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III. Abschnitt.
Das Erbe des Neffen.


Ein Ball in den Tuilerien.

Ein Jahr ist vergangen, ein Jahr und wenige Wochen; Louis Napoleon ist Kaiser der Franzosen.

Eine mächtige und strenge Hand legt sich auf das schöne Frankreich, aber Frankreich bedarf dieser mächtigen und strengen Hand. Die Schlacht der Geister wird immer und immer wieder die materielle Gewalt als Sieger hervorgehen sehen, denn an diesem Kampf der Geister hängt das Gewicht der menschlichen Schwächen, und die Erfahrung der Weltgeschichte lehrt, daß die Herrschaft, selbst die strengste, des einen leichter ist, als der Ehrgeiz von tausend Tyrannen.

Im Herbst des Jahres 1852 hatte der Prinz-Präsident Rundreisen durch die Departements gemacht. Es war genügend dafür gesorgt worden, daß ihn überall der Ruf: »Es lebe der Kaiser!« begrüßte. Der Erbe des ersten Napoleon wußte sehr wohl, daß das werdende Kaiserreich sich zunächst auf die Armee und die alten Traditionen stützen mußte, darum hatte er die Armee für »den wahren Adel Frankreichs« erklärt.

Die Kaiser-Komödie spielte ihre Rollen, der Chorus hatte gerufen, die Puppen tanzten willig am Draht, der vom Präsidenten geschaffene Senat erklärte, daß die Wiederherstellung des Kaisertums der Wunsch der Nation sei, und eine neue Abstimmung bestätigte mit 7 800 000 Stimmen den Kaisertitel.

Am 2. Dezember 1852, am Jahrestag der Niederwerfung der Republik, proklamierte Louis Napoleon sich feierlich als Napoleon III. zum Kaiser der Franzosen.

Es war zur Mittagszeit des 12. Januar. In einer Seitenallee des Bois de Boulogne ritten langsam zwei Reiter, der eine groß, elegant, von aristokratischen Formen, ein Mann in den besten Jahren, der andere kurz, eine Gestalt des Lebemanns, mit behaglichem, schlauem Gesicht. Der Sonnenschein hatte das elegante und schaulustige Paris ins Freie gelockt. Die glänzenden Equipagen der vornehmen Welt, die Kavalkaden der Lions füllten die berühmten Alleen im glänzenden Korso, die Damen en vogue, die Maitressen und Schauspielerinnen überboten durch ihren Aufwand die wahre Aristokratie mit der Aristokratie des Geldes.

Die beiden Reiter plauderten, nur zuweilen wurde ihre Aufmerksamkeit von dem Inhalt des Gesprächs durch eine besonders glänzende oder interessante Erscheinung in den Hauptalleen abgewendet.

»Ich will Ihnen einfach sagen, wie die Dinge stehen, lieber Graf,« sagte der Dicke, Behagliche. »Das neue Kaiserreich hat zwei Wege offen. Es muß in die Reihe der legitimen Staaten treten, und das ist nur möglich durch die unbedingte Anerkennung der Souveräne, und durch Aufnahme in ihre Reihe mittels einer verwandtschaftlichen Verbindung.«

»Wie der Onkel mit Marie Luise versuchte, aber der Erfolg bewährte das Mittel nicht!«

»Weil der Ehrgeiz des Kaisers den Sieg gewann über seinen geheimen Respekt vor der Legitimität. Es läßt sich nicht leugnen, daß es etwas Eigentümliches um ihren Zauber ist, so gut wie ich, der bürgerliche Freigeist, mich nicht weigere, im stillen eine gewisse Berechtigung des Adels anzuerkennen.«

»Das Thema ist abgedroschen, lieber Duplessis,« sagte lächelnd der andere, »gehen wir zu dem andern Weg über!«

»Dieser ist die Sicherung der Herrschaft auf Grund der napoleonischen Traditionen. Der neue Kaiser muß das Volk hätscheln und das Ende des ersten Napoleon vergessen machen. Er muß seine Erbschaft antreten, das heißt, sich unabhängig den Fürsten Europas gegenüber stellen, die Sieger besiegen, ohne Eroberer zu werden und Frankreich mit Glorie füttern. Die Armee beherrscht Frankreich, und der Name Napoleon beherrscht die Armee, wenn er sie in Thätigkeit zu halten weiß. Louis Philipp begriff nicht, daß Algerien nicht genügte, um seinen Thron zu sichern.«

»Sie sind ja ein famoser Diplomat geworden, lieber Duplessis, seit Sie zum Pays übergegangen.«

»Nicht mehr, als Sie, seit Sie die Kammerherrnschlüssel angenommen, oder die Herren Laroche-Jaquelin und Pastoret sich haben zu Senatoren machen lassen.«

Montboisier zuckte die Achseln. »Der Fauburg St. Germain wird alle Tage langweiliger, Freund, die Traditionen veralten! Man hat in Venedig und Frohsdorf unsere Opfer wenig zu würdigen verstanden.«

Der Journalist antwortete nicht auf diese Auslegung der Treue, er wies mit dem Reitstock nach der großen Allee.

»Es scheint, Mademoiselle Miron wird nicht zu bedauern haben, daß der neue Kammerherr ihr nicht mehr zu Füßen liegt und sie hoffähig machen könnte. Wenn sie ihren neuen Anbeter heiratet, wird sie außer der Verdoppelung ihres Reichtums auch einen ganz hübschen Namen erhalten. Der Kaiser begünstigt auffallend den Amerikaner.«

Ein finsterer Zug war rasch über das aristokratische Gesicht des Grafen geflogen, aber er wußte, daß sein Gefährte ihn unter der Maske der Gleichgültigkeit beobachtete, und er bewahrte seine Ruhe.

»Oberst Massaignac, der an jenem unglücklichen Tage als Opfer eines beklagenswerten Versehens fiel, galt viel bei dem Präsidenten. Man sagt, daß dieser ihm einen großen Teil der Mittel verdankte, um seine Kandidatur durchzusetzen.«

»Dann kassiert der junge Vicomte die Schuld ein. Das Affengesicht soll zu seinen übrigen schlechten Eigenschaften auch noch Geiz und Habsucht besitzen. Er berechnet sicher in diesem Augenblick, was die elegante Equipage der schönen Miron seinem Schwiegervater in spe gekostet hat, und wie viel er ihm wohl am Nadelgeld wird abzwacken können.«

»Bah! da ihr Bruder in Charenton ist und schwerlich je seinen Verstand wieder erhalten wird, ist sie zehnfache Millionärin, so gut wie der liebenswürdige Haciendero. Sie ist Mannes genug, ihm die Spitze zu bieten. Wenn sie den Pavian heiratet, verdient sie überdies ein solches Schicksal.«

Die elegante Equipage der Tochter des baronisierten Bankiers, umgeben von der Cavalkade ihrer Verehrer, die trotz der Launen der Dame und des ziemlich bestimmten Gerüchts ihrer Verlobung, ihr Reichtum fesselte, war vorübergerollt. Die Dame hatte mit einer graziösen Neigung des Fächers den Gruß der beiden Herren erwidert, die sie wohl erkannt hatte. Sie war noch immer schön, obschon ein scharfer Zug um Nase und Mund ihrem Gesicht eine gewisse Bitterkeit aufprägte und seit jenen schrecklichen Ereignissen, die ihren Bruder zum unheilbaren Bewohner des Irrenhauses gemacht, ihre Reizbarkeit und ihre Laune sich zum Unerträglichen gesteigert hatten.

»Haben Sie keine Nachricht von unserm andern Duellanten, dem Kapitän Fromentin?« fragte der Journalist.

»Nur daß er damals glücklich in Algier angekommen. Lord Heresford hat nach den Dezembertagen Paris verlassen, und damit hat unsere Verbindung aufgehört. Aber sehen Sie, da kommt unsere schöne Argentinerin, die Schwester des widerwärtigen Burschen von vorhin.«

Es war in der That Carmen, welche, von mehreren Cavalieren umgeben, im Galopp vorübersprengte.

»Man erzählt interessante Dinge von den Extravaganzen der jungen Dame,« sagte der Dicke. »Sie soll ihre Freiheit gegen zwei gewaltige Gegner zu verteidigen haben, gegen die alte heiratsstiftende Marchesa von Teba, die auf die Verbindung mit ihrem Verwandten dringt, und gegen den Bruder, der sie in ihrem Widerwillen dagegen unterstützt, aber sie dafür zum Klosterleben bereden möchte, um mit ihrem Vermögen das seine zu vermehren. Das wäre mit der Miron zusammen eine ganz hübsche Spekulation.«

»Die aber schwerlich in Erfüllung gehen wird. Ich habe während des Weihnachtsfestes in Compiegne den Charakter der jungen Dame einigermaßen kennen gelernt, sie ist ein kleiner Teufel. Die Wahl, den Spanier zu heiraten, oder ins Kloster zu gehen, da sie noch nicht majorenn, ist allerdings unangenehm, aber ich glaube, sie wird damit fertig. Haben Sie den jungen Mann gesehen, der an ihrer Rechten galoppierte?«

»Wer ist es?«

»Ein ehemaliger Offizier der garibaldischen Legion aus Italien, ein Franzose von Geburt. Der sardinische Gesandte hat ihn in die Gesellschaft eingeführt, aber man sagt, daß er ein Emissär Garibaldis sei, der bei seiner Lichterfabrik in New-York keine Ruhe zu haben scheint.«

»Und was ist mit ihm?«

»Er soll sie schon in Montevideo gekannt haben und ist für die Rechte des Spaniers jedenfalls ein gefährlicherer Rival, als damals unser junger Preuße war, der bei dem Duell des Kapitän Fromentin von Mörderhand verwundet wurde.«

»Er verließ ja wohl bald darauf Paris?«

»Es war eine eigentümliche Sache; ich muß gestehen, ich bin selbst nicht recht klug daraus geworden. Aber es scheint, daß der selige Oberst von Massaignac dem Preußen nicht unbedeutende Summen geliehen hat, und der Vicomte, als Erbe seines Vaters, nichts eiligeres zu thun hatte, als sie zurückzufordern. Die preußische Gesandtschaft mußte damals Bürgschaft leisten, und sie sind später von dem Offizier bezahlt worden. Aber wir kommen von unserem Gespräch ab – was glauben Sie, daß geschehen wird?«

Der Journalist sah den neuen Kammerherrn von der Seite an. »Als ob Sie nicht so gut, wie ich, wüßten, daß der blocus matrimonial ihn trotz der Anerkennung der Mächte zwingen wird, aus dem l'empire la paix, ein l'empire l'épée zu machen. Selbst die Verwandtschaft mit der Prinzeß Stephanie hat den Korb seitens des Hohenzollern nicht verhindern können, am sächsischen Hofe bei der Wasa dominierte der österreichische Einfluß, so gut wie bei der bayerischen Prinzessin, und die Idee, um die Hand der russischen Großfürstin anzuhalten, ist bei der Persönlichkeit des Kaiser Nicolaus wohl kein Ernst gewesen. Das letzte Mittel …«

Der Sprecher brach in seinem Satz ab und schaute eifrig nach der Allee.

»Was meinen Sie mit dem letzten Mittel?«

»Zum Henker! glauben Sie denn, daß die Diplomaten und Kammerherren allein gewisse kleine Geheimnisse erfahren? Wir Leute von der Presse haben so gut unsere Verbindungen wie Sie in Claremont, und ich fürchte, die Bombe wird in diesen Tagen platzen!«

»Ich muß gestehen,« meinte der Kammerherr, »das Projekt hat manches für sich; die Ernennung der alten Windfahne Dupin zum General-Prokurator deutet auf ein Gelingen.«

»Bah! wissen Sie nicht, daß die Königin Amelie ihm geschrieben hat, er würde den Orleans den besten Dienst erweisen, wenn er sich nicht mehr um ihre Angelegenheiten kümmerte? Erinnern Sie sich an den stolzen Geist der Herzogin und den Familieneinfluß des Kaisers Nicolaus auf die Mecklenburger.«

»Aber was bleibt dann übrig?«

Der Journalist wies lachend mit der Cigarre nach dem Gewühl der großen Allee. »Vielleicht diese da oder ein ähnlicher Streich. Il quittera l'artillerie, pour entrer dans le génie! L'Eugénie. Ein Krieg mit Rußland, der uns Moskau und die Beresina vergessen läßt, wird eine solche Extravaganz übersehen machen. Die Anekdoten, die Sie mir von Compiegne erzählt, beweisen, welchen Vorzug er ihr gießt, und die Teba ist eine Schwiegermutter, die ihr Handwerk versteht.«

»Davon weiß der arme Herzog von Alba zu erzählen. Er wollte keine Erklärung machen, deshalb mußte die kleine Dame erkranken, und alle Ärzte gaben ihr höchstens noch zwölf Stunden. Das Puppenspiel der Trauung auf dem Sterbebette und der letzten Ölung soll überaus rührend gewesen sein und wunderbar gewirkt haben, denn am anderen Morgen war sie frisch und gesund.«

Beide lachten und beschauten die glänzende Wagen- und Reitergruppe, die eben vorüberflog.

In einem offenen Wagen saß die Gräfin von Teba mit ihrer ältesten Tochter und einem geistlichen Herrn, darauf deutete wenigstens die ernste, einfache Kleidung, das scharfe, asketische, eingefallene Gesicht mit der eingebogenen Nase, das außerdem den Südländer verriet; neben dem Wagen oder ihm voran flog eine Reitergruppe von Damen und Herren, hohe Offiziere, elegante Kavaliere, in ihrer Mitte eine stolze, schlanke Frauengestalt auf hohem, schwarzem Renner. Sie trug ein Reitkleid von dunkelgrünem Sammet, das cendré-blonde, wahrhaft prächtige Haar von einem grauem Kastor mit weißer Feder überschattet, unter deren Wogen ein schwarzes Augenpaar bald schmachtend und halb verschleiert, bald mit herausforderndem Feuer hervorblitzte.

»Man muß gestehen,« meinte der Graf, indem er sein Augenglas abschüttelte, »sie ist verführerisch, aber Herr Aguado an ihrer Seite ist eine unangenehme Gesellschaft. Der Traktat mit Spanien wird leichter geschlossen sein und die Ostmächte geneigt machen, die Adoption des Herrn Jerome und seines liebenswürdigen Sohnes, des Montagnards, zu verdauen. Aber, sehen Sie, was geht dort vor?«

Ein Gedränge der Reiter und Equipagen an einem entfernten Kreuzwege, einzelne Ausrufe aus der Zuschauermenge deuteten aus einen Unfall; die beiden Herren setzten ihre Pferde in Galopp. Aber sie waren noch keine hundert Schritt geritten, als sie durch eine Lichtung die Ursache der Verwirrung erkannten.

Eine der schönen Amazonen, welche die glänzenden Edelsteine dieses Korso bildeten, flog im gestreckten Carriere über das Ende der Lichtung weiter hinein in das Gehölz. In dem kurzen Augenblick der Erscheinung war es unmöglich, zu erkennen, ob das Pferd mit der Dame durchgegangen oder sie noch Herrin desselben sei. Wenige Sekunden darauf folgte ein einzelner Reiter und bald nachher eine ganze Gruppe.

»Wer mag sie sein? Sie saß noch ziemlich fest im Sattel!«

»Das können sie aus der Kavalkade hinter ihr raten,« antwortete Montboisier. »Ich habe den Grafen Don Alvaro erkannt, und dort folgt auch der Wagen der Miron. Es ist vielleicht ein Reiterstückchen der wilden Argentinerin; jedenfalls wird der junge Gaucho, der ihr zunächst war, sorgen, daß ihr kein ernstlicher Unfall passiert, denn er war vortrefflich beritten. Lassen Sie uns hier einbiegen, vielleicht sehen wir das Ende der Jagd.«

Der Vorfall, obgleich man in der That nicht wußte, ob er einer Laune der wilden, schönen Reiterin oder der Unbändigkeit des Pferdes zuzuschreiben war, hatte Aufsehen gemacht, und alles zog sich nach der Richtung, in welcher die Kavalkade verschwunden war.

Die Gesellschaft der schönen Carmen war in der berühmten Allee von Longchamps bis zu dem Punkte gelangt, wo die Alleen nach dem künstlichen See führen; die Unterhaltung bewegte sich, so viel der muntere Ritt erlaubte, in allgemeinen Zügen und Bemerkungen über die Tagesereignisse oder die Erinnerungen aus Amerika, und die junge Argentinerin plauderte so unbefangen mit ihren Begleitern, als ob sie an nichts anderes dächte; denn die eifersüchtige Bewachung ihres spanischen Verlobten, der nicht von ihrer Seite wich, verhinderte jedes andere Gespräch.

Nur einige flüchtige, aber bedeutungsvolle Blicke hatten den jungen Vertrauten des, seit jenem unglücklichen Rückzug von Rom und seinem Entkommen nach Genua von der politischen Schaubühne verschwundenen, Generals Garibaldi benachrichtigt, daß die Sennorita ihm ernsteres zu sagen wünsche, als das leichte Geplauder, mit dem sie die Gesellschaft unterhielt, und mit der Aufmerksamkeit des alten Seemanns und Pampaskriegers beachtete er auch die geringsten Bewegungen der Dame.

Er bemerkte, wie sie, gleich wie zufällig, das Gespräch auf die Eigenschaften der Pferde lenkte, welche die Kavaliere ihrer Gesellschaft ritten, und sie verglich. Mit dem Kennerauge, das ihm die Erziehung seiner Jugend bewahrt, bemerkte er, daß das Pferd der jungen Dame ein Vollblut von vollkommener Rasse war, dessen hoher und sehniger Bau einen ausgezeichneten Renner versprach, mit dem sich die andern Pferde in keiner Weise zu messen vermochten. Das seine war ein feuriger kräftiger Berber aus dem Stalle des Gesandten, den er bereits mehrmals geritten, und auf den er sich verlassen konnte.

Kapitän François war in den letzten drei Jahren, obschon er noch sehr jung war, bereits zum vollen Manne gereift. Das abenteuerliche Leben unter hundert wechselnden Situationen und Gefahren, unter den verschiedensten Himmelsstrichen hatte nicht bloß sein Gesicht gebräunt, seiner Gestalt die volle kräftige Sicherheit gegeben, ohne sie ihrer frühern Elastizität zu berauben, sondern auch seinen noch im ersten Jugendfeuer glühenden Charakter gestählt und ihn besonnener gemacht. Selbst das Abenteuer in Berlin mit der jugendlichen Schweizerin, für die er so plötzliches Interesse gewonnen, und die ihm so rasch und geheimnisvoll verschwunden, war nicht ohne Einfluß auf seinen Charakter geblieben und hatte lange einen Schatten in sein Leben geworfen, der erst später durch die wechselnden Ereignisse und vor allem seit seiner Ankunft in Paris durch das zufällige Wiederfinden und die glänzende Erscheinung der jungen Haciendera gänzlich verwischt worden, die er einst am La Plata kennen gelernt.

Die Ankunft des Wagens der schönen Miron und ihres Bruders Guzman lenkte einen Augenblick die Aufmerksamkeit der Gesellschaft und ihres Verlobten des Don Alvaro nach jener Richtung. Der junge Kapitän befand sich in diesem Augenblick der Sennora gegenüber; ein bedeutsamer Blick begegnete dem seinen, so ausdrucksvoll und traurig, so dringend und Beistand heischend, daß er unwillkürlich zurückbebte. Zugleich erhob sich die feine, behandschuhte Hand und deutete nach einer bestimmten Richtung und aus den leicht geöffneten Lippen drang kaum hörbar der Name Marc d'Auteuil.

Im nächsten Augenblick schon trieb die Dame ihr Pferd lachend und scherzend, als wolle sie der Gesellschaft ihre Reiterkünste zeigen, gegen eine Barriere; die Zuschauer, welche sich um die glänzende Gruppe auf den Fußwegen versammelt hatten, stäubten schreiend auseinander, und die kecke Reiterin setzte mit raschem Sprung ihres Pferdes hinüber. Ein Beifallsklatschen der Kavaliere und des rasch wieder gesammelten und für dergleichen immer erregten Publikums belohnte ihr Reiterstück, und wie von dem Beifall erfreut, wendete sie kurz ihr Pferd und kehrte mit raschem Sprung zu der Gesellschaft zurück, in deren Kreis sie fortfuhr, ihr Pferd zu tummeln, als sei es durch die Sprünge erregt und wild geworden.

»Laß die Possen, Carmen,« sagte unwillig der Vicomte, ihr Bruder. »Bring' das Pferd in Ruh – diese Damen ängstigen sich sonst.«

Das junge Mädchen warf einen etwas spöttischen Blick auf die künftige Schwägerin, die ihre Triumphe und Siege nur auf dem Parkettboden der Salons oder auf den Weichen Diwans der Boudoirs im Glanz aller Künste der Toilette zu feiern gewohnt war, und stachelte mutwillig ihr edles Tier, daß es auszuschlagen und sich zu bäumen begann.

