! – Leben Sie wohl, meine Herren Und auf ein besseres Wiedersehen unter glücklicheren Umständen!«

Der Wagen rollte davon. – Der Fürst, dessen Neugier über das Verhältnis des fremden Arztes zu dem Kammerherrn des Grafen von Chambord durch den Umstand noch mehr gesteigert wurde, daß die letzte Unterredung in spanischer Sprache stattfand, die er nicht verstand, versuchte vergeblich seine Kunst an dem Doktor unter dem Vorwand, sich über den Zustand des Kindes zu vergewissern. Doktor Achmet verstand allen, über diesen Punkt hinausgehenden Fragen auszuweichen, und entzog sich ihm bald, da an dem Bett des leidenden Kindes mit dem Militairarzt, welcher die größere vor einer Stunde angekommene Truppenabtheilung begleitet hatte, und dem gewöhnlichen aus Bardolino herbeigeholten Hausarzt der Familie eine Konferenz stattfinden sollte.

Darum war der Fürst nach seiner Wohnung zurückgekehrt, wo – wie wir wissen – er den jüdischen Spion fand, der schon einmal den Verkehr zwischen ihm und dem französischen Hauptquartier vermittelt hatte.

Der kleine Jude hatte mit Schrecken von dem Kosaken das Ende seines Gefährten erfahren. So boshaft, verworfen und egoistisch er auch war, hatte er doch eine gewisse Anhänglichkeit an den ungeschlachten Genossen seiner Verbrechen gehabt, gleich wie dieser ihn als eine Art Schützling seiner rohen Kraft betrachtete. Selbst die Ereignisse im Kloster des Monte Cenere hatten Nichts daran geändert. Als Abramo sich nun durch den Tod seines Gefährten so allein sah, faßte ihn eine unbestimmte Furcht und Besorgniß, er hätte sich am Liebsten aus dem Staube gemacht, beide Parteien, die er betrog, im Stich lassend, und daß ihn der Kosak auf den Befehl des Fürsten in einer Kammer des Thurms einschloß, wollte ihm wenig behagen.

Der Fürst war den Rest des Tages über emsig mit Schreiben beschäftigt; Petrowitsch durfte den Thurm nicht verlassen, es war, als traue er nicht einmal den beiden Schildwachen, von denen eine unten vor dem Eingang, die andere vor dem Zimmer des Verwundeten ihren Posten hatte. Noch am Abend mußte ein Reitknecht mit den Briefen nach Verona und der Fürst rieb sich mit sichtlichem Behagen die Hände, seines Erfolges gewiß, als er den Mann davon traben sah.

Dann erst frug er wieder nach dem Knaben.

Die Konferenz der drei Aerzte hatte, wie dies häufig der Fall, kein Resultat ergeben – der österreichische Militair-Arzt und der Doktor aus Bardolino widersprachen der Ansicht und den Vorschlägen ihres französischen Kollegen, und Doktor Achmet trat bescheiden zurück, jenem die weitere Behandlung des Kindes überlassend.

Dagegen bestand er, von dem Secretair der Fürstin unterstützt, fest auf der beabsichtigten Operation an dem Arm des Gefangenen und der nächste Morgen wurde zu ihrer Ausführung bestimmt.

Man hatte an dem Tage nur wenig von der Fürstin gehört; man wußte nur, daß sie – aus ihrer Ohnmacht wieder zum Bewußtsein zurückgekehrt, an das Bett ihres Kindes sich gesetzt hatte, und dort seitdem stumm und einer Abgeschiedenen gleich mit gefalteten Händen und starrem thränenlosen Auge verweilte. So blieb sie auch, wählend die Aerzte den Knaben untersuchten und an seinem Lager conferirten. Nur ihre alte Kammerfrau und Tunsa hatten Zutritt in das Krankenzimmer – selbst der Fürst hatte nicht gewagt, ihn zu verlangen.

So war der Mittwoch, der 22ste, und die darauf folgende Nacht vergangen.

Am nächsten Morgen – Donnerstag – verbreiteten sich Gerüchte über das Vorrücken der österreichischen Armee.

Die Verstärkung der Posten am Ufer des See's, die in Folge des Ueberfalls von Salo her angekommen war, wurde größtentheils wieder zurückgezogen – die verschiedensten Nachrichten kreuzten sich, – man erwartete offenbar in den nächsten Tagen, wenn auch nicht so rasch, wichtige Ereignisse.

Im Laufe des Vormittags war der Fürst nach Verona gefahren, nur sein Kammerdiener begleitete ihn. Petrowitsch hatte die strengste Ordre, den Thurm nicht zu verlassen.

Während der Abwesenheit des Fürsten vollzog Doktor Achmet die Operation. Sie ging glücklich von Statten, aber es war nöthig, daß der Kranke der strengsten Ruhe genoß. –

Es war etwa 7 Uhr Abends, als die leichte Equipage des Fürsten wieder an der Villa vorfuhr. Weißer Schaum bedeckte die Pferde, die Flanken der Thiere bebten, – wie der Kutscher erzählte, hatten sie die 16 Miglien von Verona in zwei Stunden zurückgelegt.

Meißner befand sich gerade mit dem Mohrendoktor auf der Rampe der Villa, als der Wagen anfuhr und der Fürst ausstieg. Ein satanisches Lächeln des Triumphes lag auf seinem Gesicht, als er den Secretair anblickte.

»Nun Doktor,« sagte er lustig, »ich glaube, Sie werden in den nächsten Tagen viel zu schneiden bekommen! Man erwartet übermorgen eine Schlacht und – die Ordre, Sie und gewisse andere Leute nach Verona zu schaffen, ist unterwegs. Jeder gehört auf seinen Posten, der Arzt in die Ambulance, der Hochverräther an den Galgen! He he – ich sage Ihnen, Feldmarschall-Lieutenant Urban, der neue Gouverneur von Verona ist ein ganzer Mann! er versteht mit den Leuten umzuspringen und giebt keinen Pardon! – »Jebi waschu mat'! ich denke, die Villa der Fürstin Trubetzkoi am Gardasee wird von keinem ungar'schen Rebellen mehr belästigt werden!«

»Wenn Euer Durchlaucht mit diesen Worten den unglücklichen ungar'schen Offizier meinen,« sagte der Secretair, »der hier verwundet wurde, – so muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß sein Transport von hier vorläufig unmöglich ist. Graf Batthiányi hat sich heute Vormittag einer Operation unterwerfen müssen, um den Arm zu retten.«

Der Fürst schielte ihn hämisch von der Seite an. »Ich denke, mein sehr menschenfreundlicher Herr Secretair, Ihr ehrenwerther Schützling wird zunächst zu thun haben, seinen Kopf zu retten, und ich glaube, daß dies ihm schwerlich gelingen wird. Hier ist vorläufig die Ordre an den kommandirenden Offizier in Garda, den Herrn Grafen Batthiányi oder Sefer Bey mit tüchtigen Hand- und Fußeisen binnen vierundzwanzig Stunden nach Empfang lebendig oder todt in die Citadelle von Verona abzuliefern!«

»Das wäre unmenschlich – ein reiner Mord!«

»Was weder Ihre noch meine Sache ist. Aus diesem Grunde werden Sie auch die Güte haben, dies Dienstschreiben sofort nach Garda zu schicken, während ich meine Zimmer aufsuche, wo ich nicht gestört sein will!«

Der Fürst warf hochmüthig das Schreiben auf die Steinbank am Eingang und ging, von seinem Kammerdiener gefolgt, nach dem Thurm.

Der Secretair und der Arzt sahen einander an. Da der Fürst zu dem Ersteren Deutsch gesprochen, hatte Doktor Achmet nur Wenig verstanden und Meißner verdolmetschte es ihm jetzt.

