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Ein geschmorter Teufel.

Der Leser erinnert sich gewiß jenes Spahikapitäns, der im Theatersaal des Schlosses zu Compiègne mit dem Dragonerrittmeister Kolbert in den vorderen Reihen des Parketts saß und von dort aus die Kaiserin Eugenie und ihre Rivalin, die Fürstin Camilla von Bentivoglio mit scharfem Opernglase musterte. Wir schilderten denselben im Gegensatz zu seinem blonden, aus dem Elsaß stammenden Kriegskameraden als einen schwarzbärtigen, von Wind und Sonne gebräunten Soldaten in pittoresker, algerischer Uniform, der vor kurzem erst Nordafrika verlassen hatte, um sich eine Zeitlang in dem Kometenglanze des französischen Hofes umher zu tummeln.

»Henry Montal« hieß besagter Spahikapitän, und demselben Namen begegneten wir merkwürdigerweise noch einmal in einem viel späteren Kapitel dieses Romans. Wir haben mit angesehen, wie der Jesuitenpater Mariano in den geheimnisvollen Räumen der düsteren Jesusgasse zu Rom eines schönen Tages oder besser, nächtlicher Weile, die Memoiren einer unglücklichen Schutzbefohlenen Dr. Malders, der durch Pater Benedictus ins Elend gestürzten Frau Kapitän » Montal« studierte.

Als der Spahikapitän Montal, aus Afrika zurückgekehrt, am kaiserlichen Hofe Frankreichs erschien, waren kaum drei Jahre verflossen, seit der Pater Benedictus seinen Schurkenstreich an der Familie des Schiffskapitäns Montal ausführte, und noch nicht zwei Jahre, seit die gifttriefende Kreuzspinne in der Jesusgasse Frau Montal, die neue Agentin der Brüder vom heiligen Kreuz, wegen angeblicher Ketzerei zu lebenslänglichem Kerker verurteilen ließ.

Wie ward aus dem einst so glücklichen, dann verloren geglaubten, betrogenen und gewaltsam von Weib und Kind gerissenen ehemaligen Schiffskapitän ein anscheinend wieder sehr lebenslustiger, algerischer Spahikapitän, und was tat dieser letzterer, als und falls er über die Bubentat, die man sich mit ihm und den Seinen erlaubt hatte, volle Aufklärung erlangte, um die Schurkerei der Jesuiten Benedictus und Mariano zu rächen und seine unglückliche Familie, insonderheit aber die gefangene Gemahlin zu retten?

Dessen diesmalige Seereise sollte über Madeira nach den Azoren und von dort zurück nach Odessa am Schwarzen Meer gehen, sich also auf Wasserstraßen vollziehen, die weniger gefährlich als zeitraubend waren und zumal einem erfahrenen Kapitän in bezug auf Schiffsunfälle so gut wie keine Besorgnis abnötigten. Besonders das mittelländische Meer betrachtete Montal trotz seiner Untiefen als eine Wasserdomäne, die er durch und durch kannte und deren Wogen und Winde ihm bis jetzt noch niemals Unbequemlichkeiten bereitet hatten.

Doch, der Mensch denkt und Gott lenkt. Zwar die Hin- und Rückfahrt durch die Straße von Gibraltar, sowie sein Aufenthalt im atlantischen Ozean gingen ohne jede Fährnis von statten, so daß der erfahrene Seebär schon jetzt mit voller Befriedigung auf diese seine letzte Reise zurückblicken zu können glaubte, als das Unglück um so jäher über ihn hereinbrach.

Hat der geneigte Leser schon von dem Meerungeheuer einer Wasserhose gehört, dem Furchtbarsten, was einem Seemann überhaupt begegnen kann? – Man stelle sich eine Wassersäule von etlichen Hundert Meter Länge und entsprechender Breite vor, die sich mit donnerähnlichem Getöse aus einer schwarzen Wolke hernieder auf die Meeresfläche senkt, wobei sich das ihr entgegenstehende Seewasser gleichfalls zu einem mächtigen Kegel erhebt, dessen Achse mit der des oberen einerlei Richtung hat und sich mit letzterem verbindet.

Nach dieser Vereinigung rückte die Säule, welche bisher stillstand, plötzlich vorwärts, und zwar so, daß bald die obere die untere, bald die untere die obere ins Schlepptau nimmt, um schließlich als sanduhrähnliche Riesendoppelblase zu platzen und die so lange zwischen Himmel und Erde umhertanzenden, ungeheueren Wassermassen in das vor Aufregung kochende Meer zu stürzen.

Von einer solchen dämonischen Naturerscheinung wurde Kapitän Montal heimgesucht, als er auf seiner Fahrt von Madeira nach Odessa, zwischen Algier und den Balearen in der Mitte segelnd, seinen Kurs zunächst nach dem sardinischen Inselkap Teulada richtete. Es war der heimtückischste Sturmgeselle jener Breitengrade, der heiße Schirokko, welcher ihm noch zuguterletzt diesen tollen Streich spielte.

Montal selbst erzählt darüber in seinem glücklicherweise mit geretteten Tagebuche wie folgt:

Nach einer ziemlich stürmischen Nacht dämmerte ein fast windstiller Morgen. Es stiegen einige leichte Wolken am Himmel auf und in einiger Entfernung vom Lande schien es zu regnen. Bald darauf entstand auf der azurblauen Meeresfläche ein weißlicher Fleck, aus welchem langsam eine Säule heraufstieg, die sich mit einer anderen, aus den Wolken herabsteigenden vereinigte, während das Meer plötzlich zu toben begann und seine Dünste in förmlichen Staubregenmassen nach oben trieben.

In der Mitte mochte die Stärke dieser sanduhrähnlichen Säule vor mir kaum 2-3 Fuß betragen, während ich die Grundflächen derselben auf 70-80 Klafter taxierte. Das Wasser der unteren Hälfte wurde augenscheinlich in einer Schneckenlinie nach oben getrieben und in einer gleichen Spirale bewegte sich der Inhalt der oberen Hälfte nach unten.

Dadurch, daß die Wolken mit dem auf dem Meere liegenden Teil der Säule nicht immer gleich geschwind fortrückten, erhielt diese eine schiefe Richtung und krümmte sich wie eine von einem Luftzuge in die Länge gezogene Seifenblase. Dabei rauschte es beständig, als hörte man einen entfernten Wasserfall brausen.

Unter diesen Beobachtungen war die Wasserhose meinem Schiffe, zum Entsetzen seiner Insassen, bis auf einen Knoten nahe gekommen, als unter Blitz und Donner und wie mit einem Schlage ein furchtbares Hagelwetter, als Zeichen des Beginns der eigentlichen Katastrophe, losbrach.

Derselbe rasende Wirbelsturm, welcher das Phänomen überhaupt entstehen ließ, packte mein Fahrzeug mit eisernen Krallen und schleuderte es wie einen Kreisel, mit schwindelndem Drehen, an hundert Meter in die Luft, um es dann von dieser Höhe aus mitten in die platzende Wasserhose hineinzustürzen.

Von meinen unglücklichen Leuten habe ich niemand wiedergesehen. Mein Schiff war innerhalb weniger Sekunden, im buchstäblichen Sinne, mit Mann und Maus untergegangen. Nur ich selbst wurde durch ein Wunder gerettet.

Bis zum letzten Moment in treuer Pflichterfüllung auf der Kommandobrücke ausharrend, verwickelte mich nämlich der Wirbelorkan derart in Takellage und Segelwerk, daß ich von Linnen und Tauen wie eine Seidenraupe eingesponnen war.

Volle vierundzwanzig Stunden schwebte ich in dieser Weise, Altweibersommer gleich, zwischen Himmel und Erde. Das Unwetter trieb mich der südlichen Küste zu, um mich schließlich auf jenem Gebirge abzusetzen, das den schönen Namen Atlas führt.

Kurz, ich war innerhalb einer Tagereise aus einem Seebären in eine Landratte verwandelt worden, die sich, von neugierigen, pechschwarzen Kabylenaugen als ein Gotteswunder angestaunt, mitten in Algier, der französischen Kolonialmetropole Nordafrikas, befand.

Hier hatte man meine Nationalität kaum erkannt, als mich der Marschall Mac Mahon, General Pelissiers Nachfolger auf dem Gouverneurposten Algeriens, auch schon vor sich führen ließ. Es ist bekanntlich kein Unglück so groß, daß es nicht auch Glück in seinem Schoße mit sich brächte, und in bezug hierauf war ich in Algier just zur rechten Zeit gekommen.