Einige Frauen und Kinder kreischten auf, Don Alvaro, ihr Verlobter, trieb sein Pferd heran. »Ich bitte Sie, Donna Carmen, der Menge hier kein Schauspiel zu geben, es ist unpassend und ängstigt Ihre Freunde.«

Ihr Bruder hatte sich erhoben. »Ich befehle Dir, einzuhalten –« sie hatte in einer Volte das schäumende Pferd herumgeworfen und spornte es bereits gegen die zweite Barriere, die volle fünf Fuß hoch war, »ich verbiete es Dir!«

Ein helles fröhliches Lachen der jungen Reiterin mischte sich in den Angstruf der Frauen, in die Besorgnis der Männer. »Ich glaube wahrhaftig, Du hast unsere Estancia am Rio Yi vergessen!« Sie hob die Hand mit der Gerte, ein Schlag auf die Flanke des edlen Tiers, es hob sich im gewaltigen Sprung und flog, kaum mit den Spitzen der Hintern Hufe leicht den Rand der Barriere berührend, über diese hinweg.

Ein noch lauteres, allgemeineres Bravo begleitete das für eine Dame allerdings kühne Stück, aber in den enthusiastischen Applaus mischten sich bald neue Rufe des Schreckens und der Angst, denn das edle Pferd schoß nach dem Sprung ohne anzuhalten wie ein Pfeil fort in eine Seitenallee, ja es schien mit jedem Augenblick seine Schnelligkeit zu vermehren, und einige Gebärden der enteilenden Reiterin ließen vermuten, daß es wider ihren Willen geschehe.

»Um Gotteswillen! das Pferd geht mit ihr durch! Carmen, hierher! haltet sie auf!«

Die Rufe mischten sich, erst Zweifel, dann allgemeine Angst, der Kapitän setzte mit seinem Berber über die Barriere und folgte der Dame; in einem Augenblick, den Sprung durch eine kluge Umgehung vermeidend, war die ganze Kavalkade hinter ihnen her.

Dies war der Moment, als der Graf von Montboisier und sein Begleiter die Schar in der Ferne vorüber brausen sahen.

Aber bald blieb der junge Garibaldiner, der bisher der erste gewesen war, wie durch ein Versagen oder Ausbrechen seines Pferdes zurück, der Spanier und die andern Reiter schossen an ihm vorüber, ohne Notiz von ihm zu nehmen, denn in der mit jedem Moment sich vergrößernden Entfernung wehte der Schleier der gefährdeten Reiterin und die Eile, ihr nachzukommen, ließ alles andere vergessen.

Als der Letzte der hilfebringenden Verfolger wandte Kapitän François plötzlich sein Tier in einen Seitengang zur Linken, wie um einen Versuch zu machen, dem durchgegangenen Renner den Weg abzuschneiden, wenn er sich, vielleicht nach dieser Richtung wenden sollte.

Aber wunderbarer Weise schien der Berber des jungen Abenteurers, so bald dieser in der Nebenallee verschwunden war, mit jedem Schritte neue Spannkraft zu gewinnen, so daß er bald mit einer Eile dahin flog, die der Schnelligkeit des englischen Vollbluts der Sennorita wenig nachgab.

Es waren etwa zehn Minuten seit der Scene an der Barriere verflossen, als Kapitän Laforgne die Festungswerke von Auteuil und die Ufer des kleinen romantischen Teiches vor sich sah, der, von hohen und ehrwürdigen Baumgruppen umgeben, eine der hübschesten Partieen in der ländlichen Umgebung von Paris bietet.

Unter den jetzt blätterlosen Ästen einer hohen Ulme sah der junge Franzose eine Reiterin halten; das Pferd war schaumbedeckt, seine Flanken keuchten – es war die Sennorita.

Im nächsten Augenblick hielt er an ihrer Seite. Der scharfe Ritt hatte ihre Wangen gerötet, ein schalkhaftes Lächeln spielte um ihren schönen Mund; aber die Wichtigkeit und der Ernst des Augenblicks verdrängte rasch ihre spöttische Laune, und indem sie zu dem jungen Mann sprach, war der Ton aus der noch von der Anstrengung wogenden Brust tief und schwer.

»Ich danke Ihnen, Señor, daß Sie mich verstanden haben!«

Der junge Mann verbeugte sich schweigend bis auf den Hals seines Pferdes.

»Unsere Augenblicke sind gezählt,« fuhr die Dame fort. »In fünf Minuten schon kann Don Alvaro in jener Allee erscheinen, nur die Schnelligkeit meines Pferdes und meine Kenntnis der Wege hat mich den Vorsprung nützen lassen. Sie sehen, ich spielte, obschon ich heute meine französische Woche habe, doch die Reiterin der Pampas!«

»Señora werden immer Ihrer Natur treu bleiben!«

»Ich hoffe es, obschon es mir seit dem Tode meines guten Vaters, und seit mein werter Herr Bruder das Familienhaupt zu spielen beliebt, allerdings etwas schwer wird.«

Es trat eine kurze Pause ein, die Dame schien nach Worten zu suchen, der Kavalier wartete ehrerbietig. Dann wandte sie sich entschlossen zu ihm.

»Ich habe Sie hierher beschieden, weil mir jede Gelegenheit fehlte, an Sie eine offene Frage zu richten, denn ich bin von Spionen umgeben und bewacht. Diese Familie Montijo ist schrecklich, und mein Bruder ganz ihr Werkzeug. Señor, erinnern Sie sich wohl noch der Estancia in meinem schönen und freien Montevideo?«

»Ich habe sie nie vergessen!«

»Und gedenken Sie, daß ich Ihnen noch den Preis für Ihren Ritt durch das Feuer schuldig bin, das die Gattin Ihres Generals bedrohte?«

Ohne zu antworten, faßte der junge Mann in die Brusttasche seines Rocks und zog einen Gegenstand hervor, in weiches Seidenpapier gehüllt, den er entfaltete.

Es war ein seidener Handschuh, das Pfand der Zukunft? Vgl. Villafranca, I. Band.

Ein glänzendes Lächeln glitt über die schönen Züge des jungen Mädchens.

»Ich sehe, Señor, ich habe mich nicht getäuscht. Aber werden Sie für Carmen Massaignac einen zweiten Zweikampf mit Don Alvaro, vielleicht bald einem Vetter des mächtigen Beherrschers von Frankreich, wagen wollen?«

Der Abenteurer lächelte spöttisch. »Was kümmert mich der Kaiser von Frankreich! Sprechen Sie, Señora, mein Leben gehört Ihnen.«

»Wohlan, ich weiß aus Ihren öffentlichen Erzählungen, daß Sie noch immer der treue Freund und Assistente jenes tapfern Mannes sind, dem mein armer Vater so hohes Vertrauen schenkte, daß Señor Garibaldi sich in diesem Augenblick wieder in Süd-Amerika befindet, und daß Sie zu ihm zurückkehren werden?«

»So ist es, Señora. Nur in seinem Auftrag und in Politischen Angelegenheiten bin ich hier. Er kann sein Vaterland nicht vergessen.«

»So wenig, wie ich das meine. Señor Francisco, die Zeit drängt. Wollen Sie mir behilflich sein, diese Pariser Fesseln von mir zu werfen und in mein Vaterland zurückzukehren?«

»Mit tausend Freuden, Señora.«

»Die Luft, die ich hier atme, der Zwang, den ich seit dem Tode meines Vaters leide – sie ersticken mich. Ich muß frei sein, aber dies kann ich nur in Montevideo. Dort kann mein nichtswürdiger Bruder, der Sklave seiner Habsucht und seines Ehrgeizes, es nicht wagen, meine Rechte mir zu entziehen und mich in Fesseln zu schlagen, die ich seit jenem Brande der Apostaderos mit jedem Tage mehr verabscheuen gelernt.«

Eine dunkle Röte überzog ihr schönes Gesicht, als sie die Worte sprach, aber sie fuhr sogleich mutig fort:

»Eine Flucht aus Paris ohne den Beistand eines aufopfernden und mutigen Mannes ist trotz aller eigenen Kraft, die ich besitze, nicht möglich. Darum war es mir ein Sonnenstrahl, und ich glaubte, die heilige Jungfrau selber habe Sie mir zu Hilfe gesandt, als ich Sie vor acht Tagen hier in Paris traf.«

»Ich danke Ihnen, Señora, und werde Ihr Vertrauen rechtfertigen.«

»Sie müssen mich entführen und nach Montevideo bringen; das Wie und der Weg sind Ihre Sache; ich vertraue mich Ihnen ganz an, denn ich kann diesen Spanier nicht heiraten, trotz des Versprechens meiner Mutter, und ich habe ebenso wenig Lust, mich in ein Kloster sperren zu lassen, um meinen Bruder zu bereichern. Meine Flucht muß noch diese Nacht geschehen. Können Sie Paris verlassen?«

»Jeden Augenblick! Meine Mission ist zu Ende, Italien hat gegenwärtig von Paris nichts zu hoffen, der neue Kaiser von Frankreich spielt dasselbe undankbare und verräterische Spiel, wie der Präsident der Republik gethan.«

»Wohl! so treffen Sie Ihre Anstalten!«

»Aber wie, Señora, soll ich zu Ihnen gelangen?«

»Der Kaiser giebt heute einen Ball in den Tuilerieen. Haben Sie eine Einladung?«

»Der sardinische Gesandte, an den ich Empfehlungen hatte, ist so gütig gewesen, mir eine solche zu verschaffen, aber ich werde jetzt keinen Gebrauch davon machen.«

»Im Gegenteil! Sie müssen hingehen, unter allen Umständen. Ich bin dort. Von dem Ball müssen Sie mich entführen!«

»Aus den Tuilerieen?«

»Gerade aus den Tuilerieen, es ist der einzige Ort, wo ich hoffen darf, mich unbemerkt entfernen zu können, und wo wir beim Tanz alles nötige verabreden können. Haben Sie einen Freund oder Diener, auf den Sie sich verlassen können?«

»Das letztere, Señora! aber ich behandle ihn als Freund. Sie kennen ihn!«

»Ich?«

»Sie selbst. Erinnern Sie sich des Kanadiers, des Waldgängers? Felsenherz nannte man ihn in der bezeichnenden Sprache Amerikas, der die unglückliche Gattin des Kommodore Garibaldi durch die Wälder begleitete und in jenem gefährlichen Brande der Apostoderas an ihrer Seite war?«

»Ich erinnere mich seiner. Er benutzte Ihr Schiff, wenn ich mich recht erinnere, bis Rio de Janeiro oder Pernambuco, um nach seiner nordischen Heimat zurückzukehren.«

»So ist es. Wir schlossen schon damals Freundschaft. Als ich mit dem General nach seinen mißglückten Spekulationen New-York verließ und ihn nach Kalifornien begleitete, trafen wir in den Rocky Mountains Felsenherz wieder. Er hat sich seitdem uns angeschlossen und neugierig, das vielgerühmte Europa zu sehen, hat er mich hierher begleitet, obschon er sich hier in der That vorkommt, wie einer der Bären seiner Heimat in einem Tanzsaal.«

Die Sennora war durch die kurze Erzählung des Kavaliers wieder heiter gestimmt.

»Ich werde mich freuen, ihn wieder begrüßen zu können,« sagte sie; »und es ist mir lieb, einen zuverlässigen und tapfern Mann bei Ihnen zu wissen, denn glauben Sie mir, Don Alvaro Guzman ist ein gefährlicher Gegner.«

»Nicht für mich – ich fürchte ihn nicht. Sein Kunststück, den Stier zu töten, hat keinen Eindruck auf mich gemacht. Jeder Matador versteht das. Bei meiner Anwesenheit in San Francisco sah ich besseres von einem indischen Fürsten und selbst einem Landsmann, dem Grafen Raousset Boulbon.« Vgl. Nena Saib, II. Teil.

»Ich habe diesen Namen neuerdings viel in der Gesellschaft nennen hören, man erzählt von einem kühnen Unternehmen gegen die Sonora. Aber kehren wir zu unsern eigenen Angelegenheiten zurück, denn wir müssen uns in wenig Augenblicken trennen. Sorgen Sie für einen Wagen, der auf dem Quai an den Gärten hält. Halten Sie einen weiten Mantel und Männerkleider für mich bereit, um sie auf der nächsten Station oder im Wagen zu wechseln, denn ich muß Sie im vollen Ballkostüm begleiten.«

»Ich werde Ihre Befehle erfüllen.«

»Gut – so sagen Sie mir jetzt Lebewohl. Fordern Sie mich zu der zweiten Quadrille auf, während des Tanzes werden Sie meine weiteren Instruktionen empfangen.«

»Ich werde jeden Augenblick bereit sein, indes ich sollte meinen, es würde ein kürzeres Mittel geben, Sie von allen Belästigungen zu befreien.«

»Was meinen Sie?«

»Ich werde den Grafen Alvaro fordern und ihn über den Haufen schießen, dann sind Sie frei!«

Sie lächelte, indem sie ihm die Hand reichte. »Sie sind in der That noch ein Stück junger Gaucho, der sich auf die Gebräuche der Pampas verläßt. Aber das geht hier nicht, und ich wiederhole Ihnen, der Graf Alvaro Guzman da Montijo ist hier ein noch gefährlicherer Feind, als er an den Ufern des Yi war. Und jetzt leben Sie wohl, denn dort am Ende der Allee wirbelt Staub empor – man hat meine Spur gefunden und darf Sie nicht in meiner Gesellschaft sehen. Fort! ich beschwöre Sie!«

Er fühlte einen leichten Druck der Hand, dann wandte sie ihr Pferd und ritt langsam an dem Ufer des Teichs hin. Der junge Abenteurer warf einen leidenschaftlichen Blick ihr nach, und dem Berber die Sporen gebend, jagte er hastig in einer Richtung davon, die ihn den Nahenden verbarg.

Es war in der That die höchste Zeit gewesen, daß sich das Paar trennte; denn am Ende einer Allee erschien ein ganzer Schwarm von Reitern, der Conde an der Spitze, besorgt, jeden Augenblick auf die Spur eines geschehenen Unglücks zu stoßen.

Die junge Dame ritt ihr Pferd klopfend und liebkosend ruhig unter den Bäumen auf und nieder, als sei es ihr dort erst gelungen, des durchgegangenen Renners Herr zu werden und ihn zu bändigen.

Aber noch ehe dies geschah, ereignete sich an der Stelle, wo die Unterredung stattgefunden, etwas, das, hätte sie es gewußt oder beachtet, ihr Besorgnisse eingeflößt haben würde oder sicher sehr unangenehm gewesen wäre.

Die beiden Sprechenden hatten nahe dem Doppelstamme einer alten riesigen Ulme gehalten und wenig auf ihre Umgebung geachtet, sonst hätten sie wahrscheinlich bemerkt, daß auf der andern Seite des Baumes an dem Stamm ein Mensch lag.

Der unwillkürliche Lauscher erhob sich jetzt. Es war ein alter verwitterter Kerl mit von Elend und Verbrechen tief eingegrabenen Zügen in ziemlich zerlumpter Kleidung. Obschon das Gespräch der beiden in spanischer Sprache geführt worden war, schien er es doch sehr gut verstanden zu haben, denn er schnalzte mit den Fingern, sah bedeutsam hinter der Dame her und murmelte in schwäbischem Dialekt: » Carajo, es ischt gut, daß i hab nit ganz vergesche die spansche Sprach. Vielleicht läscht sich verdiene für a arme Kerl a schön Stück Geld. Das Dämche mit den Diamante im Ballkleid wär so übel nit, aber der Bursch schaut mir a nit danach aus, als ob er mit sich spasse ließ. Vielleicht ischt's besser, i verkauf die Geschicht dem andern oder erzähl's dem Hauptmann.«

Die Sennora war in diesem Augenblick wieder an die Stelle zurückgekommen und hielt jetzt, die hastig nahenden Reiter zu erwarten.

Ihr Bruder und Don Alvaro kamen eilig herangejagt mit erhitztem Gesicht, sie ritt ihnen lachend entgegen.

»Der heiligen Jungfrau sei Dank, Sennora, daß wir Sie unverletzt wieder finden. Wir fürchteten, Ihnen sei ein Unglück zugestoßen.«

»Das kommt von Deinen Narrenstreichen,« sagte mürrisch der Bruder. »Du hättest den Hals brechen können.« Seine Miene verriet deutlich, daß er wahrscheinlich über einen solchen Ausgang sehr wenig betrübt gewesen wäre.

»Aber, meine Herren,« sagte lustig die junge Amazone, »woher diese Sorge und Angst um mich, die besonders meinen verehrten Bruder gequält zu haben scheint? Sie haben Ihre Pferde in der That ganz unnötig ermüdet. Bei uns in Montevideo, wenn ein wild gewordenes Roß mit seinem Reiter einmal durchgeht, läßt man ihm ruhig seinen Willen und sorgt nur dafür, es auf freier Bahn zu erhalten. Mein Bruder sollte das doch wissen, und Sie selbst, Don Alvaro, sind Zeuge davon in unserer Heimat gewesen.«

»Ich traue Ihrer Reiterkunst und Ihrer Ruhe das beste zu,« sagte der Conde, der sich mißtrauisch sorgfältig umsah, ob der schöne Flüchtling auch allein des Pferdes Meister geworden, »aber bedenken Sie, Carmen, daß Sie hier nicht in Ihren weiten Savannen, in den Pampas sind, sondern in Paris …«

»In Paris!« meinte sie mit eigentümlichem Lächeln, »Paris macht allerdings vieles anders. Aber ich sehe unter den Kavalieren, die sich so freundlich um mich armes Kind bemüht haben, den Herrn Kapitän Laforgne nicht, sollte er ein Unglück gehabt haben?«

»Er ist wahrscheinlich klüger gewesen als wir,« meinte der Vicomte, noch immer sehr übler Laune. »Was kümmert es uns, wo er geblieben ist. Laß uns zurückkehren, damit die Damen sich nicht unnütz noch länger ängstigen und dem Aufsehen ein Ende gemacht wird.«

»Und da kommt auch der Kapitän aus der Fabrik des Herrn Garibaldi,« sagte der Graf, der sich fortwährend mißtrauisch umsah. »Er scheint diesmal seinen Kompaß nicht bei sich gehabt zu haben und nur in dessen Besitz eine seiner Heldenthaten ausführen zu können!«

Die Argentinerin warf ihrem Verlobten einen kalten, geringschätzenden Blick zu und ritt, umgeben von den Kavalieren, dem jungen Offizier einige Schritte entgegen, der im Galopp aus einer entfernten Reiter-Allee heran gesprengt kam und sich bei der Dame entschuldigte, daß er sich, im besten Willen, ihr zuvorzukommen, bei seiner Unkenntnis der Wege verirrt und erst durch Spaziergänger wieder erfahren habe, wohin die so glücklich beendete Verfolgung ihre Richtung genommen hatte.

Der Conde war zurückgeblieben. Sein Verdacht war noch immer nicht beruhigt, denn er kannte sehr wohl den Charakter seiner Braut. Seine Augen waren auf den Bettler gefallen, den er heran winkte.

Der Fremde humpelte eilig herbei, seine von alten Wunden verstümmelten Hände streckten bittend den Hut hin, indes seine großen Augen ziemlich erstaunt den Edelmann betrachteten.

»Bist Du lange hier?« frug der Graf.

Der Mann nickte. »Sie können spanisch mit mir sprechen, Herr,« sagte er in sehr mangelhafter Weise, sich selbst dieser Sprache bedienend, »ich versteh's noch immer, obschon ich weit herumgekommen bin, seit ich Euer Exzellenz gesehen.«

»Wie, Du kennst mich?«

»Die Augen allein sind gut an mir altem Kerl geblieben, Exzellenza, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn wir beide zusammen nicht schon einmal dem Tode näher waren, als jetzt!«

»Was meinst Du?«

»In jenem Turm im Thal von Azcoitia, als uns die Karlisten erschießen wollten. Exzellenza waren der Knabe, den ich damals am Magen in das Thor mit der Kette zog, die das Asyl bedeutet? Villafranca, II. Bd., Träume aus Süd und Nord. Der Hauptmann wird sich freuen, zu hören, daß Sie noch am Leben sind, obschon es ihm selbst schlecht genug geht.«

Der Spanier schien von der Erinnerung des alten Angelino, der ihn nach fast sechzehn Jahren noch wieder erkannte, wenig erbaut und begnügte sich, die Frage zu wiederholen, ob er schon lange an diesem Ort sei.

»Ja, Sennor, und wenn Sie Alvaro heißen – ich erinnere mich nicht mehr Ihres Namens, obschon Sie uns ihn sagten – und ein Stück Geld für einen alten Kameraden übrig haben, hätte ich Ihnen etwas zu erzählen, das Ihnen wichtig sein wird!«

Der Spanier sah, daß seine Verlobte ihr Pferd umlenkte, um zu sehen, was er thue.