»Aber das wäre geradezu jetzt ein Mord, den Kranken nach der Operation in der Junihitze nach den ungesunden Kasematten zu schaffen,« rief entrüstet der Arzt. »Ich könnte für sein Leben nicht stehen, auch wenn ich ihn begleite.«

»Das habe ich ihm auch gesagt, aber ich denke, Sie müssen bemerkt haben, daß dies gerade das Ziel ist, welches er verfolgt!«

»Aber warum dieser Haß? – ich bin zwar Zeuge der Begegnung dieser beiden Männer gewesen, aber was ich gehört, genügt nicht, mir die Sache zu erklären und hat mir nur gezeigt, daß hier schlimme Dinge verborgen liegen!«

Der Secretair zuckte die Achseln. »Auch ich kenne nur unvollständig die Verhältnisse, da ich erst später in den Dienst der Fürstin getreten bin und sie niemals über die Vergangenheit spricht.«

»Und was denken Sie zu thun?«

»Das weiß ich noch nicht. Die Fürstin muß Alles wissen und mag entscheiden!«

»Aber diese Ordre?«

»Ich muß sie abschicken, der Fürst könnte uns beobachten lassen und leicht Verdacht schöpfen. Aber sie soll deswegen uns morgen nicht im Wege sein. – Dort kommt gerade der rechte Mann!«

Es war der Slawonier, der trübe und ernst von der Terrasse her kam, einen Stock in der Hand, auf der Schulter seinen ärmlichen Kram.

»Wo wollen Sie hin, Herr Matthias?«

»Ihnen Lebewohl sagen. Ich will diesen Abend noch nach Garda, um zu hören, ob man für den Feldmarschall-Lieutenant auf dem Joch eine Botschaft hat. Der Priester in Garda hat mir versprochen, für den Freund meiner Kindheit, der mir nahe stehen sollte durch die Bande des Blutes und der ein so schreckliches Ende genommen, morgen in der Frühe eine Messe zu lesen und wenigstens ein Gebet aus vollem Herzen soll dem Unglücklichen nicht fehlen!«

»So werden wir Sie nicht wieder sehen?«

»Ich denke von Garda den Rückweg nach Castelletto anzutreten. Es ist Zeit, daß ich mein Versprechen halte und Botschaft bringe nach dem Joch!«

Der Secretair warf einen raschen Blick umher – in der Nähe stand einer der Diener und Petrowitsch, der Kosak des Fürsten, kam eben den Weg vom Thurm her, um anscheinend nach dem Sousterrain zu gehen und in der Küche die Bedürfnisse seines Magens zu befriedigen.

»Da Sie doch nach Garda gehen,« sagte der Secretair laut, »so möchte ich Sie bitten, diesen Brief mitzunehmen und dort auf der Wache oder an eine Ordonnanz abzugeben.«

»Sehr gern, Signor!«

»Wollen Sie der Fürstin einen Dienst erweisen?« fuhr Meißner leise fort.

»Gewiß, Signor, mit meinem Herzblut! ich kannte sie, als sie noch als Kind mit dem Grafen Stephan zu Telek auf dem Rasen des väterlichen Schlosses spielte!«

»Wohl, Sie müssen den Brief mit sich nehmen, aber es kommt Alles darauf an, daß er nicht heute oder morgen, sondern so spät als möglich oder besser gar nicht abgegeben wird. Es handelt sich um das Leben Ihres Landsmanns.«

Der Slawonier nickte unmerklich. »Es soll geschehen! Was kümmert es die Welt, ob ein Slowak einen Brief unterschlagen oder verloren! Leben Sie wohl, Signor. Gott segne Sie für das, was Sie an dem Grafen thun. Grüßen Sie ihn von Matthias, dem Slowak und erinnern Sie ihn an die Gewässer von Kiel dort oben im Norden!«

»So kennen Sie ihn näher und trafen schon früher so weit entfernt von hier mit ihm zusammen?«

»Wo wandert der Slowak nicht hin? Genug – schützen Sie ihn, der sich jetzt nicht selbst zu schützen vermag, vor dem Herrn dieses Hauses – er ist sein Todfeind! – Und jetzt, Signori – leben Sie wohl und Gott erhalte Sie und das arme Kind!«

Sein letzter Gedanke gehörte diesem, als er sich jetzt wandte und, den Brief in der Tasche seines Mantels bergend, rasch davon schritt.

Meißner bemerkte wohl, daß der Kosak sich in der Nähe aufgehalten, um zu spioniren. Er rief ihn deshalb heran und beauftragte ihn, dem Fürsten zu melden, daß – da sich gerade ein Bote nach Garda gefunden, – er diesem die Depesche an den kommandirenden Offizier zur Besorgung anvertraut habe.

Damit war er seines Auftrags ledig, den er absichtlich nicht von sich gewiesen hatte. –

Der Fürst war eifrig mit Schreiben beschäftigt, nachdem er sich sorgfältig erkundigt, was in seiner Abwesenheit vorgekommen. Er hätte leicht selbst die obenerwähnte Ordre in Garda abgeben können, da die Straße von Verona durch das Pfarrdorf führt, aber einerseits hätte er sich deswegen aufhalten müssen, und die Minuten waren ihm kostbar; – andererseits, und das war der Hauptgrund, wünschte seine Bosheit sich an dem Schrecken und Verdruß zu erfreuen, den er mit diesem Beweise seines Sieges den Bewohnern der Villa verursachen wollte. Aus diesem Grunde auch hatte er dem Secretair den Auftrag ertheilt, den Brief abzusenden, da er wohl wußte, daß die Fürstin es nun erfahren werde. Als Petrowitsch, den er alsbald zum Spioniren gesandt, zurückkehrte und berichtete, wie er Zeuge gewesen war, daß der Slowak den Brief mit sich genommen, war er zufrieden, da die Anwesenheit desselben in der Villa ihm ohnehin – er wußte selbst eigentlich nicht warum – unangenehm war.

Das Gemach, in dem der Fürst sich befand, bildete eine halbe Rundung mit einem vorspringenden Erker und gewährte eine prächtige Aussicht nach dem See. Es wurde als Fremdenzimmer benutzt, wenn die Fürstin – was selten genug vorkam – Besuch erhielt und war bequem und elegant eingerichtet. Ein offener Alkoven, nur durch eine seidene Portiere geschlossen und ein kleines Ankleidezimmer stießen daran und bildeten mit einem Vorzimmer die Wohnung.

Während der Fürst schrieb, trank er von Zeit zu Zeit aus einem großen Kelchglas den schweren Portwein, der vor ihm stand.

Petrowitsch, der Kosak, hielt sich unbeweglich an der Thür.

Der Fürst war fertig und siegelte das ziemlich dicke Couvert.

»Wo ist der Jude?«

»In der Kammer, Batuschka, wo ich ihn eingeschlossen. Es hat ihm schlecht genug gefallen und er wollte mit Gewalt heraus und davon.«

»Bring' ihn hierher – aber vorsichtig, daß Niemand ihn sieht.«

»Wie Du befiehlst, Herr!«

Petrowitsch ging; – der Fürst stürzte ein großes Glas des schweren Weins hinunter – die rothen Flecken, die ersten Folgen seiner Orgien – begannen sich auf der fahlen ungesunden Farbe seines Gesichts zu zeigen.

Er stieß einen jener schändlichen gotteslästerlichen und rohen Flüche aus, an denen die russische Sprache reich genug ist.

»Ich will lustig sein – die Dirne soll kommen, sie hat lange genug sich ihrer Pflicht entzogen. – Verflucht sei jenes weiße Gesicht – ich will Alles thun, was sie kränkt – das Blut aus dem Herzen will ich ihr saugen! Ha – wie sie ihn ansah, mit welchem Blick, wie er zu ihren Füßen eilte! und ich bin der Herr – ich bin ihr Mann! Verdammniß über sie – ich will mich rächen! Hussah – ich will eine lustige Nacht feiern, während die Kanonen da drüben brüllen! Morgen möge er in Ketten vor ihr enden und ich werde der Herr sein!«

Und wieder stürzte er den schweren feurigen Wein hinunter.

Der Kosak hatte die Thür geöffnet und schob den kleinen buckligen Juden, der sehr unwirsch aussah, vor sich her.

Der Fürst hob das Glas und blinzelte prüfend darüber hinweg.

»Schau, Hundesohn, da bist Du ja!«

»Warum halten mich Euer Excellenza hier fest?« frug der Jude giftig. »Warum lassen Sie mich nicht gehn meinen Geschäften nach? Sie haben doch keine Macht über meinen Leib und meinen Willen!«

»Dummkopf!« sagte der Fürst. »Halt Deinen Mund, wenn Du bezahlt wirst. Hast Du die Mittel, binnen einer Stunde über den See zu kommen?«

»Ich muß doch gehen nach Verona, ich habe doch wichtige Geschäfte dort!« brummte mürrisch der Jude.

