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Rom.

O wie mit namenlosem Schauer
Hängt Herz und Auge doch an dir,
Ach, wie voll schwermutreicher Trauer
Voll heilgem Ernst erscheinst du mir!
Du Stolz der Vorwelt und der Ahnen,
Du Riesenkind voll Majestät,
Von Völkerstürmen und Orkanen
Fast zwei Jahrtausende umweht!

Ja, das ist Rom! Dein Triumph, Septimus, ging mit dem Cäsar
Nicht zu Grabe, noch ragt düster sein Bogen empor!
Dort mit dem finstern Gebälk die Tempelsäulen der Eintracht,
Über des Abhangs Gebüsch liegt der tarpejitsche Fels!
Totenruhe! Auf Bergen von Schutt und Trümmergerölle
Einsame Kirchen ans Grab irdischer Götter gebaut!
Kaum, daß die stille Allee ein Mönch einsiedlerisch wandelt,
Kaum, daß ein flüchtiger Wind nächtlich im Laube noch rauscht!
Jupiter Stator, wie schlank in Kraft korinthischer Schönheit
Überm verödeten Feld deine Ruine sich zeigt!
Düstert nicht geisterhaft durch der Säulen erhabene Schäfte,
Halb nur erkennbar im Duft, Nero, dein goldner Palast?
Sind das nicht drüben, die sich wie Giganten entfalten,
Bögen Vespasians, dankbar dem Frieden geweiht?
Gleich dem Krater eines Vulkanes, von Blitzen zerspalten,
Steigt aus dem Abgrund dein Denkmal, dein altersgraues Severus,
Deiner Kolonnen Gestalt, Jupiter Tonans, aus Nacht!
Aber im Licht umfängt mich dann wieder der Bogen des Titus
Und dein gewaltiges Bild dämmert mir auf: Kapitol!

Nach dieser Metropole der alten Welt, die zugleich das Sehnsuchts- und Kampfesziel des Kreuzes von Savoyen ist, führt uns das vorliegende letzte Kapitel unseres Romans.

Rom allein fehlte noch zum Richtefest der italienischen Einheit; seine Einverleibung mußte auf Venedig folgen, wenn der gewaltige Konkordiatempel, den Victor Emanuel zu bauen unternommen, des Dachstuhls als seiner Gebäudekrone nicht entbehren sollte; wenn man verhüten wollte, daß es in den mühsam fertig gestellten Tempel nicht von oben hinein regnete und hinein wetterte, dem ganzen Neubau zum Verderben.

Das Verschlußglied, Venetien, war, wie der Leser soeben vernommen, mit Hilfe der Siegeswaffen Preußens in Böhmen, 1866, dem italienischen Einheitsstaate angelötet worden; den wirklichen Schlußstein, Rom, die Siegelkapsel gleichsam an Italiens Einheits- und Freiheitsbriefe, sollten ebenfalls deutsche Schwerter, nämlich König Wilhelms, aus Germaniens Norden und Süden formierte Siegesheere auf Frankreichs Boden ein- und anfügen helfen.

Wir stehen mit diesen Tatsachen vor einem wunderbaren Himmelswalten. Als der heidnische Cäsarismus Roms in Trümmer sank, waren es germanische Völkerstämme, die, wie schon erwähnt, Gott berufen hatte, die alte Welt mit frischem Blut zu regenerieren: 1870, als der neue Cäsarismus Roms sich bis zum Unfehlbarkeitsdogma verstieg, mußte wieder germanische Tapferkeit das ihrige tun und den Nachkommen der alten Römer, den Italienern, helfen, geistlicher Tyrannei durch Entziehung ihrer weltlichen Gewalt und irdischen Machtmittel für immer einen festen Damm zu setzen.

Diesen Vorgang aber, das heißt also Deutschlands mächtigen Anteil an Italiens endlich errungener voller Einheit und Selbständigkeit, könnte der Leser nicht klar überschauen, wenn wir in dieser Einleitung versäumten, jene beiden Männer, um deren Waffengang »hie Welf, hie Waibling« sich's in diesem Schlußkapitel handelt, ihrem ganzen wechselvollen Leben nach in eine kurze Parallele zu stellen.

Helle Freude herrschte im gräflichen Palazzo Mastaï zu Sinigaglia, als dort an einem schönen Tage des Jahres 1814 die allen Familiengliedern unerwartete Nachricht aus Rom anlangte, Graf Giovanni Mastaï, der Löwe und Liebling von Sinigaglia, habe den Militärdienst quittiert und sei Priester geworden. Der spätere Papst Pius IX. zählte erst zweiundzwanzig Lenze und war ein überaus geschmeidiger, eleganter junger Edelmann, als er jenen Schritt tat, nämlich seinen bisherigen Dienst als päpstlicher Nobelgardist, apoplektischer Anfälle wegen, die ihn öfter heimsuchten und einmal sogar bis zum Selbstmordversuch des Ertränkens im Tiber trieben, aufgab und zu Casa Loretto die geistliche Weihe empfing.

Schon dreizehn Jahre später, also 1827, zog derselbe Graf Giovanni Mastaï-Feretti als neuernannter Erzbischof in Spoleto ein, als ein vom damaligen Papst, wie vom derzeitigen Jesuitengeneral Pater Ludwig Fortis gleich stark begünstigter geistlicher Parvenü, der sich, wie es scheint, auf einer 1823 nach Chili unternommenen Missionsreise die goldenen Sporen jesuitischer Gönnerschaft erworben hatte.

Als Erzbischof von Spoleto erlebte der künftige Papst die in ihren Folgen so bedeutsame revolutionäre Schilderhebung des Jahres 1831 gegen den Pontifex maximus, bedeutsam, weil sich an diese Kundgebung der alten Carbonaripartei 1832 die neue Bewegung des Mazzinismus unmittelbar anschloß. An jenem Aufstande beteiligte sich unter anderem auch der damalige Prinz Louis Napoleon; derselbe flüchtete bei dieser Gelegenheit in den Palast Mastaïs und hatte es nur Spoletos Erzbischof zu danken, daß er der Verfolgung entrann und mit dem Leben davon kam.