»Bleib' auf dieser Stelle, bis ich nach Dir schicke,« sagte er rasch, indem er ihm, als habe der Bettler ihn eben angesprochen, ein Geldstück in den Hut warf. Dann ritt er, die höchste Gleichgültigkeit heuchelnd, zu der Gesellschaft zurück.

»Ich glaube, daß es Zeit ist, zurückzukehren. Da die Sennora jetzt in sicherem Schutz ist, werde ich mir erlauben, so rasch als möglich nach Longchamp zurück zu kehren, um die Frau Gräfin von Teba und ihre Töchter, meine Verwandten, zu beruhigen, wenn sie von dem Unfall gehört haben sollten, der die Vicomtesse bedroht hat.«

Er verbeugte sich leicht und gab seinem Reitknecht einen Wink, ihm zu folgen. Dann sprengte er voraus, während die Gesellschaft langsam nachkam.

Sennora Carmen schien plötzlich nachdenkend geworden. Sie versuchte vergebens, dem jungen Offizier einige Worte zu sagen, ihr Bruder wich nicht von ihrer Seite, und als sie in einer Allee die Equipage der Mademoiselle de Miron erreicht hatten, nötigte er sie, das Pferd zu verlassen und den angebotenen Platz im Wagen anzunehmen.


Es war zehn Uhr; seit einer Stunde hatte der Empfang und der Ball in den Tuilerien begonnen.

Die zu den großen Hoffesten geöffneten Räume dieses prächtigen Baues der Katharina von Medici, Henri IV. und seines Sohnes, des dreizehnten Ludwig, erstreckten sich durch den ersten Stock der ganzen Front nach dem Tuileriengarten und dem Concorde-Platz, zwischen dem Pavillon Marsan, auf der Seite der Rue Rivoli, durch den Pavillon de l'Horloge bis zum Pavillon de Flor nach der Seine hin und bieten auf der einen Seite die prächtige Aussicht in die Gärten mit ihren Fontänen, dem Obelisk am Ende der Avenue und dem die steigende Anhöhe in der Ferne schließenden, mächtigen Triumphbogen de l'Etoile; auf der andern Seite den Blick über den innern Hof hinweg auf den Place du Caroussel und das Louvre.

Welche Erinnerungen auch der neueren Zeit binden sich an diese Hallen! Hier mordete am 10. August 1792 das Volk die Schweizergarde, die, treu dem Soldateneid, ihren königlichen Gebieter verteidigte. Der erste Konsul residierte hier und erhob sie zum Kaiserpalast, wiederum herrschten nach der Restauration die vertriebenen Bourbons in den Tuilerien, die Revolution von 1830 räumte sie Louis Philipp ein, dem Ersten, der das Königstum von Gottes Gnaden in den Staub des Volkswillens herabzog und vom Volkswillen dafür schmählich aus den vergoldeten Räumen vertrieben wurde. Die provisorische Regierung des sozialistischen Unsinns bestimmte sie zum Invalidenhause für Arbeiter; während des Juni-Aufstandes dienten sie zum Hospital, bis das neugeborene Kaisertum diese Säle zum alten Glanze zurückführte.


Um 9 Uhr hatte das Ballfest begonnen, das erste, das der neue Kaiser gab. Der innere Hof war von den glänzenden Equipagen gefüllt, die immer neue und neue Ströme von reich geschmückten Gästen brachten; jedes Land Europas, selbst die Staaten jenseits der Meere, hatten ihre Vertreter, Männer und Frauen, gesandt; zum erstenmal zeigten sich die erst vor wenigen Tagen creierten Würdenträger des neuen Hofes in ihrem vollen Glanze.

Das diplomatische Korps und die Notabilitäten der herrschenden Gesellschaft, mit rosafarbenen Einladungskarten versehen, hatten ihren Eintritt durch den Pavillon du Flore genommen, das Gros der Geladenen, nur mit weißen Karten beglückt, strömte durch den mittleren Pavillon und fand in dem blauen Salon oder im Arabesken-Saal seinen Platz, bis mit dem Glockenschlag Neun sich die Thür öffnete, und der neue Groß-Cermonienmeister Bacchiochi mit dem Ober-Cermonienmeister, Feuillet des Couches, dem Gebieter voranschritten.

Der Kaiser trug Generals-Uniform, den Grand-Cordon der Ehrenlegion und den Orden eines kleinen deutschen Staates, sowie, in Nachahmung der Etiquette am alten kaiserlichen Hofe, gleich den Marschällen und andern Würdenträgern, kurze Beinkleider, Schuhe und seidene Strümpfe. Der Ober-Kammerherr, Herzog von Bassano, und der Kammerherr vom Dienst, Herzog von Tarent, begleiteten ihn, als er im zweiten Saal die Mitglieder der kaiserlichen Familie und der sogenannten Civil-Familie Bonaparte um sich versammelte.

An den Salle de la Paix, den früheren Saal Louis Philipps, jenen glänzenden Ballsaal von 140 Fuß Länge, mit den gewaltigen Spiegeln, den vergoldeten Säulen und der silbernen Bildsäule des Friedens, welche die Stadt Paris nach dem Frieden von Amiens dem ersten Napoleon schenkte, stößt der berühmte Saal der Marschälle. Hier eröffnete der Kaiser den Ball mit seiner Cousine, der Prinzessin Mathilde, der Tochter des Exkönigs von Westfalen, während ihr Bruder, der Montagnard, der Affe seiner Ähnlichkeit mit dem ersten Napoleon, ihm gegenüber mit Lady Cowley, der Ambassadrice von England, tanzte. Der Ball hatte damit begonnen, die Gesellschaft zerstreute sich in den weiten Räumen oder drängte durch den Thronsaal, in dem der Hof sich größtenteils aufhielt.

Der Graf Montboisier, nachdem er den ersten Pflichten seines neuen Kammerherrnamtes Genüge gethan, befand sich, wie gewöhnlich, bald von einem Kreise seiner Bekannten umgeben, in dem man die Neuigkeiten des Tages mit einer pikanten Kritik der Anwesenden verband.

»Da kommt Vely Pascha, Herr von Persigny dreht ihm den Rücken. Der russische Einfluß in der Frage des heiligen Grabes hat uns am Nicolaustage glänzendes Fiasko machen lassen.«

»Ich glaube, wir werden uns nächstens revanchieren,« meinte geheimnisvoll ein Employé aus dem Ministerium der Auswärtigen. »Sehen Sie nicht, wie angelegentlich Lord Cowley dort an der Statue des Friedens mit dem Grafen Walewski spricht, und wie kalt beide Herrn von Kisseleff begrüßt haben?«

»Es muß etwas vorgefallen sein, noch heute Abend,« bemerkte der Graf. »Ich weiß ganz bestimmt, daß noch diesen Morgen Seine Majestät den Baron auf das Zuvorkommendste einladen ließ, doch ja den Ball zu besuchen. Allons, kleiner Seignard, das ist etwas für Sie, machen Sie sich auf die Beine und schauen Sie aus, was es gegeben hat; denn es ist richtig, daß der Kaiser kaum ein kühles Kopfnicken für den Russen im Arabeskensaal hatte.«

»Man hat die verklausulierte Anerkennung noch immer nicht verdauen können.«

»Louis Napoleon ist nicht der Mann, dem die Verweigerung des Titels » Mon frère!« so lange Kopfschmerzen machen wird! Sehen Sie da den Herzog Carl. Ich glaube, der gute Braunschweiger trägt den doppelten Wert seines ehemaligen Herzogtums in Diamanten auf dem Frack.«

»Es ist seine Liebhaberei. Wie finden Sie die heutige Toilette der Damen des Ministeriums?«

»Abscheulich! Der Komtesse Persigny mit den Erinnerungen an ihren Großvater, den Bravsten der Braven, steht der rote Sammet à la Diane über dem weißen Atlas nicht uneben, aber Madame de Lhuys und Madame Forteul sehen in den kurzen Taillen der Kaiserzeit wie ihre Mütter von 1809 und 1810 aus, das heißt abscheulich!«

»Was wollen Sie, mein Lieber,« lächelte der Kammerherr, »das neue Kaisertum ist noch sehr jung und man thut daher wohl daran, es mit einigen alten Erinnerungen zu sustentieren, selbst wenn es Theaterdiamanten sind. Dort z. B. haben Sie den Herrn Prinzen von der Moskwa, obschon Sie dabei keineswegs an 1812 zu denken brauchen. Da sehen Sie den Prinzen Murat, der weder für das Grab von Vincennes, noch für den Wall von Pizzighetone das Geringste kann, obschon ihm die Krone seines Vaters stark im Kopfe liegt, mit dem Vicomte von Chateaubriand sich unterhalten. Der arme Duc de Valentinois lebt von seinem Namen, da ihm die sardinische Regierung noch immer sein Fürstentum Monaco vorenthält. Cäsar Borgia, der auch ein Herzog von Valentinois war, hätte rascher verstanden, zum Ziele zu kommen. Cambacière, Bassano – die Namen sind alle vertreten, und wollen Sie das Ausland, wo können Sie einen amüsanteren und willkommeneren Repräsentanten finden, als den Prinzen Richard Metternich? Alle Damen sind darüber einig, daß er vortrefflich liebt und tanzt.«

»Oh, wenn es darauf ankommt, so fehlen der neuen Sonne auch jene Namen nicht, die man sonst gewohnt war, nur in anderer Umgebung zu sehen,« sagte eine spöttische Stimme.

Der neue Kammerherr biß sich auf die Lippen, er fühlte, daß der Stich auch ihn anging und er wußte, daß die Zunge des Herrn Girardin an Bosheit noch die seine übertraf. Er begnügte sich daher jenen zu fragen, ob man ihm bereits zur Ernennung zum Minister des Prinzen-Leutnant für Algier gratulieren dürfe?

Der Journalist im Civilfrack mit dem goldbordierten Kragen sah ihm höhnisch ins Gesicht. »Herr von Saint Arnaud,« sagte er spöttisch, »hegt Bedenken. Der Artikel der Presse über die Börsendifferenzen eines berühmten Marschalls ohne Feldzug hat ihm nicht gefallen. Überdies, mein Lieber, muß man dergleichen Stellen jetzt für andere Personen reservieren. Man weiß noch nicht, wie viel der Übertritt der Herren Vendeer kosten wird. Sie sehen, der Herr Marquis ist noch nicht imstande gewesen, sich den Senatoren-Frack anzuschaffen.«

Der Spötter wies auf zwei Personen, die ziemlich einsam an einem Fensterbogen sich unterhielten und fast allein mit einander verkehrten. Sie beide schienen sich unheimlich in dieser Umgebung zu fühlen. Der eine von diesen beiden Männern trug die schwarze, ernste Sommertracht des Rechnungshofes, es war der Präsident dieses hohen Gerichts, Herr Barthe, einst Minister und Siegelbewahrer Louis Philipps, der andere war der neue Senator und frühere Legitimist mit einem der schönsten Namen des königlichen Frankreichs – der Marquis von Laroche-Jacquelin.

»Haben Sie gehört,« fuhr der unbarmherzige Journalist, der für die eigene skandalöse Vergangenheit gänzlich unempfindlich war, fort, »was die alte blinde Marquise geantwortet, als man sie damit trösten wollte, daß auch Herr Pastoret zum Kaisertum übergetreten sei? Die alte Frau, die zwei Gatten und einen Sohn auf den Schlachtfeldern der Legitimität begraben und nur diesen noch übrig hat, sagte: »Monsieur de Pastoret hat wenigstens gewartet, bis seine Mutter tot war!«

Die Unverschämtheit des Schwätzers hatte eine verlegene Stille in dem kleinen Kreise hervorgerufen. Zum Glück ließ ihn die innewohnende Bosheit nicht lange bei den einen Gegenstand verweilen.

»Sehen Sie dort die neue Ehrendame der Prinzessin Mathilde, Madame Gouy! Vor vier Jahren noch war sie die erste Schönheit unter den Sträußermädchen der marché des innocents! In der That, die Ernennungen sind wunderbar, und ich brauche mich nicht zu beklagen, daß Herr von St. Arnaud mir die meine verweigert. Ich würde mich schämen, darüber so verdrießlich zu sein, wie der Prince de Wagram, weil man ihn nicht zum Großjägermeister gemacht, was doch sein Papa, der alte Berthier, war, bis er sich in Bamberg aus dem Fenster stürzte. Sehen Sie den Herrn mit dem breiten nichtssagenden Gesicht dort?«

»Es ist der Herzog von Ossuna, mein Herr,« sagte streng der Graf.

»Richtig, ich weiß es sehr wohl, Grand erster Klasse von Spanien, aber sein Reichtum hat ihm nichts geholfen, er leidet auch unter einem blocus matrimonial und hat Mademoiselle de Montijo vier Jahre vergeblich den Hof gemacht. Jetzt kommt er mit Herrn Aguado gerade recht zur Verlobung.«

»Herr Girardin, Sie vergessen sich und den Ort, an dem Sie die Ehre haben, sich als Gast zu befinden.«

Der würdige Eigentümer der »Presse« lachte ihn an. »Mein Himmel, Sie, ein alter Legitimist, werden sich doch nicht zum Verteidiger dieser Heirat aufwerfen, über die ganz Paris lacht, bloß weil Sie jetzt den Kammerherrn-Schlüssel tragen, den Herr Clary zurückgeschickt hat! Ich versichere Sie, Herr Drouin de L'huis hat wirklich seine Entlassung angedroht, und die hübschen Augen der Prinzessin Mathilde sind noch nicht trocken geworden. Morny schimpft wie ein Rohrsperling, und Miß Howard, die arme Verlassene, will sich durchaus nicht mit dem Geschenk des Schlosses Bagatelle über die Untreue trösten lassen, sie wird Paris verlassen!«

Das Schweigen dauerte fort, der Boden war, wie die Absetzung des General Mac Mahon in Algier, die erfolgt war, bloß weil er seinen alten Schlachtgefährten Bedeau und Lamoricière einen Toast gebracht, bewiesen hatte, zu gefährlich, um der Unverschämtheit des Journalisten auf dies Gebiet zu folgen.

Dieser aber ließ sich keineswegs in seinem Erguß stören. »Pompon hätte die meiste Ursache sich zu beklagen, aber er ist seiner Sache sicher. Hübsch ist sie, das kann man nicht leugnen; man sagt, daß die Königin Isabella selbst eifersüchtig auf sie geworden und der alte Infant Don Francisco ihr seine linke Hand angeboten. Ihr letzter Bewerber, Sir Lytton Wesdale, hat noch in voriger Woche fünf gegen eins gewettet, daß der Kaiser sich einen Korb holen wird.«

Herr von Girardin hielt sein Lorgnon vors Auge, um die Wirkung seiner kleinen Schmähartikel auf seine Zuhörer zu beobachten; denn er war so kurzsichtig, daß die böse Welt behauptete, er habe sich einst auf sehr unmittelbare Weise einmal von einer kleinen Familienfatalität überzeugt, ohne deshalb den Othello zu spielen. Aber das Lorgnon des Herrn Girardin suchte vergeblich, seine Zuhörer hatten sämtlich die Flucht ergriffen, und er ging mit schadenfrohem Lachen, sich neue Opfer zu suchen.

Dem Grafen von Montboisier war die Rückkehr des kleinen Legationssekretärs von seinem Kundschaftergang sehr willkommen, und er nahm dessen Arm, um ihn aus der gefährlichen Nähe hinweg zu geleiten. »Nun, mein Lieber, was haben Sie erlauscht?«

Der kleine Diplomat machte ein sehr bedenkliches Gesicht.

»Wissen Sie, mit wem Se. Majestät eben tanzt? Mit der Marquesa Montijo oder Duquesa de Teba, man weiß eigentlich nicht recht, wie man sie offiziell zu nennen hat. Der Marschall Magnan ist sein vis-à-vis und alles drängt sich um die Quadrille. So viel ist gewiß, daß sie einen grünen und goldenen Kamm trägt.«

»Bah, wenn Sie weiter nichts erlauscht haben!«

»Aber bedenken Sie doch, liebster Graf, einen grünen und goldenen Kamm, die Farbe der Napoleoniden, noch dazu in Form eines halben Diadems! Lord Cowley hat diesen Nachmittag eine lange Unterredung mit dem Comte de Persigny gehabt. Herr von Persigny ist der einzige Vertraute des Kaisers. Nachdem Preußen und Österreich ohne Rückhalt anerkannt haben, ist diese Kälte gegen Herrn von Kisseleff ja um so auffallender. Man spricht von einem offenen Auftreten Rußlands in Montenegro, von einer Bewegung in Griechenland, von Forderungen in Konstantinopel; im englischen Parlament soll sich eine Demonstration gegen Rußland vorbereiten, und ich sage Ihnen, mein Bester, die Berufung der zweihundert Generale zum Wiedereintritt in den Dienst ist nicht ohne Bedeutung.«

Der Kammerherr hatte nur flüchtig auf das Geschwätz des kleinen Diplomaten gehört; es war ihnen beiden gelungen, sich während der Zeit zu dem Saale der Marschälle durchzuwinden, in dem der vornehmste Teil der Gesellschaft tanzte.

Die Quadrille war noch nicht beendet, die Crême der Gesellschaft, die nicht am Tanz beteiligt war, umstand die in den Touren sich bewegende Kolonne; in der Reihe des Kaisers tanzten außer seinem Vetter der preußische Gesandte Graf Hatzfeldt, Marschall Magnan, die Prinzessin Mathilde, Graf Nieuwekerke, der General Lawöstine und der Senator du Caumont. Baron Hübner, der österreichische Gesandte, stand in vertrautem Gespräch auch hier mit Lord Cowley, während Herr von Kisseleff sich gänzlich zurückgezogen hielt und nur der neapolitanische Gesandte sich in seiner Nähe befand.

Die Dame des Kaisers war die Marquesa Montijo. Die Schönheit der Dame erregte, gehoben durch die kostbare Balltoilette, allgemeine Bewunderung.

»Es wäre nicht zu verwundern!« flüsterte der kleine Diplomat, sich auf die Fußspitzen hebend, »sehen Sie diesen junoischen Wuchs, die dunklen, hochgeschwungenen Brauen – und die kleine Hand! Man sagt, daß sie einen höchst energischen Charakter besitzt, so ganz spanisch. Sie müssen es ja wissen, mein Lieber, der Sie das Glück hatten, nach Compiègne eingeladen zu sein. Man erzählt, daß sie sich dort in Gegenwart des Kaisers einen Dolchstoß in den Arm versetzt hat, bloß um ihm zu zeigen, daß sie sich nicht fürchtet. Als in ihrer Gegenwart von Cabrera die Rede war, hat sie gesagt: an der Stelle des Generals hätte ich die Mörder meiner Mutter nicht zu Pulver und Blei verurteilt, sondern ihnen selbst den Dolch in die Brust gestoßen. Eine andalusische Zigeunerin soll ihr schon in ihrer Jugend prophezeit haben, daß sie eine Krone tragen würde; daraus erklären sich die vielen Körbe, die sie verteilt hat.«

Der Kammerherr unterbrach das Geschwätz. »Kennen Sie den Herrn, der dort in einem kleinen Salon mit der Mutter der künftigen Kaiserin, der Gräfin von Teba, spricht?«

»Es ist ein italienischer Monsignore. Wenn ich nicht irre, heiß er Corpasini und soll Aussicht auf den Kardinalshut haben. Sie wissen, daß die Familie der künftigen Kaiserin als sehr fromm gilt.«

Der kleine Diplomat erhob sich auf die Fußspitzen, um seinem Gesellschafter ein Wort ins Ohr zu flüstern.

So kurz es war, es mußte bedeutsam genug sein, denn der Graf zeigte den Ausdruck der Überraschung und nickte verständigend dem Kleinen zu.

»Ich begreife! Der heilige Vater kann unbesorgt sein!«

Der kleine Nebensalon, nur durch die schwere Portiere von grünem Sammet von dem Salle de Maréchaux getrennt, dessen Felder die Bildnisse der berühmten Tafelrunde der Kaiserzeit: Berthiers, Murats, Monceys, Jourdans, Soults, Brunes, Lannes', Mortiers, Neys, Davousts, Kellermanns und Bessières einnehmen, öffnet sich auf die rund um die Ehrentreppe führende Galerie. Hierher ziehen sich die höchsten Personen zurück, die an dem Tanz oder dem Zuschauen keinen Anteil nehmen wollen.

Hinter dem Sessel der alten Gräfin von Teba lehnte der Prälat, der vorhin dem Grafen aufgefallen war. Die beiden waren an diesem Ort so ziemlich allein, die wenigen Personen, die hier verweilten, standen am Ausgang, dem Tanz zuzusehen; überdies bedienten sie sich bei ihrer Unterhaltung der spanischen Sprache.

