John Retcliffe
Solferino
John Retcliffe

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2. An dem Sterbelager eines Gerechten!

An demselben Abend – während die eben beschriebene Gesellschaft in leichtfertigem Jubel sich des Lebens freute – streckte der Tod seine Geisterhand in einen besseren Kreis der Gestalten, die unser Buch dem Leser bekannt – vielleicht lieb gemacht hat. –

Tiefe Stille herrschte in dem Parterre-Zimmer eines Hauses in einer der Seitenstraßen der Linden, jene Stille, wie sie die Vorsicht der Liebe sorgsam beobachtet, um den Schlummer eines theuren Kranken nicht zu stören. Der gedämpfte Schein einer Lampe verbreitete ein Halbdunkel, das nur undeutlich die Gestalten erkennen ließ. Das Gemach war einfach, bürgerlich möblirt – die ganze Einrichtung zeigte, wenn auch nicht Mangel, doch strenge Vermeidung jedes Ueberflusses. Und doch waren die Bewohner desselben noch vor wenigen Wochen der weiten aristokratischen Räume und aller Bequemlichkeiten des Lebens gewohnt.

In der Mitte des Zimmers saß auf einem unbequemen Lehnstuhl ein alter Mann, die hohe, einst so straffe Gestalt weniger durch die Last der Jahre, als der Leiden gebeugt. Er war vollständig angekleidet und trug eine verbrauchte Armee-Uniform von altmodischem Schnitt, im Knopfloch das Eiserne Kreuz. Die wenigen Haare waren weiß wie Schnee, die Wangen abgemagert, die geschlossenen Augen tief eingefallen.

Der alte Mann schlief. – Gewiß nur Wenige würden in der abgezehrten, gebrochenen Gestalt die noch vor fünf oder sechs Wochen so straffe soldatische Haltung des alten Major von Röbel wieder erkannt haben.

Und dennoch war er es. Neben ihm, auf niederem Stuhl, saß in Trauerkleidung seine stille Gemahlin, mit ängstlicher Sorge jede Bewegung des Kranken beobachtend während Thräne auf Thräne über ihre blassen Wangen lief. Nur zuweilen wendete sie das kummervolle Auge von dem Gatten ab auf den jungen Mann, der ihre Hand in der seinen haltend vor dem Greise kniete und mit gleichem Schmerz zu ihm aufsah, und ein gewisser freudiger Trost, eine Empfindung des Glücks belebte dann ihr mildes Auge, denn es war ja ihr Sohn, ihr geliebtes Kind, das hier gerettet und ihrer Liebe wieder gegeben an ihrer Seite kniete.

Es war in der That Otto von Röbel, wiedergekehrt aus dem blutigen Kampf im fernen Land – wiedergekehrt mit schwellendem hoffnungsbewegtem Herzen für die Zukunft – – zu dem Sterbelager des Vaters.

Rosamunde war an seiner Seite. Erst zwei Stunden war er hier und die Geschwister hatten noch keine Gelegenheit gehabt, ihre Herzen einander auszuschütten. Die Sorge für das theure Haupt vor ihnen verdrängte alles Andere und nur leise geflüstert erhielt der junge Mann von ihr jetzt einige Mittheilungen und Antworten auf seine Fragen.

Sie lauteten traurig genug.

Auch nach der Abreise der Söhne war der alte Edelmann verschlossen, aber thätig und ungerührt geblieben. Bereits fünf Tage nachher war es ihm gelungen, das Gut seiner Väter, auf dem die Familie Röbel seit Jahrhunderten gesessen, zu verkaufen. Der Käufer war einer jener Spekulanten, die in unserer spekulirenden Zeit den Grundbesitz durch Entholzung und Parzellirung zu Geld machen, oder durch Spiritus-Brennereien und Fabrikanlagen verwerthen – einer jener Ritter der Neuzeit, deren Vasallen die Fabrikarbeiter, deren Adelsbrief der Courszettel und deren Lanze der Dampfschornstein ist. Er hatte wohl verstanden, sich im Kaufpreis den Druck der Zeitverhältnisse zu Nutze zu machen, aber er hatte sofort bezahlt, und das war Alles, was der Major verlangte. Mit den Kapitalien waren sofort die Hypotheken bis zum letzten Pfennig so wie alle Schulden des leichtsinnigen Offiziers bezahlt worden, ja der Major hatte auch den Betrag jener unglücklichen Wechsel bei einem Banquier nebst einem erheblichen Ueberschuß für den Wucherer deponirt, obschon der Familie dadurch nur das Leibgedinge der Frau übrig blieb, das kaum hinreichte zu ihrem beschränkten Lebensunterhalt. Die Familie hatte, den Bedingungen des Verkaufs und dem starren Willen des alten Edelmanns gemäß sofort das Gut verlassen, wo bereits Schaufel und Kelle rüstig arbeitete, um eine Spinnerei und andere Anstalten rasch entstehen zu lassen, und war nach Berlin gezogen, um hier einstweilen in der Stille zu leben, bis alle Geschäfte beseitigt wären.