Weniger dafür, als vielmehr des geistlichen Eifers und der ungewöhnlichen Energie wegen, den und die Mastaï darauf als Erzbischof von Imola entfaltete belohnte Gregor XVI. diesen Günstling schon im Jahre 1840 mit dem Kardinalshut. Ja, als der Nachfolger Petri sechs Jahre später mit dem Tode abging, ereignete sich das dem Klerus wie den Laien unbegreifliche Faktum, daß der bis dahin gar nicht mit in Betracht gezogene fünfundfünfzigjährige Kardinal Mastaï-Feretti als Sieger aus der Urne des zur Wahl eines neuen Papstes in Rom versammelten geistlichen Konklave hervorging.

» Evviva Pio Nono!« schallte es damals, am 17. Juni 1846, nach dem Balkone des Quirinalpalastes hinauf, und: » Evviva Pio Nono!« hallte es bald darauf durch ganz Italien, als dieser neue heilige Vater gleich nach seiner Wahl eine liberale Maske aufsteckte und die Idee eines konstitutionellen Papst-Königs wie ein Meteor am dunkeln Himmel aufleuchten ließ.

Aber die Geister, welche er gerufen, die ward er nun nicht wieder los. Schon am 24. November 1848 floh der gefeierte Pius IX. verkleidet aus dem Quirinal nach der neapolitanischen Festung Gaëta, um sich und das Papsttum vor dem Fanatismus eines entfesselten Demokratismus zu retten. Als er am 12. April 1850 von Gaëta, das der dankbare Louis Napoleon scheinbar seinet-, das heißt des Papstes wegen, inzwischen erobert hatte, mit dem neu ernannten Staatssekretär Antonelli, dem »roten Kardinal«, nach Rom zurückkehrte, war Pius IX. ein anderer geworden, oder hatte, besser gesagt, seine liberale Maske zu tragen verlernt; galt der vorher so Gefeierte als der unpopulärste Mann Italiens, nämlich als Träger des reaktionären hierarchischen Prinzips.

In der Tat schien jetzt ein neuer Gregor VII. erstanden, der jede weltliche Macht ex fundamento bekämpfen zu müssen glaubte und insonderheit die italienische Einheitsbewegung als eine Höllenintrige betrachtete. Um einer derartigen Satanspolitik wirksamer begegnen zu können, wurde das Netz der geistlichen Orden und Kongregationen enger und fester gezogen, zu Weihnacht 1854 das Dogma von der unbefleckten Empfängnis Mariae kreiert, 1864 endlich auch der alle Irrlehren im Keime erstickende »Syllabus« proklamiert und, überhaupt, das päpstliche: » Non possumus!« in der gesamten katholischen Welt zur Parole d'honneur gemacht.

Es hätte der, last not least, am 18. Juli 1870 mit 553 Plusstimmen votierten » päpstlichen Unfehlbarkeit« gar nicht mehr bedurft, um jenen Konflikt, welcher hauptsächlich in Italien und zwar durch Pius IX. zwischen Staat und Kirche entbrannt war, auf die Spitze zu treiben, denn der Haß des neuen Gregor VII. gegen Victor Emanuel hatte schon 1860, nach der von den päpstlichen Truppen unter Lamoricière verlorenen Schlacht bei Castelfidardo seinen Höhepunkt erreicht.

Jenem als Mensch wohl milden und liebenswürdigen, aber als Kirchenfürst nur um so halsstarrigeren und bannfluchlustigen Manne gegenüber, der in seinem hierarchischen Selbstgefühle sich vermißt, dem Laufe der Weltgeschichte ein kategorisches »Halt« entgegen zu donnern, erblicken wir nun zwar einen nicht minder leidenschaftlichen und energischen, aber dabei grundehrlichen und innerstgläubigen Sohn derselben römischen Kirche, einen burschikos-martialischen Weltmann, den die Vorsehung insofern zu einem tragischen Helden prädestinierte, als die heiße Vaterlandsliebe und pietätvolle Kirchlichkeit zu scharfem Widerstreit gleich stark in seine Seele pflanzte.

II re galantuomo, das heißt der König-Ehrenmann Victor Emanuel steht Pius IX., seinem politischen Erzfeind, gegenüber da, als ein Mensch, Held und Fürst, dessen wunderbares Leben und Kämpfen wert erscheint, der Gegenstand eines Epos zu werden. Durch unabsehbare, wildverkettete Dornenpfade führt ihn die Erfüllung seiner weltgeschichtlichen Mission in den Lorbeerhain des Ruhmes, in den Rosengarten des Glückes und endlich in das Grab des Pantheons zu Rom.

Neunundzwanzig Jahre alt, besteigt er 1849 den sardinischen Thron, dem sein Vater, Carlo Alberto, infolge seiner Niederlage bei Novara für immer Valet gesagt.

Piemont, entkräftet durch die harten Friedensbedingungen, die der siegreiche österreichische Feldmarschall Radetzky diktiert, war damals kein lockender Besitz, und das um so weniger, als die italienischen Patrioten samt und sonders dem neuen Herrscher mißtraueten. Aber » L'Italia sarà!« (Italien wird sein!) klang es am Hofe des jungen Königs und in dessen Herzen selbst, und dieser Ausspruch Victor Emanuels in seiner Eigenschaft als Re Galantuomo sollte mit Hilfe des italienischen Bismarck, den Gott ihm zugesellte, mit Hilfe des Grafen Camillo Cavour, zur Tat und Wahrheit gedeihen.

Der erste glückliche Wendepunkt in Victor Emanuels öffentlichem Leben trat 1855 mit dem Krimkriege ein. Wie sehr auch die Liberalen gegen eine Verbindung mit England und Frankreich wider Rußland opponierten, der König ließ sich nicht beirren: im August desselben Jahres führte Alessandro Lamarmora seine flotten Bersaglieri zum erstenmal ins Feuer, und siehe da, die sardinischen Truppen bedeckten sich mit Siegesruhm bei Tschernaya.

Auf diese Kampagne folgte das größte Kriegsjahr 1859. Was den ersten Impuls zu der so vieler Mißstimmung und Mißdeutung ausgesetzten Allianz zwischen Italien und Frankreich gegeben, entzieht sich unserer Beurteilung Wir glauben aber nicht fehl zu greifen, wenn wir vermuten, daß zunächst die Furcht vor den Karbonaris, vor einer zweiten Auflage Orsinibomben den Erzschelm an der Seine zum Alliirten Italiens resp. zum Testamentsvollstrecker Orsinis (wovon später mehr) stempelte.. Entweder entspann sich das zeitweilige Einverständnis zwischen Victor Emanuel und Louis Napoleon, als beide sich in London begegneten, oder aber, Cavour verhandelte mit dem zweiten Franzosenkaiser zu Plombières.

