John Retcliffe
Solferino
John Retcliffe

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Die Schlacht.

Wir haben bereits bemerkt, daß die österreichische Macht, die jetzt den Franko-Sarden gegenüber stand, die unglückliche Eintheilung in zwei Armeen mit besonderen Befehlshabern erfahren hatte.

Zwar bestand die Eintheilung der Gegner sogar in drei besonderen Armeen: der französischen unter dem Kommando des Kaisers Napoleon, der sardinischen unter dem König Victor Emanuel und dem Armeecorps des Prinzen Napoleon, das von den Herzogthümern gegen Mantua her vorrückte; indeß ging doch hier der Oberbefehl direkt von einem Punkt, dem Hauptquartier des Kaisers aus und die Fehler der Gegner sind keineswegs eine Entschuldigung für die eigenen!

Um die nachfolgende Darstellung der Schlacht besser zu verstehen, wolle der Leser uns zunächst in eine kurze Uebersicht des Terrains und der getroffenen Dispositionen folgen.

Der Leser wird hoffentlich längst die Ueberzeugung gewonnen haben, daß dem Autor des Buchs die Darstellung dieses kurzen und für die deutschen Waffen durch die gänzlich verfehlte Initiative so unglücklichen Feldzugs unmöglich gewesen wäre, wenn er nicht selbst das Terrain aus eigener Anschauung kannte. Aus dieser sagen wir denn auch, daß außer einigen Schlachtfeldern des Alterthums wohl kaum eines von großartigerer Schönheit des Terrains existirt, als das Schlachtfeld von Solferino!

Die tapfern und heldenmüthigen Soldaten, die treu ihrer Fahne und ihrem Kaiser auf der Höhe des Kirchhofs von Solferino fielen, konnten sicher kein schöneres Grab finden, als an dieser Stelle! – –

Am 23sten rückte die österreichische Armee über den Mincio dem Feinde entgegen, der im Allgemeinen noch die Chiese-Linie hielt. –

Die kaiserliche Armee stand jetzt innerhalb ihres berühmten Festungsvierecks, das den Weg nach Deutschland deckt, oder stützte sich vielmehr auf dasselbe, auf Peschiera, Verona und Mantua, das heißt auf die Linie des Mincio, der bei der ersteren Festung aus dem südlichen Ende des Garda-Sees tritt und unterhalb Mantua sich in den Po ergießt, welcher, die Gränze und den Schutz von Venetien im Süden gegen die empörten Herzogthümer (Parma, Modena) und die Legationen (Ferrara, Bologna) bildet, von denen her das Corps des Prinzen Napoleon die linke Flanke der Oesterreicher zu bedrohen begann.

Dem Laufe des Mincio entsprechend fließt weiter westlich, diesseits des Garda-See's aus den trompianischen Alpen kommend der Chiese gleichfalls von Norden nach Süden und ergießt sich in den Po. An diesen beiden gleichsam parallelen Wasserläufen standen seit dem 21. Juni die beiden feindlichen Heere einander gegenüber, und auf dem Terrain zwischen ihnen wurde die blutige Schlacht von Solferino geschlagen.

Wir haben bereits früher bemerkt, daß es für die Oesterreicher eine strategische Nothwendigkeit war, über den Mincio wieder vorzugehen, wenn sie einen Kampf hier an der äußeren Linie des Festungsvierecks aufnehmen und nicht bis an die Etsch zurückgehen wollten, da ihre Stellung auf dem östlichen Ufer des Mincio sich nicht zur Vertheidigung eignete, weil das westliche weit höher und deshalb dominirend ist.

Dies Vorgehen geschah also am 23sten.

Das Terrain der Schlacht, die wir, so weit der Romanschriftsteller auf das Gebiet der Strategie sich einlassen darf, ohne seine Leser zu ermüden, jetzt zu beschreiben haben werden, theilt sich in zwei verschiedene Gruppen.

Südlich vom Garda-See bildet die Gegend ein bergiges Dreieck, dessen Basis das Ufer des Garda-See's von Desenzano bis Peschiera und dessen Spitze Volta ist, während der gewundene Lauf des Mincio den östlichen Schenkel und die Linie von Lonato, Castiglione, Solferino und Cavriana nach Volta die westliche Seite bildet.

In der Mitte dieses Dreiecks liegt Pozzolengo. Dieser bergige Theil steigt vom See amphiteatralisch in Hügeln und Thälern sanft zu Höhen von 3 bis 400 Fuß bis zum äußeren Rand, wo er ziemlich schroff nach Süden in die Ebene von Medole und Guidizzolo abfällt. Einer der höchsten Punkte ist hier La Rocca bei Solferino. Rings im Lande umher erblickt man aus Meilen weiter Entfernung den auf dieser Höhe erbauten Thurm, bezeichnend La Spia d'Italia (die Spähe Italiens) genannt.

Südlich dieses hügelreichen Dreiecks breitet sich eine weite steinige Ebene aus.

Es ist sonst nicht Gebrauch in einem Roman und mit der einfachen Hilfe der Lettern eine erläuternde Zeichnung der Lage der verschiedenen Punkte zur bessern Orientirung zu geben, aber der Verfasser hat diese kleine Hilfe in seinem Buch »Sebastopol« so praktisch gefunden, daß er es auch hier im Interesse der Leser versuchen will. Die natürlich sich auf bloße Linien beschränkende Angabe des Terrains ist daher folgende:

Das wären flüchtig skizzirt die Hauptpunkte für die Verständniß der Schlacht. Die Entfernung vom Pozzolengo bis Medole beträgt etwa 1 ½ Meile, von Solferino nach Rebecco ¾ Meilen, vor Peschiera bis Volta (Richtung nach Goito und Mantua) 2 ½ Meile.

Dies zur Topographie!

Noch einige Worte zur Eintheilung und Stärke der beiden Heere.

Ueber das Oesterreichische hatte der Kaiser Franz Joseph bereits am 16sten den Oberbefehl übernommen, Feldzeugmeister v. Heß stand an der Spitze der Operations-Kanzlei und hatte auch die, nach dem Urtheil aller Militairs vortrefflichen Dispositionen zu dem Vorrücken der Armee über den Mincio und gegen den Feind entworfen, wobei die früher 4 Meilen lange Front (von Peschiera bis Goito) auf 1 ½ Meile zusammengezogen wurde.

Wir haben bereits erwähnt, daß das österreichische Heer in zwei Armeen eingetheilt war.

Die erste Armee, welche beim Vorrücken den linken Flügel bildete, also auf dem Terrain der Ebene zu operiren bestimmt war, bestand aus dem III. (Fürst Schwarzenberg), IX., (Graf Schaffgotsch), XI. (Weigl) und II. (Fürst Lichtenstein) Armee-Corps und der Reserve-Cavalerie-Division Graf Zedtwitz, und wurde vom Feldzeugmeister Graf Wimpffen kommandirt.

Die zweite Armee unter dem General d. Kav. Grafen Schlick umfaßte das VIII. (Benedeck), V., (Graf Stadion), I., (Graf Clam-Gallas) und VII. Armee-Corps (Zobel) und die Reserve-Cavalerie Division Mensdorf. Sie bildete den rechten Flügel und das Centrum. Die Stärke der Oesterreicher bei der Schlacht betrug etwa 150 000 Mann und 102 Batterieen (816 Geschütze), von denen aber unglücklicher Weise nur 360 in's Feuer kamen.

Am Spätabend des 23sten hatten die österreichischen Truppen nach dem Uebergang über den Mincio folgende Stellung erreicht.

Das Benedeck'sche Corps (VIII.), unterstützt durch die Brigade Reichlin aus Peschiera stand bei Pozzolengo.

Das V. (Stadion) bei Solferino, das I. (Clam) bei Cavriana.

Das III. (Fürst Schwarzenberg) bei Guidizzolo, das VII. (Zobel) bei Foresto und Volta.

Das IX. Corps bivouakirte bei Guidizzolo bis Rebecco, das XI. zwischen diesem Ort und Volta.

Die Cavalerie-Division der I. Armee (Zedtwitz) war bis Medole vorgegangen, die der II. Armee stand zwischen Guidizzolo und Cavriana.

Feldmarschall-Lieutenant Benedeck auf dem rechten Flügel in dem Bergland mit 25 000 Mann, hatte eigentlich eine abgesonderte selbstständige Stellung, da das Hauptquartier der II. Armee ganz entfernt in Volta war; – deshalb vielleicht war der kühne und energische General auch der einzige, welcher die ihm gegenüberstehenden bedeutend überlegenen Feinde tüchtig klopfte, und die Schlacht leicht noch zum Siege gewendet hätte, wenn er besser hätte unterstützt werden können.

Im Centrum auf dem dominirenden Rande von Solferino bis Cavriana befanden sich 41 000 Mann. Der linke Flügel mit der vorgeschobenen Cavalerie war 47 000 Mann stark, dahinter als Reserve das 7. und 11. Corps, 39 000 Mann. Man wollte den Feind am andern Tage am Chiese angreifen, aber man mußte auch gewärtig sein, jeden Augenblick auf ihn zu stoßen. Unter diesen Umständen konnte die Aufstellung nur eine ganz vortreffliche genannt werden. Die Strategie des Generalstabs hatte das Ihre geleistet, das Weitere war nun Sache der Feldherrn.

Aber ein großer Uebelstand war es, daß der Ausmarsch der Truppen erst des Vormittags um 9 Uhr begonnen hatte, sie also durch den Marsch in der glühenden Sonnenhitze erschöpft auf den disponirten Punkten ankamen.

Und nun fanden sie auf diesen keine Verpflegung. Den meisten Truppentheilen fehlten die Brodlieferungen – einigen ihre ganzen Kolonnen-Magazine. Die wenigen Bissen, die sie vielleicht noch im Brodbeutel hatten, bildeten bei mehreren Regimentern seit 24 Stunden die einzige Nahrung.

Auf dem Bahnhof in Verona lag unterdeß verschimmelnd und verdorrend das Brod bergehoch – ungeheure Geldsummen für Wein- und Fleischlieferungen steckten in den Taschen der Lieferanten von Triest, und den Beamten des Verpflegungs-Departements in Wien bis zu Generalen und Ministern hinauf hatte das Geld der Lieferanten eine Binde um die Augen gelegt.

Man weiß jetzt, daß z. B. Contracte auf Lieferungen von 5000 Ochsen abgeschlossen und bezahlt waren, von denen nicht tausend Stück die Armee erreicht haben, oder überhaupt geliefert wurden. Die Ernennung des Feldmarschall-Lieutenant Melezer zum Armee-Oberintendanten war noch zu neu, um die beabsichtigte Controlle genügend zu üben und den Betrügereien und dem Schlendrian des Bureaukratismus abzuhelfen.

Als die Bataillone und Escadrons auf den ihnen angewiesenen Stellen angekommen waren, warfen sie sich erschöpft nieder und suchten in einem kurzen Schlaf Stärkung und Ruhe.

Wenden wir uns einige Augenblicke zu der Armee des Feindes.

Der Kaiser Napoleon war auf eine bevorstehende Schlacht zwar vorbereitet, aber man glaubte sie nicht so nahe.

Am 23. wußte man im Hauptquartier zu Montechiaro jenseits des Chiese nur, daß die österreichische Armee sich über den Mincio zurückgezogen hätte. Man ließ vorwärts Castiglione einen Luftballon steigen, um das sehr bedeckte Terrain aus der Höhe zu recognosciren, aber man bemerkte eben nur unbedeutende Abtheilungen. Der Kaiser wartete, bevor er vorwärts gehen und die Oesterreicher angreifen wollte, auf das Eintreffen der Division Autemarre, die bei Piacenza über den Po gegangen war. Die meisten Corps hatten bereits den Chiese überschritten und standen in der Front von Lonato nach Mezzano dicht vor dem künftigen Schlachtfeld – sie hatten bis zum Mincio höchstens Märsche von zwei Meilen. Sie standen in drei Hauptgruppen, gleich den Oesterreichern. Den linken Flügel, auf Lonato und Desenzano sich stützend, bildeten die Piemontesen, 44 000 Mann, – das Centrum die Garde (General Regnaud de St. Jean d'Angely), das I. (Marschall Baraguay d'Hilliers) und II. Corps (Graf Mac Mahon), 57 000 Mann stark; – den rechten Flügel nach der Ebene das III. (Marschall Canrobert) und IV. Corps (General Niel) und die beiden Kavallerie-Divisionen, zusammen 50 000 Mann.

Die Stärke war demnach fast ganz dieselbe – der Position nach standen den Oesterreichern auf ihrem rechten Flügel und im Centrum überlegene feindliche Kräfte entgegen, dagegen hatten sie den bedeutenden Vortheil des Terrains, während sie in der Ebene entschieden stärker waren.

 

Vor einem großen Hause in Montechiaro, das am östlichen Ufer des Chiese auf der Straße von Brescia nach Mantua liegt, war trotz der späten Abendstunde ein lebhaftes militärisches Leben und Treiben. Feuer brannten, vor den Thüren und Kirchen und auf dem Marktplatz, auf dem die französischen Garde-Kürassiere von Versailles bivouakirten; Ordonnanzen mit Handpferden hielten in einer zahlreichen Gruppe zusammen, ein leichter Jagdwagen mit vier Pferden bespannt, hielt vor dem Hause, und ein Doppelposten der Gensdarmen des Obersten Primonville de Maisonthou bewachte die Pforte, durch welche fortwährend Offiziere aller Grade ein- und auspassirten.

Einige Tische waren unter den steinernen Laubgängen aufgeschlagen und hier verkehrten Offiziere jedes Ranges und jeder Waffengattung.

Es mochte eilf Uhr sein, als von der Strada Castigliona her zwei Offiziere in der Uniform des Generalstabs im Galop auf den Marktplatz sprengten und vor dem Eingang des Hauses parirten; – sogleich hatte sich eine Anzahl der unter den Lauben promenirenden oder sitzenden Militairs um sie versammelt.

»Ha D'Augerau, wo kommen Sie noch so spät her? Giebt es was Neues? haben die Oesterreicher etwa Verona geräumt? wir zweifeln keinen Augenblick, es könnte den Piemontesen kein größerer Gefallen geschehen!«

Der Aeltere der Stabsoffiziere beantwortete keine der gethanen Fragen, sondern wendete sich an den anwesenden Gensdarmerie-Offizier. »Heda Bernelle, ist der Marschall hier?«

»Sapristi, welchen Marschall wollen Sie denn? wir haben ihrer nicht weniger als vier Stück hier und einen König dazu.«

»Ich meine den Grafen Baraguay.«

»Gewiß Kapitain, – aber ich glaube, sie werden sämtlich bald aufbrechen. Es ist Zeit, wenn wir noch einige Stunden Schlaf genießen wollen.«

Die beiden Offiziere vom Generalstab sprangen aus dem Sattel und warfen die Zügel einigen lungernden Gensdarmen zu. »Das ist glücklich, daß ich Sie hier noch treffe.« Würden Sie wohl so gefällig sein, wenn der Kriegsrath noch nicht zu Ende ist, General Foltz auf einige Augenblicke heraus rufen zu lassen? Bitte, lassen Sie ihm nur meinen Namen sagen, Forey schickt mich.«

Der Gensdarmerie-Offizier ging in das Haus – die beiden Offiziere blieben im Kreise ihrer Kameraden.

»Sind heute Nachrichten aus Paris eingetroffen, Denné de Lisle?« »Besseres als das – zwei lebendige Boten, wie wir sie selten hier zu sehen bekommen.«

»Was meinen Sie?«

»Sehen Sie die Equipage dort?«

»Nun?«

»Es ist der Wagen des Königs der Sardinier. Der Re gentiluomo ist ein galantuomo gewesen – er hat uns zwei Damen von Paris mitgebracht, die heute Mittag direkt aus jener Quintessenz aller irdischen Genüsse in Brescia angekommen waren und aus irgend einer Caprice durchaus zur Armee wollten, ohne daß ihnen diese Wagenburg Platz machte, die jetzt alle Straßen sperrt!«

»Jung? hübsch?«

»Die eine – sie scheint eine Deutsche nach den blonden Haaren, – ist nicht mehr ganz frisch, aber eine stolze Figur. Aber die jüngere – Tonnerre de Dieu! – eine Schönheit ersten Ranges! Sie muß die besten Recommandationen haben, denn der Kaiser hat die jüngere sofort empfangen und Bretteville, der Oberst des Ersten, hat sein Quartier räumen müssen, um ihnen Platz zu machen.«

»Also vom Hofe oder von Familie? Aber was wollen sie hier?«

»Beide Schönheiten scheinen zum Glück für uns Wittwen, – sie trugen beide Trauer, vielleicht um einen Mann oder Vater, der todt ist oder den sie in irgend einem Lazareth aufstöbern wollen. Sie haben dazu ein passendes Subject gefunden, einen Burschen, der in allen Ambulancen umherschnüffelt.«

»Der Name?«

»Henry Dumont heißt er, ein Schweizer, aus Genf.«

»Der Generalstabsoffizier lachte.« »Unsinn – danach frage ich nicht. Ich meine die Damen.«

»Ach so – eine merkwürdige Ähnlichkeit, ich muß das hübsche Gesicht und diese herausfordernden Augen schon irgendwo gesehen haben, aber ich weiß nicht wo. Sie ließ sich als eine Gräfin Fourichon anmelden, ich glaube ...«

»Capitain d'Augereau, der General wünscht Sie augenblicklich zu sprechen!«

»Also bis nachher! – halten Sie sich bereit, es giebt Etwas!« Die beiden Offiziere sprangen die Treppe hinauf, ihre Meldung zu machen, während die leise geflüsterten, letzten Worte bereits unter den Gruppen die Runde machten und eine lebhafte Bewegung hervorriefen.