»Und der Vater – o mein Gott, wie ertrug er Alles dies?«

»Fest und ruhig – Du kennst seine Weise. Nur – damals –« das arme Mädchen brach auf's Neue in Thränen aus.

»Sprich Rosamunde – erzähle Alles! Gott hat in seiner Gnade mir die Macht gegeben, wenn Gold es verrichten kann, Alles wieder gut zu machen – Röbelsburg soll der Familie zurückgegeben werden und müßte ich Alles daran setzen. Mein Vater soll sein ehrwürdiges Haupt unter dem Dach seiner Ahnen zur Ruhe legen.«

Die Frauen weinten, indem sie ihr Schluchzen kaum zu unterdrücken vermochten. »Zu spät, Otto, zu spät! Er hätte Alles ertragen, nur als jener Schändliche ....«

»Jonas?«

»Er hat alle Anerbietungen verschmäht, obwohl wir das Letzte opfern wollten, um seinem Haß und seiner Rache Genüge zu thun. Damals Otto war es – an dem Tage ...«

»Sprich!«

An dem Tage, wo der Steckbrief mit dem Namen Friedrichs, mit unserem Namen in den Zeitungen erschien, war es, wo des Vaters Herz und Kraft brach. Obschon wir gewarnt waren von einem Freunde, den das Unglück uns zugeführt und der auch dem Vater den Käufer des Gutes vermittelt hatte, – die unglückliche Anzeige ihm fern zu halten, schien er eine Ahnung davon zu haben, und suchte die Zeitungen in einem öffentlichen Lokal auf. Es war eine schreckliche Stunde, Otto, als er nach Hause kam, das Herz gebrochen und das Auge so starr! – Seitdem hat er das Zimmer nicht wieder verlassen!«

Der junge Mann hatte die Hand krampfhaft zusammengeballt, zwischen seinen Augenbrauen lag eine dunkle, tiefe Falte auf der Stirn, die eine breite, kaum verharschte Narbe zierte. Er hatte die Schwester leise zum Fenster geführt, damit der Kranke nicht von ihrem Flüstern erwache.

»Was sagt der Arzt, Rosamunde? Verschweige mir Nichts!«

»Er ist am Nachmittag über eine Stunde bei uns gewesen – Du weißt, der Geheime Rath war stets ein Freund des Vaters. Er ist einer der Wenigen, die unser Unglück nicht von uns gescheucht.«

»Er ist ein Ehrenmann – die Arnim's sind so alt wie die Röbel. Und sein Ausspruch?«

Das Mädchen schluchzte. »Er hat uns alle Hoffnung benommen und mich auf das Schlimmste vorbereitet, damit ich die Mutter unterstützen möge. – Der Vater hat nach seinem Besuch das heilige Abendmahl empfangen, er selbst verlangte danach.«

Der junge Mann bedeckte sein Gesicht mit den Händen, schwere Thränen des Schmerzes perlten durch seine Finger. »Gott im Himmel, warum mußte ich' zu spät kommen, warum hielt mich die Verwundung und ihre Liebe so lange zurück, statt hier, wenn auch nicht das verlorene Leben, doch Friede und Sicherung zu bringen. Du wenigstens, Schwester, sollst den Lohn Deines Duldens empfangen! – Aber hat die Tante sich Eurer nicht angenommen?«

»Sie bot mir und der Mutter Wohnung bei sich an – aber wir wollten den Vater nicht verlassen. Das hat sie erzürnt. Ueberdies ist sie jetzt ganz fromm geworden und wie es heißt, katholisch. Sie läßt eine Kapelle bauen und will in ein Stift gehen!«

