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Der 2. Dezember.

Es war kurz vor zehn Uhr, die beiden jungen Burschen Armand de Chapelles, der Sohn des reichen Druckereibesitzers, und Jacques Fromentin, der Sohn des Invaliden, saßen noch immer auf ihrem Posten am Feuer, auf das Abenteuer spähend, das sie erwarteten, und hatten sich einstweilen von Mutter Marguerite einen Punsch brauen lassen.

» Pristi!« sagte der Sprößling des Herrn Chapelles, »weißt Du, Jacques, die Sache beginnt langweilig zu werden, und wir sitzen nun schon eine Stunde hier, ohne daß die da oben Anstalt machen, oder Dein Vater mit dem vertrackten Schurken, dem Leichendieb, zurückkommt. Die Haut schaudert mir noch immer, wenn ich an jenen Abend zurückdenke, wo er mit dem Leichnam des nackten Frauenzimmers davon rannte.«

»Ich möchte nur wissen,« meinte Meister Jacques, »warum der Savoyarde jenen Napoleonsd'or auf die Kaminecke gelegt hat?«

Er holte das Goldstück wohl zum zwanzigsten Mal herunter und beliebäugelte es von allen Seiten, legte es dann aber wieder sorgfältig auf seinen Platz.

»Weißt Du, Jacques, er sprach für einen Kommissionär oder Lastträger ganz verständig, der bucklige Bursche, und lobte mich, daß ich Soldat werden wollte. Er sagte, den Soldaten allein gehöre die Zukunft, und es werde an Krieg und Ruhm für Frankreich unter einem Bonaparte nicht fehlen! Aber Du thust gerade, als hättest Du noch keinen Napoleonsdor gesehen! Ich mause doch oft genug Mutter einen solchen, wenn ich ihn kriegen kann. Laß ihn liegen, es ist nicht unser Geld! wenn ich dem Alten durchbrenne, wollen wir des Bettels genug haben. Er hat den Kassenschlüssel immer unter seinem Kopfkissen, aber er schläft wie ein Murmeltier, und ich denke, 's hat kein Mensch ein besseres Recht daran, als sein einziger Sohn!«

»Das ist freilich wahr,« moderierte der Gamin die saubere Moral, »aber Du darfst doch nicht mehr nehmen, als Du für das Notwendigste brauchst. Das hat man das Recht zu nehmen, wenn die Alten solche Tyrannen sind, dem Glück ihres Sohnes im Wege zu stehen!«

»Höre, Jacques,« meinte sein würdiger Gefährte, »thu' mir den Gefallen und schimpfe auf meinen Vater, den Filz, so viel Du willst, aber laß meine Mutter aus dem Spiel, oder es setzt einen Katzenkopf!«

»Ich rede, was ich will,« sagte aufsässig der Gamin; »und ich will doch sehen, wer mir's verbietet.«

»Ich!«

»Du?«

»Jawohl!«

»Das wollen wir doch abwarten! Deine Mutter ist …«

»Jacques!«

»Deine Mutter ist …«

Herr Armand fuhr dem andern in die Haare, und sie rauften sich im nächsten Augenblick, daß die Funken umherstoben, und die taube Haushälterin aus ihrem Schlaf erwachte und die Hände über dem Kopf zusammenschlug.

»– eine brave Frau, wie Du Schlingel sie gar nicht verdienst!« sagte gemütlich Meister Jacques, indem er seinem Freunde ein Bein stellte und ihn zu Boden warf. »Geschwind, Armand, auf! ich höre die Thür Hektors.«

Der Fabrikantensohn sprang geschwind auf die Beine.

Die kleine Treppe herunter kamen der Kapitän und der preußische Offizier in ihre Mäntel gehüllt, der Kolonist, den arabischen Burnus über seiner Blouse folgte ihm. Er wie der fremde Offizier trugen einen Gegenstand unter dem Mantel.

Der Bruder der Mortelle winkte nach Meister Jacques. »Soll er dem Herrn da nicht den Kasten tragen?«

»Nein, Renaud, der Bursche ist zu leichtsinnig und ohnehin zu allem Unfug bereit. Komm hierher, Jacques!«

Der Gerufene gehorchte wie ein Hund mit bösem Gewissen, der den Schwanz zwischen die Beine klemmt.

»Ich muß mit diesem Herrn noch einen Ausgang machen, Jacques,« sagte der Kapitän mit seinem gewöhnlichen Ernst, doch zitterte ein tieferes Gefühl durch den Ton seiner Stimme, als er die Hand auf die Schulter seines Bruders legte. »Du wirst hier bleiben und den Vater erwarten oder bis Renaud Dich ruft, denn es wäre möglich, daß ich Dich brauche. Gute Nacht, Bruder und – versprich mir, Dich zu bessern und einen andern Lebenswandel anzufangen, der unserm Vater mehr Freude macht!«

»Du redest ja, Hektor, als wenn Du uns verlassen wolltest?«

»In diesen Tagen weiß niemand, was die nächste Stunde bringt. Gute Nacht, Jacques, und halte Dich brav und gehorsam!« Er küßte den Knaben auf die Stirn. »Und Sie, Herr de Chapelles,« sagte er dann streng zu dem andern Burschen, »Sie sollten längst zu Hause sein, statt Ihre würdigen Eltern, noch dazu an einem solchen Tage, durch Ihr Ausbleiben zu ängstigen.«

Meister Armand fand es, die Hände in den Hosentaschen, geeignet, die Zurechtweisung des von ihm hochgeachteten Offiziers mit Schweigen zu erwidern.

Der Kapitän drehte sich an der Thür noch einmal um. »Adieu, Jacques, und grüße den Vater, wenn er kommt!«

Dann verließen die drei Männer das Häuschen. Der junge Armand schoß auf seinen Kameraden zu. »Es ist sicher, sie duellieren sich, Jacques, und Dein Bruder thut es!«

»Ich glaube selbst! Aber ich muß dabei sein, und wenn ich mein Lebelang kein Wort mehr von ihm hören sollte. Der Teufel soll ein Frikassée aus dem Burschen machen, der es wagt, dem Hektor ein Leides zu thun.«

Der junge Mensch sprang mit einem Satz nach der Kammer, in der er mit seinem Vater schlief, und kam im Augenblick mit einem alten Terzerol wieder, das er aus einem Versteck hervorgeholt. Er untersuchte das Steinschloß einen Augenblick am Schein des Feuers, schüttete Pulver aus einer Papierdüte auf die Pfanne und steckte es unter die Blouse.

»Komm!«

Die beiden zu jedem Unheil bereiten Schlingel waren verschwunden, ehe Frau Marguerite irgend eine Frage an Meister Jacques richten konnte.

Die drei Männer schritten schweigend den kurzen Weg, der sie von der Rue de la Tombe trennte, gingen diese hinab und blieben an der Ecke der Rue des Catacombes stehen.

Es war sehr einsam in der Gegend, nur selten ein Mensch auf der Straße zu sehen, das unangenehme Wetter hatte alle vertrieben oder die Vorgänge des Tages hatten die Neugierigen nach den bewohnteren Teilen der Stadt gelockt.

»Hier ist der Ort, Herr Kamerad, wo wir sie treffen sollen,« sagte der Kapitän, »und da hinten an der Gartenmauer unter der Laterne wird Platz genug für unser kurzes Werk sein. Es ist Licht in Eurem Hause, Renaud!«

»Die Mortelle wartet auf mich! Nimm die Pistolen einen Augenblick, Hektor, und tritt zurück in den Schatten; ich will das arme Kind zu Bett schicken, sie könnte durch das Schießen aufmerksam werden!«

Er schlich an das in kurzer Entfernung einsam stehende Häuschen, das der Katakombenwächter seit fünfunddreißig Jahren bewohnte und das aus einem niedern Parterre auf einem breiten, offenbar von einem alten mächtigeren Bau noch herrührenden Kellergeschoß bestand. Er hustete leicht unter dem Fenster.

Sofort öffnete es sich, ein dunkler Schatten zeichnete sich an dem Lichtschein ab, und eine sanfte Stimme frug: »Bist Du es, Renaud?«

»Ich bin's, Schwester Mortelle, aber ich kann erst später zu Dir kommen. Ist der Vater zu Hause?«

»Nein, Bruder Renaud,« sagte das Mädchen, »Du weißt, daß er erst lange nach der Stunde kommt, in der die Geister aus ihren Gräbern steigen!«

»Lege Dich nieder, Kind, und lösche das Licht aus, aber öffne vorher die Thür. Ich habe ein Geschäft in der Nähe und komme dann zu Dir, mit Dir zu reden!«

»Ich werde zu den Toten gehen, Renaud,« sagte das Mädchen. »Es ist so lieb bei ihnen, und niemand stört mich, wenn ich meinem Kinde singe, dem lieben Kleinen. Rufe mich, Renaud, wenn Du kommst!«

Die Unglückliche schloß das Fenster, bald darauf verschwand das Licht.

Die beiden Offiziere gingen ungeduldig an der Ecke der Straße auf und nieder, als der Kolonist wieder zu ihnen kam. Der Preuße sah im zitternden Lichtschein nach der Uhr.

»Fünf Minuten über Zehn. Um zehn Uhr versprach der Graf ihn zu bringen.«

»Horch!«

Man vernahm in der That das Rollen eines Wagens, der rasch über den Boulevard St. Jacques herankam. Der Wagen, eine bequeme Karosse, mit Schimmeln bespannt, fuhr bis auf den Platz, den die Ecke der vier Straßen am Mont Souris hier gebildet, und hielt unter einer Laterne. Drei Männer fliegen aus, gleichfalls in Mäntel gehüllt, der eine von ihnen trug einen Kasten unter dem Arm.

»Ich glaube, wir sind die ersten, Miron! Bei meiner Ehre, es bedurfte meiner ganzen Freundschaft für Sie, um mich bei einem solchen Hundewetter und so vielen Neuigkeiten bewegen zu lassen, mit Ihnen hierher zu kommen!«

Der, dem die Anrede galt, schien von dieser Freundschaft gerade nicht sehr erbaut. Er bewegte sich höchst unruhig und sah wiederholt ängstlich und forschend umher. Als er unter dem Schein der Laterne durchging, hätte man sehen können, daß sein Gesicht sehr bleich war und seine Lippen zitterten.

»Alle Teufel!« murmelte er, »sie werden doch am Platz sein, und mich nicht im Stich lassen?«

»Sagten Sie etwas, Miron?« fragte der Graf von Montboisier, der vor ihm ging und das Kästchen mit den Pistolen trug.

»Ich? – nicht das Geringste!«

Der Graf trat näher zu ihm. »Zum Henker, haben Sie doch ein wenig Courage, Mann! Ich werde alles mögliche aufbieten, um noch einen Vergleich zustande zu bringen. Aber sich stellen mußten Sie, oder Sie hätten sich niemals wieder in der Gesellschaft blicken lassen dürfen!«

»Aber einem Rebellen gegen den Präsidenten! Und hier in der Nacht – an einem so abgelegenen Ort!«

»Es ließ sich nicht ändern, wir durften die Bedingungen des Gegners nicht ausschlagen, da er sich selbst in einer gefährlichen Lage befindet, die sein offenes Auftreten verhindert.«

»Gott im Himmel! morgen soll meine Hochzeit sein!«

»Dafür haben Sie damals hundert Louisdor von dem seligen Chevaulet gewonnen,« sagte der Graf philosophisch.

»Der Satan hole die hundert Louisdor! ich gäbe mit Vergnügen tausend, wenn ich die Dirne in meinem Leben nicht gesehen hätte!«

»Da sind unsere Leute,« sagte der dicke Journalist.

In der That kamen der preußische Offizier und der Kolonist auf sie zu, der Kapitän blieb in einiger Entfernung stehen; er befand sich unfern der Thür des Hauses des Katakombenwächters.

Die Männer begrüßten einander, wiederum sah sich der Geldbaron besorgt um.

Der Preuße hatte den zweiten Beistand des Kapitäns vorgestellt, die Sekundanten des Gegners verbeugten sich, dann folgte eine kurze Verhandlung über die mitgebrachten Waffen.

»Vielleicht,« sagte der Graf, »läßt sich die unangenehme Sache noch glücklich arrangieren. Mein Klient will die öffentliche Beleidigung bei der geringsten Entschuldigung als nicht geschehen betrachten, und ist bereit, das unglückliche Mädchen in der anständigsten Weise auszustatten und lebenslänglich zu versorgen.«

»Meine Schwester braucht das Geld eines Schurken nicht,« entgegnete der Kolonist rauh. »Sollte Kapitän Fromentin sein Recht an diesem Mann aufgeben, so bin ich noch da!«

»Dann ist allerdings nichts mehr zu machen! – Lieber Miron …«

Der unglückliche Geldaristokrat hustete laut; in diesem Augenblick stürzten sich von mehreren Seiten Männer auf den Platz, die bisher im Schatten und in den Ecken der Mauern sich verborgen gehalten hatten, und rannten gegen die Gruppe.

»Im Namen des Gesetzes! Sie sind verhaftet!«

»Feiger Schurke!«

Der Arbeiter versetzte dem wiederwilligen Duellanten einen Schlag, der ihn taumeln machte, und faßte ihn mit seiner gewaltigen Faust am Kragen.

»Ins Haus, Hektor, ins Haus!«

Ehe die Polizeisergeanten und Gendarmen herankommen oder die bestürzten drei Sekundanten es hindern konnten, hatte er den zappelnden, widerstandslosen Bankier die fünfzehn oder zwanzig Schritt mit sich geschleift, die ihn von dem Hause trennten und sprang gegen die Thür; die Thür öffnete sich, und alle drei verschwanden wie Gespenster in dem dunklen Raum: der Arbeiter, der Geldmann und der Kapitän!

»Ihnen nach! fangt sie! haltet sie auf!« schrie der Kommissär, der mit der dreifarbigen Schärpe heraneilte.

Den Gendarmen, welche die nächsten waren, wurde die Thür vor der Nase zugeschlagen, und sie hörten das blitzschnelle Vorschieben eines schweren Riegels.

