Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Aus Lord Duncombes Sturm- und Drangperiode.

»Sie haben, verehrter Freund,« – so begann der Lord seine Beichte, »schon aus meinen früheren Mitteilungen gehört, welcher Art das Leben war, das ich in dem sonnigen Italien, entsprechend den ›noblen Passionen‹ eines reichen englischen Granden, und besonders entsprechend meiner wilden, ungestümen Natur, führte. Sie werden es mir ohne weiteres glauben, daß ich in diesem Augenblick nicht die Absicht haben kann, mich in ein günstiges Licht zu stellen, – und ich kann somit ohne Furcht, mißverstanden zu werden, sagen, daß in mir ein angeborener oder vielleicht von meinen trefflichen Eltern anerzogener Kern von edler Gesinnung war. Wäre dies nicht der Fall gewesen, so wäre ich wohl heute nicht in der Lage, überhaupt noch eine Beichte abzulegen. Ich hätte meine Sünden längst mit in das Grab genommen.

Nichtsdestoweniger lebte ich damals ebenso, wie mir Laune, Abenteuerlust und der Besitz überreicher Mittel es gestatteten. Meine Gefährten waren gleichen Schlages, wie ich; reich, unabhängig und genußsüchtig. Voraus hatten die meisten derselben vor mir die genauere Kenntnis des Landes und seiner Sitten, während mir in bezug auf jene unveräußerliche Dosis Ehrgefühl, von welcher ich vorhin sprach, fast alle von ihnen nachstanden. Sie können sich also denken, von welcher Art diese ganze Clique war. Trotzdem aber gehörten die jungen Leute den besten Ständen an, das heißt, – abgesehen von ihrer Geburt, – sie waren innerhalb der besten Stände wohlgelitten und besser angesehen, als manch ehrlicher und behutsamer armer Teufel, der die Moralität und Ehrbarkeit selbst war, aber niemals hoffen konnte, zur Jeunesse dorée gezählt zu werden.

Neapel war der Schauplatz meiner Taten. Sie kennen das alte Diktum:

Veder Napoli – e poi moire.

Es liegt wohl etwas Wahres darin. Nur muß man den unwiderstehlichen Reiz dieser Stadt nicht allein ihren allerdings unvergleichlichen landschaftlichen Schönheiten zuschreiben. Das Leben in Neapel – o, verehrtester Freund, wenn ich an das stürmische, heiße Blut denke, welches mir in jenen Jahren durch die Adern floß, so kann ich mich kaum wundern, daß ich von dem Strome der tollen Lust, die dort in jedem Lufthauche atmet, mit fortgerissen wurde.

Ich habe Ihnen schon gesagt, daß die Genossen meiner neapolitanischen Freuden aus ziemlich gemischten Elementen bestanden. Ich meine natürlich »gemischt« nicht in dem üblichen gesellschaftlichen Sinne, waren es doch meist junge, italienische Nobili, welche größtenteils, wie ich selbst, an überflüssiger Zeit und überflüssigem Gelde litten. Allein insofern waren diese Kumpane eine gemischte Gesellschaft, als so manche unter ihnen waren, welche mit dem »holden Leichtsinn« edle und achtungswerte Charaktereigenschaften verbanden, und so manche wiederum, welche neben dem hervorstechenden Hange zum flottesten Don-Juanismus auch noch eine Portion von Ehrlosigkeit und krasser Gewissenlosigkeit besaßen, die sie unter normalen Umständen eigentlich für die bessere Klasse der menschlichen Gesellschaft hätte unmöglich machen sollen.

Unter den letzteren zeichnete sich namentlich der Sohn eines reichgewordenen, neapolitanischen Großindustriellen, namens Carlo Berutti, aus, und dieser, – es klingt das erstaunlich, ist aber leider wahr, galt allgemein und zwar mit Recht als mein Intimus, als der treueste und anhänglichste Gefährte in all meinen jugendlichen Extravaganzen. Ich muß zu meiner Entschuldigung anführen, daß ich zu der Zeit, als ich mit Berutti den meisten und intimsten Verkehr pflegte, die ganze Häßlichkeit dieser Natur keineswegs kannte; sie wurde durch eine geradezu imponierende Schönheit des Äußeren in auffallender Weise verdeckt. Der junge Sproß des reichen Emporkömmlings hatte eine vortreffliche Erziehung genossen, welche seine natürlichen intellektuellen Anlagen in so bedeutendem Maße entwickelt hatte, daß er vermöge derselben viele seiner edelgeborenen Genossen gründlich in den Schatten stellte und sich auch in die höheren Gesellschaftssphären nicht nur ohne alle Schwierigkeiten hineinzulancieren, sondern auch mit dem größtmöglichsten Erfolge auf diesem schlüpfrigen Boden sich zu erhalten verstand. Sein Geld öffnete ihm zuerst unschwer Tür und Tor, und wenn er einmal die Schwelle eines solchen exklusiven Kreises überschritten hatte, dann fand man an diesem geistsprühenden, weltgewandten, jungen Manne, welcher mit seinen wahrhaft mephistophelischen Insinuationsgaben die Männer durch ernste, geniale Unterhaltungen, die Frauen durch seine zwanglosen Galanterien für sich zu gewinnen verstand, bald so anziehend, ja so unentbehrlich, daß zu jener Zeit in Neapel, in den aristokratischen Kreisen, wohl kaum eine Festlichkeit, kaum eine Familienfeier, eine Landpartie oder dergleichen stattfand, bei der nicht Carlo Berutti das agens movens, der Spaßmacher für die jüngere Welt, der geduldige und verständige Zuhörer der langweiligsten Konversationen in den Kreisen der bejahrten Herren und Damen gewesen wäre.

Es muß wohl eine gewisse Ähnlichkeit in unserer gesellschaftlichen Stellung, eine Art von Rivalität gewesen sein, die uns zuerst für einander interessierte und zusammenführte. Von Rivalität kann ich hier mit Recht sprechen, denn es war in Neapel eine unbestrittene Tatsache, daß ich mich mit Berutti in die Rolle des tonangebenden »Löwen der Gesellschaft« teilte. Wir hatten in der Tat sehr viele Berührungspunkte. Abgesehen von meiner Ebenbürtigkeit in bezug auf äußere Mittel, war ich auch, – ich als alter Mann darf das jetzt ohne Erröten sagen, – von der Natur in ähnlicher Weise mit Gaben der Natur ausgestattet. Es fehlte mir weder an den Vorzügen des Körpers, an äußerlicher Schönheit, noch an den Vorzügen des Geistes, das heißt an gediegenen Kenntnissen, den Früchten einer so vorzüglichen Erziehung, wie die Peers meines Landes eben ihren Kindern zu geben vermögen, und an jenem Feuergeist, jenem » esprit«, der jedem, selbst dem größten Halunken, auf längere oder kürzere Zeit in dieser hohlköpfigen »Gesellschaft« eine hervorragende Stellung schafft.

Es konnte unter den obwaltenden Umständen nicht ausbleiben, daß das beständige: »Gut gebrüllt, Löwe!«, das von seiten des Elite-Publikums gerade uns beiden für unsere extravaganten Streiche und geistreichen Salonwitze gespendet wurde, unsere gegenseitige Aufmerksamkeit erregte und uns öfters veranlaßte, uns gewissermaßen in unseren Leistungen zu messen. Das Interesse des einen für den andern wuchs, als wir gewahr wurden, daß wir in jeder Beziehung ebenbürtige Wettkämpfer waren, und ich darf von mir behaupten, daß es nicht Neid, sondern das Gefühl einer gewissen Bewunderung war, welches ich bei dieser Entdeckung empfand. Wenn ich so, wie heute, nach Jahren dieses Verhältnis betrachte, so ist es mir nur zu klar, daß das böse Element in Berutti einen solch gefährlichen Nebenbuhler gar nicht dulden durfte, und daß im tiefsten Innersten seines Herzens der bitterste Neid, ja vielleicht sogar Haß, die Triebfeder war, die ihn anspornte, – meine Freundschaft zu suchen. Instinktiv sah er wohl in mir gewisse ebenbürtige Veranlagungen, die sich unter entsprechender mephistophelischer Leitung recht gut würden ausbeuten lassen, um mich physisch und moralisch zu ruinieren.

So erklärt sich am besten der auffällige Umstand, daß Berutti meine Freundschaft in einer Weise suchte, die an Eifer einem Pylades seinem Orest gegenüber alle Ehre gemacht haben würde. Und er suchte nicht vergebens. Es gelang ihm in der Tat, sich in der nachdrücklichsten Weise bei mir zu insinuieren. Empfänglichen, leicht erregbaren Gemütes wie ich war, völlig fern von jener steifen Zurückhaltung, die man gewohnt ist, meiner Nationalität zuzuschreiben, gab ich mich ohne viel Bedenken dem eigentümlich faszinierenden Eindruck hin, den dieser Mann auf mich machte. Sein einnehmendes Wesen, sein sprühender Geist, sein unverwüstlicher Humor beeinflußten mich in demselben Grade, wie andere Leute, zu seinen Gunsten, und vor dem vielen Lichte konnte ich über einige Schatten seines Charakters, die ich damals schon fast instinktiv zu bemerken glaubte, unschwer hinwegsehen.

So wurden wir denn, was die Welt nennt, Freunde. Wie konkurrierende Firmen etwa, die einander nicht aus dem Sattel zu heben vermögen und nach einigen verzweifelten Versuchen den Kampf aufgeben, um » viribus unitis« aller anderen Konkurrenz die Spitze zu bieten, – so assoziierten wir uns, und unsere Firma marschierte alsbald unbestreitbar an der Spitze der gesamten Jeunesse dorée der Golfstadt. Ich muß ausdrücklich bemerken, daß Berutti insbesondere alles tat, um diesen Freundschaftsbund immer fester zu schmieden, und daß selbst in solchen Stunden, wo eine innere Stimme, unklar, aber doch vernehmlich, mir warnend zuflüsterte, mich von dem Einflusse dieses Mannes loszureißen, und ich absichtlich mich kalt zurückzuziehen versuchte, es ihm stets gelang, vermöge seiner geradezu wunderbaren Insinuationsgabe, sich in meinem Vertrauen festzusetzen.

Ich habe mit Absicht bei der Genesis dieses unseligen Freundschaftsverhältnisses etwas länger verweilt, um Ihnen einen klaren Einblick in die Beziehungen zu geben, welche zwischen uns beiden bestanden, weil Sie nur dann den mächtigen Einfluß begreifen können, den Sie im Folgenden diesen Mann auf mich werden ausüben sehen.

Wenn ich vorhin von dem galanten und im allgemeinen lockeren, verschwenderischen Leben sprach, das wir beide führten, so muß ich doch besonders betonen, daß ich, so sehr ich dabei beteiligt war, so begeistert ich in dieses rasche Tempo des Lebens mit einstimmte, doch niemals etwas beging, worüber ein Mann von Ehre hätte zu erröten brauchen. In diesem Punkte dürfen Sie mich also nicht mißverstehen, und – wollte Gott, ich hätte Carlo Berutti niemals gesehen, dann würden mir meine alten Tage wohl all die Gewissensqualen, die ich heute empfinde, erspart geblieben sein.