Napoleon III. selbst war nicht lange vorher dort gewesen und hatte die energische Unterdrückung der aufständischen Werber in der Provinz Oran, sowie in Klein-Kabylien anbefohlen.

So bot sich mir ungesucht ein großes Rehabilitationsfeld, und Marschall Mac Mahon schien an meiner Person seinen besonderen Narren gefressen zu haben. Er ernannte mich, vermutlich auf Grund meines bisherigen Seekapitänsranges, sofort zum Spahioberleutnant, ja, was noch mehr heißen will, zu seinem ersten Ordonnanzoffizier.

Was mich aber ganz allein bestimmte, von seinem Wohlwollen Gebrauch zu machen und der soldatischen Karriere fortan mein ganzes Leben zu widmen, das war ein aus Paris datierter Brief meines alten Hausfreundes Pater Benedict, eine Hiobspost, die zu dem Unglück, das mich auf der See betroffen, gerade noch fehlte, um mich in den Abgrund der Verzweiflung und durch diesen hindurch in einen Galgenhumor zu stürzen, für den eben nur Kriegerleben und Schlachtfeld der beste Tummelplatz ist.

Jener Schurke, denn als solchen habe ich ihn später kennen lernen müssen, antwortete mir nämlich, nachdem ich ihm von Algier aus über meine furchtbare Havarie und persönliche Rettung eingehend unterrichtet und zugleich ein noch längeres Schreiben an meine Frau beigefügt hatte, – antwortete mir mit großer Herzlichkeit, aber doch in einer bei ihm ganz ungewohnten Kürze, daß mein Unglück, so groß es auch sei, doch winzig klein erscheine im Vergleich mit dem Elend, das meine Familie, nach Gottes unerforschlichem Ratschluß, schon bald nach meiner Abreise, noch mehr und vollends aber jetzt, kurz vor Eintreffen meines ersten Briefes heimgesucht habe.

Der Schreckensengel Cholera, welcher wie ich wohl gelesen haben dürfte, fast keinen Ort Südfrankreichs verschonte und ebenso schnell wieder gegangen als gekommen sei, habe meine vier ältesten Kinder, die zum Teil schon herangewachsenen Söhne, binnen einer Woche dahingerafft, und meine Frau, durch diese grausamen Schicksalsschläge ohnehin schon dem Wahnsinn nahe gebracht, habe dann, das Elend meiner Familie zu krönen, seinen geistlichen Tröstungen und Ermahnungen zum Trotz, als die Zeitungen den Untergang meines Schiffes authentisch gemeldet, ganz kurz vor Eintreffen meines Briefes, in einem solchen Anfalle von Schwermut und die beiden jüngsten Kinder auf den Armen, ihre Verzweiflung in den Wellen des Meeres ausgetobt.

Diesen furchtbaren Ereignissen gegenüber wolle er von den Infamien meines Notars, dessen Untreue ihn, den Freund und Bürgen, mitbestimmt habe, Boulogne so schleunigst als möglich zu verlassen, nicht viel Aufhebens machen.

Er wisse unter diesen schrecklichen Verhältnissen in der Tat nicht, welches Geschick ich als Glück im Unglück mehr zu preisen habe: den Umstand, daß mein ganzes Eigentum durch jenen Spitzbuben längst in fremde Hände übergegangen sei, oder aber den fast beneidenswerten Zufall, mich durch augenblickliches Fernsein persönlichen Erlebnissen so entsetzlicher Art aus dem Wege gerückt zu wissen.

Wie er nämlich meinen Charakter kenne, würden all diese Unglücksschläge nichts weniger als einen Hiob aus mir machen, mich vielmehr zu fernerem Kampfe mit dem Schicksal anspornen, vor allem aber bestimmen, meiner mir auf solche Weise verleideten Heimat für immer den Rücken zu kehren.

Das der ungefähre Inhalt des Antwortschreibens von Pater Benedict, sowie der Tagebuchaufzeichnungen Kapitän Montals.

Daß der schlaue Pfaffe diesmal seine Rechnung doch ohne den Wirt gemacht hatte, das heißt sich seiner Höllenintrigen nicht lange freuen sollte, obwohl der so arg betrogene, aber immer noch vertrauensselige Freund wirklich auf den zuletzt hingeworfenen Köder anbiß, soll der Leser bald erfahren.

Vorerst aber wollen wir die Schicksale Montals in Algerien weiter verfolgen, denn sie allein enthalten den Schlüssel zu seinem so viel späteren, nur früher erzählten Auftreten in Compiègne, am Hofe des Kaisers.

Algier, seit 1830 von Bourmont erobert und von Clauzel dann vollends der französischen Herrschaft unterworfen, suchte 1848, wenn auch vergeblich, dieses Joch, das Cavaignac damals über den Nacken der Barbareskenstaaten legte, wieder abzuschütteln.

Noch besser aber als Cavaignac, verstand es General Raudon, den Napoleon III. bald nach seinem Staatsstreich gen Afrika sandte, die dortigen Großkabylien unter Frankreichs Botmäßigkeit zu gewinnen.

Um der nationalen Eitelkeit der genannten Eingeborenen in etwas Rechnung zu tragen, entsagte man dann 1858 der Diktatur und richtete ein eigenes algerisches Ministerium unter dem Prinzen Napoleon ein, das 1860 sogar zu einem selbständigen Generalgouvernement, mit Marschall Pelissier an der Spitze, erweitert wurde.

Pelissier aber mochte für die hartgesottenen, nordafrikanischen Barbaren wohl zu weichmütig angelegt sein; 1864 trat der bekannte Marschall Mac Mahon an seine Stelle, dem zunächst die Sorge oblag, ein strafferes Regiment anzubahnen, vor allem aber die durch die besonders seitens der Eingeborenen gehaßten Bureaus trabes herauf beschworenen, schon erwähnten Aufstände in Oran und Klein-Kabylie zu unterdrücken.

Einer der bedeutendsten, weil gefährlichsten Rebellen war Si Hamed ben Hamza, der schon im Oktober 1865 die französische Besetzung Algiers mit 12 000 Reitern nächtlicherweile überfiel und den Spahioberst Colomb auf ein Haar geworfen haben würde, wenn Montals Todesverachtung diesem Gegner nicht noch rechtzeitig die Wege gewiesen hätte.

Als sich Hameds Angriffe ein Jahr später bei Geryville wiederholten, war es nochmals kein anderer als Montal, der sich mit einer Tollkühnheit ohnegleichen auf den Feind warf und diesen bis in die Sahara hinein verfolgte.

Ein persönliches Gefechtsrenkontre mit demselben Hamed bei Golea überbot vollends alles, was man an fabelhafter Tapferkeit von den Dichtern über Helden zu hören gewohnt ist.

In dem Momente nämlich, wo der genannte Großkabyle unsern Kapitän mittels seines gewaltigen Speeres aus dem Sattel heben wollte, um ihn als lebendige Siegestrophäe in sein Lager schleppen zu können, riß der letztere im Nu sein Pferd herum und durchstach mit seinem langen, krummen Spahisäbel den braunen Wüstensohn derartig, daß dieser Todesstreich Si Hamed ben Hamza auf dessen Berberhengste buchstäblich festnagelte.

Montals doppelschneidige Waffe traf den Gegner nämlich von hinten und fuhr durch den Sattel hindurch in die Eingeweide seines edlen Tieres und bohrte sich dann – vermöge der Wucht des Stoßes einerseits und der bedeutenden Krümmung des riesigen Stahles anderseits – soweit von innen nach oben, daß die Spitze des Säbels in den sogenannten Widerrüstknochen des Pferdes drang und, sich dort verbiegend, gleich dem Widerhaken einer Angel wirkte. Das tote Roß und sein toter Reiter waren infolgedessen ohne Gewalt nicht zu trennen, sie wurden, schon der Heldenehre Montals wegen, wie weiland Gotenkönig Alarich am Busento, gemeinsam, nämlich durch Heldenstahl vereint, bestattet.

Bravourstücke dieses Genres, die lediglich der Ausfluß des furchtbaren Schmerzes waren, den unser Kapitän seit Pater Benedicts Hiobspost in seiner Brust durchkämpfte, mußten natürlich die allerhöchste Aufmerksamkeit erregen, und die nächste Folge solcher Berühmtheit war eine Einladung Montals zu den kaiserlichen Serien nach Compiègne.