»Brecht die Thür auf! mit Gewalt, wenn sie nicht öffnen!« befahl der Kommissär. »Meine Herren, keinen Widerstand! Sie sind meine Gefangenen.«

»Wir denken nicht daran,« sagte der Graf. »Hier sind unsere Pistolen. Bemerken Sie wohl, daß wir sie nur behufs der Abmachung eines Ehrenhandels bei uns führen, nicht zu anderem Zweck.«

»Ich bin unterrichtet, und Sie werden sogleich frei sein, so bald ich Ihre Personen konstatiert. Schlagt die Thür ein, rasch, rasch Leute!«

»Es wird nicht nötig sein,« sagte der Graf, »die Herren sind Männer von Ehre wie wir, und keine Mörder. Dieser gute Herr Miron, dem Sie so zu rechter Zeit kamen, ist in keiner Gefahr!«

»Das ist gleich, ich muß meine Schuldigkeit thun für die zwanzig Napoleons. Jene beiden Männer sind uns überdies als gefährliche Feinde der Regierung bezeichnet.«

Der Graf trat zurück, die gemeine Niederträchtigkeit empörte seine ritterliche Natur.

In diesem Augenblick brach die Thür unter den Stößen der Gendarmen.

»Lichter an!«

Zwei Windlichter, mit denen die Polizeiagenten versehen waren, wurden rasch angezündet; mit ihnen stürzten die Agenten in das Haus.

Der Graf und seine beiden Mitverhafteten folgten neugierig.

Der Flur und das anstoßende Zimmer war leer, die hintere Hausthür von innen verriegelt.

Die Agenten durchforschten sorgfältig den Raum, nirgends eine Spur, weder von den Geflüchteten, noch von der Tochter des Fossoyeurs.

Das Haus war leer!


Die Schläge der Polizeibeamten und der Gendarmen donnerten an die versperrte Thür.

Der Arbeiter und der Offizier standen in der nach der Hinterseite des Hauses gehenden großen Küche zwischen ihnen, bleich, erschrocken, mit bebenden Lippen nach dem Ansehen des Muts und Widerstandes ringend, der Geldbaron, der Bräutigam. Mortelle, in einem schwarzen blousenartigen Kleide, mit ihrem wirren unklaren Blick die Scene und die Personen betrachtend, hielt eine brennende Lampe.

»Schnell, Hektor,« sagte der Kolonist, »die Thür kann nur wenige Minuten widerstehen, aber ich weiß das Mittel, uns der schurkischen Verräterei zu entziehen, und mit dem da Abrechnung zu halten. Es ist ein Geheimnis bis jetzt selbst für Dich, denn wir mußten dem Vater geloben, zu keinem Menschen davon zu sprechen, aber die Gefahr entbindet uns des Worts. Nimm die Pistolen, indes ich den Stein hebe.«

Er trat auf die Ecke einer der breiten Quadern, die den Fußboden bildeten, nachdem er einen dem Uneingeweihten unbemerkbaren Stift ausgezogen. Sofort hob sich der Stein am entgegengesetzten Ende, und ein Ring an demselben wurde sichtbar, mit dessen Hilfe er sich leicht in einer Angel bewegen ließ.

Eine schmale dunkle Treppe zeigte sich und verlor sich in dem Dunkel der Tiefe.

»Geh voran, Mortelle, Du darfst nicht zurückbleiben, man würde Dich mit den Nachforschungen peinigen, armes Kind!«

Ohne ein Wort der Erwiderung stieg das Mädchen mit der Lampe hinunter. Der Offizier folgte ihr auf einen Wink des Kolonisten.

»Die Reihe ist an Ihnen, Herr!« sagte dieser streng zu dem zitternden Bankier.

»Ich werde nicht hinabsteigen! ich weigere mich! Sie wollen mich da unten ermorden; wenn Sie mich anrühren, rufe ich um Hilfe! Die Polizei wird mich schützen!«

Der Arbeiter sah ihn finster an. »Memme,« sagte er grimmig, »einen Laut, und Du bist ein Kind des Todes.«

»Ich habe mich gestellt zu einem Duell, ich bin ein Mann von Ehre, und will mein Unrecht gut machen, was Sie auch verlangen mögen; aber ich gehe nicht da hinunter!«

»Schurke, Du hast uns verraten, jetzt trage die Folgen. Kein Wort, oder ich schlage Dir den Schädel ein!« Er faßte ihn rauh am Kragen, und stieß ihn in die Öffnung. »Vorwärts! und schieß den Schuft ohne weiteres nieder, Hektor, wenn er einen Laut von sich giebt. Ich höre die Thüre brechen!«

Er hatte eben noch Zeit, die Platte über seinem Kopf wieder zu befestigen, als die Gendarmen, gefolgt von den Zeugen des verhinderten Zweikampfes, in das Haus drangen.

Der Kolonist hatte dem Offizier eine der Pistolen wieder abgenommen, und richtete die Mündung auf den Bankier.

»Nach der Source d'Oubli, Mortelle,« befahl er. »Dort sind wir sicher. Du kennst den Weg – vorwärts!«

Sie befanden sich in einem niedrigen trockenen Gange von kaum Manneshöhe, der zuerst von Mauerwerk gebildet, später in das Gestein des Bodens gehauen war, und in verschiedenen Windungen und Verschlingungen weiter lief, ziemlich abschüssig, nur von einzelnen Stufen unterbrochen in die Tiefe gehen.

Die Tochter des Fossoyeurs schritt voran, die Lampe hochhaltend, die Männer folgten ihr, Renaud seinen Gefangenen rauh zu rascherem Schritt zwingend.

Kapitän Fromentin kannte von seiner Knabenzeit her, die er mit dem Sohne des Katakombenwächters verlebt, diese unterirdischen, von jenseits der Barriere d'Enfer oder d'Arcueil unter einem großen Teil des südlichen Paris, dem Observatoire, Luxembourg, Odeon, Val de Grace, Pantheon, den Straßen La Harp, St. Jacques, Tournon, Vaugirard und vielen anderen hinlaufenden Räume sehr genau. Dennoch waren auch ihm noch viele der Verschlingungen und Zu- und Ausgänge unbekannt, und er sah jetzt zum erstenmal, auf welchem Wege der Fossoyeur immer auf so heimliche Weise in das Innere der Katakomben gelangen und die Knaben und oft selbst die anderen Wächter und Aufseher erschrecken konnte.

Der Gang zog sich wohl eine Viertelstunde lang in die Tiefe, ehe er plötzlich an einer Steinwand zu enden schien. Aber dies war nur scheinbar, denn als die Mortelle sich um eine Ecke wendete und sich bückend durch einen engen Durchgang emporzwängte, fiel der Schein der Lampe in einen weitern und höhern Raum.

Bisher hatte der Weg, den sie genommen, noch keine Spur von der schrecklichen und erschütternden Bestimmung gezeigt, die diese Räume seit dem Jahre 1784 erhalten haben, wo man auf Anordnung des Staatsrates die Toten aus sämtlichen Kirchhöfen innerhalb der Stadt in dieses ungeheure Labyrinth aus der Römerzeit brachte.

Unter den Leichen, die hierher versetzt wurden, befand sich auch die der berühmten Marquise von Pompadour; auch die Opfer der Septembertage von 1792 fanden hier ihre letzte Ruhestätte.

Der Fashionable der Börsen-Agiotage hatte allerdings längst begriffen, daß seine Begleiter ihn in die Katakomben geführt, in jene Räume, aus deren Vorhallen er selbst im frechen Übermut das unglückliche Mädchen an jenen Abend durch die schändliche Benutzung des Namens des Kapitäns in das Haus der Guerin verlockt hatte.

Er erbebte bei dem Gedanken an die Rache, aber er hoffte, mit jener Anmaßung des Geldmenschen, die alles im Leben, ja das Leben selbst, mit Gold aufwiegen zu können glaubt, durch Versprechungen und Opfer dieser Rache entgehen zu können, nachdem sein verächtlicher Verrat an die Polizei mißglückt war. Allein die Hauptfurcht, die ihn beseelte, blieb, daß man ihn in diesen schrecklichen Gewölben allein lassen könne. Deshalb folgte er jetzt ohne Widerstand beiden Freunden.

Plötzlich, als er auf den Befehl des Kolonisten durch den engen Durchgang emporstieg, erbebte er, und stieß einen Schrei des Entsetzens aus.

Er hatte mit der Achsel und der Stirn gegen eine bewegliche Wand gestoßen, die bei der Berührung seltsam und unheimlich rasselte; der Schein der zurückgewendeten Lampe fiel auf die Masse, und die hohlen Augenhöhlen von weißen Totenschädeln mit den fletschenden Zähnen grinsten ihn dicht vor seinem Gesicht schauerlich an.

Das wirre schwarze Haar auf seinem Kopf sträubte sich empor, seine Kniee schlotterten, seine Augen vermochten sich nicht abzuwenden von dem schrecklichen Anblick, und er wäre mitten hinein in die Totengebeine gefallen, deren aufgestapelte Wand hier den niedern Eingang des geheimen Weges verbarg, wenn die starke Hand des jungen Samson ihn nicht gefaßt und in den offenen Raum gestoßen hätte.

»Feigling!« sagte höhnisch der Kolonist. »Warum vor Gebeinen erschrecken, denen die Deinen in einer Stunde vielleicht Gesellschaft leisten werden?«

Der Unglückliche sank in die Knie; die Furcht hatte ihn übermannt, seine Augen fuhren verstört umher an den schrecklichen Wänden, denen der matte Schein der Lampe unheimliches Leben und Bewegung zu geben schien.

»Erbarmen! töten Sie mich nicht! ich will alles geben, was Sie verlangen!«

Ein Altar aus Schädeln und Knochen gebaut, von zwei kopflosen Gerippen bewacht, die eine Tafel mit der Inschrift: » Tombeau de la Révolution« trugen, ließ erkennen, daß man sich in jener Kapelle befand, welche die Überreste der Opfer barg, die sechzig Jahre vorher auf dem Grêve- oder dem Concorde-Platz unter dem Messer der Guillotine gefallen waren. –

Der Arbeiter warf einen Blick der Verachtung auf den reichen Mann, der so kläglich vor ihm im Staube lag und suchte hinter dem Beinaltar die Fackeln, die, wie er wußte, sein Vater dort für seine geheimen Gänge aufbewahrt hatte.

Das Mädchen war zu dem Knieenden getreten und legte sanft die Hand auf seine Schulter; sie hatte ihn offenbar noch nicht wieder erkannt. Wie der Kapitän ihrem Bruder gesagt, war sie von dem Wahn beherrscht, daß sie jenen Abend an der Seite des Mannes zugebracht, den sie unbewußt seit ihrer Kindheit und in der Abgeschlossenheit von der gewöhnlichen Welt lieben gelernt hatte.

»Warum Dich fürchten vor den Toten,« sagte sie sanft, »Du weißt noch nicht, wie schön und still es hier ist. Ich will Dir alles zeigen, armer Mann, alles, wenn Du recht gut bist und schweigen kannst, auch das süße Kleine, das so lieb ist, wenn auch die kleinen Augen stumm und starr geworden!«

Er umfaßte ihre Knie, der Mann, von dessen Kind die Träumerin sprach. »Bitten Sie für mich, Mademoiselle! Ich will alles vergüten, was ich an Ihnen verschuldet, und daß ich Sie an jenem Abend durch das höllische Gebräu der Guerin verführt habe. Wenn Sie darauf bestehen, bin ich bereit, Ihnen meine Hand zu geben, nur bringen Sie mich fort von diesem höllischen Ort!«

Sie sah ihn starr an, eine dunkle, furchtbare Erinnerung schien in ihrem Geiste aufzudämmern; sie stieß ihn von sich, und ihre Hände faßten nach den Schläfen.

»Wer bist Du? ich kenne Dich! Du kommst von Hektor, Du brachtest seinen Brief! hier, hier, wo ist Hektor? wo ist der Vater meines Kindes?«

Der Offizier hatte schweigend der Scene zugeschaut – jetzt faßte er sanft die Hand des Mädchens.

»Hektor ist bei Dir, arme Mortelle, und er wird Deine Sache führen. Stehen Sie auf, Herr, wenn Sie noch einen Funken von Ehre und Mut in Ihrer Brust haben. Machen Sie das Verbrechen, das Sie an dieser Unglücklichen begangen, nicht größer durch Ihre Erbärmlichkeit.«

Der Kolonist war zurückgekehrt; er trug zwei Fackeln, die er an der Lampe anzündete. Eine derselben reichte er dem Offizier. Dann riß er den Feigling rauh empor. »Vorwärts, damit die Sache ein Ende hat!«

Er stieß ihn vor sich her, der Offizier folgte mit dem Mädchen.

Sie hatten die große Galerie betreten, und der rote Schein der beiden Fackeln brach sich unheimlich an der Wölbung und den hohen Wänden, die bis zur Decke hinauf von grinsenden Totenschädeln und weißen Gebeinen gebildet sind. Das zitternde Licht mit dem wallenden Rauch schien den schrecklichen Tapeten Leben und Bewegung zu geben, und der zitternde Mann wagte, indem er seinen beiden unversöhnlichen Feinden willenlos folgte, nach dem ersten, entsetzten Blicke nicht mehr die Augen vom Boden zu heben.

Sie waren etwa hundert Schritte vorwärts gegangen, als ein leises, murmelndes Rauschen sich hören ließ und seine von Angst und Schrecken fieberhaft gespannten Nerven erbeben machte.

Einige Schritte weiter, und der Schein der Fackeln fiel auf den von dem plätschernden Fall eines Wasserstrahls leicht bewegten Spiegel eines Bassins.

Es war die Fontäne, welche den traurigen Namen des modernen Lethe trägt, » La Source d'Oubli«. Es läßt sich kaum etwas mit dem unheimlichen Eindruck vergleichen, den dieses traurige Leben des Wassers, in dem einzelne Goldfische wie gespenstige Feuerfunken umher huschen, inmitten dieser Welt des Todes macht.

Der Sohn des Gräberlabyrinthes blieb an dem Bassin stehen und steckte seine Fackel in einen dort befindlichen Ring; auf seinen Wink that der Kapitän dasselbe an der andern Seite des Bassins.

»Wir sind zur Stelle!«

Der Arbeiter hatte die beiden Pistolen auf einen Stein gelegt, er selbst blieb an dem Rande des Bassins stehen.

