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Charlottenburg.

Es war zehn Uhr am Abend des 9. März. Zu dieser Jahres- und Tageszeit war damals der Verkehr in Charlottenburg nur gering. Höchstes, daß im türkischen Zelt bei dem freundlichen Wirt Lindner noch ein Paar Offiziere der Kompagnie Garde du Korps, oder ein verspätetes Pärchen aus Berlin saßen.

Die Chaussee von Spandau her, am sogenannten Bock vorbei, auf der Hochebene wanderte ein Paar, ein Mann und eine Frau, mit raschen Schritten, um Charlottenburg und womöglich noch einen der berühmten Hauderer mit den Schindmähren und der bekannten Firma »Noch eene lumpigte Person, Herr Jraf!« zu erreichen.

Der Mann trug, so viel sich im Dunkel erkennen ließ, eine ziemlich schäbig gewordene bürgerliche Kleidung; die Toilette der Frau hätte bei besserem Licht eine merkwürdige Komposition verraten, denn sie war in jenem Genre überladen elegant, welches die verlorenen Geschöpfe lieben und imittieren, die das Trottoir der Friedrichstraße des Abends unsicher machen.

Sie hatte das seidene Kleid hoch aufgeschürzt und trug ein Bündel in der Hand und einen Regenschirm unter dem Arm. Ihr Gesicht zeigte, wenn auch stark verlebte und angegriffene, doch immer noch hübsche Züge.

Der Mann, der sehr gemütlich neben ihr herschlenderte, eine Cigarre im Mund und die Hände in die Taschen seines langen, etwas alt und abgenutzt gewordenen Rockes gesteckt, war eine mittelgroße, schwächliche Figur. Er mochte etwa achtunddreißig Jahre zählen, obschon die fahle, krankhafte Farbe seines Gesichts, die sogenannte Gefängnisfarbe, und die tiefliegenden Augen unter der niedern Stirn ihn älter erscheinen ließen. Ein etwas schief ausgesetzter Hut bedeckte das sehr kurz abgeschnittene rotblonde Haar.

Der Mann war Herr Franz Günther, ehemaliger Kommissionär vor alles, und kam direkt aus dem Zuchthause zu Spandau; die Dame aber seine geliebte, trotz des kleinen Malheurs, das dem würdigen Paare passiert war, und ihres wachsenden Embonpoints noch immer sehr gefühlvolle Gattin Amanda.

Wir haben Herrn Franz Günther seit jenem Abend aus den Augen verloren, an welchem ihn bei Herrn von Hinkeldey selbst die Denunziation der Handgranaten nicht vor der Empfehlung einer Dame aus der hohen Aristokratie zu schützen vermocht hatte und er bei dem edlen Geschäft, das Kind seiner Schwester zu stehlen, zugleich mit den Teilnehmern des Einbruchs bei Herrn Samuel Jonas oder dem schwarzen Schmul von der Polizei war verhaftet worden.

Es war ihm freilich damals gelungen, sich der Brieftasche zu entledigen, in welcher das Eheversprechen des erschossenen Offiziers und die Anerkennung des Kindes sich befand, und man hatte bei der Visitation im Polizei-Bureau nichts bei ihm gefunden: aber am andern Morgen wurde besagte Brieftasche vor dem Hause des Herrn Samuel Jonas durch einen ehrlichen Finder entdeckt und der Polizei ausgeliefert, und obschon der Chef derselben allerdings nicht der Kammerherrin die erbetene Gefälligkeit erweisen und das gesuchte Papier ihr aushändigen konnte, denn es fand sich keine Spur desselben in der Brieftasche vor, so hatte die Revision derselben doch vollkommen genügendes Material ergeben, um aus anderen Gründen, als da waren allerlei kleine Wuchergeschäfte und falsche Wechsel etc., Herrn Franz Günther trotz seiner Verdienste um die Rettung des Staates der Justiz zu übergeben, die so undankbar gewesen war, ihn nach längerer Untersuchung auf so und so viele Jahre, um mit dem Kunstausdruck zu reden, über den Berg zu spedieren, das heißt ins Zuchthaus von Spandau.

Dort hatte er verschiedene Mitglieder der Gesellschaft aus der Kitzelpelle, so den blassen Ede, den Starken, Herrn Schiefmaul, den Klitscher-Karl und den Goldfuchs wieder gefunden, im Laufe der Zeit auch noch einige andere Gäste des moralischen Vergnügungs-Etablissements, hatte mit ihnen die berühmte Flucht des großen Demokraten Kinkel durchgemacht, war am heutigen Tage seiner Haft entlassen worden und hatte seine Ehehälfte, die sich indes in Berlin ernährt, so gut es ging, zu diesem feierlichen Akt nach Spandau entboten, um mit ihr – Anstands halber unter dem Schutz einer gewissen Dunkelheit – seinen Wiedereinzug in Berlin zu halten.