Erlassen Sie mir die Schilderung unserer Fahrten und Abenteuer. Bei Leuten unseres Schlages gleichen sich die Passionen und Handlungen wie ein Ei dem andern, und Sie, der Sie das Leben in dem flotten Seine-Babel kennen, bedürfen nicht erst einer Schilderung der Heldentaten, mit denen sich reiche, junge Müßiggänger die Zeit vertreiben.

Zu unserer, ich meine zu Beruttis und meiner Ehre, – denn wir beide waren, wie gesagt, von jener Zeit an unzertrennlich, – sei es gesagt, daß wir übrigens auch für edlere Vergnügen, als sie in der Trias »Lied, Liebe und Wein« sich darbieten, Zeit fanden. Wir reisten viel umher, und ich darf sagen, daß gerade auf diesen Reisen durch Italien, auf denen Berutti mit seinen gediegenen Kenntnissen von Land und Leuten mir gegenüber fast die Rolle eines Mentors spielte, und in seinen oft wirklich interessanten und lehrreichen Erklärungen unermüdlich war, sich sein Einfluß auf mich begreiflicherweise fester setzte, denn jemals zuvor. – – Und doch, – gerade einer dieser Streifzüge sollte mir verhängnisvoll werden.

Wir hatten, als uns einmal der Boden in Neapel etwas heiß geworden war, einen abenteuerlichen Abstecher nach den Abruzzen gemacht, in der Hoffnung, etwas von dem vielbesungenen, romantischen Brigantenwesen, welches verschieden war von der unter pfäffischer Oberhoheit jetzt daselbst herrschenden Räuberei »zur größeren Ehre Gottes«. Wir waren nur von meinem wackeren Bloxam, dessen Treue und Anhänglichkeit an mich Sie ja jetzt selbst kennen gelernt haben, begleitet. Dieser, mir fast gleichalterige Sohn Erins, war für uns mit seinem echt nationalen, barocken Humor ein Gegenstand fortwährender Heiterkeit, und wäre es wohl noch mehr gewesen, hätte sich nicht zwischen ihm und meinem Reisegefährten schon in Neapel nach und nach ein Verhältnis herausgebildet, welches sehr fern war von den freundschaftlichen Beziehungen, die zwischen mir und Berutti, oder der gegenseitigen Wertschätzung und Zuneigung, die zwischen dem Herrn und dem Diener herrschte. Sie wissen, daß auch viele Irländer, ähnlich den Schotten, sich der mysteriösen Gabe des sogenannten »zweiten Gesichtes« rühmen, und mein Bloxam wollte diese in ganz hervorragendem Grade besitzen, eine Behauptung, an welcher er übrigens auch jetzt in seinen alten Tagen noch festhält. Natürlich wurde er von mir nicht selten ob dieser Sehergabe verlacht. Indessen bleibt nach Abstreifung des auf Phantasie beruhenden Gewandes dieser Angelegenheit die Tatsache übrig, daß diese urwüchsigen Naturen von der »grünen Insel« eine Portion natürlicher Menschenkenntnis besitzen, welche ich schon oft in ganz erstaunlicher Weise habe betätigt gesehen.

Was nun Bloxam anbetrifft, so wollte er vermöge seines »zweiten Gesichtes« schon in Neapel ausfindig gemacht haben, daß es mit der innigen und selbstlosen Freundschaft Beruttis nicht so klar und rein bestellt sei, wie es den Anschein hatte. Es war geradezu auffällig, welchen Widerwillen der Bursche gegen meinen Freund und Reisegefährten hegte, und es ging so weit, daß ich zuweilen meine ganze Autorität anwenden mußte, um ihn von einem allzudeutlichen, beleidigenden Zurschautragen seiner antipathischen Gefühle zurückzuhalten. Letzteres war allerdings so gut wie zwecklos, denn trotz der mindestens gleichgültigen Miene, die Bloxam meinem strengen Befehle entsprechend dem Neapolitaner gegenüber zeigte, war dieser doch viel zu scharfsichtig, um sich durch dieselbe auch nur im entferntesten täuschen zu lassen. Er durchschaute vielmehr recht wohl die wahren Gefühle, welche Bloxam gegen ihn hegte, und, – ich bin heute fest davon überzeugt, – er erwiderte dieselben von ganzem Herzen. Damals ließ er dies jedoch keineswegs merken. Im Gegenteil; der Umstand, daß er mit scheinbar liebenswürdigem Humor die ebenso drollige, wie offenkundige Abneigung meines Dieners du haut en bas betrachtete, und anscheinend großmütig dieselbe mit einer gewissen neckischen Zuneigung erwiderte, trug nicht wenig dazu bei, Carlo Berutti in meinen Augen in ein entschieden vorteilhaftes Licht zu stellen. Soviel ist sicher, daß ich diesen Schrullen meines getreuen Bloxam damals nicht die mindeste Beachtung schenkte, alle seine Warnungen einfach verlachte und mich ganz und gar dem eigentümlichen Zauber hingab, welchen mein interessanter Freund und Gefährte auf mich auszuüben verstand.

Doch ich komme zu unserem Abruzzen-Ausfluge zurück. Unsere Hoffnung, daselbst interessante Abenteuer zu bestehen, etwa einmal einen unfreiwilligen Aufenthalt von einigen Tagen in einer interessanten Räuberhöhle durchzumachen, oder eine pikante Banditenbraut zu entführen, sollte sich nicht im mindesten erfüllen. Mit Ausnahme einiger handgreiflichen Streitigkeiten, die wir in verschiedenen Dörfern der Abruzzen mit eifersüchtigen Neapolitanern ausfochten, denen unsere Galanterien gegen die Landschönen verdächtig vorkamen, passierte uns eigentlich gar nichts, was nur irgendwie dazu angetan gewesen wäre, unsere Sehnsucht nach tollen, aufregenden Abenteuern zu befriedigen.

Als wir nun sahen, daß nach dieser Richtung hin uns die Abruzzen das versagen zu wollen schienen, was sie anderen Reisenden, ganz gegen deren Willen, in nur allzu großer Freigebigkeit gewährten, beschlossen wir, wieder umzukehren.

Nach der Stadt Neapel zwar beabsichtigten wir noch nicht zu gehen, dennoch sehnten wir uns nach ein wenig mehr Zivilisation. Berutti schlug das herrlich gelegene Castellammare vor, welches ich nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen, in dem mein Begleiter aber einen großen Teil seiner ersten Jugend verlebt hatte, und welches er daher, wie er mir wiederholt versicherte, so gut kannte, wie seine eigenen Taschen. Er schien sich sehr viel von dem Aufenthalte daselbst zu versprechen, und malte mir, mit seiner packenden Schilderungsgabe, goldene Berge von Genüssen vor, die meiner daselbst warteten, wenn ich mich vertrauensvoll seiner auf Lokalkenntnissen beruhenden, kundigen Führung überlassen wollte. Es war selbstverständlich, daß wir sehr rasch einig waren. Unter wir verstehe ich Carlo und mich, denn Bloxam machte ein saures Gesicht dazu, wie zu jedem Vorschlage, welcher direkt der Initiative Beruttis entsprang.

Wenn ich vorhin sagte, daß es vorläufig nicht in unserem Wunsche lag, nach Neapel zurückzukehren, so ist dies insofern nicht ganz richtig, als eigentlich Carlo ausschließlich derjenige war, welcher sich energisch einer sofortigen Rückkehr nach der Golfstadt widersetzte, während ich für meinen Teil keinen Grund hatte, länger von den gewohnten Kreisen daselbst, in denen ich jederzeit einer freundlichen Aufnahme gewiß war, fern zu bleiben. Auffällig war hierbei, daß dieser Widerwille Beruttis, nach Neapel zu gehen, eigentlich sehr plötzlich entstanden war. Mir wenigstens schien es so, obwohl er jeden scherzhaften, dahinzielenden Vorwurf meinerseits auf das Lebhafteste zurückwies. Bloxam brachte wiederum sein »zweites Gesicht« in Anwendung und raunte mir beständig in die Ohren, daß Berutti kürzlich aus Neapel einen Brief, anscheinend ebenso wichtigen, wie unangenehmen Inhaltes, bekommen habe, und behauptete mit aller Festigkeit, daß dieser Brief mit seiner plötzlichen Abneigung gegen seine schöne Vaterstadt in Verbindung stünde. Daß er einen Brief und auch Geld aus Neapel erhalten, – wir ließen uns unsere Gelder nach den verschiedenen Poststationen schicken, – war allerdings ganz richtig, er erklärte mir aber auf eine en passant hingeworfene Frage mit unbefangenem Lachen, daß der Brief nur ganz gleichgültige Nachrichten von einer überängstlichen Tante enthalten habe, welche den jungen Brausekopf nur sehr ungern in jene unwirtlichen und gefährlichen Abruzzengegenden habe pilgern sehen. So lag für mich denn in der Tat nicht der geringste Grund vor, auf die geheimnisvollen Andeutungen Bloxams irgend besonderes Gewicht zu legen. Freilich, – hätte ich damals einen argwöhnischen Charakter besessen, und hätte ich mich weniger vertrauensvoll dem sympathischen Eindrucke überlassen, den das glatte Wesen meines Reisegefährten auf mich ausübte, so hätte ich unbedingt eine eigentümliche Veränderung in dem Wesen Carlos bemerken müssen, die in der Tat etwa seit jener Zeit, wo er den erwähnten Brief aus Neapel erhalten hatte, datierte. Es lag, wie ich mich später recht wohl zu erinnern wußte, etwas Gezwungenes, Krampfhaftes in seinem Benehmen, das mit seiner bisherigen eleganten Ungezwungenheit entschieden kontrastierte.

Er legte ein förmlich auffälliges Gefallen für das unstete Touristenleben an den Tag, pries mit begeisterten Worten die Ungebundenheit desselben, redete mir mit der ihm eigenen Geschicklichkeit jeden Gedanken an eine baldige Rückkehr nach Neapel aus, trank unsinnig viel Wein und, – ich kann es nicht leugnen, – riß auch mich mit fort zu einer Art von wilder, rücksichtsloser Stimmung. Mit einem Worte, Carlo Berutti war von einer Wildheit, einer ausschweifenden, tollen Lustigkeit, welche selbst bei diesem ungestümen und leichtlebigen Menschen etwas Unnatürliches hatte und mir auch zweifellos als unnatürlich aufgefallen wäre, wenn ich nicht, – wie unbewußt, – selbst von diesem Ungestüm mit fortgerissen, in den Ton eingestimmt hätte, den jener anschlug.

Ich will Sie nicht mit der Schilderung der an Orgien grenzenden Lustbarkeiten erschrecken, welche wir mit wunderbarem organisatorischen Talent überall da anzustellen verstanden, wo wir auf unserer Reise trinklustige Gesellen und hübsche Weiber fanden. Doch will ich auch zu meiner eigenen Rechtfertigung hinzufügen, daß ich damals, also ehe wir nach Castellammare kamen, nichts begangen habe, was fähig gewesen wäre, mir bis heute das Gewissen zu belasten und mich, wie ein drohendes Gespenst, von Zeit zu Zeit selbst in den sonnigsten Tagen meines späteren Lebens in die finsteren Regionen der Melancholie zu jagen.