»Ihre Nachsicht hat Fritz verderben helfen,« sagte er finster. »Fort mit ihr! – Aber Du sprachst von Jemand, der sich Euch gefällig und freundlich gezeigt in Eurem Unglück?«

»Es ist ein Mann aus unterem Stande, ein Commissionair! Er kommt täglich mehrmal, um sich nach Papa zu erkundigen und hat sich in jeder Weise nützlich und dienstfertig gezeigt.«

»Sein Namen?«

»Günther heißt er.«

»Der Schurke! er ist der Diener und Helfershelfer eines noch größeren als er! ich kenne ihn wohl – er ist der Sache mit Fritz nicht fremd, ich traf ihn selbst bei dem Wucherer! Wehe ihm, wenn er es wagt, noch jetzt seine Bübereien mit Euch zu treiben!«

»Nein, Otto, sei nicht ungerecht,« sagte das Mädchen eifrig. »Es ist wahr, daß er ein Werkzeug jener gemeinen und schlechten Menschen gewesen ist, aber er bereut es aufrichtig und scheint wirklich eine gewisse Anhänglichkeit an unsere Familie zu haben, ich weiß nicht warum. Er hat jenem Manne den Dienst oder alle Verbindung aufgekündigt, weil er jene unglückliche Sache gegen Friedrich bis zum Aeußersten trieb, und hat sich geweigert, als Zeuge gegen diesen aufzutreten. Der Advokat sagte es dem Vater in meiner Gegenwart. Seitdem hat er uns hundert kleine Dienste erwiesen, ohne je eine Vergütung dafür anzunehmen. Er sagt, er habe den seeligen Ferdinand noch gekannt! – Aber Friedrich – sprich Otto – warum hast Du uns noch kein Wort von ihm gesagt – ich muß das Schweigen brechen, da die arme Mutter es nicht wagt! Die kurze Nachricht von seinem Tode, die uns ein fremder Offizier schrieb, ist Alles, was wir wissen!«

»Graf Montboisier – ich lag damals im Wundfieber! – Aber still – der Vater regt sich – der Vater erwacht!«

Er eilte zu den Füßen des Greises und bedeckte seine welke Hand mit Küssen.

In der That bewegte sich der Kranke und war aus seinem Schlaf der körperlichen und geistigen Erschöpfung erwacht, ohne die Augen zu öffnen.

»Marie,« sagte er leise, ihre Hand suchend, »ich habe ihn gesehen, er war hier.«

Die Edelfrau hatte seine Hand gefaßt. Er ist hier, mein Theurer, Gott hat ihn uns wiedergegeben!«

»Nein Marie,« flüsterte der Greis – »nicht hier, dort oben, wo ich bald sein werde, bei ihm und Ferdinand. Dort, wo Alles vergeben und nur die Liebe geblieben ist. Gewiß – ich habe ihn gesehen – wie ich Dich sehe, wie ich ....«

Er öffnete die müden Augen, um sie auf Gattin und Tochter zu richten und heftete sie erstaunt auf seinen jüngsten Sohn.

»Otto – Otto, mein Sohn – Du hier!«

»Es ist mein Platz, Vater, und nicht meine Schuld, daß ich nicht eher an ihm sein konnte!«

Er legte beide Hände an das Haupt seines Jüngsten und schaute ihm fest und innig in das männlich schöne kräftige Gesicht.

»Du kommst zur rechten Zeit, Otto,« sagte er nach einer langen Pause der Rührung – »Du wenigstens bist ein ächter Röbel und mit Ehren zurückgekehrt, wie Du gegangen, das zeigt mir diese da!«

Er legte den Finger in die rothe Narbe auf seiner Stirn.

»Ich erhielt sie, Vater,« sagte der junge Mann fest, »als ich meinen Bruder, der mit seinem Leben die Fahne gerettet, aus dem Getümmel trug. Auch er ist als ein ächter Röbel gestorben, und daß Du es wissen solltest, war sein letztes Wort!«

Der alte Mann nickte still. »Erzähle mir, wie der Fritz gestorben ist!«

Der junge Mann that wie ihm geheißen, während Mutter und Schwester neben ihm standen und mit gefalteten Händen und thränenbefeuchtetem Antlitz der einfachen ergreifenden Erzählung zuhörten.