»Diese Verzögerung der Erklärung bleibt mir verdächtig,« sprach die Gräfin. »Ich sage Ihnen offen heraus, Monsignore, daß hier eine Reservation im Hinterhalt ist. Ich fange an zu besorgen, daß Sie den Einfluß der heiligen Kirche überschätzt haben.«

»Ihro Excellenza haben die Erfolge davon in Dresden und München gesehen.«

»Aber warum kommt die Sache dann nicht von der Stelle?«

»Sie wird sich noch diesen Abend entscheiden!«

»Woraus schließen Sie dies?«

»Haben Ihro Excellenz nicht bemerkt, daß auf dem heutigen Fest, mit Ausnahme des Herrn Barrot, die Anhänger der Orléans fehlen.«

»Mein Gott, das ist der Einfluß des Herrn Berryer. Ich habe doch Herrn Dupin bemerkt.«

»Herr Dupin genießt nicht mehr des geringsten Vertrauens. Der Vertreter von Claremont ist Herr Barrot in diesem Augenblick.«

»Sie sprechen, als gälte es eine Ambassade!«

»Ihr Scharfsinn läßt Sie ganz richtig schließen, Madame. Herr Barrot ist allerdings mit einer Eröffnung beauftragt.«

»Und was betrifft diese?«

»Die Heirat der Frau Herzogin von Orleans.«

Die Dame fuhr unruhig auf dem Sessel umher, sie suchte mit aller Anstrengung eine gleichgültige Haltung zu affektieren.

»So wäre es also wirklich? Der Kaiser hätte um die Hand dieser Mecklenburgerin angehalten, und man hätte ein abscheuliches Spiel mit uns getrieben?«

»Sie gehen zu weit, Frau Gräfin. Der Kaiser liebt wirklich die Marchesa, aber Sie wissen, daß Staatsrücksichten gebieterischer sind, als die Forderungen des Herzens. Selbst der erste Napoleon mußte sich von Josephinen trennen. Eine Verheiratung mit einer legitimen Prinzessin unter der Zustimmung der Mächte sicherte ihm die Legitimität. Da dieser Erfolg nicht zu erreichen war, würde ihm die Verbindung mit der Herzogin von Orleans, abgesehen davon, daß sie gleichfalls zu den regierenden Häusern gehört, wenigstens die Vereinigung zweier großer Parteien in Frankreich als Stütze gewähren.«

»Die Familie Montijo,« sagte die Gräfin hochmütig, »ist nach der königlichen Familie eine der ersten oder vielmehr die erste Spaniens.«

Der Prälat verbeugte sich. »Niemand zweifelt daran, Excellenza, aber Sie werden sich erinnern, daß der Kaiser durch eine Verbindung mit derselben unter den Herrn Herzog von Montpensier zu stehen kommt, den Großmeister. Der Grandezza Spaniens, und daß die Kirk Patriks …«

Die Gräfin brach hastig die Erörterung ihrer eigenen Familienverhältnisse ab. »Wissen Sie, was das Resultat der Werbung in Claremont gewesen?«

Der Jesuit lächelte. »Niemand weiß es, gnädige Frau, aber die Abwesenheit der Orleanisten läßt darauf schließen. Lord Cowley scheint in sehr guter Stimmung.«

»So wird der Kaiser sich erklären?«

»Ihre Excellenz vergessen einen Gegner!«

»Welchen?«

»Den gegenwärtig berechtigten Erben des Kaiserreichs!«

»Ah, Loulou, diesen Intriguanten des Palais-Royal, den Montagnard! Aber er hat um die Hand der Prinzessin von Wagram angehalten!«

»Dies eben ist geschehen, um die Heirat seines Vetters mit einer Ausländerin unpopulär zu machen. Berthier, obschon noch erbittert, daß man ihm das Amt des Oberjägermeisters verweigert, hat jedoch die Bewerbung ausgeschlagen. Nunmehr …«

»Warum zögern Sie?«

»Nunmehr verlangt der Prinz Napoleon, oder vielmehr der Exkönig von Westfalen auf sein Anstiften, daß, wenn eine Heirat des Kaisers mit der Marquesa Ihrer Tochter, wirklich beabsichtigt werden sollte, eine Trauung zur linken Hand genügen soll.«

Der Schlag war diesmal so direkt geführt, daß die Gräfin unter der Schminke erblaßte und in die Kissen des Fauteuils zurücksank. Im nächsten Augenblick richtete sie sich aber wieder empor, und alles Blut schien ihr ins Gesicht zu strömen.

»Das wäre abscheulich! Eine solche Rolle! Nimmermehr!«

»Mäßigen Sie sich, Madame, man achtet auf uns! Weil es den Zwecken der Kirche nicht entspricht, darf und wird es nicht geschehen. Eine Befriedigung aller Familienansprüche des Kaisers, ohne daß diese Familie einen Einfluß auf die Staatsangelegenheiten erhält, wäre ganz gegen unser Interesse. Lassen Sie uns daher noch einmal kurz unsere Bedingungen zusammenstellen.«

Die Dame nickte.

»Die Kirche ist zu der Überzeugung gekommen, daß der revolutionäre Geist eben nur durch eine kräftige Herrschaft des Bonapartismus gebändigt und aufgehalten werden kann. Wir werden dem Ehrgeiz desselben Opfer bringen müssen, aber wir bedürfen einer starken Hand an der Spitze Frankreichs, um die Krisis zu überstehen, die uns in Italien bedroht; für den Schutz Roms sind wir bereit, dem Ehrgeiz der Herrschaft Bonaparte freies Spiel zu geben. Die römische Kirche hat gegenwärtig zwei gefährlichere Feinde als den Protestantismus zu bekämpfen.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz.«

»Sie werden es sogleich, Madame. Der eine dieser Gegner ist die Revolution, der Mazzinismus. Alle Throne, alle Autorität Europas ist von ihm bedroht, der Kampf wird lange dauern, aber wir werden siegen. Der andere Feind sind die wachsenden Ansprüche der griechischen Kirche!«

»Rußlands?«

»Sehr richtig! Rußland repräsentiert die griechische Kirche, und gerade die Vereinigung der weltlichen und kirchlichen Macht ist dort so gefährlich. Die unselige Trennung Constantins von Rom hat jenen Zwiespalt in der Christenheit hervorgerufen, ohne den die sogenannte Reformation spurlos an dem Felsen des Papsttums gescheitert wäre. Der katholischen Kirche droht die Überwältigung nicht von Wittenberg, sondern von Petersburg und Konstantinopel her. Unser Einfluß, unsere Macht im Orient sind täglich mehr im Schwinden. Die Vorgänge mit den heiligen Stätten in Jerusalem beweisen dies aufs deutlichste. Die griechische Kirche hat dort den Sieg über die römische davon getragen, wenn die Absichten Rußlands – jenes Testament Peters des Großen, an dessen Erfüllung das Zarentum im stillen unaufhörlich arbeitet – in Erfüllung gehen, wenn die Welt ein neues byzantinisches Kaisertum sieht, hat die katholische Kirche ihre Macht verloren.«

Die Dame war etwas unruhig auf ihrem Sessel hin und her gerückt. »Aber, Monsignore, diese politische Auseinandersetzung und die Heirat der Marquesa …«

»Sie stehen in innigem Zusammenhang, wie ich Ihnen sogleich beweisen werde. Frankreich ist der Vorkämpfer des Romanismus gegen das Germanentum, den Protestantismus und gegen das Slaventum, die griechische Kirche. Da die Bourbonen gegenwärtig in Frankreich nicht möglich sind, ist es wenigstens nötig, auf seinem Thron streng katholische und für das Wohl der Kirche begeisterte Grundsätze sich mit den politischen Interessen verbinden, das heißt also eine aufrichtige Anhängerin der Kirche, aus romanischem Stamm, merken Sie wohl die letztere Bedingung, den Thron des Bonaparte teilen zu sehen.«

Die Gräfin that einen freien und tiefen Atemzug. »Ich glaube wohl, daß Sie das alles in der Marquesa vereinigt finden. Ihr alter Adel …«

»Er kommt hier weniger in Betracht, obschon er die Sache erleichtert. Genug, Madame, die Marquesa hat die Zustimmung und Unterstützung der Kirche, die alle Hindernisse aus dem Wege geräumt hat und räumen wird unter der Bedingung …«

»Sprechen Sie!«

»Eines Krieges gegen Rußland!«

»Aber wie ist das zu machen?«

»Die Sache ist weniger schwierig, als Sie glauben. Louis Napoleon bedarf zunächst einer Unterstützung seines neuen Thrones durch eine Beschäftigung der Armee, die ihn dazu erhoben. Dazu gießt es keine bessere Gelegenheit, als die Schmach von 1812 zu tilgen. Ein Krieg gegen Rußland wird daher populär sein. England ist im Begriff, einen solchen zu beginnen, es kann nicht länger damit zögern, ohne seine Macht und Stellung im Orient und in Indien von den russischen Intriguen erschüttert zu sehen. Es zögert nur noch, weil es sich allein nicht der Sache gewachsen fühlt und daher einen Bundesgenossen sucht. Dieser Bundesgenosse ist Frankreich.«

»Aber ein Bündnis mit dem protestantischen England?«

»In der Politik, Madame, entscheidet der geheime Zweck oder der offene Vorteil. Überdies kennt Louis Napoleon England genug, um zu wissen, daß er mit diesem Kriege Rußland materiell und England moralisch demütigen kann, zwei Siege, die ihm den Enthusiasmus Frankreichs sichern und diesem wieder die Oberhand in den europäischen Angelegenheiten verschaffen. Ihre Tochter, Excellenza, wird also hier ein leichtes Spiel und nur nötig haben, den Plänen nicht entgegen zu arbeiten, was sicher eine Gemahlin aus einem der mit Rußland liierten Fürstenhäuser gethan hätte. Ihre Aufgabe und der Preis für unsere Unterstützung liegt in der Zukunft.«

»Sie können unserer ewigen Dankbarkeit sicher sein.«

Ein bedeutsames Lächeln flog über das Gesicht des Priesters. »Wir haben eine festere Bürgschaft dafür, Madame, als das Wort der Frau Gräfin von Teba, so hoch wir dasselbe auch schätzen!«

»Welche?«

»Die Bourbonen!«

Die Gräfin senkte den Kopf. »Welche weitere Verpflichtung fordern Sie demnach von der Marquesa?«

»Sobald sie festen Fuß gefaßt und wenn die Zeit gekommen, ihr offenes Eintreten für den päpstlichen Stuhl!«

»Das ist eine Sache, die sich bei ihr als Katholikin von selbst versteht!«

»Sie wird schwieriger sein, als Sie denken, und alle jene Charakterstärke und Energie erfordern, die wir an der künftigen Kaiserin von Frankreich bewundern.«

Die Gräfin hatte sich erhoben, sie reichte dem Prälaten die Hand.

»Also keine Heirat zur linken Hand?«

»Eine volle und rechtmäßige Heirat, Madame, welche die Marquesa de Montijo zur Kaiserin der Franzosen macht!«

»Und die Erklärung?«

»Sie wird noch heute erfolgen. Bitten Sie Ihre Tochter bei Tafel wie zufällig nach ihrer Uhr zu sehen.«

Sie nickte. »Auf Wiedersehen, Monsignore!« Sie grüßte herablassend mit dem Fächer und rauschte den Damen entgegen, die eben von ihren Kavalieren aus der beendigten Quadrille zu ihren Sesseln zurück geleitet wurden.

Der Kaiser führte das Fräulein von Montijo; die folgende Gesellschaft hielt sich einigermaßen entfernt.

»Sie tanzen vortrefflich, Madame!«

»Sie finden das etwas spät, Sire!«

»Sie besitzen der liebenswürdigen Eigenschaften und Talente so viele, Madame, daß Zeit dazu gehört, sie alle zu bewundern, namentlich wenn man so selten Gelegenheit hat, Sie zu sehen. Ich wünschte, dies könnte täglich und stündlich der Fall sein.«

»Das steht bei Ihnen, Sire!«

»Sie machen mich glücklich. So darf ich hoffen, daß Sie sich erbitten lassen?«

Der Zug war in diesem Augenblick dem Erzbischof von Paris gegenüber, der sich so lange mit Herrn von Rothschild unterhalten, und der sich tief verbeugte. Die Spanierin blieb einen Augenblick stehen, eine Bewegung des Fächers wies nach diesem.

» Pas avant – mais après!«

Der Beherrscher Frankreichs biß sich leicht auf die Lippen.

»Madame,« sagte er zu der Gräfin von Teba, »Ihre Tochter ist die Krone der Schönheit, und sie weiß das sehr wohl.«

Die Gräfin versank bei der tiefen Verbeugung in dem bauschigen Seidengewand. »Sire, es freut mich, wenn sie nie vergißt, daß der Schönheit die Krone gebührt!«

Die Verbeugung, die der kaiserliche Kavalier zu seinem Rückzug machte, war etwas hastig, er fühlte, daß er gegen die Weiberzungen den kürzeren ziehen könne.

Außerhalb des Gemachs suchte sein Blick in dem Herrenkreise, bis er den Grafen von Persigny traf.

Ein leichter Wink rief ihn näher. Der Kaiser erteilte dem Großceremonienmeister Bachiochi seine Befehle wegen der Einladungen zu den Spieltischen in dem Salon blanc, der an den Saal der Marschälle stößt und durch seine Gobelin-Teppiche, seine weiß und goldenen Wände und die Möbel von grünem Damast sich auszeichnet.

»Ihre Kaiserliche Hoheit die Prinzessin Mathilde, Mylord Cowley und die Marquesa Montijo,« lautete der Befehl. »Herr Marschall, Sie werden für eine Viertelstunde meine Karten nehmen.«

Der Kreis erweiterte sich, während der Kaiser an dem Kamin stehen blieb und nur den Minister des Innern an seiner Seite behielt.

»Dein Wink, Fialin, sagt mir, daß Du mit mir zu sprechen hast!«

»So ist es, Sire!«

»Rede, wir sind hier ebenso ungestört, als anderwärts. Lord Cowley drängt um eine Antwort, und ich muß ihm meinen Entschluß wenigstens andeuten, deshalb habe ich ihn zu dem Spiel bestimmt.«

»Sire, vor einer halben Stunde habe ich die Antwort auf die geheimen Unterhandlungen in Claremont erhalten.«

»Und sie lautet?«

»Sire …«

»Keine Zögerung! ich muß Dir gestehen, daß ich vielleicht ganz zufrieden bin mit einer Ablehnung.«

»Sire, die Verbindung ist definitiv zurückgewiesen.«

Es trat ein augenblickliches Schweigen ein. Die Falte auf der Stirn im Gesicht des Kaisers zog sich leicht zusammen, um die etwas schlaffen Mundwinkel flog ein Zug des Hohns.

»Also doch! Ich hätte die Verträge von 1815 bestehen lassen, jetzt gilt es, Europa eine andere Basis zu geben. Wer hat die Nachricht gebracht?«

»Der Senator Barrot.«

»Ich habe ihn bereits bemerkt und dachte mir, daß seine Anwesenheit eine Bedeutung hatte. Hast Du den Bericht unsers geheimen Agenten in London?«

»Er hat ihn persönlich überbracht, ich wurde vor einer Viertelstunde deshalb hinab gerufen.«

»Nun?«

»Die Ansichten der Familie sind geteilt gewesen, der Herzog von Montpensier hat sich dafür erklärt. Die Ablehnung ist auf den ausdrücklichen Rat des Kaisers Nicolaus erfolgt.«

»Also zum zweitenmal. Er oder ich. Es muß zu einer Entscheidung kommen. Hat Walewski Dich informiert, wie weit die Verhandlungen mit dem englischen Kabinett vorgeschritten?«

»Lord Russel ist bereit, Frankreich die Bestimmung des militärischen Operationsplanes zu überlassen, wenn man England die diplomatische Initiative in Petersburg und Konstantinopel zugesteht. Lord Stratford Redcliffe hat die Ordre erhalten, sich auf seinen Posten zurück zu begeben.«

Der Kaiser lächelte unheimlich. »Er ist der rechte Mann, schroff und rücksichtslos. Alles Odium wird somit auf England fallen, und wir behalten bis zum letzten Augenblick freie Hand. Hast Du versucht, den Baron Hübner zu sondieren?«

»Jeder falsche Schritt Rußlands an der Donau wird Österreich auf unsere Seite führen. Es bewacht mit Eifersucht die preußischen Bestrebungen in Deutschland und ist jeden Augenblick bereit, die sogenannte heilige Allianz zu opfern!«

»Ein Riß hinein und sie sind einzeln in unsern Händen, Fialin. Künftig soll Paris die europäischen Kongresse machen. Hat der Agent Dir Nachricht gebracht über den Punkt, dessen Ermittelung ich wünschte?«

»So lange Euer Majestät uns nicht das Vertrauen schenken, uns deutlich bezeichnen zu wollen, um welches Dokument es sich handelt, ist es unmöglich, bestimmte Nachrichten oder die Urkunde herbeizuschaffen. So viel ist sicher, daß Frau von Saint Arnaud am 5. Dezember in London war und mit einem Juden Namens Isaak Lemandoff in Curhill Street verkehrt hat. Der Mann ist aber seit Jahresfrist verschwunden, und trotz aller Mühe nicht zu ermitteln. Eine Äußerung, die er früher zu einem Glaubensgenossen gethan hat, deutet allerdings darauf, daß bei ihm ein Depositum gemacht worden ist. Er soll ein Agent von Herz und der europäischen Liga gewesen sein, in Geschäftssachen aber überaus zuverlässig.«

»Um so mehr! Die Nachforschungen nach ihm müssen verdoppelt werden. Noch eins, Fialin. Lassen Sie morgen das Dekret zur Beschlagnahme der Kaufsumme der orleansschen Güter und Sammlungen ausfertigen.«

»Sire, das ist ein Maßregel, die vielen Tadel finden dürfte!«

»Das ist gleichgültig! wozu haben wir die Presse? Es wäre ungerechtfertigt, die Schulden, welche Louis Philipp auf Staatsdomänen gemacht, der Bezahlung durch den Staat aufzubürden, wo ein so bedeutendes Privatvermögen vorhanden ist. Und nun, Graf, genug von den Staatsangelegenheiten! laß uns von den meinen sprechen.«

»Was meinen Sie, Sire?«

»Du bist der einzige, auf den ich unbedingtes Vertrauen in dieser Sache setze. Dieses Mädchen ist durch nichts anderes zu gewinnen, als durch eine wirkliche und gesetzmäßige Heirat!«

»Sie ist eine Ehrgeizige, Sire!«

»Und sie hat Recht, denn sie verdient eine Krone. Ich bin fast entschlossen …«

»Aber der Widerstand Ihrer Familie?«

»Bah! meinst Du, daß mich die Intriguen meines Herrn Vetters kümmern? Verthier hat ihm den verdienten Korb gegeben. Er ist vielleicht später gut genug, ihn zu einer Verschwägerung in Italien zu brauchen, vorläufig möge er sich mit der Jakobinerrolle der Familie begnügen, ein Soldat und gefährlich wird er nie sein. Ich achte die Verwandtschaft nicht viel teurer als jene dort.«

Ein leichtes Kopfnicken wies nach einer großen stattlichen Dame, die möglichst auffallend am Arm eines Italieners vorüberging und dem Kaiser eine vertrauliche Verbeugung machte, die dieser kurz erwiderte.

»Ihre Hoheit, die Prinzessin von Solms-Wise-Bonaparte,« sagte lachend der Minister. »Wissen Euer Majestät, daß die passierte Schönheit auf Ihren Namen Schulden macht?«

»Ich werde die Unverschämte nächstens aus Paris und aus Frankreich verweisen lassen! Sie ist so wenig eine Bonaparte, wie eine Gräfin von Solms. Ihr Vater war ein Fleischer in Straßburg. Aber lassen wir die Närrin und bleiben wir bei wichtigerem. Wenn ich wüßte …«

»Sire, bedenken Sie, daß die Augen des ganzen Saales auf uns gerichtet sind.«

»Du hast recht, und ich bin kein Knabe. Dennoch, Graf, habe auch ich meine Schwäche. Glaubte doch auch mein Oheim an Vorbedeutungen.«

»Sire, alle großen Männer haben das gethan.«

»Dann mag ich mir fast verzeihen, daß ich in voriger Nacht inkognito bei Mademoiselle Baison, der Nachfolgerin der Lenormand, gewesen bin.«

»Wer in Paris hätte die Mode nicht mitgemacht!«

»Man sprach so viel in dem Salon der Gräfin Castellane davon, daß ich neugierig geworden war. Willst Du wissen, was sie mir gesagt hat?«

»Sire …«

»O, ohne Furcht, es ist unmöglich, daß man mich erkannt hat. Canrobert allein begleitete mich, wir nahmen einen Fiaker, und ich ließ ihn vor der Thür. Ich sagte der neuen Sybille, mir die beste Frau zu bezeichnen, die ich heiraten könnte.«

»Und die Antwort?«

»Die Antwort der Karten war, wie gewöhnlich, ausweichend. Es stände nicht mehr in meiner Macht, zu wählen, meine Stunde sei bestimmt.«

»Sire, Sie werden immer Zeit haben, sie zu wählen; übereilen Sie sich nicht.«

»So halte mir diese Schwiegermutter vom Leib, sie geht auf ihr Ziel los, als wäre ich eine Batterie. Treten Sie näher, Canrobert!«

Der Adjutant, ein Bruder des Generals, trat heran.