»Jedes Geschäft hat einen Preis. Um es kurz zu machen, hier ist ein Brief, der in spätestens zwei Stunden in Salo sein muß. Es ist jetzt 8 Uhr – also vor zehn. Was verlangst Du, um es möglich zu machen?«

Der Eifer des Spions, nach Verona zu kommen, war auf einmal abgekühlt. Er schüttelte bedächtig den Kopf. »Es ist viel Gefahr dabei. Eine Miglie aufwärts giebt es zwar einen Schiffer, der es wagen würde, aber er verlangt viel Geld!«

»Kurz und gut – was verlangst Du?«

»Unter tausend Lire kann ich es nicht wagen!«

Der Fürst ging an den Secretair und nahm eine Rolle aus einem Fach. »Hier sind fünfzig Napoleond'or. Fünfzig weitere erhältst Du in dem Augenblick, wo Du bis 10 Uhr diesen Brief in Salo oder dem Hauptquartier des General Garibaldi in die Hände des Obersten Grafen Montboisier lieferst.«

»Ist dies gewiß, Altezza?«

»Dummkopf! lies!« Er hielt ihm das Couvert vor, das unten in der Ecke die Bemerkung enthielt: »Tausend Lires sind dem Ueberbringer zu zahlen.«

»Altezza,« sagte der Jude – »das Geschäft ist gemacht! Geben Sie mir den Brief – um 10 Uhr ist er in den Händen des Signor Conte!«

Der Fürst reichte ihm die Depesche. »Nimm und erinnere Dich, daß, wenn Du nicht Wort hältst oder Verrath übst, ich Dich auffinden werde, und wenn Du im Bauch der Erde stecktest! Petrowitsch!«

Der Kosak trat näher. »Was befiehlst Du, Batuschka?«

»Rufe Matthieu!«

Der Kammerdiener trat sofort ein.

»Der Bursche hier,« befahl der Fürst, »muß aus der Nähe der Villa geschafft werden und das sofort, ohne daß es müßigen Augen auffällt.«

»Ein Mantel wird die nöthigen Dienste thun. Ich werde ihn selbst begleiten, wenn Euer Durchlaucht mich beurlauben wollen.«

»Bene! und es soll mir lieb sein, wenn Du ihn nicht verläßt, bis er im Kahn sitzt und auf hohem Wasser ist. Fort denn! – Petrowitsch!«

Der Kammerdiener des Fürsten ergriff den Juden, der noch viele Worte machen wollte, am Arm und zog ihn mit sich fort, der Kosak trat näher.

»Du befiehlst, Herr?«

»Ich will lustig sein, lustig diese Nacht! Schaff Champagner her und Rum. Suche die Tunsa auf, die Teufelshexe, und befiehl ihr, hierher zu kommen, bei meinem Zorn!«

»Und wenn sie sich weigert, Batuschka?«

»So schlepp' sie mit Gewalt hierher – sie ist meine Leibeigene so gut wie Du – ich habe sie gekauft, Seele und Leib.«

»Aber Klein-Gospodin, der Prinz, Durchlaucht – ich habe von den Weibern gehört, daß es schlecht mit ihm steht.«

»Der Teufel möge ihn holen, meinetwegen!«

Der Kosak beugte den Kopf, – sein Herz hing sehr an dem Knaben, den er auf seinen Armen getragen, mit dem er so oft gespielt hatte. Er war ihm nicht ein Spielzeug gewesen, das – wie sich jetzt zeigte – nur Laune und Eitelkeit aus ihm für den Fürsten gemacht hatten.

Er wußte so Viel von den Geheimnissen seines Gebieters und dennoch war auch er diesem nur die willenlose Maschine.

»Wie stehts mit dem Schurken dort oben?« frug der Fürst, der sich auf den Divan geworfen und ihm die Füße entgegenstreckte, sie von den Stiefeln zu befreien. »Haben die Pflasterkasten mit ihren Zangen und Messern tüchtig in seinem Fleisch gewühlt?«

»Es ist gut mit ihm, Herr. Er hat den Schmerz ertragen wie ein Mann und der Doktor mit dem braunen Gesicht ist jetzt bei ihm und hat die strengste Ruhe geboten.«

Der Russe lachte hämisch auf. »Die Ruhe soll ihm bald genug werden – einstweilen aber wollen wir uns hier nicht geniren. Ich wünschte, sie hätten ihn in Stücke zerschnitten! – Hat von den Weibern eine nach ihm gefragt?«

»Feodora ist zwei Mal hier gewesen.«

»Die Kanaille! Es soll ihr vergolten werden! – Gieb meinen Schlafrock her und das Nargileh – ich bin müde von der Fahrt und will eine Stunde ruhen. Wenn Matthieu kommt, führe ihn sogleich zu mir – und um zehn oder eilf Uhr die Dirne!«

Der Kosak erfüllte die Befehle seines Herrn und verließ dann das Gemach. Der Fürst lehnte sich in die Kissen des Divans zurück und blies die blauen Wolken des Latakia von sich, während von Zeit zu Zeit ein tückisches Lachen sein Gesicht überflog.

»Tschort mienia wazmi! – ich möchte wohl dabei sein, wenn diese Weißröcke geklopft werden und die Franzosen über sie herfallen! Revange für die Donau und für Sebastopol! – Wenn die Nachrichten zeitig genug im Hauptquartier eintreffen, müssen sie auf allen Punkten geworfen werden bis hinter Verona, und dies Ufer ist übermorgen in den Händen der Verbündeten! – Wie ich sie peinigen will mit jedem Wort, – wie ich ihr stolzes Herz brechen will mit seiner Schmach!«

Die lichten Ringe des Rauchs wurden schwächer und schwächer – der golddurchwirkte seidene Schlauch des Nargileh glitt aus seiner Hand – – –

 

Rudolph Meißner stand in dem Salon des ersten Stocks vor Feodora.

»Ich habe Carlo zu Pferde nach Bardolino geschickt, um den Doktor zu holen. In anderthalb Stunden kann er hier sein. Wie steht es mit Dimitri?«

»Ich fürchte schlimm! Er ist seit diesem Abend sehr verändert.«

»So lassen Sie Doktor Achmet rufen, – ich glaube, die Fürstin hätte besser gethan, ihm allein die Behandlung des Kindes anzuvertrauen. Wir wissen von Paris her, wie geschickt und aufmerksam er ist, und er sagte mir, daß er mit der Behandlung des Doktor Clementi in diesem Fall durchaus nicht einverstanden ist.«

»Sie hat ihm den Freund anvertraut!«

»Eben deshalb muß ich die Fürstin sprechen!«

»Es ist vergeblich – die Gospodina will Niemand sehen, so lange das Leben des Kindes in Gefahr ist!«

»Sagen Sie ihr, es muß sein! Sie allein kann entscheiden, was geschehen soll. Es handelt sich um Tod und Leben.«

Das Mädchen starrte vor sich hin. »Du hast Recht, Freund, der Tod ist eingekehrt in dieses Haus! Es ist Zeit, daß es zu Ende kommt – die Mumeli-Swa ruft ihre Kinder!«

Der Secretair hatte freundlich ihre Hand gefaßt. »Muth Feodora! Was sollen die seltsamen Reden? Lassen Sie uns fest und ehrlich zusammenstehen, um unsere Gebieterin und Freundin zu schützen gegen ihren schlimmsten Feind und sei es mit unserm eigenen Leben.«

»Mit unserm Leben!« Sie blickte ihn mit seltsamen Ausdruck an. »Du hast Recht, Rodolpho. – Sie wollen die Fürstin sprechen?«

»Es muß sein – der Mann dort drüben« – er wies nach der Richtung des Thurms – »hat einen so boshaften, schändlichen Anschlag vorbereitet, daß das größte Unglück daraus entstehen muß, wenn ihm nicht vorgebeugt wird.«

Die Augen der Zigeunerin funkelten wiederum unheimlich. »So sei es denn! – Warten Sie hier – und – – wenn Sie in Ihre Heimath schreiben, – sagen Sie ihr, ihr – daß Tunsa immer an sie gedacht hat und auch in dieser Stunde!«

»Feodora!«

Die Zigeunerin trat ihm rasch nahe – er fühlte bestürzt, wie ihre Arme sich heftig um ihn schlangen und einen Augenblick ihr Haupt an seiner Brust ruhte, während ein wildes krampfhaftes Schluchzen ihren ganzen Körper erbeben machte. Als er sich faßte von seiner Ueberraschung über den so seltsamen Ausbruch ihrer Leidenschaft und sich diesem sanft, aber fest entziehen wollte, war sie verschwunden.