Selbstverständlich sprach und sah Napoleon bei dieser Gelegenheit seinen wackeren Spahikapitän persönlich, und keine Geringere, als Kaiserin Eugenie selbst war es, die den neuesten afrikanischen Löwen des Tages, der besonderen Empfehlung Mac Mahons entsprechend, mit dem großen Bande der Ehrenlegion schmückte.

Was Napoleons Benehmen gegen den Helden im besonderen betrifft, so erinnerte sich der Kaiser bei Nennung des Namens Montal sofort jener unglücklichen Kapitänsfrau, die sich unter gleicher Familienbezeichnung vor Jahren hilfesuchend an ihn gewendet, und das weitere Gespräch über diesen Gegenstand brachte natürlich das ganze Lügengewebe Pater Benedicts an den Tag.

Dieser Schändliche hatte seiner Zeit den Selbstmord des Notars, wie alles übrige, nur fingiert und bei seiner Niedertracht obenein noch das Glück gehabt, daß Montals Havarie, die er dessen Gattin anfänglich nur vorgelogen, hinterher sich auch wirklich ereignete.

Beide Halunken, der Advokat und Benedict, lebten seit der Zeit, da sie Boulogne verlassen, ganz ungeniert, zur Vorsicht nur Wohnung und Namen öfter wechselnd, im großen Seinebabel. Montals geraubtes Barvermögen, im Verein mit dem Erlös der schleunigst versilberten Grundstücke des Kapitäns, gestattete ihnen, sich durch Einrichtung eines vielbesuchten Salons sogar die vornehme Pariser Welt verbindlich zu machen.

Der Kaiser Napoleon, welcher Montal gegenüber das natürliche Bedürfnis, sich erkenntlich zu beweisen, empfand, es außerdem aber für zweckmäßig hielt, gerade jetzt einmal seinen Franzosen zu zeigen, daß er nichts mehr hasse, als Intrigeure und wortbrüchige Schurken, nahm sich der Verfolgung des Pater Benedict und seiner sauberen Kumpanen mit solchem persönlichen Eifer an, daß es dem nunmehr wutschnaubenden Kapitän mit Hilfe der trefflichen Spürnase Griscellis, auch wirklich gelang, der beiden Verbrecher habhaft zu werden.

Dieselben hatten sich schließlich, von der gesamten Pariser Polizei hin und her gehetzt, in die berühmten Katakomben Lutetias geflüchtet, indem ihnen ein befreundeter Hausbesitzer an der Westseite der Barriere d'eufer einen heimlichen Gang in die seit 1820 dem Publikum nicht mehr zugänglichen, unheimlichen Gebeingewölbe öffnete. Dort von Millionen modernder Gerippe angegrinst, hatten sie sich mit Hilfe des bekannten Ariadnefadens der Gewölbedecke, nämlich der dicken Kohlenstriche an den überhängenden Felsmassen, in dem gewaltigen Totenlabyrinth endlich derart zurecht gefunden, daß sie sich vor den Häschern Napoleons, bis sich dessen Verfolgungswahnsinn, in bezug auf ihre Personen, einigermaßen gelegt haben würde, vollkommen sicher fühlten.

Diese Verbrecherhoffnung erwies sich jedoch als trügerisch, denn als der plötzliche Einsturz eines über den Katakomben erbauten Hauses deren sofortige baupolizeiliche Revision nötig machte, wurden die zwei Halunken beim Fackelschein in ihrem Hamsterbau entdeckt und trotz verzweifelter, mit Revolver und Dolch versuchter Gegenwehr dingfest dem Zuchtpolizeihofe überliefert.

Deportation nach Cayenne, jener südamerikanischen Insel, wo bekanntlich der schärfste Pfeffer wächst, lautete schließlich das strafgerichtliche Urteil gegen sie, das unter des Kaisers Einfluß zustande gekommen war, und Montal konnte sich mit diesem Sühnemaß zufrieden geben.

Damit war freilich nur ein Teil jener Racheaufgaben gelöst, die dem betrogenen Kapitän, Dank seiner Bravour in Algerien, das Schicksal aufgetragen hatte.

Griscelli griff nämlich, als Pater Benedict sich trotz aller Strafandrohungen zu keinem Geständnis über den Verbleib der ältesten Kinder Montals und dessen Gemahlin bequemen wollte, auf das alte, probate Mittel der Daumschrauben zurück und erfuhr auf diesem Wege wenigstens den Aufenthalt der verschwundenen vier Söhne.

Über die letzten Schicksale der Frau Montal selbst konnte er natürlich, aller Folterqualen ungeachtet, nichts wissen, da ja die Brüder vom heiligen Kreuz, wie sich der Leser erinnert, jenes unglückliche Weib den Händen der Jesuiten – zeitweilig entrissen. Ein öffentlicher Zeugenaufruf jedoch, der in dieser Kriminalsache, die ehemals ganz Paris in Spannung hielt, erfolgte, führte dem Kapitän den Dr. Malder zu, und auf tiefe Weise gelangte ersterer zu der freudigen Gewißheit, daß auch seine jüngsten Kinder, samt ihrer Mutter, seiner Gattin, noch am Leben seien und daß letztere sich zurzeit in einer Mission, die ihm unbekannt geblieben, zu Rom aufhalte.

Durch einen weiteren Zeugen, nämlich Latour, den Ökonomen der Pariser Brüder vom heiligen Kreuz, erhielt Montal auch schließlich genaue Kenntnis über besagte Mission, so daß fortan nur noch der eine Gedanke ihn beherrschte: »Auf nach Rom!«

Selbstverständlich suchte unser Kapitän, bevor er diese Italienfahrt antrat, wieder in den Besitz seiner ältesten Kinder zu gelangen, und letzteres glückte ihm durch Vermittlung des Kaisers, der über diesen Punkt mit dem Papste selbst in direkte Unterhandlungen trat, leichter, als er zu hoffen gewagt.

Nachdem jene unglücklichen Knaben, ihrer jesuitischen Geistesfesseln entledigt, bei Latour, der auch die beiden jüngsten Kinder Montals seit ihrer Mutter Abreise in treue Obhut genommen hatte, untergebracht waren, stand der endlichen Ausführung des bezeichneten Wunsches, Rom und das Wiedersehen der so lange getrennten Gatten betreffend, nichts mehr im Wege.

Was sich inzwischen in Italiens Hauptstadt, die neuen Maulwurfsgänge der Jesuiten anbelangend, abgespielt hatte, daß nämlich Frau Montal mitsamt dem Dr. Malder, der ihr zuerst nachgereist, verhaftet, der letztere aber, nachdem er von Pater Mariano gehörig ausgehorcht, wieder freigelassen und unter geistliche Observation gestellt worden war, dies alles weiß der Leser schon aus früheren Kapiteln.

Durchaus neues aber bietet ihm die Art, wie der Kapitän endlich selbst nach Rom kam und dort nun mit Dr. Malder zusammen an der Befreiung jenes jüngsten Opfers des Jesuitismus und dem Rachewerk gegen Pater Mariano arbeitete.

Der Kaiser Napoleon hatte, wie schon bemerkt, und abgesehen von seiner persönlichen Dankbarkeit gegen Kapitän Montal, ein lebhaftes Interesse für dessen Familienschicksal gewonnen, und unter diesen Umständen konnte es nicht fehlen, daß er den tapfern Besieger Si Hamed ben Hamzas mit zu der neuen Expedition nach Rom kommandierte, die zum Schutze des Papstes und seiner weltlichen Herrschaft im Oktober 1867 den Kirchenstaat von neuem besetzte. Ja noch mehr, er stattete ihn unter entsprechender Beförderung im Offiziersrange sogar mit besonderen Vollmachten, die Recherchen nach seiner unglücklichen Gattin betreffend, aus. Und dies letztere war für den Kaiser um so leichter, als sich, angesichts seiner Deportation nach dem Pfefferlande Cayenne und mit Hilfe der fortgesetzten Daumschraubentorturen, der Pater Benedict schließlich bequemt hatte, ein Geständnis dahin abzulegen, daß er vermute, Frau Montal, wenn dieselbe in Rom überhaupt neues Unglück gehabt haben sollte, möchte vielleicht in die Hände seines Kollegen Mariano geraten sein, den er für den gefährlichsten Jesuiten Roms halte und mit dem er sich sofort brieflich in Verbindung gesetzt habe, sobald ihm hinterbracht worden, daß sich die Brüder vom heiligen Kreuze seines Opfers angenommen und dasselbe sogar mit einer Mission an den Papst betraut hätten.