»Die Nachricht von seinem Tode kam acht Tage zu spät für unsere Ehre,« murmelte der Greis. »Aber Gott, mein Herr, ich danke Dir, daß Du mich nicht zur Grube fahren läßt, ohne zu wissen, daß das Kind meiner Liebe werth seines Namens gestorben ist! Du aber sei gesegnet für das, was Du an Deinem Vater und Deinem Bruder gethan hast!«

Er hielt die Hand auf das Haupt seines Jüngstgeborenen gelegt, der eben antworten wollte, als es leise an die Thür klopfte.

Rosamunde ging, sie zu öffnen.

»Vater,« sagte sie – »es ist Herr Günther, der heute zum dritten Mal kommt, zu fragen, wie es Dir geht?«

»Laß ihn herein, mein Kind,« antwortete der Greis – »laß ihn herein! Er ist ein Freund – erst im Unglück lernt man diese kennen, und das Unglück ist nöthig, um uns die Lehren des Buches Gottes ganz verstehen zu lassen.« Er reichte dem zaudernd näher tretenden und bei dem unerwarteten Anblick des jungen Röbel tief erröthenden und sich abwendenden Mann die Hand. »Es geht zu Ende, Herr Günther,« sagte er, »aber es ist sehr gut, daß Sie gekommen sind, damit ich Ihnen doch noch danken kann für Ihre viele Freundlichkeit!«

Es schnürte dem jungen Mann das Herz zusammen, als er seinen Vater, den festen, nicht stolzen, aber abgeschlossenen, den Unterschied der Stände durch sein ganzes ehrenvolles Leben streng aufrecht haltenden Mann jetzt an der Schwelle des Grabes die Hand des Zuchthaussträflings, eines Menschen halten sah, dessen Berührung er früher mit Verachtung von sich gewiesen haben würde, und er mußte sich unwillkürlich abwenden, um seine Fassung wieder zu gewinnen.

»Jott bewahre, Herr Major,« stammelte das achtbare Individuum, »machen Sie sich man doch jetzt nich' solche Jedanken! Sie werden noch lange nicht sterben, un jetzt, da der Herr Sohn wieder da sind, so frisch un jesund, erst jar nich. Ik freue mir aufrichtig, des zu sehen, un Amande wird sich ooch höllisch freuen, un – un –« er stockte und wußte nicht, wie er es anbringen sollte, bis er von einer kleinen Assiette, die er unter dem langen Rockschoos verborgen getragen hatte, eine sauber gefaltete Serviette abzog – »Sie müssen's ihr mank nich übel nehmen, aber sie kocht janz vortreffliches Fliedermus, des für die Kranken so jut is, und da hat sie nich jeruht, die jute Seele, bis ik mir die Erlaubniß nehmen dhäte – nanu, un nu will ik nich länger stören!«

Er manövrirte das Schüsselchen auf den nächsten Tisch und sich nach der Thür, wurde aber dort von Otto aufgehalten, der ihm nachging.

»Herr Günther, auf ein Wort!«

So unverschämt und abgebrüht der Commissionair auch im gewöhnlichen Leben war, überkam ihn bei der Ansprache des jungen Mannes doch ein sehr unbehagliches Gefühl, und er hätte wer weiß was darum gegeben, glücklich aus dem Wege zu sein. Um so erstaunter war er, als der junge Röbel, nachdem er ihn vor die Thür gewinkt, ihn freundlich ansprach.

»Ich habe Sie um einen Dienst zu bitten, Herr Günther. Haben Sie einen Augenblick Zeit zu einem Gang für mich?«

»Ob ik Zeit habe vor Sie, Herr Baron? Donnerwetter, schicken Sie mir meinetwejen in die Hölle, und Scabell's seine janze Feuerwehr soll mir nich raus holen! Soll ik vielleicht den alten schäbigen Hund, den Jonas, noch heute Abend durchwammsen? Mit Verjnügen, Herr Baron – aus ufrichtigem Plaisirverjnügen, deß Sie heil wieder da sind und nich wie der Herr Lieutenant ...«

Der junge Mann unterbrach ihn mit einer Handbewegung. »Nichts davon – ich wünsche, daß Sie sogleich nach dem Hôtel de Rôme gehen, diese Karte abgeben« – er schrieb mit Bleistift einige Worte darauf – »und die Personen, an die sie gerichtet ist, schleunig hierher führen. – Aber halten Sie dieselben nicht auf, auch wenn Sie Jemand darunter finden sollten, der Ihnen nicht unbekannt ist, denn die Minuten sind kostbar!«

Der Kommissionair legte betheuernd die Hand auf die Brüst und schob eilig nach einem militärischen Gruß ab; der in jedem andern Augenblick das Lächeln des jungen Mannes erregt haben würde.