Gleich darauf vermählte der König von Sardinien seine älteste Tochter Klothilde dem Vetter Napoleons III., dem Prinzen Napoleon Buonaparte, und im Juli desselben Jahres 1859 folgten, als Früchte seiner Verschwägerung: die Siege von Solserino und Magenta, sowie der Friede von Villafranca.

Großes war damit geschehen. Große Hoffnungen hatten sich erfüllt, aber auch große Enttäuschungen standen bevor. Die Österreicher verließen die Lombardei, und – Frankreich wandte seinem Bundesgenossen wortbrüchig den Rücken.

Ein Schrei der Entrüstung ging durch die apenninische Halbinsel, den Stiefel Europas, und Camillo Cavour, der sardinische Ministerpräsident, nahm, empört über die schnöde Handlungsweise des Pariser Dezemberhelden, seine Entlassung. Nur Victor Emanuel verzagte nicht. Fest wie aus Erz gegossen, unerschütterlich sich selbst getreu, hielt er in dem jetzt hereinbrechenden Prüfungssturme aus. Fortan galt ihm Frankreichs Zustimmung oder Mißbilligung nichts mehr, und diese Standhaftigkeit im Unglück brachte ihm die Chance, daß im Jahre 1860 Toskana, Parma und Modena auf seine Seite tretend, sich für ihn erklärten und auch Cavour zu ihm zurückkehrte.

Bald darauf landete Garibaldi mit seinen »Tausend« in Marsala; Italiens Stern flammte von neuem in hellstem Glanze, und als letztgenannter moderner Cincinatus dem Hause Savoyen die Krone Neapels im Siegesfluge entgegen getragen, wurde Victor Emanuel am 26. Januar 1861 vom italienischen Senate zum Könige Italiens ausgerufen. Trotz Aspromonte, Custozza und Lissa, und anderer schmerzlicher Stöße, erfüllte sich das Prophetenwort: » L'Italia sarà!« – Von Venetien, hat der Leser im vorigen Kapitel gesehen, konnte es heißen: »Spät kommt Ihr, doch Ihr kommt, Graf Isolan!« und nunmehr galt's nur noch das Herz Italiens, die ewige Roma!

Wenn es Jahrtausende bedurft hat, um Denkmäler, Sitten und Gewohnheiten, kurz alles, was auf die heidnische Physiognomie des antiken Rom Bezug hat, nach und nach aussterben zu lassen, und trotzdem sich dort immer noch Erinnerungen an die graue Vorzeit auf Schritt und Tritt uns aufdrängen, so wird es ohne Zweifel eines gleichen Zeitraumes bedürfen, ehe das mittelalterliche Papstrom mit seinem eigentümlichen Typus durch das heutige moderne Italien völlig verdrängt ist.

Und dennoch, was Säkula nicht vermochten, das bewirkte der Abzug einiger Kompagnien Franzosen, die, um den Papst zu schützen, die Engelsburg bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges, wenn auch keineswegs als rettende Engel, besetzt gehalten hatten. Seit jener Zeit nämlich, die uns bald eingehender beschäftigen wird, veränderte sich die ewige Roma, die Stadt der Toten und Priester und Künstler, zusehends. Die piemontesische Armee, unter General Cadorna, zog am 11. September des genannten Jahres durch die Porta Pia in das Herz Italiens ein, und mit ihr alle jene Errungenschaften, welche dem mittelalterlichen Diplomaten-Dogma: » Roma locuta est!« ein jähes Ende bereiteten und vorläufig nur an den Säulen des Vatikan einen rocher de bronce fanden, der ihnen zurief: »Bis hierher und nicht weiter!«

Seit jenen Tagen nahm die ewige Stadt fast täglich ein anderes Bild an, und strebt gegenwärtig mit einer Rapidität ohnegleichen der modernen Gestaltung amerikanischer Metropolen, äußerlich wie innerlich, zu. Die neu angelegten Straßen, besonders die Via Nazionale, gleichen den Boulevards von San Francisco auf ein Haar, berühmte Paläste fallen den neuen Regierungsbauplänen zum Opfer, und bald wird das Rom Michelangelos und Rafaels nur noch den ältesten Leuten in schwacher Erinnerung sein.

Und wie mit den Gebäuden, so verhält es sich mit den Menschen. Den alten, malerischen Typen begegnet man immer seltener. Die Mönche bleiben, so viel wie nur irgend möglich, schmollend hinter ihren hohen Mauern, und das bunte Schaugepränge der Geistlichkeit, wie der ganze, dem Auge doch so liebsame altitalienische Gewänderluxus und Flitterkram macht fortschrittlich dem profanen Zylinderhute und Fracke Platz, ja sogar die Originalkostüme der Landleute aus den umliegenden Gebirgsorten verschwinden immer mehr.

Aber wie gesagt, sogar im Innern der Bevölkerung geht eine analoge Verwandlung im modernen Sinne sehr bemerklich vor sich. Das Rom Gregors XVI. wird zur Zeit nur noch durch wenige Personen repräsentiert. Kaum, daß sich noch hier und da Familien finden, in welchen, traditionell, sich die konservative papale Gesinnung des Vaters auf Kind und Kindeskind vererbt.

Solche, vom neuen Zeitgeiste nicht angefressene Menschenexemplare nennt der fortschrittliche Römer Codini. Sie wohnen, liberalen Umgang meidend, in entsprechend alten und winklichten Stadtvierteln und bewahren auf diese Weise, mit ihrer Lokalität verwachsen, das originelle Gepräge des mittelalterlich-theokratischen Rom.

Zu der Behausung eines derartigen papalen Separatisten, eines Codini, begleitet uns der Leser im Geiste in jenen melancholischen Stadtteil Roms, den man Montanara heißt und wo die Gebäude mittelalterlicher Straßenengherzigkeit in die Trümmer altrömischer Kaiserherrlichkeit hinein gemauert erscheinen.