Demselben Marschall Leboeuf, das ist der Ochse, welcher Venedig bis zuletzt besetzt gehalten und dem Napoleon auch die Leitung der römischen Expedition des Jahres 1867 übertragen hatte, wurde Montal, der jüngste afrikanische Löwe, als Colonel zugewiesen.

Als früherer Seekapitän genoß Montal unter anderem auch die große Ehre, die in Rede stehende Expeditionsflotte von Marseille über Elba nach Rom zu führen, und diese Aufgabe gelang ihm auch dermaßen gut, daß die Ausschiffung der Mannschaften bei Ostia an der Tibermündung bereits im Anfange des Novembers 1867 erfolgen konnte.

Der erste, den Montal, diese männliche, rächende Nemesis, in Rom aufsuchte, war natürlich Dr. Malder, und da sich dieser bald nach dem Tode des Lord Duncombe mit dessen Erbin, Miß Eva Robertson vermählt hatte, so fand der Kapitän bei diesem seinem jungen Freunde selbstverständlich das angemessenste Quartier.

Orientieren wir uns, den Zwecken dieses Kapitels entsprechend, erst wieder ein wenig in der ewigen Roma, die der Tiber von Norden nach Süden durchströmt und in zwei bedeutend ungleiche Teile zerlegt. Der heutige und auch schon 1867 maßgebende Stadtplan als Landkarte betrachtet repräsentiert nämlich rechts, im Osten der gelben Fluten des genannten Stromes, vier mächtige, teils alte, teils neue Bezirke, während auf dem viel schmäleren Westen, links des Tiber, eigentlich nur ein einziges Viertel, oder besser, Fünftel des Ganzen entfällt. Tatsächlich in fünf, nicht vier Teile gliedert sich das jetzige Rom und davon kommen auf den Osten die Planziffern: I. Modernes Fremdenviertel (im Norden); II. die eigentliche Hügelstadt (im äußersten Osten); III. das päpstlich-mittelalterliche Rom (zwischen dem Tiber und den sieben Hügeln) und IV. das alte, heidnische Rom (im Süden, unter der Papst- und Hügelstadt). Links und westlich breitet sich, und zwar im Süden, also vis-à-vis dem antiken Rom, nur der fünfte Bezirk als Monte Gianicolo in ebenfalls ganz moderner Weise aus, wohingegen der Nordwesten einzig und allein von dem umfangreichen Gebäudekomplex des Vatikans sowie St. Peters beherrscht wird.

Es liegen also im Norden, und nur durch den Tiber getrennt, Vatikan, Peterskirche und Engelsburg unmittelbar neben dem modernen Fremdenviertel, wie im Süden, ebenfalls mit dem Strome zwischen sich, der Monte Gianicolo und das alte, heidnische Rom dicht aneinander grenzen, während, drittens, die päpstliche oder mittelalterliche Stadt auch wieder nur durch den Tiber von den bezeichneten Kultushauptsitzen des Petrusstellvertreters geschieden ist.

Lord Duncombes » castle« und »Name« befand sich aber, wie früher ausführlich berichtet worden, in der Via nazionale des modernen Fremdenviertels, so daß also der Gast Dr. Malders, Kapitän Montal, dessen Soldaten die Besetzung der Engelsburg oblag, in der Tat nicht bequemer plaziert werden konnte als in dem uns bekannten Hause des verstorbenen Lords.

Führten ihn doch seine nächsten Wege, die er im Interesse seiner unglücklichen Frau natürlich unverzüglich unternahm, sowohl öfter nach dem nahen Vatikan als auch nach dem, unmittelbar unter seinem Quartierviertel gelegenen beiden spinnefeindlichen Niederlassungen der Brüder vom heiligen Kreuze einerseits und der Jünger des heiligen Ignatius anderseits.

Was das Ignatius- oder Jesuitenkloster im besonderen betrifft, so war die von der Via nazionale gar nicht weit entfernte und bekannte Via del Corso, die den Palazzo im Nordwesten mit der Südstadt verbindet, indem sie bis in die Nähe des berühmten Kapitols leitet, unserem Kapitän bald ein gewohnter Wegweiser.

Da uns besagtes Kloster, weil es das eigentliche Reise- und Racheziel Montals bildete, in folgendem aber sehr eingehend beschäftigen wird, so können wir uns bei dieser Lokalveranschaulichung nicht begnügen, müssen den Leser vielmehr noch etwas genauer über seine Lage orientieren.

Im prächtigsten, üppigsten sogenannten Jesuitenstil ist die Kirche des heiligen Ignatius, nebst dem dazu gehörigen, noch 1867 in seiner ganzen Altertümlichkeit dastehenden Kloster erbaut. Rechts die erste Seitenstraße der großen Via di Pietra und des Palazzo Sciarra-Colonna führt über die Via del Caravita auf die Piazza di St. Ignatio, so daß der Leser sich jetzt das von der Via del Seminario im Norden, dem Collegium Romanum im Süden und Pantheon im Westen begrenzte Klostergefängnis, den Hauptschauplatz dieses Kapitels, wohl ziemlich deutlich vor das Auge zu stellen vermag.

Ist doch obenan die Chiesa al Gesù, oder kürzer Il Gesù, welche mit der Via del Gesù in unseren früheren Kapiteln eine so große Rolle spielte, mit vorgenannter, 1586 von Vignola entworfenen Jesuiten- oder Ignatiuskirche durchaus identisch. Diese berüchtigte Jesusgasse bildete eben die oben noch nicht bezeichnete Ostgrenze des besagten Klostergefängnisses, so daß einen schon die bloßen Namen: Jesuitenstraße, Jesuitenkirche, Jesuitenkloster ganz unheimlich stimmen müssen.

Bevor wir aber die Nemesisschritte unseres Kapitäns in betreff des Paters Mariano weiter verfolgen, müssen wir einen kurzen Seitenblick auf dessen bekannten Helfershelfer, den lustigen Gascogner Marquis de Santillier, werfen, der, wie der Leser sich entsinnen wird, dem Hause Lord Duncombes grollend den Rücken wandte, nachdem Miß Eva Robertson seine Bewerbung um ihre Hand so entschieden zurückgewiesen hatte.

Selbstverständlich war es diesem galanten Jesuitenkumpane bei angedeuteter Bewerbung in erster Linie darum zu tun gewesen, sich in das volle Vertrauen jener Deutsch-Amerikanerin einzuschleichen, um auf diese Weise über die etwaigen antijesuitisch-politischen oder gar mazzinistischen Schritte des Dr. Malder und seines Patienten, Lord Duncombe, stets genau unterrichtet zu sein.

Als der stutzerische Marquis durch den glänzenden Korb, den ihm die schöne Eva gegeben, sich dieser Art Einsichten total beraubt sah, schnaubte er natürlich vor Wut gegen Dr. Malder, seinen augenscheinlich vom Glück begünstigten Rivalen, und es erschien daher nur zu begründet, daß Mrs. Robertson dem treuen Iren Bloxam den Auftrag gab, jenen parfümierten Schuft im Interesse ihres geliebten Arztes in strenge Observation zu nehmen.

Diese Kontrolle erwies sich nach dem plötzlichen Ableben Lord Duncombes fast noch nötiger, denn jetzt spornte der Neid darüber, daß Dr. Malder durch die Hand Evas nun auch noch der Erbe des reichen Engländers geworden war, den nebenbuhlerischen Haß des Gascogners selbstverständlich auf das Höchste.

Bloxam, der mit derselben unverbrüchlichen Ergebenheit, die er Lord Duncombe Zeit seines Lebens bewiesen, nun auch seiner neuen Herrschaft zugetan war, tat seine Schuldigkeit in oben gedachter Richtung natürlich in vollstem Maße. Wie ein Schatten verfolgte er den Marquis auf Schritt und Tritt und war nicht wenig erstaunt, diesen eleganten Spitzbuben, der beinahe an jedem Abende die dem Leser bekannte Jesusgasse aufsuchte, eines schönen Tages einmal, seiner Gewohnheit ganz entgegen, nach der Isola del Tevere abschwenken zu sehen.

Wie Paris seine Cité in der Seine und Berlin seine Fischerinsel im Spreestrome, innerhalb der Stadt, besitzt, so hat Rom seine Isola del Tevere. Es befinden sich zwei Klöster auf dieser Tiberinsel: südlich das des heiligen Bartholomäus der Franziskaner und nördlich das der Fate bene fratelli.