»Sie werden mir einen Gefallen thun, Oberst,« sagte der Kaiser. »Gehen Sie in mein Kabinett, und bringen Sie mir von dem Tisch zur Linken das Ring-Etui von grünen Sammet, das Sie dort finden werden.«

Der Adjutant entfernte sich.

»Man hat mir gesagt, daß Canrobert überaus hitzig ist!«

»Er ist bekannt wegen seines Jähzornes, wie auch sein Bruder durch seine Ruhe.«

Der Kaiser machte keine weitere Bemerkung. Ein Schritt, den er vorwärts that, genügte, um den Kreis umher sofort in seine Nähe zu ziehen.

In der ersten Reihe desselben befand sich der Baron von Kisseleff. Mit jenem kalten Übersehen, das die Großen der Erde so zerschmetternd und bezeichnend anzuwenden wissen, ging der Kaiser an ihm vorüber und blieb zwei Schritte weiter stehen, um den Grafen von Villamarina, den Gesandten Sardiniens anzureden.

»Sie wünschten mir jemand vorzustellen, Herr Graf?«

Der Gesandte verbeugte sich tief, aber einigermaßen verlegen. »Euer Majestät zu Befehl, einen jungen Kavalier, einen geborenen Franzosen, der an mich aus Amerika empfohlen ist. Ich bedauere, daß Kapitän Laforgne in diesem Augenblick wahrscheinlich beim Tanz …«

Der Kaiser war dem Gesandten einen Schritt näher getreten.

»Der Name ist mir genannt worden. Ein Agent Garibaldis?«

»Sire, er hat allerdings unter General Garibaldi gedient, aber wenn Euer Majestät gestatten, ich sehe soeben den Kapitän!«

In der That war der junge Mann, die junge Haciendera vom Tanz zurückführend, so eben in den Saal getreten. Es war der erste, den die vielumlagerte Erbin Gelegenheit gehabt hatte, ihm zu schenken.

»Man sieht auf Sie, Sennor,« flüsterte die Argentinerin in spanischer Sprache. »Treffen Sie Ihre Anstalten, die Quadrille nach dem Souper! Vorsicht, und fürchten Sie die Spione.«

Die Dame trat zurück, denn von der andern Seite kam soeben ihr Bruder heran. Der junge Abenteurer, den Kopf und das Herz voll von der flüchtigen Unterredung, die er während des Tanzes mit dem jungen Mädchen gepflogen, sah die Blicke aus der Umgebung des Kaisers auf sich gerichtet und den Wink, den der Graf von Villamarina ihm gab, näher zu treten.

In diesem Augenblick, als er voranschritt, begegnete sein Auge einem stechenden, finster und höhnisch auf ihn gerichteten Blick.

Es war der Conde Don Alvaro Montijo, der ihn fixierte.

Die schlanke Gestalt des jungen Abenteurers richtete sich straff empor, ein stolzer herausfordernder Ausdruck begegnete dem Auge des Gegners, dann schritt er ruhig an ihm vorbei.

»Unverschämter Bettler! Du sollst es büßen!« Die Hand des Spaniers fuhr wie im Krampf nach der Brusttasche seines Fracks.

Der junge Offizier blieb drei Schritte vor der Gruppe um den Kaiser stehen und verbeugte sich mit der Ungezwungenheit, die das abenteuerliche Leben und die Erziehung der edlen Gattin seines geliebten Führers ihm gegeben.

»Euer Majestät wollen mir erlauben, Kapitän Laforgne als einen geborenen Franzosen Ihrer Gnade zu empfehlen.«

Der Gesandte trat nach dieser Vorstellung zurück; das kalte matte Auge des Gebieters schien nicht ohne Wohlgefallen auf der elastisch kräftigen Gestalt des jungen Mannes zu ruhen.

»Wo sind Sie geboren?«

»Im Golf von Nizza, auf einem Marseiller Schiff, Sire!«

»Sie dienten in Amerika?«

»Am La Plata, Sire, zuerst auf der Flotte von Montevideo, später unter der Kohorte des Kommandore Garibaldi!«

»Sie haben mit ihm in Rom gegen Ihre Landsleute gefochten?«

»Ich traf erst am Tage der Einnahme von Rom bei dem General ein, Sire. Ich habe als Kind Frankreich verlassen, Sire, und verdanke General Garibaldi alles, Frankreich nichts!«

»Das ist wenigstens offenherzig! Wo befindet sich der General Garibaldi jetzt?«

»In Peru, Sire.«

»Kennen Sie seine Absichten?«

»Er hofft Sire, daß sein Vaterland bald seiner bedürfen wird. Nach seinen letzten Briefen beabsichtigt er, sich in Genua niederzulassen und vorläufig der Handelsmarine seine Thätigkeit zu widmen.«

Der Kaiser dachte einige Augenblicke nach. Ein Zeichen rief den Gesandten näher.

»Sie sind selbst Seemann, Herr Kapitän?«

»Ein wenig, Sire, ich diente als Knabe auf der Itaparika und habe seitdem mehrere Fahrten über den atlantischen Ozean und in den amerikanischen Gewässern gemacht!«

»Die Jugend ist thatkräftig, ich kann Männer Ihres Schlages brauchen. Wollen Sie in französische Dienste treten, in die Armee oder die Marine, Sie mögen wählen?«

Eine dunkle Glut befriedigten Stolzes flog über das Gesicht des jungen Abenteurers, aber dennoch schwankte er keinen Augenblick.

»Sire,« sagte er fest. »Ihre Gnade ist groß und ehrt mich. Aber Euer Majestät wissen, welche Verpflichtungen ich gegen meinen Freund und Wohlthäter habe, und meine Erziehung eignet mich wenig für den regulären Dienst. Ich liebe die Freiheit.«

Der Kaiser nickte leicht. »Ich verdenke Ihnen das nicht, aber ich hoffe, daß sich eine Gelegenheit finden wird, wo Sie, ohne sich Fesseln anzulegen, mir und Ihrem Vaterlande Dienste erweisen können. Sagen Sie General Garibaldi, daß es mich freuen wird, ihm auf einem seiner würdigen Felde zu begegnen.«

Während der junge Kapitän nach dieser Beurlaubung zurücktrat, hielt ein Wink den Ambassadeur noch zurück.

»Der junge Mann gefällt mir, Herr Graf, behalten Sie ihn im Auge. Graf Cavour wird ihn und seinen Herrn zu benutzen wissen. Was die Anerbietungen Ihres Kabinetts betrifft, so wird Herr Drouyn de L'uys morgen seine Instruktion empfangen. Seine Majestät der König Viktor Emanuel mag seiner Zeit auf Frankreich zählen.«

Die Verbeugung, mit welcher der Kaiser den sardinischen Gesandten entließ, war sehr huldvoll.

Im weißen Saal war das Spiel aufgenommen, indes der Ball seinen Fortgang hatte.

Als die Zeit des Soupers nahe war, schritt Kapitän François durch das Gedränge der bordierten Diener die Treppe hinunter, die in den innern Hof der Tuilerieen neben der Palastwache mündet, wandte sich nach der Halle des Pavillon d'Horloge und ging durch die jetzt öden Blumengärten nach dem Bassin.

Die Masse der Equipagen und Dienerschaften, das ganze Gewühl des Festes hatte die sonst am Abend erfolgende Absperrung des Tuilerieengartens für heute, wenn nicht aufgehoben, so doch bedeutend vermindert. Nur an den Eingängen hielten die Garde-Zuaven den trotz der späten Stunde noch immer großen Andrang des neugierigen, schaulustigen Publikums ab.

Die Nacht war hell und frisch. Ein leichter Frost hatte den Boden fest gemacht und war für die empfindlichen Pariser fühlbar genug, um selbst von den zum Eintritt oder Durchgang Berechtigten den Garten frei zu halten.

Kapitän François ging um das Bassin, das im Sommer der Sammelplatz der eleganten Kinderwelt ist, die hier ihre Miniaturfregatten und Schoner mit vollem Segelwerk nach allen Richtungen schießen lassen.

An der Statue der schlafenden Aviaden westlich vom Bassin, blieb der junge Mann stehen und ahmte den Schrei des weißköpfigen Falken der Prärien nach.

Sogleich kam hinter den Bäumen des südlichen Wäldchens eine mächtige Gestalt hervor und näherte sich dem Offizier. Der Mond leuchtete hell genug, um in den riesigen Formen trotz der Veränderung der Kleidung den Kanadier Felsenherz erkennen zu lassen.

Auch war diese Kleidung nur so weit verändert, als es die europäischen Verhältnisse nötig machten und entsprach noch immer möglichst seinen Gewohnheiten. Die Stelle des Jagdhemds hatte allerdings einer jener rauhen bayrischen Jagdjoppen, die, bequem und zweckmäßig, weite Verbreitung gefunden haben, ersetzt und die Mütze von Biberfell eine civilisiertere Form angenommen, aber die hirschledernen Beinkleider und Gamaschen hatte der Waldgänger beibehalten, und da in Paris alle möglichen Trachten sich zusammenfinden und selbst die der französischen Provinzen so verschieden sind, erregte der Kanadier höchstens Aufsehen durch seine herkulischen Formen und seine Größe.

»Lassen Sie uns in den Schatten der Bäume des Wäldchens treten, Felsenherz« sagte der junge Offizier, ihm vorangehend.

Der Kanadier zuckte die Achseln. » Goddam, wie können Sie das Zeug da Bäume nennen oder gar einen Wald, Kapitän! Sie, der Sie die Urwälder des Westens gesehen! Diese Franzosen, obschon es so halb und halb meine Landsleute sind, haben eine seltsame Lust, von jedem Ding die Namen zu verdrehen und aus dem Kalb einen Büffel zu machen.«

Der junge Mann war stehen geblieben.

»Haben Sie das Boot bereit?«

»Das versteht sich, Sir! es liegt unten am Ufer, das Sie einen Quai nennen. Der Teufel hole alle die Namen!«

»Sie haben den Mantel und die Männerkleidung?«

Der Riese wies statt der Antwort auf ein Paket, das er unterm Arm trug.

»Die Sennora hat unsern Plan gutgeheißen. In diesem Lande, Freund Felsenherz, giebt es ein Ding, das Du in Deinen Wäldern und Prärien nicht kennst, die Polizei, und sie hat offene Augen, eine feine Nase und eine lange Hand. Es gilt also, sie zu täuschen.«

Der Kanadier lachte. »Wer den scharfen Augen der Pawnees und Sioux, jener Wölfe und Füchse der Prärieen, so oft seine Fährt verborgen hat, wird diese Pariser wohl darüber täuschen können. Das Wasser hinterläßt keine Spur.«

Der Offizier wiegte bedenklich den Kopf. »Ich wiederhole Ihnen, Felsenherz, es ist etwas anderes um die Civilisation und das Leben in der Wildnis. Aber Sie haben Recht, das Wasser ist der einzige Weg, der keine Spur hinterläßt, und deshalb habe ich ihn gewählt. Sie und ich sind gute Ruderer und ehe der Morgen dämmert, werden wir Asnières erreicht haben und können in Colombes den ersten Bahnzug nach Hâvre benutzen. Um Mittag sind wir dort, unsere Sachen finden wir bereits in den Händen unseres Agenten. Er ist geschickt und zuverlässig, er hat seine Instruktionen erhalten und wird alles nötige besorgt haben. Das Schiff nach Rio geht am Abend ab, und ehe man hier noch eine Spur der Entflohenen gefunden hat, sind wir auf offener See.«

» Diable! ich zerbreche mir den Kopf über den Weg nicht; das ist hier Ihre Sache, aber ich bin froh, daß ich aus diesem Haufen von Häusern fortkomme, die einem ehrlichen Burschen die Brust zusammen schnüren.«

»Jetzt, Felsenherz, merken Sie auf. Die Sennora hat mir gesagt, daß sie eine Freundin habe, deren Schutz ihr behilflich sein werde, die Aufmerksamkeit und die Überwachung zu täuschen, mit der sie der Spanier, ihr Verlobter belästigt. Diese Augenblicke wird sie benützen, um aus einem der Ausgänge nach dem Garten den Palast zu verlassen und die Terrasse zu erreichen. Sie erwarten sie auf dieser Stelle und nehmen sie von dem Augenblick an in Ihren Schutz. Ich werde die Sennora nicht aus den Augen verlieren und sobald ich kann, unter der Terrasse sein. Haben Sie mich verstanden?«

»Verlassen Sie sich auf mich, Kapitän!«

Der Offizier reichte ihm die Hand und entfernte sich, wie er gekommen. Als er durch die Wachen und Diener am Eingang der großen Treppe sich drängte, bemerkte er nicht, daß einer der letzteren in brauner Livree, mit einem alten verwittertem Gesicht, das seltsam gegen die glatten wohlgenährten Physiognomieen seiner Kameraden abstach, ihn mit spionierendem Blick betrachtete, und dann in der Richtung, aus der er gekommen, davon schlich.

Dagegen erwartete den jungen Mann ein unangenehmes Abenteuer, als er den linken Bogen der großen Treppe, die mit auf- und niedergehenden Personen belebt war, hinaufging.

Ein hastig neben ihm vorüber eilender Mann stieß, aus einer Seitenthür tretend, so unsanft gegen ihn an, daß er fast das Gleichgewicht verloren hätte und nur das Geländer ihn vor einem lächerlichen Fall rettete.

Dem andern entfiel bei dem Zusammenstoß ein kleines Etui, das er in der Hand trug. Es sprang auf, und ein Ring, ein fast schwarzer, aber in merkwürdigem Feuer glänzender Diamant, von Rubinen umgeben, rollte auf die Stufen.

»Tölpel!«

Es war nicht der junge Mann, welcher das beleidigende Wort aussprach, sondern jener, der ihn zu Seite gestoßen, und nachdem er Ring und Etui aufgehoben, ärgerlich weiter eilen wollte.

Die Hand des Abenteurers faßte jedoch seinen Arm und zwang ihn, still zu stehen.

»Einen Augenblick, Monsieur, Sie werden sich entschuldigen!«

Der andere drehte sich um, es war ein Offizier von hohem Rang. Seine Miene war ärgerlich und hochmütig, als er auf den in Civil Gekleideten herabsah.

»Was wollen Sie, warum wagen Sie es, mich aufzuhalten, sehen Sie nicht, daß ich Eile habe?«

»Sie werden diese Stelle nicht verlassen, bis Sie sich für den Ausdruck, den Sie gebraucht, während Sie selbst mich gestoßen, entschuldigt haben!«

Der Offizier lachte höhnisch. »Was bilden Sie sich ein? Oberst Canrobert, Adjutant des Kaisers, soll sich bei einem unbekannten unbedeutenden Menschen entschuldigen! Nehmen Sie die Lektion, und seien Sie zufrieden.« Er wollte fort aber die Finger des Gegners hielten seinen Arm wie mit Eisenklammern umspannt.

»Soll ich die Lakaien rufen, und Sie die Treppe hinunter werfen lassen?« rief der Oberst.

»Genug der Anmaßung und der Beleidigungen, Herr. Ich bin Offizier, wie Sie!«

Der Oberst war jetzt stehen geblieben, sein aufbrausender jähzorniger Charakter ließ ihn um so weniger nachgeben, als er fühlte, daß er Unrecht hatte.

»Ihr Name?«

»Kapitän Laforgne, Adjutant des Generals Garibaldi!«

» Pest! ein schöner General aus eigener Fabrik!«

»Sie sind ein Nichtswürdiger, mein Herr, wenn Sie wagen, einen Abwesenden zu beschimpfen. Kein französischer Offizier, er stehe so hoch, wie er wolle, wird Genugthuung verweigern.«

Der Oberst zauderte einen Augenblick, dann sagte er finster mit gedämpfter Stimme, damit es die Nächstgehenden, die durch den Wortwechsel bereits aufmerksam gemacht worden, still zu stehen begannen, nicht hörten: »Sie sollen sie haben. Morgen früh 7 Uhr im Bois de Vincennes am Stern.«

Der jüngere Offizier verbeugte sich. »Ich erkenne Ihre Güte dankbar an, Herr Oberst, aber ich muß Sie bitten, diese noch zu erhöhen. Unabweisbare Pflichten zwingen mich, Paris morgen früh um 7 Uhr in entgegengesetzter Richtung zu verlassen. Ich stelle das Weitere Ihrer Ehre anheim.«

» Pardi, Sie haben es eilig, mein junger Hahn! Aber Ihr Wunsch soll erfüllt werden. Erwarten Sie mich eine halbe Stunde nach der Beendigung des Balls im Carré d'Atalante; Die 1793 nach Zeichnungen Robespierres vom Konvent in der Mitte des Tuilerien-Wäldchens gemachte Anlage. es ist Mondschein, Sekundanten werden wir, um Aufsehen zu vermeiden, nicht nötig haben.«

Der Oberst machte seinem Gegner eine höfliche Verbeugung, um den Verdacht der Horchenden zu zerstreuen, die von dem jungen Mann achtungsvoll erwidert wurde.

»Ich habe das Vergnügen, Sie bei der Tafel wieder zu sehen, Herr Kapitän!«

»Ich hoffe auf die Ehre!«

Der Adjutant des Kaisers ging eilig die Treppe hinauf, Kapitän Laforgne verweilte noch einige Augenblicke, als ob er auf jemanden warte, dann folgte er langsam.

Wenn auch die Vorübergehenden aufmerksam geworden, und einen Teil des Streites gehört hatten, so war der letzte Teil desselben doch zu vorsichtig geführt worden, um genau von Fremden verstanden zu werden. Überdies hatte die Delikatesse jede zudringliche Annäherung zurück gehalten.

Als jedoch der junge Offizier die Treppe weiter hinauf schritt und zufällig den Blick nach der Galerie der Retonde erhob, sah er ein fatales Gesicht und einen auf ihn gerichteten höhnischen Blick; er wußte, daß er beobachtet worden: es war der Graf Montijo, sein Rival.

Das Spiel der höchsten Herrschaften im weißen Saal war beendet; der Oberceremonienmeister Feaillet des Conches kam, um dem Kaiser zu melden, daß die Tafel zum Souper bereit sei.

Für die kaiserliche Familie und die vornehmsten Personen waren drei Tafeln im Theatersaal gedeckt, die Tafeln für die Gesellschaft waren in der Galerie der Diana.

Der ganze Hof und die Diplomatie war gespannt, wen der Kaiser zu seiner Tafel befehlen würde; unter den gegenwärtigen Umständen enthielten die Namen vielleicht die Zukunft Frankreichs, ein Bündnis oder eine Kriegserklärung. Nach der Etikette des Hofes mußte der Kaiser die Prinzessin Mathilde zur Tafel führen.

Die Sessel rückten, der Kaiser erhob sich vom Spieltisch, ringsum gespannte Gesichter.

»Ich bedauere, Madame,« sagte der Kaiser, mit einer Verbeugung zu der Marquesa Montijo, indem er Miene machte, seiner Cousine den Arm zu reichen, »daß wir das Spiel unterbrechen müssen, während Sie im Glück sind, aber es ist spät, die Stunden verschwinden in Ihrer liebenswürdigen Gesellschaft.«

»O Sire, unmöglich! es kann kaum zwölf Uhr sein!«

Sie sah nach ihrer mit Brillanten besetzten Uhr, einem Weihnachtsgeschenk des Kaisers aus Compiegne. »Sehen Euer Majestät, es fehlen sogar noch zehn Minuten daran.«

Der Kaiser lachte: »Diesmal, schöne Dame, haben Sie Unrecht, Ihre Uhr steht!«

Sie hob die Uhr zu ihrem Gesicht: »Heilige Madonna, Euer Majestät haben Recht, sie steht; es ist das erste Mal seit dem Weihnachtsfest.«

»Überzeugen Sie sich selbst!«

Der Kaiser hatte seine Uhr gezogen, ein Andenken seiner Mutter, und seines Aufenthalts in der Schweiz, auf das er viel hielt.

»Aber Sire, Sie täuschen sich! Ihre Uhr zeigt nicht mehr als die meine!«

»Unmöglich!«

Er sah nach dem Zifferblatt und fuhr unwillkürlich zusammen, dann hielt er die Uhr an sein Ohr.

