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4. Auf Wiedersehen, Rom!

Rom war gefallen! Am 30. hatte der Kampf um die Villa Spada noch fortgedauert, Manara hatte dort den Heldentod gefunden, aber jeder Augenblick zeigte, daß ein längeres Halten der dritten Linie unmöglich war, und die Regierung weigerte sich, jenseits des Tibers den Widerstand vorzusetzen.

Am Vormittag des 1. Juli war ein Parlamentär des Triumvirats ins französische Lager gegangen; um 11 Uhr schwiegen die feindlichen Geschütze.

Dreißig Tage lang hatte Garibaldi Schritt um Schritt das Trastevere verteidigt. An 300 Offiziere und 4000 Unteroffiziere und Soldaten waren bei der tapfern Verteidigung der Stadt getötet oder schwer verwundet. Namen, wie Daverio, Manara, Mafini, Dandolo, Morosini, die mit ihrem Leben die Verteidigung zahlten, werden in der Geschichte derselben unvergeßlich bleiben.

Während das Triumvirat mit dem Herzog von Reggio und dem Kardinal wegen der günstigsten Bedingungen unterhandelte, hatte Garibaldi jede Teilnahme daran verweigert und den Beschluß gefaßt, mit seiner Legion Rom zu verlassen und durch die Gebirge und die Feinde im mutigen Partisanenkrieg sich nach Venedig durchzuschlagen, wo Manin allein noch die italienische Trikolore aufrecht hielt.

Es war am 2. Juli, als die römischen Truppen sich über den Tiber mit klingendem Spiel zurückzogen. Die Piazza San Giovanni auf der Südwestseite war als Sammelpunkt für die bestimmt, die dem General folgen wollten.

Die Sonne näherte sich dem westlichen Horizont und vergoldete mit ihren Strahlen die mächtigen Konturen der ersten Kirche der Christenheit, die Begräbnisstätte von hundert Päpsten, in der die Häupter der Apostel Petrus und Paulus, der Stab Moses und Aarons aus der Stiftshütte aufbewahrt werden, der Kirche des Lateran.

Auf der weiten Piazza drängten sich Tausende von Menschen, um den Abzug der tapfern Verteidiger zu sehen. Um den Major Hoffstetter, den neuen Chef des Generalstabs Garibaldis, hatte sich eine Anzahl Offiziere versammelt, um die Dispositionen zu treffen. Eben rückte die Legion vom Colosseum her auf den Platz und stellte sich in Bataillonskolonne mit der Front gegen die Stadt, denn bei der jetzt offen erklärten feindlichen Haltung vieler obern Offiziere fürchtete man sogar den Versuch, mit Gewalt den Ausmarsch zu verhindern.

Auf den Gesichtern der Krieger lag schwerer Ernst. Für wie viele sollte sie noch Mühseligkeiten ohne Ende und den Tod bringen!

Trotz der Versprechungen der Regierung hatte man nur ein einziges Geschütz, einen Vierpfünder mit nicht dazu gehöriger Protze und vier Pferden Bespannung erlangen können; er stand an der Seite der Legion.

Unter der Menge hielt ein Reiter auf schönem englischen Vollblut. Das apathische Gesicht, der starke, hochblonde Backenbart, das matte Auge verkündeten den britischen Sonderling, den Viscount von Heresford, der zu seiner Unterhaltung die Verteidigung Roms mit angesehen. Einige andere Engländer und Fremde umgaben und trennten ihn von einer Gruppe Männer von wildem, trotzigen Aussehen in der Tracht der römischen Bergbewohner und wohl bewaffnet.

Auch Fra Pan, der dicke Mönch, befand sich unter dem Volk, und zwar mit seinem geliebten Esel, den er nach der wochenlangen Gefangenschaft im französischen Lager doch glücklich in einer Posada des Trastevere wieder gefunden hatte, zwar sehr abgemagert von der Gnadenkost, aber nicht weniger störrisch als früher.

Neben dem Mönch stand ein junger Mann mit dem spitzen Hut und der Jacke der Bewohner von Palestrina, eine frische, dunkelfarbige Dame am Arm.

Der Bruder Terminierer erzählte eben seiner Gesellschaft, mit der er auf dem vertrautesten Fuß zu stehen schien, von seiner Gefangenschaft und dem Heldenmut, mit dem er sich daraus befreit, als die gaffende Menge durch einen kleinen Zug unterbrochen wurde, der von dem Monte Celio daher kam und seinen Weg nach den öden Quartieren des Esquilin nahm. Es war eine dicht verhängte Krankensänfte, von vier Klosterknechten getragen und von mehreren anderen und einer ehrwürdig streng aussehenden barmherzigen Schwester begleitet. Der Orden hatte sich in der That zu viele Verdienste um die Pflege der Kranken und Verwundeten auch während der Belagerung erworben, als daß das Volk dem kleinen Zug nicht willig Platz gemacht hätte. Man hörte einzelne Ausrufe der Teilnahme, namentlich unter den Frauen, und als einer der Legionäre in der hinter der Sänfte folgenden verwachsenen Mannesgestalt den steten Begleiter der Samariterin vom Esquilin erkannte, die bei dem Sturm auf die Villa Corsini in ihrem heiligen Beruf verwundet worden war, verbreitete sich rasch der Ruf: Santa Fausta! Santa Fausta! Die Legionäre, wie von einem gemeinsamen Gefühl getrieben, präsentierten das Gewehr und riefen ihr Addio! Addio!