»Du hast das Recht der Vergeltung für Dich gefordert, Hektor,« sagte er fest, »es ist also an Dir!«

Der Offizier trat heran, er war ruhig, ernst, auf seiner Stirn lag die ganze Ruhe des Richters.

»Herr Miron,« sagte er, »Ihr eigener, eines Mannes unwürdiger Verrat, der bei unserm Handel die Polizei zu Hilfe gerufen, hat Sie der Anwesenheit und des Beistandes Ihrer Freunde beraubt. Dieser Mann, wenn auch nur ein Sohn des von Ihnen so verachteten Volkes, ist ein Mann von Ehre, der so gut wie ich sein Blut für sein Vaterland vergossen hat; er wird darauf halten, daß Ihnen kein Vorteil entzogen wird, der Ihnen gebührt.«

Renaud, der die Arme über die Brust gekreuzt hatte, nickte schweigend.

»Sie wissen bereits, mein Herr, aus welchem Grunde ich Ihnen in der Oper jene Beleidigung angethan, die kein Mann erträgt, ohne sie mit Blut abzuwaschen. Ehe wir uns schlagen, habe ich einige Fragen an Sie zu richten.«

Der Bankier hatte einigermaßen seinen Mut und seine Arroganz zusammengerafft, als er gesehen, daß seine Furcht vor einer bloßen Ermordung durch seine Gegner unbegründet war. Es fehlte ihm, wenn auch an wahrem Mut, doch nicht an jenem Sporn der Eitelkeit und der gesellschaftlichen Verhältnisse, der zur Verteidigung seiner Stellung auch den Feigling auf die Mensur treibt, ja er hatte bereits seine sogenannte Probe bestanden, sich einmal ziemlich leidlich duelliert und einen leichten Degenstoß davon getragen, aber es war eben im Sonnenlicht, in der Anwesenheit zahlreicher Bekannten, ja – denn das Duell mußte bekannt werden – gewissermaßen unter den Augen von ganz Paris geschehen.

Jetzt war es freilich etwas anderes, der Gedanke, hier ohne weiteres niedergestoßen zu werden – die plötzliche Trennung von seinen Sekundanten, und vor allem die entsetzliche Umgebung und die Furcht, hier allein gelassen zu bleiben, hatten ihn anfangs jeder Fassung beraubt und zum feigen Flehen um sein Leben erniedrigt. Jetzt, da es sich zunächst um eine Erklärung, um Worte handelte, kehrte seine Fassung und mit ihr die Hoffnung zurück, die Gefahr umgehen zu können.

»Herr Kapitän,« sprach er hastig, »Sie wissen, daß ich Sie hochschätze. Das Mißverständnis zwischen uns wird sich ausgleichen lassen, ohne daß sich zwei Männer von Ehre deswegen die Hälse brechen. Ich gestehe, ich habe Unrecht gethan gegen die Dame, aber der Graf wird Ihnen erzählt haben …«

Der Offizier unterbrach ihn mit einer unwilligen Bewegung der Hand. »Es handelt sich hier nicht um die Erzählung und Beschönigung Ihrer Nichtswürdigkeiten, Herr,« sagte er streng, »sondern um die kurze Beantwortung einfacher Fragen. Sie gestehen zu, dieses Mädchen an jenem Abend unter dem Vorgeben, daß ich sie riefe, von hier fort und in ein Haus der Schande gelockt zu haben?«

»Es war eine Wette, ein Scherz! Die Aufregung, die Schönheit des Fräuleins – bei Gott, wir Männer sind alle schwach in solchen Augenblicken …«

»Sie haben sich dabei eines Papiers bedient, das mit meinem Namen unterzeichnet war?«

»Ich erinnere mich nicht mehr ganz genau …«

»Der Graf von Montboisier, wenn er zugegen wäre, würde imstande sein, Ihre Erinnerungen aufzufrischen, denn er besitzt die Urschrift jener Büberei, mit der mir Fräulein Miron, Ihre Schwester, unzweifelhaft in Ihrem Auftrag, das verhängnisvolle Papier entlockt.«

Der Bankier murmelte zwischen den Zähnen, daß den gefälligen Zwischenträger der Teufel holen möge; aber noch glaubte er sein Spiel nicht verloren. »So wahr ich lebe, Herr Kapitän, ich weiß nichts, was meine Schwester gethan hat mit Ihnen. Es ist eine Weiberlaune gewesen, die einfältige Neckerei eines eifersüchtigen Mädchens; denn, auf Ehre, Herr Kapitän, ich weiß, daß Cora große Stücke auf Sie hält. Ich habe dieser Dame vielleicht gesagt, daß sie Freunde bei uns antreffen würde, aber bei Gott …«

Die jämmerliche feige Lüge wurde von einer andern Seite unterbrochen.

Die Fleur de Mort hatte mit einer gewissen Aufmerksamkeit den Worten der Männer zugehört; ihre großen blauen Augen wandten sich wie fragend und Hilfe suchend bald von einem zum andern, eine Ahnung des Geschehenen schien in ihr aufzudämmern.

Plötzlich fuhr sie mit einem Schrei der die Nerven der Hörer durchbebte, mit der Hand in den Busen und zog ein vergilbtes und zerknittertes Papier heraus, das sie hastig entfaltete und dem Offizier entgegenhielt.

»Lies, lies, Hektor! Um Deiner guten Mutter willen, die mich gesäugt, wie ich unser kleines, liebes Kind, Du hast mir diesen Brief geschrieben? ich war bei Dir?«

Die plötzliche Seelenangst des Mädchens hatte etwas so Rührendes, daß es den beiden Männern, ihren Verteidigern, durch die Seele schnitt, und selbst der Verbrecher sich abwandte.

Der Kapitän hatte das Papier genommen, ein Blick darauf genügte ihm, es zu erkennen.

»Ich war es, Schwester, der sie schrieb, ich war bei Dir, Du weißt es! Führe sie fort, Renaud, zur nächsten Kapelle. Sie ist der Umgebung gewohnt und fürchtet sich nicht, allein zu sein.«

Der Kolonist ergriff die Hand des Mädchens. »Komm, Mortelle!«

Sie lächelte süß, mit jenem raschen Sprung der Phantasie, der den umnachteten Geistern eigen ist, von einem Gefühl zum andern übergehend.

»Laß uns zu dem Kleinen gehen, Renaud,« sagte sie bittend. »Du bist gut, ich weiß es, und wirst es lieb haben, wie ich! Ich will Dir's zeigen, Renaud! ich will Dir's zeigen! aber Hektor soll es nicht sehen, bis es wieder die lieben süßen Augen aufschlägt, und der starre Tod seine kleinen Glieder nicht mehr so eisig macht!«

Der Bruder führte sie mit sich fort; mit jener sanften, leidenden Geduld, die den Hauptzug ihres Charakters ausmachte, folgte sie ihm.

Sie hatten sich kaum entfernt, als der Bankier hastig auf den Offizier zutrat.

»Lassen Sie uns reden ein verständiges Wort, Herr Kapitän,« sagte er. »Es ist ein Unglück, was der Mademoiselle passiert ist; aber es ist tausend Mädchen vor ihr geschehen und wird tausend nach ihr geschehen. Ich will das Unrecht, das ich ihr gethan, vergüten auf jede Weise.«

»Wollen Sie das Mädchen heiraten?«

»Sie wissen selbst, lieber Freund, daß das unmöglich ist. Meine Hochzeit mit Fräulein Rougécu ist bestimmt, sie soll morgen vollzogen werden, ganz Paris weiß es; meine Ehre, der Kredit unsres Hauses stehen bei der Heirat auf dem Spiel. Ich bin bereit, mit dem Mädchen mich abzufinden! Die Leute sind arm, ich werde ihr geben zehntausend, zwanzigtausend Franken; ich denke, das ist anständig bezahlt!«

»Elender!«

»Hören Sie, Kapitän, lieber Freund, es thut mir leid, daß die schlimme Affäre zwischen uns passiert ist. Wir werden uns öffentliche Satisfaktion geben, es hat keiner was davon, daß er den andern totschießt, und die Sache ist damit abgethan. Ich weiß, Sie lieben meine Schwester. Ich bin dagegen gewesen, weil Sie arm sind und ein bloßer Kapitän, und die Cora kann Marquis und Grafen bekommen, denn sie ist schwer. Aber ich habe meine Meinung geändert. Sie sollen die Cora haben, auf Kavalier-Parole, ich schaffe sie Ihnen!«

»Und Ihre Schwester?«

»Ich weiß, sie hält große Stücke auf Sie, sie ist verliebt in Sie, wenn sie auch thut wie das Gegenteil. Das ist Weiberart, ich kenne das, Sie sollen sie haben.«

»Dann, Herr,« sagte der Offizier kalt, »wäre Ihre Schwester so verächtlich wie Sie. Wenn die Kugel für Sie entscheidet, dann bringen Sie ihr dies Papier und sagen Sie ihr, daß ihr schändliches Spiel mit einem ehrlichen Herzen die verdiente Verachtung selbst bei meinem letzten Atemzuge gefunden hat.«

Er zerriß das verhängnisvolle Papier und schleuderte es ihm vor die Füße.

Man hörte den schweren Tritt Renauds, der zurückkam.

»Es ist, wie ich gedacht, sie pflegt und wartet die Gebeine des armen Wesens, dem sie in dieser Höhle des Todes, Gott allein weiß unter welchen Leiden, das Leben gegeben. Und jetzt zu dem da!«

Er trat auf den Bankier zu, seine Augen funkelten so wild, seine Hände ballten sich fest, so daß Herr Leon von Miron erschrocken zurückwich.

»Keine Gewaltthat, die uns schänden würde, Renaud,« sagte der Kapitän befehlend. »Du weißt, was wir unter uns abgemacht. Dieser Mann ist nicht wert, daß Deine Schwester seinen Namen trägt! Laß uns zu Ende kommen!«

Der Bankier war aschbleich zurückgewichen, denn die erwachte Hoffnung war geschwunden und er sah ein, daß hier kein Entkommen war, bis er an das Pult stieß, das hier aufgestellt ist, um das Album zu tragen, in das die Besucher dieses unheimlichen Ortes ihre Namen und vielleicht einen der sie bewegenden Gedanken einzutragen pflegen.

Der Kolonist blieb auf den Zuruf des Freundes stehen, aber ein Gedanke schien ihn plötzlich zu überkommen, denn er lachte grimmig auf.

»Du hast Recht, Hektor,« sagte er entschlossen, »er aber soll wenigstens das ihre anerkennen.« Er wies mit dem Finger nach dem Buch. »Nimm die Feder und schreib!«

Sein Ton war so drohend, der Blick der funkelnden Augen so schrecklich, daß der Millionär dem Mann in der Blouse nicht zu widersprechen wagte, sondern zitternd gehorchte.

»In den Katakomben von Paris, am 3. Dezember …«

Der Bankier schrieb mechanisch die Worte, kalter Schweiß perlte auf seiner Stirn und machte das Haar darauf fest kleben.

»anwesend Leon von Miron, Bankier aus Paris, mit seiner verlobten Braut Mortelle Samson, genannt Fleur de Mort …«

»Schreib!« donnerte er, als der Bedrohte zögerte; Miron schrieb!

»Sie sehen, daß ich Ihren Willen erfülle,« sagte er hastig, »wenn Sie darauf bestehen, ich bin bereit …«

Der Kolonist überzeugte sich mit verächtlichem Lachen, daß sein Feind wirklich die Worte geschrieben; dann nahm er, ohne ihn einer Antwort zu würdigen, die Pistolen von dem Stein.

»Tritt an die andere Seite des Bassins, Hektor; die Entfernung wird genügen. Wählen Sie eine dieser Pistolen, Herr, ich habe sie beide geladen, und Sie sehen, daß ich aus einer derselben jetzt die Kugel ziehe. Stellen Sie sich hierher, ich will Sie behandeln, als wären Sie ein Ehrenmann, und nicht ein erbärmlicher Feigling, und Sie sollen jede Chance des Glücks haben, Ihr Leben zu retten. Sobald ich drei zähle, hat jeder von Ihnen das Recht, gegen den andern vorzutreten, bis er die Mündung der Waffe auf seine Brust setzen kann, und soll dann feuern!«

»Das ist ein Mord, das ist kein Duell,« stotterte der Bankier. »Ich protestiere gegen solche Bestimmungen!«

»Protestieren Sie beim Teufel, Memme, aber wählen Sie die Waffe, oder ich trete an die Stelle des Kapitäns und, bei Gott, ich töte Sie so oder so wie einen Hund!«

Obschon der Elende sich wie eine Memme benahm, wußte er doch, daß er kein schlechter Schütze war und oft genug auf der Schießbahn die Karte getroffen hatte, wenn er die Übung auch nur der Eitelkeit halber vorgenommen. Er vertraute demnach auf eine neue Niederträchtigkeit und auf sein Glück, denn er fühlte, daß es unmöglich war, dem Duell auszuweichen, und raffte seine letzte Dreistigkeit zusammen, um wenigstens von der einen Chance, die ihm blieb, Vorteil zu ziehen.

»Herr Kapitän,« sagte er mit heiserer Stimme, »ich weiche dem Zwange und werde mich schlagen, aber ich berufe mich auf Ihre Ehre. Wenn ich das Unglück habe, Sie zu töten, wer wird mich schützen vor diesem Mann?«

»Ich verpfände Ihnen mein Ehrenwort, daß Herr Renaud Samson Sie, wenn ich falle, ungefährdet auf den Platz zurückbringen wird, auf dem Ihre Freunde von der Polizei Sie erwarten.«

Der Arbeiter nickte. »Ich gebe mein Wort, aber nach vierundzwanzig Stunden gehört er mir, und ich werde dann eine doppelte Rache zu nehmen haben.«

»So komm zu Ende!«

Sie bemerkten es nicht, daß die aschfahle Farbe des Bankiers einer leisen Röte Platz machte, und er den Kopf niederbeugte, als lausche er einem entfernten, den andern noch unhörbaren Geräusch.

Der Arbeiter war zu ihm getreten und bot ihm nochmals die gespannten, mit frischen Zündern versehenen Pistolen. Kein Zeichen verriet, welches die geladene war.