An der Ecke des Ponte quattro capi, der nach dieser Klosterinsel führenden Doppelbrücke, sieht man täglich ganz Haufen Menschen aller Stände von nah und fern herbeiströmen, deren äußere Erscheinung auf den ersten Blick verrät, daß sie Hilfe suchen; Hilfe gegen den schrecklichsten der Schrecken, den Schmerz, den ein hohler Zahn uns verursacht.

Ganz Rom betrachtete aber in jener Zeit als seinen unfehlbarsten Zahnkünstler einen der Mönche der Fate bene fratelli, nämlich den Bruder Giovanni Battista. Eine wirklich historische Figur, mit dem Familiennamen Orseniga, deren Charakteristik wir den im Mai 1886 veröffentlichten Feuilletons der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung: »Alte Typen im neuen Rom« von einem nicht bezeichneten Verfasser entnehmen.

Er, der von den ordentlichen Ärzten verachtete »Wunderdoktor«, wie ihn der Volksmund betitelte, triumphierte sogar über die berühmtesten amerikanischen Dentisten Roms, die sich ihre oft nur zu kläglichen Leistungen mit Gold aufwiegen ließen, während unser Inselmönch, in den Highlifekreisen dankbarst pater patriae genannt, vom frühen Morgen bis zum späten Abend, und zwar mit Billigung seines Ordenspriors und unter dem Schutze und Segen seiner speziellen Heiligen, der Madonna del buon consiglio, durchweg gratis arbeitete.

Durchweg sagen wir, denn für seine Kuren im Kloster nahm Battista absolut kein Geld und widerstand in dieser Beziehung den Lockungen der reichsten Leute, wohingegen er sich seine Operationen in der Stadt, und zwar in den Häusern der Nobilis und den Salons der Hotels, deren Bewohner seine Hilfe nicht minder in Anspruch nahmen, immer nur im Interesse der Armen oder aber seines Ordens, oder sonst zu einem wohltätigen Zwecke, nach Umständen und gut bezahlen ließ.

Kehren wir aber zur eigentlichen Berufsstätte unseres Zahnapostels an der Ecke des Ponte quattro capi, einer Brücke, die mit ihren Janusköpfen auf den zweifachen Erfolg hinzudeuten scheint, den ein Besuch selbst beim besten Zahntechniker je nach der Schwierigkeit des einzelnen Falles, oder aber nach – der Bosheit des Operateurs haben kann, für einen Augenblick zurück.

Giovanni Battista, der dort gewöhnlich bis zur Mittagssiesta im Refektorium und dann wieder bis zur Vesperhora um 4 Uhr nachmittags der leidenden Menschheit in so humaner Weise zur Verfügung stand, war ein herkulisch gebauter Frater, den man in seinem behäbigen Schmerbauch und wie Vollmond glänzenden, feisten Gesicht eher für einen Bierbrauer oder Metzgermeister, als für einen Mönch halten konnte. Derselbe hatte gar nichts von der hageren Statur und der Galgenphysiognomie, welche bei den Brüdern des heiligen Ignatius fast typisch erscheint; im Gegenteil, Wohlwollen und Herzensgüte leuchteten aus seinen großen, braunen Augen, und nur sein schwarzes Priestergewand, der schwarze Lendengürtel und die schwarze Kappe aus pechschwarzem Haar, verlieh, im Verein mit der stahlblitzenden Erlösungs- resp. Marterzange, die an einer langen Kette an seiner Seite, gleich einem Fleischerschärferstahl, herabhing, der ganzen Figur trotz alledem einen fast unheimlichen Charakter.

Und diesen Grad von Unheimlichkeit trug auch die Klause, oder besser, das Atelier unseres berühmten Wunderdoktors, ungeachtet dasselbe als eine hervorragende und geweihte Pflegestätte der Humanität in der ganzen Campagna di Roma bekannt war.

Die Wohnung der germanischen Unterweltsgöttin Hellia kann nicht metiermäßiger ausgestattet gewesen sein und charakteristischer gedacht werden, als sich die kleine Operationszelle Battistas in der Tat ausnahm. Die giftspeienden Schlangen und Totengebeine, welche in Hellias feuchtem Boudoir allenthalben die Wände bedeckten, wurden hier nämlich durch ebenso viele Tausend der monströsesten, menschlichen Zähne ersetzt, die je einem Staubgeborenen sein Erdendasein zur Hölle machten. Heiligenfiguren, Madonnenbilder, Kruzifixe, Rosenkränze: Alles, was man bei Frater Battista sah, war aus menschlichem Mundgebein und Schmelz aufs kunstvollste geschnitzt oder doch wenigstens zusammengesetzt. Sogar den hohen Drehsessel, auf dem die Patienten ihrer Erlösung harrten, schmückten Zieraten von jenem menschlichen Elfenbein, und gleich am Eingang der Klause paradierten außerdem noch zwei mächtige, offene Tonnen, die mit nichts anderem, als hohlen, ausgerissenen Zähnen schier bis zum Rande gefüllt waren.

Und doch hätte unser, in jeder Beziehung bescheidene Mönchsdentist diese greifbare Kunstreklame grausigen Stils gar nicht »nötig« gehabt. Sein Zangenlaboratorium würde auch ohnehin niemals leer geworden sein. Ja wir sind der Meinung, jene eigentümliche Dekoration seiner Klause schadete mehr als sie nützte, sofern schwachnervige Personen schon durch die beiden Cerberustonnen am Eingang notwendig mehr abgeschreckt als angezogen werden mußten.

Diese, beinahe infernalische Dekoration jener Doktorzelle hatte ihren tiefsten Entstehungsgrund nicht etwa in Battistas Eitelkeit, sondern vielmehr beherbergte unser humaner Klosterbruder bei all seinem menschlichen Wohlwollen und gutem Herzen doch auch einen höllischen Diabolus, nämlich den Bosheits- resp. Racheteufel in seinem Stiernacken.

Antipapale oder gar mazzinistisch gesinnte Patienten konnte er, sobald er von ihrer freidenkerischen Geistesrichtung fest überzeugt war, mit innerer Schadenfreude peinigen, daß ihnen die Augen übergingen. Mehr noch als sie, haßte er aber glücklicherweise die so oft selbst gegen den Papst konspirierenden Jesuiten, und zwar darum, weil sein Orden schon seit einiger Zeit mit dem der Brüder vom heiligen Kreuz geheime Fühlung gesucht und gefunden hatte.

Die Jünger des heiligen Ignatius schienen von dieser geheimen Verbindung noch keinen Wind bekommen zu haben, denn wer von ihnen an Zahnweh litt, sprach, nach wie vor, bei keinem anderen Dentisten, als dem Frater Battista vor, und schrieb alsdann die Qualen, die er dort ausstehen mußte, stets der besonderen Schwierigkeit des Falles zu.

Anders aber auf entgegengesetzter Seite. Die Fate bene fratelli waren von allen neuen Machinationen jener sauberen Zunft immer aufs beste unterrichtet und kannten sogar die weltlichen Helfershelfer derselben genau nach Stand, Namen und Wohnung.

Was hätte Battista darum gegeben, wäre ihm einmal der Meister vom Stuhl, der Pater Mariano selbst, unter die Zange geraten. Doch jener schlaue Fuchs bekam entweder niemals Zahnschmerzen oder konsultierte einen anderen Zahnarzt, als wittere er bereits den Racheteufel.

Zu den Mittelspersonen, die dem gefährlichen Operateur so manche Geheimnisse über seine und seines Ordens verkappten Feinde zuflüsterten, gehörte unter anderen auch der Diener Dr. Malders, Bloxam, dessen Bekanntschaft er lediglich seiner Kunst verdankte. Beide hatten schnell einander ins Herz geschaut, und auf diese Art war Battista die haarsträubende, jüngste Schurkentat Marianos, Frau Montal betreffend, wenigstens andeutungsweise durch jenen Iren bekannt geworden. Alles weitere und Genauere hatte er sodann von den Brüdern des heiligen Kreuzes im Brigittenkloster erfahren.

Hell auf jubelte daher der alte Bosheitsteufel unter der schwarzen Mönchskutte, als Bloxam eines schönen Tages ins Zahnatelier gestürzt kam, um seinem Freunde Battista die Meldung ins Ohr zu hauchen: der intimste Kumpan Marianos, der Marquis de Santillier nahe hilfesuchend mit einer entsetzlich dickgeschwollenen Backe.

Unser Klosterdentist hatte kaum noch Zeit, seinen stärksten Exekutionsapparat hervorzulangen und unter seiner Kutte zu verbergen, als der sonst immer so lustige Gascogner, sich heute wie ein Wurm in seinen Schmerzen krümmend, auch bereits die Höhle jenes Löwen, der ihn zu zerreißen im Begriff stand, wankenden Schrittes betrat. Der geplagte Stutzer begnügte sich mit einem kurzen pantomimischen Hinweis auf seinen nervus dentis hinzuweisen.