Der dicke Mönch schüttelte den Kopf. »Der heilige Pancratius möge mir die Kehle zuschnüren, daß nie wieder ein Tropfen Orvieto hinunterläuft,« murmelte er, »wenn ich das Ding begreife. Ich könnte Dir eine merkwürdige Geschichte erzählen, Peppo, mein Junge, aber ich werde mich hüten. Könnt' ich nur einen Augenblick das Gesicht des Weibsbilds da drinnen sehen, ob sie tot oder lebendig ist – die Kerle schreien, es wäre die Nonne Fausta, und ich …«

»Ihr wißt es sehr gut, würdiger Bruder,« sagte eine scharfe Stimme hinter ihm. »Es ist die fromme Schwester, welcher die Heiligen Genesung gewährten von ihrem schweren Leiden. Sie ist zu neuem Leben erwacht und, die Gnade Gottes erkennend und das Wunder, das er an ihr gethan, wird sie nach der Rückkehr in ihr Kloster zu dem Orden der Büßerinnen übertreten und niemals die Mauern ihres Asyls mehr verlassen. Sie ist eine Heilige schon auf Erden und möge für uns Sünder bitten.«

Der Mönch hatte sich bei dieser Einsprache umgedreht und wollte eben eine Antwort geben, als ein Blick in das Gesicht des Sprechenden ihm die Zunge zu lähmen schien. Der Mann trug die Kleidung eines kleinen Bürgers und ein breiter Strohhut bedeckte zum großen Teil sein Gesicht, aber zwei dunkle Augen fixierten aus dem Schatten so scharf und fest den schwatzenden Terminierer, daß dieser wie von einer Natter gebissen zurückfuhr.

»Ihr wißt, würdiger Bruder, daß es so ist?«

»So wahr mir Sanct Benedictus und Sanct Pancratius und Sanct Andreas in meinem letzten Stündlein helfen mögen, Ew … Herr, ich weiß, daß es so ist. Ich will zwanzig leibliche Eide darauf ablegen, daß die Frau da drinnen die Nonne Fausta, die barmherzige Schwester ist, die in San Pietro krank gelegen …«

»Und durch ein Wunder genesen ist,« fügte der andere hinzu. »Die Heiligen offenbaren ihre Macht, seit Rom von dem Antichrist wieder befreit ist.«

Der Mann nickte mit dem Kopf dem Bruder bedeutsam zu und verschwand in der Menge, Fra Pan aber schien für eine Zeitlang die Sprache verloren zu haben und als er wieder redete, sprach er von ganz andern Dingen, als der barmherzigen Schwester, deren Zug längst vorüber war.

Noch ehe dies jedoch geschehen, nahte sich der Reiter durch die Zuschauermenge dem kleinen Mann, der hinter der Sänfte herging.

» By Jove, Meister Michele,« sagte er spöttisch, »Ihr seid in der That ein treuer Amoroso, auch wenn die vom Tode Genesenen noch so undankbar gegen Euch sich benehmen, und nichts mehr von Euch wissen wollen. Aber vergeßt nicht, morgen früh um 6 Uhr bei mir zu sein, denn unser Reisewagen steht dann bereit!«

Der kleine Künstler nickte traurig mit dem Kopf. »Ich werde nicht fehlen, Mylord. Rom hat nichts mehr, was mich hält und die Luft des Nordens wird meinem kranken Gemüt gut thun.«

Aus den Vorhängen der Sänfte hatte sich bei der Annäherung des Lords die Spitze einer weißen, zarten Hand gestohlen und eine unruhige Bewegung war unter der schwarzen Hülle bemerklich; aber die alte Nonne schob die Gardinen sofort wieder zusammen, und die Sänfte wurde weiter getragen.

Der Viscount klemmte das Lorgnon in das matte Auge und sah ihr einige Zeit nach, dann wandte er sich nach dem Lärm der andern Seite, wo unter klingendem Spiel eben ein Bataillon der römischen Nationalgarde heranmarschierte und hinter der Legion aufschwenkte.

Der Raum zwischen den Zuschauern hatte sich jetzt mit Soldatengruppen gefüllt. Reitertrupps, meist frühere Dragoner, unter den Majoren Müller und Migliazzo und dem Südamerikaner Bueno, etwa 400 an der Zahl, hatten sich bei dem Geschütz aufgestellt, kleine Abteilungen der Finanzieri und anderer Freiwilligen wurden von den Hauptleuten Pilhes, Sisco, Stagnetti und Torizelli geordnet. Hauptmann Montanari und die Leutnants Jourdan und Ganuzzi waren bemüht, auf die Anweisung des Majors Hoffstetter die Reihenfolge festzustellen.