Otto kehrte mit trüber Stirn in das Zimmer zurück, wo ihn Mutter und Schwester besorgt anschauten.

»Du hast ihm doch nicht wehe gethan?« frug die Majorin. »Gewiß, er meint es ehrlich und freundlich, wenn auch seine Manieren nicht die besten sind.«

»Warum hätte ich das thun sollen, Mama? wir haben Wichtigeres zu sprechen.« Er hatte sich wieder neben den Kranken gesetzt und seine Hand genommen. »Sie haben mich noch nicht gefragt, Vater, woher ich jetzt komme!«

Der alte Mann sah ihn fragend an.

»Ich komme von Röbelsburg!«

»Ich begreife,« murmelte der Kranke, »Du hast uns vergeblich dort gesucht.«

Die Edelfrau verhüllte ihr Gesicht.

»Nein Vater, – ich hörte bereits unterweges das Unheil, den Verkauf. Röbelsburg soll, ehe drei Tage vergehen, wieder in den Händen seiner alten Besitzer sein, und sollte ich den zehnfachen Kaufpreis dafür geben!«

Die von ihrem Unglück erdrückte Familie sah ihn mit Erstaunen an.

»Du, Otto? – Du weißt nicht, was Du sprichst!«

»Ich weiß es wohl, Mama! Doch davon später. Vater – ich bin nicht allein nach Röbelsburg gekommen!«

Der alte Mann sah ihn an – ein Blitz des früheren Geistes loderte in seinen erloschenen Augen auf. »Ich will nicht hoffe«, daß man mich belogen hat,« sagte er streng. »Der Lieutenant von Röbel durfte lebendig nicht nach Preußen zurückkehren!« »Aber dem Todten war es erlaubt!« sagte der junge Mann mit tiefer Stimme. »Ich habe die Leiche meines Bruders, des auf dem Felde der Ehre mit Ehren gefallenen Lieutenant Friedrich von Röbel in der Gruft seiner Väter in der Kirche, die seine Ahnen gebaut, seinem letzten Wunsche gemäß beigesetzt.«

Eine tiefe Stille herrschte in dem Krankenzimmer nach diesen Worten, nur unterbrochen von dem leisen Stöhnen des alten Mannes und dem Weinen der Frauen.

»Du hast wohlgethan, mein Sohn Otto,« sagte endlich der Greis, »und meine Urstätt wird bald neben ihm sein.«

»Vater,« fuhr der jüngere Röbel fort, »ich habe Dir noch mehr zu sagen. Du weißt, daß ich Dir nie ungehorsam gewesen bin, aber ich habe mir ein Vergehen gegen Deine Autorität zu Schulden kommen lassen, als des Hauptes der Familie.«

Der alte Mann sah ihn fragend an.

»Ich bin nicht allein zurückgekommen! – meine Gattin bittet um Deinen Seegen!«

»Du bist verheirathet? – Wer ist sie, der ein Röbel seine Hand gereicht, ohne Vater und Mutter zu fragen? Bist Du auch in die Klauen jener Menschen gefallen, die nur Wucher und Gold kennen? dann Schande über Dich, meinen Letzten!«

»Meine Gattin,« sagte der junge Mann stolz, »ist die einzige Tochter Ihres alten Waffenfeindes und Freundes, des verstorbenen Obersten Fourichon Marquis von Massaignac, also aus dem edelsten Blute Frankreichs!«

»Carmen?« riefen Mutter und Tochter wie aus einem Munde.