Fünf Minuten später führte der Graf Baraguay, den der Chef seines Generalstabes gerufen, den Boten selbst in das Berathungszimmer.

Die Versammlung war, wie bereits der kommandirende Offizier des Hauptquartiers den Angekommenen mitgetheilt hatte, im Begriff, nach beendetem Kriegsrath auseinanderzugehen, und hatte sich in einzelne Gruppen zurückgezogen, während der Kaiser noch am Tisch sitzend sich mit dem König von Sardinien und Marschall Vaillant, dem Chef des Generalstabes, unterhielt.

Unter den Mitgliedern des Kriegsrathes bemerkte man den Generallieutenant Della Rocca, Mac Mahon, Canrobert, Niel, Regnaud d'Angely, den Divisionsgeneral Leboeuf und den General Menabrea.

»Sire« sagte der Graf Baraguay, das Gespräch der beiden verbündeten Monarchen ehrerbietig unterbrechend, »General Forey schickt eine wichtige Meldung: Solferino ist von den Oesterreichern besetzt.«

Der Kaiser hob mit der bekannten matten Bewegung die Augenlieder und sah auf den Offizier, der die Meldung gebracht, die in dem ganzen Kreise die größte Sensation hervorrief; denn bis diesen Augenblick hatte man ganz bestimmt noch die Oesterreicher hinter dem Mincio geglaubt.

»Sie sind Capitain d'Augerau, wenn ich mich recht erinnere?«

»Zu Befehl, Sire!«

»Oh – der Name ist nicht gemacht zum Vergessen. Rapportiren Sie!«

»Auf Befehl des General Forey Sire in Abwesenheit des Herrn Marschall haben Capitain Ricouart und ich diesen Abend eine Recognoszirung über Castiglione hinaus in die Berge unternommen. Wir sind bis an den Fuß des Monte Carnal gelangt, wo er von dem Schloß von Solferino zur Contrada Fatorelle abfällt, als wir dort einem jener kleinen italienischen Wagen begegneten. Der Kutscher, der ein junges Mädchen von Solferino zu Anverwandten nach Desenzano bringen sollte, war von den österreichischen Vorposten, durch die wir zufällig in der Dunkelheit hindurch gekommen sein müssen, angehalten und zurückgewiesen worden, da Niemand über ihre Linien hinauspassiren durfte.«

»Weiter!«

»Von dem Mann und dem Mädchen, das eine italienische Patriotin zu sein schien, erfuhren wir, daß die Oesterreicher bereits in Solferino eingerückt sind und etwa 6000 Mann stark das Schloß besetzt hatten. Aber es scheint, als ob der Feind im Ganzen eine größere Vorwärtsbewegung über den Mincio gemacht und die Gebirgslinie von San Martino bis Rebecco occupirt hat.«

»Woraus schließen Sie dies?«

»Die Personen, von denen ich sprach, berichteten uns von bedeutenden Truppenmärschen und daß sie eben deshalb hätten flüchten wollen.«

»Und wie gelang es Ihnen wieder, unbemerkt zurückzukommen?«

»Das wackere Mädchen, – die schon bei Magenta das Unglück hatte, zwischen die kämpfenden Truppen zu kommen, – ließ uns durch ihren Begleiter den Weg zeigen, während sie selbst ihr Cariol nach Solferino zurückfuhr.«

Der Kaiser sann einige Augenblicke nach, dann wandte er sich zu Marschall Vaillant.

»Hat Montboisier noch Nichts wieder hören lassen?«

»Nein Sire – seit dem Bericht über die verunglückte Expedition der Freischaaren gegen San Vigilio fehlen weitere Nachrichten.«

»Das ist sehr unangenehm. Er hoffte sie zuverläßig zu erhalten von jenem ... Die Relais sind doch gelegt?«

Die Couriere, können in anderthalb Stunden die vierzehn Miglien von Salo hierher zurücklegen.«

»Ich danke Ihnen für Ihren Diensteifer Capitain d'Augerau« bemerkte der Kaiser. »Baraguay wird wohl einige Befehle für Sie an General Forey haben. – Lassen Sie die Position von Solferino durch eine starke Recognoscirung jedenfalls angreifen.«

Der Offizier trat ab.

»Nehmen Sie wieder Platz meine Herren« befahl der Kaiser, nachdem er einige Worte mit dem König von Sardinien gewechselt hatte. Die große Karte des Terrains wurde auf's Neue herbeigezogen.

»Sire« fuhr der Kaiser fort, mit dem Rothstift, den er in der Hand hielt, den Weg auf der Karte bezeichnend – »es bleibt demnach dabei. Ihre Truppen gehen von Lonato und Desenzano in dem Bergterrain in der Richtung nach Pozzolengo vor. – Sie Herr Marschall« – er wandte sich zu Baraguay – »haben bereits Ihre Richtung von Esenta nach Solferino. Treffen Sie Ihre Anstalten demgemäß, daß wenn Sie auf Widerstand stoßen, Sie alsbald zum Angriff übergehen können. Graf Mac Mahon, – Sie werden sich südlicher wenden und von Castiglione Ihre Richtung auf Cavriana nehmen, indeß die Garden Sie bei Castiglione ersetzen. General Niel und die beiden Kavallerie-Divisionen wenden sich nach der Ebene über Medole nach Guidizzolo, und Marschall Canrobert wird nach der Überschreitung des Chiese Ihre Reserve bei Medole bilden. Die Truppen werden um 5 Uhr aufbrechen.«

Während die Generale sich noch Notizen machten und einige Fragen wechselten, hörte man auf dem Pflaster des Platzes den scharfen Galop mehrerer Pferde. Eine Minute später öffnete der dienstthuende Adjutant die Thür des Gemachs.

»Sire – der Oberst Graf Montboisier!«

»Er selbst – vortrefflich!« Der Kaiser war hastig aufgestanden und reichte dem Kammerherrn die Hand. »Kommen Sie, kommen Sie, – ich habe Sie mit Sehnsucht erwartet! Begleiten Sie uns Sire, wenn es Ihnen gefällig ist.«

Er winkte nach einem Nebenzimmer. – Der Kammerherr öffnete die Thür, und die beiden Monarchen gefolgt von ihm traten ein.

Sobald die Thür wieder geschlossen war, wandte sich der Kaiser an den Grafen.

»Nun, Graf, daß Sie selbst kommen, hat offenbar etwas zu bedeuten. Was bringen Sie?«

»Sire – Sie wissen vielleicht bereits, daß die ganze österreichische Armee heute über den Mincio gegangen ist?!«

»Also doch – wir erhielten eben nur die Meldung, daß Solferino besetzt sei. Wissen Sie Näheres?«

»Hier Sire ist die Abschrift der vollständigen ordre de bataille

»Ah – Parbleu! Das wäre vortrefflich! – Und Sie sind sicher, daß es richtig ist?«

»Der Jude hat die Papiere überbracht – im Auftrag des Fürsten, vor fünfviertel Stunden!«

»Dann beschämen Sie die Lokomotiven! ich danke Ihnen für Ihren Eifer General Montboisier!« Er überflog die Papiere. »Vraiment – der Kaiser von Oesterreich muß eine gute Partie Schurken in seiner Nähe haben, – dies Papier sichert vollständig den Sieg. Bitte, rufen Sie Vaillant und Della Rocca! – Nein – bleiben Sie da,« fuhr er fort, als die Genannten eingetreten waren und der Flügeladjutant sich entfernen wollte, »Sie können uns vielleicht über Manches Auskunft geben.«

Die Berathung dauerte nur kurze Zeit. Man beschloß, die bereits getroffenen Dispositionen unverändert zu lassen und nur die Aufbruchszeit um zwei Stunden früher anzusetzen. Damit gewann man auf der ganzen Linie des Angriffs eine vollständige Ueberraschung des Feindes. Der Kaiser befahl jedoch, dafür zu sorgen, daß die Truppen vorher ihr Frühstück einnähmen. Alles Gepäck sollte, um eine freiere Bewegung zu gestatten, zurückgelassen werden. General Leboeuf, der Chef der Artillerie erhielt den Auftrag, mit allen Kräften dafür zu sorgen, daß die Batterieen in dem occupirten Terrain vorwärts gebracht werden könnten.

Es war dies bei der später folgenden Schlacht der große Vortheil, wodurch sie gewonnen wurde, da die Oesterreicher im Gegentheil auf das Terrain vertrauend den Fehler gemacht hatten, nur einen verhältnißmäßig kleinen Theil ihrer Artillerie vorzubringen. Durch die französischen Dispositionen wurde überdies ohne ermüdenden Marsch trotz der hindernden Natur des Bodens die Angriffsfront auf kaum 1 ½ Meile concentrirt. Die Divisionen Ladmirault und Forey wurden bestimmt, den Angriffsstoß zu machen. Bazaine sollte als Reserve ihnen folgen. Im französischen Hauptquartier wußte man jetzt genau, wo und in welcher Zahl man auf den Feind stoßen werde; – im österreichischen hatte man keine Ahnung davon! –

Nachdem alle Dispositionen getroffen waren – es war bereits gegen Mitternacht, trennte sich der Kriegsrath. Der König von Sardinien war schon früher in sein Hauptquartier zurückgekehrt. Der Kaiser selbst wollte auf die Bitte seiner Umgebung noch ein Paar Stunden der Ruhe genießen.

Als er die Generale verabschiedete, befahl ein Wink dem Grafen noch zu verweilen.

»Wissen Sie, lieber Graf, daß ich heute Nachmittag Besuch aus Paris erhalten habe?«

»Euer Majestät wollen bedenken, daß ich so eben erst angekommen bin.«

»Sogar eine Dame! rathen Sie!«

»Ich bin außer Stande, Sire!«

»Eh bien – was sagen Sie dazu? Es ist die kleine Marquise von Massaignac, die Erbin ihres Bruders, die wie Sie schon gehört haben, plötzlich wieder zum Vorschein gekommen ist. Madame Eugenie protegirt sie ganz besonders und hat ihr spezielle Empfehlungen mitgegeben. Es scheint, daß ihr Herr Vetter auf die reiche Braut verzichten muß.«

»Ich habe von einigen Abenteuern gehört – doch scheint ein gewisser Schleier ist darüber gezogen. Was den Herrn Grafen von Montijo betrifft, so scheint die Dame allerdings keine besondere Sympathie für ihn empfunden zu haben und es war wohl mehr der Wille ihres Vaters oder Bruders, der sie ihm bestimmte.«

»Zum Henker, ich dächte, ich hätte Anderes zu thun, als mich um Heirathen oder Liebschaften zu kümmern. Suchen Sie morgen die abenteuerliche Dame auf, die sich hier einquartirt hat, und erforschen Sie, was sie eigentlich will. So viel ich aus ihr klug werden konnte, sucht sie einen gewissen Major Laforgne auf, der so viel ich mich erinnere, einer der Abenteurer Garibaldis, wenn nicht in noch schlimmere Geschichten verwickelt war; wahrscheinlich ihr Liebhaber.«

Der neu ernannte General lächelte. »Major Laforgne« sagte er – »ist glücklich verheirathet und befindet sich in diesem Augenblick sogar vor dem Hause Eurer Majestät, denn er hat mich begleitet, um etwaige Befehle Eurer Majestät für General Garibaldi in Empfang zu nehmen.«

»Gott soll mich bewahren, daß ich den General in unsere morgende Affaire menge« sagte der Kaiser hastig. »Monsieur Garibaldi hat eine sehr unglückliche Hand. Aber ich erinnere mich des Offiziers – lassen Sie ihn heraufkommen, ich will ihn noch einige Augenblicke sprechen.«

»Wenn Euer Majestät« bemerkte der General, indem er zur Thür zurücktrat, – »einiges Interesse an den Abenteuern der Marquise von Massaignac nehmen, so ist Major Laforgne grade der Mann, der die beste Auskunft geben kann. Es ist damit noch eine andere traurige Geschichte verknüpft, die einen schrecklichen Blick giebt in die Intriguen der Jesuiten in diesem Lande.«

Einige Minuten später führte der General den Offizier der Freischaaren in das Gemach des Kaisers.

 

Es ist gewiß eine schwierige Aufgabe für den bloßen Romanschreiber, eine Schlacht zu beschreiben, so daß auch der nicht militärische Leser dem Gang derselben übersichtlich folgen kann.

Wir wollen uns bemühen, diese Aufgabe so gut als möglich zu lösen, rechnen aber auf die Nachsicht des Lesers.

Die Schlacht von Solferino zerfällt eigentlich in drei verschiedene Theile nach dem Terrain, gleich der gewöhnlichen Eintheilung der Schlachtlinien; – es wurde auf dem rechten Flügel, im Centrum und dem linken Flügel zugleich geschlagen; – daß dies dennoch vereinzelt geschah in Folge der mangelhaften Dispositionen und der Ueberraschung war eben das Unglück der Oesterreicher.

Die Höhen von Solferino bis Cavriana bildeten das österreichische Centrum und waren von dem V. und I. Corps (Stadion und Clam Gallas) besetzt) – der Hauptpunkt dieser Stellung war La Rocca mit dem Schloß und dem Kirchhof von Solferino auf der Kuppe des Berggeländes, das sich von dem Thurm (La Nocca) in zwei parallel laufenden Rücken: dem Monte Carnal und Monte Mezzana, nach Westen zieht. Die Abfälle beider etwa 100-150 Fuß hohen Bergrücken sind meist so steil, daß sie nur mit Mühe erklimmt werden können – terrassenförmiger Weinbau macht sie streckenweise ganz unzugänglich. Das Dorf Solferino liegt unterhalb des Schlosses, das mit der Kirche und den Wirtschaftsgebäuden ein von Mauern umschlossenes Oblongum bildet, am Fuß der Rocca. – Der Kirchhof, etwa 300 Schritt vor dem Schloß nach Westen gelegen, ist mit 6 Fuß hohen Mauern umgeben. Schon diese einfache Beschreibung wird genügen, um dem Leser klar zu machen, daß hier die Stellung der Oesterreicher sehr stark war.

Der rechte Flügel der Oesterreicher, gegen die Sardinier gerichtet und wie bereits erwähnt von dem VIII. Corps unter Feldmarschallleutenant Benedeck und der Brigade Reichlin gebildet, vertheidigte die Linie von San Pietro (nördlich von Solferino) am Nedone bis Pozzolengo. Auch hier ist das Terrain größtentheils sehr hügelig.

Die Hauptmacht der Oesterreicher, der linke Flügel, das III., VII., IX. und XI. Corps mit der gesammten Cavallerie stand südlich der Höhen von Solferino und Cavriana, in einzelnen Positionen weit vorgeschoben, zum Theil sehr zerstreut in dem Terrain der Ebene um Guidizzolo und die Straße von Mantua. Gelang es den Oesterreichern, dem ursprünglichen Plan des Vormarsches gemäß, hierüber Medole nach Carpenedolo, das heißt bis zur Sesia vorzudringen, so war der rechte französische Flügel aufgerollt oder vom Centrum abgeschnitten und dies zwischen zwei Feuer gedrängt. –

Um 3 Uhr Morgens ließ der Marschall Baraguay die 2. Division aufbrechen, um Solferino auf der nordöstlichen Seite anzugreifen. Die Brigaden Martimprey (das 6. Fußjäger-Bataillon, das 52. und 72. Linien-Regiment) und de la Charrière (das 85. und 86. Regiment) rückten über Santa Maria und Barche di Solferino vor.

Aber obschon die 1. Division (Forey) eine Stunde später ausgerückt, war ihr Weg der kürzere und General Cambriels mit den 17. Fußjägern und dem 74. und 84. Linienregiment stieß schon bei Le Fontane an der Chaussee auf die bis hierher vorgeschobene Avantgarde der Oesterreicher, die Brigade Bils.

Nach kurzem Widerstand wurden dieselben bis über Le Grole zurückgetrieben und setzten sich erst auf den Vorbergen von Solferino.

Um 8 Uhr Morgens waren die Oesterreicher auch aus der vortheilhaften Stellung auf dem Monto Fenile vertrieben. Die Brigade Dieu mit dem 91. und 98. Regiment war hier stark im Gefecht.

Um diese Zeit rückte von Barche her die Division Ladmirault ins Feuer.

Aber jetzt brach sich hier im Centrum der französische Vormarsch.

Die Brigade Bils mit dem Regiment Kinsky und den Oguliner Gränzern deckte den südlichen Höhenzug, Generalmajor Festeties mit dem Regiment Reischach den nördlichen, den Monte Carnal. Das 6. Kaiser Jäger-Bataillon warf sich nach San Martino, das 4. und Culoz-Infanterie gegen den Fenile.

Vergebens donnerte von dessen Höhe die hier vortheilhaft placirte französische Artillerie; – die französischen Regimenter, die des schwierigen Terrains halber nur in einzelnen Abtheilungen und im Thalgrund heran kommen konnten, wurden mit großen Verlusten zurückgeworfen.