Noch eine bemerkenswerte Veränderung in dem Gebahren meines Reisegefährten muß ich erwähnen, welche mir allerdings damals schon auffiel, ohne daß ich jedoch geneigt gewesen wäre, derselben eine besondere, für die Beurteilung Beruttis ungünstige Wichtigkeit beizulegen. Ich hatte schon gesagt, daß Carlo der Sohn eines reichen Mannes war, und auch in Neapel und auf allen unseren Reisen als solcher auftrat. Geld war für ihn von keiner Bedeutung. Wir ließen uns namhafte Geldsendungen nach unseren unterschiedlichen Haltestationen senden und fanden uns nie oder doch sicherlich sehr selten in der Lage, die Lires zu schonen und uns aus Sparsamkeitsrücksichten irgendwelche Genüsse zu versagen. Dabei lebte jeder prinzipiell aus seiner eigenen Tasche. Wir waren übereingekommen, in diesem Punkte jeden Kommunismus zu vermeiden.

Auffällig zum mindesten war es darum, daß in jener Zeit, an welche ich jetzt in meiner Erzählung gelangt bin, Berutti sehr häufig meine Tasche in Anspruch nahm, unter dem Vorwande, daß er den heroischen Entschluß gefaßt habe, etwas sparsamer zu werden, und daher von seinem Bankier jetzt weniger Geld bezöge. Wenn er nun, so erklärte Carlo weiter, auch hier und da meine Freundschaft in Anspruch nehmen müsse, um kleine, durch jene Enthaltsamkeit entstehende Lücken zu decken, so sei es doch natürlich, daß er moralisch gezwungen sei, von dieser Freiheit einen nur sehr mäßigen Gebrauch zu machen, und so würde sich denn bei der Rückkehr nach Neapel doch ein bedeutendes Ersparnis herausstellen, welches er nimmer erzielen könne, wenn er nach wie vor die Taschen voll seines eigenen Geldes hätte. So sonderbar, fast komisch, mir auch dieses höchst originelle Sparsystem vorkam, so verstand es doch Berutti mit einem so unwiderstehlichen Humor zu entwickeln und mir in so ungezwungener Weise plausibel zu machen, daß ich keinen Grund hatte, in die Aufrichtigkeit seiner Motive irgendeinen Zweifel zu setzen. Bei einem so originellen Charakter, welcher überhaupt nicht gewohnt war, sich an die ausgetretenen Pfade alt hergebrachter Ansichten und Gewohnheiten zu halten, war eben alles erklärlicher und entschuldbarer, so meinte ich, als bei einem der gewöhnlichen Alltags- und Durchschnittsmenschen. Und so lachte ich denn über seine ökonomische Logik, nannte ihn scherzweise das größte italienische Finanzgenie – und offerierte ihm ohne das geringste Bedenken, bei jeder Gelegenheit, wo er dies wünschte, meine Börse.

Unter solchen Verhältnissen kamen wir nach Castellammare und bezogen ein kleines Haus, an dem Ende des lieblichen, damals keine 15 000 Einwohner zählenden Städtchens, welches dem Golfe am nächsten lag und zugleich als der ruhigste und abgelegenste Teil der Stadt galt, wo meistens solche Leute wohnten, deren Mittel es gestatteten, ganz nach eigenen Wünschen und fern von dem, allerdings nicht sehr lebhaften geschäftlichen Getriebe der Stadt zu leben. Berutti selbst hatte das Häuschen, welches natürlich für uns drei eigentlich noch zu groß war, ausgesucht, auf Grund seiner Lokalkenntnisse, wie er sagte, und nachdem er mir feierlichst erklärt hatte, daß für uns alles und jedes der geplanten Amusements abgeschnitten sei, wenn wir eines der, übrigens miserablen Hotels der Stadt bezögen. Mir war es recht, denn auch ich zog, nach echt englischer Gewohnheit, selbst auf Reisen das ungebundene Privatwohnen dem Hôtelleben ganz bedeutend vor.

Über unsere ersten Schritte in Castellammare läßt sich wenig Bemerkenswertes sagen. Berutti war aufgeregter, zu wildestem Lebensgenusse geneigter, denn je, ich meinesteils ließ mich nur allzusehr von ihm leiten, und – Bloxam brummte fast Tag für Tag, hielt mir Moralpredigten in seinem breiten irischen Dialekt und entwickelte beständig, wenn wir einmal, was nicht oft geschah, allein waren, seine immer mehr wachsende ungünstige Meinung von Berutti.

Wir knüpften natürlich auch in den feineren Kreisen Castellammares Bekanntschaften an, doch – inkognito. Zur näheren Erklärung muß ich hinzufügen, daß dies ganz meinem Wunsche entsprach. Weder die haute volée, noch die sonstige Bevölkerung von Castellammare brauchte zu wissen, auf welche Art und Weise der junge Lord Duncombe und sein Freund Carlo Berutti ihre Menschenkenntnis praktisch erweiterten. Es war für die Leute vollständig ausreichend, zu wissen, daß ein reicher Engländer, namens William Berford, und ein nicht minder reicher Neapolitaner, namens Carlo Donelli, die Gnade hatten, einen Teil ihres Reichtums in den Mauern Castellammares zu lassen und, soviel in ihren Kräften stand, zur Bereicherung der chronique scandaleuse der Stadt beizutragen. Man ist, wie Sie wissen, in Italien und ganz besonders in Neapel dem Gelde gegenüber nicht prüde, und so öffneten sich uns alle Türen, auch der feineren Kreise, ohne die geringsten Schwierigkeiten. Niemand kannte uns genauer, selbst Berutti, der, wie ich schon bemerkt, seine Kindheit in dieser Stadt verlebt hatte, ward von niemandem erkannt, und nichts hinderte uns daher daran, uns gehen zu lassen in des Wortes verwegenster Bedeutung.

Wir waren etwa vierzehn Tage in Castellammare, und in dem Benehmen Carlos hatte sich nichts geändert, außer daß er etwa noch erregter war, als bisher, und sehr häufig allein ausging, um dann mit einer ans Krampfhafte grenzenden lustigen Laune heimzukehren. Ich fragte ihn niemals, wo er gewesen, und er schien es absichtlich zu vermeiden, mir darüber irgendwelche Auskunft zu geben. Dennoch ward zu jener Zeit die innere Stimme, welche mich vor diesem Menschen warnte, stärker und eindringlicher, als je zuvor. Mehr denn einmal, oft gerade wenn ich am meisten von den leuchtenden Geistesblitzen dieser sonderbaren Natur frappiert und geblendet war, erschien mir das Bild des Mephisto im Geiste, wenn ich in diese interessanten Züge mit den scharfen, oft lauernden Augen blickte, und ich fragte mich selbst verwundert, worin die magische Gewalt nur liegen könne, die mich so eng an diesen Mann kettete, Schwäche und Energielosigkeit im gewöhnlichen Sinne war es sicherlich nicht. Es war eine Art von dämonischem Einflusse, unter dem ich mich beugen mußte, und dem ich zu meinem Schaden mein Ohr mehr lieh, als für die Ruhe meines Herzens gut gewesen ist.

Doch zurück zu Berutti. Ich sagte schon, daß er jetzt häufiger, als sonst der Fall gewesen war, seine eigenen Wege ging, und in seinem Gemüte, so sehr er auch bemüht war, dies durch tolle Ausgelassenheit zu übertünchen, irgendwelche fremde, störende Elemente tobten, welche ihn gewissermaßen aus dem Gleichgewichte brachten. Bloxam erklärte mir rund heraus, – und er beobachtete ihn ohne Zweifel scharf und unablässig, – Berutti sei drauf und dran, mit dem Gottseibeiuns zu paktieren, und wenn ich mich nicht bald von dem Menschen losmachte, so werde er mitsamt seinem höllischen Patron mir und meinem ergebenen Diener den Hals umdrehen.

Eines Abends, es war am Schlusse eines rauhen Oktobertages, so rauh, als unter jenen sonnigen Breiten überhaupt ein Tag sein kann, – und unauslöschlich ist der Abend meinem Gedächtnisse eingeprägt, – erschien Berutti, wie häufig in der letzten Zeit, ziemlich spät und offenbar mit weinseligen Augen in meinem Schlafzimmer, welches von dem seinigen nur durch einen schmalen Korridor getrennt war. Ich hatte an dem Tage mit einer befreundeten Familie, unter deren Töchterreichtum ich ein liebliches, kleines Blümchen entdeckt hatte, und der ich in meiner damals beliebten Weise energisch den Hof machte, einen Bootausflug nach der nahegelegenen Insel Capri gemacht, war von den Eindrücken dieses Picknicks und den angestrengten Galanterien etwas ermüdet, und hatte mich daher zeitiger, als sonst, zur Ruhe begeben. Doch ich schlief nicht, sondern blätterte, zu abgespannt, um mich vollständig in Morpheus' Arme zu werfen, in irgendeinem Werke moderner italienischer Literatur, – eine Beschäftigung, der ich mich oft und mit größerem Ernste, trotz meiner flotten Lebensweise, hingab. Das Licht der neben meinem Bette stehenden Lampe warf einen hellen Schein auf das Gesicht des eintretenden Neapolitaners, und ich erinnere mich genau, daß mir in demselben Augenblicke ein kaltes Grausen den Rücken hinabrieselte. Das dunkle Augenpaar, das mir entgegenstrahlte, hatte momentan einen so lauernden, so dämonischen Ausdruck, doppelt intensiv und zugleich abschreckend durch die heiter lachende Miene des Gesichtes, die wiederum mit der Blässe der Erregung, welche die Wangen des Eintretenden zur Schau trugen, kontrastierte, – daß ich unwillkürlich mich im Bette aufrichtete und meine Hand im ersten Impulse nach dem Revolver zucken wollte, welcher stets unter meinem Kopfkissen lag. Doch ich besann mich rasch eines besseren und schämte mich fast meines Angstgefühles, als Carlo sich auf einen vor meinem Bette stehenden Stuhl warf und so laut und herzlich zu lachen anfing, wie man es eigentlich von Dämonen oder nächtlichen Einbrechern nicht zu hören gewohnt ist.