»Sie ist es – die Wiedergefundene, die mich auf meinem Wundlager pflegte. Sie wartet nur auf Eure Erlaubniß, Mutter, vor Euch zu erscheinen!«

»O dann führe sie her, Otto, in meine Arme, damit ich sie segnen kann und das Glück wieder einkehrt über diese Schwelle nach so vielen Leiden!«

»Sie wird sogleich hier sein, Mutter – und ich kann Dir nicht sagen, wie innig sie sich nach Deinem Mutterherzen sehnt, denn auch sie hat Viel gelitten und getragen. Zuvor aber habe ich noch eine Pflicht zu üben! – Vater, fühlen Sie sich stark genug, eine solche zu erfüllen?«

»Ein Röbel soll immer seine Pflicht thun, gegen Gott, die Ehre und den König!«

»Auch wenn es die Wiedergutmachung eines Unrechts ist, wenn es Ihre Meinungen, ja Ihren wohlberechtigten Stolz verletzt?«

»Mein Fuß ist im Grabe! ich möchte Niemand hinterlassen, dem ich Unrecht gethan.«

Otto von Röbel nahm aus der Brusttasche seines Rockes ein Papier und reichte es dem alten Mann, indem er den Schein der Lampe ihm näher rückte.

Der Kranke las das Papier, seine Hand zitterte, dann ließ er es sinken, eine hohe Aufregung sprach sich in seinem ganzen abgezehrten Wesen aus.

»O mein Gott, vergieb mir!« stammelte er – »sie sagte damals die Wahrheit und ich habe sie und sein Kind in's Elend gestoßen! Otto, mein Sohn – das macht meine Sterbestunde sehr schwer!«

»Sie wird leicht sein, Vater, wenn Sie selbst den Fluch in Segen verkehren! Dieses Testament meines seeligen Bruders Ferdinand, das eine verworfene Hand stahl, und das jesuitische Speculation zum Mittel jahrelangen Druckes machte, bis die Opferung eines Reichthums der Mutter ihr Kind wiedergab, ist genügend, den Anspruch, wenn nicht auf Ihre Liebe, so doch auf Ihren Segen und Ihre Anerkennung zu beweisen, und hier Vater –« er ging nach der Thür bei dem leisen Geräusch, das er vor derselben hörte, und öffnete sie, – »hier bringe ich Ihnen Die, welche ein früheres Recht auf Ihren Segen haben, als selbst Ihre lebenden Kinder!«

In der geöffneten Thür standen zwei Frauen und ein Kind, ein Mädchen von etwa 11 Jahren. Die eine war jung und schön, mit den Rosen des Glückes auf den Wangen und dem Feuerstrahl der Liebe in dem dunklen stolzen Auge, die andere eine imponirende Gestalt von etwa dreißig Jahren mit blassem angegriffenem Gesicht, das von schönem Blondhaar umrahmt war. Sie hielt das kleine schüchtern sich an sie schmiegende Mädchen an der Hand. Hinter den Frauen erblickte man im Halbdunkel des Flurs die Gestalt des Commissionairs und ehemaligen Zuchthäuslers, der sich in einer seltsamen Aufregung zu befinden schien.

Otto von Röbel winkte der ersten Dame freundlich, die sofort das Kind nahm und mit ihm sich dem Kranken nahte, vor dem sie niederkniete. »Mein Vater,« sagte sie in französischer Sprache, »segnen Sie Ihre Tochter und Ihre Enkelin!«

Der Greis sah von Einer zur Anderen, als wollte er das Bild ihrer Züge recht fest in sich aufnehmen. Dann legte er die abgezehrte Hand auf die blonden Locken des Kindes. »O meine Kinder,« sagte er – »ich habe nur wenig Zeit noch, Euch zu lieben, aber ich werde im Himmel für Euch beten! – Und auch Sie, Madame,« fuhr er fort und streckte die Hand nach der blassen Frau an der Thür, »vergeben Sie einem Sterbenden seine Härte und was er an Ihnen verschuldet hat, damit ich dem seeligen Geist meines Ferdinand dort Oben mit Ruhe begegnen kann!«

Die Wittwe hatte sich auf seine Hand gebeugt und überströmte sie mit ihren Thränen – das starke, harte Herz in ihrer Brust schlug krampfhaft. »Sagen Sie ihm,« flüsterte sie, »daß sein Weib ihn gerächt und daß sein Kind Ihren Segen erhalten hat!«

Der Kommissionair an der Thür hob wie im Veitstanz ein Bein um das andere und rieb sich die Hände. »Wenn das die Amande hören wird – Donnerwetter! Die Male hat auch versprochen, zu mir zu kommen, – un der Deibel soll mir frikassiren, wenn ik nicht jehe un dem Jonas, dem Halunken, em Mißtrauensvotum jebe!« damit drückte er leise die Thür zu und verschwand.