General Dieu wird schwer verwundet und muß das Kommando an Oberst Cambriels vom 84. Regiment abgeben. Vergebens führt der tapfere Guyot de Lespart das 74. im Sturm bis an die Rocca, bis an die ersten Häuser von Solferino – Thomas, Landois – zehn Offiziere fallen hier! Capitain de Brenier bemächtigt sich mit seiner Compagnie der 17. Jäger von Arras eines Gehöfts – die 4. Kaiserjäger schlagen ihn heraus. Die Bataillonschefs des 84., Béhagle, Lacretolle, Roquemont, sammeln drei Mal ihre Colonnen – die Kugeln der 4. Kaiserjäger decimiren die Franzosen! Hauptmann Weinsberg, Hauptmann Zini decken mit ihren Divisionen die zurückgedrängten Abtheilungen von Culoz-Infanterie, die endlich Schritt um Schritt dem furchtbaren Raketen- und Granatenfeuer weichen müssen. Mit dem Bayonett werfen die tapfern Jäger die französischen Colonnen den Bergrücken hinab – Oberlieutenant Steiger von Ruggisburg fällt, – Lieutenant Baron Breidbach und Kunze sinken schwer verwundet, – der junge Conte Poggi in den Reihen der gemeinen Jäger schlägt sich mit Löwenmuth, den später die goldne Medaille ehrte, – die Oberjäger Schreck, Lang und Fischer, Zugführer Oberhammer und andere Tapfere brauchen Kolben und Bayonett im dichtesten Handgemenge; – Hauptmann Ammon von Culoz-Infanterie unterstützt mit seiner Compagnie tapfer die Jäger, der kecke Bataillons-Hornist Gavrille bläst mitten unter den weichenden Kameraden zum Angriff, die Feldwebel Aron Jakotsch und Klein führen ihre Compagnieen, nachdem alle ihre Offiziere gefallen – endlich zwingt das französische Flankenfeuer die Jäger, zurückzuweichen bis zu dem furchtbaren mit Blut getränkten Steinwall, der den Schlüssel der Hauptstellung des Berges bildete. Bis hier und nicht weiter – hier ist die Stelle, wo die braven Tyroler zu sterben beschließen. Zwölf Offiziere und fast alle Unteroffiziere sind gefallen, einundsiebenzig Jäger schon todt oder verwundet – sie weichen nicht. Namen wie der des wackern Payr zu Thurn, Thaler – der Jäger Paintner, Kühbacher, Hinteregger, Dallaporta leben in der Geschichte des Bataillons. Handhoch liegen um die Tapfern her schon die Patronenhülsen – da zum Unglück beginnt die Munition zu fehlen und von dem Höhenrand der Straße, wohin die wackeren SiebenbürgnerCuloz-Infanterie-Regiment Nr. 31. sie zurückgetrieben haben, schmettern die Franzosen mit einer neuen Batterie gegen die kühnen Vertheidiger von Solferino.

Bis gegen Mittag dauerte die Kanonade, ohne daß die Franzosen weiter Terrain an diesem Punkte gewinnen.

Ladmirauld hat sich unterdeß der Höhen zwischen Barche und dem Thal des Redone bemächtigt – aber die Oesterreicher vertheidigen tapfer den Weiler von San Martin: das Regiment Kinsky und die wilden Oguliner von der Carlstädter Militair-Grenze.

Generalmajor von Bils schickt Adjutanten über Adjutanten an den Corps-Commandanten um Unterstützung auf seinem rechten Flügel, den der Feind zu umgehen droht.

Hier – gegen 8 Uhr – hatten die Piemontesen ihren Angriff begonnen.

Graf Stadion hatte die Intervalle zwischen seinem und dem VIII. Corps schon früher mit zwei Bataillonen Este der Brigade Koller besetzt. Dieser Punkt, Madonna della Scoperta, an der Straße von Lonato nach Pozzolengo, bildete einen der wichtigsten Kämpfe des Tages.

Die alte Klosterkirche mit einigen Nebengebäuden liegt auf einem schmalen Bergrücken, der sich nach Westen hin sanft verflacht. Zwei Bataillone der Division Durando mit zwei Geschützen stürmten die Höhe, warfen die Oesterreicher zurück und setzten sich im Gehöft fest.

Unmöglich, ohne die ganze Verbindung mit dem rechten Flügel zu gefährden, konnte man die Position in den Händen des Feindes lassen. Graf Stadion zog seine Reserve herbei, die Brigade Gaal, und befahl dem Feldmarschall-Lieutenant Graf Palffy mit dieser das Kloster wieder zu nehmen. General-Major Gaal an der Spitze nahm das Regiment Carl-Ludwig mit den Liccaner Gränzern die Madonna wieder, indem sie die Redone und Fossetta unter dem Feuer der Piemontesen auf schnell erbauten Laufbrücken überschritten und die Feinde bis Fenile vor sich herjagten. – Hier findet Oberstlieutnant Zagitschek von Kehlfeld den Heldentod; hier vertheidigt der Fahnenführer Uzellaz das anvertraute Kleinod, um das seine Kameraden einen Wall von Leichen bilden.

Auch auf diesem Punkt stand jetzt das Gefecht – König Victor Emanuel selbst befand sich an dieser Stelle und beorderte Succurs herbei. Aber die Grenadier-Brigade vermochte den Kampf nicht wieder herzustellen und mußte sich darauf beschränken, den wiederholten Aufforderungen des Kaisers an General Durando gemäß, die Verbindung mit dem linken Flügel des I. französischen Corps herzustellen.

Unterdeß war der rechte Flügel der Oesterreicher im siegreichen Vordringen begriffen, obschon der Feind auch hier sie überrascht hatte. Die Avantgarde der piemontesischen Division Cucchiari war früh ½ 7 Uhr bei Ponticello auf die Vorposten getroffen und hatte sie zurückgeworfen. Es war dies die zweite und vierte Division Prohaska-Infanterie der Brigade Waterfliet. Die Truppen waren eben im Abkochen hinter dem Monte Giacomo begriffen, und mußten von ihren Kochkesseln forteilen, um die Bergränder zu besetzen, ehe die Bersaglieri sich ihrer bemächtigten. Oberst Prohaska selbst und der tapfere Hauptmann Wassilda mit zwei Kanonen stellten rasch das Gefecht wieder her. Der Hornist Elsler vollführt sein wackeres Jägerstücklein. Kaum fünfzig Schritt mit den Seinen zurückgewichen, bleibt er plötzlich stehen, kehrt sich gegen die Verfolger und fängt an aus Leibeskräften Sturm zu blasen, ohne sich um den nahen Feind zu kümmern. Das Signal wird von anderen Hornisten aufgenommen, die Jäger stürmen vor und die Bersaglieri müssen eilig sich gegen San Martino zurückziehen. Bei diesem Handgemenge schlägt sich der brave Kaiserjäger Ungerer mit drei Gegnern, seine Kolbenschläge werfen zwei derselben zu Boden, dem Bayonnetstoß des dritten weicht er durch einen behenden Sprung aus, kehrt mit Blitzesschnelle das Gewehr wieder um und stößt ihm den Hirschfänger in die Brust. Während das Regiment Prohaska und die 2. Kaiser-Jäger hier die Piemontesen aufhielten, sammelte Feldmarschall-Lieutenant Benedek das Gros seines Corps, die Regimenter Erzherzog Rainer, Dom Miguel, Hohenloh und Kronprinz von Sachsen mit den 5. Kaiser-Jägern und den Schluiner Gränzern und formirte sie zum Angriff gegen General Mollard, der auf der Strada Lugana heran kam, seine rechte Flanke bedrohend.

Benedek war von 7 Uhr an auf den wichtigsten Punkten und seiner Energie gelang es überall, die verzettelten Corps der piemontesischen Armee trotz ihres Widerstandes zurückzuschlagen. Die Dispositionen der piemontesischen Generale waren höchst unglücklich, ja erbärmlich. Während sie die bedeutende Uebermacht von mehr als 40 000 Mann gegen die 25 000 des Benedek'schen Corps hatten, kamen ihre Divisionen und Brigaden fast durchgängig einzeln in's Feld und wurden zurückgeschlagen. Hier war es, wo Benedek sich jenes Vertrauen und jenen Ruf erwarb, der Oesterreich später so theuer zu stehen kommen sollte. Die Höhe von San Martino mit der kleinen Wallfahrtskirche in der Nähe der Strada Lugana und ihrer Durchschneidung des Eisenbahndammes war der wichtigste beherrschende Punkt der Stellung und von den Piemontesen besetzt. Hierhin wendete sich der Angriff der Oesterreicher über die Hügel von Corbe, die Artillerie voran, Rainer- und Sachsen-Infanterie dahinter und auf den Flanken. Hauptmann von Ortenburg vom ersteren Regiment erstürmt unter den Augen des Feldherrn eine schwere feindliche Position, Lieutenant Kuenberg fällt, die Hauptleute Baron Baselli, Sztankowicz und der Brigade-Adjutant Kautsch werden schwer verwundet, aber Nichts hält die Tapferen auf. Der Führer Stefan Laschitz stürzt sich in eine feindliche Batterie, die Führer Gillesberger, Erlach, Niedermaier, Preinersdorfer stürmen ihren Salzburgern voran in die piemontesischen Linien; – Oberstlieutenant Wiedemann führt mit der Fahne in der Hand das Regiment »Kronprinz von Sachsen« in's Handgemenge, – immer auf's Neue geht das Regiment zum Sturm – immer auf's Neue wird es zurückgeworfen. Der Feind erkennt die Wichtigkeit der Position und strengt alle Kräfte an. Der Feldmarschall-Lieutenant selbst sprengt heran und befiehlt noch einmal den Angriff durch die sechste Division des Regiments. »Wir haben keine Patronen mehr!« ruft der Commandant Hauptmann Steiger. »So geht's ihnen mit dem Kolben zu Leibe!« lautet die Antwort Benedek's, und angefeuert durch diese Worte und das Beispiel ihrer heldenmüthigen an der Spitze stürmenden Offiziere, der Hauptleute Steiger und Täuber, des kühnen Ober-Lieutenant Wanka, den vom Sterbebett im Lazareth noch der Orden der eisernen Krone in's frühe Grab geleitet, des Feldwebel Schmidt und des Gefreiten Simon Ilinsky werfen sich die beiden böhmischen Compagnieen auf den Feind und vertreiben ihn von der Höhe mit Kolben und Bayonnet. Der Sieg war errungen, San Martino in den Händen der Oesterreicher!

General Mollard läßt die Brigade Cuneo einen Sturm versuchen – sie gelangt bis zur Höhe, dort wird sie geworfen und kann von Glück sagen, daß zwei der Division Cucchiari voraneilende Batterieen sie in Schutz nehmen. Die österreichischen Jäger – das dritte und neunte Feldjäger-Bataillon, das zweite und fünfte Bataillon Kaiserjäger kämpften hier – sind bereits bis über den Eisenbahndamm vorgedrungen, als um 10 Uhr das Gros der Division Cucchiari mit sechzehn Bataillonen, drei Escadrons und zwanzig Geschützen auf dem Kampfplatz anlangt und auf's Neue zum Sturm auf die Kirche San Martino losgeht. Unter dem mörderischen Feuer der Oesterreicher dringen sie um Mittag siegreich vor. Auf der ganzen Linie wird gekämpft, die Regimenter Dom Miguel und Hohenloh-Infanterie halten in blutigem Widerstand die Position, der wackere Oberst des letzteren Regiments Dorninger, die Hauptleute Falkenberg, Fannenburg und vier andere, sechs Oberlieutenants und fünf Lieutenants fallen todt oder verwundet, das Regiment verliert über vierhundert Mann – dennoch scheint um Mittag das Glück den Piemontesen wieder zu lächeln. Aber Benedek ist überall – dreißig Geschütze, ihren Kartätschenhagel von den Höhen von Corbe auf den linken Flügel der Sardinier schmetternd, bringen ihn zum Weichen, ein Vorstoß und der Sieg ist den Piemontesen nochmals entrissen, die Division Cucchiari, zersprengt, auf's Furchtbarste zugerichtet, reißt in ihrer Flucht die Reserven von Mollard mit sich fort und erst bei Rivoltella und St. Zeno, eine Stunde vom Schlachtfeld, gelingt es wieder sie zu sammeln.

Aber auch die Kraft der Oesterreicher ist erschöpft – um San Martino tritt eine dreistündige Pause des Kampfes ein. Wir müssen uns nunmehr zu dem Schauplatz des Hauptkampfes, der Ebene wenden.

Das (2.) französische Corps Mac Mahon mit den Divisionen Motterouge und Decaen war um 3 Uhr Morgens von Castiglione auf der Straße nach Mantua abgerückt – seine Tête traf bei Ca Marino die Vorposten des III. österreichischen Corps (Fürst Schwarzenberg) und schlug sich mehrere Stunden im Plänklergefecht mit ihnen herum, indeß die Kolonne herankam und rechts und links der Straße nach Guidizzolo aufmarschirte.

Während dessen wurden die Massen auf den Höhen von Solferino immer dichter, der Kampf dort immer heftiger und Mac Mahon war in Verlegenheit, ob er das erste Corps in seinem Angriff auf Solferino unterstützen oder seine Position bewahren sollte, um den Feind zu hindern, aus der Ebene her das Centrum zu sprengen.

Noch immer war von dem Corps des General Niel, das mit dem dritten (Canrobert) den rechten Flügel bilden sollte, Nichts zu sehen. Er sandte seinen Generalstabschef, General Lebrun in der Richtung nach Medole aus, und dieser fand hier General Niel um etwa 6½ Uhr mit den Dispositionen zum Angriff beschäftigt.

Bis hierhin nämlich waren die Oesterreicher vorgegangen. Graf Zedtwitz und General Lauingen hatten das Dorf und den Campo besetzt. Graf Zedtwitz hielt mit zwei Bataillonen des Regiments Franz Carl vom 9. Corps und sechs Escadrons das Dorf, General Lauingen mit zehn Escadrons Dragonern und seiner Artillerie das Campo. Bald nach 4 Uhr stießen die Franzosen auf die Cavallerie-Vedetten, die Artillerie fuhr auf und General de Luzy Pelisac formirte seine Division zum Angriff.

Auf die Nachricht des General Leboeuf, daß General Niel sich an seinen rechten Flügel heranziehen wolle, sobald Medole genommen und Marschall Canrobert im Anschluß sei, beschloß Mac Mahon die Meierei Ca Marino zu nehmen, um einen Halt gegen die immer bedrohender von Cavriana und Guidizzolo her sich sammelnden österreichischen Massen zu gewinnen. Ca Marino wurde gegen 9 Uhr genommen. Vierundzwanzig Geschütze wurden in die Front und die Tirailleurlinie gezogen und nahmen den Kampf gegen die österreichische Artillerie auf, die mit einer starken Kolonne des ersten Corps (Clam-Gallas) in der Entfernung von 1200 Schritt sich aufgestellt hatte. Ein furchtbarer Artillerie-Kampf entspinnt sich, General Auger, der ihn auf französischer Seite leitet, verliert den linken Arm, Granaten und Kartätschen furchen die Haide.

Hier ist es, wo zum ersten und – letzten Mal ein italienisches Regiment, Wernhardt-Infanterie aus dem Werbebezirk Treviso seine Schuldigkeit thut und mit Ehren für die Fahne kämpft, der es geschworen hat. Der brave Galizier Major Microys führt mit der Fahne in der Hand sein Bataillon gegen die feindlichen Batterien; – er fällt von einer Kugel getroffen. Sein achtzehnjähriger Sohn, Lieutenant im Regiment, will ihn zurücktragen – aber des Vaters Hand weist streng nach dem Feind, seinen Fall zu rächen, und eine Granate reißt den Kopf des jungen Offiziers ab, noch ehe er zehn Schritte gegen den Feind gethan. Da ergreift Hauptmann Moritz Ettner vom Generalstab das Panier und führt begeistert die Trevisaner gegen die feindliche Batterie. Major Baumgarten und Resich von Ruinenberg stürmen von der andern Seite, die Hauptleute Kraft, der Ritter von Osoppo wollen den Tod der wackeren Kameraden rächen, – aber die französischen Kartätschen rasseln wie Hagel über die Fläche. Ettner's Pferd stürzt – er schwingt sich rasch auf ein anderes; – auch dieses fällt! doch noch unverletzt steht der Held. Zu Fuß mit der Fahne in der Hand stürmt er den Tapferen voran, – da trifft ihn eine dritte Kugel – der Träger, die Fahne sinkt – der Angriff stockt – das Bataillon tritt den Rückzug an und rettet den tapferen Offizier.

Mit ähnlichem Heldenmuth schlägt man sich an anderen Stellen. –

Um 10 Uhr trafen die beiden Linien-Cavallerie-Divisionen Portouneaux und Desvaux, die der Kaiser ihm zur Disposition stellt, auf Mac Mahon's rechtem Flügel ein und decken die gefährlichen Intervalle. Eine Charge auf die österreichische Infanterie treibt sechshundert Mann in die Linie der französischen Tirailleurs und macht sie zu Gefangenen. Der Succurs erlaubt dem Marschall, zwei Escadrons der 4. Chasseurs à cheval zur Unterstützung der siebenten auf seine linke Flanke zu ziehen und Mensdorff im Schach zu halten, während die Brigaden des I. Corps ihren Rückzug auf Cavriano nehmen.

Wir haben hier eine Episode einzuschalten, die eine der glorreichsten der Schlacht, ja des ganzen Feldzugs ist.

Der Leser erinnert sich des kühnen Reiterangriffs, den das Husaren-Regiment des Obersten Edelsheim bei der Schlacht von Magenta am linken Ufer des Naviglio machte, und der Ponte vecchio wieder in die Hände der Oesterreicher brachte.

Einen ähnlichen Coup, nur noch in großartigerem Maaßstabe, führte dasselbe Regiment bei der Schlacht von Solferino aus.

Wir wollen versuchen, ihn zu schildern, zu Ehren der österreichischen Cavallerie, die hier zum letzten Mal ihren alten großen Ruf behauptete.

Schon am Morgen hatte Oberst Edelsheim, der tapfere Kommandeur des Regiments »Preußen-Husaren Nr. 10«, den Befehl erhalten, mit einer Division die rechte Flanke der gegen die Intervalle des I. und II. französischen Corps vorgehenden Brigade Hartung zu decken.

Der Oberst sandte seinen Adjutanten und bat um die Erlaubniß, mit seinem Regiment die linke Flanke des Corps von Mac Mahon umgehen zu dürfen.

Die Erlaubniß wurde ertheilt. Ein Offizier überbrachte dem ¼ Meile mit der Reserve-Kavallerie-Division zurückpostirten Feldmarschall-Lieutenant Mensdorff die Bitte, dem kecken Angriff unterstützend zu folgen. Mensdorff versprach es.