Herr Franz Günther promenierte, wie gesagt, die Hände in den Rocktaschen, neben der seine civilen Habseligkeiten aus dem Zuchthause tragenden Ehegattin her und schlürfte mit Wohlbehagen den Rauch der Cigarre, ein Genuß, den die Regeln des unfreiwilligen Hotels, aus dem er kam, ihn so lange hatten entbehren lassen.

»Du hast also alles jethan, Amanda, was ick Dich in dem Briefe jeschrieben, den der Goldfuchs Dich vor einem halben Jahre jebracht hat, als er entlassen wurde?«

»Alles, Franz!«

»Und der Schuster Weber?«

»Er ist seit einem Jahre dod, am Delarium clemens, wie es die Doktoren nennen, jestorben.«

»Verflucht! eine dumme Jeschichte! und sein Weib?«

»Sie ist fortgezogen, gleich nach dem Tode ihres Mannes, ich konnte man nich erfahren, wohin.«

»Und die Hauptmännin, die Berenburgen?«

»Sie soll des Glück gehabt haben, ein Asyl, wie es heißt, zu finden, so eins, wie vor unjlückliche Liebende vorkommt, in die Romans, wenn sie einander durchaus nicht kriegen können. Sie befindet sich in eine milde Stiftung und sieht sehr jut aus. Du weißt, daß Herr Samuel Jonas bald nach dem Abend, wo man Dir verhaftete, das Haus in der Jakobsstraße verkauft hat, und man erzählte damals allerlei Jeschichten in der Nachbarschaft. Aber die Berenburgen hat sich jlänzend jerechtfertigt, und ihre vornehmen Freunde haben ihr nicht verlassen.«

»Aber die Tochter?«

»Sie jeht in Sammet und Seide und is alle Abende bei Kroll ins Theater uns Konzert. Jott, wer es doch auch so schön haben könnte. Und ein jutes Herz hat sie noch immer, denn sie hat sich janz des verlassenen Wurms angenommen, wat sie damals bei sich hatte, zugleich mit der Amalie ihrem unglücklichen Pfande der Liebe, und des Mädchen is wie eine Prinzessin jekleidet in ihrem blauen Seidenrock mit die Volants und dem Krinolin und die weiße Burnusmantille von Gerson. Ach, Franz, wenn wir doch auch ein solches liebliches Wesen vors Herz hätten. Diese Mutterjefühle sind so rührend beschrieben!«

Herr Franz Günther warf ihr einen sehr unliebenswürdigen Seitenblick zu, trotz alles Respekts, den er vor ihrer Bildung hatte. »Des sollte mir fehlen, ick weeß alleene nich, wie wir uns jetzt in anständiger Weise durchbringen werden. Mit die Notenstecherei von Bocken, die sie uns drüben jelernt, und der sonst en janz juter Mann sein soll, is es Essig, und mir die Hände an das Holzschneiden für die Löwinsöne verderben, dazu habe ick nich die jeringste Lust. Aber es wird man schon sich was finden, vorerst habe ich 43 Thlr. 5 Sgr. Überschuß, und wir besitzen noch unsere Einrichtung. Es is nur eene verfluchte Geschichte mit des Kind.«

»Mit welchem Kind?«

»Mit der Male ihrem!«

»Aber Du weißt ja, daß der liebe Gott es zu sich genommen. Ein so unschuldiges Geschöpf – es ist gewiß gleich ein Syroph im Himmel geworden, als es der Schrank erschlagen hatte.«

»Hast Du den Leichnam jesehen?«

»Nein!«

»Na, ick ooch nich, und ick habe so meine Jedankens darüber. Die Male muß teufelwild gewesen sind, als ihr die Berenburger den Bären aufgebunden hat. Ick wette, daß die alte Hexe das Jeld nu alleene schluckt, aber ick werde en ernstes Wort mit ihr reden, wovor bin ick Onkel?«

»Du führst immer so seltsame Reden darüber, Franz, die ich nicht recht begreife. Es ist wahr, ich weiß es noch wie heute, als die Amalie, die sonst immer so hochmütig gegen mir jewesen, wie eine Wahnsinnige zu mir jerannt kam und mir in meinem Jram über das Unjlück, das Dir vier Lage vorher zujestoßen war, molestierte. Sie soll der Hauptmännin fast die Augen ausjekratzt haben und die Polizei mußte sich reinmengen. Gott, wie jemein! Sie soll auch die Hauptursache sein, daß die Hauptmännin ins Spittel ist, oder wie es vielmehr in der jebildeten Sprache heißt, ins Stift!«

(Fortsetzung im vierten Band.)


Herrosé & Ziemsen. G.m.b.H. Wittenberg.

 


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