Die Glücklichen, Trauernden im Zimmer achteten nicht auf sein Fortgehen. Carmen von Massaignac, oder vielmehr jetzt Carmen von Röbel, lag in den Armen ihrer neuen Mutter und Schwester, die schon damals für die Fremde, die Kunstreiterin, so lebhafte Theilnahme gezeigt hatten, und Frau von Röbel mit dem zarten Gefühl, das sie auszeichnete, zog die Wittwe des Selbstmörders Polenz freundlich zu ihrer Gruppe, indeß der alte Mann das Kind noch immer zwischen seinen Knieen hielt und in seinen Locken spielte, während es ihn mit den großen Augen seines verstorbenen Sohnes so verständig und freundlich anlächelte, als hätte es ihn seit Jahren gekannt.

Otto von Röbel war zu den Frauen getreten. »Schwester Rosamunde,« sagte er – »Carmen hat auch Etwas für Dich mitgebracht. Der wackere Mann in Mantua ist uns leider zuvorgekommen!«

Die junge Frau zog aus ihrem Busen einen Brief und reichte ihn dem Mädchen, auf deren zartem, der Mutter so ähnlichem Gesicht die Trauer der stillen Entsagung und durchgekämpfter Leiden lag. »Er ist von Ihrer aufrichtigen Freundin, der Fürstin Trubetzkoi,« sagte sie. »Sie bittet Sie darin um Ihre Hand für einen Mann, dem sie Vieles verdankt, für Herrn Meißner, dem das Testament des kürzlich verstorbenen Bankiers Mortara in Mantua aus Dankbarkeit hunderttausend Lire ausgesetzt hat. Der wackere Freund Ihrer Brüder wird durch den Tod des Fürsten und die Verhältnisse in der Villa am Gardasee festgehalten, aber ich habe versprochen, seine Freiwerberin bei Deinem Vater zu sein!«

»Nicht heute, meine Theure,« bat ihr Gatte, den Arm zärtlich um sie schlingend – »ich fürchte, alle diese Aufregungen könnten bei seiner Schwäche eine schlimme Wirkung auf ihn üben. Seht – er winkt uns!« Der Major machte in der That ein Zeichen, daß sie zu ihm kommen sollten. Sohn und Schwiegertochter setzten sich an seine Seite und nahmen seine Hände.

»Sie müssen wissen, Papa,« sagte Carmen, »wie große Freude es mir jetzt macht, daß mein Mann reich ist. Morgen schon soll Otto Alles ordnen und Ihren alten geliebten Landsitz zurückkaufen, obschon wir Ihnen weit schönere für Ihre alten Tage bieten können, wo wir Sie pflegen wollen!«

Der Greis schüttelte trübe den Kopf. »Der Name Röbel,« sagte er fest, »muß mit mir verlöschen – mein Sohn soll keinen befleckten Namen tragen – wenn Sie ihm Ihre Hand gegeben, so geben Sie ihm auch den Ihren! Er muß das Land seiner Väter verlassen und jenseits des Meeres eine neue Heimath gründen – in Preußen giebt es keine Röbel mehr, seit die Steckbriefe der Gerichte ihren Namen an den Pranger schlugen!« –

Seine treue Hausfrau war zu ihm getreten. »Vater – es ist zu Viel für Dich! Du mußt Dich schonen um unser willen!«

Ein sonniges Lächeln flog über seine eingefallenen Züge. »Du hast Recht, Marie,« sagte er milde, – »ich bin müde und muß ein Wenig ruhen. Verlaßt mich auf kurze Zeit, Ihr werdet so Vieles zu sprechen haben, und laßt das Kind bei mir!«

Sie winkte den Anderen, sich in das Nebenzimmer zu entfernen, und rückte ihm die Kissen in dem alten Lehnstuhl zurecht. Als Otto das Zimmer verlassen wollte, rief ihn noch einmal der Greis.

»Du kamst von Potsdam. Wie geht es dem König?«

»Ich war auf Sanssouci, Vater, mich zu erkundigen. Die italienische Reise scheint den hohen Herrn wenigstens körperlich wieder gekräftigt zu haben – er macht weite Spaziergänge durch den Park! Die Königin pflegt ihn treu.«

»Gott segne sie Beide und stehe ihnen bei in ihrem Leid!– Jetzt, Otto, mein Sohn, verlaß mich! Gott segne auch Dich!« –

Der junge Mann folgte der Familie, das Kind blieb mit dem Greis allein, der seine Hand hielt, während er mit geschlossenen Äugen zu ruhen schien.