Battista seinerseits, der natürlich die unbefangenste und teilnehmendste Miene von der Welt aufgesteckt hatte, besah sich das wilde Karnickel des feindlichen Gaumens einen Augenblick, schüttelte, innerlich triumphierend, bedenklich mit dem Kopfe und brachte dann, mit kaltem Blute und in gewohnter, geschäftsmäßiger Routine, Schlüssel und Zange zugleich an den Ort ihrer liebenswürdigen Tätigkeit.

Seit zwanzig Jahren war unserem humanen Klosterbruder keine Operation mißglückt, und eben auf dieser beneidenswerten Tatsache basierte sein Ruhm und der kolossale Andrang des Publikums zu seinem Zahnatelier, Aber selbst ein Meister kann ja einmal Pech haben, und eine so allgemeine und fest begründete Reputation, wie sie Battista als Heilkünstler genoß, konnte durch ein einziges, kleines Malheur unmöglich vernichtet werden.

Das ungefähr waren die Gedanken, unter denen Battista seine Exekutionsfletsche, so tief, als es das dickgeschwollene Zahnfleisch des Patienten nur irgend zuließ, an den besagten kranken Backenwüterich und einen kerngesunden Kaukollegen daneben legte, den wie einen Hund heulenden Marquis dabei liebevoll tröstend, daß in einem Moment ja aller Schmerz vorüber sei.

»Nur zu, nur zu!« brüllte der Unglückswurm auf dem Drehschemel, » pater patriae, macht es kurz!« Battista hatte dem lustigen Gascogner den Gebrauch von Betäubungsmitteln, nach denen er, der feige Pfaffenknecht, anfangs energisch verlangt hatte, als in diesem besonderen Falle durchaus gesundheitsschädlich, wohlweislich auszureden gewußt. Lachgas kannte man damals noch nicht, und auf diese Weise war dem redlichen Klosterdentisten die Aufrechterhaltung seiner Lüge verhältnismäßig leicht geworden, so daß er in der angenehmen Lage, sein Mütchen an ihm voll kühlen zu können, ohne seinem menschlich gewiß entschuldbaren Bosheitskitzel in diesem Falle unliebsame Schranken auferlegen zu müssen.

Den Marquis dagegen hatte der Mut der Verzweiflung, zum ersten Male in seinem nichtsnutzigen Leben, zum wirklichen Leidenshelden gestempelt, der in der Stille seiner Eingeweide freilich jene feuchten, unterirdischen Mariano-Spaziergänge nach dem Ignatiusklostergefängnis verfluchte, auf deren letzten einem er sich sein jüngstes Zahnreißen mit obligater dicker Backe zugezogen hatte.

»Eins! – Zwei! – Drei!« zählte er selbst, um durch möglichste Selbstbeherrschung leichter über den für jeden Menschen schauderhaften Moment hinweg zu kommen – – da, ein blitzähnlicher, furchtbarer Ruck mit donnerähnlichem Geknack und Gekrach und – unser lustiger Gascognere wälzte sich, vom Stuhle taumelnd, in seinem Blute. – Battista hatte, zum ersten Male in seinem Leben, schändliches Pech gehabt und seinem vornehmen Patienten den halben Unterkiefer weggerissen.

Und bei dieser Art von Pech blieb es – sagen wir anstandshalber ›leider‹ – nicht. Zu der klaffenden Wunde des Marquis gesellte sich, wie oft in solchen Fällen, der entsetzliche sogenannte Brand, und ehe drei Tage verflossen waren, lag der gottverfluchte Helfershelfer Marianos auf der Totenbahre. – » Pax vobiscum!« – Entsetzt floh ganz Rom fast eine Woche lang das Mönchsatelier Battistas. Als sich bei einer näheren Untersuchung des abgerissenen Kieferteiles jedoch herausstellte, daß der vermaledeite, kranke Backenzahn des so jäh Verblichenen vier, sage vier mächtige Wurzeln besessen, die noch dazu mit dem Backenknochen verwachsen gewesen, da schrieben alle Zeitungen: »Unser pater patriae ist unschuldig, denn sein Malheur war unvermeidlich.«

Nach wie vor flutete die dickbackige, zahnschmerzgequälte Menge nach ihrem Erlöser am Ponte quattro capi, während Battista auf italienisch in seinen Wanst hineinkicherte: »Glück muß der Mensch haben.«

* * *

Während sich diese Geschichten auf genannter Tiberinsel und in der Wohnung des Marquis de Santillier, abspielten, hatte Kapitän Montal seinerseits nichts versäumt, was ihn seinem Hauptziele, die Erlösung seiner Gattin und seine Abrechnung mit Mariano betreffend, näher bringen konnte.

Ein eigenhändiges Schreiben seines Kaisers an den Papst hatte ihn mit dem Kardinal-Staatssekretär Antonelli zusammengeführt, und dieser letztere, der in Mariano längst seinen gefährlichsten, heimlichen Gegner erkannte, versprach ihm seinen ganzen Einfluß auf den Jesuitengeneral Bekx zur endlichen Entlarvung jenes, seine Ordensregeln und Freiheiten bei weitem überschreitenden geistlichen Maulwurfs. Aber glücklicherweise bedurfte es weder der Hilfe Antonellis, noch des Beistandes der Brüder von St. Croix, dessen Prior der Kapitän ebenfalls inzwischen kennen gelernt hatte und von dessen Untergebenen, den Brigittinern, er vollends in alle Details, den jüngsten Schurkenstreich Marianos und die Inhaftierung seiner Frau anlangend, eingeweiht worden war.

Diese letzten Schandtaten der Sacra Consulta und Officia Sacra sollten von einer noch höheren Hand als der des Stellvertreters Christi und seiner Getreuen vereitelt werden. »Die Rache ist mein, ich will vergelten, spricht der Herr,« sagt die Bibel, und dieses Gotteswort werden wir in Montals Angelegenheit sich glänzend erfüllen sehen.

Wir bemerkten schon eingangs dieses Kapitels, daß die für den Kirchenstaat bestimmte neueste französische Expedition in den ersten Tagen des Novembers 1867 in Rom eintraf, um die Engelsburg zum Schutze des gegenüberliegenden Vatikans zu besetzen. In demselben November nun, und zwar am 11. dieses Monats und seit mehr als 50 Jahren, feierte der jesuitische Klerus Roms ein Fest, das die unmittelbare Veranlassung endlicher Befreiung der Frau Montal werden sollte.

Im Jahre 1773 hatte sich bekanntlich Papst Clemens XIV., hauptsächlich auf Drängen und Verlangen Spaniens und Frankreichs, gezwungen gesehen, den 1539 gestifteten Jesuitenorden wieder aufzuheben. Pius VII., jenes Clemens Nachfolger, befand sich aber schon im Jahre 1814 in der glücklicheren Lage, die Gesellschaft Jesu in ihrem alten Umfange wie Ansehen restaurieren zu können. Hatte jener Papst den besagten Orden durch die Bulle: » Dominus ac redemtor« aufgehoben, so führte dieser denselben durch seine Bulle: » Sollicitudo omnium« wieder ein. Obgleich nun der eigentliche Erneuerungstag der Jünger Loyolas de jure der 7. August war, so wurde jenes alljährliche Freudenfest des jesuitischen Klerus seit 1814, schon der großen Hitze wegen, dennoch nicht an diesem Tage, sondern immer erst am 11. November begangen.

Am 11. November 1814 nämlich war die Restitution des Jesuitenordens, de facto, dadurch in Angriff genommen worden, daß man das Noviziat des Ignatiusklosters in dem von uns genauer betriebenen Stadtviertel Roms, feierlich wieder eröffnete, und eben diese Restitution des Noviziats galt fortan als der höchste jesuitische Festtag, wenn auch selbstverständlich nur intra muros.

Innerhalb der Ignatius-Klostermauern entwickelte sich an diesem Tage ein Leben, ja eine Fidelitas, gegen welche der Orgiasmus der Alten bei Bacchusfesten und anderen Mysterien schier ein Waisenkind war.