Er war noch bewegt und in unruhigen Gedanken, als die Fürstin eintrat.

Sie war von einer erschreckenden Blässe und ihre großen schwarzen Augen lagen geisterhaft in dunklen Ringen. Sie trug noch das Kleid von dem Abend, an dem die garibaldischen Alpenjäger den Angriff auf die Villa gemacht, und ihre schönen Haare hingen ungeordnet auf ihre Schultern nieder.

Sie ging langsam auf den Secretair zu und blieb vor ihm stehen.

»Ich kenne Ihre Treue, Rodolpho,« sagte sie mit matter, leiser Stimme – »aber warum rufen Sie eine Mutter vom Sterbebett ihres Kindes?«

»Das wolle Gott verhüten – der Zustand des Prinzen wird nicht so hoffnungslos sein. Ich werde sofort Doktor Achmet bitten, nachzusehen.«

Sie machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand. »Gott wird entscheiden,« sagte sie eintönig – »Gott ist gerecht und straft die Sünden! – Was haben Sie mir zu sagen?«

»Die Operation an dem Arm des Grafen Batthiányi.

Ihres Landsmanns und Verwandten, Durchlaucht, ist glücklich ausgeführt worden.«

Sie neigte das Haupt. »Ich Habe es gehört!«

»Doktor Achmet bürgt für seine Herstellung – aber der Kranke bedarf der größten Schonung, und der Fürst ....«

Sie sah ihn starr an. »Sprechen Sie frei – ich weiß es nur zu gut, er haßt ihn. – Aber hier bin ich Herrin – ich habe es theuer genug erkauft!«

»Ich weiß nicht, wie es dem Fürsten gelungen ist, aber er hat in Verona eine Ordre ausgewirkt, daß Graf Batthiányi als Hochverräther lebendig oder todt binnen vierundzwanzig Stunden in die Citadelle von Verona abgeliefert werden soll.«

Sie sah ihn erschrocken an. »In diesem Zustand?«

»Es ist nichts Anderes als sein Todesurtheil! – Das habe ich mir selbst gesagt, und da der Fürst glücklicherweise so boshaft oder so unvorsichtig war, sich zu verrathen und die Ordre in meine Hand zu legen, wenigstens versucht, Zeit zu gewinnen.«

Ein Strahl zuckte in ihrem Auge auf. »Sie haben sie vernichtet?«

»Das war unmöglich – ich mußte sie absenden nach Garda, ich wurde beobachtet. Aber es galt vor Allem nur Zeit zu gewinnen; denn wenn die Ordre in die Hand des kommandirenden Offiziers kommt, so muß er gehorchen, Feldmarschall-Lieutenant Urban ist seiner rücksichtslosen Strenge wegen bekannt.«

»Dann ist er verloren!«

»Nein – denn der Brief, den ich einem Boten gegeben, wird morgen erst spät – oder gar nicht an seine Adresse gelangen.«

»Wie – der Bote ....«

»Er ist morgen um diese Zeit weit von hier und ich rechne auf ihn.«

»Wer ist es?«

»Der Slowak, der arme Kesselflicker, der vorgestern Abend die Nachricht von dem Ueberfall brachte. Er ist ein wackerer Mann und mehr als sein äußerer Stand ihn scheinen läßt. Er verehrt in Euer Durchlaucht die Tochter seines alten Gutsherrn.«

Die Fürstin hatte die Hände gefaltet und ihren Blick zum Danke erhoben. »Allmächtiger Gott – Deine Wege sind wunderbar! – Aber – wird der kurze Aufschub, denn ein solcher kann es nur sein – genügen?«

»Das nicht, aber er giebt uns wenigstens Zeit. Ich kenne nur ein Mittel, die strenge Ordre des Generals Urban und damit die Absicht des Fürsten zu vereiteln.«'

»Welches?«

»Die Gnade des Kaisers. Euer Durchlaucht müssen morgen diese selbst erbitten für Ihren Verwandten – der Kaiser wird sie sicher gewähren, wenn Sie persönlich darum anhalten. Das ist auch der einzige Weg, einen Gegenbefehl zeitig genug zu erlangen.«

Die Fürstin hatte sich auf einen Tisch gestützt, sie kämpfte sichtbar einen schweren Kampf in ihrem Innern. Meißner, obgleich von der innigsten Theilnahme für die unglückliche Frau durchdrungen, wagte doch nicht, sie mit einem Wort zu stören.

Endlich schien sie ihren Entschluß gefaßt zu haben. Sie reichte dem Secretair die Hand.

»Ich danke Ihnen für Ihre Treue und Ihre Absicht« sagte sie mit bewegter Stimme. »Lassen Sie uns auf Gottes Beistand hoffen für den Grafen – meinen Vetter! – Aber der Platz einer Mutter ist am Krankenbett ihres Kindes. – Gehen Sie, mein Freund und bitten Sie im Namen einer angstvollen Mutter Doktor Achmet, so bald als möglich zu Dimitri zu kommen.

Der Secretair verneigte sich schweigend und ging, – er hatte es nicht vermocht gegen diese heilige Entschließung ein Wort zu sagen.

Unten im Vestibüle begegnete er dem Kosaken Petrowitsch, der mit betrübter Miene sich nach dem Zustande des kleinen Gospodin erkundigte und deshalb Feodora zu sprechen verlangte.

Bald kam auch Doktor Achmet und eilte in das Krankenzimmer. Eine Stunde drauf traf der Hausarzt der Fürstin von Bardolino ein. –

Es war dem Secretair unmöglich sich zur Ruhe zu legen. Er ging in seinem Zimmer im Kastell, das auf seine Einladung Doktor Achmet mit ihm theilte, unruhig auf und nieder, an die mannigfachen Vorfälle der letzten Tage denkend und voll Kummer und Besorgniß um das Schicksal der Personen, die ihm werth und theuer waren, – hier der Fürstin, des Kindes und des Gefangenen – dort, im Angesicht des Feindes und in der Erwartung einer Schlacht – der Freunde seiner Jugend, der Brüder des Wesens, dem noch immer seine Liebe gehörte.

Kurz vor Mitternacht endlich erschien der Arzt; sein Gesicht war ernst, ja kummervoll. Meißner eilte ihm besorgt entgegen.

»Um Gotteswillen, was ist geschehen? befindet sich der Knabe schlimmer?«

»Er ist vor einer halben Stunde gestorben – ich wußte es, als ich ihn diesen Abend sah – er war nicht mehr zu retten; aber die Ignoranz dieser italienischen Doktoren hat offenbar die traurige Katastrophe beschleunigt.«

»Mein Gott, welches Unglück! – Und die Fürstin, die arme Frau, wie erträgt sie es?«

»Wie eine Christin – mit tiefem Schmerz, aber mit edler Fassung. Es muß ein Geheimniß mit dem armen Kinde verbunden sein, das sie so sehr geliebt, aber ich wünsche nicht hinter den trüben Schleier zu blicken – sie hat der Leiden ohnedem genug. Ich bin bis jetzt bei ihr geblieben. Doktor Clementi ist nach seiner Wohnung zurückgekehrt. Auf den Wunsch der Fürstin soll der Tod des Kindes bis zum Morgen verschwiegen bleiben. Sie hat um 5 Uhr ihren Wagen bestellt, ich weiß nicht, zu welchem Zweck.«

Es durchzuckte den Secretair – er ahnte, was die Fürstin wollte. Gott hatte ihre Pflicht an dem Lager des Kindes gelöst – eine andere lag vor ihr.

»Und Feodora?« frug Meißner.