»Wählen Sie!«

Miron fuhr empor, seine häßlichen Augen funkelten, neue Hoffnung belebte ihn wieder, und er ergriff eine der Pistolen.

Der Kolonist führt ihn auf seinen Platz; ihm gegenüber, an der anderen Seite der Fontäne stand der Offizier ruhig und ernst, den Blick fest auf ihn gerichtet.

Renaud trat zur Seite.

»Eins!«

Der Bankier warf einen raschen, ängstlichen, und dennoch hoffenden Blick zur Seite, man hörte in der Ferne ein Geräusch.

»Zwei!«

Renaud wandte sich um und sah unruhig nach der Richtung des im fernen Dunkel verborgenen Eingangs der schrecklichen Galerie, dann kehrte er sich rasch zu den Gegnern.

»Drei!«

Der Kapitän that, das Pistol in der Hand gesenkt, einen Schritt vorwärts.

Miron blieb auf seinem Platz stehen; trotz der neuen Chance, die ihm geworden, bebten seine Kniee, und er sah wie durch einen blutigen Nebel seinen Gegner immer näher und näher kommen, das Pistol schwankte in seiner Hand.

Der Offizier war höchstens noch drei Schritte von ihm, als der Erbärmliche mit einem Zusammenraffen aller seiner Kraft fest auf ihn anschlug und abdrückte.

Das Zündhütchen platzte von der Pfanne, aber es erfolgte kein Knall.

»Schurke!«

Renaud wollte auf ihn losstürzen, aber eine befehlende Handbewegung des Kapitäns hielt ihn zurück.

Der Arm Mirons, mit der trotz der niederträchtigen Handlung nutzlosen Waffe sank gelähmt nieder, die Finger öffneten sich, und die Pistole fiel zu Boden.

Wie der Verurteilte das Schwert des Rächers über seinem Haupte fühlt, sah er näher und näher den unversöhnlichen Feind kommen, und seinen Arm mit der tötenden Waffe erheben.

Er wußte, daß er verloren war, obschon er mit den durch die Todesangst geschärften Sinnen jetzt deutlich vor dem Eingang der Galerie nahende Stimmen hören konnte.

»Nieder mit dem Buben, Hektor, es kommen Leute!«

Die Mündung der Pistole berührte die Brust, die Sinne des Börsenfürsten verwirrten sich, seine Augen starrten wie die eines Toten, mit dem Ruf: »Gnade! Gnade!« sank er in die Knie und breitete die Arme in die Höhe.

Einen Augenblick stand der Kapitän, die Pistole auf seine Stirn gerichtet; dann kehrte er sie um, faßte den Lauf und schlug den Elenden mit dem Kolben ins Gesicht.

»Memme!«

Blut stürzte aus Nase und Mund und mit einem Schrei fiel der Bankier besinnungslos nieder auf sein Gesicht.

In diesem Moment vernahm man ganz deutlich an der Thür der Gallerie die Stimme des Grafen Montboisier.

»Öffnen Sie die Thür, Herr, mir war's, als hörte ich einen Schrei. Wir wollen wenigstens unsere Pflicht thun.«

Mit einem gedankenschnellen Griff hatte Renaud Samson die beiden Fackeln aus ihren Ringen gerissen und in das Wasser des Bassins geworfen, wo sie zischend verlöschten.

Dann ergriff er die Hand des Freundes. »Folge mir! es sind die Gendarmen! Mortelle hat die Lampe, sie soll uns begleiten und der Ausgang am Observatoire bringt uns in Sicherheit!«

»Aber er?«

»Seine Helfershelfer werden ihn finden! fort!«

Er zog ihn mit sich; in dem Augenblick, wo das Thor sich öffnete, und Fackelschein den Anfang der Galerie erhellte, verschwanden sie im tiefen Dunkel zwischen den Schädelwänden.

Der Polizeikommissär, der das Duell auf dem Platz der Barriere d'Enfer hatte verhindern und die beiden Antibonapartisten verhaften wollen, trat mit mehreren seiner Gendarmen und den drei Sekundanten, begleitet von einem der Aufseher der Katakomben in die Galerie.

Man hatte auf das seit Jahren bei den Nachbarn des Fossoyeurs verbreitete Gerücht fußend, angenommen, daß die Entflohenen durch einen geheimen, ihnen unentdeckbaren Ausgang der Wohnung nach den Katakomben entwichen wären.

Der Kommissär wollte wenigstens seine Pflicht erfüllen, und hatte einen der anderen Aufseher wecken und den gewöhnlichen Eingang des unheimlichen Labyrinthes sich öffnen lassen.

»Von hier aus kam der Ruf, den ich gehört zu haben glaube,« sagte der Graf.

Der Kommissär trat einige Schritte vor, während der Aufseher die Fackeln hoch hielt.

»Ist jemand hier, der unserer Hilfe bedarf?« fragte er laut, »Herr Miron, wenn Sie hier sind, geben Sie Antwort!«

Nichts regte sich, man hörte nur das leise ferne Rauschen der Fontäne und das Säbelklirren der Gendarmen – kein anderer Laut antwortete der Frage.

»Es ist unnötig, daß Sie weitere Nachforschungen unternehmen,« sagte der Aufseher. »Wenn Renaud Samson bei den Personen ist, die Sie suchen, hat er sich längst durch einen der geheimen Ausgänge in Sicherheit gebracht; denn er kennt die Katakomben, wie der alte Kerl, sein Vater!«

»Ich bin der Meinung des Mannes,« fügte der Graf bei. »Kapitän Fromentin ist ein Mann von Ehre, und wohin er auch in diesem Augenblicke Herrn Miron gezwungen haben mag, ihm zu folgen, ich bürge dafür, daß er sich keiner unehrenhaften Handlung gegen ihn schuldig machen wird.«

Der Kommissär begriff, daß alle weiteren Nachforschungen vor der Hand vergeblich sein mußten; er erklärte den drei Verhafteten, daß er bereit sei, sie gegen das Versprechen zu entlassen, sich auf Verlangen der Polizei zu stellen, und nach kurzer Verhandlung verließ die Gesellschaft die Galerie.

Das Thor wurde geschlossen; in der Halle des Todes herrschte die absolute Nacht und das Schweigen des Grabes.

Dann begann der Mann, den der Pistolenschlag des Kapitäns zu Boden geschmettert, sich zu regen, und ein tiefes Stöhnen bekundete, daß er aus seiner Ohnmacht zum Bewußtsein zurückkehrte.


Zur selben Zeit, als das eben Erzählte sich in den unterirdischen Räumen der Katakomben ereignete, ging ungeduldig an dem Gitter vor dem Observatoir an der Seite desselben nach dem Place St. Jacques ein Mann dicht in den Mantel gehüllt, auf und nieder und murmelte von Zeit zu Zeit voll Ungeduld eine Verwünschung oder Worte der Besorgnis.

Es war General Roguet, der auf den Befehl des Prinz-Präsidenten ihn hier erwarten sollte. Etwa zehn Schritt entfernt am Gitter lehnte eine große, kräftige Gestalt, die eine schwere Last unter dem Mantel zu tragen schien. Das Klirren von Waffen, wenn sie sich bewegte, der martialische Schnauzbart und die straffe Haltung, wenn der General vorüberging, bewies, daß der Mann gleichfalls zum Militär gehörte, trotz seiner Civilkleidung.

»Es ist bereits halb elf,« sagte der General, vor dem Manne stehen bleibend, »und es läßt sich niemand sehen, der Teufel hole die unsinnige Geschichte. Sie sind doch überzeugt, Robillot, daß die Leute gut versteckt sind?«

»So wie man von seiner Sache überhaupt sein kann, General!«

»Sie dürfen sich unter keinen Umständen anders blicken lassen, als wenn man Sie ruft. Sind Ihre Waffen in Ordnung?«

»Ja, General!«

»Still! nennen Sie mich hier nicht so! Was zum Teufel schleicht da umher?«

»Es ist nichts – zwei Burschen, die sich umhertreiben,« meinte der Militär, der schärfere Augen hatte, als sein greiser Vorgesetzter.

Es waren in der That zwei halberwachsene Knaben, die von der Straße Biron her an den Häusern umherschlichen: der jüngere Sohn des Invaliden Fromentin und sein würdiger Kamerad.

Die beiden waren dem Kapitän und seinen beiden Sekundanten, wie sie sich vorgenommen, nach der Barriere d'Enfer nachgeschlichen, und hatten unbemerkt dem Auftritt und der Flucht beigewohnt. Als Meister Jacques aus den Reden der zurückkehrenden Polizei-Agenten vernommen hatte, daß sie vergeblich im Hause des Fossoyeurs die Flüchtigen und den Bankier gesucht hatten und diese spurlos verschwunden waren, zog er gleich denselben Schluß, daß es ihnen gelungen sein müsse, in den Katakomben durch jenen unbekannten Zugang zu entkommen, dessen sich der Fossoyeur offenbar bediente. Die Vermutungen des Gamin gingen aber, auf seine nähere Kenntnis der unterirdischen Räume gestützt, weiter als die des Polizei-Kommissärs und der Sekundanten und ließen ihn annehmen, daß die Flüchtigen unter der Führung Renauds durch einen der nächsten geheimen Ausgänge der Verfolgung zu entkommen suchen würden.

Schon das Vergnügen, der Polizei einen Streich spielen zu helfen, wäre genügend gewesen, die beiden Burschen auf den Beinen zu halten; aber der Gamin liebte und verehrte seinen älteren Bruder trotz der Strenge desselben wirklich von Herzen und beschloß, alles mögliche zu thun, um ihn aufzufinden. Sie waren daher bereits an einigen Stellen umher getrabt, wo, wie der Gamin teils wußte, teils gehört hatte, Ausgänge der unterirdischen Gewölbe sein sollten und kamen zu gleichem Zweck jetzt nach der Straße St. Jacques.

»Es muß hier umher sein, Armand, verlaß Dich darauf,« sagte der Gamin, »aber ich weiß nicht, in welchem Hause, denn ich habe den Renaud früher nur einmal davon sprechen hören, und weiß nicht einmal, ob der alte Keller nicht längst verschüttet oder vermauert ist.«

» Sapristi! Dann können wir ihnen lange nachlaufen, Paris ist groß!« meinte der junge Bourgeois.

»Meinetwegen geh nach Hause, Du hast keinen Bruder und brauchst ihm also auch nicht aus der Klemme zu helfen. Ich will eher die ganze Nacht umherlaufen, als mir sagen lassen, ich hätte nicht alles mögliche gethan. Irgendwo werden sie doch zum Vorschein kommen!«

»Dort stehen zwei Männer und scheinen zu warten,« sagte der andere. »Vielleicht haben sie etwas gesehen, man kann sie ja fragen!«

»Das ist wahr, Du hast immer gute Gedanken!«

Der wartende General sah die beiden Burschen auf sich zukommen, als er plötzlich neben sich eine Kinderstimme hörte. »Können Sie mir sagen, wie viel Uhr es auf Notre-Dame ist?«

Ein zerlumptes Mädchen von zwölf bis vierzehn Jahren stand neben ihm, ohne daß er ihr Herbeikommen bemerkt hatte.

»Du kannst denen, die Dich schicken, sagen, es wäre die höchste Zeit.«

»Ist das Geld bereit?«

»Das Geld ist hier, aber bringe erst meinen Boten!«

» Oh pardon, Monsieur! ich bin nicht so dumm, daß ich nicht gemerkt haben sollte, daß mehrere Männer in der Nachbarschaft verborgen sind. Der Tête-Renard wird sich nicht hierher wagen, wenn Sie die andern nicht fortschicken!«

»Ich weiß den Teufel von Deinem Fuchskopf,« brummte ungeduldig der General, »aber nicht einen Sous sollt Ihr haben, bis der Mann, den ich erwarte, zur Stelle ist und Du wenigstens sollst mir nicht fort, bis ich weiß, woran ich bin!«

Er faßte die Dirne am Arm, aber mit der Gewandtheit einer Schlange war sie ihm rasch entschlüpft und mehrere Schritte zurückgesprungen. »Da müßten Sie rascher sein, wenn Sie die Belette fangen wollen,« sagte sie mit frechem Lachen. »Aber ich habe gesehen, daß Sie da sind, und das ist genug! Das andere ist nicht meine Sache!«

Mit der Schnelligkeit und Gewandtheit des Tiers, dessen Namen sie trug, war sie verschwunden, ehe der General einen neuen Versuch machen konnte, sie zu ergreifen. Er wußte nicht, was er thun sollte und wollte eben seine versteckten Begleiter zur Verfolgung der Dirne herbeirufen, als ein zweimaliges schrilles Pfeifen von dem Eingang der Straße Leclerc ihn zögern ließ.

Zugleich kam das Mädchen wieder zum Vorschein, trat dreist heran und sagte: »Tête-Renard läßt Sie wissen, daß der Herr gleich hier sein wird. Ich mache mir nichts daraus, alter Brummbart, Dir bis dahin Gesellschaft zu leisten!«

Zugleich hörte man das rasche Heranrollen eines Wagens.

Es war der Fiaker, mit dem der falsche Savoyarde und der Invalide zurückkehrten. Der Fossoyeur hatte sie schon an der Barriere verlassen.

Der Wagen hielt auf der Mitte der Avenue, der Savoyarde stieg allein aus und kam auf den General zu, den er zur Seite winkte.