Nach einer Weile erst richtete er sie wieder auf die Kleine.

»Wie heißest Du?«

»Julie!«

Es war der Namen seiner verstorbenen ersten Gattin.

»Kannst Du lesen?«

»Ja, Großvater,« sagte das Kind in seinem schweizer Deutsch.

»Nimm die Bibel hier vom Tisch und lies mir ein Kapitel.«

Sie folgte gehorsam. »Wo soll ich lesen, Großvater?«

»Es ist gleich – in dem Buch, mein Kind, ist jedes Wort Trost und Weisheit, dort suche Beide in Deinem künftigen Leben!«

Das Kind hätte die heilige Schrift geöffnet und las.

Es war der 146. Psalm, den es aufgeschlagen, und die erhabenen Worte in der kindlichen Sprache klangen leise durch das Gemach.

Lobe den Herrn, meine Seele!

Ich will den Herrn loben, so lange ich lebe, und
meinen Gott lobsingen, weil ich hier bin.

Verlasset euch nicht auf Fürsten, sie sind Menschen, die
können nicht helfen.

Denn der Menschen Geist muß davon und er muß
wieder zur Erde werden.

Wohl dem, deß Hoffnung auf den Herrn, seinen Gott
steht, der Himmel, Erde, Meer und Alles, was darinnen

Der Greis hatte die Hände gefalten, seine Augen waren geschlossen – das Kind las noch einige Verse, immer leiser und leiser, – dann schwieg es, um den Schlummer des Großvaters nicht zu stören. –

 

Ein Wagen hielt vor dem Hause – ein jovialer alter Herr mit weißem Haar, von dem aristokratischen Ansehen eines Lebemannes, mit einem freundlichen Zug um Mund und Augen trat in das Familienzimmer.

»Guten Abend, Frau Majorin – ach, es geht also meinem alten Freunde besser, da Sie so viel Besuch haben – aber was frage ich noch, wenn meine alten Augen oder der leidige Burgunder, den ich trinken mußte, mir Nichts vorspiegeln – das ist ja unserer wackerer Otto, heimgekehrt zu den Penaten und wahrlich zur rechten Zeit! Solche Freude ist zehn Mal besser, als alle unsere Medizin!«

Er schüttelte dem jungen Mann herzlich die Hand.

»Ich war zum Diner bei dem Major v. Wulcknitz, und da dauert es immer etwas lange, denn Gesellschaft und Wein sind beide gleich gut. Aber ich wollte doch nicht nach Hause zurückkehren, ohne noch einmal nach dem Major gesehen und Sie beruhigt zu haben. Ich wäre auch schon eher gekommen, wenn nicht ein Auflauf Unter den Linden meinen Wagen aufgehalten hätte. Irgend ein Kerl hatte sich das Vergnügen gemacht, Monsieur Jonas die Fenster einzuschmeißen, und die Bummler, an denen es nie bei solcher Gelegenheit fehlt, wollten den Burschen den Schutzleuten wieder abnehmen, die ihn beim Kragen hatten. – Aber nun, lassen Sie mich einen Augenblick nach meinem Patienten sehen.«

Die Edelfrau führte den Geheimen Rath in das Krankenzimmer, die Anderen folgten leise.

Vor dem Greise in seinem Lehnstuhl saß noch immer das Kind.

»Sst!« – der Großpapa schläft!«

Der Geheime Rath trat langsam zu dem Sorgenstuhl des Freundes und beugte sich über ihn, die Hand mit der Vorsicht und Zartheit des Arztes an seinen Puls legend. Plötzlich fuhr er, wie erschrocken zurück – die fröhliche Burgunderröthe war von seinem jovialen Gesicht verschwunden.

»Er schlaft fest,« flüsterte die Majorin, näher kommend.

Der Arzt schwieg einen Augenblick – dann sah er ihr mit Theilnahme in's Auge. »Gnädige Frau,« sagte er ernst – »Ihr Gatte schläft den Schlaf der Gerechten! Gott hat einem Ehrenmann eine bessere Welt geöffnet – als die hier unten!«

Der Major von Röbel war unter dem Gebet des Kindes still und schmerzlos verschieden.


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