Die Signale schmetterten »Trab!« Oberst Edelsheim mit 4 Eskadrons Preußen-Husaren, die bei dieser Affaire glänzend ihren Namen bewährten, ging von Val de Termine, seinem Bivouak, mit dem Terrain vollkommen vertraut, gegen die Chaussee von Castiglione nach Guidizzolo, also gegen die erwähnte Intervalle vor.

Die feindlichen Kavallerie-Patrouillen wurden zurückgetrieben – die Chasseurs von Blidah, die unter der afrikanischen Sonne erprobten Truppen, unter ihrem Obersten Savaresse stellten sich ihm entgegen.

In drei Attacken warfen die tapfern GrünmützenDas Regiment, – Ungarn – trägt lichtblaue Attilas und Beinkleider, und grasgrüne Czako's. Es erhielt 1814 den Namen König von Preußen, den es »auf immerwährende Zeiten« behalten sollte.
Indem ein Preußischer Schriftsteller diese Heldenthat eines österreichischen Regiments verherrlicht – ist jener Ehrenname trauriger Weise dem tapfern Regiment genommen worden – es rangirt fürder als Nr. 10! – In der nicht von kleinlichem Groll bewegten Geschichte wird es jenen Namen behalten!
die Afrikaner über den Haufen.

Rittmeister von Töröck holte sich hier die Eiserne Krone – Oberlieuteuant Graf Walderdorf, Graf Kalnóky das Militär-Verdienstkreuz.

»Vorwärts!«

Die Eskadrons traben weiter – die Höhe von Casa Marino liegt vor ihnen, sie ist von den Bataillonen der Division Decaen (früher Espinasse), dem Zuaven-Regiment und dem 72. Linien-Regiment besetzt.

»Rittmeister Majthenyi werfen Sie die Tiralleurs zurück!«

Die tapfere Schwadron galopirt vor – während sie die dichte Tirailleurreihe auf ihre Bataillone zurückjagt, setzen die drei andern Escadrons ihren Heldenweg fort. Commandant Charlemagne mit zwei Escadrons der Chasseurs von Mostagenma wirft sich ihnen entgegen. Ein wildes Handgemenge entsteht. Roger, Leféron d'Eterpigny führen vergeblich ihre Schwadronen gegen die tapfern Ungarn – nicht umsonst hat der edle Graf von Zichy die Eiserne Krone erworben – Benkner, Mastai, Graf Geldern und der wackere Wachtmeister Fakals schlagen sich wie die Löwen, durch zwei Säbelhiebe verwundet, bläst der Trompeter Fraszek noch lustig sein Signal zum Einhauen – die Chasseurs werden geworfen, Hussah! geht die wilde Jagd vorwärts, indem die Eskadron, die mit den Tirailleuren gefochten, die Arrieregarde bildet.

Es ist 9 Uhr – die Husaren stehen auf der Höhe von Le Grole – die französische Linie ist durchbrochen!

Aber vergeblich schauen die Tapfern sich nach der versprochenen Unterstützung um – keine Spur der Division Mensdorff ist zu erblicken.

Die rückwärts gesandten Patrouillen, welche sie aufsuchen sollten, brachten allein die Nachricht, daß die feindliche Infanterie sich immer mehr im Rücken ausbreite.

Dennoch gaben die Tapfern die Hoffnung noch nicht auf und Oberst von Edelsheim den Befehl zum Vorrücken. Rittmeister Freiherr von Lederer mit seiner Eskadron bildete die Avantgarde. Nach kaum zehn Minuten schmetterten französische Trompeten – es war die Tête der Garde-Cavallerie, die eben auf der Chaussee auf den Kampfplatz rückt.

In demselben Augenblick trabte eine Chasseur-Schwadron von der Seite heran zum Angriff. Die ungarischen Trompeten bliesen ein einziges Signal »Einhauen!«

Im Nu waren die Husaren über den Garde-Lanciers von Compiegne her.

Graf Einsiedel, Hranac kämpfen wie die Löwen – der tapfere Baronkai stürzt – Wachtmeister Mocker und Marky hauen sich in einem dichten Knäuel der Feinde, – der wackre Bernard fängt den Stoß auf, der seinen Obersten durchbohren soll und haut einen Kapitain der Lanciers vom Pferde, – die Eskadron Delard wird geworfen, sie bringt die folgenden in Verwirrung – die ganze Kolonne stockt und wird zurückgetrieben – die Husaren immer vorwärts, ohne das Feuer der Infanterie zu achten, die wo der Weg von Contrada Levadello nach Le Grole die Chaussee schneidet hinter steinernen Mauern ihr Feuer giebt. Ueber die Mauern hinweg setzen die muntern Pferde und der Säbel kreuzt sich mit dem Bayonnet!

Da endlich entschließt sich der Oberst, der die Chasseurs nach hitzigem Gefecht vertrieben, zum Rückzug, denn die Reserve-Artillerie des französischen Corps fährt in einiger Entfernung auf. Welchen Erfolg hätten in diesem Augenblick zwei frische Regimenter erzielt, – aber Leute und Pferde sind erschöpft, und es gilt jetzt noch allein, durch die französische Infanterie sich den Rückzug zu hauen.

Dies geschieht bei Casa Marino; – mit 8 Offizieren, 125 Mann und 126 Pferden Verlust trifft das Regiment wieder bei der Brigade Rösgen ein, die den Weg von Medole nach Cassiano deckt.

Auch der wackere Artillerie-Lieutenant Fichter, der sich den Husaren attachirt, wird vermißt – Graf Geldern, der brave Unterlieutenant, der so wacker sich herumgehauen, ist verwundet in die Hände der Feinde gefallen!

Nur ein Mann ist durch einen Granatsplitter verwundet worden, alle anderen haben die Wunden und den Tod im Handgemenge empfangen!

Der kühne Zug hat – weil nicht unterstützt – seinen Zweck verfehlt.

Diesem Heldenzug gegenüber steht der kaum erklärliche feige Rückzug des General von Lauingen mit der ganzen Reserve-Cavallerie, der die Division Mensdorff an der Unterstützung der kühnen Attaque verhinderte, und offenbar auf diesem Theile des Kampfplatzes viel zum Verlust der Schlacht beitrug.

Wir müssen zur Schilderung desselben zu den Vorgängen bei dem IV. französischen Corps (General Niel) zurückkehren.

Es ist bereits erwähnt, daß General Niel im Augenblick, als ihn General Leboeuf verließ, mit der Anordnung eines Angriffs auf Medole beschäftigt war, das Feldmarschall Lieutenant Zedtwitz besetzt hielt. Um 7 war Medole genommen und Graf Zedtwitz zog sich mit seinen sechs Escadrons auf der Straße nach Guidizzolo zurück, wo er General Lauingen mit seinen zehn Escadrons Dragonern finden mußte.

Aber General Lauingen mit den Dragonern war verschwunden!

Als die ersten Tiralleurschwärme des Corps Riel und Mac Mahon der Haide nahe gekommen waren und die ersten Kugeln seine Reiter-Colonne erreichten, hatte General Lauingen es für gut gefunden, mit seiner Brigade die Stellung zu verlassen und einen gänzlichen Rückzug vom Schlachtfeld bis nach dem fast zwei Meilen entfernten Goito in einem Striche anzutreten. Vergeblich schickte Graf Zedtwitz einen Offizier aus, ihn zu suchen – endlich machte er, seine Division im Stich lassend, sich selbst auf, ihn zu holen, in dem guten Glauben, daß es auf der verlassenen Position sich nur um einen Zusammenstoß der Vortruppen handele. Doch

»Roß und Reiter sah man nimmer wieder.«

und da zugleich Generalmajor Vopaterny mit dem Regiment Bayern-Husaren von den Vortruppen des endlich heranziehenden Marschall Canrobert auf der linken österreichischen Flanke aus Castel Gofferedo geschlagen worden war und statt sich an General Zedtwitz heranzuziehen – auf der äußersten Linken während des ganzen Schlachttages in unthätiger Beobachtung stehen blieb, verlor Graf Wimpfen seine ganze achtundzwanzig Escadrons starke Reserve-Cavallerie aus der Hand.

Es ist uns unbekannt, ob General von Lauingen vor ein Kriegsgericht gestellt worden ist – verdient hat er es sicher!

General Canrobert begnügte sich in Folge einer vom Kaiser erhaltenen Nachricht, daß von Mantua her ein österreichisches Corps am Nachmittag des 23. gegen die rechte Flanke der Verbündeten über Marcaria ausgerückt sei, auf der Position von Castel Goffredo stehen zu bleiben und nur General Renault mit 4 Bataillonen des 41. und 56. Regiments über die Seriola Marchionale vorrücken zu lassen, statt kräftig sich der rechten Flanke des Niel'schen Corps anzuschließen und dasselbe zu unterstützen. Vergebens sandte Niel sieben Offiziere nacheinander an den Marschall, ihn zu bitten, die Division Renault eine Demonstration gegen Rebecco machen und ihm zu Hilfe kommen zu lassen. Zähneknirschend standen das brave 23., 41., 56., und 90. Regiment während voller 5 Stunden an der Straße, durch Canroberts Neid oder Unfähigkeit verhindert, ihren Kameraden von der Division de Luzy zu Hilfe kommen zu können, die bereits 99 Offiziere und 1828 Mann verloren hatten. So wurde General Niels Absicht, bis Guidizzolo vorzudringen und die Oesterreicher vom Mincio abzuschneiden, vereitelt und er mußte sich begnügen, wie Mac Mahon die Linie von Ca Marino und Cassiano, so die von Rebecco und Ca Nova gegen das wüthende Anstürmen der Oesteireicher von Guidizzolo und Castel Grimaldo her zu halten.

Wieder fochten hier die Oesterreicher: das IX. Corps – Graf Schaafgotsche – und eine Brigade des III. vereinzelt, während die anderen Abteilungen, namentlich das XI. Corps (Veigl) noch über eine Meile rückwärts standen. Das unglückliche System der Reserven möglichst weit von dem Platz, wo sie zu dem Erfolg einer Action eingreifen konnten, trug auch hier seine Früchte.

Auf allen Seiten hatte unterdeß die Schlacht fortgetobt – die Franzosen sammeln sich im Centrum zum entscheidenden Stoß.

Dort kommandirt der Kaiser!

Wir müssen einige Stunden zurückgreifen, um dem Anmarsch der Garden zu folgen.

Um 5 Uhr Morgens setzte sich die Infanterie der Garde von Montechiaro aus in Bewegung nach Castiglione – der Kaiser folgte eine Stunde später, während von Le Grole und Ca Marino her schon der Kanonendonner herübertönte. Unterwegs sandte er der Garde-Cavallerie nach Castenedolo den Befehl, sofort – statt erst um 9 Uhr – aufzubrechen und in die Reserve der rechten Schlachtlinie einzurücken.

Es war kurz vor 7 Uhr, als Louis Napoleon in Castiglione mit seinem zahlreichen Stabe ankam, unter dem sich auch der Graf Montboisier und Major Laforgne befanden. Beide hatten vor dem Abreisen aus dem Hauptquartier noch einige Augenblicke gefunden, nach dem Wunsche des Kaisers die junge Marquise von Massaignac und ihre deutsche Freundin aus dem Kloster aufzusuchen, um sie zu bewegen, wenigstens nach Brescia zurückzukehren. Hier erfuhren sie, daß allerdings die aus Berlin erhaltene Nachricht, die beiden Brüder von Röbel seien verschwunden und der ältere von ihnen werde sogar steckbrieflich verfolgt, so wie ein unbestimmtes Gerücht: sie befänden sich bei der österreichischen oder französischen Armee in Italien, die junge Marchesa zu dem raschen Entschluß geführt hatten, nach Oberitalien zurückzukehren und zunächst Doktor Achmet aufzusuchen, den sie bei der französischen Armee glaubte.

Die Nachricht, die ihr Laforgne von seinem Zusammentreffen auf der Villa Elena mit dem Freunde gab, verbunden mit der Anzeige des bevorstehenden Entscheidungskampfes dienten aber bei dem entschlossenen Charakter Carmen's eher zu allem Anderen, als sie zu bewegen, jetzt die Nähe der Armee zu verlassen. Montboisier und der Major hatten nur noch Zeit, sie zu benachrichtigen, daß Doktor Achmet in der Villa am Garda-See unterm Schutz der Fürstin zurückgeblieben sei und ihr jeden Beistand zur Uebermittelung einer Botschaft an denselben zuzusagen, als die Trompeten der Guiden sie erinnerten, sich der Suite des Kaisers anzuschließen.

Der französische Herrscher war nicht sobald in Castiglione angekommen, als daß die Meldungen von allen Seiten sich jagten, daß der Kampf auf der ganzen Linie von Peschiera bis Castel Goffredo entbrannt sei. Sie bestätigten die durch den Verrath aus dem österreichischen Hauptquartier schon am Abend vorher erhaltenen Nachrichten von der Ausdehnung her feindlichen Linie und bestärkten den Kaiser noch mehr in der Ueberzeugung, daß der Sieg in dem Durchbrechen des österreichischen Centrums und in der Wegnahme von Solferino und Cavriana liegen werde. In diesem Sinne gingen sogleich Befehle an die äußersten Flügel ab, die Oesterreicher dort im Gefecht festzuhalten. Der König von Sardinien wurde aufgefordert, schleunigst die Verbindung mit Baraguay d'Hilliers herzustellen.

Bald nach 8 Uhr befahl der Kaiser seinem Stabe, in Castiglione zurückzubleiben und litt – nur von drei Adjutanten, einem halben Dutzend Offizieren und einem Zug Guiden begleitet – auf der Straße nach Guidizzolo vor, um sich zu dem Herzog von Magenta zu begeben. Man wußte, daß dieser das Vorterrain vor Ca Marino besetzt hielt, es konnte also von einer Gefahr nicht die Rede sein. Marschall Vaillant, der in Castiglione zurückblieb erhielt den Befehl, dem Kaiser die Rapporte nachzusenden.

Der kleine Reitertrupp hatte die Chaussee verlassen, auf welcher Cavallerie und Artillerie vorrückte, und sich gegen die Höhen von Borgo Ravello gewandt, wo die Division Bazaine damals noch als Reserve stand. Von hier aus kehrte der Kaiser auf einem Feldweg gegen die Chaussee in der Höhe von Barcaccia zurück, als Lieutenant Faramond Lafajole, der voraus ritt, plötzlich Halt machte und zurückgesprengt kam.

Die Reitergruppe hielt sogleich, als der Offizier sein Pferd parirte. In demselben Augenblick sah man einen Mann eilig von der Chaussee her geritten kommen.

»Was haben Sie – warum halten Sie an?« frug der Kaiser.

»Sire – ich glaube Gewehrchargen vor uns in der Richtung des Weges nach Guidizzolo zu hören. Es lagern dichte Staubwolken dort, die jede Aussicht verhindern.«

»BaH – Sie irren sich durch den Luftzug. Die Brigaden des Grafen müssen wenigstens noch eine halbe Stunde vor uns stehen. Jener Staub muß von der Garde-Cavallerie herrühren, die im Anrücken ist. Vorwärts meine Herren.«

Es wagte Niemand zu widersprechen – der Trupp war im Begriff, seinen Weg fortzusetzen, als der vorher bemerkte Reiter in voller Hast heransprengte.

Er bildete eine ziemlich seltsame Figur und war offenbar kaum Herr des Pferdes, das seiner Sattelung nach ein Bagagepferd österreichischer Reiterei war. Der Reiter selbst war dem Anschein nach noch sehr jung, sein Gesicht aber von Staub und Pulverdampf bis zur Unkenntlichkeit entstellt; seine Kleidung bestand aus einem österreichischen Militairmantel und einer gleichen Fouragiermütze. Am Handriemen hing ihm ein Husarensäbel herab. Wiederholt schien er sich umzusehen, ob er verfolgt würde.

Der Guiden-Offizier war mit einem Satz seines Pferdes an dem fremden Reiter und packte seinen Zaum. »Halt Bursche – steh! wer bist Du? – wo kommst Du her?«

»Sind Sie Franzosen Herr?« keuchte der Gefangene statt der Antwort in italienischer Sprache.

»Parbleu, das siehst Du! Herunter vom Pferd – wirf den Säbel fort!«

»Ich komme als Freund, Herr Offizier,« rief der Fremde. »Ich bin den Oesterreichern entflohen – ich ergebe mich. Bringen Sie mich zum nächsten General oder zum Kaiser, Herr! ich will seinen Schutz anrufen!«

Das naive Verlangen des Flüchtlings erregte ein Gelächter unter Denen, welche Italienisch verstanden, der Fremde aber hatte trotz seines Aussehens als gemeiner Soldat bereits die Aufmerksamkeit des Kaisers erregt.

»Bringen Sie den Menschen hierher Monsieur Lafajole,« befahl er. »General Montboisier, verhören Sie ihn!«

Man hatte dem Flüchtling unterdeß Pferd und Säbel abgenommen und sich überzeugt, daß er keine weiteren Waffen bei sich führte. Zu ihrem Erstaunen hatten die Umhaltenden dabei bemerkt, daß der Ueberläufer unter dem alten Reitermantel eine schwarze Civilkleidung trug, fast wie die eines Geistlichen.

»Gehen Sie nicht weiter« sagte der Gefangene mit heiserer Stimme – »dort drüben sind die österreichischen Husaren, ich bin ihnen entflohen!«

»Oesterreichische Husaren? das ist unmöglich! Wo?«

»Auf dem Wege nach Castiglione! Ihre Reiter sind zurückgeworfen – es ist Oberst Edelsheim mit seinen Schwadronen!«

Die Nachricht erregte die größte Bestürzung, man wußte sich erst die Sache nicht zusammen zu reimen und zweifelte an der Wahrheit. Der commandirende Offizier der Escorte, Chef d'Escadron Lathulade sandte sofort den jüngeren Offizier mit drei Mann zur Recognoscirung in jener Richtung vor, während der Kaiser das Verhör fortsetzen ließ.