Sie sitzt an der Leiche des Knaben und hat verlangt, daß man ihr die Wache dabei während der Nacht überlasse. Niemand soll sie stören – selbst die unglückliche Mutter hat versprechen müssen, sich fern zu halten und ich habe sie in diesem Verlangen unterstützt, denn die arme Frau bedarf dringend der Ruhe und Schonung, wenn sie nicht selbst zusammenbrechen soll.«

Meißner drückte dem theilnehmenden menschenfreundlichen Arzt, der über dem Leid Anderer die eigene Sorge vergaß, die Hand. Dann suchten Beide ihr Lager – der Secretair mit dem Entschluß, bei der Abfahrt der Fürstin zugegen zu sein.

 

Gegen 10 Uhr war Matthieu, der Kammerdiener des Fürsten zurückgekehrt. Dem Befehl desselben gemäß führte ihn Petrowitsch sogleich zu ihm – Beide hatten eine lange Unterredung und der Fürst war darauf sehr vergnügt und lustig. Er ließ Wein in Menge bringen, in dem Zimmer einen Tisch für zwei Personen decken und befahl dann seinem Kammerdiener, indem er ihm zwei Flaschen Champagner zuwarf, sich niederzulegen, indem Petrowitsch genüge, ihn weiter zu bedienen.

Es war eilf Uhr vorüber. Der Fürst lag, in seinen Schlafrock gehüllt, in seinem Lehnstuhl und ließ, wie die Russen und Orientalen zu thun pflegen, die eine fortwährende Bewegung der Finger lieben, eine Schnurkugel, eine Art Rosenkranz, durch die Hände laufen. Die Farbe seines Gesichts bewies, daß er bereits stark getrunken hatte.

»Schenk ein, Petrowitsch!«

Der Kosak goß gehorsam einen Kelch voll Champagner ein – zwei große Thränen rollten über die braunen Wangen des alten Burschen in seinen grauen Bart; der Fürst bemerkte es gar nicht.

»Jebi waschu mat! – warst Du drüben? wo bleibt die Dirne?«

»Sie wird kommen, wasche swijatielswo!« der Kosak brauchte die fremdere, – ceremoniösere Anrede, statt der gewöhnlichen vertraulichen Worte, die der Russe im Umgang selbst mit den Dienern so sehr liebt, und deren er sich sonst bediente.

Der Fürst lachte hämisch vor sich hin. »Hat sie sich willig gefügt, die tolle Katze? Sie ist doch sonst eigensinnig genug!«

»Sie hat mich angeschaut so groß, so groß mit den schwarzen Augen, als ich ihr gesagt Durchlauchts Befehl, daß es mir ging wie ein Messer durch die Seele. Dann hat sie gesagt, sie würde kommen – so bald sie könne – wenn Alles still im Haus, freiwillig, aber Zwang ließe sie sich nimmer anthun!«

»Mierzawiec ich will's ihr lehren! wenn sie nicht in fünfzehn Minuten hier ist, will ich sie selber holen.«

»Thu's nicht Gospodin,« bat der Kosak – »sie wird gewiß kommen. Wenn die Feodora Etwas gesagt hat, so thut sie's, und wenn es ihr Leben kosten sollte!«

»Schenk ein, Durak! – Was thun sie drüben?«

»Es ist Alles still, Herr, – nur in dem Schlafgemach der Gospodina ist noch Licht und in dem Zimmer der Feodora.«

»Sie soll sich eilen, oder – Tschort mienia wazmi – sie soll die Peitsche bekommen. Schenk ein, Tölpel!«

Der Kosak füllte wiederum das Glas seines Herrn – wiederum rann eine Thräne in seinen Bart. Er hatte das Kind wirklich geliebt, den kleinen freundlichen Burschen mit den melancholischen Augen, und trotz des Befehls der Fürstin flüsterte die Dienerschaft wenigstens, daß es bereits sein Leiden überstanden habe, und auch der Kosak hatte es gehört, ohne daß er wagte, seinem Herrn in dessen gegenwärtiger Laune die Trauerkunde zu sagen.

Die Stutzuhr unter dem Spiegel schlug Mitternacht. Der Fürst warf sich unwirsch auf seinem Stuhl umher und wollte eben dem Diener einen neuen Befehl ertheilen, als man ein Klopfen an der äußeren Thür hörte.

»Das ist sie, Herr!«

»So öffne, Durak!«

Der Kosak ging hinaus – gleich darauf riß er die Thür des Zimmers auf.

Der Fürst hatte sich behaglich zurückgelegt, sein spöttischer boshafter Blick war auf die Eintretende gerichtet.

Es war in der That Tunsa – Feodora – die Zigeunerin –, die in der Thür erschien.

Ihr Haar war phantastisch aufgesteckt mit Band und Flittern, wie damals, als die vierzehnjährige Zigeunerdirne bei der Mägdeschau zu Telek sich unter die Töchter der Bauern drängte und das brutale Auge des Gourmands in Menschenfleisch, auf sich zog. Aber die frische braune Farbe, durch die das Roth des pulsirenden Blutes auf den Schläfen und Wangen durchleuchtete, war verschwunden und hatte einer gespenstigen Blässe Platz gemacht, aus der die dunklen Ringe der Augen und der starre Ausdruck derselben um so unheimlicher abstach.

Das Mädchen war in einen weiten schwarzen Mantel gehüllt, unter dem sie mit beiden Armen eine schwere Last zu tragen schien.

Sie blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen und warf einen Blick umher.

»Nun, Dirne,« sagte der Fürst, »beliebt es Dir endlich zu kommen? Du scheinst ganz vergessen zu haben, wer Du bist! Was hast Du da unter dem Mantel?«

»Mein Nachtzeug!«

Der Fürst lachte auf. »Wahrhaftig, mojë ditia, ich sehe doch, daß Dir der Verstand noch nicht ganz davon gelaufen ist bei der Jammersippschaft da drüben. Du sollst lustig sein heute und trinken mit mir und tanzen und singen, denn der Teufel hat heute Festtag, roth angestrichen im Kalender, verdammt roth!«

Das Mädchen ging statt der Antwort nach dem Schlafkabinet, schlug die Portiere zurück und legte ihre Last in den Mantel gehüllt auf das Bett.

Dann trat sie in das Zimmer zurück und schritt zu dem Tisch, an dem der Fürst saß. Sie war in eines jener reichen, durch Schnitt und Farben phantastischen Gewänder gekleidet, der Tracht der spanischen Zingana's ähnlich, die der Fürst ihr in der ersten Zeit ihres Verhältnisses oder vielmehr ihres erbärmlichen Dienstes hatte machen lassen, um seine brutalen wilden Launen an ihr zu reizen, bis sie später die Herrschaft über ihn selbst gewann und sich geschmacklos und überladen mit allem Tand der pariser Moden zu behängen vorzog.

Die Zigeunerin war bis dicht an den Russen herangetreten, ihr linker Arm war in die Hüfte gestemmt, ein trotziger höhnischer unheimlicher Zug lag auf ihrem Gesicht.

»Du hast befohlen – da bin ich! Was willst Du, Fürst Dimitri Iwanowitsch?«

»Was ich will Närrin? Du sollst diese Nacht bei mir bleiben und mir wieder einmal die Zeit vertreiben. Ich bin lustig heute und Du sollst mir helfen dabei!«

Sie wies nach dem Kosaken. »Schick den da fort!«

»Warum? er soll uns bedienen!«

»Tunsa wird Dich bedienen, Dimitri Iwanowitsch. Ich denke, es wird Dir angenehmer sein!«

»Meinetwegen! – Du hörst es, so pack Dich!«

Die Zigeunerin ging auf den Kosaken zu, der an der Thür zögerte. Sie reichte ihm die Hand. »Geh immerhin, Väterchen.« sagte sie, »und lege Dich auf's Ohr. Es wird morgen ein schlimmer Tag sein für Dich. – Wir brauchen Nichts weiter – Lebe wohl, Petrowitsch!«

Sie drückte ihm die Hand, fest, herzlich, daß es dem Kosaken auffiel, und schob ihn zur Thür hinaus, die sie hinter ihm verschloß.

»Warum verriegelst Du die Thür?« frug der Fürst.

»Ei Dimitri Iwanowitsch, ich denke, wir wollen allein sein!«

»Das ist wahr – komm' setz' Dir zu mir und schenk' uns ein!«

»Gleich Herr – ich will Dir's zuvor nur bequem machen!« Sie sprang wie eine wilde Katze behend umher, ordnete den Tisch vor ihm, holte Kissen herbei, um sie ihm unter die Füße zu schieben und im Stuhl zurecht zu legen und brachte das Nargileh, das sie füllte und anrauchte, indem sie ihm dann aus ihren Lippen die dicke Spitze von weißlichem Bernstein reichte.