» Diavolo!« rief er endlich, noch immer lachend. »Wenn ich nicht wüßte, daß du in einem meiner landsmännischen Poeten studiertest, – ich würde wahrhaftig geneigt sein, zu glauben, Se. Lordschaft hätten sich mit Geistergeschichten aufgeregt, und geruhten augenblicklich in meiner Wenigkeit ein dem Grabe entstiegenes Schreckgespenst zu sehen!«

Er mußte also doch mein unwillkürliches Erschrecken mir von den Zügen gelesen haben. Das war mir nicht lieb, denn ich gab mir nicht gern vor ihm eine Blöße. So zwang ich mich denn zu einem sehr unbefangenen Lächeln und sagte, indem ich mich in meine Kissen zurücklehnte:

»Fehlgeschossen, Freund Carlo! Als eine Geistergeschichte kann ich das Geschreibsel deines verehrten Landsmannes hier keineswegs betrachten, denn es ist das gerade Gegenteil – eine ganz auffällig geist lose Geschichte, die eine wohltuend einschläfernde Wirkung auf mich ausgeübt hat. Wenn du also, ein Umstand, irgend etwas Schreckhaftes in meinem Gesichtsausdrucke gesehen hast, so bitte ich dich, dies einem aus dem Halbschlafe urplötzlich Aufgescheuchten gütigst zu vergeben.«

»Allergnädigst gewährt!« erwiderte er mit kurzem Auflachen. »Doch – pah, dir wird das Schlafen vergehen, wenn ich dir etwas erzähle, was ich heute abend entdeckt. O, Freundchen, uns hat ein guter Stern nach Castellammare geführt! Entzückend, sage ich dir, entzückend!«

Ich glaubte die Wirkung starken Weines aus seiner erregten Stimme herauszuhören. Er war sonst durchaus nicht gesprächig nach der Heimkehr von seinen einsamen Streifereien. Da ich daher eine etwas langatmige, von Weinbegeisterung durchglühte Liebesgeschichte von der unter uns bekannten Sorte zu hören fürchtete, so stellte ich mich noch schläfriger, als ich tatsächlich war, und sagte:

»Höre, Berutti, störe die Wirkung, welche dein Landsmann auf mich ausgeübt hat, jetzt nicht. Du würdest mir keinen Gefallen damit erweisen. By Jove, ich glaube, wir haben morgen an den zwölf langen Tagesstunden Zeit genug, einander unsere tollen Streiche zu beichten. Dann kann ich dir auch etwas erzählen. Die kleine Allessandra – –«

»Bah – Mensch, um Gotteswillen sprich mir nicht von dieser patrizischen Zierpuppe!« fiel er mir ins Wort. »Angelika mußt du sehen, du mußt –«

Hier war an mir die Reihe des Unterbrechens. Seine Emphase war so auffällig und in der Tat, bei solchen Liebesaffären, wie man von einem doch mehr oder minder blasierten Menschen voraussetzen darf, so ungewohnt, daß ich mein Erstaunen wirklich nicht zurückhalten konnte. Sollte diese Don Juan-Natur sich ernstlich verliebt haben? Ich gab meinen Gefühlen Worte, indem ich ausrief:

»Nun sage mir doch aber, was dir heute in die Krone gefahren ist! Bist du denn wirklich noch derselbe Carlo Berutti, der Weiberverächter, in dessen Augen die Frauen nur Spielzeug zu sein scheinen? Du machst ja Augen wie ein arkadischer Schäfer, und deine Aufregung ist geradezu überwältigend!«

Ich weiß nicht, ob er Ironie, ob er Mißtrauen aus meinen sicherlich aufrichtig gemeinten Worten herauszulesen glaubte, – jedenfalls veränderte sich sein Wesen momentan. Er wurde kühler und schien den Eindruck, den er auf mich gemacht, wieder verwischen zu wollen.

»Bah,« sagte er, von dem Sessel wieder aufspringend und die Hände nachlässig in den Hosentaschen haltend. »Weiberhasser! Das ist denn doch eine etwas schlecht gewählte Bezeichnung für meine Gefühle dem schönen Geschlecht gegenüber. Ich bin den Weibern gegenüber, weil ich ihren Wert im allgemeinen zu kennen glaube, allerdings Skeptiker, und daher vollständig unfähig, jemals die Rolle des ernstlich verliebten Galan zu spielen. Aber hassen? Keineswegs! Im übrigen erlaubt mir die Objektivität, mit welcher ich imstande bin, weibliche Reize zu bewundern, ganz ungeheuer selbstlos meinem verehrten Freunde und Lord gegenüber zu sein, und ihn bedingungslos an der Freude über eine derartige Entdeckung teilnehmen zu lassen. Namentlich wo es sich –«

Hier unterbrach er seine Auseinandersetzung mit einem lauten Lachen, welches meine Neugierde herausforderte.

»Willst du nicht etwas deutlicher sein? Dein Lachen sagte sehr viel, und auch wiederum sehr wenig!«

»Nun, verehrter Freund!« versetzte Carlo. »Du bist, wie unsere beiderseitige Erfahrung gelehrt hat, mehr für platonische Liebe geeignet, ich, eh bien, wie soll ich mich ausdrücken, – etwa für praktische Liebe. Und wo die letztere, wie hier, nicht am Platze, da lasse ich dich gern die erste Geige spielen!«

Er hatte in diesem Punkte nicht unrecht. So wenig prüde und dem Minnedienste im niedrigeren Sinne des Wortes ich abhold war, so darf ich doch zu meinem Gunsten konstatieren, daß bis dahin durch mich noch nicht Glück und Ehre eines tugendhaften Mädchens zerstört worden war, und auf mir noch nicht der Fluch eines seines höchsten Kleinods beraubten Elternpaares lastete.

Ich begnügte mich, seine Anspielung mit einem Lächeln zu beantworten.

»Wisse also,« fuhr er fort, »daß ich eine Perle gefunden habe, die bisher tatsächlich vor die Säue geworfen worden ist. Sie liegt jetzt noch gewissermaßen im Schmutz, und doch, Wunder über Wunder, sie erscheint mir sogar – unantastbar.«

»Allerdings wunderbar,« bemerkte ich ironisch.

»Aber du mußt sie sehen!«

»Weshalb?«

»Weil du eigentlich weniger ein Don Juan, als ein Don Quijote bist!«

»Wiederum rätselhaft!« erwiderte ich.

»Keineswegs!« sagte er mit kurzem Auflachen. »Ich will dir eine Dulcinea schaffen!«

»Seit wann diese kupplerischen Gelüste?«

»Oh, du mißverstehst mich heute wirklich mit bewundernswerter Hartnäckigkeit. Ich habe dir ja schon angedeutet, daß wir es hier mit einem Gegenstande zu tun haben, bei dem selbst das schlaueste Weib nicht imstande wäre, sich einen Kuppelpelz zu verdienen. Wenn ich von einer Dulcinea spreche, so meine ich damit ein Weib, welches einen Don Quijote braucht, der als uneigennütziger Ritter sie aus den Händen eines Drachen, Riesen, Zwergen, Zauberers oder irgendeines ähnlichen Ungeheuers befreit.«

Ich hatte mir, wie gesagt, die Achtung vor dem weiblichen Geschlechte in seinen edlen Vertreterinnen bewahrt, und die Anspielungen Beruttis, wenngleich er sie in seinem gewöhnlichen spielenden, scherzenden Tone vorbrachte, verfehlten nicht, ein gewisses Interesse in mir wach zu rufen. Die Rolle des schützenden Ritters hatte mir stets behagt, und nicht selten hatte ich auf unseren Wanderfahrten, zum größten Entsetzen meines getreuen Sancho-Pansa-Bloxam, meine Haut zu Markte getragen bei Befreiung irgendeiner ländlichen Unschuld aus den Klauen eines meiner rücksichtslosen Genossen, soweit dies überhaupt in meiner Macht lag.

»Ich möchte dich nun aber wirklich bitten, deutlicher zu sprechen,« sagte ich. »Darf ich doch wohl kaum annehmen, daß du mich des Schlafes beraubt hast, lediglich um mir irgendein Abenteuer mit einer pikanten Courtisane zu erzählen!«

»Oh, nun sehe ich schon, daß du einigermaßen Interesse hast,« erwiderte er mit einer, wie mir schien, gemachten Nachlässigkeit. »Ich darf also annehmen, daß ich mit meiner Geschichte Gnade vor deinen Augen finden werde. Um kurz zu sein: Du sollst die Rolle der Vorsehung übernehmen.«

»Eine undankbare Rolle!«

»Undankbar, ja, aber ich kenne deine Liebhabereien, und weiß, daß du der letzte bist, welcher in solchen Angelegenheiten Dank erwartet oder gar verlangt.«

»Sehr schmeichelhaft, aber, – warum übernimmst du die Rolle nicht selbst?«

»Bah, weil ich unmöglich den Bock zum Gärtner machen kann!«

»Du bewegst dich wirklich fortwährend in Rätseln.«

»Daß ich nicht wüßte. Nach dem, was ich vorhin gesagt habe, müßte dir der Sinn meiner Worte vollständig klar sein. Ich besitze eben Offenheit genug, zu erklären, daß ich einem so reizenden Geschöpfe gegenüber absolut nicht fähig wäre, die nüchterne Rolle des Beschützers zu spielen. Wenigstens könnte ich dies nicht ohne Gefahr für mich und für sie!«

»Also einen Beschützer braucht das Mädchen?«

»Einen ernsten und treuen Freund!«

Er sagte dies in einem Tone, der von der leichtfertigen Klangfärbung, in welcher das ganze Gespräch bisher geführt worden war, völlig entfernt war. Mein Interesse wuchs.

»So erzähle!« sagte ich.

»Nun, das ist ziemlich einfach. Sie ist die Tochter eines Obsthändlers, in welchem ich durch einen Zufall vor einigen Tagen den enragiertesten Carbonari entdeckt, – ein Umstand, welcher uns sehr bald ins Gespräch brachte, welches sich so interessant gestaltete, daß der Alte mich aufforderte, mit ihm in seine Wohnung zu gehen. Es ist ein Original, ein Mensch, der viel in seinem Leben gesehen und Erfahrungen der sonderbarsten und interessantesten Art gesammelt hat. Du weiß, daß ich ein Freund von solchen kleinen Harunalraschid-Fahrten bin und mich besonders gern in das Studium origineller Volkscharaktere vertiefe. So ging ich denn unter dem Schutze meines Inkognito mit dem Alten nach seiner baufälligen Barracke, und dort – fand ich die Perle im Schmutze.«

»Inwiefern im Schmutze? Die Tochter eines ehrwürdigen Vaters, wenn auch von niederstem Stande, ist –«

»Oh, ich bitte dich, Freund, nicht diese Logik!« unterbrach er mich. »Von dem Stande des Alten spreche ich nicht. Der Bund, dem er angehört, bringt ihn uns ohnedies näher, und daß die Tochter sich mit Waschen in fremden Häusern ernähren muß, das macht sie in meinen Augen auch wahrlich noch nicht bemitleidenswert. Aber der Vater ist – ein Narr, oder richtiger ein egoistischer, gefühlloser Schuft, der vollständig in seinen politischen Neigungen und Interessen aufgeht und sich herzlich wenig um das Wohl und Wehe seines einzigen Kindes kümmert. Nicht allein, daß er sie mit Brutalität und Rücksichtslosigkeit behandelt. Er ist jetzt drauf und dran, ihr einen Ehemann seiner Wahl aufzuzwingen, von welchem er sich irgendwelche Vorteile verspricht, während das Mädchen ihre Liebe längst schon einem anderen geschenkt hat. Es ist die alte, so oft in Novellen bearbeitete Geschichte vom barbarischen Vater, der seine Tochter zu einer Ehe zwingen will, und von der unglücklichen Tochter, die den üblichen, ›armen Teufel‹ liebt.«