»Guten Abend, Freund! Sie sehen, ich bin glücklich zurück!«

»Gott sei Dank, ich war bereits sehr in Sorge!«

»Hat schon jemand nach dem Gelde gefragt?«

»Diese Dirne da, ich wollte sie eben festhalten!«

»Das wäre sehr thöricht gewesen. Geben Sie ihr das Geld! Wen haben Sie da zur Hilfe?«

»Meinen Ordonnanz-Sergeanten, Hoheit!«

»Still! er darf mich nicht näher sehen. Lassen Sie ihn mit dem Mädchen gehen und das Geld dahin tragen, wohin sie bestimmt. Sie wird sicher die richtigen Personen in der Nähe haben. Haben Sie einen Wagen hier?«

»Ein Fiaker hält am Eingang der Straße Cassini.«

»Gut! ich werde ihn benutzen bis zum Place de la Concorde und durch den Ausgang nach den Elysäischen Feldern in das Palais zurückkehren. Sie werden mich in meinem Kabinett finden.«

»Erlauben Sie mir lieber, Sie zu begleiten!«

»Das geht nicht! ich bin jetzt in Sicherheit, und man darf uns nicht zusammen sehen. Überdies habe ich einen andern Auftrag für Sie. In dem Wagen dort, der mich hierher gebracht, befindet sich der Invalide, der mich begleitet hat. Sie setzen sich zu ihm, fahren mit ihm bis in die Nähe des Palais und führen ihn in dasselbe. Bringen Sie ihn in ein bequemes Zimmer, wo ihm nichts abgeht, aber stellen Sie eine Wache vor seine Thür, und sorgen Sie, daß er mit niemand ein Wort wechseln kann. Ich setze zwar volles Vertrauen in ihn, aber er muß unter allen Umständen an jeder Unvorsichtigkeit verhindert werden bis morgen Mittag; dann mögen sie ihn entlassen, mit einer guten Belohnung und der Anempfehlung unverbrüchlichen Schweigens. Haben Sie mich wohl verstanden?«

»Ja, Hoheit!«

»So lassen Sie der Dirne das Geld geben, und sagen Sie ihr diese Worte: ›Morgen um diese Zeit!‹ Noch eins! geben Sie mir etwas Geld! und bezahlen Sie den Fiaker, denn ich habe nichts mehr bei mir.«

Der General bot ihm seine Börse, der Savoyarde nahm zwei Fünffrankenthaler.

»Auf Wiedersehen im Palais!«

Der alte Soldat wartete, bis er ihn in die Straße eintreten sah, dann ging er zurück zu dem Mädchen und rief seinen Begleiter herbei.

»Dieser Mann kann Dir das Geld tragen, wohin Du bestimmst. Sage denen, die Dich geschickt, die Worte: Morgen um dieselbe Zeit!«

»Sie brauchen sich nicht zu bemühen, mein Alter, lassen Sie nur den Sack auf dem Platz, und machen Sie, daß Sie fortkommen. Ich stehe Ihnen dafür, er wird seinen Herrn schon finden.«

»Es ist Euere Sache,« sagte der General, der keine Lust hatte, sich mit der Dirne weiter einzulassen, und eilte, zurückzukommen. »Lege die Beutel auf den Boden, Robillot, und kümmere Dich weiter nicht darum. Befiehl dem Korporal, seine Leute nach der Kaserne zurückzuführen.«

Er ging nach dem Fiaker, sprach einige Worte mit dem Kutscher und dem im Innern harrenden Invaliden und setzte sich dann zu diesem.

Der Wagen rollte in der Richtung des Boulevard Mont Parnasse davon. Der Sergeant legte die drei Beutel auf die Erde, erwiderte eine obscöne Frechheit der Dirne mit einem derben Fluch und entfernte sich an dem Gitter entlang.

Er hatte kaum den Rücken gewendet, als auf ein Pfeifen des Mädchens aus dem Schatten der Häuser ein Mann und eine Frau sich eilig näherten.

Es war der Tête-Renard und sein Weib. Der Kneipenwirt schoß wie ein Habicht auf die Dirne zu. »Hast Du das Geld?«

»Da liegt es! drei Beutel! Seht selber nach, Vater!«

Der Guillotinenwirt stürzte sich auf die Beutel, die der Sergeant zurückgelassen hatte, hob sie auf und befühlte sie. »Es ist Geld, richtiges Geld! das da sind Fünffrankenthaler, die zwei – und hier – es ist Gold nach der Schwere,« murmelte er. »Komm her, Weib, nimm den einen, nein, die zwei Beutel mit nach Hause und verstecke sie gut! Daß keiner sie aufzumachen wagt! sie sind versiegelt. Ich habe zu thun und werde die Nacht fortbleiben. Alle Bursche, die noch kommen, schickst Du nach dem ›Rosenstrauch in der Cité‹ und sagst ihnen, es wäre was los, sie sollten sich bewaffnen so gut sie könnten, und sich beeilen. Ich schlage Euch beide tot, wenn Ihr einen Laut von dem Gelde sagt!«

Die beiden Frauenzimmer folgten der erhaltenen Instruktion; der Kneipenwirt sah sich sorgfältig um, ob er allein auf dem Platz, dann öffnete er in einiger Entfernung von der nächsten Laterne den Sack.

»Richtig,« murmelte er, »Fünffrankenthaler, schöne blanke Fünffrankenthaler! es ist eine Schande, daß man sie für die schlechten Bursche wegwerfen soll, aber die Bursche thun es nicht anders, als wenn sie Schnaps und Geld sehen! Man muß das Opfer bringen, aber das andere, das andere! ich hoffe, der Mann hält Wort. Nun, Soulouque soll Barrikaden haben, daß er sich die Zähne daran zerbeißt!«

Er begann aus dem schweren Beutel, den er auf den Boden gesetzt und neben dem er kniete, die Fünffrankenstücke mit voller Faust zu nehmen und sie in die zahlreichen weiten Taschen seines Rockes und seiner Beinkleider zu stecken, um die Bande, mit der er zu schaffen hatte, nicht seine ganzen Vorrat sehen zu lassen und sie womöglich noch bei ihrem kärglichen Anteil zu betrügen.

Plötzlich fühlte er eine Hand auf seiner Schulter und eine muntere Stimme sagte: »Sapristi, mein Alter! Das ist eine angenehme Beschäftigung! Wir laden uns bei Dir zu Gaste!«

Die erste Bewegung, die der Tête-Renard machte, war ein Griff nach dem scharfen dolchartigen Messer, das er in der Seitentasche trug. Dann mit einem raschen Blick erkennend, daß zwei Personen ihm gegenüber standen, schrie er mit aller Kraft seiner kreischenden Stimme: »Diebe, Mörder!«

In demselben Augenblick hörte man innerhalb des Gitters des Observatoire in einiger Entfernung den Ruf einer Schildwache: » Halte-là! qui vive?«

Gleich darauf folgte ein Schuß.

Der Tête-Renard wiederholte seinen Ruf, von dem Place St. Jacques her vernahm man den rasselnden Trab einer Kavallerie-Patrouille, zugleich kamen aus verschiedenen Straßen Männer gerannt, es war als ob mit jenem Hilferuf der ganze Platz vor dem Observatoire lebendig geworden wäre.

Die jungen Burschen, die, um den Kapitän besorgt, zurückgeblieben waren, im Begriff den General Roguet zu befragen, waren es, deren Mutwille jetzt den Tête-Renard erschreckt hatte.

Ihre erste Absicht war durch die Ankunft des Fiakers verhindert worden. Dann, in dem Schatten der Häuser verborgen, sahen sie eine Scene sich abspielen, die sie natürlich nicht zu enträtseln vermochten, obschon ihre jungen scharfen Augen den Savoyarden recht gut wieder erkannten.

Der Gamin ahnte nicht, daß sein Vater, der Invalide, sich so nahe bei ihm in dem Fiaker befand.

Der Auftritt ging übrigens so rasch vor sich, daß der Wagen sich entfernte, ehe sie sich irgend eine Erklärung zusammengereimt hatten. Dann kam die Erscheinung des Tête-Renard und seine Prüfung des Geldbeutels, und die jungen Burschen konnten es sich nicht versagen, den alten Fuchs dabei zu stören.

Der Schuß innerhalb der Anlagen des Observatoire hatte ihre Aufmerksamkeit von dem Kneipenwirt abgelenkt und der echten Natur des Pariser Gamins folgend, liefen sie dem Gitter zu, von wo Lärmen und Stimmen erklangen.

Plötzlich auf dem Wege hörten sie den halblauten Ruf: »Hierher, Renaud! hier muß die Thür sein!«

Jacques faßte seinen Freund. »Das ist mein Bruder, so wahr ich lebe! Er ist in Gefahr, geschwind ihm zu Hilfe.«

»Hektor, Hektor!«

»Wer ruft? Jacques, bist Du es?«

Zwei dunkle Gestalten rannten an dem Gitter hin, die zweite schleppte eine dritte in ihren Armen mit sich.

»Ich kann nicht weiter, Freund; die Ärmste ist verwundet, ich fühle ihr warmes Blut auf meiner Hand.«

»Hier, Hektor, hier ist die Thür!«

Der Gamin stieß sie auf, aber schon kamen von allen Seiten Leute herbei: die Schildwache vor dem Observatoire, die geschossen, als sie die drei, die durch den geheimen Ausgang in den noch aus der Römerzeit stammenden Fundamenten des Gebäudes ihre Flucht aus den Katakomben bewerkstelligt hatten, durch die Anlagen innerhalb des Gitters schleichen sah; von den andern Seiten die Soldaten, welche die Vorsicht des Generals Roguet unfern der Stelle seines Rendezvous verborgen hatte, und vom Place St. Jacques her sprengte in vollem Galopp die Lanzier-Patrouille heran.

Der Kapitän stand in der geöffneten Thür, die Pistole in der Hand, die er noch von der Züchtigung des Bankiers an der Source d'Oublie bei sich trug, und spannte den Hahn. Sein Gesicht drückte die finstere Entschlossenheit aus, die bereit ist, alles zu wagen.

Zu ihm heran keuchte der Kolonist. Er trug in seinen Armen die dunkle Gestalt der Schwester; ihr Kopf hing über seine Schulter, und selbst in dem schwachen Licht der Laterne des Gitters konnte man sehen, daß ein dunkler Blutstrom von ihrem Halse über Nacken und Hände floß, die einen, sorgfältig in Kissen gewickelten, Gegenstand an ihre Brust gedrückt hielten.

Auf den ersten Anblick schien es ein lebendes Kind zu sein, wie die Ammen und Mütter es einzuwickeln pflegen, denn man sah den Kopf in ein Häubchen gehüllt und die Arme in einem Jäckchen sich herausstrecken. Aber wer einige Schritte näher getreten, wäre entsetzt gewesen von dem Anblick. Das Kind hatte offenbar längst das Leben verloren, vielleicht schon in der Stunde seiner Geburt, und war nichts als ein kleiner, in der eigentümlichen Atmosphäre der Katakomben zu einem Skelett oder einer Mumie zusammengetrockneter Leichnam, dessen Aussehen in seinem Aufputz nur Grauen verursachte.

Der Kapitän warf nur einen Blick auf die Unglückliche, dann streckte er drohend die Hand mit der Waffe aus.

»Platz da! gebt Raum, oder ich feuere!«

Der Gegner, der ihm gegenüberstand, war der Ordonnanz-Sergeant des Generals Roguet, zurückgekommen bei dem Ruf der Schildwache und dem Lärmen; er sperrte mit seiner breiten, großen Gestalt den Fliehenden jetzt den Ausweg.

»Nicht so hastig, Mann, nicht so hastig! Hier passiert keiner, der nicht die Parole hat!«

Er griff nach der Waffe, der Kapitän drückte ab, der Hahn ließ das Zündhütchen explodieren, aber es erfolgte kein Schuß.

Miron, der Feige, Elende! hatte wirklich die geladene Pistole gehabt – die Hand des rächenden Gottes war über ihm gewesen.

Der Sergeant hatte mit Riesenkraft Kapitän Fromentin die ohnehin nutzlose Waffe entwunden, jeder Widerstand wäre vergeblich gewesen, denn die Wache des Observatoires sperrte den Rückweg, und zwanzig Hände hatten die beiden Freunde gefaßt. Auch die Kavallerie-Patrouille war heran, und der Offizier hielt vor den Gefangenen.

»Was ist's? was giebt's? Was habt Ihr hier, Leute?« fragte er, als er die Uniformen sah.

»Zwei Kanaillen von Roten, mein Offizier! Die Kerle wollten die Schildwache überfallen oder lauerten hier zu noch Schlimmerem!« berichtete der Sergeant. » Pardieu! es hätte großes Unglück geschehen können, aber wir waren vorbereitet auf den Fall, wie Sie sehen!«

Die früher von General Roguet aus Vorsicht von der d'Orsay-Kasernenwache mitgenommenen Leute bestätigten es.

»Ich protestiere gegen unsere Verhaftung, mein Herr,« sagte der Kapitän. »Wir haben mit dem Aufruhr nichts zu thun und waren in unseren privaten Angelegenheiten hier; man hat eine nutzlose Grausamkeit verübt, indem man dieses schuldlose Mädchen verwundet hat. Im Namen der Ehre und Menschlichkeit fordere ich Ihren Beistand zur Rettung der Unglücklichen.«

Renaud hatte die sterbende Schwester auf den Boden gelegt, er kniete neben ihr und hielt ihren Kopf in seinem Schoß, ohne sich in seinem tiefen Schmerz um die Gefahr, die ihm selbst drohte, zu kümmern.

Die Kugel der Schildwache war durch ihren Hals gedrungen; von Zeit zu Zeit, wenn sie Atem holte, drang eine dunkle Blutwelle aus der Wunde. Die beiden Knaben waren um sie beschäftigt, Meister Jacques gab seiner armen Freundin unter Thränen die zärtlichsten Namen.

»Hat man die Gefangenen mit den Waffen in der Hand ergriffen?« fragte der Offizier der Patrouille.

»Ich hab' ihm selbst die Pistole aus der Hand gewunden, Leutnant,« berichtete diensteifrig der Sergeant.

»Dann fort mit ihnen zu den andern! Das Kriegsgericht wird ihr Urteil sprechen. Bringt die Gefangenen nach der Kaserne d'Orsay!«

»Einen Augenblick, mein Herr, ich war selbst Soldat und habe mich nur gegen einen schändlichen Angriff zur Wehr gesetzt. Sie werden uns von dieser Unglücklichen nicht trennen, vielleicht ist noch Rettung möglich!«

»Ich habe keine Zeit, hier zu verhandeln. Schafft meinetwegen die Dirne ins Lazarett. Vier Mann die Gefangenen in der Mitte und, wenn sie Widerstand leisten, wird geschossen. Vorwärts die andern!«

Er trabte an der Spitze des Piketts davon, vier Lanziers blieben zurück, die beiden Verhafteten zu transportieren. Die Soldaten, aufgestachelt zur höchsten Grausamkeit und Erbitterung gegen die vermeintlichen Rebellen, legten Hand an sie.