Dort, in der Nähe des Porticus der Octavia, des Marcellustheaters und Janustempels, wo das noch erhaltene Wohnhaus des Cola di Rienzi unweit des Tibers sein finsteres Angesicht den grauen Ruinen des Vestatempels und einer noch dunkleren Gasse zukehrt, erhebt sich in Quadratform ein alter Palast, der in seinen mittleren und oberen Stockwerken von verschiedenen Familien der unteren Stände besetzt ist und viel Sorge und Kummer in sich schließt.

Mit ihren zahlreichen Angehörigen hausen hier carettiere, locandiere, pizzicaroli, das heißt Gemüseverkäufer, Eisenkrämer, Fischhändler und dergleichen kleine Leute in großer Dürftigkeit, aber mit dem Selbstgefühl altrömischer Abstammung und echt lateinischen Blutes.

Fast alle diese sonderbaren Palastinquilinen sind papalini, das will sagen treue Anhänger des Papstes, und diese ihre Hingabe an den heiligen Stuhl ist das einzige geistige Band, welches sie, die sich täglich mehrmals buchstäblich unter einander in den Haaren liegen, freundschaftlich umschlingt.

Um diese Art römischen Palastlebens nur an einem Beispiele zu illustrieren, so möge, bevor wir in unserer Erzählung fortfahren, zum Exempel jener Familie kurz gedacht sein, welche zufällig Mitinhaberin des ersten Stockwerkes jenes ursprünglich hochherrschaftlichen Hauses ist.

Einige Piecen der erwähnten ersten Etage bewohnt nämlich ein vormaliger sogenannter Fuhrherr ( vetturino) und spätere Droschkenkarrer ( cocchiére), der, seit längerer Zeit brotlos, nunmehr in den spacci di vino, das ist Weinbudiken, umherlungert und dort den in soldi verwandelten Schweiß seiner Frau und mehrerer Töchter leichtfertig hinabgurgelt.

Eines dieser Mädchen, die zusammen und noch lange selig in einem großen Himmelsbette schliefen, wenn die Frau Mama schon lange bei ihrer Wickelarbeit in einer benachbarten Zigarrenfabrik schwitzte, war anfangs Wäscherin ( lavandaja), schwang sich jedoch später zur »Hebe« einer im Parterre ihres elterlichen Palastes etablierten und wegen ihres originellen Wirtes sogar von den vornehmsten Ständen besuchten Osterie auf.

Besonders häufig verkehrten in dieser tief-mittelalterlichen und gut papalen Weinstube, wo die glutäugige und schwarzhaarige cocchiére-figlia als »Josefa« die Becher kredenzte, Offiziere, höhere Beamte, sowie auch deutsche Maler und Bildhauer, und man muß gestehen, daß die ehemalige lavandaja, welche selbstbewußterweise ihrer früheren langweiligen Arbeit an der bianclieria, das ist Waschbank, Valet gesagt hatte, sowohl vino als colazione (Frühstück) alla romana mit echt italienischer Grazie zu servieren verstand.

Hier, in der Bodega für Nobili, fühlte sie sich so recht an ihrem Platze und hatte darum eine Stelle als cameriéra bei einer Contessa mit den stolzen Worten ausgeschlagen: » Le romane non si prestano al servizio (Römerinnen dienen nicht)!«

Vornehme Herren zu bedienen, war in den Augen dieses Mädchens ganz etwas anderes und verstieß viel weniger gegen den Tropfen katonischen Blutes, der auch in ihren Adern floß.

Echte, ahnenstolze Römerinnen heiraten auch keinen Deutschen, das sollte unter andern selbst einer jener berühmten Künstler erfahren, die in besagter Osterie aus und eingingen.

» Sono romana, mata al Ponte rottò, dove sta il tempio di Vesta, non sposerò mai un barbaro!« hatte unsere arme Fuhrmannstochter jenem idealen Freier zugerufen: »Ich bin Römerin, geboren am Ponte rotto, wo der Vestatempel steht; nie werde ich einen Barbaren zum Manne nehmen!«

Betrachten wir uns nach »Josefa«, der weinkredenzenden Hebe, nun auch einmal ihren nicht minder römerstolzen Osterienchef.

Das ist ein anderer Kerl, als der Filippo Martino, der addomine, das ist Schmerbauch, aus der diebischen Elster. Zwar seines Zeichens ursprünglich nur ein calzolájo, ein Schuster, hat auch er Karriere gemacht und ist eine rara avis unter den Wirten Roms geworden; ja, er behauptete sogar – und diese fixe Idee verschafft ihm die meiste und beste Kundschaft – der letzte Sproß des berühmten Hauses der Conti Morelli zu sein.

Zum Beweise dieser, nach seiner Meinung zweifellosen Annahme, bewahrt der angebliche Conte ganze Ballen antiquarisch erworbener Familienakten in mehreren riesigen Schränken auf und bietet diese verstäubten und mottenzerfressenen Aktenfaszikel jedem Gaste, der auch nur ein Viertel vino bei ihm verzehrt, fuderweise zur kostenfreien Privatlektüre im eigenen Hause an.

Conte Morelli ist natürlich, weil die entsprechende Contessa, der einstigen fatalen Schufterei wegen, sich bis dato noch nicht hat finden wollen, immer noch Junggeselle, blickt jedoch trotzdem und in tolerantester Weise durch alle fünf Finger, wenn seine Osterien-Nobili mit der ebenso schönen als koketten Josefa in ungeniertester Weise Süßholz raspeln.

In der Weinstube Morellis saßen, am 24. Januar 1871, zwei höchst interessante Gäste, die sich selbst einander freilich nicht kannten, dem Leser aber längst vertraute Personen geworden sind. An einem der ovalen Stammtische jenes ziemlich geräumigen und wegen seiner Marmorwände und Steinfliesen am Fußboden überaus kühlen Parterrelokales hatte nämlich, einerseits, bei einem Becher Frascatiweißweins, der italienische Richter Simone Moretto und, andererseits, bei einer Korbflasche mit rotem Velletri, der französische »Kapitän« Montal Platz genommen.

Letzterer, der die jüngste Expedition seines Kaisers nach Rom geleitet hatte, war eines körperlichen Unfalles wegen, der ihn betroffen, seitdem aus der Tiberkapitale nicht wieder hinausgekommen und auf diese Weise, lokaliter wenigstens, ein halber Römer geworden.