Der Gefangene, der einen General oder höheren Offizier vor sich zu haben glaubte, berichtete ohne Stocken von dem Zuge der österreichischen Husaren, dessen Nachtrab er begleitet hatte, bis es ihm gelungen war, sich während des Gefechts mit den Chasseurs von seinen Begleitern frei zu machen und die Flucht zu ergreifen. Da er in dem Glauben war, daß eine stärkere Cavaleriemasse folgte, berichtete er auch dies und die Umgebung des Kaisers drang in denselben, sich auf das Schleunigste zurückzuziehen.

Unterdeß hörte man von der Seite der Chaussee her immer schärferes Gewehrfeuer – es war der Augenblick, als Oberst von Edelsheim in das Feuer der französischen Infanterie gerieth und zum Halt gezwungen wurde. Der Kaiser winkte jedoch, das Verhör unbeirrt fortzusetzen und ließ den Gefangenen über die Stellung der österreichischen Corps befragen; doch vermochte derselbe darüber wenig Auskunft zu geben.

»Sind Sie Soldat?«

»Nein, Monsieur!«

»Ihr Name?«

»Ich bin eine Waise und besaß bisher keinen Namen, Herr, denn meine Feinde hatten mir ihn geraubt. Erst seit gestern weiß ich, daß man aus dem Sohn des Fürsten Lichnowski einen Jesuiten machen wollte, und deshalb bin ich meinen Henkern entflohen und suche Schutz bei Ihrem Kaiser und in Ihrer Armee!«

Die Worte riefen eine lebhafte Bewegung des Grafen hervor, der sich sofort an den Kaiser wandte. »Sire« sagte er – »der Zufall scheint hier ein merkwürdiges Spiel zu treiben. Erlauben Euer Majestät, Major Laforgne zu befragen, er vermag vielleicht Auskunft zu geben, ob die Worte dieses jungen Menschen Wahrheit sind.«

Major Laforgne hatte kaum sein Pferd näher gelenkt, als der Gefangene, der aus der Anrede des Grafen und der Erfurcht, die man ihm bezeugte, zu ahnen begann, in wessen Gegenwart er sich befand, jenen sofort wieder erkannte.

»O Signor« rief er, ihm die Hände entgegenstreckend – »Sie werden sich des Unglücklichen erinnern, der Sie nach dem Kloster am Monte Cenere führte und der um Ihretwillen wieder in die Gewalt seiner Feinde fiel! Bitten Sie um Schutz für mich – ich will eher sterben, als wieder in die Hand meiner Peiniger fallen! Und Sie, wenn Sie wirklich der mächtige Kaiser der französischen Nation sind, Gnade und Hilfe Sire, für einen Unglücklichen!«

»Wir haben keine Zeit, Herr,« sagte der Kaiser wohlwollend, »uns in diesem Augenblick mit Ihren Familienangelegenheiten zu beschäftigen. Lassen Sie ihn sich der Begleitung anschließen, Graf, und versuchen Sie, was von ihm noch zu erfahren ist. – Dort kommt Lafajole zurück.«

In der That kam der Guiden-Offizier herangalopirt und hinter ihm eine Abtheilung des Garde-Dragoner-Regiments der Kaiserin mit General Champeron, der den Rückzug der österreichischen Cavalerie meldete und den Kaiser nach Ca Marino geleitete, wo der Herzog von Magenta commandirte.

Oberst von Edelsheim mit seinen tapfern Husaren hatte keine Ahnung gehabt, als er das Zeichen zum Abbruch des Gefechts und zum Antritt seines kühnen Rückzugs gab, wie nahe der Zufall das Schicksal des ganzen Krieges, das Geschick Oesterreich's, ja ganz Europa's seiner Hand gebracht hatte! Die weitere Umgebung des Kaisers erfuhr von der Gefahr, in der er geschwebt hatte, erst am anderen Tage.

Während der Kaiser mit Mac-Mahon sich besprach, hatten Graf Montboisier und Major Laforgne Gelegenheit, den jungen Mann näher über die Umstände seiner Flucht zu befragen.

Der junge Novize war nach der schrecklichen Scene in der Klosterkirche des Monte Cenere, von Fra Andrea streng bewacht, am andern Morgen nach Verona abgeführt worden, wohin ihm der Rector zwei Tage später folgte.

Hier wurde der Jüngling in der strengsten Clausur gehalten. Seine offene Erklärung, lieber den Tod erleiden zu wollen, als die Gelübde abzulegen, die ihn für sein Leben in die Knechtschaft des Ordens bringen sollten, wurde mit der Anklage des Diebstahls beantwortet; die härteste Haft und wiederholte Mißhandlungen wurden angewendet, seinen Widerstand zu brechen.

So hochsinnig und von jugendlicher Stahlkraft geschwellt aber auch sein Gemüth war – er wäre der Härte dieser Verfolgungen sicher erlegen, wenn nicht ein Ereigniß dazu gedient hätte, seinen Muth aufzufrischen und zu stärken.

Wie wir bereits wissen, hatten die zufälligen Mitteilungen über den unglücklichen Zögling des ehemaligen Priester Corpasini dem maurischen Arzte einen Fingerzeig gegeben, den er eifrig verfolgte. Während der Jüngling in seinem Klosterkerker verzweifelte, waren seine ungeahnten Freunde für ihn thätig und der bucklige Spion Abramo, der alle Partheien betrog, von dem Golde Doctor Achmet's bestochen, hatte Gelegenheit gefunden, dem Gefangenen einige Zeilen zuzustecken, die seine Hoffnungen erhoben.

Sei es nun, daß dieser neue Widerstand den Verdacht des Rector's erweckte, sei es. daß die Ankunft des Baron Neuillat in Verona und seine Nachforschungen ihm unbequem waren, kurz, er hatte ihn unter strenger Aufsicht mit sich genommen, als er aus irgend einer dem Jüngling unbekannten Ursache am 22. sich nach Villafranca in das Hauptquartier des Kaisers Franz Joseph begab.

Die Erzählung des jungen Mannes stockte hier, er wollte offenbar einen Freund nicht verrathen, den er gefunden und der ihm zur Flucht verholfen hatte. Aus einzelnen Worten schloß Major Laforgne jedoch, daß es der modenesische Oberst gewesen sein müsse, welchen er damals in Begleitung des Prälaten im Kloster des Monte Cenere getroffen, der im Schutz der Nacht und des Gewühls dem Novizen zur Flucht verhalf, indem er ihn mit einem Militairmantel und Kappe versah und ihm rieth, sich unter die abmarschirenden Truppen zu mischen und unter ihrem Schutz die erste Gelegenheit zur weiteren Flucht zu benutzen. Die letzten Worte seines unverhofften Beschützers und Retters, indem er ihm eine Börse in die Hand drückte, waren, wie Felicio erzählte: »Armer Bursche, sie wollen Dich nach Bologna oder Rom bringen in ihre Kerker, die Du nie verlassen würdest! Aber es soll nicht geschehen, wenn ich es verhindern kann! Ich habe Deinen Vater nicht sonderlich geliebt, aber das fürstliche Blut der Lichnowski ist zu gut für ihre Geißel und Bußgürtel! Suche Dir Freunde und Gott sei mit Dir!«

Aufs Gerathewohl hatte sich der junge Mann dann in den Troß der marschirenden Truppen geworfen und war mit diesen am 23. vorgerückt, indem er nur bestrebt war, so weit als möglich sich von dem Ort zu entfernen, wo er seinem Tyrannen entflohen war. Der kolossale Troß, welcher stets die österreichische Armee begleitet und ihre Bewegungen so schwerfällig macht, ließ es ihm leicht werden, in der Menge zu verschwinden, und ein Zufall und die gefüllte Börse, die ihm sein Befreier gegeben, verschaffte ihm die Bekanntschaft einiger ungarischen Husaren vom Regiment des Obersten Edelsheim, und einen Platz auf ihrem Marketenderkarren. So war er mit bis in das Bivouak von Val de Termine gekommen und zu dem kühnen Reiterzug der Husaren. Sein jugendliches Herz hatte begeistert dem soldatischen Leben und Treiben sich angeschlossen; da er aber wußte, daß ihm im österreichischen Lager nur Gefahr drohte und sein gänzlicher Mangel an Lebenserfahrungen ihn kein anderes Mittel der Sicherheit auffinden ließ, hatte er von vornherein beschlossen, bei erster Gelegenheit zu den Franzosen zu flüchten. Ein altes Notizbuch, das er in seinem Mantel fand, hatte ihn veranlaßt, sich über das, was er hörte, allerlei Bemerkungen aufzuschreiben, doch war das Wichtigste, was er daraus seinen Beschützern mittheilen konnte, die aus der Unterhaltung der Offiziere im Bivouak entnommene Nachricht von dem Ausrücken eines österreichischen Corps aus Mantua am Nachmittag des 23. – Während des Gefechts der Husaren mit den Chasseurs und der Spitze der Garde-Cavalerie wurde der im Nachtrab befindliche Karren umgeworfen und Felicio nahm,die Gelegenheit wahr, im Tumult ein herrenloses Pferd zu besteigen und die Erinnerungen seiner baskischen Knabenzeit zusammen raffend, auf die Gefahr den Hals zu brechen oder von den Husaren zurückgeholt zu werden, in einer Richtung davon zu flüchten, wo er hoffte, auf französische Truppen zu stoßen.

Das war die Erzählung, die er seinen Beschützern gab.

»Die Freunde« sagte der Major, dem Jüngling warm die Hand drückend, »haben Sie gefunden, und wie ich glaube, auch einen nahen Verwandten, den Bruder Ihrer Mutter! Ich glaube, der Kaiser selbst wird die Gelegenheit nicht unbenutzt lassen, den Herrn Jesuiten einen kleinen Verdruß zu bereiten. Was meinen Sie, General, wir wollen den angehenden Principe mit einer Ordonanz nach Montechiaro zur Marchesa schicken und ihn einstweilen unter ihren Schutz stellen.«

»Es wird das Beste sein« stimmte der Graf zu; »ich muß sofort Sr. Majestät Meldung machen von der Nachricht, daß ein österreichisches Corps von Mantua ausgerückt ist.«

Dies geschah alsbald; der ehemalige Novize wurde näher befragt, aber er vermochte eben nur zu wiederholen, was er gehört hatte. Die Nachricht gab indeß Veranlassung zu jener Mittheilung an Marschall Canrobert, die diesen bewog, General Niel seine Unterstützung zu verweigern und mit dem größten Theil seines Corps in einer Observationsstellung nach Rechts während der Schlacht unthätig zu bleiben.

Der Kaiser mit dem Stabe verließ jetzt die Aufstellung Mac Mahons und kehrte zu den Garden zurück, die unterdeß südwestlich vor Solferino ihren Aufmarsch genommen hatten, nachdem er die Cavalerie-Divisionen Desveaux und Portouneaux; die ursprünglich zum Niel'schen Corps gehört hatten, Mac Mahon zur Deckung und Verbindung seiner rechten Flanke zur Disposition gestellt hatte.

Als sie dort angelangt waren, wollte der Graf den jungen Novizen mit einem Transport Verwundeter nach Castiglione und Montechiaro zurücksenden, aber der junge Mann, in dem sich der Geist und das Blut seiner Vorfahren regte, begeistert von jenem Dampf der Schlacht und des Blutes, der eine so berauschende Wirkung übt, flehte so dringend, ihn an ihrer Seite zu lassen, daß seine neuen Freunde ihm den Willen thaten.

Es war 11 Uhr, als der Kaiser bei Marschall Baraguay anlangte; er erkannte mit einem Feldherrnblick, der selbst seinem großen Onkel Ehre gemacht haben würde, auf der Stelle, daß hier die Entscheidung lag.

Die Voltigeurdivision der Garde deployirte um diese Zeit in Linie hinter dem ersten Corps; etwa 600 Schritt rückwärts derselben in Kolonnen aus der Mitte mit Divisions –(doppelter Pelotons)– Front die Grenadier-Division.

Nunmehr seiner Reserven sicher, gab der Kaiser, der sich bei den Batterien der Division Foreyl aufhielt, den Befehl zum entscheidenden Angriff auf Solferino.

Es war Mittag.

Die zweite Brigade (d'Alton) der Division Forey, das 91. Linien-Regiment von Peronne, und das 98. von Alençon unter der persönlichen Führung des General Forey, begleitet von 4 Stücken der Reserve des ersten Corps tritt auf dem rechten Flügel zum Sturm an. Ihr Hauptziel ist die Rocca mit ihren Tod und Verderben sprühenden Batterien nebst dem südlich daran an der Straße nach Cassiano gelegenen Theil des Städtchens. Die Signalhörner geben das Zeichen, – die dichten Tirailleurschwärme des 91. Linien-Regiment gehen voran – Colonel Méric de Bellefond, den Degen in der Faust – führt das Gros.

Ein wüthendes Gewehr- und Kartätschenfeuer vom Castell, vom Kirchhof, von den Mauern, welche die Weingärten von Solferino einfassen, empfängt sie. Vergeblich führen Meuriche, Moré de Pongibaud, Duchet, Breton, ihre Bataillone gegen die Höhe – der eiserne Hagel zerreißt wieder und wieder ihre Glieder; die wenigen Tirailleurs, die bis an den Fuß der Rocca gelangt sind, fallen unter den österreichischen Bayonetten – die Colonnen sind erschüttert – sie wanken – sie weichen zurück – der Angriff ist abgeschlagen.

Auf dem linken Flügel hat die Division Ladmirault den Weiler San Martino angegriffen und genommen, aber Stadion hat endlich die Brigade Koller und Gaal herangezogen und wirft sie Ladmirault entgegen. Das Regiment Este stürzt sich mit den Oguliner Gränzern die Thalränder des Redone entlang und wirft sich zwischen die Franzosen und Durando. Nur die Batterie die General Forgeot gegen sie aufführt, hält den Siegeslauf der braven Ungarn auf und treibt sie wieder zurück. Der Gemeine Carl Handler tödtet fünf Feinde, Fahnenführer Pataky, Hornist Gertsitz mit den Offizieren Németh, Hertzka, Haleki von Nordenhorst und Andere schlagen im Handgemenge, Schritt um Schritt nur geben sie die gewonnenen Vortheile wieder auf.

General Ladmirault stürmt aus dem Weiler, eine Kugel aus den Reihen des Regiments »Carl Ludwig« verwundet ihn – er zieht sich zurück, indeß das 52. Linien-Regiment vorzudringen sucht.

Kaum verbunden, ist der General wieder an ihrer Spitze, aber auf's Neue verwundet, muß er den Befehl dem General Negrier übergeben und sich zurückziehen.

Das mährische Regiment des Erzherzogs steht wie eine Mauer und läßt jeden Angriff abprallen; sein Oberstlieutenant Freiherr Breidbach Bürresheim, Hauptmann Fuchs, Lieutenant Göttlicher fallen beim ersten Angriff, die Hauptleute Hackel und Edler von Pichler werden verwundet, aber die Reihen wanken nicht, und eben so fest trotz der enormen Verluste stehen die Liccaner Gränzer und rächen den Tod ihres geliebten Führers des Oberstlieutenant Zagotsek von Kehlfeld.

Auch hier ist der Angriff verunglückt, auch hier ist der entscheidende Angriff der Franzosen abgeschlagen.

Es ist 1 Uhr.

Die Adjutanten des Kaisers fliegen. Die Brigade Manèque der Garde-Voltigeurs von Paris erhält den Befehl, die weichende Brigade d'Alton zu unterstützen und in ihrer rechten Flanke gegen die Rocca vorzurücken. Montboisier jagt zur Division Bazaine, dem General den Befehl zu bringen, mit den noch wenig in's Gefecht gekommenen Truppen zur Unterstützung Ladmiraul's vorzurücken.

Das erste Zuaven-Regiment von Golnah stellt sich unter Colonel Paulze d'Ivoy eben zum Sturme an, als der Graf an seiner Front vorüberreitet. Eine Stimme ruft ihn an.

»Valga me Dios! Lieutenant des Chapelles, Sie hier? ich glaubte Sie beim Dritten?«

»So war es Herr Graf – aber man hat mich changirt nach Magenta. Eine kleine Affaire, die unserm Colonel nicht gefiel! Wir sind avancirt zum Ersten, ich und mein Freund!«

Sergeant Fromentin, an den Löwentatzen über seiner Brust kenntlich, erwiedert finster den Gruß des Generals.

»Jaques ist heute schlechter Laune« scherzt Armand.« Er behauptet, daß dieser Tag uns Unglück bringen werde.«

»Für Sie Lieutenant Chapelles« sagt der Bruder des Löwentödters. »Mich wird das Blut, das vor meinen Augen flimmert, endlich mit Zela vereinigen!«

Graf Montboisier hat kaum Zeit, dem jungen Offizier, der ihm in der Arba das Leben gerettet, einen Gruß, ein au revoir après la victoire! zuzurufen, als die Hörner zum Angriff blasen.

Im Sprungschritt gehen die Bataillone der Zuaven vor, gefolgt von dem 33. und 34. Linien-Regiment, den Wächtern der Bagnos von Marseille und Toulon! Der Graf sieht sich eilig nach dem Novizen um, der ihm gegen seinen Befehl mit der Ordonanz gefolgt ist und den er erst bemerkt hatte, als es zu spät zur Zurückweisung war. Der Feld-Gensdarm hielt das Pferd, das Felicio geritten – aber der Sattel ist leer!