»Wenn Ihr Franzosen und Soldaten seid,« rief der Kapitän wild, »so achtet wenigstens dies Unglück. Wir wollen ohne Widerstand folgen, sobald wir sehen, daß ihr Hilfe geworden!«

Die Sterbende machte eine Bewegung. Mit einer Hand drückte sie ihren traurigen Schatz an die Brust, die andere streckte sie nach dem Manne aus, den sie unbewußt geliebt.

»Unser Kind, Hektor! es lächelt wieder so süß, es ist nicht gestorben, Hektor, aber ich …«

Selbst die erhitzten wilden Soldaten standen in ernstem Schweigen bei dem traurigen Anblick.

Die Augen der Fleur de Mort wurden größer und starrer, als sie auf den Mann sah, den sie in dem unbefleckten Herzen getragen.

Ein leichter Schauder ging durch die Gestalt.

Dann stand der Arbeiter, der Kolonist, unter den Löwen und Arabern der Wüste gestählt, auf und legte das Haupt der Schwester sanft auf die kalten Fliesen des Platzes.

»Es ist nicht nötig, nach dem Doktor zu senden,« sagte er finster. »Komm, Hektor, der künftige Kaiser braucht Leichen, und diese da,« er wies verächtlich auf die Soldaten, »sind die Henker der Freiheit.«

Er fühlte den Kolbenstoß nicht, der ihn von der Faust eines erbitterten Soldaten traf. Rohe Hände schnürten ihm die Arme auf den Rücken, während sein Auge an der toten Schwester hing.

»Fahr wohl, armes Kind!«

Der Kapitän, der durch sein ruhiges männliches Auftreten den Soldaten imponierte, so daß er dem Schicksal seines Gefährten entging, suchte mit den Augen seinen jungen Bruder. »Die Stunde möge Dich zum Manne machen, Jacques,« sagte er ernst. »Bringe die Tote zu unserm Vater und sage ihm mein Lebewohl! Diene dem Vaterlande, Jacques! Gott schütze Frankreich!«

Er reichte dem Bruder die Hand, die Reiter trennten sie. »Wir dürfen nicht länger zögern, Monsieur,« sagte der Unteroffizier, der sie führte. »Vorwärts mit den Gefangenen!«

Aus dem Knaben, dem leichtsinnigen, bloß seinem Müßiggang lebenden Gamin, war in dem Augenblick ein Mann geworden.

Er faßte die Hand seines Kameraden. »Folge den Soldaten, Armand, und sieh, wo Hektor bleibt. Ich muß mit der da gehen! In Vater Tourons Haus findest Du uns beide.«

Der Arme! er ahnte nicht, daß die Habsucht ihm dem Lebendigen, und ihr, der Toten, diese letzte Stätte bereits genommen.

Der Hufschlag der Eskorte rasselte die Avenue de l'Observatoire hinauf.

Man hatte eine Bahre geholt; zwei Männer aus dem Volke trugen die Tote, so ging der Zug nach der Rue des Catakombes.


Der Leutnant von Röbel hatte sich an der Barriere d'Enfer von dem Grafen und dem Journalisten getrennt, nachdem der Polizei-Kommissär ihnen erklärt hatte, daß er keine Ursache habe, sie in Haft zu behalten.

Man hatte in den Katakomben vergeblich den in die Hände seiner Gegner gefallenen Bankier gesucht. Obschon nach dem schlechten Streich der Herbeirufung der Polizei selbst seine Sekundanten keine sonderliche Teilnahme für sein Schicksal hegten, hatten sie doch den flüchtigen Nachforschungen der Gendarmen schon aus Interesse daran beigewohnt. Unter dem Schutz des Kommissärs kehrten sie jetzt nach der inneren Stadt zurück.

Der preußische Offizier, trotz seines Leichtsinns und seiner aristokratischen Vorurteile ein mutiger und entschlossener Kavalier, hielt es für eine Ehrenpflicht, den Kapitän womöglich aufzusuchen. Auf sein Lokalgedächtnis sich verlassend, unbekümmert um die politische Aufregung in der Stadt, suchte er den Weg zurück nach dem Häuschen des Invaliden, indem er annahm, daß er dort zuerst erfahren könne, was aus dem Kapitän geworden.

Eine schreckliche und furchtbare Scene hatte bald darauf in diesem Hause gespielt.

Der Offizier hatte es mit dem Ortssinn des Soldaten bald wieder aufgefunden und klopfte an die Thür, bis die alte, allein zurückgebliebene Frau es hörte und ihm öffnete.

Der Kapitän war nicht da, eben so wenig wie der Invalide und sein jüngerer Sohn. Um einen der Drei zu erwarten, setzte er sich an den Kamin.

Margarete, die Aufwärterin, hockte wieder in ihrem Winkel und war bald darauf eingeschlafen.

Der preußische Offizier hing seinen Gedanken nach; er war seit dem frühen Morgen auf den Füßen, um die politischen Vorgänge infolge des Staatsstreichs zu beobachten und von den vielen Wegen und der Aufregung ermüdet. Obschon er unbewaffnet war, denn der Polizeikommissär hatte ihm wie dem Sekundanten des Gegners die zur Auswahl bei dem Kampfe mitgebrachten Pistolen abgenommen, war er ohne alle Besorgnis, und daher, ehe eine Viertelstunde vergangen, auf seinem Stuhl am Feuer in einen ziemlich festen Schlaf gefallen.

Er hatte in diesem bereits längere Zeit gelegen, als zwei dunkle Gestalten zu dem Häuschen heranschlichen.

»Hoho!« sagte der Fossoyeur, denn dieser war einer der unheimlichen Gäste, »'s wär' ein Glück, 's wär' ein verteufeltes Glück, wenn der Bursche mit dem Gelde noch nicht fort wäre! 's giebt keinen Fiaker mehr in der Gegend, und er muß zu Fuß gehen. Wir an der Straßenecke und dann den Sack über den Kopf. Schade, daß es jetzt nicht an Leichen fehlen wird, er ist jung, und ich wüßte einen Käufer!«

»Es war unnötig, alter Gräberwurm,« murmelte sein Begleiter, der einen keulenartigen Stock in der Hand trug, »daß Du mich erst mitgeschleppt. Ich habe mich wegstehlen müssen, denn der Tête-Renard sagte mir, daß er mich noch brauchen würde diese Nacht. Wenn der Herr mit dem vielen Gelde auch hier gewesen, bildest Du Dir etwa ein, daß er auf uns gewartet hat?«

»Man kann nicht wissen, man kann nicht wissen, Neb,« tröstete der Katakombenwächter. »Ohne Ursach' ist der Herr nicht hierher gekommen zu dem alten Narren, dem Einarm und seinem Sohn, dem hochnasigen Kapitän. Den Wagen hat er fortgeschickt, und ich weiß, was ich gesehen habe. Alle drei sind uns zu viel, wenn Du auch der Nebukadnezar bist; denn der Teufelsbraten, der Junge, ist auch da und würde das ganze Quartier in Aufruhr bringen. Her mußt' ich doch, denn ich muß da drinnen etwas holen. Wir wollen spionieren, Neb, wir wollen spionieren!«

Er hatte sich an das Fenster neben der Hausthür geschlichen und lauschte da hinein in die Küche. Plötzlich begann er mit den Händen und Füßen zu arbeiten und zu winken, bis der ungeschlachte Kerl aus den Steinbrüchen herbeikam.

Der Fossoyeur zog ihn ans Fenster. »Ho ho! Hi hi!« kicherte er leise, indem er sich die Hände rieb, daß die langen Finger unheimlich knackten. »Was siehst Du da? Bare zehntausend Franken, die Kadaver ungerechnet, ich schwöre Dir's!«

Der lange Kerl, der unter seinen Gefährten im Steinbruch den Namen Nebukadnezar führte, preßte sein breites Gesicht an die halbverblindeten Scheiben und versuchte die Gegenstände im Innern zu erkennen.

»Der Teufel soll mich bei lebendigem Leibe fressen, wenn ich was anderes sehe, als euren Mann, der am Feuer schläft und in einem Winkel ein altes Weib, die das Gleiche thut.«

Der Katakombenwächter hatte ihn vom Fenster in das Vorgärtchen zurückgezogen, aus Besorgnis, daß sie gehört werden könnten.

»Er ist es,« sagte er mit diabolischer Freude, »ho ho, der Mann mit den zehntausend Franken, wie er leibt und lebt. Siehst Du nicht, daß wir Glück haben, Totschläger? Wenn er nicht allein im Hause wäre, würde er nicht da am Feuer sitzen, das ganze Nest ist ausgeflogen, bis auf ihn!«

»Was ist zu thun?« frug der Steinhauer, dessen Augen zu funkeln begannen.

»Wir müssen's zu Ende bringen, eh' sie zurückkommen. Der Einarm kann nicht mehr lange bleiben. Geh hinein, Bullenbeißer, und laß ihn Deine Keule kosten. Schlag' ihn zu Boden, Neb, schlag' ihn zu Boden! nur kein Eisen, Du weißt, ich kann's nicht sehen von meinem Großonkel her. Ich steh' hier Wache, daß sie uns nicht überraschen, und wenn alles vorbei ist, teilen wir wie zwei ehrliche Leute!«

»Aber das Weib, wenn sie Spektakel macht?«

»Sie ist taub! Zu Boden mit ihr, zu Boden mit ihr, Neb! gieb ihr einen Fußtritt, daß sie bis zum nächsten Morgen die Engel pfeifen hört!«

Er hatte unter dem Gespräch aus der Tasche seines Rocks eine Art Kapuze gezogen, die über den ganzen Kopf ging und nur für die Augen, den Mund und die Ohren Öffnungen ließ.

»Was zum Teufel machst Du da, Gräberwurm?« frug der Bandit.

»Still Neb, still! Dich kennt man nicht, aber mich. Und jetzt ans Werk – mach's kurz, Nebukadnezar, aber kein Messer, hörst Du, kein Messer!«

Er führte ihn selbst bis an die Thür und probierte sie leise, die Thür war unverschlossen, und er öffnete sie. Der Steinbrecher trat, die Keule in der Faust, in die Küche.

Das Feuer des Kamins war am Verlöschen und erhellte nur matt noch den Raum.

Der Offizier schlief von der Ermüdung des Tages zwar fest, aber mit dem Instinkt des Soldaten erwachte er sofort, als durch die geöffnete Thür ihn ein kalter Luftzug traf.

Er öffnete halb die Augen, dehnte sich auf dem Stuhl und sagte: »Ich habe wahrhaftig geschlafen! Sind Sie es, Kapitän Fromentin?«

Plötzlich fuhr er empor und stand vollkommen wach auf den Füßen, denn er hatte durch die Thür eintretend eine große, ihm unbekannte Gestalt erblickt.

»Wer sind Sie? was wollen Sie?«

»Dein Leben und Dein Geld, Hund!« schrie der Steinhauer, indem er seine Keule zum tödlichen Schlage ausholend auf ihn zusprang.

So unerwartet der Angriff und so furchtbar der Feind war, so verlor der junge Offizier doch nicht seine Geistesgegenwart. Wir haben bereits gesagt, daß er bei allem Leichtsinn und aller Süffisance des Charakters, erhöht durch die Gesellschaft, in der er sich bewegt, tapfer und mutig war, wie alle seines Geschlechts.

Im Augenblick, als der Schlag fiel, sprang er zur Seite und entging so dem tödlichen Hiebe, der unfehlbar seinen Schädel zerschmettert hätte, und wenn er von Eisen gewesen wäre. Ein rascher Blick umher überzeugte ihn, daß nichts im Bereich seiner Hand, mit dem er sich wehren konnte, als der alte Tisch, hinter den er retiriert war, und mit aller Kraft diesen fassend stürzte er ihn gegen den Feind.

Der fallende Tisch traf mit seiner Kante die Schienbeine des Steinbrechers, der laut aufbrüllte vor Schmerz; desto wütender gemacht, sprang er aufs neue mit geschwungener Keule gegen sein Opfer.

Aber der Offizier hatte hinter sich die Thür zu der Kammer des alten Invaliden und seines Sohnes gefunden, sie mit einem raschen Griff geöffnet und sich hinein geflüchtet. Er warf sie ins Schloß und schob den glücklicher Weise vorhandenen leichten Riegel vor; der Schlag fiel gegen die Thür, er war aber so gewaltig, daß er das obere Fachwerk der dünnen Bretter durchbrach.

Bis jetzt war, außer den ersten Worten, die schreckliche Scene ohne einen Laut gespielt worden, jetzt aber erhoben sich zu gleicher Zeit drei Stimmen; denn vom Eingang her schrie der Fossoyeur seinem Genossen zu, die Thür rasch einzuschlagen, der Offizier rief: »Mörder! Mörder! und die alte Frau, erschrocken trotz ihrer Taubheit aus dem Schlaf auffahrend, hängte sich kreischend von hinten an den Steinbrecher.

So gering die Kraft der armen Frau war, so hinderte ihre Umklammerung doch den Räuber, und indem er sich gegen sie wandte, faßte er die um Hilfe Schreiende mit seinen gewaltigen Fäusten am Halse und schleuderte sie so heftig gegen die Wand, daß sie bewußtlos zusammenbrach.

Als er sich aber nach der Thür zurückkehrte, fand er diese geöffnet und sich einem entschlossenen und bewaffneten Gegner gegenüber.

Indem der Offizier sich umgesehen, wie er dem schwachen Widerhalt der Kammerthür verbarrikadieren könne, bis ihm Beistand würde, wurde sein Auge von einem glänzenden Gegenstand gefesselt.

Durch die eingeschlagene Öffnung der Thür fiel ein Strahl des verlöschenden Feuers in die dunkle Kammer und blitzte auf blank geputztem Stahl, es war der Säbel des alten Soldaten, der über seinem einfachen Lager hing.

Im Nu hatte er sich dessen bemächtigt, er fühlte sich noch einmal so stark und mutig, als er den scharfen Stahl in seiner Hand hatte, und als er zugleich das Jammergeschrei der alten Frau hörte und durch das Loch der Thür sie mit dem Mörder ringen sah, öffnete er diese ohne weiteres und machte sich bereit, ihr zu Hilfe zu eilen.