»Ja, woher weißt du denn das alles aber,« fragte ich, während, – ich vermag selbst kaum zu sagen, aus welchem Grunde, – das unklare, schlummernde Mißtrauen wieder in mir rege wurde. »Hat dir das heute der Vater alles erzählt?«

Es war ein kurzer, rascher Blick, mit dem Berutti mein Gesicht streifte. Und doch sah ich, daß er mit demselben im Fluge meine Gedanken lesen wollte. Vielleicht ahnte er die widerstreitenden Gefühle, welche in meiner Seele aufstiegen. Doch, wie gesagt, diese Musterung währte kaum eine Sekunde. Carlo erwiderte sehr ruhig:

»Der Vater? Nein, alles das, was ich dir bis jetzt in aller Kürze angedeutet habe, und was ich dir noch anzudeuten beabsichtige, hat mir der Vater allerdings nicht gesagt, obwohl ich ihn, wie bemerkt, schon öfters gesehen, und er mir wohl von seiner Tochter und deren ›verrücktem Eigensinn‹ gesprochen hat. Aber das, was ich heute gehört, kommt aus zuverlässigerer Quelle und bringt mehr Details.«

»So hast du heute die Tochter erst gesprochen?«

»Heute zum ersten Male gesehen und gesprochen.«

»Und doch warst du öfters in dem Hause des Alten?«

»Bereits ein Dutzend Mal!«

»Und wie kommt es, daß du mir niemals etwas davon erzählt hast? – Verstehe mich recht; ich mache, wie du weißt, nicht den geringsten Anspruch darauf, daß du mir über dein privates Tun und Lassen Rechenschaft ablegst, allein die Schweigsamkeit in diesem Falle widerspricht deinen sonstigen Gewohnheiten.«

»Du hast vollkommen recht, und dennoch ist die Sache sehr einfach. Ich kenne deine Sympathien für die italienischen Geheimbundschaften. Doch stehst du denselben oder doch einigen von denselben praktisch fern. Mein Obsthändler, der, nebenbei gesagt, wunderbarerweise von wallachischen Vorfahren abstammt, und den klangvollen Namen Miranescu führt, ist äußerst mißtrauischen Charakters und bezüglich seiner carbonarischen Mitgliedschaft äußerst vorsichtig. Er hätte sofort den ›Halben‹ in dir gewittert und wäre mir gegenüber auch verschlossen gewesen. Nun lag mir aber, da er mir verschiedene, für unsere Partei hochwichtige Aufschlüsse und Fingerzeige zu geben vermochte, – du kennst meine Stellung in unserer Partei, – vor allem daran, ihn sicher zu machen. Ich habe jetzt keine Rücksicht mehr zu nehmen, und, offen gestanden, ich würde auch im entgegengesetzten Falle nicht mehr Rücksicht nehmen, seit ich – Angelica Miranescu gesehen.«

»Aber wie ist es möglich, daß du sie erst so spät gesehen hast?«

»Weil sie in letzter Zeit eingesperrt gehalten worden ist!« rief Berutti mit aufrichtiger oder affektierter Heftigkeit. »Eingesperrt wie eine Verbrecherin, weil sie den armen Teufel von Studenten nicht gehen lassen und sich nicht dazu hergeben wollte, einen Saufkumpan ihres würdigen Vaters zum Manne zu nehmen.«

»Abscheulich!« rief ich, und mein leicht erregbares Gemüt faßte immer mehr und stärkeres Interesse für den Gegenstand von Beruttis Erzählung. »Und sie klagte dir ihr Leid? War es denn so leicht, ihr Vertrauen zu gewinnen?«

»In ihrem augenblicklichen Zustande dürfte es wohl einem jeden, selbst dem Fremdesten, gelingen, das Vertrauen des Mädchens zu gewinnen!«

»Ist sie so gebrochen?«

»Gebrochen? Allerdings, doch noch mehr, weit mehr, als das!«

»Wie soll ich das verstehen?«

Einen Augenblick pausierte Berutti wiederum, dann sah er mich mit ernsten Blicken an und sagte mit eindringlicher Stimme:

»Ihre Vernunft scheint durch die Grausamkeit des Vaters gestört zu sein. Wenn auch jetzt noch in geringem Grade sich die Anzeichen einer beginnenden Schwermut zeigen, so ist doch kaum einen Augenblick daran zu zweifeln, daß, wenn das bedauernswerte Wesen nicht auf irgendeine Weise aus diesem furchtbaren Dilemma, in welches sie die Hartherzigkeit ihres Vaters versetzt hat, befreit wird, der Geist dieses herrlichen Geschöpfes, das schön ist, wie der lichte Tag, bald vollständig umnachtet sein wird.«

Ich hatte mich vollständig im Bette aufgerichtet, und machte Anstalten, dasselbe zu verlassen. Meine Aufregung war wirklich groß. Berutti hatte es in der Tat meisterhaft verstanden, mich an der Achillesferse meiner ritterlichen Natur zu treffen. Der Gedanke, daß ein liebenswürdiges, schönes Mädchen, unter den Händen eines bornierten, egoistischen Vaters, von dem Gegenstande seiner Liebe weggescheucht und mit Gewalt in die finstere Nacht des Wahnsinns hineingetrieben wurde, versetzte mich in Feuer und Flamme, und forderte mein jugendlich-feuriges Gemüt mit aller Gewalt zu tatkräftigem Handeln heraus. Meine Phantasie half hier mit, die ganze Sache mit einem romantisch-idealen Nimbus auszuschmücken, und mein Entschluß war natürlich sogleich gefaßt, was irgend in meinen Kräften stand zu tun, um das Schicksal dieses unglücklichen Mädchens zu wenden. Gott ist mein Zeuge, daß in jener Nachtstunde, wo »mein Freund« mir diese aufregenden Mitteilungen machte, und, unverwandt mich betrachtend, seine Beobachtungen über die Wirkungen anstellte, welche dieselben auf mich gemacht, kein anderer Gedanke, bezüglich dieses jungen Mädchens, mein Herz beseelte, als der: »Hier verlangt deine Ehre, daß du rettend eingreifst, ehe es zu spät ist.« Meine Seele war rein von jedem unlauteren Gedanken, und ich hatte fast die begeisterte Schilderung der Schönheit Angelika Miranescus vergessen.

»Halt, halt!« rief mir Berutti, offenbar von dem Eindrucke seiner Erzählung befriedigt, aber zugleich über meinen Ungestüm etwas erstaunt, zu. »Was willst du, Freund!? Gedenkst du vielleicht wirklich bei nachtschlafender Zeit in das Haus des alten Miranescu einzudringen, und mit Gewalt die schöne Angelika aus den väterlichen Sklavenketten zu befreien? Bei San Jago, ein Don Quijote in Unterbeinkleidern! Ha, ha, ha!«

Sein Zweck, meinen Ungestüm durch diesen Einwurf etwas abzukühlen, war erreicht, denn ich mußte selbst über seine drollige Bemerkung lächeln und schlüpfte, indem ich mir klar machte, daß in der Tat augenblicklich nicht das geringste in der Angelegenheit zu machen sei, wieder ins Bett. Da schoß mir ein Gedanke durch den Kopf.

»Nach dem, was du mir von Miranescu erzählt,« rief ich »sind es hauptsächlich eigennützige Absichten, welche ihn zu seiner hartnäckigen Grausamkeit veranlassen. Eines solchen Menschen Grundsätze sind mit Geld leicht zu erkaufen. Wir bieten ihm eine artige Summe, welche das Mädchen in den Stand setzt, ihren armen Liebhaber zu heiraten, und – der Schwiegersohn mit der Mitgift ist ihm recht!«

»Kein Gedanke, kein Gedanke,« entgegnete Berutti mit auffälliger Heftigkeit. »Du irrst dich in diesem Punkte durchaus, weil du den eigentlichen Charakter dieses alten Revolutionärs nicht kennst. Ich hätte ja diesen naheliegenden Versuch, den du andeutest, längst gemacht, aber ich weiß, daß es völlig vergeblich wäre. Wir haben es hier keineswegs mit purer Geldgier zu tun, sondern mit einem fest eingewurzelten Grundsatze, der keineswegs so leicht zu erschüttern ist, wie du anzunehmen geneigt bist. Die Tochter dieses Mannes wird, – wenn nicht ein Wunder geschieht, oder wir mit der größten Schlauheit, im schlimmsten Falle aber mit offener Gewalt vorgehen, – niemals die Gattin eines anderen Mannes werden, als eines fanatischen Anhängers der republikanischen Ideen, wie der Alte selbst ist. Das bitte ich dich festzuhalten, und du wirst einsehen, daß dein Plan völlig nichtig ist.«

»Aber welchen Plan würdest du denn vorschlagen?« fragte ich ratlos. »Du bist ja der Ansicht, daß irgend etwas geschehen muß, um das Mädchen zu retten, und, – ich darf sagen, – dein Interesse steckt mich einigermaßen an.«

Berutti nickte nachdenklich mit dem Kopfe.

»Gewiß muß etwas geschehen,« sagte er dann, »doch würde jede Überhastung vom Übel sein und unter Umständen zum entgegengesetzten Ziele führen. Vor allen Dingen mußt du den Alten kennen lernen.«

»Zugegeben,« erwiderte ich lächelnd. »Das wäre schon ein gewaltiger Schritt zu unserem Ziele. Doch weiter!«

»Der Alte ist, wie gesagt, barbarisch mißtrauisch,« fuhr Berutti, ohne weiter auf meine ironische Bemerkung zu antworten, fort, »und es ist daher dringend notwendig, daß du nichts von deinem halben Carbonarismus merken läßt. Du kannst, wenn du willst, mit seinen republikanischen Ideen Sympathie zeigen, im übrigen aber muß er dich für einen politisch völlig indifferenten Menschen halten. Du mußt ihm durchaus im Lichte deiner Durchschnittslandsleute erscheinen, der » Inglesi«, wie sie hier zu Lande als typische Touristen bekannt sind. Reich, etwas leichtfertig, dabei höchst phlegmatisch und –«

»Und mit der nötigen Portion des nationalen Spleen ausgestattet,« fiel ich ihm, unwillkürlich über die artige Charakteristik, die er mir in ganz geschäftsmäßigem Ernste oktroyierte, lachend, in die Rede. »Du hast wahrscheinlich schon genügende Andeutungen über deine intime Bekanntschaft mit dem ›verrückten Engländer‹ gemacht!«

»Einigermaßen ja,« erwiderte Berutti mit eigentümlichem Lächeln. »Natürlich nicht in dieser Form, wie du anzudeuten beliebst. Doch es gilt, daß du, ohne beim Vater Verdacht zu erregen, das Vertrauen des Mädchens gewinnst. Sie ist, – wie ich dir schon gesagt, – auf dem besten Wege, schwermütig zu werden, und scheint lenksam wie ein Kind zu sein. Es dürfte dir also nicht schwer fallen, dich ihr zu nähern und ihr die Überzeugung beizubringen, daß du ihr ein treuer Freund und sie aus der Tyrannei ihres Vaters zu erretten bereit bist.«

Mir war der Plan, den Berutti geschmiedet, noch keineswegs klar.