»Sacre Dieu! Wo ist der junge Bursche?« »Dort Monsieur! Er meinte, er sei ein zu schlechter Reiter und ließ sich nicht halten!« Er weist auf das letzte Bataillon der Zuaven, das so eben vorstürmt; – mit einem kurzen flüchtigen Blick glaubt der General den weißen österreichischen Mantel des Unbesonnenen mitten zwischen den rothen Hosen und blauen Jacken zu sehen! Es ist zu spät – er kann ihn nicht mehr hindern – sein Schicksal muß der Hand Gottes überlassen bleiben!

Der Graf schließt sich unwillig über die unbesonnene und doch so verzeihliche That dem Stabe des Generals Bazaine an, der der Attake folgt.

Man weiß nicht, welcher Dämon, welcher Feind Oesterreichs dem Feldherrn den unglücklichen Gedanken eingegeben hatte, grade in diesem Augenblick die allerdings erschöpften Corps der wichtigsten Vertheidigungs-Punkte durch andere frische ersetzen zu lassen, die erst aus ziemlich entlegener Position heran geholt werden sollten.

Denn während der französische Kaiser seine Reserven nahe zur Hand hatte, kaum Tausend Schritt von den Kämpfenden und bereit, – wie er that – sie jeden Augenblick in das Gefecht zu werfen, standen die österreichischen viel zu starken Reserven entfernt, verzettelt, nutzlos, nur für den Fall des Rückzugs vorgesehen. Wer bei einer Schlacht glaubt, daß er verlieren könnte, der wird immer verlieren!

Obschon die tapfern österreichischen Truppen vom 5. und 1. Corps um 1 Uhr Mittag auf allen Positionen von Solferino Sieger gewesen waren und den Sturm der französischen Colonnen abgeschlagen hatten, – obschon Louis Napoleon nur über wenige Reserven noch zu gebieten hatte, während General Schlick deren in Masse zurückhielt – freilich mußte man zu deren Mobilmachung auf dem Kampfplatz selbst sein!! – fand sich Graf Stadion veranlaßt in diesem Augenblick Solferino bis auf die Hauptpunkte des Kirchhofs, des Castells und der Rocca zu räumen, zu deren Besetzung er die Reservebrigade Festetics, das Regiment Reischach Nr. 21 – Böhmen von Czaslau! – und das 6. Bataillon Kaiser-Jäger zurückließ.

Die zurückgehenden Truppen schlugen sich auf beiden Flanken der nördlichen und südlichen Abhänge der furchtbaren Position von Solferino, nur widerwillig Schritt um Schritt weichend und noch heldenmüthig dem Ansturm widerstehend. Hier war es, wo Major Basz mit drei Compagnien des braven Regiments Culoz die Spia d'Italia vertheidigte, wo so mancher Brave und Wackere fiel.

Aber der Raum unserer Darstellung ist zu kurz für ihren Ruhm – auf der Höhe von Solferino ist der Platz des Erzählers!

Die Kaiserjäger stehen auf der Höhe vor dem Kirchhof. – Reischach vertheidigt den Kirchhof und das Castell.

Ein wüthender Ruf: En avant! en avant! schlägt aus der Tiefe herauf – die Zuaven stürmen die Höhe!

Der Colonel Paulze d'Ivoy ist mitten in der Colonne – er versucht zu Pferd den Berghang zu ersteigen. Lian, Rousseau, Lümel führen die Bataillone – Laffaille, Steinheil, Geoffre, de Chabrignac, de la Chevardière, Massénat stürmen an der Spitze ihrer Compagnien, Lieutenant Callet schwingt unter enthusiastischem Zuruf die Fahne – er ist einer der Ersten, der fällt; furchtbar räumen unter den Stürmenden die Kugeln der Jäger auf – aber aus den Leichen der Fallenden machen die Rasenden eine Stufe zum Vordringen – höher und höher – da fällt Berrincourt, der Lieutenant-Colonel – fünfzehn Offiziere sind im ersten Sturm gefallen – der Oberst des 34. Regiments ist durch den Kopf geschossen – die Sturmkolonnen weichen, sie drängen zurück – der Sturm ist abgeschlagen.

General Bazaine sprengt wüthend herbei. Seid Ihr die Männer von Afrika? Pfui der Schmach! Vorwärts General Gose!

Die Hörner blasen – die Trommeln wirbeln, die Zuaven, die Touloneser und Marseiller stürzen sich zum zweiten Mal in das furchtbare Kreuzfeuer der Raketen und Granaten vom Kirchhof und der Rocca.

Vergeblich – Ströme von Blut tränken die Erde – der Fuß gleitet auf den Leichen!

Die Jäger schlagen sich wie Männer von Erz – das Gesicht geschwärzt vom Pulverdampf, die Kehle zu trocken selbst zum heisern Wuth- oder Todesschrei – die Büchsenläufe bereits glühend von Schuß auf Schuß! die Oberjäger Draxl, Schupfer, Bernhart, die Zugführer Unterkirchen, Gropper, Posch, Grünfelder, March, Keßler fechten wie die leibhaftigen Teufel, Hornist Wucherer wird das Horn am Munde zerschmettert: er greift nach der Büchse des nächsten Todten! – Wie hier die Jäger, schlagen sich am Kastell die Böhmen und werfen den zweiten Sturm am Kirchhof mit dem Bayonnet zurück.

In der Mitte des zweiten Bataillons als attachirter Offizier kämpft der Lieutenant Friedrich v. Röbel. Sein Bruder Otto ist neben ihm. Eine Kugel zerschmettert den rechten Arm des Offiziers – er läßt sich von dem Bruder ein Tuch um den Nacken schlingen, und den Degen mit der Linken schwingend, ermuntert er die wackern Böhmen zum Widerstand.

Hauptmann Hafner von den Jägern, Lieutenant Prinz Solms und Wurzelhofer sind verwundet, aber zum zweiten Mal sind die Franzosen zurückgeworfen, ja die Oesterreicher haben eine Abtheilung Zuaven abgeschnitten und zu Gefangenen gemacht.

Unter diesen Gefangenen befindet sich ein Ueberläufer – ein junger Mensch im österreichischen Militär-Mantel, der mit einem Säbel in der Hand, mitten unter den Stürmenden gefochten und einer der Vordersten war. Nur mit Mühe haben die Offiziere ihn vermocht, vor der Erbitterung ihrer Soldaten zu schützen, daß er nicht auf der Stelle niedergestoßen wurde. Blutend, mißhandelt, gebunden, wird er zurückgeschleppt – ein anderes Schicksal soll ihm werden, als ehrlicher Soldatentod. Montboisier sucht vergeblich unter den geschmolzenen Bataillonen des ersten Zuaven-Regiments nach seinem unvorsichtigen Schützling.

Eine kurze Pause des Kampfes entsteht – dann ist es, als ob die Höhen Solferinos erbebten von dem furchtbaren Eisenhagel, der gegen sie schlägt.

Marschall Baraguay hat auf 400 Schritt vom Kirchhof eine Batterie von 6 Geschützen auffahren lassen, um Bresche in seine Mauern zu schießen. Zugleich haben alle in der Nähe befindlichen Batterien, auch die Bergartillerie der Division Ladmirault Befehl erhalten, ihr Feuer zu concentriren. Es ist, als ob die Hölle all' ihre Flammen spiee auf den kleinen Friedhof, als sollten die Todten aus ihren Gräbern gerissen werden! Das Thor fliegt in Stücken – die Mauer bricht zusammen – dann bläst das Zuavenhorn sein eintöniges Signal, die Trommeln wirbeln zum Sturm – die Linien formiren sich – »En avant! en avant! Vive l'empereur«

Eine Wolke von Rauch, Feuer, Staub, Geschrei, Todesächzen verschlingt Freund und Feind! – – – – –

 

Reischach Infanterie schlägt sich am Castel – Lindenberg, Weyracher von Weidenstrauch, Czappuk, Fellner von Feldegg kommandiren – sechs Offiziere decken bereits mit ihren Leibern den Rasen, – Führer Schenk und Korporal Spaczek, die Feldwebel Gschladt, Grünhut, Pollak, die Grenadiere Alexa, Jerzabec, Lancarevic kämpfen mit Todesverachtung im dichtesten Feuer. Unten bei San Martino unterstützt Hauptmann Zaremba die 24. Jäger-Compagnie, die Tapfern halten noch immer die Häuser und nehmen, vertrieben, sie stets mit dem Bayonnet aufs Neue.

In dem Hofranm des Castells hat der Oberarzt Dr. Hlavac seine blutige Werkstatt errichtet und arbeitete mit den aufgestreiften Aermeln mit Messer und Säge – während ringsumher die Verwundeten und Sterbenden am Boden lagen, bis die Reihe des Verbandes an sie kam. Dazu schlugen Schlag auf Schlag die französischen Granaten und Vollkugeln in die Mauern des Castells oder spritzten im Zerspringen ihren Eisenhagel umher.

Unter diesen blutigen Reihen, unter den Leidenden, Fluchenden und Jammernden bewegt sich, gleich einem Wesen aus andern Legionen, ein Bild der Barmherzigkeit und Liebe, ein junges schönes Mädchen umher, unermüdlich vom Brunnen in ihrem Steinkrug Wasser holend und die Verwundeten damit labend, – denn ein Trunk Wasser ist nach der Erfahrung dasjenige, was der von Kugel und Bayonnet Zerrissene am meisten begehrt. Unbekümmert um die Gefahr übt sie ihr Werk aufopfernder Menschenliebe und der letzte Hauch des Sterbenden segnet die Hand, die ihn noch einmal gelabt.

Jetzt tritt sie zu einer Gruppe – ein junger Offizier, dem das Blut aus einer leichten Stirnwunde über das traurige schöne Gesicht läuft, mit einer schweren Thräne sich mischend, kniet am Boden neben einem Anderen, den er im Arm hält; – selbst ihr unerfahrenes Auge belehrt sie, daß hier kein Arzt mehr helfen kann.

Sein rechter Arm ist zerschmettert, ein Säbelhieb klafft über die Stirn, aus einer Bayonnetwunde in der Seite strömt bei jedem Athemzug eine schwarze Blutwelle.

»Signor« sagt das Mädchen, indem Thränen ihre Augen feuchten, – »wollen Sie Wasser? Es ist das Einzige, was ich Ihnen zu bieten vermag.«

Der junge Offizier sieht empor und in das freundliche Gesicht des Mädchens. »Ich danke Ihnen Signora – aber ich fürchte, mein armer Bruder bedarf bald keiner Hilfe mehr!«

»So erlauben Sie wenigstens, daß ich ein Tuch um Ihre Stirn binde, bis der Doktor Zeit hat – Sie sind ebenfalls verwundet!«

Er winkt dankend und abwehrend mit der Hand. Der Sterbende hat die Augen aufgeschlagen, sein Blick, seine unzerschmetternde Hand suchen ihn – seine Lippe bewegt sich –

»Otto – Bruder Otto!«

Der junge Mann beugt sich zu ihm, »Armer Friedrich! Sprich – wie fühlst Du dich? Fasse Muth – es ist noch Hilfe ...«

Ein freudiges Lächeln gleitet über das blasse blutige Gesicht, das erste seit vielen Tagen. »Mir ist geholfen, Bruder! Kannst Du wirklich mir Anderes wünschen? Grüße die Mutter, Rosamunden – den Vater! Sage ihm...«

»O Friedrich!«

»Sage ihm, das Blut eines Röbel hätte den Steckbrief ausgelöscht – ich fühle es – der Sterbende ist wieder sein Sohn!– –«

»Denke an Gott und an den seinen, Fritz.« »Ich denke an ihn – sein Blut ist für uns Alle vergossen und er wird mir barmherzig sein, weil ich das meine hingab zur Sühnung der Schuld. Otto, mein Bruder – Deine Hand – es wird Nacht – Nacht – der Vater – ein Röbel – Preußen – Preußen!«

Sein Haupt sinkt hinten über – das Auge starrte unbeweglich – er war todt!

Minutenlang hörte der Bruder, der des Bruders Leiche im Arm hielt, Nichts von dem furchtbaren Lärmen, der Verwirrung umher, dem Toben des Kampfes, den Commandoworten, die den Rückzug befahlen.

Zwei – drei Salven – dann donnerte der Ruf »Vive la France! Vive l'Empereur!« an den Mauern des Castells!

»Fort Kamerad – kommen Sie mit uns! Der Feind dringt ein!« Er schüttelte die Hand unwillig von sich, die sich in freundlicher Warnung auf seine Schulter gelegt.

»Was kümmert mich Ihr Streit? ich habe über einen Todten zu wachen!«

»Hierher Lieutenand Nowotny – lassen Sie zum Teufel diese Preußen!« Der wackere Adjutant folgte dem Befehl – im nächsten Augenblick jubelte der Siegesruf der Zuaven innerhalb des Gehöftes, wie ein Strom unaufhaltbar, brüllend, brausend in seiner entfesselten Wuth stürzte die Masse der Rothhosen von Golnah in den weiten Hofraum.

»Halt! – Kehrt! – Schlagt an! – Feuer!«

Der Eisenhagel rasselte über den Hof! – Ein wilder Schmerzensruf, denn die österreichischen Kugeln hatten fast auf Pistolenschußweite in die dicht gedrängte Schaar geschlagen – dann stürzte, was lebte, mit dem wilden Tigersprung über die Fließen des Hofes, und das Bayonnet verrichtete sein Werk, während neue und neue Schaaren nachdrängten. »En avant! en avant!«

»Sind Sie Männer oder rasende Thiere? Morden Sie Weiber und Verwundete?« Der junge Preuße hielt jetzt nicht mehr die Leiche seines Bruders, er hielt ein halb bewußtloses Weib im Arm, und schlug mit dem Säbel die Haubayonnete der Rasenden zurück, die ihn und sie bedrohten.

»Arretez barbares! – Halte là! – Rendez vous, Monsieur!«

Der Säbel eines jungen Zuaven-Offiziers schlug die Gewehre zurück – es war zu spät, das breite zum Stoß erhobene Bayonnet des wildwüthigen Sergeanten, der hinter ihm war, blitzte im Sonnenstrahl – der Lieutenant warf sich vor die Gefährdete – und die Klinge begrub sich in seine eigene Brust.

Der That folgte eine Pause des Entsetzens – dies allem rettete wohl das Leben des Preußen.

Dann erfolgte ein wilder gellender Schrei! »Armand! Barmherziger Gott – Armand, was ist geschehen?«

Der junge Offizier stützte sich wankend auf seinen Säbel, indem er die Linke auf die Wunde preßte, aus der das Blut in Strömen drang.

»Ruhig Jacques – es ist nicht Deine Schuld– ein Tod von Freundeshand!«

Er sank langsam in die Knie. Jacques Fromentin, der Zuaven-Sergeant, hatte sein Gewehr zu Boden fallen lassen, er stand – die Hände im Entsetzen von sich gestreckt – gleich einer Bildsäule des Schreckens da.

»Das ist das Blut! das ist das Blut vor meinen Augen! zu Hilfe, er stirbt! Armand, mein Freund, mein Bruder, ich der Unselige, der sein Leben tausend Mal für Dich gelassen hätte, habe Dich gemordet!«

Commandant Rousseau war herangekommen – die rauhen Krieger, die Männer in zehn Schlachten, in jahrelangen blutigen Kämpfen gebräunt, machten ihm Platz. Otto von Röbel übergab ihm seinen Säbel. »Dieser Brave« sagte er, »hat in unserer Vertheidigung die Wunde empfangen. Vielleicht ist noch Hilfe möglich, ich sehe dort ist einer unserer Aerzte zurückgeblieben, ich bitte Sie um Erlaubniß, ihn herbei zu holen.«

Er hatte das Mädchen sanft auf den Boden niedergelassen, wo sie neben dem Verwundeten auf den Knien lag. Ihr gegenüber kniete jetzt starr und stumm der unglückliche Sergeant.

Nur der Verwundete allein schien heiter und ruhig. »Erkennen Sie mich, Signora?« frug er.

Sie schüttelte weinend den Kopf, Pulverdampf und Schmutz hatten sein Gesicht zur Unkenntlichkeit entstellt.

Der junge Franzose hielt ihr seine Hand entgegen – am Ringfinger blitzte unheimlich ein kostbares Juwel – der schwarze Diamant Aniella's – des Mohren.

Sie schrak zurück. »Heilige Madonna, dann sind Sie der Offizier, der in Magenta meine Ehre rettete? Das ist der Ring, den Fra Pancraz, der Bettelmönch, wie er sagte gefunden, und meinem Oheim für zwei Bottiglias Wein verkaufte!«

»Nehmen Sie ihn wieder, Signora – zum Andenken an mich, und daß es mir vergönnt war, Ihnen zwei Mal einen Dienst zu leisten! – Dank mein Herr« – er wandte sich zu dem österreichischen Oberarzt, der seine Wunde zu untersuchen begann – »aber Ihre Hilfe ist hier vergeblich – ich fühle, daß mein Leben mit diesem Blute verrinnt. Wie viel Zeit noch, Monsieur? ich bin ein Mann!«

»Es thut mir leid, Ihnen rathen zu müssen, Ihre Angelegenheiten zu ordnen – ich fürchte, Sie haben bei dieser innerlichen Verblutung kaum eine Stunde noch zu leben.«

Die Gleichgültigkeit des österreichischen Arztes gegen das Leben eines Franzosen entsprach der feindlichen Stellung der beiden Nationen und der gewöhnlichen Rücksichtslosigkeit der Militairärzte. Dennoch machte der Ausspruch auf die Zeugen der Scene einen peinlichen Eindruck.

Das junge Mädchen schrie laut auf. »Heilige Jungfrau! Sie dürfen nicht sterben! Meine Gebete sollen Sie zurückhalten! Ich habe immer an Sie gedacht, mein Freund! O sagen Sie mir, daß Sie nicht sterben werden!«

Ihre Thränen überströmten die Hand des Verwundeten, indeß sich der weite Hof des Castells immer dichter und dichter mit den Schaaren der Stürmenden füllte und der Kampf schon weit darüber hinaus am Fuß der Nocca sich fortzog.