Bald nach Rettung seiner Frau aus dem Ignatiuskloster daselbst, war er von seinem Souverän Napoleon, in Anbetracht seiner früheren algerischen Verdienste, zum Kommandanten der Engelsburgbesatzung ernannt worden, und hatte diesen ehrenvollen Posten, trotz eines nur schlecht geheilten Schenkelbruches, bis kurz vor 1870 verwaltet.

Als er sich schließlich zu einer Amputation verstehen mußte und diese glücklich verlief, zog er als gut dotierter Invalide in das von seinem alten Freunde Malder verlassene Duncombesche Haus, ließ seine den Jesuitenhänden ebenfalls entrissenen Kinder aus Frankreich nachkommen und würde so, als pensionierter Kommandant, zufrieden und glücklich gelebt und seine Tage im Kreise neuer römischer Freunde in Ruhe beschlossen haben, wenn ihn nicht der plötzliche Ausbruch des deutsch-französischen Krieges und der klägliche Verlauf des letzteren für Frankreich den Verlust seines einen Beines, das jetzt ein Gummifuß ersetzte, zehnfach schmerzlich hätte empfinden lassen.

In dieser trübseligen geistigen Verfassung griff er öfter als früher zur Weinflasche und spülte seinen politischen Kummer und Katzenjammer auch nicht selten in Morellis berühmter Palastosterie hinunter. Dieser 24. Januar 1871 war ebenfalls wieder – so ein kleiner Ärger- und Trauertag für ihn, und es darf uns daher nicht Wunder nehmen, daß wir unsern alten »Kapitän« Montal just an diesem Tage schon in der Morgenstunde beim Schustergrafen finden.

Sein ihm unbekannter Tischnachbar, der Giudice Moretto, war freilich aus ganz entgegengesetzten Motiven zu Morelli gewandert. Er lebte überhaupt nicht in Rom, sondern nach wie vor in Turin, und war nur von hier nach dort herüber gereist, um einem der denkwürdigsten Tage und Feste seiner Nation an Ort und Stelle beiwohnen zu können.

Binnen wenigen Stunden sollte nämlich die Schlußfeierlichkeit der Einverleibung Roms in den jungen italienischen Einheitsstaat, der Schlußeffekt quasi der italienischen Einheitsbewegung im ganzen und großen: Der Einzug Victor Emanuels in Italiens natürliche Metropole, die ewige Roma, stattfinden, und bei diesem weltgeschichtlichen Akte durfte ein Mann, wie Moretto, durfte selbstverständlich auch dessen Frau, Violetta, nicht fehlen.

Während diese sich aber noch im Hotel mit ihrer Toilette zu schaffen machte, benutzte ihr Gemahl das noch übrige Stündchen zu einem Spaziergange in das mittelalterliche Rom und lenkte seine Schritte nicht ohne Absicht gerade zu Morelli.

Moretto war äußerst neugierig, einmal die Stimmung des papalen Rom, Victor Emanuel gegenüber, aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Da diese gereizte Stimmung am heutigen Morgen aber besonders lebhaft hervortreten mußte und man dem Turiner Richter bedeutet hatte, daß Morellis Weinstube zu der Art Informationen ein vorzüglich geeigneter Ort sei, so suchte Moretto schon aus diesem Grunde besagte Osterie auf.

Er war erstaunt, dort, trotz des ungewöhnlichen Vormittages oder aber, gerade wegen des bevorstehenden Königseinzuges, nur einen einzigen Gast zu treffen und ließ sich mit diesem natürlich, angeregt durch den genannten köstlichen Wein, den schon Horaz trank, alsbald in ein lebhaftes politisches Gespräch ein:

»Merkwürdiges Zusammentreffen heute,« begann der Richter, einen zweiten Becher mit Frascati, den ihm Josefa gereicht, nach seinen Lippen führend, »König Victor Emanuel rüstet sich zum feierlichen Einzuge in die ewige Roma, und Frankreichs Hauptstadt, Paris, überreicht dem Grafen Bismarck durch Jules Favre einen Vorschlag zur Kapitulation. So nämlich lautet die soeben eingetroffene, neueste Depesche vom Kriegsschauplatz!«

Wie elektrisiert starrte der Kommandant den Sprecher an: »Paris soll kapitulieren wollen? Unmöglich, Paris ergibt sich nie; ganz Europa müßte sich schämen, ja die Welt in ihren Angeln müßte beben, wenn das geschehen könnte!«

»Was nützt die Scham Europas und das Angelbeben der Welt, wenn die reichen Pariser längst von Filetbeef zu einem Ragout von Hunde-, Katzen- und Rattenschwänzen übergegangen sind, und die Armen froh sein müssen, daß eingeweichte Stiefelsohlen sie vom Hungertode retten! Jules Favre fordert, daß die Pariser Garnison mit militärischen Ehren abziehen darf, und diese Kapitulationsbedingung hat Bismarck sofort zurückgewiesen. Außerdem hat sich jetzt auch die Festung Longwy mit 4000 Gefangenen und 200 Kanonen den deutschen Siegern ergeben, wie der Draht gleichfalls soeben meldet!«

» O ces maudits et diaboliques Prussiens et Allemands! O diese gredins und coquins von Menschen!«

»Sie scheinen Franzose, und der tiefe Haß in Ihren Worten ist mir erklärlich. Aber urteilen Sie bei ruhigerem Blute gerechter über die Preußen, die übrigens auch Deutsche sind! Ihr Kaiser hat speziell an Preußen den Krieg erklärt, leider aber nicht bedacht, daß er nicht bloß die Preußen, sondern alle Deutschen durch die Art, wie er gerade diesen Feldzug provozierte, im Innersten beleidigte!«

»Napoleon selbst hat's nicht nach Krieg gelüstet, nein, es war Eugenie, die nach Blut gedürstet! Eugenie und ihre Helfershelfer hinter den Kulissen, die Jesuiten!«

»Je nun! Der Not gehorchend, nicht dem eignen Trieb! Das geb' ich zu! Die Kaiserin wollte und Napoleon mußte. Er hatte zu viel Pech gehabt in jüngster Zeit, in Mexiko und anderwärts! Frankreichs Prestige war bis auf Null gesunken, und um des Lulu Thronaussicht stand's oberfaul. Sadowa, Preußen's letzter großer Sieg, er machte vollends Frankreich zum ›gelähmten‹ Kranich!«