»Will mein Väterchen die Kugeln, die ihn zum Herrn des Paradieses machen?«

»Wetterhexe! – aber nicht zu viel – ich will frisch bleiben heute Nacht und brauche morgen meine Gedanken. Der Teufel soll mich holen, wenn es nicht ein lustiger Tag wird, Dirne!«

Sie hatte aus seiner silbernen Reise-Toilette eine kleine vergoldete Büchse genommen und schüttete daraus drei kleine Kugeln von einer grünlichen undurchsichtigen Masse in ihre hohle Hand. Indem sie sich umwandte, ließ sie jedoch die Kugeln aus der Büchse fallen und vertauschte sie geschickt mit drei ähnlichen, die sie aus der Tasche ihres Kleides holte. Dann nahm sie eine derselben zwischen die Fingerspitzen, zeigte sie dem Fürsten und legte sie auf die glühende Kohle, welche den Taback des Nargileh in Brand setzte. Dabei ließ sie geschickt die beiden andern zwischen das Kraut gleiten, während sie vor ihm kniete.

»Hast Du etwas Besonderes vor morgen, Batuschka, daß Du Dich darauf freust?« frug sie, die Kohle anblasend. »Ich wette, Du willst der Fürstin, Deiner Frau, ein schönes Geschenk für den Schreck von vorgestern machen!«

Der Fürst mußte recht hämisch auflachen.

»Ein Geschenk? ja wahrhaftig Dirne, Du hast es getroffen! ich will ihr ein Geschenk machen.«

»Das ist recht von Dir, Dimitri Iwanowitsch. Ich weiß, Du liebst sie so sehr und sie liebt Dich auch, wie es einer treuen und zärtlichen Frau zukommt!«

»Natter! willst Du die Peitsche haben?« Er stieß mit dem Fuß nach ihr, fuhr aber im nächsten Augenblick stöhnend mit der Hand danach, da er sich dabei schmerzlich gestoßen.

»Siehst Du, Dimitri Iwanowitsch«, sagte die Zigeunerin spöttisch, indem sie sich erhob – »ich habe es Dir immer gesagt, Du mußt nicht so ungestüm in Deiner Liebe sein. Wer ein solches Unglück hat wie Du, muß hübsch sanft und gefällig bleiben, wenn er den Weibern gefallen will!«

»Blad! – Mierzawiecc! – willst Du mich verhöhnen?« Er griff nach seinem Stock und wollte sich erboßt vom Stuhl erheben.

Sie kam ihm zuvor und sprang wie eine Katze lachend auf ihn zu. »Ruhig, ruhig, Batuschka, wer wird gleich so wild sein! Wir wollen ja lustig sein heute Abend! Trink Dimitri Iwanowitsch und laß Dein Nargileh nicht ausgehen!«

Sie hatte den Arm um ihn geschlungen und zog ihn zurück in den Sessel, sie kraute ihm den Bart und reichte ihm den Champagnerkelch. Dann hob sie das Rohr des Nargileh wieder auf, nahm die Spitze zwischen die Lippen und steckte sie ihm dann in den Mund.

»Teufelsdirne – Du wirst mich noch ein Mal toll machen und dann wehe Dir! Halt Deine giftige Zunge im Zaun, setz Dich hierher auf meinen Schooß und küsse mich!«

Er bemerkte nicht, wie sie im Schatten hinter ihm zusammenschauderte, noch den unheimlichen Blick, den sie auf ihn warf. Aber sie setzte sich auf seinen Schooß, sie schlang den Arm um seinen Hals und drückte ihren Mund auf seine breiten Lippen, lange, lange, während seine Hände gierig ihr Seidenmieder aufrissen und an ihrem Busen tasteten.

Dann riß sie sich plötzlich los und sprang empor, indem sie zugleich den am Sessel des Fürsten lehnenden Stock mit der Fußspitze in einen Winkel schleuderte.

»Weg mit dem da – es könnte Dir einfallen, mich zu schlagen und ich würde Dir die Augen auskratzen dafür! – Trink Batuschka und erzähle mir, wie Du Dich morgen freuen wirst!«

Sie hatte ein Kissen herbeigezogen und sich zu seinen Füßen gesetzt. Dann begann sie ihre langen, schwarzen Flechten aufzulösen und sie regellos um den Kopf und ihre entblößten Schultern zu werfen.

Der Fürst stürzte einen Kelch Champagner hinunter, die rothen Flecken auf seinem Gesicht wurden größer und größer – seine matten Augen begannen einen eigenthümlichen stieren Glanz anzunehmen.

Sie lehnte ihre Arme auf seine Knie und stützte ihr Gesicht darauf, während seine Hand in ihren Haaren wühlte.

»Also es ist ein rother Tag für Dich morgen, oder vielmehr heute, Batuschka?«

»Ha, ha – roth genug! Wenn die Sonne aufgeht, wird sie sich im Blut spiegeln. Schade, daß wir nicht dabei sein können!«

»Wie Batuschka – es wird eine Schlacht geben?«

»Wenn Deine kleinen Ohren zwanzig Miglien reichten, würdest Du den Donner der Kanonen hören! ich wünschte nur, sie schnitten sich gegenseitig die Hälse ab. Nun, was ich dazu thun konnte, ist geschehen!«

»Trink Fürst – Du vergißt Dein Nargileh ganz! Und ist die Schlacht zwischen den Oesterreichern und den Franzosen etwa das Geschenk, das Du der Fürstin machen willst?«

»Durak! ich habe was Besseres!«

»So sage es mir, damit ich mit Dir mich freuen kann. Ich habe Dir auch ein Geschenk zu machen!«

»Wetterhexe! – Du sollst das schönste Kleid haben, was ich in Paris kaufen kann. Die Dirnen dort sind nicht halb so lustig und feurig wie Du! ich habe mich ordentlich gesehnt nach Dir. Komm her, Tollkopf und küsse mich!«

»Nachher, Dimitri Iwanowitsch! Jetzt sage mir, was Du der Fürstin, Deiner Frau, schenken willst?«

»Den Teufel ist sie, aber nicht meine Frau, und Du weißt's am Besten, nichtswürdige Kupplerin! Hast Du dem Satan, der niemals sterben will, nicht mit vom Galgen geholfen? Ihr Weiber steckt alle unter einer Decke, wenn es gilt, die Männer zu betrügen!«

Sie lachte spöttisch auf. »Es würde sich auch der Mühe lohnen bei Dir!«

»Hexe – ich lasse Dir die Knute geben!«

Sie zuckte die Achseln. »Der Wein spricht aus Dir, Batuschka! Komm, trink und dann vergiß das Rauchen nicht!« – Sie zündete auf's Neue den Taback an und steckte nochmals zwei jener Kügelchen dazwischen.

Der Fürst unterlag offenbar schon dem Einfluß des Getränks; aber während die Geister des Weins seinen Geist aufregten, schien ein anderer Einfluß eine entgegengesetzte Wirkung auf seine Glieder und seine körperlichen Organe auszuüben. Seine Zunge wurde schwer, die Hand, wenn sie sich erhob, um nach dem Glase zu greifen, sank mehr als ein Mal kraftlos nieder.

Feodora nahm das Glas und hielt es ihm an die Lippen.

»Trink Väterchen und vergiß das Rauchen nicht! – Nun sprich, Dimitri Iwanowitsch, was willst Du der Fürstin, Deiner geliebten Gemahlin, schenken?«

»Einen todten Liebhaber, Närrin! – Wenn der Morgen kommt, werden sie ihn holen und in Ketten nach Verona schleppen, todt oder lebendig – es ist gleich! Fort muß er, und der Schurke von Doktor, der brave Bursche, hat geschworen, daß er krepiren müßte, wenn sie ihn morgen fortbringen! Ich hab's ihm besorgt und will Euch Alle zur Hölle schicken, die Ihr im Komplot gegen mich seid!«

Er hatte die giftigen Worte stockend, schwer, mit wiederholten Unterbrechungen gesprochen. Seine Stirn war kupferroth – das Blut schien ihm in die Schläfe zu steigen.