Ehe der Steinbrecher seine schwere Waffe, die er hatte auf den Boden fallen lassen, um die Frau zu würgen, wieder aufheben konnte, erhielt er einen Säbelhieb, der ihn durch eine Wendung jedoch nur in die linke Schulter traf.

Der Mörder stürzte mit einem Brüllen der Wut auf den Offizier los, unterlief den Säbel, umfaßte den Feind und fiel mit ihm zu Boden, wo sie zweimal übereinanderrollten, ehe der Steinbrecher des kräftigen Widerstandes des jungen Mannes Herr wurde und auf ihm lag.

Der Fossoyeur sah jetzt vom Eingange her, wo er sich mit teuflischer Lust die Hände rieb und seinen Gefährten durch einzelne Zurufe antrieb, einen grauenhaften Kampf. Er sah, wie die Faust des Steinbrechers, die sich aus der Umklammerung losgemacht, zweimal auf den Kopf des Fremden niederfiel und das Gesicht desselben sich mit Blut übergoß.

Dann plötzlich, wie von einer Feder in die Höhe geschnellt, sprang der Mörder auf beide Füße, seine Augen rollten grauenvoll, seine Hände fuhren nach der Brust und mit dem Schrei: »Zu Hilfe … stürzte er lang zu Boden.

Er war tot.

Einige Augenblicke blieb der Katakombenwächter wie versteinert stehen und glaubte seinen Augen nicht trauen zu dürfen. Als er aber auch den Fremden regungslos in dem Estrich der Küche liegen sah, überzog ein teuflisches Frohlocken sein Gesicht. »Ho ho!« lachte er grinsend, »das wäre Dein Anteil für mich, Totschläger, Dein Anteil für mich!«

Damit sprang er in die Küche und zu den Körpern hin. Das Rätsel löste sich ihm hier sogleich. Der Offizier im letzten ohnmächtigen Ringen unter seinem riesenstarken Feind liegend, hatte in dem Strickgürtel desselben das lange Messer gefühlt, dasselbe durch eine glückliche Bewegung, als der Steinbrecher zum zweitenmale seine Faust auf ihn niederschmetterte, herausgerissen und ihm gerade ins Herz gestoßen.

Das Messer lag neben ihm, der tote Feind gleichfalls. Aber auch der Sieger rührte sich nicht mehr, und Blut bedeckte sein Gesicht, die Faustschläge des Mörders hatten ihn getötet oder vollständig betäubt.

Der Fossoyeur hielt sich nicht bei einer langen Untersuchung auf, sondern kniete neben dem bewegungslosen Körper nieder, faßte nach seiner Brust und zog das Portefeuille aus der inneren Tasche des Rocks, das seine Habgier erregt hatte.

Seine Augen funkelten unter der Kapuze in dämonischem Frohlocken, als er es an sich drückte und aufstand. »Nebukadnezar, großer Neb! wirst keinen mehr totschlagen! Schade, schade um die schönen Leichen! aber fünftausend Franken sind besser!« Er sah in der Küche umher und auf die drei auf dem Boden liegenden Körper. Dann ging er bedächtig zu dem Kamin, griff auf dem Rand umher, bis er das Goldstück fand, beliebäugelte es und steckte es behaglich in die Tasche.

»Ein braver Kerl! Guter Kunde, hat richtig Wort gehalten! Aber was thu' ich mit dem da? Schade, schade, wäre ein Fressen für die Doktors gewesen, der Nebukadnezar! Muskeln wie Stahl und einen Leib wie ein Elefant! Hätten mindestens sechzig Franken dafür geben müssen!«

Er stieß mit dem Fuß in das Feuer, bis die Kohlen aufs neue in die Höhe loderten, dann nahm er den längsten Brand und ging damit nach der Kammer der Haushälterin. »'s ist das Beste,« murmelte er, »wer kann sagen, was geschehen, wenn der alte Narr, der Einarm, zurückkommt und nichts findet als Kohlen, nichts als Kohlen. Ho ho! Schön zu wärmen, schön zu wärmen!«

Einen Augenblick nachher kam er zurück. Er überlegte kurz, ob er nicht vorher noch die Hausgelegenheit einer kleinen Plünderung unterwerfen sollte, aber es schien ihm doch rätlicher, sich aus dem Staube zu machen; denn aus der Kammer der alten Frau, wo er den Feuerbrand in das Bett geworfen, drang bereits Rauch und Qualm. Aber indem er eben nach der Thür schlich, hörte er hinter sich kreischen: »Mord! Mord! haltet den Dieb!« und eine Hand faßte seinen Rock.

Es war die Haushälterin, die von dem Falle wieder zu sich gekommen ohne Überlegung in der Todesangst aufs neue um Hilfe schrie.

Der Fossoyeur wandte sich nach ihr um, er begriff, daß ihr Geschrei trotz der Einsamkeit der Gegend in Verbindung mit dem Brande ihm Verfolger auf den Hals hetzen und die sichere Beute entreißen könne. Er warf sie zu Boden, kniete ihr auf die Brust und würgte sie.

Nur der Schein der verglimmenden Kohlen und der rote Qualm, der aus der offenen Thür der Kammer schlug, beleuchtete diese letzte Scene des Morddramas.

In diesem Augenblick schlug eine helle jugendliche Stimme an das Ohr des Fossoyeurs: »Herr Gott! unser Haus brennt! Hilfe! Hilfe!«

Es war Jacques, der den Trägern der Mortelle vorausgeeilt war, um in dem Häuschen seines Vaters die Aufnahme der armen Toten vorzubereiten.

Der junge Mensch riß die Thür auf und blieb voll Entsetzen einen Moment auf der Schwelle stehen. Der Luftzug fachte die Flamme hoch auf, und in ihrem Schein sah er zwei blutige Körper am Boden und die dunkle Gestalt des Fossoyeurs, der hastig sich von der halb erwürgten schreienden Frau erhob und die Stufen zu dem Gange hinauf floh, der zu dem Zimmer des Kapitäns führte.

Dann, wie der Jagdhund hinter dem Wild, stürzte der Gamin hinter der schattenartigen Gestalt her mit dem Geschrei: »Diebe! Mörder! Haltet ihn!«

Bei der Verhaftung seines Bruders hatte er in der Überraschung nicht an das Terzerol gedacht, das er aus der Wohnung mitgenommen; jetzt aber hatte er rasch die Hand unter seiner Blouse, und im Augenblick, da er die dunkle Gestalt des Fliehenden sich aus dem Fenster des Zimmers stürzen sah, knallte sein Schuß hinter ihr drein.

Aber er hatte keine Zeit zur weitern Verfolgung oder sich um das Resultat des Schusses zu kümmern, denn vor dem Hause ertönte jetzt der gellende Ruf mehrerer Stimmen: »Feuer! Feuer!« und der Dampf und Qualm schlug bereits bis zu dem Zimmer, in welchem er sich befand. Indem er nicht wußte, ob es nicht vielleicht galt, noch seinen Vater zu retten, stürzte er zurück nach der Küche, aus der die Träger der Leiche eben die kaum wieder zu sich gekommene alte Frau und den bewußtlosen blutenden Fremden schleppten.

Er sprang in die Kammer des alten Invaliden, sie war leer! Er rief seinen Namen in Todesangst, erhielt aber keine Antwort. Die Glut der jetzt hoch aufschlagenden Flamme zeigte ihm, daß der am Boden liegende Tote wenigstens nicht sein Erzeuger war!


Undurchdringliche, absolute, wie ein Gewicht lastende Finsternis ringsumher.

Nur das leise Rauschen der Fontäne machte diese schreckliche Grabesstille noch unheimlicher.

Und ein Grab war es in der That, das Grab ganzer Geschlechter, die hier ihre ewige Ruhe gefunden.

Ein leiser Seufzer hallte durch das Totengewölbe, dann ein zweiter, dritter, ein stärkerer Odemzug, Leon von Miron, der Geldbaron, erwachte aus seiner Ohnmacht.

Als er zuerst die Augen aufschlug und in die undurchdringliche Finsternis um sich her starrte, glaubte er, er sei blind oder im Schlaf; erst der Schmerz seines zerschlagenen mit Blut unterlaufenen Gesichts führte ihm die Erinnerung zurück.

Er besann sich auf das Geschehene, auf die Forderung, wie er nach der Barriere gekommen, auf das Erscheinen der Polizei, seine gewaltsame Entführung, den schrecklichen Weg, auf das Duell – –

Dort, ja, das Rauschen war das Wasser der unterirdischen Fontäne, an der er gestanden.

Allmächtiger Gott! er war in den Katakomben – und allein! Der übermütige blasierte Dandy, der hochmütige Millionär fühlte, wie das Haar auf seinem Kopfe sich sträubte und eine schaurige Kälte durch seinen Leib rieselte.

Er hatte sich aufrecht gesetzt, aber er wagte anfangs nicht einmal, sich weiter zu erheben, ja er wagte nicht einmal zu schreien, um das Echo dieser Totengewölbe nicht zu wecken, das noch schrecklicher sein mußte, als die absolute Stille. Die gräßliche Umgebung schien aus der Erinnerung des Fackelscheins von vorhin wie mit Tageshelle um ihn zu stehen, und der Gedanke an die Totengebeine umher machte das Mark in den seinen erstarren.

Er wußte nicht, wie lange er hier gelegen, ob Stunden, ob Tage. Er fühlte nach seiner Uhr, aber er wagte nicht, sie repetieren zu lassen. Endlich kroch er bis zum Rande der Fontäne und kühlte mit dem Wasser sein brennendes Gesicht.

Er dachte an alles mögliche, an die Guerin und sein Opfer, an seine Pferde und seinen Jockey, an den alten Geldwucherer seinen Vater und die glänzenden Säle und Kreise, in denen er sich übermütig zu bewegen gewohnt war, an den Grafen und die Oper, an seine Hochzeit und …

Plötzlich fiel ihm ein, daß er hier so gut wie lebendig begraben sei und ein entsetzliches Geschrei entrang sich seiner Brust.

Es war, als ob der Ton einen schweren Bann von ihm nehme, denn er wiederholte das Geschrei nochmals mit aller Kraft seiner Lungen: »Hilfe! Hilfe!«

Es wäre für ein menschliches Ohr gräßlich gewesen, dieses Angstgeschrei anzuhören, aber es hörten es nur die Toten.

Endlich verstummte er – die Kraft seiner Lungen war zu Ende.

Nun kamen wieder die Gedanken – die Überlegung. Er fühlte, wie die entsetzliche Furcht, eine wahnsinnige Furcht, daß er allein hier sterben müsse, gleich einem Vampyr sich kalt an sein Herz saugte, und er nahm alle Kraft zusammen, um dagegen zu kämpfen und über seine Lage nachzudenken.

Zuerst erinnerte er sich, daß er in einem Teile der Katakomben sich befand, der zu den bekannten gehörte. Wenn er auch damals, als er die Tochter Samsons aufgesucht, nur bis in die Vorhalle des unterirdischen Reichs gekommen, er wußte, daß die schreckliche Quelle, deren Rauschen er neben sich hörte, nur einige hundert Schritt weit von dem Eingange lag.

Sein Verschwinden mußte sicher seine Freunde auf die Annahme führen, daß er in die Katakomben geschleppt worden sei.

Man würde also kommen, ihn zu suchen, ihn oder seine Leiche – seine Leiche! er entsetzte sich bei dem Gedanken.

Aber wann?

Warum war man nicht jetzt schon gekommen, ihn hier zu suchen? Er hatte doch in den letzten Augenblicken vor der Katastrophe das Nahen seiner Freunde gehört, er hatte selbst ihre Stimmen vernommen mit dem geschärften Ohr der Angst, und das allein hatte ihm den Mut gegeben, sich dem Kapitän zu stellen. Wo waren sie? Warum waren sie nicht hierher gekommen? Verfolgten sie vielleicht seine entflohenen Gegner? Die Polizei war doch so gut von ihm bezahlt worden und hatte eine noch bessere Belohnung zu erwarten! Montboisier würde sicher darauf dringen, ihn zu suchen – aber – – war es nicht gerade Montboisier gewesen, der ihn an den Kapitän verraten? Wollte nicht auch Montboisier seine Schwester heiraten, und hatte er es nicht verhindert? Verdoppelte sich durch seinen Tod nicht ihr Vermögen?

Die Angst, alle die quälenden Ideen eines schlechten egoistischen Charakters begannen ihn aufs neue zu verwirren. Er fühlte durch alle diese Besorgnis hindurch, daß, wenn er nur auszuhalten vermöchte, in Zeit von wenigen oder vielen Stunden seine Lage sich ändern müsse, denn bis hierher an die Stelle, wo er sich befand, mußten die Aufseher oder Fremden öfter kommen.

Aber er fühlte auch, daß es ihm unmöglich sein werde, so lange geduldig zu warten, daß er vor Angst und Grauen vorher sterben werde.

Ein Tod aus Furcht! mitten zwischen den Toten, wie entsetzlich mußte das sein!

Er raffte seine Erinnerung zusammen, er wußte ganz deutlich, daß der Eingang der großen Galerie sich auf der Seite der Fontäne befinden müßte, auf der er saß. Er hatte ihn zwar bei dem kurzen Lichtkreis, den die Fackeln seiner Entführer warfen, nicht gesehen aber er erinnerte sich, daß von jener Seite das Geräusch, die Stimmen gekommen waren. Wie wenn er sich in dieser Richtung fortschleppte – nur immer gerade aus, dann mußte er ja an den Eingang kommen; er war vielleicht offen, jedenfalls konnte von dort seine Stimme am ersten ein menschliches Ohr erreichen und ihm Hilfe herbeiführen! dort war Leben – Luft – Licht! – – Er mußte es wagen!

Dennoch trennte er sich nur ungern von dem Rauschen der Fontäne; es kam ihm jetzt nicht mehr so grauenvoll, vielmehr wie etwas lebendiges in der entsetzlichen Öde vor. Er beschloß, mit der größten Vorsicht fortzuschreiten und immer nach dem Geräusch zurückzuhorchen.

Noch einmal orientierte er sich; er bedachte nicht, daß der Kreis des Bassins von vornherein nur einen sehr unbestimmten Anhalt für eine bestimmte Richtung geben könne, daß ein gewohntes Geräusch noch lange in den fieberhaft erregten Nerven des Ohrs forttönt, auch wenn es faktisch längst nicht mehr gehört wird. Er that den ersten Schritt, den zweiten – dann ging er langsam immer weiter und weiter.