»Signor, Sie sind Italiener, vergessen aber, was Ihr Vaterland uns, den Franzosen, schuldet!«

»Des Undanks hat mich noch kein Mensch geziehen, und darum bitte ich, die Dinge doch zu nehmen, wie sie faktisch liegen! Was Ihr Kaiser für uns Italiener tat, geschah nur eigenen Vorteiles wegen. Als er vielleicht zum hundertsten Male die Phrase: ›Das Kaiserreich ist der Friede‹ wiederholte, ließ er zu gleicher Zeit seine träumerischen Augen über die Karte Europas schweifen. ›Polen oder Italien‹, sagte er sich. ›Entweder die Polen von Rußland oder die Italiener von Österreich befreien, wenn Frankreichs Glorie neu belebt und sein altes Prestige, wieder erweckt, meinem morsch gewordenen Thron zugute kommen soll.‹

»Die Warnung, die er von Orsini erhalten, die Furcht vor Attentaten der Carbonari überhaupt, bestimmten Ihren Kaiser, sich für Italiens Befreiung zu entscheiden. Er ließ das Testament jenes hingerichteten Patrioten, der ihn gewissermaßen zu seinem Testamentsvollstrecker eingesetzt, unter der Hand veröffentlichen und heuchelte seit jener Zeit den besten Freund Italiens!«

»Signor, Sie sprechen kühn, obgleich Sie nicht zu wissen scheinen, was denn Orsini gegen Frankreichs Kaiser eigentlich hatte?«

»O, besser als Sie meinen, weiß ich das! Orsini verfolgte nur den einen Gedanken: Die Unabhängigkeit Italiens. Er wollte dasselbe frei wissen, oder aber sterben. In Louis Napoleon, dem damaligen Präsidenten der französischen Republik, erblickte er den einzigen Mann, der ihm einer solchen Aufgabe würdig und gewachsen schien, und so mußte dem schwärmerischen Patrioten der schließliche Verrat des Kaisers an den Grundsätzen der Carbonari, den er namentlich durch seinen Dezemberstaatsstreich dokumentierte, aufs äußerste schmerzen. Seit jenem Verrat erfüllte ihn die fixe Idee, das auf solche Weise entstandene neue Hindernis zur endlichen Aufrichtung einer ungeteilten italienischen Republik durch des Kaisers Tod zu beseitigen!«

»Dann kennen Sie auch wohl das Testament Orsinis?«

»Ob ich es kenne! ›Verlange ich etwa‹, heißt es darin, ›daß Frankreich für die Freiheit der Italiener sein Blut vergießen soll? – Nein, so weit gehe ich nicht! Italien beansprucht so große Opfer nicht, verlangt nicht einmal, daß Frankreich für dasselbe interveniert. Italien wünscht nur, daß Frankreich nicht gestattet, daß Deutschland Österreich in unserem voraussichtlichen, ja unvermeidlichen Kampfe mit letzterem zu Hilfe kommt. Nur das ist's, was Italien will, und das vermag Eure Majestät leicht zu erfüllen. Von diesem Entschlusse hängt das Wohl und Wehe eines Volkes ab, dem ganz Europa den größten und schönsten Teil seiner Bildung verdankt. Das ist die Bitte, die ich aus meinem Gefängnis als letztes Wort an Eure Majestät zu richten wage!‹«

»Nun, Signor, hat mein Kaiser diese Bitte etwa nicht erfüllt? Ist er diesen Wünschen nicht vollauf gerecht geworden?«

»So lange es ihm in den Kram gepaßt, ja, allerdings! Doch bald verriet er Italien, wie 49 die eigenen Untertanen und 66 den armen Kaiser von Mexiko!«

»Ihr denkt zu schlecht von meinem ehemaligen unglücklichen Souverän! Ich sollte meinen, das, was er gesündigt, hat er bei Sedan und auf Wilhelmshöhe bei Kassel tausendfach gesühnt!«

»Mit Verlaub, die Zigaretten schmeckten ihm am Sedantage nicht schlechter als in seinen Tuilerien. Er hatte nichts, im Äußern, wie im Innern, was Sympathie erweckt und wahre Freunde erwirbt. Er war ein Charlatan vom Fuße bis zum Scheitel: ja, mehr als das, er war ein Intrigant, der seinen Meisterbrief in dieser edlen Kunst sich aus der Hofkanzlei des Höllenfürsten holte!«

»Herr, schweigt, Ihr fordert sonst sogar mein Gummibein heraus! Signor, bedenkt, ich fühle als Franzose!«

»Eure Gefühle in Ehren! Aber vergegenwärtigt Euch das Gaukelspiel des Gefangenen von Ham, sowie die Szenen Eures früheren Souveräns in Straßburg und Boulogne! Denkt ferner der Komödie in Saarbrücken und wie Euer Kaiser seinen Tod fast buchstäblich mit der Laterne dann bei Sedan suchte! Nein, nein, beruhigt Euch, ich habe nicht zu viel behauptet!«

»Gesetzt, Ihr hättet recht, wo aber bliebe dann Euer eigener König? Hat er nicht, unter uns gesagt, auch seine tausend Schwächen?«

»O sicher! Auch unser Victor ist ein Mensch nicht ohne Fehl; ja er nähm's übel, wenn man anders von ihm dächte! Er hat manch tollen Streich auf dem Gewissen, zumal, weil ihm der Tod die engelsmilde Gattin früh entriß, die holde Maria Adelaide von Österreich! Doch, alledem zum Trotz, was für ein Mann! Ein Inkarnat der Ehrlichkeit und Treue! Die fleischgewordene Wahrhaftigkeit, und dazu ein Held, ein jeder Zoll ein König! ›O, diese Musik ist schön!‹ rief er als Kronprinz, 49 bei Goito, da der Kanonendonner ihn umtobte, ›das ist die einzige, die ich wirklich liebe!‹ – und jene Musik brachte ihm die erste schwere Wunde.