Der Leser hat schon aus den nächtlichen Zusammenkünften des Paters Mariano mit dem lustigen Gascogner in eben denselben Klostergebäuden einen ungefähren Begriff von der Proteusgenialität des Jesuitismus bekommen. Nicht bloß Weine und Zigarren der feinsten Marken und edelsten Sorten barg das Mauergetäfel der Jesusgasse, nein, auch die schönsten Frauenzimmer aller Nationen fanden dort – honny soit qui mal y pense – natürlich immer nur in ihrer Eigenschaft als Missionarinnen des Ordens, ungehinderten, wenn auch selbstverständlich nur geheimen Zutritt.

Man stelle sich also einen ordentlichen Maskenball mit Champagnerpfropfensalven und Kußgranatenfeuer im Refektorium des Klosters St. Ignatius vor, und man wird finden, daß die Kankantänzerinnen der Kaiserin Eugenie in St. Cloud oder Compiègne vor jenen heimlichen Festorgien des Ignatiusklosters keineswegs zu erröten brauchten.

Ein solches dionysisches Mysterium intra muros ward nun auch am 11. November 1867 gefeiert, und Pater Mariano, dem der kürzliche schreckliche Tod seines Koadjutors, des lustigen Gascogners, selbstverständlich sehr zu Herzen gegangen war, spielte, trotz seiner Magerkeit, hauptsächlich wohl aus diesem Traueranlaß, den Thyrsus schwingenden Bacchus-Dithyrambus.

Wer aber unter den Bacchantinnen und wildesten Mänaden stellte nun aber des Bacchus geliebte Ariadne aus Naxos vor? Welche geistliche Odaliske kränzte unter dem Freudenschrei: »Evoë Mariano!« sein pechschwarzes Haar mit Eppich und Weinlaub?

Soweit wir aus den folgenden Tatsachen zu schließen berechtigt sind, war dies an besagtem Restaurationstage kein anderes weibliches Wesen, als die entzückende, blonde Tochter Albions, Miß Harriet alias Mary Campbell, welche dem Leser aus früheren Kapiteln hinlänglich bekannt ist.

An diesem Feste ihrer Meister war natürlich von »vorgesetzt« und »untergeben« keine Rede; diese jüngsten Bacchanalien lieferten vielmehr eine treffliche Illustration zu Heinrich Heines frivolen Versen:

Tausend Ritter, wohlgewappnet,
Hat der heilige Geist erwählt,
Seinen Willen zu erfüllen
Und er hat sie mutbeseelt. –
Nun, so schau mich an, mein Kindchen,
Küsse mich und blicke dreist,
Denn ich selber bin ein solcher
Ritter von dem heiligen Geist!

Miß Harriet gerade war dem Mephisto Mariano in jüngster Zeit als Pseudogretchen dadurch noch besonders nahe gerückt worden, daß ihr unter anderm auch die Aufgabe zufiel, Frau Montal im Gefängnis zu besuchen und über ihren Geistes- und Gemütszustand eingehenden Rapport zu erstatten. Sie war also nicht bloß in Ordensvergnügungen, sondern auch in Ordensgeschäften die Vertraute Marianos, namentlich aber seit dem Tode des Gascogners, geworden, und sollte eben aus diesem Grunde und nach des Himmels Ratschluß sein gerechtes Schicksal so weit sie dasselbe verdiente, teilen.

Waren die nun im Weinrausche leichtfertig weggeworfenen Glimmstengel und Zigarrenstümpfe der Herren Fratres die Ursache, daß in den klösterlichen cabinets secrets, welche die frommen Väter selbstverständlich und meist paarweise nach den aufregenden Bacchanalien des Refektoriums zu gegenseitiger stiller Beschaulichkeit aufgesucht hatten, jedenfalls brach bald nach Mitternacht plötzlich Feuer aus, und im Kloster des heiligen Ignatius brannte es dermaßen, daß fast ganz Rom den Kopf verlor. Jedermann wußte, daß ein Feuer in jenem so eng gebauten und winkelreichen Viertel leicht die Vernichtung der gesamten mittelalterlichen Stadt zur Folge haben konnte.

Dieser Gefahr entsprechend, war denn auch schon gegen ein Uhr nachts alles – freilich nicht allein zur Hilfeleistung, wie das bei solchen Gelegenheiten in großen Städten stets der Fall ist – auf den Beinen. Zumal viele Jesuitenfeinde, die nach der Brandstätte eilten, rieben sich vor Schadenfreude vergnügt die Hände und dachten: »Gott sei Dank, daß jenes Rabennest nun einmal ordentlich ausgeräuchert wird!«

Zu den allerersten aber, die den Ausbruch des gewaltigen Feuers bemerkten, gehörte Kapitän Montal. Ihn, der schon seit seiner Ankunft in Rom allnächtlich um die hohen Mauern des Ignatiusklosters schlich, hatte eine innere Stimme, die ihm sagte: »Heute oder nie!«, gerade an diesem Abend besonders früh in jene finstere Stadtgegend getrieben.

Heute, wie niemals im Jahre, durfte er hoffen, die Sorglosigkeit der Klosterinsassen, welche schließlich, von Wein und Liebe berauscht, den Schlaf der Gerechten schliefen, werde ihm zur gewaltsamen Befreiung seines Weibes – denn ihre Erlösung auf legalem Wege konnte sich, wenn sie überhaupt gelang, noch monatelang hinziehen – sonst nie zu erwartende Mittel und Gelegenheit bieten.

Zu diesen Mitteln zählen wir aber keineswegs auch Brandstiftung. Denn ganz abgesehen von seiner dienstlichen und eidlichen Mission, gerade das priesterliche Rom zu beschützen, hätte schon die Stärke und Höhe der Klostermauern ein derartiges Beginnen Montals von vornherein unmöglich erscheinen lassen. Eine Entführung mittels Strickleiter dagegen machte seinem Gewissen nicht die geringsten Skrupel, selbst wenn dabei ein Paar Jesuiten – von deren Schonung ihn sein Eid ausdrücklich dispensierte – ihre Knochen zerbrachen.

Und diese Art der Befreiung sollte ihm mittels der ungeheueren Feuersbrunst, die den ganzen Gebäudekomplex der Jesuitenniederlassung Roms an jenem denkwürdigen 11. November wie im Handumdrehen, aber ohne jedes Zutun von seiner Seite, entflammte und in ein entsetzliches Feuermeer verwandelte, wirklich gelingen.

Unter dem Scheine seiner Pflichten, als Retter aus so entsetzlicher Gefahr, war ihm sogar gewaltsamer Eintritt ins Kloster erlaubt, und von dieser ausnahmsweisen Laienlizenz machte Montal denn auch mit einer Korporalschaft seiner Getreuesten umfassenden Gebrauch.

Während die Hälfte dieser Soldaten, auf Mariano vigilierend, sofort nach Ausbruch des Feuers die verschiedenen Pforten rings umher besetzte, begab Montal persönlich sich mit den übrigen nach dem an die Jesusgasse grenzenden Klostergefängnis, das glücklicherweise von der Wiege der entsetzlichen Feuersbrunst für den Augenblick noch am weitesten entfernt lag.

Da binnen kurzem fast die ganze Expedition, mit Leboeuf an der Spitze, auf dem Brandplatze erschien, so fehlte es an rettenden Kräften nicht, und im Nu krachten die starken Angeln der eisenbeschlagenen Gefängnistüren unter den wuchtigen Axthieben französischer Pioniere.

Ganze Scharen armer, inhaftierter Personen beider Geschlechter stürzten den Soldaten halb wehklagend, halb jauchzend aus den gewaltsam erbrochenen Gefängniszellen entgegen, aber vergebens spähte Montal nach seinem unglücklichen Weibe.

Mit der Rachewut eines angeschossenen Löwen schickte er sich eben an, den allerletzten Korridor zu durchsuchen, als er plötzlich die ihm photographisch sehr wohl bekannte Gestalt Marianos, ein fast bewußtloses Frauenzimmer mit sich fortschleppend, nicht weit von seinen Leuten vorüberhuschen sah.

Mit dem scharfen Instinkt seiner teuflischen Natur hatte dieser Schurke seine höchst kritische Situation sogleich klar überschaut und sich aus den Armen der englischen Buhle, dieselbe kaltblütig ihrem Schicksal überlassend, in das noch unversehrte und der Gefahr am wenigsten ausgesetzte Klostergefängnis gerettet.

Sicherstellung seiner eigenen Person aber war es nicht allein gewesen, die ihn mit Sturmeseile nach dort getrieben hatte. Auch Frau Montal durfte nicht verbrennen; er brauchte dieselbe noch als Faustpfand zu seinen Händeln mit den Brüdern von St. Croix, und mußte daher selbst dieses, sein jüngstes Opfer, wenn auch gewissermaßen wider Willen retten.