In diesem Augenblick ritt der Marschall in den Hof, begleitet von dem Stabe, und hielt einen Augenblick bei der Gruppe um den Sterbenden.

Montboisier, der ihn begleitete, war vom Pferde gesprungen und hielt die Hand des Verwundeten.

»Ist dies der Offizier« frug der Marschall, »der zuerst in das Castell eingedrungen ist?«

»Ja Monsieur – Sergeant Fromentin zuerst, der Lieutenant mit ihm!«

»Und der arme Bursche ist nicht mehr zu retten?« Ein Achselzucken war die Antwort.

»Dann – im Namen des Kaisers! – nehmen Sie dies mit auf den Weg, den wir Alle gehen!« Er hatte das Kreuz von seiner Brust gehakt und warf es auf den Blutenden, der es mit verklärter Miene auffing. »Vorwärts Messieurs – wir dürfen den Oesterreichern keine Ruhe gönnen, bis sie wieder jenseits des Mincio sind!«

Er ritt, ohne auch nur einen zweiten Blick des Bedauerns zurück zu werfen, dem vorderen Ausgang nach dem Städtchen zu, in dessen Straßen man sich noch immer schlug.

»Mein armer junger Freund« sagte Montboisier, der zurückgeblieben war, »ich hoffte auf ein glücklicheres Wiedersehen!«

»Und nennen dies Sie nicht ein solches? Ich sterbe in der Stunde des Sieges, geschmückt mit dem Kreuz, an meiner Seite Freunde und eine Dame, für die ich gern mein Blut gegeben, und selbst der Schmerz der Todeswunde ist ein leichterer, da ich sie von Freundes Hand empfing. Können Sie einem Mann einen schöneren Tod wünschen?«

Der Graf und Alle umher schwiegen, nur das Schluchzen des Mädchens unterbrach die Stille.

»Jacques, mein Freund ...« murmelte der Sterbende.

»Hier Armand, hier!«

»Tröste meinen Vater und bitte ihn um Vergebung für den vielen Kummer, den ich ihm gemacht. – Ich – gehe – zu Deinem Bruder – das Kreuz – es lebe – der Kaiser!«

Ein Blutstrom stürzte aus seinem Munde, die jungen kräftigen Glieder zuckten – –

»Er hat es überstanden« sagte kalt der Arzt. »Geben Sie ihm ein Gebet und ein Grab, Signora, das ist Alles, was Sie für ihn thun können! Muß ich mich als Gefangener betrachten Monsieur? ich bin ein Arzt und aus Menschenpflicht zurückgeblieben.«

Montboisier zuckte die Achseln. »Ich muß Sie an den kommandirenden Offizier verweisen, ich gehöre nur zum Stab. Aber Sie werden die traurigen Gewohnheiten des Krieges kennen.«

Der österreichische Doktor packte sein Verbandetui zusammen. »Dann lassen Sie gefälligst die französischen Aerzte kommen, ich habe hier Nichts mehr zu thun.«

Der Graf wollte weiter reiten, als eine Hand sich auf seinen Sattelknopf legte.

»Verzeihen Sie, 'wenn ich eine kurze Bekanntschaft in Paris geltend mache« sagte der junge Preuße. »Mein Name ist Otto von Röbel.«

»Monsieur de Reuble!? Valga me Dios! Das ist ein glücklicher Fund. Willkommen Herr, selbst in dieser traurigen Umgebung! Wie wird Major Laforgne erfreut sein, Sie wieder zu sehen, und auch eine andere Person...«

»Laforgne?« unterbrach ihn der Preuße. »Wo ist er?«

»Ich habe ihn beim Stabe des Kaisers zurückgelassen. Ich will Sie sogleich zu ihm schicken, denn Sie sind ja doch, wessen ich mich sehr freue, unser Gefangener, und daß diese Fessel Sie nicht allzusehr drücken soll, dafür lassen Sie mich und gewisse andere Personen sorgen.«

»Ich erkenne ganz Ihre große Güte an, Herr Graf,« sagte der junge Mann, »aber ich habe eine heilige Pflicht zu erfüllen, für die ich jene allein in Anspruch nehme. Mein Bruder Friedrich ...«

»Was ist mit ihm? ich erinnere mich seiner sehr genau.«

»Sie sind zu spät gekommen, um ihm noch einmal die Hand zu reichen, wie jenem jungen Franzosen. Sehen Sie dahin und ich bitte Sie, Ihren Einfluß geltend zu machen, daß ich ihn nicht zu verlassen brauche.«

»Todt? o wie bedauere ich ihn!«

»Bedauern Sie ihn nicht, Herr Graf« sagte erschüttert der Preuße, »er ist einen so glücklichen Tod gestorben, wie Ihr junger Landsmann dort, einen Tod mit Ehren!«

Und da lagen sie in der That Beide, der Franzose und der Preuße, beide fern vom Vaterlande und Kämpfer für eine fremde Sache, jetzt beide friedlich vereinigt, denn der große Gleichmacher auf Erden, jene furchtbare Erbschaft unseres Daseins, hatte auch hier jeden Kampf und Zwiespalt geendet.

Die Hand des Sergeanten Jacques Fromentin hatte die beiden Leichen auf einen Wink des Mädchens neben einander gelegt – seine Farbe war noch bleicher, wie die der Todten, sein Auge starr und trocken – es giebt Schmerzen und Leiden, die über den Thränen stehen. Die österreichischen Kugeln hatten ihn verschmäht, der blutige Flor, der seine Augen geblendet, halte eine schrecklichere Bedeutung gehabt, als den eigenen Tod. Während seine Kameraden den Sieg verfolgten, blieb er zurück – ein stummer Wächter des todten Freundes, den seine eigene Hand erschlagen!

 

Der weitere Verlauf der Schlacht, nachdem das österreichische Centrum durchbrochen und genommen war, theilt sich gleichfalls in drei Phasen – den bis zum letzten Augenblick siegreichen Kampf auf dem nördlichen Terrain um Pozzolengo, den mißlungenen Versuch eines Vorstoßes auf der Ebene gegen den rechten französischen Flügel und den allgemeinen Rückzug.

Wir werden uns möglichst kurz fassen, da den nicht militärischen Leser Berichte von Schlachten nur ermüden, sobald er nicht den Schicksalen der einzelnen Gestalten darin folgen kann, die vielleicht sein Interesse gewonnen haben.

Während die Brigade Bazaine den Kirchhof, die Rocca und die Nordseite von Solferino nahm, hatte die Brigade Manèque, unterstützt von der Division Forey unter dem Schutz der Artillerie die Südseite genommen; es war etwa 2 ½ Uhr, als das V. österreichische Corps (Stadion) seinen Rückzug gegen Contrada Mescolaro und Pozzolengo antrat.

Zur selben Zeit hatte der Herzog von Magenta das Dorf und die Höhen von San Cassiano erstürmt, die von dem I. Corps (Clam Gallas) nur noch schwach besetzt waren, auf denen aber einzelne Bataillone – verlassen und ohne Unterstützung, – noch einen heldenmüthigen Widerstand leisteten. Hier fielen unter den Kugeln und Bayonneten der algier'schen Tirailleurs der tapfere Kommandant des Regiments »Erzherzog Ernst« Osmolski von Boncza, Hauptmann Nachtmann von den 14. Feldjägern, Major Kozell und Hauptmann Hein von Wasa-Infanterie, während Oberst von Mariassy verwundet wurde und Major von Dobrovollny, die Hauptleute Baron Schnehen und Graf Strachwitz in Gefangenschaft geriethen, in der das 33. französische Linien-Regiment bald dem tapfern Major die letzte Ehre erwies. Auch Graf Thun-Infanterie, die mit Bataillonen der Regimenter »Wimpffen« und »Leopold« und einer Schwadron »Haller-Husaren« noch mannhaft an einzelnen Punkten Widerstand leistete, erlitt schwere Verluste. Das Regiment war erst um 2 Uhr Morgens in die Reserve-Stellung bei Gavriana eingerückt und hatte sich todtmüde an dem Wege niedergeworfen, um abzukochen. Kaum brodelten Fleisch und Reis, als die Trommeln wirbelten. Die Menage wurde ausgeschüttet und fort gings nach den Höhen. Hauptmann Edler von Mainoni und Oberlieutenant Fischer fielen im Kampf, Berg von Falkenburg wurde schwer verwundet aus dem Feuer getragen, sein Verwandter der Oberstlieutenant dieses Namens und die Hauptleute von Leinner und Graf Thurn wurden gefangen.

Der Weg nach Cavriana war geöffnet und der Kaiser befehligte das II., I. Corps und die Garde zur Verfolgung, während das österreichische Centrum vollständig desorganisirt und die Truppen des V., III. und I. Corps bunt durcheinander gewürfelt waren.

Während so das Centrum gesprengt und geworfen sich erwies, war dies keinesfalls auf dem linken Flügel, der ersten Armee unter Feldzeugmeister Wimpffen, der Fall.

Aber leider war auch hier wieder jeder Angriff vereinzelt und ohne Unterstützung.

Der Kaiser Franz Joseph war gegen 10 Uhr von Volta nach der Höhe von Cavriana geritten, wo er bis zum Rückzug oft im schwersten Kanonenfeuer blieb. Hier erst erkannte er – was General-Major Ramming, der Faiseur der ganzen Leitung, so lange geläugnet hatte, – daß es sich um eine allgemeine große Schlacht handelte. Der Kaiser erließ daher um &frac12;12 Uhr an den Feldzeugmeister den Befehl nach Guidizzolo, die frühere Matschdisvosition nach Carpenedölo aufzugeben und auf der großen Straße gegen Castiglione vorzugehen, um so die französische Aufstellung zu durchbrechen und dem Centrum bei Solferino Luft zu schaffen.

Der Plan war gewiß vortrefflich, aber die Ausführung scheiterte an der Zersplitterung der Corps und den Einzelkämpfen.

Man schlug sich bei Rebecco, bei Baile, bei Casa Nova – man hinderte zwar mit großem eigenen Verlust General Niel, nach Guidizzolo zu dringen und hielt Mac Mahon im Schach, aber man kam selbst nicht vorwärts.

Rebecco wurde wiederholt genommen und eben so oft verloren. Endlich um 2 Uhr setzte ein Angriff der Division Luczy und des 73. Regiments die Franzosen in den schließlichen Besitz des so blutig vertheidigten Ortes und irieb die Oesterreicher, das III. (Schwarzenberg) und IX. Corps (Schaafgotsche) mit den Brigaden Dobrzenski und Host vom XI. (Weigl) zurück. Um diese Zeit endlich – 3 Uhr – entschloß sich Marschall Canrobert, die Division Renault und die Brigade Bataille zur Unterstützung Niels vorgehen zu lassen und sofort ging dieser französische Heerführer zum Angriff gegen Guidizzolo vor.

Hier war es, wo Oberst Mumb von Mühlheim, der Commandant des Regiments Hessen-Infanterie, sich den feindlichen Colonnen mit todesverachtender Tapferkeit entgegenwarf und den Heldentod fand. Aus dem dichtesten Kampfgewühl trug seine Mannschaften wenigstens die Leiche ihres Führers zurück!

Hier war es, wo das wackere Regiment Khevenhüller – Böhmen – die wüthenden Angriffe der französischen Cavalerie unter dem furchtbarsten Feuer zurückwarf, wo Oberlieutenant Ruczicka einen französischen Oberst und vier Cavaleristen gefangen nahm, wo Oberstlieutenant Zamagna fiel und der achtunddreißigjährige Oberst des Regiments, Fürst Karl zu Windischgrätz, der Neffe und Schwiegersohn des alten Feldmarschalls, fünf Mal an der Spitze seiner Grenadiere gegen die sie umgebende Mauer der Zuaven und Cavalerie stürmend, den Tod als Held fand.

Hier war es, wo ein einfacher Führer des Infanterie-Regiments »König von Hannover« – Plescher mit Namen, obschon selbst schwer verwundet, seinen durch eine Kanonenkugel geblendeten Oberlieutenant Meichelbök vor der Gefangenschaft rettete.

Doch was nützen die blutigen Opfer, die Heldenthaten der Einzelnen, wenn das unerbitterliche Geschick die eherne Waage senkt!

All' dieser Aufopferung gelang es nur, den Angriff der sechs Bataillone von der Division Luczy und de Failly aufzuhalten, nachdem sie bis zu den ersten Häusern von Guidizzolo vorgedrungen waren. Die frischen Truppen der Brigade Bataille, das 43. und 44. Linien-Regiment und das 19. Fußjäger-Bataillon waren jetzt von Medole herangekommen und General Trochu führte um 4 Uhr sie zum neuen Sturm gegen Guidizzolo, während Prinz Alexander von Hessen, mit den letzten intacten Truppen der Oesterreicher, den Brigaden Wussin und Gablenz von Cavriana her noch einen letzten Stoß beabsichtigend, den günstigen Augenblick verpaßte und sich darauf beschränken mußte, den Rückzug der ersten Armee zu decken.

Da endlich mischte sich der Donner Gottes in den Donner der Menschen und sprach: Verstumme!

Die deutsche Feder weigert sich, vom Schlachtfelde zu scheiden, ohne einen deutschen Sieg zu beschreiben. Aber sie kann allein ihn an diesem Tage auf den Höhen von San Martino und Pozzolengo suchen!

Wir haben die Darstellung des Gefechts zwischen dem VIII. österreichischen Corps und den Piemontesen auf dem nördlichen Theil des Schlachtfeldes abgebrochen, als die Erschöpfung beider Theile nach dem Kampf um die Höhe San Martino einen Stillstand der Feindseligkeiten herbeigeführt hatte.

General Mollard war nach dem Rückzug der Division Cucchiari auf seine eigene Division beschränkt geblieben, und hielt sich an dem Knotenpunkt der Eisenbahn und der Strada Lugana, bis der König ihm die Brigade Aosta zu Hilfe sandte und der Division Cucchiari befahl, auf's Neue vorzurücken. Mollard versuchte nunmehr, – gegen 4 Uhr – vom Val di Sole her die Stellung bei San Martine auf's Neue anzugreifen. Aber trotz ihrer Uebermacht vermochten die Piemontesen kaum bis zur Hälfte der Höhe vorzudringen. Major von Stransky, der wackere Commandant des 4. Bataillons vom Regiment »König der Belgier« machte es durch seinen kühnen Flanken-Angriff der Brigade Reichlin möglich, den weit überlegenen Feind in die Flucht zu jagen; Oberlieutenant Rumpold mit der Fahne in der Hand führte seine tapfern Steyrer in den Kampf, Cadetfeldwebel Müller, zwei Mal von dem heftigen Feuer zurückgeworfen, führt seine Abtheilung mit dem Ruf: »Steyrer, mir nach!« gegen die Piemontesen und macht zahlreiche Gefangene, Hauptmann Lohr vom gleichen Bataillon erstürmt mit seiner Division ein vom Feinde stark besetztes Haus und hält es gegen jeden Andrang.

Schon während dieses Kampfes war eine drückende Schwere in der Luft eingetreten, der Himmel hatte das heitere Blau verloren, das so lieblich und friedlich bisher über dem Morden der Menschen gelächelt, und die Sonne, welche die Ströme von Blut gesehen, verbarg sich hinter dem Nebel.

Von den Alpen her, über den See, rauschte der Sturm mit grimmigem Fittich!

Ein Donnerschlag durchbebte die Luft – in Feuerflammen schien rings der Horizont zu stehen, Schlag auf Schlag machte die Erde beben und zitternd, beschämt von dem Donner des Allmächtigen ließen die winzigen Menschen ihre Kanonen schweigen und bargen sich vor dem Zorn des Herrn, der in den Wettern daherrauschte und in den Fluchen des Himmels niederströmte.

Auf allen Stellen des weiten Schlachtfeldes ruhte der Kampf!

Feldmarschalllieutenant Benedek hatte bereits seit einer Stunde den Befehl des General Schlick erhalten, das Gefecht abzubrechen und sich auf Peschiera zurückzuziehen.

Unter den Donnern des Himmels sandte der Feldmarschall-Lieutenant seine Adjutanten an die einzelnen Bataillone, den Rückzug anzuordnen.

Wie der Löwe der Wüste sich vor der Meute der feigen Araber zurückzieht, Schritt um Schritt, das Auge gegen sie gewendet, wenn er die Mähne schüttelt oder die Tatze hebt, die klaffende Meute weit zurückscheuchend, – so zogen sich die Regimenter und Bataillone unter dem Feuer des Himmels langsam gegen Pozzolengo.

Damals war es, wo vier Tapfere vom Regiment Rainer sich eine Viertelstunde lang hinter einer Barrikade von Leichen gegen die zehnfache Uebermacht der Bersaglieri vertheidigten.

Damals geschah es, daß der Feldwebel Johann Brunner von »König der Belgier«, bemerkend, daß die Piemontesen eine der zurückgelassenen vier Kanonen eben vernageln, mit seinem Zuge den Feind stürmt, und das Geschütz zurückführt.

Noch im Dunkel wirft Benedek die Brigade Waterfliet vor Pozzolengo, das bereits von den Kugeln der von Solferino her nachdrängenden Franzosen beworfen wird: das Regiment Prohaska und das zweite Bataillon Kaiserjäger der Verfolgung entgegen.

Ein Preuße – der – wie der Bericht der Wiener Militair-Zeitung ihn mit dem charakteristischen tyroler Ausdruck bezeichnet: »schneidige« Major von Jena – der Held von Düppel – greift mit dem Grenadier-Bataillon und zwei Geschützen über Ceresa gegen den Eisenbahndamm hin die Piemontesen an und wirft sie drei Mal mit dem Bayonnet zurück, so der Brigade Philippovie Zeit zum Rückzug und zur Salvirung aller Geschütze gebend.