»Das ist seltsam! Welche Stunde sagten Sie, Madame?«

»Zwölf Uhr weniger zehn Minuten!«

»Dann ist meine Uhr zu derselben Zeit stehen geblieben!«

Es trat eine kurze Pause ein. Niemand, außer dem Kaiser schien die Bedeutung dieses Zufalls zu ahnen. Ein flüchtiger Blick des römischen Prälaten streifte die Gräfin von Teba, die so erstaunt war, wie die andern.

Das Auge des Kaisers suchte den Grafen Persigny, das unbedeutende Ereignis schien tiefen Eindruck auf ihn gemacht zu haben. Die Anekdote mit der Uhr ist Thatsache.

»Madame,« sagte er plötzlich, »unsere Stunde scheint gekommen. Ich bitte Ihro Excellenz, meinen Arm und den Platz anzunehmen, der Ihnen zukommt.«

Eine dunkle Röte überflog das schöne blasse Gesicht der Marquesa. Die Bedeutung der mit besonderer Betonung und so laut gesprochenen Worte war nicht zu verkennen. Die Prinzessin Mathilde war zurückgetreten, sie hielt den Fächer vor das Gesicht, um ihre Aufregung zu verbergen; das Antlitz der Gräfin von Teba glühte von Stolz und Freude.

Es wäre eine interessante Aufgabe gewesen, in diesem Augenblick die Physiognomiken all der Personen zu beobachten, die den Kreis umher bildeten. Der Prinz Napoleon konnte seine üble Laune so wenig unterdrücken, daß er sich brüsk abwandte und eine Bemerkung zu dem Grafen Morny machte, der neben ihm stand. Die Hofleute und die Diplomaten tauschten bezeichnende Blicke.

Die Pause dauert indes nur kurze Zeit. Das Auge des Kaisers ging langsam im Kreise umher, er bezeichnete dem Ober-Ceremonienmeister die Damen, welche er zu seiner Tafel befahl.

Es waren außer der Prinzessin Mathilde, nur die Marquesa Montijo und ihre Mutter, Lady Cowley, die Komtesse Walewska, die Marschallin St. Arnaud, die Gräfin Hatzfeld, Madame Rogier und die Baronin Hübner. Die absichtliche Übergehung des russischen Gesandten war augenfällig.

Da der Kaiser sich nicht selbst setzte, sondern an seiner Tafel nur die Damen Platz nehmen ließ, mußte dieselbe Etikette auch an den beiden anderen im Saal beobachtet werden. Die Herren, deren Rang sie zur Anwesenheit in diesem Saal berechtigte, erhielten dadurch Gelegenheit zu freierer Bewegung.

Indem Herr von Kisseleff an einem jungen Mann mit slavischer Physiognomie vorüberstreifte, berührte er leicht seinen Arm.

»Sie befehlen?«

»Suchen Sie eine Gelegenheit, sich sogleich vom Ball zu entfernen und halten Sie einen Courier bereit mit unsern Pferden bis Meaux. Er muß von dort mit dem Frühzug nach Petersburg gehen. Fürst Kourakin wird in einer Stunde im Hotel sein, um die Depesche zu revidieren. Berichten Sie einstweilen an Graf Nesselrode, was Sie gesehen, und daß das Bündnis mit England geschlossen und der Krieg sicher ist.«

Der dritte Gesandtschafts-Sekretär, Fürst Dondukoff Korsakoff, verschwand.

Der diensthabende Adjutant, Oberst Canrobert, war zu der Gruppe der Minister getreten. »Se. Majestät haben auf morgen, um 11 Uhr, Ministerrat befohlen!« Er wandte sich zu dem Kriegsminister: »Herr Marschall, der Kaiser wird sich gegen zwei Uhr entfernen. Er wünscht Sie in seinem Kabinett zu sprechen, ehe Sie den Ball verlassen.«

»Es ist gut, ich werde kommen!« Die Antwort war barsch und hochmütig; Saint Arnaud konnte die Canroberts nicht leiden, und das Gerücht, daß der ältere ihn im Ministerium ersetzen sollte, war bereits ziemlich laut.

Der Oberst bezwang mit Mühe seinen Zorn über den Ton der Antwort. Seine Stimmung war bereits durch den Vorfall mit dem jungen Offizier aufs höchste gereizt.

Der Graf Montboisier nahm seinen Arm.

»Ich gratuliere, Oberst.«

»Zu was?«

» Caramba! zur Beförderung bei der Vermählung!«

»Was meinen Sie damit?«

»Ei, mein Lieber, man müßte blind und taub sein, um jetzt noch daran zu zweifeln; die Schönheit hat den Sieg davon getragen. Sehen Sie dahin, er reicht ihr etwas, das sie an den Finger steckt.«

» Sacre! es ist der Ring!«

»Was für ein Ring, Oberst?«

»Ich mußte ihn vorhin aus dem Kabinett des Kaisers holen, ein seltener Diamant, so dunkel, wie ich noch keinen gesehen. Der Kaiser hat ihn vor kurzem erst von einem Londoner Juwelier gekauft, der gleich danach auf der Versailler Bahn verunglückte.«

»Ich erinnere mich, der Mann hatte sehr schöne Diamanten. Man sagte, daß sie aus Italien nach London gebracht waren. Auch des schwarzen Diamanten entsinne ich mich, sein Farbenspiel hat etwas Unheimliches.«

»Sie haben Recht,« sagte gedankenvoll der Oberst, »es erregte mir ein unangenehmes Gefühl, als ich ihn vorhin in der Hand hielt und zufällig probierte. Der Kaiser hat ihn der Seltenheit wegen gekauft!«

Der Kaiser stand hinter dem Stuhl der Marquesa und leitete von hier aus selbst die Bedienung der Damen, indem er sich sehr vertraulich mit der schönen Spanierin unterhielt, deren künftige Stellung nach dem Vorgefallenen nicht mehr zweifelhaft sein konnte, und der daher von allen Seiten die größte Aufmerksamkeit erwiesen wurde.

»Geben Sie mir Ihre Uhr, Madame,« sagte der Kaiser beim Dessert, »ich will sie zum Andenken an diese Stunde bewahren!«

»Das wäre ein Verlust, Sire, Sie wissen, daß ich sie in Compiegne bei der von Euer Majestät so geschickt veranstalteten Weihnachtslotterie gewann.«

»Um so mehr habe ich ein Recht darauf, nach dem gewonnenen größeren Spiel. Aber ich will Sie nicht berauben, sondern schlage bloß einen Tausch vor.«

»Ich bedarf allerdings eines Unterpfandes für das große Los, das Euer Majestät mich ziehen ließen.«

»So erlauben Sie mir, Ihnen diesen Ring dafür anzubieten. Man behauptet, daß der seltene Stein einen Einfluß auf das Glück des Trägers übt, je nachdem er ihn zu bewahren versteht. Meine Sorge soll es sein, das Ihre zu sichern.«

»Sire!«

»Wenn Sie mir ein besseres Recht dazu geben wollen, als der Regent Frankreichs besitzt, so nehmen Sie den Ring.«

Die Worte, so leise sie gesprochen, waren doch so klar, daß ihre Bedeutung nicht mißzuverstehen war. Die Marquesa nahm den Ring von dem goldenen Dessertteller, auf dem, um einen Bonbon gezogen, zwischen Konfituren der Kaiser ihr ihn reichte.

Es war der Augenblick, in dem der Kammerherr und Oberst Canrobert beobachteten, daß die Dame den Ring auf ihren Finger gleiten ließ.

»Sire, ich danke Ihnen für dies neue Geschenk und werde es als einen Talisman tragen. Wir Spanierinnen sind ein wenig abergläubisch.«

Der Kaiser machte den Damen eine Verbeugung, zum Zeichen, daß die Tafel aufgehoben sei und reichte der Marquesa den Arm. »Von diesem Augenblick an ist Eugenia Montijo nicht mehr Spanierin, sondern Französin. Ich habe bereits Befehl gegeben, das Elysée für Sie einzurichten. Die Braut des Kaisers von Frankreich muß eine ihrer Verdienste würdigere Wohnung haben, als das Hotel am Place Vendome, bis die Tuilerieen zu Ihrem Empfang bereit sind.«


Er führte sie zurück nach dem Thronsaal; die Ballmusik hatte auf seinen Befehl bereits wieder begonnen.

Es ist bekannt, daß die Kaiserin der Franzosen seit jenem Fest einen Diamantring am Finger trug, den sie nie ablegte.

Obschon eine Gratulation noch nicht statthaben durfte, da der Kaiser eben noch keine offizielle Erklärung von seinen Absichten abgegeben, war doch niemand mehr im Zweifel, daß Louis Napoleon einen entscheidenden Entschluß in Betreff seiner Verbindung gefaßt hatte, und alles wetteiferte, die ausgehende Sonne zu umdrängen und ihr Schmeicheleien zu sagen.

So dauerte es lange, ehe die junge Argentinerin in die Nähe ihrer künftigen Verwandten gelangte. Die Hand der Spanierin erfaßte die ihre und zog sie zu sich, sie strich dem fast nicht minder schönen Mädchen die Locken aus dem vom Tanz erglühten Gesicht.

»Ich sollte Dir einen Dienst erweisen, Carmen; was ist es, Kind? Du weißt, wie gern ich Dir beistehe!«

»So befreien Sie mich von dieser Heirat! Don Alvaro hat mir eben gesagt, daß Ihre Mutter den Kaiser bitten werde, unsere Vermählung am Tage der seinen feiern zu dürfen!«

»Armes Kind! Alles was Du willst, aber die Frau Gräfin von Teba, das ist das einzige, womit Du mich verschonen mußt. Hilf Dir selbst, so gut Du kannst!«

Die Kaiserbraut kannte zu gut die Inklination ihrer Mutter.

»Ich begehre nichts mehr, als das; aber ich bedarf Ihrer Güte, Marquesa!«

»Wenn es gilt, dem anmaßenden finstern Gesellen, meinem Vetter, oder dem habsüchtigen Menschen, Deinem Vormund und Bruder einen Streich zu spielen, mit Vergnügen!«

»Wann werden Sie den Ball verlassen?«

»In einer Viertelstunde, Kind, sobald der Kaiser aufbricht!«

»Dann – ich flehe Sie an, eine verlassene Waise, die Sie immer geliebt hat und lieben wird, behalten Sie dabei Don Alvaro in Ihrer Nähe, und verhindern Sie ihn, mich zu begleiten.«

Die schöne Kaiserbraut sah ihr ernst in die großen Augen. »Was willst Du thun, Carmen?«

»Für mein Glück sorgen, da ich weder Vater noch Mutter habe, die es thun. Wollen Sie meine Bitte erfüllen, Sie, deren Los so groß und glänzend sein wird, daß Sie der Liebe eines unbedeutenden Mädchens nicht mehr bedürfen werden?«

Ein Seufzer schwellte die Brust der schönen Spanierin, ihre dunklen Augen ruhten mit schwermütigem Ausdruck auf der Jungfrau. »Wer weiß, wie sehr ich der Liebe bedürfen werde! Aber Du hast Recht, Kind, cada uno es artifice de su fortuna! – Ich werde thun, was Du willst und wenigstens ein dankbares Herz am heutigen Abend mir sichern. Die heilige Jungfrau beschütze Dich!«

Sie küßte sie auf die Stirn, denn im Marschallssaal rauschte das Entree der Quadrille, und der Kaiser nahte sich ihr.

Mit finsterem stechenden Auge beobachtete Don Alvaro das jugendliche Paar, das in den glänzenden Reihen sich bewegte und nur mit dem Vergnügen des Tanzes beschäftigt schien. Aber das Auge der Eifersucht ist scharf und es entging ihm nicht, daß sie häufig ernste Worte unter dem Anschein der leichten Konversation wechselten, denn der junge Kapitän vermochte nicht immer den Ausdruck seines Gesichts zu beherrschen.

» Pesimamente! Aber Oberst Canrobert führt eine gute Klinge, und ich müßte schlecht gesehen haben, wenn wir morgen nicht etwas von diesem naseweisen Bettler hören sollten! Bis dahin werde ich sie nicht aus den Augen lassen. Der Schurke, der mir die Nachricht gab, wird hoffentlich auf seinem Posten sein!«

» Traversez!«

Er hatte leicht ihre kleine Hand berührt, gleich einem elektrischen Funken hatte es alle seine Nerven durchbebt.

Wie ein kaltes schneidendes Eisen fiel der Gedanke in seine Seele, daß er nicht Herr der nächsten Stunde war, daß ein unglücklicher Ausgang auch das ihm als ihrer letzten Hilfe vertrauenden Mädchen verderben konnte.

Aber Gott wacht ja über die jungen und rechtschaffenen Herzen!

»Merken Sie auf, Sennor, der Kaiser wird gleich nach der Quadrille sich entfernen! Sorgen Sie, daß mein Wagen am Pavillon de Flore hält. Ich entschlüpfe im Gedränge, oder indem ich die Thür der andern Seite öffne.«

»Sie setzen sich der Gefahr aus, unter die Pferde zu geraten, Sennora!«

»Unbesorgt! – als ob ich nicht damit vertraut wäre. Bei welcher der Statuen erwartet mich der Amerikaner?«

»Am Eingang der Terrasse, an der Statue der Ariadne. Ich werde in wenig Minuten bei Ihnen sein, um Felsenherz meine Instruktionen zu geben!«

»Warum das? Sie begleiten mich ja, wie wir vorhin bestimmt!«

Der junge Mann ballte zornig auf sich selbst die Hand. »Sennora, ein unglücklicher Zufall könnte meine Ankunft verzögern, ja mich verhindern. Sie zu begleiten. Aber fürchten Sie nichts, Felsenherz ist treu wie das Eisen seiner Büchse. Er wird Sie beschützen, bis ich komme. Was auch geschehen möge – weichen Sie nicht von jener Stelle, bis Sie von mir gehört haben und seien Sie überzeugt, daß mein Blut und Leben Ihnen gehört!«

»Ich danke Ihnen, Sennor, aber erinnern Sie sich, daß Don Alvaro nur für kurze Zeit beseitigt werden kann, und daß unsere Sicherheit von der Benutzung des Augenblicks abhängt.«

»Ich weiß es!«

Die letzte Tour der Quadrille unterbrach das Gespräch. Ein rascher Druck der Hand, als er sie zu ihrem Sessel zurück führte, hieß ihn aufmerksam sein.

Der Kaiser brach soeben auf und beurlaubte sich bei den Damen. Da seine Bewerbung und Verlobung noch nicht offiziell ausgesprochen war, befahl er dem Groß-Ceremonienmeister Bacchoichi, die Marquesa Montijo zu ihrem Wagen zu begleiten.

In diesem Moment traf der bittende Blick der jungen Agentinierin das suchende Auge der Kaiserbraut, um die sich die sich Verabschiedeten drängten.

»Vetter Alvaro!«

Der Conde hat sich gleichfalls seinen Verwandten genähert, um sich zu empfehlen, denn mit der Entfernung des Kaisers brachen auch die Mitglieder der kaiserlichen Familie, die Minister und das diplomatische Korps auf.

»Schöne Cousine, lassen Sie Ihren Diener Ihnen Lebewohl sagen mit seiner Gratulation zu dem, was er bemerkt.«

»Nicht doch, Sennor. Wenn Sie so gute Augen gehabt, werden Sie begreifen, daß Sie als der einzige männliche Verwandte uns zu begleiten haben.«

»Ich stehe zu Ihrem Befehl, indes …«

»Ihren Arm, Cousin!«

Der Conde bot der Marquesa seinen Arm, sein Auge flog finster und suchend umher.

»Sie scheinen zerstreut, Cousin, das ist nicht hübsch, Graf!«

»Verzeihung, Madame, aber meine Braut – Carmen – –«

»Ihr Bruder wird für sie sorgen. Ich bedaure, daß ich Sie ihrer angenehmen Gesellschaft entziehen muß, aber ich habe mit Ihnen zu reden!«

Es war unmöglich, sich dieser Pflicht und ihrem Befehl zu entziehen, das Ceremoniell fesselte ihn an ihre Seite im Foyer der Escalier d'Honneur, während die Equipagen vorfuhren, und noch aus dem Schlag des Wagens sprach die Marquesa unbefangen mit ihm und lud ihn ein, sie am andern Morgen zu besuchen, da sie wichtiges mit ihm zu bereden habe.

Mehr als eine Viertelstunde war verstrichen, ehe er frei wurde; er flog die Treppe hinauf in die Säle zurück, die sich immer mehr zu leeren begannen, obschon der Ball noch fortdauerte.

Er eilte durch die weiten Räume, sein glühendes Auge durchforschte jede Gruppe, seine Verlobte war nirgends mehr zu sehen, aber auch der verhaßte Rival war nicht dort.

Endlich stieß er auf den jungen Marquis, der in eifriger Unterhaltung mit dem Rektor Corpasini begriffen war.

»Ihre Schwester, Sennor Don Massaignac?«

»Carmen? ei, ich denke, das ist Ihre Sache! Man ist ja gewöhnt, daß Sie ihren Wächter spielen, so daß kaum der Vormund und Bruder noch etwas über das Mädchen zu sagen hat!«

Der Graf Alvaro unterdrückte eine heftige Erwiderung auf die rauhen Worte, aber ein giftiger finsterer Blick traf den künftigen Schwager, der denselben trotzig erwiderte.

»Aber sie ist nicht mehr hier!«

»Dann wird sie nach Hause gefahren sein! Die Verschwenderin besteht darauf, ihre eigene Equipage zu haben. Ich erinnere mich, sie sagte mir im Vorübergehen, daß sie fort wolle, aber mein Dienst als Saint Arnauds Adjutant hielt mich noch zurück. Doch ich muß sehen, wo der General steckt!« Er wandte sich zu dem Prälaten und reichte ihm die Hand. »Leben Sie wohl, hochwürdiger Herr, es bleibt bei unserer Abrede. Sie werden den geeigneten Ort finden!«

»In Italien, Signor, ich bürge Ihnen dafür. Die heilige Kirche hat dort noch Macht genug, die Seelen zur Erkenntnis ihres wahren Wohls zu führen!«

»Das andere ist meine Sorge!«

Er wollte fort, der Spanier war einige Schritte weiter gegangen, als der neue Kammerherr Graf Montboisier hastig von der Seite der Kapelle herkam.

Sein Gesicht war blaß, er war offenbar in großer Aufregung.

Selbst Don Alvaro, halb beruhigt durch die Nachricht des Bruders, wurde aufmerksam.

»Monsieur de Massaignac, Sie müssen sich auf der Stelle zum Marschall begeben. Er bedarf Ihrer!«

»Wo find' ich ihn?«

»Im Foyer des Pavillon d'Horloge.« – Er führte ihn einen Schritt zur Seite und fuhr leise fort: »Was Sie auch sehen oder bemerken mögen, kein Wort! Dieser Herr ist ein Priester?«

»Der Rektor Corpasini!«

»Beeilen Sie sich, Herr Marquis!« – Er trat zu dem Prälaten. »Ein Wort, mein Herr! Befehl des Kaisers! – Ich bitte Sie, mir ohne Aufsehen zu folgen, um eine dringende Pflicht Ihres heiligen Amtes zu üben!«

Der Jesuit verbeugte sich. »Gehen Sie voran, Signor, ich bin immer bereit im Dienste Gottes und der Heiligen.«

Er folgte dem Kammerherrn, der ihn nach der großen Treppe führte. Der Graf Montijo, trotz seiner eifersüchtigen Besorgnis um die Verlobte, war zu sehr Höfling, um nicht aufmerksam und neugierig zu werden und ging hinter ihnen drein, aber am Eingang der Galerie stand ein Offizier, der ihn zurückwies und bedeutete, daß die Ehrentreppe vom Publikum nicht mehr zu passieren sei, und der Ausgang der Gäste durch den Pavillon de Flore stattfände.

Eine halbe Stunde vorher hatte sich der Kaiser in sein Kabinett zurückgezogen.

Er befand sich unter den Händen seines alten Kammerdieners; am Eingang des mit grünen Seidentapeten bekleideten, auf die Blumen-Terasse zwischen dem Pavillon d'Horloge und dem Pavillon Marsac hinausgehenden Gemachs, in dem mehrere Tische mit Karten, Büchern und militärischen Modellen bedeckt waren, stand der Kriegsminister Marschall Saint Arnaud.

»Nehmen Sie einen Sessel, Herr Marschall, ich bin sogleich bereit und habe mit Ihnen zu sprechen.«

Der Marschall nahm mit einer schweigenden Verbeugung einen Stuhl. Der Kaiser hatte sich mit dem Kammerdiener seit einigen Minuten in sein Ankleidezimmer entfernt und kam jetzt, der großen Uniform entledigt, allein zurück.

Nach seiner Gewohnheit setzte er sich an den Kamin.