»Gieb mir Wasser, Dirne – Wasser!«

»Nicht doch, Väterchen – pfui, Du bist ja ein Fürst! Wer wird Wasser trinken, das ist für die Zigeuner und Slowaken gut! – Champagner Väterchen und vergiß das Rauchen nicht!«

Sie goß aus einer Flasche Rum in den neu gefüllten Champagnerkelch und hielt ihm das schreckliche Getränk an die Lippen. Er sog es ein. Seine Augen begannen hervor zu quellen, – der Blick wurde immer stierer.

Wiederum beugte sie sich zu dem Nargileh – wiederum warf sie eines der geheimnisvollen Kügelchen in den glimmenden Taback und steckte ihm die seiner Hand entfallene Spitze in den Mund.

Er that zwei, drei Züge, dann ließ er sie von Neuem fallen.

»Feodora – Dirne – nichtswürdige Vettel – bring' mich zu Bett! Rufe den – Petrowitsch – mir ist – so schwer!«

»Der Petrowitsch schläft, Väterchen – Tunsa wird Deine Kammerfrau sein. Dann kommt sie zu Dir in's Bett Väterchen, und will lustig mit Dir sein, so lustig, daß der Großherr im Serail ein Eunuch dagegen ist!«

Seine Augen sprühten auf bei dem schändlichen Hohn, aber im nächsten Moment schon nahmen sie wieder den starren Ausdruck an. Nur sein Mund lallte eine Verwünschung.

»Gleich, geliebter Fürst, will ich unser Brautbett bereiten. Ich will Dir nur mein Geschenk zuvor geben, den Verlobungsring!«

Sie zog eine dünne seidene Schnur hervor, an der ein einfacher silberner Reif hing. Sie zerriß die Schnur und steckte den Ring an einen Finger des Fürsten, der kraftlos zum Widerstand es geschehen ließ. Eine immer schwerere Lethargie schien sich seines Körpers zu bemächtigen.

»So, Dimitri Iwanowitsch, bist Du doch der Vater zu Deinem Kinde! – Und nun warte einen Augenblick!« sie verschwand rasch hinter der Portiere, machte sich mit dem niederen Bett zu schaffen und kam dann wieder hervor, indem sie den Vorhang zur Seite hing. »So, Gospodin – unser Hochzeitsbett ist bereit! – trink Batuschka, vielleicht wirst Du wieder ein Mann!«

Sie hielt nochmals das höllische Getränk an seine Lippen, aber er sprudelte es halb von sich.

»Es ist Zeit – komm!«

Sie hob ihn mit einer Riesenkraft, wie man sie gar nicht in diesem kleinen zierlichen Körper für möglich gehalten hätte, empor und schleppte ihn mehr als er ging, da er nur schwerfällig die Füße bewegte, nach dem breiten Bett, auf das sie ihn niederließ. Dann ordnete sie sorgfältig sein Lager, legte die Füße zurecht, schob ihm ein Kissen unter den Kopf und zog die seidene Decke über seinen willenlosen Körper.

Es war, als ob ein Schauer durch denselben lief – die starren Augen wandten sich nach ihr, der Mund öffnete sich wiederholt zum Sprechen.

»Da – neben mir – was ist das – so kalt– –«

»O Nichts. Dimitri Iwanowitsch – Du sollst doch nicht allein liegen, bis ich zu Dir kommen kann. Es ist einstweilen nur Dein Kind, das Du erschossen hast und das vor zwei Stunden gestorben ist!«

Sie holte das Licht vom Tisch, schlug die Decke zurück und leuchtete gleichgültig hinüber.

Es war in der That der arme Knabe in seinem weißen, blutbefleckten Röckchen, der hier lag – todt und starr, das junge in Sünde geborene Leben gebrochen, vernichtet von dem, der sein Dasein mit einem Verbrechen erzwungen!

Der Fürst versuchte sich aus dem Bett zu wälzen, aber er vermochte es nicht; seine Augen hatten in ihrer Starre einen gräßlichen Ausdruck, die Zunge lallte unverständliche Worte.

Die Zigeunerin lachte unheimlich auf, dann stellte sie den Leuchter auf den Nachttisch zur Seite, daß die Kerzen die beiden Schläfer, den lebendigen und den todten, beleuchteten, und setzte sich auf ein Tabouret zu den Füßen des Bettes.

»Fürst Dimitri Iwanowitsch,« sagte sie langsam, »die Stunde, da wir Beide den Weg in das Nichts antreten, ist gekommen. Ich habe mit Dir zu reden! Höre!«

Wie sie so dasaß, zusammengekauert in dem bunten zerrissenen Kleide mit dem blassen hohlen Gesicht, das fast so starr war, wie das der beiden Schläfer im Bett, und die langen schwarzen Strähne ihrer Haare durch die Finger gleiten ließ, glich sie einem der unheimlichen Nachtgespenster, dem Grabe entstiegen, um das Herzblut der Lebendigen zu saugen, von denen die finstern Sagen ihrer Heimat erzählen.

»Die Mumeli-Swa hat mich gerufen« fuhr sie eintönig fort – »meine Zeit ist um! – Aber ich wollte nicht allein gehen, und da Du Seele und Leib des wilden Zigeunerkindes verdorben, Dimitri Iwanowitsch, als es lüstern und eitel in Lumpen durch die Haide sprang, bis alle bösen Geister in ihm lebendig und mächtig geworden, – so ist es billig, daß Du mit mir gehst. Das Leben Tunsa's ist unnütz auf der Welt und hindert Andere an ihrem Glück – das Deine gleichfalls. Wenn Dimitri Iwanowitsch Trubetzkoi in seinem Grabe liegt, kann Cäcilie Pálffy noch glücklich sein!«

Man konnte an den arbeitenden Gesichtsmuskeln, an dem Zittern des Körpers sehen, daß der Fürst eine furchtbare Anstrengung machte, die Bande der seltsamen Regungslosigkeit zu durchbrechen, die immer schwerer sich um ihn schlangen, aber es war vergebens.

Die Zigeunerin lächelte spöttisch.

»Gieb Dir keine Mühe, Dimitri Iwanowitsch« sagte sie – »das Opium, das Mumeli-Swa geknetet, ist gut! – Höre mich an, denn meine Zeit ist kurz und nicht so lang als die Deine. – Damit Du weißt, was Dich erwartet, will ich es Dir sagen!«

Sie stützte einige Augenblicke den Kopf auf die Hand und sah finster vor sich hin. Dann, als habe sie ein Gefühl in ihrem Innern überwunden, fuhr sie eintönig fort!

»Wenn ein Mitglied der Schwarzen fühlt, daß seine Zeit nahe ist, wo es in das ewige Nichts zurückkehren soll, ohne daß die Blanken das Ziel seines Lebens gewaltsam herbeigeführt, dann tragen die Seinen es in die Haide, wo sie am Stillsten ist, damit es dort sterben mag, und geben ihm die Pfeife der Träume. – Fürst Dimitri Iwanowitsch, Du hast sie oft geraucht, um Dich in wilde böse Lust zu stürzen, wie die Moslems thun, denen sie das Paradies öffnet und die Houri's um sie versammelt. Aber es ist ein Geheimniß der weisen Frauen unseres Volkes, das sie das Opium des Todes kneten läßt anders und besser, als das berauschende Gift des Moslem, mit den geheimen Kräutern der Haide, auf denen der giftige Thau des Sumpfes liegt! Das Opium der weisen Frauen erstarrt die Glieder und stockt das Blut, damit nicht der Schmerz des Körpers den scheidenden Geist belästigt, indem er in das All' zerfließt. Die Blanken halten den Körper dann längst für todt und gestorben,, weil er kalt und starr, indeß die Seele noch in ihm wohnt und sich vorbereitet auf das große Zerfließen in das Nichts. Für die Guten ist diese Zeit der Erinnerung der Seele in dem todten Körper die Zeit der Ruhe, des Glücks – für die Bösen die Zeit der Strafe. Fürst Dimitri Iwanowitsch, Du hast von dem Kraut der Mumeli-Swa genossen – in wenig Stunden werden die Deinen Deinen Leib todt finden, daß selbst ein Messer, in Dein böses Herz gestoßen, nicht ein Zucken der Nerven hervorrufen würde, aber Dein Geist wird leben, hören und fühlen Alles, was um Dich her vorgeht, und denken und sich erinnern, bis er sich auflöst in das Nichts.«

Wiederum zuckte es über das Gesicht des Mannes bei der Ankündigung des furchtbaren Schicksals. Die Adern auf seiner Stirn, an seinem Hals schwollen blau empor, als wollten sie bersten.