»Was soll aber damit erreicht sein?« fragte ich daher. »Gesetzt auch, ich gewinne das volle Vertrauen Angelikas, wem ist damit geholfen?«

»Nun, dir!«

»Mir?« fragte ich verwundert.

»Nun ja, dir, oder doch deinen, unseren Zwecken.«

»Das ist mir eben völlig unerklärlich. Sprich etwas deutlicher!«

»Nun, das ist doch sehr einfach. Sieht das Mädchen deine Aufrichtigkeit, so wird sie unbedingt jeden Rat annehmen, den du als wahrer und einziger Freund ihr erteilst, und wird dir in allem und überall hin folgen.«

»Wenn man dich sprechen hört, so sollte man glauben, ich habe ein galantes Abenteuer vor, und es handle sich um eine Entführung, die ich ins Werk zu setzen beabsichtige.«

» Affè di Dio! Mylord sind heute nacht in der Tat merkwürdig zurückhaltend im Begreifen!« rief Berutti unter lautem Auflachen. »Um was soll es sich denn sonst handeln, als um eine Entführung? Ich für meinen Teil sehe wenigstens keinen anderen Weg. Der einzige Unterschied ist der, daß es sich eben nicht um ein ›galantes Abenteuer‹ in dem von dir angedeuteten Sinne des Wortes handelt, wenigstens nicht in deinem Interesse, sondern um die Entführung eines Mädchens aus dem Hause eines tyrannischen, verrückten Vaters, zugunsten einer dritten, allem Anscheine nach durchaus ehrenwerten Persönlichkeit.«

Es lag eine so eigentümliche Mischung von Ernst, Scherz und Ironie in dem Tone seiner Rede, daß ich in der Tat momentan nicht wußte, wie ich seine Worte deuten sollte. Ich war keineswegs eine Natur, welche vor irgendeinem tollen Wagnis zurückschreckte, sondern fand im Gegenteil, wie Berutti nur zu wohl bekannt war, ein ganz besonderes Vergnügen im Ausführen solcher Unternehmungen, die mit möglichst vielen Schwierigkeiten verknüpft waren, und an sich schon den Charakter von sogenannten ›Geniestreichen‹ trugen. Dennoch erschien mir der Plan Beruttis nicht nur immer noch etwas unklar, sondern auch über die Maßen kühn. Es kam mir alles so überraschend, so plötzlich. Der romantische Anstrich der Sache zog mich unwillkürlich an, andererseits lag etwas so Sonderbares in der ganzen Natur dieser Mitteilungen und Vorschläge Beruttis, in der ungewöhnlichen Zeit, die er für dieselben gewählt, – kurz, ich fühlte mich angeregt und abgeschreckt zu gleicher Zeit, in einer Stimmung und Gemütsverfassung, die alles normalen Gleichgewichtes entbehrte. In der Tat, wenn ich jetzt auf jene Tatsachen zurückblicke, – und sie stehen nur zu lebendig vor meinem Auge, – so muß ich fast die mephistophelische Schlauheit, den enormen Scharfsinn des Neapolitaners bewundern, mit welchem er die Sache eingefädelt hat, mich gewissermaßen überrumpelnd und zu einer Auffassung der Dinge verleitend, der ich mich unter anderen, normaleren Umständen vielleicht nicht hingegeben hätte.

Ich zögerte nicht, Berutti meine großen Bedenken gegen seinen tollen Plan aufrichtig auszusprechen. Er wies sie lachend und mit seiner gewöhnlichen überzeugenden Beredsamkeit zurück.

»Nichts ist klarer und einfacher, als mein Plan,« sagte er. »Ich selbst würde ihn ausführen, auf eigene Faust, wenn ich nicht zweierlei fürchtete: Erstens bin ich Italiener und habe hier mein Heim und meine Zukunft, darf mich daher hier nicht so öffentlich in etwaige Unannehmlichkeiten bringen. Zweitens aber, – parbleu, das Mädchen ist so entzückend schön, daß ich mir selbst nicht genug Charakterfestigkeit zutraue, um sie für einen andern zu rauben. – – ohne –, doch genug davon; ich habe mir von vornherein gesagt, hier gehört Alt-England her (mit diesem Scherznamen beliebte er mich öfters zu bezeichnen). Dein charakterfester Platonismus und deine philanthropischen Neigungen schienen mir sofort am allergeeignetsten, da einzugreifen, wo ich mit meiner ›allzu menschlichen‹ Natur nicht ausreichte. Überdies bist du als freier Sohn Albions viel mehr dein eigener Herr, als ich. Du kannst, ohne deiner sogenannten ›Zukunft‹ irgendwelchen Schaden zu tun, Neapel, Italien verlassen, sobald es dir beliebt. Und was kannst du in der Sache tun? Von Überredung und direkter Beeinflussung durch Geld ist, wie ich dir schon gesagt habe, dem Alten gegenüber keine Rede. Das einzige, womit er zu besiegen wäre, ist eben – das fait accompli. Wenn er die beiden, – ich meine Angelika und ihren Paramour, – als würdiges Ehepaar vor sich sieht, nun, so kann er höchstens ein Paar unschädliche Flüche herabwettern, und muß schließlich doch in den saueren Apfel beißen. Dazu aber kann dein Geld helfen. Du machst dir Angelika in ihrem eigensten Interesse zur Freundin, überredest sie zur Flucht mit dir, setzt dich mit jenem unglückseligen Studiosus in Verbindung, hilfst den beiden, vermöge deiner wohlgefüllten Tasche, aus, fungierst irgendwo ›im Auslande‹ als Trauzeuge, und überläßt sie dann, nachdem du die alsdann unumgängliche Versöhnung mit dem Alten, wobei ich natürlich hilfreiche Hand leisten werde, erzielt hast, ihrem Schicksal. Die Sache ist alsdann glatt und fertig, du hast ein unglückliches Paar glücklich gemacht, bist um ein außerordentlich interessantes Abenteuer reicher, und nimmst noch überdies ein Bewußtsein mit dir, welches deinem menschenfreundlichen Gemüt ein wahres Labsal sein muß. Du wirst mir zugeben müssen, daß unter diesen außerordentlichen und ungewöhnlichen Umständen mein Plan der einfachste, ja geradezu der einzige ist, der überhaupt gefaßt werden kann. Weißt du hingegen einen anderen und besseren, – nur heraus damit! Du weißt, ich lasse mich gern belehren, und ich bin gern bereit, mich vor deinem ruhigeren und gemesseneren Urteile zu beugen.«

Leider war ich nicht in der Lage, ihm gegenüber an jenem Abende mein angeblich »ruhigeres und gemesseneres Urteil« in Anwendung zu bringen. Er war derjenige, welcher mit der ruhigen und kaltblütigen Überlegung eines Dämons die Schlingen legte, in welchen ich mich mit meinem damals ebenso feurigen, wie unsteten Gemüte fangen sollte und mußte. Es wird Ihnen, mein werter Freund, vielleicht unbegreiflich scheinen, daß ich nicht einfach die mindestens überschwenglichen, tollen Pläne Beruttis mit einem hellen Gelächter beantwortete. Ich selbst fühle jetzt neben den Gewissensbissen noch die Scham darüber, daß ich das Opfer einer mir jetzt so plump erscheinenden Machination habe werden können. Allein, ich habe Ihnen schon den wunderbaren Einfluß auseinandergesetzt, den dieser Mensch auf mich auszuüben verstand, und dann müssen Sie noch meine hervorstechende Neigung für alle abenteuerlichen Unternehmungen mit in die Wagschale legen, zugleich mit der unnatürlich erregten Stimmung, in welcher ich mich an jenem Abende, durch die sonderbaren Mitteilungen Beruttis, befand.

So war denn die natürliche Folge, daß ich schließlich, wie in den meisten ähnlichen Fällen, meinem »Freunde« recht gab, und sogar noch mit anhören mußte, wie er, in scheinbar scherzendem Tone, meine Dankbarkeit herausforderte für die rühmenswerte Uneigennützigkeit, mit welcher er mir Gelegenheit gab, in einer so hochinteressanten, ja sogar an das Pikante streifenden Affäre mich die Hauptrolle spielen zu lassen, welche er mit ein klein wenig mehr Rücksichtslosigkeit oder Gewissenlosigkeit, wie er sagte, so leicht hätte auf seine eigenen Schultern nehmen können.

»Ich bin, verehrter Freund, fast länger, als gebührlich, bei dieser nächtlichen Unterredung verweilt; allein ich werde Sie durch möglichste Kürze und Gedrängtheit in dem nachfolgenden Teile meiner Erzählung für diese Weitschweifigkeit nach Kräften entschädigen. Ich habe meine guten Gründe dafür, daß ich gerade bei diesem Teile derselben ausführlicher gewesen bin, als Ihnen vielleicht lieb ist. Nicht allein, daß mir jedes Wort, das in jener verhängnisvollen Nacht zwischen uns gewechselt wurde, unverlöschlich in die Seele geprägt ist, es ist auch die ganze Art und Weise, wie dieses Komplott gegen mich eingefädelt wurde, von höchster Wichtigkeit für die Beurteilung all der nachfolgenden Ereignisse, die sich daran knüpften und in denen ich die wenig beneidenswerte Hauptrolle spielte.

Sie sehen daraus, daß ich, eingelullt in Vorstellungen von einem guten und lobenswerten Werke, mit den besten und reinsten Absichten von der Welt, meine Hand zur Ausführung des abenteuerlichen Planes bot, welchen Berutti ersonnen hatte, um mich moralisch und vielleicht auch physisch zugrunde zu richten. Es wird dieselbe nicht imstande sein, meine nachfolgende Handlungsweise zu entschuldigen, allein es wird mir doch ein Trost sein, wenn sie dazu beiträgt, dieselbe wenigstens in einem einigermaßen milderen Lichte erscheinen zu lassen.

An jenem Abende haben wir keine weiteren Verhandlungen mehr gepflogen. Nachdem wir noch die Angelegenheit eine kurze Zeit hin und her besprochen hatten, gab mir Berutti den heuchlerischen Rat, obwohl er recht gut wußte, daß er alle meine Bedenken bereits besiegt hatte, die Sache »zu beschlafen«.

Als ich andern Morgens nach aufregenden Träumen, die mich vollständig um die Erquickung des Schlafs gebracht hatten, erwachte, stand mein Entschluß bereits fest. William Berford, der ahnungslose Optimist, sollte und mußte die schöne Angelika schleunigst entführen.

Schon bei der ersten Begegnung fand ich Angelika liebreizend, bestrickend, unwiderstehlich wie je ein Weib, das meinen Lebensweg gekreuzt, und der große Zeus im Himmel ließ meinen Raub, wie den der Proserpina und Helena, nicht bloß geschehen, sondern auch über Erwarten gelingen.