Bis halb eilf Uhr Nachts hält das Regiment Prohaska die Stellung auf der Höhe von Bacoli und die Straße von Pozzolengo nach Peschiera; bis 11 Uhr Nachts weicht das zweite Bataillon Kaiserjäger nicht von dem Eingang Pozzolengo's, bis der letzte Mann aufgenommen, der letzte Verwundete fortgeschafft ist. Hier rettet der Jäger Joseph Lutz seinen schwerverwundeten Hauptmann Breitbach von der Gefangenschaft, indem er ihn auf seinen Schultern aus dem Hagel der Kugeln trägt!

Es war 9 Uhr, als Benedek selbst Pozzolengo verließ – am Ausgang des Orts hindert ihn die dichtverfahrene Colonne der Wagen, seinen Weg fortzusetzen, und er weicht zur Seite aus über das Gelände. Da fällt sein Blick auf eine Gruppe, die seine Aufmerksamkeit erregt. Es ist ein umgestürzter Marketender-Wagen, um den die wilden Gestalten der Liccaner und Oguliner sich im Kreise gesammelt. Neben dem Pferde, das von einer springenden Granate zerrissen am Boden liegt, ruht eine merkwürdige Gestalt im rothen Serassaner-Mantel, ein Greis mit langem weißen Schnauzbart, das goldene Ehrenkreuz auf der Brust, die von einem Splitter der Granate schwer getroffen ist. Beide Füße fehlten ihn – es ist Boghitschewitsch der alte Serassaner-Korporal vom Sturm von Wien.

Seine beiden Nichten sind weinend um ihn beschäftigt, ein Feldscheer will seine Wunde verbinden, aber der alte Kopfabschneider will Nichts davon hören.

»Baszom! is sich Zeit zu gehen für alten Kerl wie ich bin. Verfluchtige Franzosenkugel ist mein Tod. Heult nicht, Weibsbilder einfältige, als ob der Boghitschewitsch anders sterben könnte, als für Kaiser seinigten in der Schlacht!«

Der Feldmalschalllieutenant ist herangeritten. Er erkennt den alten Krieger, mit dem er oft genug zusammengetroffen.

»He Kamerad, wie geht Dir's? Du bist verwundet? ich hoffe, nicht gefährlich. Ich werde Befehl geben, für Dich Sorge zu tragen, damit Du nicht zurückgelassen wirst.«

Der alte Seressaner lachte, die noch immer weißen festen Zähne weisend. »Grüß Dich Gott Excellenz! Der Boghitschewitsch freut sich, daß Du glücklich davon gekommen, aber mit ihm ist sich's aus. Er wird bleiben auf Fleck diesem.«

»Es thut mir's Leid Kamerad, das zu hören. Aber es ist Soldatenloos, wir Alle müssen darauf gefaßt sein! Ein Trost für Dich mag es sein, daß – wenn auch die andern Corps kein Glück gehabt haben, – das unsere wenigstens tüchtig den Feind geklopft hat!«

»Den Feind? Welchen Excellenz? Sag es dem Boghitschewitsch, er war doch nicht bei dem Corps Deinigten!«

»Den König von Sardinien, dem wir es Alle am meisten gönnen!«

»Den König?! – Ist sich gut Excellenz! Aber höre das Wort von Sterbendem. Sieht sich das Auge weit fort, fort in die Zeit, wenn es sich will schließen für immer. Hat der Boghitschewitsch doch das zweite Gesicht! Hüte Dich vor dem König Excellenz! hüt' Dich vor dem König! – dem König geräths – Wird schlimme Zeit kommen für Österreich und Blut wird fließen gleich Strom, während hier ist der Bach! Leb wohl Excellenz, leb wohl!«

Der alte Seressaner legte sich zur Seite und zerrte den rothen Mantel über den Kopf, gleich als wollte er mit sich allein sein.

Der Feldmarschall-Lieutenant wendete kurz sein Pferd und ritt in ernster Stimmung, von seinen Adjutanten gefolgt, weiter. –

 

Auch in der Ebene war der Erfolg der Franzosen keineswegs so weitgreifend, als es im ersten Augenblick geschienen. Die zweite österreichische Armee, behauptete mit den Brigaden Wussen und Fleischhacker nach dem Gewittersturm die Stellung bei Madonna della Pieve und eine Raketen-Batterie warf die aus Cavriana debouchirenden Voltigeurs zurück. – Die gänzlich erschöpften Franzosen versuchten keinen weiteren Angriff. Die Brigade Gablenz als Arrieregarde verließ erst spät am Abend dies Terrain, blieb in Volta bis zum Morgen stehen und ging dann erst bei Ferri hinter den Mincio zurück.

Auch die Arrieregarde der Ersten Armee hielt Guidizzolo bis 10 Uhr Abends besetzt und trat dann erst ihren Rückzug an, ohne verfolgt zu werden.

Das Hauptquartier der II. Armee etablirte sich spät Abends in Valeggio, das der I. in Goito, daß Kaiserliche Hauptquartier in Villafranca.

Die Franzosen und Piemontesen bivouacquirten die Nacht überall auf dem Kampfplatz, der Kaiser Napoleon brachte sie in Cavriana zu.

Der Verlust war auf beiden Seiten sehr groß, die Oesterreicher zählten an Todten, Verwundeten und, Vermißten 4 Generale,Verwundet die Feldmarschall-Lieutenants Crenneville, Blomberg und Palffy und General-Major Baltin 630 Offiziere und 19,311 Mann, (davon 6,890 vermißt) und verloren 19 Geschütze, davon 6 ganz demolirt. Eine Fahne fiel in Feindes Hand.

Die Sardinier gaben sehr bescheiden ihre Verluste auf 216 OffiziereVerwundet die Generale Cornaldi und Ansaldi und 5305 Mann, die Franzosen an Todten und Verwundeten auf 720 OffiziereVerwundet die Generale Ladmirault, Dieu, Auger (schwer), Forey, Douay; 5 Obersten blieben auf dem Schlachtfeld und 12 000 Mann an.

Die Verluste der Alliirten an Todten und Verwundeten waren also bedeutend stärker. –

Das war der Tag von Solferino!

 

Im Kanonenfeuer von Cavriana hatte der Kaiser Franz Joseph gegen 3 Uhr die schriftliche Meldung des Grafen Wimpffen empfangen, daß derselbe die Schlacht verloren gab und seine Corps den Rückzug antreten ließ.

Der junge Kaiser war auf's Tiefste bewegt, obschon er keinen Augenblick seine ruhige Haltung verlor. Nachdem er die Befehle zum Rückzuge der beiden Armeen gegeben ritt er von Volta nach Valeggio, und übernahm hier persönlich die Leitung der Maßregeln zur Deckung des Rückzugs, indem er sogleich alle noch kampffähigen Leute, namentlich die Versprengten des I. Corps und die schwachen Reste einiger Bataillone von Clam Gallas sammeln ließ, um die Brücke zu vertheidigen. Dieselbe wurde verbarrikadirt und der Bergrücken mit Geschützen aus der Artillerie-Reserve versehen, um den Uebergang zu verhindern.

Wir haben gesehen, daß die Anstalten unnöthig und die Feinde nicht im Stande waren, ihren Sieg weiter zu verfolgen und den Rückzug der österreichischen Corps über den Mincio zu belästigen.

Es war 9 Uhr, als sich der Kaiser Franz Joseph in einem offenen Wagen von Valeggio nach Villafranca begab, um dort sein Hauptquartier und Nachtruhe zu nehmen – wenn nach diesem Tage voll Blut und Schmerz eine solche möglich gewesen wäre.

Zwei Ordonnanz-Offiziere waren voraus gesprengt und hatten die Rückkehr des Kaisers in sein altes Quartier gemeldet.

Eine halbe Stunde nach ihrer Ankunft trabte der Zug der Leibgarde-Gensdarmerie heran, welcher die Escorte des Monarchen bildete.

Die Bevölkerung des kleinen Ortes füllte in Gruppen flüsternd die Straße; die Nachricht von der Niederlage der österreichischen Armee hatte sich bereits auch hier verbreitet, den ganzen Tag über hatte man den Kanonendonner gehört, und mit einer schlechtverhehlten Schadenfreude sahen die italienischen Bewohner die Spuren des Kampfes und die gedrückte Stimmung an den Ankommenden.

Vor der Locanda des Ortes, wo einst König Carlo Alberto sein Hauptquartier in den Tagen der Niederlage der italienischen Armee durch die raschen Schläge des alten Löwen Radetzki, – am Abend vor der Schlacht von Custozza – hatte, hielt ein mit vier Postpferden bespannter Wagen, eine seltene Erscheinung in diesem militärischen Trubel, der alle Transportmittel in Anspruch genommen hatte. Es war ein Beweis, daß der Reisende sehr reich oder von sehr vornehmem Stande, wahrscheinlich beides zugleich sein mußte.

Der Wagen war bereits am Vormittag von Verona her eingetroffen; eine Dame, tief verschleiert, hatte allein darin gesessen und als sie hörte, daß das Kaiserliche Hauptquartier sich in Valeggio oder Volta befand, den Postillonen Befehl gegeben, dahin weiter zu fahren. Aber der Versuch hatte bald die Unmöglichkeit heraus gestellt, auf den von dem Train und den Proviantkolonnen gänzlich gefüllten Straßen vorwärts zu dringen und der Wagen war bald nach Mittag wieder zurückgekehrt.

Die Einladungen des Ostiere, auszusteigen, hatte die Dame abgelehnt und nur etwas Wein und kalte Küche sich reichen lassen. Die reiche Bezahlung aber hatte den Wirth zu ihrem devoten Diener gemacht, der jede Nachricht, die von dem entfernten Schlachtfeld einlief, sofort der Excellenza mit tiefem Bückling überbrachte. Die Fremde war mit großer Erregung jeder Botschaft gefolgt, obschon der Ostiere trotz aller Schlauheit seines Handwerks nicht darüber in's Klare kommen konnte, für welche Partei sich die Unbekannte interessirte.

Endlich war die Nachricht gekommen, daß der Kaiser in kurzer Zeit eintreffen werde, und jetzt hatte die Dame den Reisewagen verlassen.

Die Garde-Gensdarmen rasselten vor das Haus, in dem Kaiser Franz Joseph sein Quartier genommen, und das in wenigen Wochen durch die berühmte Zusammenkunft eine so welthistorische Bedeutung erlangen sollte. Gleich darauf hielt der Wagen und der Leibjäger öffnete den Schlag, während die Adjutanten herbeisprangen.

Der Kaiser stieg aus – er war sichtlich bleich und angegriffen, Generalmajor Ramming folgte ihm.

»Sind die Relais gestellt?« frug der junge Monarch. »Euer Majestät Befehle sind erfüllt!«

»Dann bitte ich Sie, mich nur zu stören, wenn wichtige Nachrichten eingehen. Ich wünsche allein zu bleiben.«

Er wollte eben in das Haus treten, als der Ton einer Frauenstimme ihn zurückhielt.

»Euer Majestät bittet eine Unglückliche um ein kurzes Gehör!«

Es war die in tiefe Trauer gekleidete Fremde, die ihn angesprochen. Sie hatte jetzt den Schleier zurückgeschlagen und man konnte das bleiche, schöne Gesicht einer Dame von etwa 29 bis 30 Jahren, mit kühnem aristokratischem Schnitt aber leidendem Ausdruck erkennen.

Der Kaiser wandte sich rasch um. »Was wünschen Sie Madame?«

»Gnade Majestät für einen Mann, der ohne diese verloren ist!«

»Ich fürchte, Madame, Sie haben einen schlechten Augenblick für Ihre Bitte gewählt. Ich bin erschöpft von den Anstrengungen einer unglücklichen Schlacht, und das Blut und der Tod von Tausenden, die für ihr Vaterland und ihren Kaiser gefallen sind, nehmen meine Gedanken in Anspruch. Kommen Sie morgen wieder, wenn es irgend möglich ist, werde ich Sie empfangen.«

Er wollte vorwärts gehen – eine Handbewegung der Dame hielt ihn auf. Er trat erstaunt über diese Dreistigkeit zurück.

»Majestät – morgen ist es zu spät. Wenn Gott Ihnen Unglück und Schmerzen gesandt hat, so sollte dies um so mehr eine Mahnung an Sie werden, milden Herzens zu sein.«

»Aber wer sind Sie, Madame? was wollen Sie?«

»Ich heiße Cäcilie Palffy, Fürstin Trubetzkoi. Ich komme, den König von Ungarn um Schutz für einen verwundeten Landsmann zu bitten, den die Grausamkeit eines Ihrer Generäle morden will.«

»Wie Fürstin – Sie in diesem Augenblick hier? Verzeihen Sie, daß ich Sie nicht erkannte, aber ich glaube, ich habe nur einmal vor mehreren Jahren das Vergnügen gehabt, Sie in Wien bei Hofe zu sehen.«

Die Fürstin verneigte sich schweigend.

»Darf ich Sie bitten, einzutreten und mir Ihr Anliegen mitzutheilen?«

»Euer Majestät Zeit ist kostbar – und die meine auch, ich habe den ganzen Tag auf diesen Augenblick gewartet und habe noch einen weiten Weg vor mir, selbst wenn Ihre Gnade, Sire, mir diesen leicht macht. Mein Wagen wartet und die Minuten sind gezählt.«

Der Kaiser ließ mit einer Handbewegung die Nächststehenden zurücktreten. »Machen Sie mich mit Ihrem Wunsche bekannt, Fürstin!«

»Majestät – ich komme, Sie um Gnade für einen edlen Ungarn, den Grafen Stefan Batthyànyi zu bitten, der auf meiner Villa am Garda-See bei einem Angriff in die Gefangenschaft Ihrer Truppen gefallen ist.«

»Ein Batthyànyi – ein Verräther an seinem Kaiser, an seinem Vaterland?« rief der Monarch unwillig. »Und Sie wagen für ihn in einem solchen Augenblick zu bitten?«

»Majestät,« sagte die Fürstin stolz, »ein Ungar ist nie ein Verräther an seinem Vaterland. Ein Ungar kann Ihr Feind sein, aber nie Sie verrathen!«

»Er hat seinen Landsleuten, seinem König mit den Waffen in der Hand gegenüber gestanden, wie Sie selbst zugestehen. Das Völkerrecht dictirt ihm den Tod eines Verräthers.«

»Majestät« – sprach die Fürstin mit tiefer erschütterter Stimme, »ich komme vom Todtenbett meines einzigen Kindes, um Sie um Schutz zu bitten für meinen Verwandten, bei dessen Verfolgung der Mann, den ich meinen Gemahl nennen muß, das Blut dieses Kindes vergossen hat. Urtheilen Sie, ob Ihr Schmerz größer ist, als der einer Mutter. Stefan Batthyànyi hat seit dem Tage von Wien nie seinen Säbel gezogen gegen Sie, wenn er auch ein Gegner der österreichischen Regierung war. Glauben Sie Majestät, daß die ungarischen Regimenter, die heute ihr Blut vergossen haben, dies für den König von Ungarn, oder für den Kaiser von Oesterreich gethan haben? – Fühlen Sie wie ein Ungar, dann werden Sie gerecht und nachsichtig über einen seiner edelsten Söhne urtheilen.«

Der junge Monarch, der drei Königskronen und eine Kaiserkrone trug, war von der letzten Berufung sichtlich bewegt. Er sah still vor sich nieder, dann hob er sein Auge freundlich auf die blasse Frau.

»Ich bedauere herzlich das Unglück, Fürstin, das Sie betroffen hat, auch ohne die Umstände näher zu kennen.« sagte er gütig. »Ihre Landsleute haben sich heute so brav für mich geschlagen, daß ich kein Recht habe, streng gegen einen Irregeleiteten zu sein, der einen ungarischen Namen trägt. Sagen Sie mir, um was es sich handelt.«

Die Fürstin trug mit kurzen Worten die Gefahr vor, in welcher der Gefangene durch den grausamen Befehl des Feldmarschall-Lieutenant Urban schwebte, ohne dabei zu erwähnen, daß ihr eigener Gemahl denselben tückisch hervorgerufen.

»In der That, das wäre grausam,« sagte der gütige Monarch. »Eine solche Strenge darf unsere gute Sache nicht entwürdigen. – Ihre Brieftafel, Ramming!«

Der Generalstabs-Chef reichte sie hin, – Der Kaiser schrieb einige Worte auf ein Blatt, riß es aus und gab es der Fürstin.

»Hier, Durchlaucht,« sagte er galant, – »dies wird genügen. Sagen Sie dem Herrn Grafen, den ich mich in meiner Jugend erinnere, in Wien und Pesth gesehen zu haben, als wir Alle noch gute Freunde waren, daß seine Landsleute sich brav geschlagen haben und kein Verräther an ihrem König unter ihnen war. Und nun erlauben Sie mir, Sie zu Ihrem Wagen zu führen, denn – offen gestanden – ich bin so müde und hungrig, wie gewiß jeder meiner Soldaten!«

Und sich jedem Dank entziehend reichte er der jetzt vor Erregung weinenden Frau mit chevaleresker Höflichkeit den Arm und führte sie an den Schlag ihres Wagens. Dann erst betrat er das Quartier.

Als Cäcilie Palffy – die Wittwe ohne es zu wissen, die Mutter ohne Kind der Sünde, der Schmerzen – bei dem Schein der Laterne des im Galop dahin fliegenden Wagens daß Blatt entfaltete und las, fand sie die Worte und drückte sie weinend an's Herz:

»Der Graf Stefan Batthyànyi ist begnadigt und Angesichts dieses in Freiheit zu setzen.

Franz Joseph


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