»Wenn die große Scheidung vollendet« fuhr die Zigeunerin fort, »begraben die blanken Leute ihre Todten in den Schoos der Erde, aber die Romi lassen sie den Winden. Ehe drei Mal die Nacht und der Tag gewechselt, wird Alles vorüber sein!«

Wieder schwieg das Mädchen und stützte den Kopf in die Hand.

»Du warst einer der Reichen der Erde« sprach sie dann weiter »und ich ein armes Kind der Haide mit wildem Blut. Fluch über mich, daß ich Dir gefolgt bin. Der Nebel vor meinen Augen ist geschwunden in der Stunde des Todes – dort seh ich die Aeltermutter meines Stammes, die ich verleugnete und höre die Hußta meines Erzeugers, wie sie die Tochter rief, ehe die bösen Männer ihn von der Zinne des Thurmes warfen. Die schlimme Saat, die Du pflegtest in meinem Herzen, hat gewuchert und viel des Unheils ist daraus entstanden, bis ein besserer Geist ist gekommen über die Tochter der Mellelitschehl! Aber noch sind die finstern Geister mächtig in ihr und Tunsa ringt vergeblich mit ihnen. Deshalb ist es besser, sie kehrt in das Nichts zurück und Du sollst ihr folgen.«

Sie erhob sich und trat an das Bett.

»Dimitri Iwanowitsch« sagte sie – »die Stunde ist da. – Deine letzten Gedanken sollen Dir sagen, daß all' Deine Bosheit an Dir selber zu Nichte geworden! Der Samen des Verachtetsten aus dem Volk hat Deiner Gattin Bett befleckt, denn als Du ihr, die Deinen Namen trägt, ohne Dein Weib zu sein, damals die Wahl gestellt, Deinem Stamm einen Erben zu geben, oder mit Dir zu leben, hat sie den Aermsten ihres Volkes gewählt, den verachteten Slowaken, zum Vater ihres Kindes! Du selbst hast die Kette gelöst, die Cäcilie Pálffy von dem Mann ihres Herzens schied, indem Du dies Kind ermordet! – Deine Bosheit ist zu Nichte geworden – Matthias, der Slowak, der Vater Deines Kindes ohne es zu ahnen, hat den Brief vernichtet, der Deinem Feinde den Tod bringen sollte. Wenn die Sonne über die Berge steigt, eilt die Fürstin nach Verona, für die Freiheit und Sicherheit ihres Verwandten zu sorgen, indeß Du hier todt und machtlos liegst, alle Dämonen der Finsterniß in Deiner Seele auf dem Wege zum Nichts, während die Geister des Lichts gesiegt! Die Gabe meines Volkes ist über mir – mein Auge schaut in die Zukunft und schaut ihr Glück – freundlich und still, geläutert durch das Unglück ihrer Vergangenheit! – Da auf der Terrasse seh' ich sie stehen, Hand in Hand – im Kreis treuer Freunde – Rodolpho, Rosamunde – und der blaue Himmel ist über ihnen – indeß Astaroth, der Engel der Vernichtung uns Drei in seinen schwarzen Schleier hüllt. Lebewohl Dimitri Iwanowitsch – der Aldobaran fordert sein Kind!«

Sie beugte sich über ihn hinweg und küßte die Stirn des todten Knaben. Dann – ohne einen Blick zurückzuwenden auf den Mann, den sie dem furchtbarsten Todeskampf überließ, löschte sie die Lichter und schritt durch das Zimmer.

Leise öffnete sie das Fenster, das hinausführte nach dem Balkon, knüpfte an die Eisenstäbe die seidene Schärpe, die ihre Hüften umschlungen und schwang sich über die Balustrade.

Im nächsten Augenblick stand sie auf der Terrasse am See.

Die Pracht der Sterne blitzte und leuchtete mit jenen geheimnißvollen Strahlen, von welchen die Gelehrten berechnet haben, daß sie vor der Existenz der Erdgeschichte erzeugt worden sind.

Was wußte die arme Zigeunerin mit dem zerrissenen Herzen von dieser Berechnung der Allmacht!?!

Es war finster ringsum, die Gebäude der Villa Elena lagen in tiefem Schatten, – nur aus dem zweiten Stockwerk des Veroneser Thurms schimmerte ein einsames Licht. Der deutsche Diener des Secretairs hatte dort in dieser Nacht die Wache bei dem Kranken.

Es fröstelte das Mädchen und sie hatte keine Hülle, sie um sich zu ziehen. Warum auch? – in wenig Minuten war ja doch Alles vorüber – die Vernichtung – das ewige Nichts!

Von dem Thurm her klangen die eintönigen Schritte der Schildwach, die dort ihren einförmigen kurzen Gang machte vor dem Eingang, der zu den Gefangenen, – jetzt auch zu den Todten! – führte.

Die Zigeunerin huschte die Terrasse entlang zwischen den Weinreben und den Rosen bis zu dem Kastell.

Alles war dunkel dort – kein Fenster erleuchtet! – sie schliefen den Schlaf der Gerechten!

Die Zigeunerin suchte umher – eine Anzahl Steine, die sie zusammen häufte.

Die Arbeit war gethan – die letzte im Leben! sie nahm die Steine, schürzte das bunte Seidengewand, das sie trug, in die Höhe und knotete die Steine hinein. Dann nahm sie den Shawl von ihren Schultern, und that damit dasselbe.

Das Alles geschah so ruhig, so sicher, so überlegt, daß das Blut in den Adern hatte erschauern müssen!

Als sie den Shawl mit der schweren Last auf den Rand der Balustrade gelegt, welche die Terrasse von dem schroffen Abfall der Felsen hinunter zum See schied, schien es, als wolle sie abschließen mit dem Irdischen – nach dem traurigen Glauben ihres Volkes auch mit der Ewigkeit.

Sie saß auf den Steinen, die Hände gefalten, das Auge zu dem Fenster erhoben, das so dunkel über ihr lag – sie wußte ja, dort athmete er, den sie allein geliebt im Leben mit aller wilden Gluth ihres Herzens, den ruhigen Schlummer.

Finster und still war Alles umher!

Sie lehnte die bleiche Stirn an die mächtigen Grundmauern des Kastells – sie weinte bitterlich!

»Weißer Christ! weißer Christ! Deine Lehre ist Liebe – warum mußte diese allein mir fehlen, auf daß ich nicht verworfen wäre, die arme Zigeunerin, – in das Nichts! sondern lebte mit Deinen Gläubigen das ewige Leben, für das Du am Kreuze gestorben bist!«

Ihre Thränen beflutheten die kalten Steine, ihre Hände rangen sich empor – o wie sehnte sich diese Seele, der Vernichtung geweiht, nach der Rettung des in Wahrheit seelig machenden Glaubens.

Aber die Steine blieben feucht und kalt – das Fenster da oben dunkel; – für sie, die verachtete Zigeunerin, die keinen Werth hatte in der menschlichen Gesellschaft, als die geile Wollust ihres Körpers, gab es keinen versöhnenden Glauben! –

Sie sprang empor – noch einen Blick warf sie zum Fenster, hinter dem der Mann ihrer Liebe schlief, dessen Wort sie gut und glücklich, sie hätte zur wahren Christin machen können – Alles dunkel, Alles still. Kein Laut für sie!

»Glänzender Aldobaran – nimm die Atome eines Wesens, das gelebt, gesündigt und geliebt, auf in dein Nichts!«

Sie schlang den Shawl mit der Steinlast um den Hals – mit entsetzlicher Ruhe befestigte sie ihn um ihren Körper.

»Rodolpho! – Cäcilia! – Euer Gott sei mit Euch! Vater – Dein Kind folgt Dir in das ewige Vergessen!«

Die Stelle auf der Rampe war leer – die Wässer des See's rauschten auf – ein dunkler Fleck – dann flossen die Wellen im Sternenglanz darüber – und Kreise rundeten sich immer weiter und weiter.

Der Aldobaran warf auf den See sein kaltes Licht! – –


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