»Dann bei Palestro, 59, wo er sich vollends tollkühn in den Kugelregen machte und seine Krieger flehend ihn umringten, was rief er da? – ›Ich steh' euch wohl im Lichte?‹ meinte er ›laßt's gut sein, hier ist Kriegerruhm für alle!‹

»Fürwahr, das ist ein König, wie die Berge seiner Heimat, wild und rauh, doch tief im Innern Gold und Edelstein! Das ist ein Harun al Raschid in Bauerntracht, der keine größere Wonne kennt, als niederen Leuten heimlich wohlzutun!«

»Dergleichen Sprache, Signor, kann in diesem Raume, wie in diesem Stadtteil Romas überhaupt, nur überraschen! Hier rühmt man derart nur das Haupt der Christenheit, den Papst, als einzig legitimen Herrn des Kirchenstaates! Hier denkt man so nur Seiner Heiligkeit, der Frankreich, welches das Papsttum immer treu beschützte, preist und segnet!«

»Ihr sprecht sehr viel in einem Atemzuge aus; mehr als in gleicher Zeit sich widerlegen läßt! Ob meine Sprache hierorts unbequem, gilt mir für nichts, zumal am heutigen Tage. Auch ich bin nämlich Katholik, so gut als Ihr, und nicht viel schlechter als mein König, doch trotzdem, oder auch vielleicht just eben darum, bezweifle ich die Legitimität des Pio Nono, wie aller Päpste, bezüglich ihrer Souveränetät, als Herren Roms!«

»Signor, ich schlage Euch zugleich, indem ich Euch erwidere, in einem Punkte habt Ihr recht! Es ist der Kirchenstaat und Rom nicht Eigentum des Papstes nur allein; nein, beide sind ein unveräußerliches und unentbehrliches Besitztum der gesamten katholischen Welt! Wir alle, die wir römisch-katholisch getauft sind, haben ein großes und lebendiges Interesse daran, daß der heilige Vater wenigstens in einem Lande seiner Gläubigen als ein weltlicher Souverän dasteht, der auch materiell unabhängig von fremder Gewalt, sich geschützt weiß vor den heimlichen Feinden des christlichen Glaubens!«

»Bravo, Signor! Bravissimo! Namentlich aber geschützt vor der Macht des Jesuitismus, der Pio Nono auf den heiligen Stuhl gehoben und schließlich zum Unfehlbarkeitsdogma und damit zum Ruin des Papsttums überhaupt gedrängt hat! Des Jesuitismus, der den heiligen Stuhl wie ein Polyp umklammert hält, so lange weltliche Gewalt als geistliche Krücke gilt, so lange Rom und seine Umgebung das souveräne irdische Palladium der katholischen Kirche bleibt! – Ihr scheint die Macht der schwarzen Garde unserer Päpste, der neuen christlichen Prätorianer, nicht zu kennen? – Ich könnte Euch eine Geschichte erzählen, von einem Schiffskapitän, mit Namen Montal, die Euch schaudern macht, der nicht minder haarsträubenden Dinge, die ich selbst mit meiner seligen Frau erlebt, ganz zu geschweigen!«

»Vom Kapitän Montal? – Herr, das bin ich! – Doch wer seid Ihr? Bei allen Heiligen, Signor, redet!«

»Ich bin der Richter Moretto aus Turin! – Der Pater Anselmo dort hat meine Frau entführt und mich zu töten versucht, ja mein ganzes Haus verfolgt, weil ich die Jesuiten und ihre Helfershelfer, die Brigantis, hasse und von dem Re Galantuomo alles Heil der Zukunft meines Landes hoffe!«

»So sind wir Freunde, Signor, wahlverwandte Freunde, die Haß vereint; Haß gegen alles, was nach Jesuiten riecht und schmeckt. Ihr kennt also die traurige Geschichte meiner Frau mit Pater Benedict und Pater Mariano, so gut wie ich über Eure Erlebnisse mit Il Bieco, Zerbinotto und Pater Anselmo durch einen gewissen Dr. Malder, der selbst von Jesuiten angefeindet worden, genau unterrichtet bin! – He, Morelli! He, Josefa! Frischen Wein! Wein des Horaz für mich und meinen Freund!«

Der Schustergraf und seine Hebe trauten ihren Ohren nicht. Sie hatten jeden Augenblick erwartet, daß ihr Stammgast, der Kommandant, trotz seines Gummibeines den Gegner beim Kragen fassen und an die Luft befördern würde, und mußten nun das Gegenteil erleben. Morelli hatte inzwischen sogar nach ein paar alten päpstlichen Pistolen, die er Montal zuzustecken gedachte, gesucht und seinen Portinajo heimlich nach der Polizei gesandt. Leider hatte er sich in diesem Punkte, seiner blinden Rage folgend, arg vergriffen.

Er glaubte sich immer noch auf das alte päpstliche Regiment stützen zu können und dachte, den Wald vor lauter Bäumen nicht erkennend, in seinem papistischen Eifer gar nicht daran, daß Rom, nebst dem letzten noch nicht annektierten Reste des Kirchenstaates, seit 9. Oktober 1870 dem großen italienischen Gesamtvaterlande angehörte, und also von irgendwelcher weltlichen Gewalt des Papstes schon seit dem Einzuge der Truppen Victor Emanuels in Rom, seit September desselben Jahres, nicht mehr die Rede sein konnte.

Dieser grobe Irrtum in betreff des früheren » ubi papa ibi Roma« wurde dem Schustergrafen erst klar, als infolge seiner Anzeige seine Osterie sich nach und nach statt mit päpstlichen, mit königlichen Munizipalwachtleuten füllte. Da mittlerweile auch noch mehrere andere Einzug-schaulustige Personen zu einem Frühschoppen bei Morelli eingerückt waren, so zogen sich die beiden neuen Freunde Moretto und Montal mit ihrem Horazwein in eine stille Fensternische zurück, und hier war es, wo der Richter, das frühere Gespräch fortsetzend, noch zum »Kapitän« sagte:

»Ihr behauptetet vorhin, Frankreich sei immer ein treuer Beschützer des Papsttums gewesen, aber das gerade Gegenteil ist geschichtlich nachweisbar. Wer schützte das Patrimonium Petri, Pipins des Kleinen Schenkung, zur Zeit der ersten römischen Republiken, unter Alberich und Crescentius, Arnold von Brescia und Cola di Menzi? – Doch nicht etwa Frankreich? – Griff das letztere ferner tatkräftig ein, als beim folgenden großen Kirchenschisma drei Päpste auf einmal regierten, um sich einander zu verfluchen? – Proklamierte nicht Frankreich selbst 1798 zum Schaden des Papsttums eine neue römische Republik? Zog nicht Napoleon I. 1809 den Kirchenstaat ohne weiteres ein, indem er Pius VII. gefangen nach Frankreich führte und seinen Sohn zum König von Rom ernannte? – Nein, Freund Montal, das ewig egoistische und doppelzüngige Frankreich suchte nur seinen eigenen Vorteil, als es nach der Julirevolution den Kirchenstaat mit Österreich zusammen sieben Jahre lang besetzt hielt; war wieder nur auf seine Interessen bedacht, als es 1849 die fünfte, von Garibaldi gestiftete römische Republik dem Tode weihte!