»Ich wollte Sie sprechen vor dem morgenden Minister-Rat, Herr Marschall,« sagte der Kaiser, »ich bedarf einiger Notizen. In welcher Zeit glauben Sie, die neuen Regimenter herstellen zu können?«

»In zwei Monaten, Sire, werden sie marschfertig sein.«

»Fordern Sie sogleich von Brest und Toulon Bericht über den Zustand des Belagerungsparks und der Munitionsvorräte. Die Arbeiterzahl in den Arsenalen muß verdoppelt, ja verdreifacht werden; besprechen Sie sich mit Ducos, ich will, daß wenn die Allianz mit England zustande kommt, Frankreich zur See, wie zu Lande den ersten Rang einnimmt.«

»Aber, Sire, soviel ich weiß …

»Der Krieg ist unvermeidlich; ich kenne den Starrsinn des Kaisers Nicolaus und die Gefahr eines griechischen Kaisertums ist drohend. Frankreichs Zukunft ist das mittelländische Meer, und es würde sie für Menschenalter, vielleicht für immer aufgeben, wenn das Zarenreich an die Stelle des entnervten Halbmonds tritt. Sebastopol ist für uns das russische Malta. Wird dieser Posten, der Frankreich und England so gut wie die Türkei bedroht, bis an die Dardanellen vorgeschoben, so gewinnt Rußland eine Stellung, die nicht mehr zu brechen ist. Lassen Sie vorläufig ganz in der Stille die Divisionen Canrobert, Bosguet und Forey auf die Kriegsstärke bringen. Ich rechne besonders auf die afrikanischen Truppen.«

»Sire, dann erlauben Sie mir die Bemerkung, daß Sie einen Ihrer besten Führer entfernt haben, und daß dies vielen Anlaß zur Unzufriedenheit gegeben hat!«

»Wen meinen Sie?«

»General Mac Mahon!«

»Ei, wenn er Pulver riecht, wird er schon wieder kommen und die orleanistische Opposition vergessen. Ich verlange unbedingten Gehorsam, merken Sie wohl, unbedingten Gehorsam! Pelissier ist auch Republikaner, aber ich zähle doch auf ihn. Treffen Sie unterdes Ihre Anstalten im stillen, so gut wie …«

»Sire?«

»So gut wie für den 2. Dezember! Das erinnert mich an etwas anderes, über das ich mit Ihnen zu reden habe, Leroy!«

Es war das erste Mal, daß Louis Napoleon ihn seit der Kaiserwahl mit dem alten vertraulichen Namen anredete. Der Marschall spitzte die Ohren und wappnete sich.

»Sie erinnern sich, daß ich Ihnen damals eine schriftlich Vollmacht gab, im Elysée am Abend des 1. Dezember. Sie haben noch immer vergessen, sie mir zurückzugeben!«

»O Sire, Sie vergessen …«

»Ich weiß wohl, daß Sie mir gesagt haben, Sie hätten das Papier verbrannt, nachdem die Sache beendet war, aber das ist ein schlechter Scherz!«

»Ich versichere Euer Majestät …«

»Versichern Sie nichts, lieber Leroy, denn ich werde es Ihnen nicht glauben. Ich halte Sie für keinen Narren; denn nur ein solcher oder ein Mann, dem jeder Egoismus fremd, würde ein solches Dokument verbrannt haben. Sie sind aber weder ein Einfältiger, noch ein Phantast.«

»Sire, Sie thun mir Unrecht, ich besitze das Dokument nicht!«

»Das weiß ich sehr wohl! dazu sind Sie zu klug. Kurz und gut, was verlangen Sie für dessen Auslieferung?«

»Sire, ich erkenne in diesem Mißtrauen bloß den Einfluß meiner Feinde. Die Ordre ist vernichtet!«

»Noch einmal, wollen Sie es mir verkaufen?«

»Euer Majestät beleidigen mich! Das Papier …«

»Das Papier ist in England, in den Händen des Juden Lemandoff, Herr Marschall. Ich weiß sehr wohl, wer es am 4. Dezember nach London gebracht hat. Sie sehen, daß ich gut unterrichtet bin!«

Der Marschall hatte sich erhoben. »Ich wiederhole, Sire,« sagte er rauh, »daß ich bloß meine Feinde in Ihren Worten erkenne. Die Zeitungen scheinen nicht ohne Grund bereits einen Nachfolger für mich in Bereitschaft zu haben. Ich bin ein zu alter Soldat, Sire, und habe eine zu schlechte Erziehung, um treue Dienste mit den Flittern des Parketts zu übergolden und den Höfling zu spielen. Haben Euer Majestät noch weitere Befehle für mich?«

Der Kaiser hatte ihm den Rücken zugedreht, absichtlich, um ihn den Ärger nicht sehen zu lassen, der trotz aller Selbstbeherrschung über das Mißlingen auf seinem Gesicht sich spiegelte. Er begriff, daß er nicht weiter in den Marschall dringen konnte, obschon er sehr wohl wußte, daß dieser ihn belog. Endlich war er vollkommen Herr seiner selbst und wandte sich zu dem Minister.

»Sie sind ein Thor und sehen Gespenster. Ich weiß Ihre Treue und Ergebenheit zu schätzen, andernfalls hätte ich sicher den Leichtsinn nicht übersehen dürfen, mit dem Sie sich und den Staat kompromittieren.«

Der Marschall wollte eine hochmütige und trotzige Entgegnung machen, aber der strenge Blick des Kaisers, der ihm gegenüber jetzt allein die Haltung des Herrschers zeigte, und ein gewisses Schuldbewußtsein unterdrückten die Worte auf seinen Lippen.

»Ich verstehe Euer Majestät nicht!«

Der Kaiser nahm einige Papiere. »Hier sind drei Berichte aus der Coulisse. Sie haben trotz meiner Warnungen aufs neue sich in ein schmachvolles Börsenspiel eingelassen. Die Summen, die Sie bereits am letzten Abrechnungstage zahlen sollten, sind ungeheuer und übersteigen weit Ihre Mittel und Kräfte. Ein Bankerott, ein öffentlicher Skandal ist vor der Thür, denn der bevorstehende Verfalltermin vermehrt Ihre Verluste noch, ich bin genau von allem unterrichtet und weiß, daß die Andeutungen der Oppositionsjournale vollkommen richtig sind.«

»Der Teufel hole diese Zeitungsschmierer,« murrte der Marschall, der fast wie ein ertappter Schuljunge aussah.

»Um der Ehre der Regierung willen darf es nicht zu einem Eklat kommen. Frankreich hat solcher Skandale genug aus der Zeit Louis Philipps, und ich bin entschlossen, den Herren von der Börsenagiotage nicht die Ehre des Landes preis zu geben. Was ich Ihnen vorhin vorschlug, war ein Weg, sich Ihrer Verbindlichkeiten zu entledigen.«

»Sie fordern das Unmögliche dafür, Sire; es ist also leicht den Großmütigen zu spielen.«

Der Kaiser trat einen Schritt auf ihn zu. »Sie behaupten also noch immer, daß jene Ordre, die Sie mir abgepreßt, nicht mehr existiert?«

»Gewiß!«

»Sie geben Ihr Ehrenwort darauf?«

»Wie? was meinen Euer Majestät?«

»Ihr Ehrenwort, Herr Marschall, daß jenes Papier vernichtet ist!«

Der alte Raufbold blickte ihn mürrisch von der Seite an, wie eine Bulldogge, die am liebsten ihrem Herrn an den Hals springen möchte. »Meinetwegen, ich gebe mein Ehrenwort!«

Ein finsteres, dämonisches Lächeln flog über die starren Züge des Napoleoniden. Dann trat er zurück. »Damit Sie sehen, daß ich alte Freunde und treue Dienste nicht vergesse, nehmen Sie, was Ihnen auf jeden Fall im voraus bestimmt war!«

»Was meinen Euer Majestät?«

»Dort links auf dem Tisch, unter dem Briefbeschwerer von Malachit, liegen 200 000 Franks in Banknoten. Bezahlen Sie damit Ihre Schulden.«

Der Marschall war, nicht, ohne eine gewisse Verlegenheit zu zeigen, an den Tisch getreten und hob den Löwen von Malachit auf.

»Wir haben noch zwei Monnat bis zum ersten April, Sire!«

»Was soll das heißen?«

»Ei, morbleu! das soll heißen, daß Sie sich oder mich täuschen; hier liegt ein leeres Papier, aber keine zweimalhunderttausend Franken!«

»Das ist unmöglich! Ich habe die Banknoten selbst dahin gelegt, zehn Minuten vorher, ehe ich auf den Ball ging.«

»Überzeugen Sie sich, Sire!« Er hielt dem Kaiser, der sich hastig genähert, das Papier entgegen.

»In der That! das ist der Umschlag, den ich benutzte. Ich weiß es bestimmt!« Er hob die umherliegenden Papiere und Bücher in die Höhe. »Auf diese Stelle hier legte ich das Geld, dann muß es gestohlen sein! Schellen Sie, Marschall, geschwind!«

Der Minister ließ die Klingel ertönen, der alte Kammerdiener kam eilig aus dem Garderobezimmer.

»Thelin,« sagte der Kaiser streng, »Du hast gesehen, daß ich in dieses Papier Banknoten that, ehe ich zum Ball ging. Ich legte sie unter diesen Malachit!«

»Gewiß, Sire, sie müssen ja dort liegen!«

»Das Geld ist fort!«

»Fort? Um Gotteswillen, Sire, das ist unmöglich! Sie werden doch von André nicht glauben …«

»Ich habe Dir Millionen vertraut, Alter, ich kenne Deine Treue! Aber die Thatsache steht fest, das Geld ist gestohlen!«

»Heilige Mutter Gottes! das ist mein Tod, Sire!«

»Wer hat mein Zimmer diesen Abend betreten?«

»Ich allein, Sire, ich habe etwas aufgeräumt, ich erinnere mich deutlich, daß ich das Päckchen dabei noch unter dem Stein liegen sah! Sie wissen, Sire, daß die Thüren verschlossen sind.«

»Wenn niemand weiter als Du allein hier war – erinnere Dich, André wer hat das Zimmer betreten?«

»Niemand, Sire, außer …« der alte Mann zögerte, indem er am ganzen Leibe zitterte.

»Wer? rede!«

»Oberst Canrobert, Sire! Ich mußte ihm öffnen, er sagte, daß er Ihren Befehl habe, etwas zu holen.«

»Das Etui lag unter den Papieren neben dem Malachit,« sagte der Kaiser halblaut.

»Ich schwöre Ihnen bei meiner Seligkeit, Sire, niemand ist hier gewesen, als Sie und ich. Oberst Canrobert – er war einige Zeit in dem Zimmer allein, weil ich eben abgerufen wurde, und …«

»Und ich!« unterbrach ihn der Marschall brüsk. »Es ist klar, daß unter uns Vieren einer das Geld gestohlen haben muß. Da Sie, Sire, der Eigentümer sind, hatte es keinen Zweck; Thelin ist eine zu ehrliche Haut, es bleiben also wir beide. Da ich es nicht habe, muß es Canrobert genommen haben!«

»Wie, Marschall, ein solcher Verdacht!«

»Ei, morbleu! zweimalhunderttausend Franken sind zweimalhunderttausend Franken! Canrobert ist ein Spieler und ist so gut in Geldverlegenheit wie ich!«

»Es ist unmöglich!«

»Untersuchen Sie meine Taschen, Sire, ich stelle sie Ihnen zur Verfügung. Wenn Sie das nicht wollen, so halten Sie sich an Canrobert, ich wüßte nicht, warum ein Verleumder nicht auch ein Dieb sein sollte!«

Der Kaiser ging finster auf und ab. »Gehen Sie, Herr Marschall, ich werde die Sache morgen weiter untersuchen! Rufe den Obersten, André, wenn er noch im Vorzimmer ist.«

»Gute Nacht, Sire!« sagte der Minister. »Ich sehe, daß ich auch hierbei wieder am schlimmsten wegkomme; aber ich hoffe. Sie werden diesmal nicht auf süße Redensarten hören, sondern mir mein Recht wiederfahren lassen!«

Er maß den eintretenden Adjutanten mit einem finsteren, höhnischen Blick und verließ das Gemach. Sein Benehmen war so auffallend, daß dem hitzigen Offizier das Blut in den Kopf stieg, und er alle Kraft nötig hatte, sich zu überwinden.

»Treten Sie näher, Oberst!«

Der Adjutant gehorchte.

»Als ich Sie nach dem Ring schickte, haben Sie hier auf dem Tisch, dicht daneben, unter diesem Malachit ein Päckchen bemerkt?«

»Ich kümmere mich nur um das, was meine Sache ist, Sire!«

»Ich frage, ob Sie das Paket vielleicht bemerkt?«

»Ich erinnere mich, daß unter dem Stein etwas lag, aber es ging mich nichts an.«

»Es waren 200 000 Franken in Banknoten, sie sind auf unerklärliche Weise verschwunden, gestohlen!«

»Sire …«

»Außer mir und Thelin hat niemand das Zimmer betreten, als Sie und der Marschall –«

»Dann muß Saint Arnaud um das Geld wissen!«

»Dasselbe behauptet er von Ihnen. Er sagt, da ich und André und er die Banknoten nicht gestohlen hätten, so müßten Sie …«

»Sire, der Halunke wagt es …«

Der Kaiser zuckte die Achseln. »Machen Sie das mit ihm selbst aus!«

»Bei Gott! das will ich!« Die Adern seiner Stirn waren zum Springen geschwollen, sein Gesicht glühte dunkel; ohne auf den Kaiser zu achten, jede Etikette beiseite setzend, stürzte er wie ein Wahnsinniger aus dem Gemach.

Der Kaiser trat zu dem Kamin, gleich darauf hörte man in einiger Entfernung einen schweren Fall und den Ruf um Hilfe. Der alte Kammerdiener stürzte händeringend in das Gemach. »Sire, ein entsetzliches Unglück?«

Zwischen dem Kabinett des Kaisers und der Antichambre der diensthabenden Offiziere und Kammerherren befinden sich zwei große Gemächer, als Wohnzimmer oder zum Empfange dienend. Der Marschall St. Arnaud hatte bereits das nächste durchschritten und verweilte einen Augenblick im zweiten, wo er mit Thelin, der hier wartete, nachdem er den Obersten gerufen, einige Worte sprach, als dieser mit flammenden Augen, die Zeichen wütender Erregung in jedem Zug, hereinstürzte, den bloßen Degen in der Faust.

»Schurke! lügnerischer Schurke!«

Ehe der Marschall noch eine Bewegung zu seiner Verteidigung machen konnte, fühlte er die Klinge des Gegners seinen Leib durchbohren; Thelin eilte mit erhobenen Armen, einen Hilferuf ausstoßend herbei.

Aber noch ehe er sie erreicht, hatte der Marschall mit der Entschlossenheit und Gewandtheit des alten Soldaten und Haudegens – es ist bekannt, daß St. Arnaud früher Fechtmeister war – seinen Säbel aus der Scheide gerissen, und mit dem Ruf: »Nimm das, Meuchelmörder!« führte er einen furchtbaren Hieb auf seinen Gegner.

Der unglückliche, von seiner Heftigkeit und seinen politischen Antipathieen zu der That fortgerissene Mann ließ den blutigen Degen fallen und stürzte rückwärts zu Boden.

Das war der dumpfe Schlag, den der Kaiser gehört hatte und zugleich mit dem zweiten lauten Schrei, den der alte Kammerdiener ausgestoßen.

Der Hieb des Marschalls hatte quer über den Leib des Angreifers mit einer so schrecklichen Kraft getroffen, daß der Leib durch die Kleidung hindurch eine klaffende Wunde war.

Auf den letzten Schrei des Kammerdieners waren ein Offizier und der Kammerherr, die sich im Vorzimmer befanden, in das Gemach gestürzt, mehrere Diener kamen nachgeeilt, aber sie wagten nicht, die Schwelle zu überschreiten.

Der Anblick, der sich den Eingetretenen bot, war ebenso seltsam als fürchterlich.

Mitten im Zimmer wälzte sich der Körper des Obersten im Blut, in den letzten Todeszuckungen.

Der Marschall stand aufrecht, die eine Hand auf seinen Säbel gestützt, die andere auf die Wunde gepreßt, während das Blut durch seine Finger drang.

»Um des Himmels willen, was ist geschehen?«

»Schließen Sie die Thür! Meinen Adjutanten, Herr! Lassen Sie niemand hinaus! Der Kaiser …«

Er begann zu schwanken. Graf Montboisier, denn dieser war in dem Vorzimmer anwesend gewesen bei der furchtbaren Katastrophe, um für den Dienst als Kammerherr des nächsten Tages noch eine Erkundigung einzuziehen, ließ ihn auf einen Sessel nieder, während der Offizier sich mit dem Sterbenden beschäftigte.

»Um Gottes willen! was ist geschehen? Sie sind verwundet, Herr Marschall?«

»Nichts! nichts! Es ist an den Rippen abgeglitten, die Lunge ist unverletzt! Meinen Adjutanten, Herr! ich will keinen Augenblick länger in dieser Mörderhöhle bleiben! Schnüren Sie Ihr Tuch um meinen Leib – fest!«

Totenbleich erschien in diesem Augenblick wieder Thelin an dem Eingang des Zimmers, er kam von seinem Herrn.

»Der Kaiser weiß alles! er beklagt es aufs tiefste!«

»Thut er das?« Die Zähne des Marschalls knirschten. »Vorwärts, Herr, meinen Wagen und für den da, wenn Sie ihn finden, einen Pfaffen! Lassen Sie die Antichambre absperren, die Sache paßt nicht für die Zeitungen!«

Der Graf hatte Thelin Platz gemacht; ohne daß er die näheren Umstände kannte, begriff er doch, daß kein Lärm gemacht werden durfte, ehe der Kaiser seine Befehle erteilt. Er eilte aus dem Zimmer und befahl, die Antichambre zu schließen und niemand über die Treppe mehr den Ausgang zu verstatten. Zugleich gab er einem der vertrautesten Diener den Auftrag, einen Arzt zu suchen, da ein Unfall passiert sei und holte den Adjutanten des Marschalls.

Als er mit ihm und dem Jesuiten eilig zurück kam, war die Treppe und der Eingang zur Antichambre bereits von doppelten Posten besetzt, der Wagen des Kriegsministers hielt unter dem Portal.

Man hatte den Obersten auf einen Divan gelegt; der Wundarzt, den der Lakai geholt, war um ihn beschäftigt.

Dieser war nicht der gewöhnliche Arzt des Palastes. Er war unter dem Namen des Mohren-Doktors aber auch hier wohl bekannt und ein Arzt der Garde-Zuaven, die mit blindem Glauben an ihm hingen, da er unter ihnen mehrere ans Wunderbare grenzende Kuren während der Feldzüge in Afrika ausgeführt hatte und seine ganze Person ein gewisses geheimnisvolles Dunkel umgab. Der Lakai hatte, als er einen Arzt suchte, zufällig gehört, daß der Mohren-Doktor in dem Wachtlokal der Zuaven im inneren Hofe, die den Dienst in dieser Nacht hatten, gesehen worden, und hatte ihn herbei geholt.

Er war ein hagerer ernster Mann von mittlerer Statur und auffallend dunkler Farbe, die den Orientalen verkündete. Seine Adlernase war scharf gebogen, aber fein und edel geformt. Obschon er etwa fünfzig Jahre zählen mochte, war seine Stirn doch von Gedanken und Leiden gefurcht und gab ihm ein weit älteres Aussehen. Er trug die Uniform seines Korps und auf dem kahlen Haupt den Feß, während den unteren Teil des Gesichts ein dichter bereits grauer Bart bedeckte.

Der Doktor zog eine Decke, die man ihm gereicht, eben über den Körper, als der Prälat sich ihm nahte. Die Augen der beiden Männer begegneten sich und blieben aneinander haften; unwillkürlich traten sie einen Schritt zurück.

Kalter Schweiß trat auf die Stirn des Prälaten, trotz seiner Selbstbeherrschung; er wollte sprechen, aber der andere hob, wie gebietend, die Hand.

»Still! nicht hier!«

Dann wandte er sich nach dem Körper, mit dem er sich soeben beschäftigt. »Sie kommen zu spät, mein Herr, dieser Mann ist tot. Sie können nur ein Gebet für die geschiedene Seele sprechen, indem ich dort meine Dienste anbiete.« Er ging zu dem Marschall. »Euer Excellenz sind verwundet; darf ich Ihnen den Verband anlegen?«

Der Minister ließ im finsteren Schweigen die Untersuchung geschehen.

»Wenn Sie Ihr Handwerk verstehen,« sagte er rauh, als der Arzt sich erhob, »so sagen Sie ohne Umschweife, wie ist es. Ist die Verletzung tödlich?«

»Ew. Excellenz werden in vier Wochen wieder hergestellt sein.«

Der Marschall lächelte grimmig; dann mit Aufbieten seiner Energie erhob er sich, auf den Arm seines Adjutanten gestützt. »Berichten Sie Sr. Majestät dem Kaiser, Herr Graf,« sagte er zu dem neuen Kammerherrn, »daß meine Gesundheit es fordert, daß ich morgen auf einige Zeit nach den hyerischen Inseln reise. Für jeden, der mich sucht, bin ich dort zu finden! Führen Sie mich zu meinem Wagen, Kapitän!«

Nur leicht auf den Arm des jungen Marquis gestützt, durchschritt er das Vorzimmer, ohne auf die dort Anwesenden zu achten und ließ sich in den Wagen heben.