Unter dem unerträglichen Drucke jener empörenden Behandlung, der das himmlische Mädchen im elterlichen Hause je länger, desto mehr ausgesetzt war, gewann ich sein Vertrauen wie im Fluge, und die beglückende Aussicht des unglücklichen Geschöpfes, nun bald mit dem Geliebten seines Herzens vereinigt zu werden, besiegte schließlich alle Gewissensskrupel des Kindes, seinem tyrannischen Vater gegenüber.

Schon Ende desselben Oktober, wo ich den Namen Angelika zum ersten Male aus Freundesmund gehört, in einer finsteren, regnerischen Neumondnacht, gelangten wir, da Miranescu mehrere Tage in Geschäften von Hause abwesend war, unbehindert nach Rom, der Abenteuerstadt par excellence.

Der Mephisto Domelli, recte – Berutti aber, welcher unsere Flucht aus Castellammare in scheinbar selbstlosester Weise und mit erdenklichster Raffiniertheit vollführen half, hatte unter der Ägide der Wahrheit: »Mit guten Vorsätzen ist der Weg zur Hölle gepflastert« mit dem psychologischen Scharfblick eines Teufels auf die seelische Wirkung der dauernden unmittelbaren physischen Nähe des ewig Weiblichen, das hinan zieht, meine Wenigkeit betreffend, spekuliert.

Deutlicher gesprochen, noch ehe ich acht Tage mit der schönen Entführten, die ich natürlich für meine junge Frau ausgab und dem entsprechend kostümierte, in Welschlands Babel an der Tiber geweilt hatte, war aus dem kühlen Beschützer der Unschuld ein glühender Liebhaber geworden; aus dem entsagenden Platoniker ein begehrlicher Epikuräer, der sich im Stillen sagte: »Narr, der du bist, eine so süße Kastanie für einen völlig Unbekannten aus dem Feuer holen zu wollen!«

Unter den Auspizien dieser meiner Herzensmetamorphose, diesem jäh ausbrechenden Glutstrom einer ersten, wahren und tiefen Geschlechterneigung, die mit elementarer, dämonischer Gewalt fortan mein ganzes Sein erfüllte, schien mir Rom noch zu nahe und nicht der geeignete Ort, dem etwa Kommenden mit ruhigem Auge entgegen sehen zu können. Furcht vor dem rachebrütenden Vater des geliebten Mädchens, mit Scham vor dem Freunde zugleich reifte in mir den Entschluß, unverzüglich noch weiter nach dem Norden Italiens und zwar nach dem Paradieslande der Riviera di Ponente aufzubrechen, dort das beseligende Glück der Liebe mit absoluter Sicherheit in vollen Zügen zu genießen.

Ehe wir jedoch aufbrachen, traf ein Brief Beruttis an mich ein, der jenen Entschluß nur noch bestärkte und meine Brust zugleich von ihrem bedrückendsten Alp befreite. »Denke Dir,« schrieb mir besagter Teufel, gegen den aller Warnungen Bloxams zum Trotze, gerade jetzt jede Spur von Argwohn geschwunden war, ja den ich als meinen Glücksspender segnete, »denke Dir, Angelikas Geliebter hat das Pech gehabt, beim Baden zu ertrinken, so daß du zunächst gut tun wirst, seine jetzt doppelt unglückliche Verlobte in schonender Weise auf diesen unersetzlichen Verlust vorzubereiten!«

Der Egoismus der Liebe stand in meinem Herzen bereits in solcher Blüthe, daß ich beim Lesen dieser Zeilen laut aufjauchzte und in diesem Freudentaumel natürlich vollends die neue Schlinge nicht bemerkte, welche mir Beruttis Höllenkunst mit Teufelsgrinsen um meinen Hals legte.

Angelika, der ich vorredete, daß ihr Geliebter, der Vorsicht halber, erst in Mentone zu uns stoßen werde, reiste völlig mit mir über Florenz nach Genua, wo ich ihr die schlimme Nachricht Beruttis, welche die ganze Sachlage mit einem Schlage verändert hatte, zu offenbaren gedachte.

Bloxam, mein treuer Diener, augenscheinlich froh, mich endlich von der Person des von ihm längst als Schurken erkannten Freundes getrennt zu wissen, schien von dem, was damals in meiner Seele vorging, nicht das Leiseste zu merken. Er sah, nach wie vor, als was ich mich selbst anfänglich mit Ernst betrachtet hatte, nur den Retter und Beschützer Angelikas in mir.

Was aber die Wahl unseres nächsten Aufenthaltes betraf, so sagte ich mir hoffnungsfreudig: »Die Riviera di Ponenta hat schon so manche kranke Menschenbrust gesunden gemacht; sie wird für Angelika zu einem Sanatorium des Herzens werden.«

Und in der Tat, der Reiz der Neuheit, den diese herrlichste aller Küstenlandschaften auf mein Mädchen ausübte, schien ihre schon chronisch gewordene Schwermut allmählich zu bemeistern. »Mein Mädchen« wiederhole ich, denn im Grunde meines Herzens nannte ich dieses Geschöpf bereits mein eigen und auf Ehrenwort, liebster Doktor, seit Beruttis Briefe trug ich mich wirklich mit der Absicht, Angelika, deren Name schon einen Engel bedeutet, sobald sie selbst in eine Verbindung mit mir willigen würde, allen Vorurteilen und Hindernissen meiner Angehörigen zum Trotz, als Gattin heimzuführen.

Da lag es denn bald vor uns, das alte, schöne, stolze Genua, mit seiner von Kirchen und Palästen strotzenden Terrassenküste, mit seinem indigo-blauen, ligurischen Meer. Da ragten sie empor, die orangenbewachsenen Vorberge der wilden Seealpen und hinter ihnen die kahlen, mit ewigem Schnee bedeckten Felsmassen dieser unbeschreiblich imposanten Gletscherwelt.

Welch ein entzückendes Bild, dieser Busen von Genua, mit seinen Molen und Leuchttürmen, mit seinem Gewimmel von großen und kleinen Fahrzeugen aller Nationen auf tiefblauer, von der Sonne in flüssiges Gold verwandelte Meeresfläche.

Und dann die engen, mit Wäsche und Kleidungsstücken aller Art aufs wunderlichste drapierten Straßen und ihren charakteristischen Menschentypen. Die rotbemützten Marinari, mit ihrem verwitterten, lederfarbenen Gesicht, und die schreienden und peitschenknallenden Lastwagenführer, mit ihrem hochbepackten, zweiräderigen Gefährt und mehreren Pferden oder Maultieren als Sitzgespann. Schöne Genueserinnen trippeln, reichlich geschminkt, in eleganten Pariser Toiletten, behende über das reinliche Lavapflaster, während die städtischen Aufseher, in schwarzem Rock und Zylinder, in weißen Handschuhen und gleichfarbiger Krawatte, wie deutsche Leichenbitter ausstaffiert, mit Würde ihres Amtes walten.

Im Hotel »Christoforo Colombo«, das ich Angelikas wegen, meiner eigenen Gewohnheit entgegen, bezog, erinnerte mich ein rumänischer Gutsbesitzer, ein überaus struppiger Geselle, mit einer Lammfellkappe auf seinem dunklen Haar und den nationalen Woilach kühn um die Schulter geschlungen, mit Entsetzen an seinen Landsmann, den Vater Angelikas. War dieser letztere nur halb so wild in seinem Innern, wie jener Rumäne in seinem Äußern, so konnte ich mich, falls ich mit ihm zusammentraf, auf das Schlimmste gefaßt machen.

Tausendmal nahm ich mir vor, Angelika schon hier in Genua über ihre jetzige eigentümliche Lage aufzuklären, ihr das plötzliche Ableben des Geliebten mitzuteilen, um gleich hinterher das oft so probate Heilpflaster einer Liebeserklärung auf die klaffende, frische Wunde drücken zu können, aber meine Offenbarungen, so sehr auch Zeit und Gelegenheit dazu drängten, unterblieben, weil mich bezüglich ihrer Wirkungen doch große Zweifel quälten.

So kamen wir nach Mentone, unserem Reiseziel, wo ich, wohl oder übel, Farbe bekennen mußte. Kennen Sie Mentone, bester Doktor, die Perle der Riviera di Ponenta? Haben Sie seine Orangen- und Zitronengärten gesehen und über die azurenen Wege des Meeres nach Korsika im Süden ausgeschaut?

Dem Himmel am nächsten, weit über der See und von klarstem Äther umweht, fern dem Geräusch der unruhigen Stadt, schlafen dort Erdenpilger aller Zonen, weil selbst in Mentone für den Racker Tod kein Kraut gewachsen ist. Zu ihren Füßen summen die Glocken der Kirchen und Klöster, und die Gebete der Gläubigen dringen wie aus der Unterwelt zu ihnen herauf.

Dieses memento mori, sollte man meinen, hätte mich endlich zu ehrlichem Reden drängen müssen, aber, im Gegenteil, Furcht und Leidenschaft umklammerten mein moralisches Gefühl bereits mit so eisernem Griff, daß ich, als mich Angelika, bekümmert um das lange Ausbleiben des Geliebten, mit Fragen bestürmte, statt die Wahrheit zu sagen, oder besser, das, was ich selbst für wahr hielt, zu einer neuen Lüge griff.

Wie mir Berutti mitgeteilt, sei ihr Verlobter erkrankt und dadurch am eigenen Schreiben verhindert, beteuerte ich ihr, doch sei sein Zustand, nach Aussage der Ärzte, wohl langwieriger, doch keineswegs gefährlicher Natur. Mit Beginn der Fasten werde der so heiß Ersehnte sicher in Mentone eintreffen, und die Zeit bis dahin hier an der Riviera di Ponenta zuzubringen, erscheine um so gebotener, als der betrogene Vater die entflohene Tochter wutschnaubend bis ins Toskanische Gebiet hinein verfolge.

Auf diese Weise glaubte ich wieder Zeit und damit alles gewonnen, während Angelika, die, wie die meisten Schönen ihres Standes und Landes, des Schreibens und Lesens vollständig unkundig, mich mit der Korrespondenz an den Geliebten beauftragte, in dieser Lage der Dinge nichts anderes übrig blieb, als sich in das Unvermeidliche zu fügen. Für mich aber, der ich mich schon lange unverzeihlicher Feigheit anklagte und, bald himmelhoch jauchzend, bald zum Tode betrübt, zwischen Redlichkeit und Heuchelei hin und her schwankte, sollte nun der Mentoner Karneval als äußerster Termin der nicht länger abzuweisenden Enthüllungen gelten; gerade von diesem lustigen Fasching versprach ich mir viel in bezug auf Angelikas Gemütsverfassung und die Überwindung meiner Furcht.

Endlich nahte jener Krönungstag des Narrenprinzen, für welchen die katholischen Länder Witz, Laune, Gold und Frohsinn Monde vorher aufspeichern und dessen ungezwungene Heiterkeit ein ganzes Jahr von Schmerzen und Traurigkeit aufwiegen soll.