»Nein, nein, ihr Franzosen habt keine Ursache, Italiens König Victor etwas vorzuwerfen! Wollt ihr uns Italienern etwas an die Nase hängen, so nennt es Torheit, Dummheit mehr, als Schmach und Schande, daß Garibaldi, unser populärster Held, es über sich gewinnen konnte, im Herbste vorigen Jahres nach Frankreich, nach Italiens jüngstem Feinde, hin zu eilen, um mit Franzosen gegen Italiens größte Wohltäter, die Deutschen zu kämpfen. Nur leidiger, hohler Ehrgeiz und krankhafte Ruhmsucht, glaube ich, trieb den Italianissimi zu jenem kläglichsten Schritte seines ganzen Lebens! Beneiden wir ihn nicht um diese letzte Jammerrolle, die fast Napoleons Unstern und Gericht verdunkelt! Ein jeder blamiert sich, so gut er kann, und Dummheit ist auch eine Gabe Gottes, aber man soll dieselbe nicht mißbrauchen!

»Der Liebling seines Volkes schließlich so verblendet? – Verblendeter als Frankreichs zweiter Kaiser, da er die Deutschen gegen sich in Waffen rief? – Ach, wer sich selber nicht bezwingen, den Egoismus, und wär's auch nur Ehrgeiz, nicht in Schranken halten kann, der ist kein wahrer großer Mann, der bleibt ein Charlatan, dem's eigene Ich weit über seinem Vaterlande steht. Das gilt vom edlen Mazzinisten Garibaldi, wie Carbonaris überhaupt, den meisten!

»Selbst Graf Orsini, welch kurzsichtiger Torengeist! Frankreich sollte Deutschland hindern, Österreich beizuspringen, das war der Weg zu jenes Patrioten Ideal! – Wie anders hat die Vorsehung gewaltet? Gerade konträr ging ihr Siegeslauf! Das deutsche Volk, es mußte Frankreich hindern, die Hände neu in unser Heil zu mischen. Deutschland sollte Österreich-Frankreich, unsern Doppelfeind, in zwei Aktionen aus dem Wege räumen!

»O Freund, erlaubt mir, daß ich wiederhole: Verachtet mir die Deutschen, sonderlich die Preußen nicht. Mir ist gewiß, der Romanismus aller Länder wäre längst am Ende, hätte nicht die Völkerwanderung sowohl uns Italienern, als den Spaniern und Franzosen durch Germanismus neues Leben eingehaucht! Und deutscher Geist heißt das Palladium unserer Zukunft: Vermählung mit germanischer Kraft und mit dem Saft der deutschen Energie! Italien insonderheit ist nur der Schweif von Deutschland! Es sollte geistig so oft nordwärts ziehen, als deutsche Kaiser weiland südwärts wallten.

In Piemont und Preußen aber reichen Süd und Nord sich stammverwandt die Hände; sie sind die geistigen Pioniere hüben, drüben; durch sie allein war möglich, was geworden: die deutsche Freiheit und Italiens Einheit! In Piemont und Preußen sollten Slawen und Romanen, mit den Deutschen vereint, die Bannerträger ihrer Bildung feiern! Sinn für Form und Klang, für Ton und Farbe, für Ebenmaß und Schönheit, das sind die Gaben, die den Italiener zieren und Allgemeingut aller Völker werden müssen. Gedankentiefe, Schaffenslust und Redlichkeit in Wort und Handlung und bei Spiel und Arbeit, das ist des deutschen Nationalcharakters Schmuck, den sich die welschen Staaten anzueignen haben!

»So lange jedoch Rom, das caput mundi, die alma città, die unangreifbare Höhle jenes Löwen war, den die gesamte Welt unter dem Namen Jesuitismus fürchtet, konnte von jenem Austausch der Gaben und Geister, von jener fruchtbaren Wechselbeziehung der Nationen nicht die Rede sein. Im Gegenteil, so lange glich die ewige Roma der giftigen Kreuzspinne, die ihr gefährliches Netz von einem Pole der Erde zum andern ausdehnt.

»So lange sich der Jesuitismus im katholischen Machtschoße Österreichs und Frankreichs sicher glaubte und Königgrätz und Sedan nicht geschlagen waren, durfte Piemont sich nicht einmal erlauben, den heiligen Vater selbst vor jener Schlangenbrut zu schützen. Nun aber, binnen einer Stunde, weht Savoyens Fahne auf dem Ouirinal! Ein frischer Luftzug geht durch Romas Gräberstadt und siehe, das schwarze Kreuz der großen, giftigen Pfaffenspinne, die ihren Haupt- und Erbsitz in dem erst am 8. November 1870 aufgehobenen › Collegio Romano‹ hatte, es weicht dem roten Kreuze von Savoyen! – Evviva il Re gentiluomo, das Schwert Italiens! und: Evviva il Re galantuomo, der König Ehrenmann, Vittorio Emanuele!«

Die beiden Freunde stießen nur leise mit ihren Bechern an; dennoch aber hatten die übrigen Gäste jenes »Hoch« verstanden, und eine neues, lautes gemeinsames » Evviva« auf Victor Emanuel und Italien durchbrauste Morellis Osterie. Als dort bald darauf die Nachricht einlief, nur der Kronprinz Humbert werde heute feierlich in Rom einziehen, der König selbst habe aus Rücksicht für den » armen Gefangenen« im Vatikan auf die ihm zugedachte Ovation verzichtet, ward es wieder still unter den Gästen. Nun trank man schweigend auf edle Selbstbesiegung, auf großmütige Selbstverleugnung des

Kreuzes von Savoyen.

* * *

Herrosé & Ziemsen, G. m. b. H., Wittenberg.

 


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