Aber noch schneller, als sein Todfeind da vor ihm, war Kapitän Montal. Wie ein Stößer, der eine Taube morden will, stürzte er sich auf den verstockten Bösewicht und ergriff denselben gerade in dem Momente, wo dieser eine weit abgelegene, von Burgverließ ähnlichen, dicken Mauern flankierte, stockdüstere Kammer öffnete, die unglückliche Dame an seinem Arme mit einem furchtbaren Ruck da hineinschleuderte und darauf, die Tür dieser Kammer mit Hast wieder verschließend, seine persönliche Rettung durch die Flucht aus dem Kloster zu vollenden gedachte.

»Bis hierher und nicht weiter!« donnerte Montal dem Pater mit blankgezogenem Degen entgegen. »Du bist der Erzschurke Mariano, wer aber ist jene Unglückliche, welche du soeben in dieses Burgverließ gestoßen?«

Statt der Antwort erfolgten zwei Schüsse, welche der Gefragte, trotzdem sein Gegner wohlweislich dessen rechte Hand mit eisernem Griff umklammert hielt, aus einem mit seiner Linken blitzschnell aus der Kutte hervorgezogenen Revolver abzufeuern wußte.

Indes, beide Schüsse gingen in dem, schon durch die erste Begegnung entrierten wilden Ringkampf glücklicherweise fehl, und des Paters dritter Versuch, die bezeichnete Waffe zu seinem Vorteil anzuwenden, gelang vollends nicht. Expeditionstruppen waren nämlich inzwischen so zahlreich zur Stelle, daß Mariano, der, als er sah, daß aller Widerstand vergeblich, ein Giftfläschchen an seinen Mund zu bringen trachtete, im Nu entwaffnet und gefesselt am Boden lag.

Da der in ohnmächtiger Wut schäumende und schnaubende Mund des Schurken auch jetzt noch jede Auskunft verweigerte, machten die Soldaten, um hinter das Geheimnis zu kommen, natürlich und sofort von ihren Kolben Gebrauch, und fast ebensoschnell, als man den Jesuitenpater überwältigt hatte, krachte die Tür des bezeichneten Gefangenenverließes in Schloß und Angeln zugleich.

Aber welch ein haarsträubender Anblick bot sich den Befreiern bei den ersten Strahlen, welche Blendlaternen in das auf diese Art erbrochene Gewölbe warfen? An den Wänden und in den Ecken dieses feuchten, finsteren Raumes hingen und standen mittelalterliche, ja altrömische, neroanische und diokletianische Marterinstrumente aller Art, während am Boden, zwischen eklem Gewürm und moderndem Gebein, die kranke und vor Entsetzen wahnsinnige Frau Montal kauerte.

Ein furchtbarer Schmerzensschrei des Kapitäns begleitete dies Wiedersehen seiner Gattin nach so viel Jahren und unter so grauenhaften Verhältnissen. Bald aber gewann der Soldat über den Menschen und Gatten die Herrschaft: »Einen Krankenwagen aus unserem Lazarett und dann behutsam nach meinem Quartier mit der Unglücklichen!« bedeutete Montal seine Leute in gewohntem Kommandotone, nachdem er selbst das jüngste Opfer des Jesuitismus vom Boden aufgehoben und in die Arme zwei seiner zuverlässigsten eigenen Mannschaften hatte gleiten lassen.

Ein nun folgender, nur flüchtiger und dennoch scharfer Blick des jetzt aufatmenden und heimlich seine Tränen trocknenden Kapitäns belehrte denselben nicht allein über den Ort, wo er seine Gattin wiedergefunden, sondern auch zugleich über die Art, wie er deren Unglück gebührend zu rächen habe.

Jener Grausen erweckende Raum, in welchen Mariano sein Opfer zuletzt gestoßen hatte, war nämlich die alte Ketzer-Inquisitionskammer des heiligen Ignatius, und die fürchterlichen Instrumente an den Wänden und in den Ecken dieses Martergewölbes waren kostbare Sammlungen aus jenen grauen Zeiten, wo die heidnischen Kaiser Roms dessen junge Christengemeinde mit Stumpf und Stiel ausrotten zu können meinten.

Darüber, daß die Väter Jesu dieselben Folterinstrumente, welche einst Heiden gegen die Anhänger des Kreuzes Christi gebraucht, im Spätmittelalter wider die Jünger Savonarolas und anderer Ketzer anwandten, wird sich der Leser nach dem, was er bisher über diese fromme Gesellschaft hörte, nicht mehr verwundern.

Unter anderem, nur mit Grausen zu betrachtenden alten Gerümpel befand sich aber in jener Raritätensammlung auch ein sogenannter Ketzerrost, auf welchem man die Anhänger der christlichen Lehre ehemals bei lebendigem Leibe gebraten hatte, und dieses eiserne Instrument war es, das Montals Racheherz schon auf einen flüchtigen Blick hin mächtig packte. Gleich rasch, wie sein Interesse für den altrömischen Ketzerrost hervorgerufen worden war, reifte demzufolge in ihm ein fürchterlicher und dennoch gerechter Entschluß: »Den Rost aus der Ecke und den Schurken hier darauf geflochten!« herrschte der Kapitän jetzt die noch zurückgebliebenen Leute an, und seine Augen blitzten dabei so gebieterisch, daß es sicher niemand gewagt hätte, diesem Befehle den Gehorsam zu verweigern.

Aber wenn diese Subordination auch nicht gewesen wäre, Montals Untergebenen begriffen die Absicht, noch mehr jedoch die gerechte Erbitterung ihres Chefs sehr bald, und noch ehe derselbe den Kausalnexus zwischen ihm und den am Boden röchelnden, gefesselten Schurken mit ein paar nachfolgenden Worten klar gestellt hatte.

Mit einer fast an teuflische Wollust erinnernden Freudigkeit machten sie sich demgemäß an die Ausführung der obigen Weisung ihres Vorgesetzten, obwohl diese Art Arbeit gewiß allen weder als eine gewohnte, noch erwünschte erschien.

Besagter Rost hatte ungefähr die Gestalt einer sogenannten Egge, das ist einer großen und viereckigen, seitens der Landleute zur Verkleinerung der aufgepflügten Erdschollen viel gebrauchten Ackerharke, nur daß doppelt so viele scharfe Eisenspitzen nicht bloß nach unten, sondern auch nach oben starrten, und die eisernen Kreuzbänder, an welchen jene Dornen vernietet waren, auf einem gleichfalls eisernen Gestell oder Rahmen mit vier mannshohen Füßen von demselben Metall ruhten.

Sobald der Schurke auf diesen Rost, wie auf ein Rad geflochten war, donnerte Montals Löwenstimme zum dritten Male: »Ins Feuer mit ihm! Schafft den Teufel in sein höllisches Element!« und die unfreiwilligen, aber jetzt selber rachetrunkenen Soldatenhenker gehorchten auch diesem Befehle, ungeachtet sich Mariano, Gnade flehend, wie eine Schlange in der eisernen Umklammerung seiner Glieder krümmte und wand. Gottes Strafgericht hatte ihn jäh ereilt, und der Kapitän war heute nur das Werkzeug dieses höheren und höchsten Waltens.

Ein mächtiger Sturmwind, der sich jetzt erhob, trieb das entsetzliche Feuer im Nu von Westen nach Osten, so daß auch das Klostergefängnis an der Jesusgasse bald in hellen Flammen lohte und Montals Leute mit ihrem Jesuitenbraten nicht weit zu laufen brauchten.

Als die unglückliche Kapitänsfrau durch Dr. Malders Fürsorge und ärztliche Pflege endlich wieder zum Bewußtsein gelangte und in ihrem Gatten zugleich den Retter ihres Lebens erkannte, hatte der Himmel das schwerste Verbrechen, welches Pfaffenschurkerei an ihr verübte, längst gesühnt.

Auf der wüsten Brandstätte des Ignatiusklosters entdeckte man beim Aufräumen des Aschenschuttes unter anderem auch einen eisernen Rost und neben zahlreichen, verkohlten Knochen von männlichen Personen auch merkwürdigerweise sehr viele weibliche Skelette.

Rasch tritt der Tod den Menschen an,
Es ist ihm keine Frist gegeben;
Es stürzt ihn mitten in der Bahn,
Es reißt ihn fort vom vollen Leben:
Bereitet oder nicht, zu gehen,
Er muß vor seinem Richter stehen!
Woe, that too late repents!


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