Wie in Rom, so bildet auch in Mentone die sogenannte bataille de confetti den Höhepunkt des ganzen Mummenschanzes. Mit dem lauten Geschrei: » Bonbons!« preisen die Confettiverkäufer ihre weißen und bunten Gipskügelchen an und sie, mitsamt den Drahtmasken- und Beutelhändlern, deren Ware bekanntlich das Bombardement mit den Gipskugeln erträglich zu machen bestimmt ist, tragen am meisten zu der richtigen Karnevalsstimmung bei.

Vor dem großen Kasino plaziert sich gewöhnlich die maskierte Hautevolee Mentones und hier entwickelt sich denn auch, während die Musik in dem Pavillon des Kasinoparkes die lustigsten Weisen spielt, die Hauptschlacht. Ganze Berge von Confetti werden hier in Bewegung gesetzt, und binnen kurzem sehen alle Festteilnehmer wie weißbestäubte Müller aus.

In der Tat übten diese Karnevalsfreuden den günstigsten Einfluß auf Angelikas Gemüt. Sie war heiter und gesprächig geworden und hing an mir, ihrem Retter und Beschützer, mit einer wahrhaft rührenden Innigkeit. Aber wie ein aufsteigendes Gewitter in jäher, erschreckender Weise allen Sonnenglanz des Tages hinwegscheucht, ebenso plötzlich verwandelte sich diese Stimmung in ihr Gegenteil, als ich auf einem Spaziergange nach Monte Carlo, unter Palmen mit ihr dahin wandelnd, Beruttis Nachricht endlich in ihr argloses Herz lancierte.

Nicht der entzückende Blick durch dunkle Pinienwälder auf das smaragdgrün leuchtende Meer, nicht die von Oliven beschatteten, tiefen Täler der rötlich bestrahlten Alpenvorberge vermochten den schmerzlichen Eindruck meiner Mitteilungen zu mildern, selbst die balsamische Luft, die uns mit erquickender Kühle umflutete, versagte in diesem furchtbaren Augenblicke jede Wirkung auf Angelikas Nerven. Mit einem jammervollen, Mark und Bein erschütternden Aufschrei sank sie mir in die Arme, und als ich schließlich, nachdem das unglückliche Mädchen einigermaßen wieder zu sich gekommen, von einem Ersatz durch meine Liebe zu sprechen wagte, wehrte sie diese Art Tröstung mit einer Energie ab, welche meine Leidenschaft zu Raserei entflammte.

Damit, lieber Doktor, war ich denn leider bei dem Punkte angekommen, meiner bisherigen Verschuldung, Angelika gegenüber, die Krone aufzusetzen.

»Der ist ein Rasender, der nicht das Glück
Festhält in unauflöslicher Umarmung,
Wenn es ein Gott in seine Hand gegeben!«

dachte ich noch selbigen Tages mit Schiller, und so passierte mir etwas Menschliches, das ich hinterher so bitter bereuen sollte.

Die Sorge um meine Schutzbefohlene trieb mich zum ersten Male auch während der Nacht in Angelikas Hotelzimmer, und – Gott verzeihe mir meine Sünde – es schlug die Stunde, wo ich sterblich war und wo der Zug des Herzens, oder besser, der Leidenschaft, meines Schicksals Stimme wurde.

Und das gerade hatte der schändliche Berutti gewollt; die Konsequenzen meines Vorgehens an Angelika sollten die Sprossen jener Teufelsleiter werden, welche er hinanstieg, um über ein neues, gelungenes Werk seiner Schurkerei zu triumphieren.

Lassen Sie mich kurz sein, bester Doktor. Als Angelika sich Mutter wußte, erfuhr ich durch einen Bekannten, den ich zufällig in Monte Carlo traf und den Berutti ebenso wie mich düpiert hatte, daß dieser Elende im Dienst der Jesuiten Ränke schmiedete, und auf ihre Weisung hin seine Bubenkünste, die zunächst darauf gerichtet waren, den enragierten Carbonari Miranescu durch seiner Tochter Hand zu vernichten, auch gegen mich so meisterlich in Szene gesetzt hatte.

Helle Verzweiflung ob dieser furchtbaren Entdeckung packte mich damals und zog mich wider Willen an die Spieltische von Monte Carlo. Ich wäre heute vielleicht nicht bloß ein gebrochener, sondern auch ein armer Mann, hätte nicht der Anblick des Kindes der Liebe, das ich im Oktober des folgenden Jahres auf meinen Vaterarmen wiegte, mich noch rechtzeitig aus meiner seelischen Betäubung aufgerüttelt.

An diesem Kinde wieder gut zu machen, was ich an seiner Mutter verschuldet, galt mir fortan als höchster Lebenszweck. Aber, Entsetzen und kein Ende! Auf einem Ausfluge nach dem Schlosse Monaco war unser Kind mit einem Male verschwunden und blieb verschwunden. Jesuitische Helfershelfer hatten es uns förmlich aus den Händen gerissen, ohne daß wir den schändlichen Raub, als er geschah, bemerkten. Die Folge dieses Ereignisses war noch schlimmer, als der Verlust des Kindes an sich. Angelika fiel in Wahnsinn und endete im Wahnsinn, nachdem sie zum Überflusse auch noch die Kunde ereilte, ihr Vater habe ob der Schande seiner Tochter, von der Berutti pflichtgemäß ihn unterrichtet, sich an dem ersten besten Baum erhängt.

Daß ich nach diesen Erfahrungen und Erlebnissen dem Lande der Pfaffen so schleunig als möglich den Rücken kehrte, um zunächst in meiner englischen Heimat Balsam für so fürchterliche Enttäuschungen zu suchen, brauche ich Ihnen, mein verehrter Freund, nicht erst zu sagen. Schwerlich wäre ich auch jemals nach Italien zurückgekommen, hätte ich nicht meine entschiedene Weigerung, dieses sonst so herrliche Stück Gotteserde wieder zu betreten, bei jener standesgemäßen Frau, die ich mehrere Jahre später als Gattin heimführte und als Mutter meiner nun verklärten Maud nicht bloß hochachten, sondern auch lieben lernte, Verdacht erregen müssen.

Nach wahren Odysseusfahrten durch aller Herren Länder, Reisen, denen ich unter anderen, wie Sie wissen, den Besitz der, ich darf wohl sagen Adoptivtochter Eva Robertson danke, die mich wie eine deutsche Nausikaa pflegte und tröstete, als Gemahlin und Tochter dem Erdenleben Valet sagten, brachte mich das Schicksal nach Rom zurück.

Leider nicht, um mein Herz vollends zu beruhigen und mir das lange Gras zu zeigen, welches über der Geschichte mit Angelika inzwischen gewachsen war; nein, im Gegenteil, um mich den Kelch des Leidens und Schmerzes, welchen mir diese Verirrung bereitet, bis auf die Neige leeren zu lassen; ja, um noch dem Greise das Fazit jener Jugendtragödie als flammendes mene tekel vor die Augen zu malen.

Daß selbst mich alten Mann der heute noch lebende und keineswegs beim Baden verunglückte einstmalige Geliebte Angelikas endlich auskundschaftete und nachträglich zu eigenem Unglück – er starb an den Folgen der Verwundung, die ihm meine Kugel zufügte – auf Pistolen forderte, will nämlich nichts bedeuten im Vergleich mit jenem jüngsten Briefe Beruttis, den dieser heimliche Scherge für Altar und Thron, anscheinend unter tiefsten Gewissensbissen, neulich von seinem Sterbebette aus an mich richtete.

Alle meine langjährigen Bemühungen, diesen Verräter an meiner Freundschaft und Ehre, diesen Vernichter dreier Menschenleben und Zerstörer meines Glückes, wie meiner Gesundheit, zur Rechenschaft zu ziehen, blieben erfolglos, so daß ich schon glaubte, die rächende Nemesis habe ihn längst ereilt. Da, bester Doktor, erhalte ich, meinen eigenen Augen kaum trauend, diesen Sühnebrief Carlo Beruttis, der aus der jetzigen Besitzung der Brüder vom heiligen Kreuz in Rom, dem Kloster St. Brigitta, an mich schreibt:

»Mein einstiger Pylades!«

Aber lesen Sie gütigst selber Doktor, denn ich fürchte, daß der wahrhaft niederschmetternde Schlußpassus dieses Schreibens, wenn ich ihn selbst noch einmal zu Gesicht bekomme, das Blut aus meinen Adern drängt.«

Mit einem besorgten Blick auf seinen Patienten, dessen Farbe bei den letzten Worten immer grauer geworden war, nahm Dr. Malder jetzt das Schreiben, welches Lord Duncombe inzwischen aus seiner Brieftasche gezogen und schnell entfaltet hatte, und las für sich:

»Mein einstiger Pylades!

Es steht geschrieben, daß Freude ist im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten, die der Buße nicht bedürfen. Zähle Du nicht zu diesen neunundneunzig Gerechten, sondern vergib, in meiner Sterbestunde flehe ich darum, was ich an Dir getan.

Edel und brav war ich, wie Du, bis mich mein Beichtvater in die Netze des Jesuitismus zog, bis mich Loyolas Jünger, alles Heilige und Menschenwürdige im Keime erstickend, zu einem, vor keinem Verbrechen zurückschreckenden Werkzeug ihres Teufelswillens machten und in den Carbonaris die Erzfeinde der Kirche oder vielmehr ihrer Herrschsucht zeigten.

Unter der Maske eines Freundes, eines Republikaners und Freidenkers betrog ich dich und viele hundert andere, ja ließ mir meine Bubentaten mit Ordensgeldern bezahlen, die mir, je länger, desto mehr, in reichen Strömen flossen. Erst schweres, jahrelanges Siechtum, die Folge meiner Ausschweifungen in sinnlichen Genüssen, hat mir den Seelenstar gestochen, und die Brüder von St. Croix, in deren Niederlassungen einer ich jetzt sterbe, brachten mich dann vollends auf den Weg der Reue und Buße.

Aber ehe ich aus dieser sündigen Welt scheide, will ich Dir noch – Du magst mir nun verzeihen oder nicht – ein offenes Geständnis, die Affäre mit der Angelika betreffend, ablegen. Ihr und Dein Kind, das Dir bei Monte Carlo von Jesuitenschergen entrissen wurde, lebt heute noch und ist – erschrick nicht vor der nackten Wahrheit – ist Zerbinotto, genannt Volpicino, das Entsetzen Roms und aller Carbonari.

Rette diesen Deinen Sohn, das Pfand Deiner ersten Liebe, wenn Du kannst; mache wieder gut, was Jesuitenkünste an seinem Leibe wie an seiner Seele gesündigt haben. Ist das aber nicht mehr möglich, so tröste Dich damit, daß auch ich einen ähnlichen Bastard, den Abruzzensprößling Il Bieco, den Schielenden, zeugte. Frère, il faut mourir!

Dein
Carlo Berutti.«

Dr. Malder hatte diesen Brief noch nicht zu Ende gelesen, da überflutete plötzlich ein Blutstrom aus Lord Duncombes Munde das entsetzliche Schreiben, und ehe ein jäher Hilferuf des Arztes Eva Robertson und Bloxam herbeieilen ließ, war der vielgeprüfte Peer in Malders Armen verschieden.


 << zurück weiter >>