Erst als der Kutscher die Pferde antrieb, sank er ohnmächtig auf die Kissen.

Der Mohren-Doktor war dem Minister bis an den Wagen gefolgt, aber ein strenger Wink hatte ihn hier zurückgewiesen.

Als er sich umwandte, trat eben der Prälat aus dem Eingang der kaiserlichen Gemächer. Die Blicke der beiden Männer kreuzten sich. Dann zeigte der Arzt nach dem Eingang des Gartens, von dem das Rauschen der Fontäne her herüberklang. Der Prälat nickte und folgte dem Vorangehenden schweigend.

Am Rande des Bassins blieb der Arzt stehen und wandte sich zu seinem Begleiter. Die beiden Männer standen einander einige Minuten schweigend gegenüber, das helle Mondlicht ließ sie jeden ihrer Züge klar, fast wie bei Tage erkennen.

Das Gesicht des Arztes war ernst, mild, fast traurig, aber ohne Härte und Haß; das des Priesters finster und verschlossen, und aus seinen tiefliegenden Augen funkelte ein Strahl unversöhnlicher Feindschaft auf seinen Gefährten.

Dann sprach der Arzt, und zugleich bot er seine Hand dem Gegner; seine Stimme klang mild und versöhnend.

»Don Diego Corpas, erkennst Du mich?«

»Ich habe Dir vor sechzehn Jahren schon gesagt, daß jener Name hinter mir liegt und ich für Dich und die Welt ihn begraben habe mit all seinen Irrtümern. Wohl erkannte ich Dich auf den ersten Blick, Du bist Achmet, der Hacene, der Sohn eines verfluchten und verhaßten Geschlechts!« Vgl. Villafranca, II. Band: Träume aus dem Süden.

Der Mohren-Doktor lächelte schmerzlich. »Du hast Recht, sechzehn Jahre sind seit jenem Tage des Mordes vergangen, an dem ich Dich fragte: Diego, wo hast Du meine Schwester? Ströme von Blut sind seitdem über die Welt geflossen, wir beide sind alt geworden, und unser Haar ist gebleicht, ohne daß sich unsere Bahnen wieder gekreuzt. Du, wie ich sehe, einer der Mächtigen der Kirche, ich, der ich das Schwert des Parteikampfes niedergelegt seit jenem schrecklichen Tage, ein armer Arzt, der die Wissenschaft seiner Väter benutzt, um die Wunden und Leiden seiner Brüder zu heilen. Wie damals frage ich Dich: Antonio oder Diego, wo ist meine Schwester Ximene?«

Der Jesuit hatte sich finster und fanatisch emporgerichtet, sein dunkler Blick lag mit stolzem Hohn auf der gebeugten Gestalt des Morisken.

»Was fragst Du mich? Forsche bei jenem vornehmen Herrn in Deutschland, wo die spanische Maitresse ihres Bruders hingekommen!«

»Du lügst! Ximene war das Weib des edlen Fürsten, seine angetraute Gattin. Nie würde sich die Tochter der Hacenen so weit vergessen haben, die Buhlerin eines Mannes zu sein, und hätte er königlichen Rang gehabt!«

»Du warst von jeher ein Phantast, eine solche Heirat liegt nur in Deinem Gehirn!«

»Nein, die Trauung ist vollzogen worden in der Nacht, bevor sie auf unerklärliche Weise aus dem Palaste de Narros zu Azcoitia entführt wurde. Der Fürst selbst hat es mir gesagt.«

»Der Fürst ist vor vier Jahren ein Opfer seiner Verbrechen geworden. Die Welt weiß, daß er unvermählt gestorben ist. Wenn Du keine besseren Beweise für die Ehre Donna Ximeneas hast, als die Entschuldigung eines Wüstlings …«

»Ich habe sie!«

Der Jesuit erbebte leicht: aber mit jener unheimlichen Willenskraft, welche die Mitglieder seines Ordens auf Kosten jeder menschlichen Schwäche sich zu erwerben haben, bewahrte er seine äußere Ruhe.

»Welche?«

»Davon nachher! Höre mich erst, Diego oder Antonio, wie Du Dich nennen magst! Die Knaben waren einst Freunde, bis der politische Haß der Väter sie von einanderriß und zu Gegnern machte. Aber die Väter schlummern längst in ihrem Grabe – kannst Du denn nie des Hasses vergessen?«

»Die Lehre des Herrn will: Du sollst Deine Feinde lieben! Ich hasse nur die Sünde und die Gegner der heiligen Kirche!«

»Ich kenne den schlimmen und unversöhnlichen Sinn Deines Geschlechts,« sagte der Doktor nach einer Pause, »aber die Religion, deren Diener Du bist, sollte die stürmischen Leidenschaften der Jugend Dich haben bewältigen lassen. Alles Böse, was die beiden letzten Nachkommen der Hacenen, deren Ahnen einst Spanien beherrschten, getroffen hat, es ist uns von Euch gekommen. Ein inneres Gefühl sagt mir, daß auch an jenem Raube meiner Schwester Du und die Deinen die Schuld getragen habt. Lange habe ich Spanien durchzogen und jede, auch die kleinste Spur gesucht, um sie wieder zu finden, das einzige, was mir geblieben. Aber alles vergeblich! Noch besiegt und aus Spanien verbannt, hat Eure finstere Macht hingereicht, einen undurchdringlichen Schleier über ihr Schicksal zu decken. Jetzt läßt der Finger Gottes unsere Wege sich kreuzen. Diego Corpas, es ist unmöglich, daß Du es nicht wissen solltest, wo ist meine Schwester?«

»Im Grabe!«

Der Arzt trat einen Schritt auf ihn zu, seine Hand schüttelte wild den Arm des Feindes.

»Tot? Dann hast Du, Du sie gemordet!«

Der Jesuit stand starr und unbeweglich. »Ich vergebe Dir, denn Du weißt nicht, was Du sprichst!«

Der Moriske ließ die Hand sinken und beugte sein Haupt. »Arme Ximene, es ist wahr, Du liebtest sie einst und kannst nicht ihr Mörder sein. Aber übe Mitleid mit mir, wann starb sie und wie?«

»Sie starb an ihren Sünden, nachdem sie einem Bastard das Leben gegeben!«

»Teufel, mit dem Herzen ohne Erbarmen! ich wiederhole Dir, Du lügst! Wenn Ximene einem Kinde das Leben gegeben, so ist es der rechtmäßige Enkel der Hacenen und eine doppelte Fürstenkrone gehört ihm!«

Ein Zug des Hohns flog über das hagere Gesicht des Jesuiten. »Der Teufel des Hochmuts, der stets Deine Familie besessen, verblendet Dich auch jetzt noch! Auf dem Kinde der Schande ruht die Schuld seiner Mutter!«

»So lebt es?«

»Es lebt!«

»Und wo? – sprich!«

»Gott und die Heiligen, die mir Kraft gegeben, als mein Sinn noch an irdischer Liebe hing und in Verzweiflung vergehen wollte über die Zurückweisung eines Weibes, sie haben ihrem unwürdigen Diener die Gnade erwiesen, über seine Feinde zu triumphieren und glühende Kohlen auf ihre Häupter zu sammeln. Das Kind der Sünde wird die Sünde seiner Eltern sühnen.«

»Es ist ein Fürstenkind, der rechtmäßige Sohn oder die Tochter zweier fürstlicher Geschlechter! Wo ist das Kind?«

»Suche!«

»Höre mich an, Diego! ich will Dir alles vergeben, was Dein Vater an uns verbrochen, daß er das Verderben des meinen verschuldet, daß er uns zu Bettlern gemacht und mich einem frühen Tode opfern wollte, wenn Du mir die Spur jenes Kindes zeigst. Bedenke, daß dies Kind bestimmt ist, mit dem Erbe seines Vaters vielleicht den Glanz der Hacenen zu erneuert!«

»Die Sünden der Eltern abbüßen, ist eine höhere Krone, als irdischer Glanz!«

»Bedenke, Diego, es ist der letzte Zweig des Stammes, dessen Väter auf dem Thron von Granada saßen!«

»So möge der letzte die Sünden sühnen eines verfluchten Geschlechts, das schon in seinem Ursprung ein Feind der heiligen Kirche war!«

»Das Kind, Priester, wo finde ich das Kind?«

»Suche es!«

»Priester, ich will Dich öffentlich anklagen des Mordes und des Kindesraubes!«

»Ich fürchte Deine Verleumdungen nicht. Die heilige Kirche ist es, die Mutterstelle an dem Kinde der Sünde vertritt. Ihr entreiße es, wenn Du kannst!«

»Ich werde es! Gott, dessen Streiter Du und Dein finsterer Bund sein wollt und den Ihr schändet in seiner ewigen Liebe und Gnade durch Herrsucht und Egoismus, er wird mir helfen. Eure finstern Ränke zu besiegen. Das Kind meiner Schwester soll nicht untergehen an Deinem Haß! denn ich kenne Dich, Diego Corpas, nicht das Gebot der Religion, sondern Dein unversöhnlicher Haß ist es, der Dich treibt! Wie groß auch Deine Macht sei, ich werde suchen und finden, ich und jener, der beschwören kann, daß Ximene die Gattin des Fürsten war, denn, wisse, ein Zeuge der Trauung lebt! Gott hat nicht gewollt, daß der Dolch Eures Werkzeugs, das meine Schwester raubte, den armen Angelino, ihren Wächter getötet hat. Der Zufall, nein, die Vorsehung ließ mich ihn hier wieder finden, und wenn auch ein Krüppel – ein – ein Dieb! – er hat ein dankbares Herz und den Mörder nicht vergessen, der seine Treue ihn mit seinem Blute bezahlen ließ!«

Der Jesuit war bei der unerwarteten Nachricht zurückgewichen, aber der Schritt eines Nahenden sparte ihm die Antwort.

Die Person kam eilig herbei, von der Seite der südlichen Terrasse her. Der klare Schein des Mondes erlaubte dieselbe deutlich zu erkennen. Es war ein junger Mann, in einem weißen Militärmantel gehüllt, sein Gesicht drückte Besorgnis und Verlegenheit aus.

»Verzeihung, meine Herren, aber ich bitte Sie, mir zu sagen, wo ich einen Arzt finde. Meinem Diener, meinem Freund, den ich ehre und liebe, ist ein Unglück geschehen!«

»Ich bin selbst Arzt, Herr!«

»Dann folgen Sie mir! ich weiß nicht, was ich denken soll. Man erwartete mich dort auf der Terrasse, eine dringende Abhaltung hielt mich eine halbe Stunde entfernt, aber ich weiß, daß sie da waren! Als ich endlich zurückkehre …«

»Nun, Herr?«

»Die eine Person, die meiner harrte, ist verschwunden. Ich suche sie vergeblich. Auf der Stelle, wo sie meiner geharrt, liegt mein Diener, starr, unbeweglich, wie ein Toter!«

»Dann ist ein neues Verbrechen geschehen! Ein zweiter Mord!«

Der junge Offizier sah ihn erstaunt an. »Ich verstehe Sie nicht, aber Felsenherz kann unmöglich tot sein. Er atmet, und ich finde keine Verletzung an ihm, er ist betäubt oder ein Schlaganfall … wenn ich nur wüßte …«

Er sah, wie von einer zweiten schweren Last bedrückt, um sich. Zögernd sagte er dann, während er an der Seite des Arztes rasch vorwärts schritt, und der Jesuit ihnen langsamer folgte: »Sie sind Soldat, mein Herr, wie ich. Sie verweilten vielleicht schon längere Zeit an dem Platze, wo ich Sie fand – ich beschwöre Sie, mir zu sagen, ob Sie vielleicht eine Dame vorüberkommen sahen?«

»Wir haben niemand gesehen: Was sollte eine Dame in dieser Stunde hier? Sie wissen, daß der Eintritt überhaupt verboten ist. Wir sind eingetreten, indem wir aus dem Schloß kamen!«

»Allmächtiger Gott! dann weiß ich nicht, was zu thun ist! zum zweitenmal – dort in Berlin und hier … es ist ein seltsames Verhängnis!«

»Sie sind in großer Aufregung, Herr, beruhigen Sie sich!«

»Bringen Sie ihn zum Leben zurück, er muß reden, er allein kann Auskunft geben …«

Sie hatten die Terrasse erreicht, der Offizier schritt rasch auf ihr voran, bis zu der Stelle, wo die jetzt laublosen Bäume des Wäldchens sie beschatteten.

Obschon der Platz von dem Palast oder den Eingängen des Blumengartens aus nicht mehr zu übersehen und infolge der Dichtigkeit der Äste und Zweige ziemlich dunkel war, ließ sich auf dem weißen harten Boden doch die lang ausgestreckte, kolossale Gestalt eines Mannes erkennen.

Der Arzt kniete sogleich neben ihm nieder, und seine Hand suchte das Herz des Riesen.

»Beruhigen Sie sich, mein Herr,« sagte er, »er lebt, das Herz schlägt regelmäßig, vielleicht nur eine Ohnmacht.«

Er hatte rasch ein Taschenfeuerzeug hervorgezogen und ein kleines Wachslicht angezündet.

»Halten Sie!«

Der Schein der kleinen Kerze fiel auf das ehrliche, verwitterte Gesicht des kanadischen Waldgängers. Seine Augen waren geschlossen, ein leichter Schaum feuchtete die Lippe, die breite Brust atmete mühsam und schwer, aber regelmäßig. Wenn dies nicht gewesen wäre, hätte man den Riesen vom Blitz erschlagen wähnen können, so unbeweglich und starr lagen die mächtigen Glieder.

Der Arzt horchte an seiner Brust, er fühlte den Puls und untersuchte aufmerksam die Augenlieder und die Lippen des Liegenden.

»Das ist seltsam,« sagte er. »Aber nochmals beruhigen Sie sich – es ist keine Gefahr. Wann verließen Sie den Mann?«

»Vor einer halben Stunde; er erwartete mich hier mit« – der Offizier zögerte – »mit meinem Mantel, Herr, denn ich komme von dem Ball in den Tuilerieen. Ein unabweisliches Geschäft zwang mich, in einem andern Teile des Parks anwesend zu sein. Als ich nicht länger mehr harren wollte und hierher eilte, fand ich ihn, wie ich Ihnen bereits gesagt, in diesem Zustand und allein! –«

»Der Mann ist ätherisiert!«

»Wie?«

»Durch Chloroform betäubt, das man ihn einatmen ließ. Sie werden sich sogleich überzeugen!«

Er hatte ein Flacon mit scharfen Salzen aus seiner Tasche genommen, rieb die Schläfe des Ohnmächtigen und hielt es ihm unter die Nase.

Felsenherz zuckte zusammen, die riesigen Glieder bewegten sich.

»Aber, wie ist das möglich? wer sollte das gethan haben?«

»Die Pariser Diebe bedienen sich jetzt häufig dieses Mittels, vielleicht ist der Mann beraubt. Fehlen ihm Sachen?«

Der Offizier sah verwirrt umher. »In der That! ein Paket, ein Mantel – aber nein, es ist unmöglich …«

»Sie sprachen von einer zweiten Person? Sehen Sie, er kommt zu sich, er wird uns Auskunft geben können!«

Der Kanadier, dessen Oberkörper der Arzt auf sein Knie gehoben, während er ihm wiederholt das Flacon unter die Nase hielt, streckte sich wie ein Erwachender; er öffnete die Augen und starrte wie ein Trunkener umher.

»Sprechen Sie mit ihm, fragen Sie ihn, er wird desto eher zum Bewußtsein kommen.«

Der Offizier blieb in sichtlicher Verlegenheit.

»Nicht hier! nicht hier,« sagte er hastig. »Mein Herr, wenn Sie Ihre Güte so weit ausdehnen wollen, vielleicht einen Fiaker zu rufen. Ich bin der Kapitän Laforgne, und meine Wohnung ist in der Rue Saint Georges, Hotel d'Orient!«

»Dann verhafte ich Sie im Namen des Kaisers!« sagte eine barsche Stimme hinter ihm.

Der junge Mann fuhr empor, hinter der Gruppe stand eine Patrouille der Garde-Zuaven, ein alter bärtiger Sergeant hatte die Hand auf seine Schulter gelegt.

Mitten zwischen den Soldaten stand ein Mann in Civil, zwischen den Falten des Mantels erkannte man die Balltoilette.

»Ist es dieser, Herr?« frug der Sergeant.

»Ich bedaure, in diese Sache verwickelt zu werden, aber es ist so! Ich bin Zeuge gewesen, daß dieser Herr mit dem Obersten Canrobert ein Renkontre auf der Ehrentreppe hatte, das wahrscheinlich Ursache des Unglücks war.«

Der Abenteurer warf einen verwirrten Blick auf den Denunzianten. Das kalte feindliche Auge des Grafen Alvaro de Montijo begegnete ihn. Er fuhr unwillkürlich zusammen.

»Warum verhaften Sie mich? was will man von mir?« fragte er hastig.

»Wegen Tötung des Obersten Canrobert, Adjutanten Seiner Majestät des Kaisers!«

»Der Oberst tot? dann begreife ich! … Aber mein Herr, ich versichere Sie, das Duell hat …«

»Sie gestehen das Renkontre also zu! Kommen Sie, Herr, der Oberst ist so tot wie eine Maus, Sie führen eine verfluchte Klinge, Herr! Sapristi!«

»Aber ich versichere Sie, das Duell hat nicht stattgefunden, ich wartete vergeblich …«

»Desto schlimmer für Sie … dann wäre es ein Mord! Aber das ist Sache des Kriegsgerichts. Kommen Sie!«

Der Kapitän sah ein, daß Widerstand vergeblich war, er war überdies überzeugt, daß der Irrtum sich bald aufklären müsse. Nur das rätselhafte Verschwinden des jungen Mädchens und die hilflose Lage, in der sie sich befinden mußte, beunruhigte ihn.

Was war geschehen? in wessen Händen befand sich die Unglückliche? Hatte man ihre Flucht und ihre Person entdeckt, oder wollte man sich bloß der seinen bemächtigen? Die Fragen durchkreuzten sein Gehirn, aber er mußte sich fassen, denn er fühlte, wie das boshafte, forschende Auge des Rivalen auf ihn lag und jede seiner Mienen beobachtete.

Der Kanadier saß jetzt aufrecht auf dem Boden, er starrte verwirrt umher und schien noch immer nicht recht begreifen zu können, was mit ihm vorgegangen sei. Erst als sein Auge auf den Kapitän traf, schien das Bewußtsein ihm wiederzukehren, und er öffnete den breiten Mund.

Der junge Offizier legte den Finger an seine Lippen, zum Zeichen des Schweigens. Dann wandte er sich zu dem Sergeanten der Wache.

»Ich bin bereit. Ihnen zu folgen, obschon nur ein Irrtum und voreiliger Eifer meine Verhaftung veranlaßt haben kann. Aber gestatten Sie mir wenigstens, Kamerad, mit meinem Diener hier einige Worte ohne Zeugen wechseln und für ihn sorgen zu dürfen; Sie sehen, er ist krank und kaum aus einer Ohnmacht erwacht!«

» Sapristi! ein Bursche wie der und eine Ohnmacht! Nichts da, Herr! ich darf Ihnen keine Silbe weiter gestatten! Wenn der Mann krank, ist unser Doktor die beste Hand, in die er fallen kann! Vorwärts, Herr, augenblicklich, oder ich muß Gewalt brauchen. Wenn Sie Soldat sind, müssen Sie wissen, daß ich meiner Ordre zu folgen habe, überdies ist der lange Schlingel selbst in Verhaft, bis er sich legitimiert, warum er sich gegen das Verbot hier im Garten umhertreibt!«

Der Kapitän trat von dem Kanadier zurück, dem er sich genähert, sein Auge begegnete nochmals dem feindseligen, forschenden Blick, den der Spanier auf ihn gerichtet hielt und die Frage, die er auf alle Gefahr hin an seinen Vertrauten richten wollte, erstarb auf seinen Lippen.

Er fühlte, daß er, was auch geschehen war oder was noch geschehen mochte, nicht die geringste Indiskretion begehen durfte.

»Vorwärts denn! damit die Sache ein Ende hat. Nach unserer Wohnung, Felsenherz, und erwarten Sie mich, sobald man es Ihnen gestattet!«

Er wiederholte rasch das Zeichen des Schweigens und folgte der Wache, die ihn umgab; der Doktor, der Jesuit und zwei Soldaten blieben bei dem Waldgänger zurück, der noch immer stumm und erstaunt um sich sah.



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