Das Geräusch des Wassers blieb hinter ihm, aber er hörte es doch.

Plötzlich stieß er mit der Schulter und Kopf an einen Gegenstand, er streckte unwillkürlich die Hand aus, es rasselte neben ihm, über ihn her kollerten Schädel und Gebeine, die gräßlichen Knochen berührten das Fleisch seiner Hände, seines Gesichts, das noch warme lebendige Fleisch!

Mit einem Schrei der Angst sprang er zurück und floh, wieder und wieder stieß er an die Knochenwand, und wieder und wieder rasselte es über ihn her von den hundertjährigen Totengebeinen; sie schienen um ihn lebendig zu werden, die grauenhaften Besitzer des unterirdischen Reichs schienen den Eindringling, den Störer ihrer Ruhe zu verfolgen und mit den Knochen und Schädeln hinter ihm drein zu werfen; eine entsetzliche gespensterhafte Jagd.

Und dazu die absolute, die dichte Finsternis!

Er floh und floh, jede Richtung hatte er längst verloren, zuletzt kroch er nur noch auf Händen und Füßen weiter, bis er mit dem Kopf und den Händen an eine jener gräßlichen Wände stieß, aufs neue emporsprang, und mit einem Geheul der Angst weiter taumelte.

Endlich waren trotz der Anspannung der Nerven seine physischen Kräfte erschöpft, und er sank regungslos auf den Boden.

Seine Brust hob sich keuchend, seine Sinne begannen sich zu verwirren, vor seinen Augen war es Licht ringsum, er erinnerte sich von den berühmten Bildern in Deutschland, den Totentänzen, gelesen, ja selbst einmal ein solches auf seinen Reisen gesehen zu haben, und jetzt formten sich die Schädel und Knochen zu Gestalten, zu Männern, Frauen und Kindern, mit prächtigen Gewanden und Lumpen behangen, zu Fürsten und Bettlern, zu Buhlerinnen und tapfern Soldaten. Alles, was er je von dem unterirdischen Labyrinth und seinen Bewohnern gehört hatte, kam ihm in Bildern und Gestalten in die Erinnerung, und diese Gestalten tanzten in schaurigen Reigen um ihn her, auf und nieder, von der Decke bis zum Boden, in wilden, sinnverrückenden Sprüngen.

Immer gewaltiger und gewaltiger schwillt die Zahl der Toten, immer wilder, phantastischer wird der tolle Cancan der Gräberwelt um ihn her! Er preßt die Hände vor die Augen, aber durch die Hände hindurch sieht er die entsetzlichen Gebilde. Er versucht zu beten – aber wann hätte der blasierte Thor, der nur den Gott des Goldes kannte, das Wort gefunden zu jenem Gott, der die Gräber öffnet, um die Müden nach ihrer Ruhe zur ewigen Verklärung zu rufen!

Der Bankier begann zu fühlen, wie Nerv auf Nerv in seinem Kopf riß, wie seine Vernunft wich und der finstere schreckliche Wahnsinn die feurigen Krallen in sein Gehirn schlug.

Da – hatte der Hahn gekräht, daß der teuflische Spuk verschwand? – dämmerte die Morgenröte am Horizont, daß die schrecklichen Gespenster zu ihren dunklen Gräbern zurückflohen?

Aber es war ja Nacht um ihn, tief unter der Erde, wohin kein Hahnenschrei, kein Strahl der Morgenröte dringen konnte. Dennoch war es wirklich ein Geräusch, der Ton einer Stimme, der Tritt eines Fußes, dennoch brach sich wirklich an jenen Schädelwänden der Widerschein eines näher kommenden Lichts!

Die Zeichen der Wirklichkeit verscheuchten im Nu die wirren Gestalten der schrecklichen Phantasieen.

Der Unglückliche, bereits halb Wahnwitzige, richtete sich auf seinen Knieen empor, der Gedanke an Tageslicht, an Rettung, blitzte noch einmal durch sein verstörtes Hirn.

Aber die Erscheinung der Wirklichkeit – – und er fühlte, er wußte, daß solche vorhanden, war wo möglich noch grausiger, als die der vorangegangenen Phantasieen.

Der Lichtschein kam näher und breitete sich heller und weiter aus. Der Bankier erkannte in diesem Schein, daß er sich in einem ziemlich weiten und niedern Gewölbe befand, von dem einzelne nur wirr auf einander geworfene Knochenhaufen bewiesen, daß es nicht einmal zu den gangbareren bekannteren Räumen des unterirdischen Kirchhofs mit ihrer geordneten schrecklichen Tapezierung gehörte.

Endlich zeigte sich das Licht selbst, eine Fackel, seinen Augen und der, der sie trug.

Miron hatte zuerst, als er sah, daß der Lichtschein wirklich von nahenden Menschen kam, sofort um Hilfe schreien wollen, um sie herbeizurufen, aber der Laut stockte ihm in der Kehle, und er bückte sich unwillkürlich zusammen hinter dem Knochenhaufen, der ihn verbarg, als er die seltsame Erscheinung sah, welche die Fackel trug.

Es war eine dunkle Figur, ein Mann in einem langen schwarzen Rock, über den Kopf eine schwarze Kapuze, die das ganze Gesicht verhüllte und nur für die Augen und den Mund eine Öffnung ließ. Sein Gang war schwankend und langsam; von Zeit zu Zeit blieb er stehen und preßte die Hand stöhnend auf seine Seite, dann schleppte er sich wieder vorwärts.

Als die seltsame Gestalt näher kam, konnte der Bankier in dem Schein der Fackel erkennen, daß die Hand, wenn jener sie von seiner Seite zurückzog, mit Blut bedeckt war.

Der unheimliche Wanderer kam heran, und schien seinen Weg gerade nach der Stelle zu nehmen, wo Miron versteckt lag. Ein Schauder des Entsetzens überlief diesen, er wußte kaum, ob er noch träumte oder einen wirklichen Menschen vor sich sah.

Am Eingang des Gewölbes blieb der Unheimliche nochmals stehen, und hob die Fackel in die Höhe, als wolle er den Ort beleuchten.

»Hi hi! ho ho! 's ist richtig! 's richtig! Hier werden sie mich nicht finden und das Geld ist sicher, selbst der Nebukadnezar kann seinen Teil nicht holen, er ist mein! mein! wenn die verfluchte Kugel nur nicht wäre! vermaledeit sei die Höllenbrut, die sie schoß!«

Er blieb wieder stehen und wandte und krümmte sich wie ein Wurm vor Schmerz, dann schleppte er sich weiter.

Erst glaubte der zitternde Bankier, der Unhold käme direkt auf ihn zu, und er fühlte eine Art Befriedigung und Erleichterung seiner Angst, als er ihn sich dem nächsten Knochenhaufen zuwenden, die Fackel in den Moder bohren und an dem gräßlichen Ort sich niederkauern sah.

»Wenn ich nur das Blut stillen könnte, das Blut!« murmelte der Schwarze. »Ich habe niemals das Blut leiden mögen, von meinem Oheim her, der des Bluts so viel sah unter dem häßlichen Messer, königlich Blut von Edelleuten und Bettlern, das beste und schlechteste Blut von Frankreich, bis es ihm selber zu viel war! Ins Wasser mit dem Kadaver oder die Hand auf den Mund, daß er nicht schreien kann, so lob' ich mir's! Das bringt Geld, das bringt Geld und die Doktoren fragen nicht darum, wie bei einem Messerstich oder einem zerspaltenen Schädel! – Au! die Satansbrut hat gut getroffen! Zum Henker, von dem ich stamme! ich will nicht am Blute sterben, ich will das Gold sehen und die blitzenden Steine, das wird diesen Gliedern wieder die alte Kraft geben!«

Mit fieberhafter Hast begann er die Gebeine und Schädel beiseite zu wühlen, und rechts und links zusammen zu häufen. Dann zog er aus dem Loche, das er so in dem Knochenhaufen gemacht, einen ziemlich großen Sack hervor und schüttete ihn vorsichtig vor sich aus.

Gleich als könne er in der Verhüllung nicht genug die gierigen Augen an dem Metall laben, riß er die Kapuze von seinem Kopf. Die Bewegung entriß ihm einen Schmerzensschrei, aber der Anblick schien ihn sogleich alles andere vergessen zu machen.

Der Versteckte hatte mit Entsetzen das totenbleiche vor Schmerz und Gier verzerrte Gesicht des Fossoyeurs erscheinen sehen, den er übrigens nicht kannte.

Seine Neugierde wurde unwillkürlich durch die Gebärden und Worte des Katakombenwächters auf die Gegenstände gerichtet, die dieser aus dem unheimlichen Versteck gezogen.

Das Licht der Fackel glänzte auf einen Haufen von Goldstücken, es spiegelte sich in den bunten Reflexen von glänzendem Schmuck und kostbaren Edelsteinen.

Der Kennerblick des Bankiers überschlug den Wert der hier aufgehäuften Gegenstände auf eine nicht geringe Summe, auf mindestens 150 000 Franken.

Der Fossoyeur hatte aus der Tasche seines Rocks ein Portefeuille geholt und nahm aus demselben die Bankscheine, die am Morgen der preußische Offizier auf den Kredit, den ihm der Haciendero eröffnet, aus der Bank von Rothschild entnommen hatte. Er betrachtete die Papiere mit einem gewissen Ausdruck von Verachtung.

»Geld! Geld!« murmelte er, »zehntausend Franken, fünfhundert prächtige Goldstücke! wie das blitzt und wohlthuen wird, wenn die Hand sie erfaßt! Hei – was soll der Fossoyeur mit dem Papier? Aber vorsichtig, daß niemand etwas merkt!«

Mit der Gier des Geizhalses begann er seinen verborgenen Schatz zu zählen, aber mitten in seinem gierigen Vergnügen wurde er schwächer und schwächer, und der Leib knickte in einander und sank zurück. Er stützte die Linke auf den Boden und begann mit der Rechten seinen Schatz unter großen Schmerzen wieder in das schaurige Versteck zu scharren. Die Brieftasche, die er entwendet, schleuderte er, nachdem er die Banknoten herausgenommen, in die Nacht des Gewölbes.

»Wie es schmerzt und brennt! wie es schwarz wird vor meinen Augen! Ho ho! sollte der Tod es sein, der Tod, den das Geschlecht Samsons so oft gegeben? Ich will nicht sterben – ich will nicht! Niemand soll mein Gold haben und die hübschen lieben Steine mit ihren roten und grünen Augen! Die Mortelle braucht's nicht und der Bursche – möge die Pest seine Gebeine verzehren! Mein ist das schöne Geld, mein, mein, und auch der Knochenmann soll mir's nicht nehmen!«

Mit wütender Hast arbeitete er an dem Wiederverbergen seines Schatzes, aber jeden Augenblick mußte er inne halten, denn mit dem rinnenden Blut entwich seine Lebenskraft.

»Fluch der Höllenbrut! wie das brennt! das ist der Tod! Hilfe! Hilfe! schafft den Doktor! den Doktor!«

Er hatte sich in dem entsetzlichen Ringen der entweichenden Lebenskraft aufgerafft, er taumelte auf den Platz zu, wo der Bankier verborgen lag.

Ein unwillkürlicher Laut der Angst entschlüpfte diesem.

Einen Augenblick stutzte der Katakombenwächter, dann stürzte er mit der Wut des in seinem Nest überraschten Tigers auf die Stelle zu, von der jener Laut gekommen.

Seine riesenkräftige Faust ergriff den Entsetzten und riß ihn hervor in den Kreis des Fackellichts.

»Ein Mensch! ein lebendiger Mensch! Fluch der Satansbrut! Ist das Grab selbst nicht mehr sicher vor ihnen? Du willst mich morden. Du willst mich bestehlen, aber der Fossoyeur hat noch Kraft in seinem Arm, daß Du Dein schändliches Gelüst büßen sollst!«

Die krallenartigen, langen Finger des Katakombenwächters umspannten den Hals des Erschrockenen.

»Lassen Sie mich los! ich habe nichts gethan, ich bin durch Zufall hier,« beteuerte der Bedrängte. »Ich will Ihnen Geld geben, zwanzigtausend Franken, fünfzigtausend Franken, wenn Sie mich aus dieser Hölle befreien!«

»Hi hi, ho ho!« lachte der Fossoyeur – »wo sind meine Ratten? Die Beute ist da! Goldne Berge, goldne Berge und nichts dahinter als Knochen! Sterben mußt Du, sterben mußt Du, weil Du das Geheimnis des Gräbermanns weißt!«

Der Bankier bot alle seine Kraft auf und schleuderte den Verwundeten von sich, daß er taumelnd zu Boden stürzte.

Aber immer und immer wieder, wenn auch jedes Mal schwächer vom Blutverlust, raffte der Sterbende sich auf und fiel mit Nägel und Zähnen über den Feind her, der seinen einzigen Gott, sein Gold entdeckt. Sein gellendes: »Hi hi! Ho ho! Diebe!« klang von den Gewölben wieder und mischte sich in den Hilferuf seines Gegners. Sie hielten sich umfaßt, sie rangen mit einander, sie wälzten sich auf dem Boden, auf den Haufen von Knochen; die krallenartigen Nägel des Unholds wühlten im Gesicht und rissen an der blutenden Kehle des Stutzers, seine Zähne schlugen wie die eines wilden Tieres in die Schulter, in die Arme desselben, während mit dem strömenden Blut aus der schlecht mit einem Taschentuch verbundenen Wunde das eigene zähe Leben dahinfloß.

Schwächer und schwächer wurde der eingetretene Kampf – ein grimmiges Stöhnen noch – »Mein Geld! mein Geld! Mörder! zu Hilfe, Mortelle! …«

Dann plötzlich wurde die eingetretene Stille durch ein wahnwitziges, wildes Gelächter unterbrochen, und einer der blutigen Kämpfer sprang empor, Gesicht und Leib zur Unkenntlichkeit mit Blut und dem Moder des unermeßlichen Grabes bedeckt.

Und wieder hallte das schreckliche, furchtbare Lachen und brach sich an den Wänden aus Schädeln und Knochen.


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