Plötzlich zeigte das von der Ferne her herandonnernde Evviva der Volksmenge das Nahen des beliebten und berühmten Führers an. Gleich der Lawine schwoll es im Herankommen immer mächtiger an:

» Evviva Garibaldi! Evviva republica!«

Auf seinem schwarzen Pferde, begleitet vom Oberst Marochetti und Hauptmann Cecaldy kam der General langsam herbeigeritten. Sein Gesicht war ernst und traurig, aber er grüßte freundlich dankend das Volk nach beiden Seiten, während es ihm Bahn machte. An seiner Seite in dunkelgrauem Amazonenkleid, den weiten Kalabreser mit der schwarzen Straußfeder auf dem Kopf, ritt auf ihrem Grauschimmel seine Gattin. Ein leichter Reitersäbel, den ihre Hand bereits in Amerika mutig geschwungen, hing an ihrer Seite. Zwei Knaben aus Bologna auf kleinen korsischen Pferden und Kapitän François begleiteten sie.

Der General hielt mitten auf dem Platz, sein Feldherrnauge überflog die kleine Schar, die ihn auf seinem Heldenzuge begleiten wollte. Es waren alles in allem etwa 8000 Mann.

Major v. Hoffstetter war herangekommen. »Wo bleiben die Bersaglieri?« fragte der General hastig.

Der Offizier zuckte traurig die Achseln, indem er nach einer kleinen Schar der tapfern Soldaten Manaras wies. »Das ist alles, General, was sich uns angeschlossen hat. Baroni hat das Regiment zur Stadt geführt, die Offiziere weigern sich auf Rosellis Befehl, mit uns zu gehen.«

Ein Ausdruck schmerzlicher Enttäuschung überflog das Gesicht des kühnen Parteiführers.

»Also auch sie,« sagte er finster. »So machen sie es alle! Roselli, Masi, Pasi, Ghilardi und Medici – ich sehe keinen von ihnen. Aber es ist bequemer zu ruhen und mit dem Todfeind Frieden zu machen, als Leiden und Strapazen mit ungebeugtem Mut entgegen zu gehen. Mögen Sie es einst nicht bitter bereuen!«

»Nicht alle bleiben zurück, General,« sagte eine tiefe Stimme hinter den Offizieren.

» Pruetti

»Ich bin's, General,« sagte der Volksmann, »und wenn Sie mich mit sich nehmen wollen, bei unserer Mutter, der Republik, ich und mein Sohn, wir wollen Freud und Leid, Mühen und Gefahren mit Ihnen teilen!«

Der Entschluß des Ciceruacchio, des bekannten Republikaners, der noch immer der Führer und Liebling der unteren Klassen war, erregte stürmischen Enthusiasmus unter dem Volk, und die Evvivas wollten kein Ende nehmen, als er das von seinem Sohn herbeigeführte Pferd bestieg.

Der General wandte das seine zur Front der aufgestellten Truppen. »Männer von Rom, tapfere Freunde und Kameraden,« sagte er, »Feigheit und Verrat geben diese Stadt in die Hände des Feindes. Der glänzende Tag unserer Freiheit war kurz, aber er wird in der Erinnerung leben, und es kommt die Zeit, wo die Tyrannen für immer besiegt sein und das freie Italien die grün-rot-weiße Fahne von dem Kapitol seiner Hauptstadt wehen lassen wird. Italien gehört der Freiheit und Rom gehört Italien. So lange Giuseppe Garibaldi lebt, wird er dafür streben und kämpfen! Darum fort mit dem Vertrag mit den verräterischen Franzosen! Wer bleibt, der genieße feige Knechtschaft! wer mir folgen will, dem biete ich Mühseligkeiten, Hunger, Durst und alle Gefahren des Krieges – aber die Freiheit!«

Ein donnerndes Evviva aus tausend Kehlen antwortete der begeisternden Anrede des Generals. Die Soldaten schlugen ihre Waffen zusammen und schworen, wohin er sie auch führe, bis zum Tode ihm folgen zu wollen.

Der General schwang den Säbel – es war das Signal zum Abmarsch. Die Trompeter der Dragoner bliesen, die Trommeln rasselten und die Kolonne, einen Trupp Reiterei an ihrer Spitze, setzte sich in Bewegung.

In diesem Augenblick spornte der englische Viscount sein Pferd und ritt dem General entgegen. Dieser reichte ihm die Hand.

»Leben Sie wohl, Mylord, und haben Sie Dank für Ihren Beistand. Ich rechne auf Sie in der Zukunft.«

Der Viscount hielt sein Pferd nahe zu ihm. »Lord Minto hat die Diamanten,« sagte er leise, »die Sie mir gestern anvertraut. Er hat sie geteilt bei verschiedenen Juwelieren der Stadt schätzen lassen; ihr Wert, General, beträgt zehn Millionen. Wenn ich in London bin, werd' ich sie an der Bank deponieren, bis Sie darüber bestimmen. Mit zehn Millionen, Sir, können Sie, wenn die Zeit gekommen, ganz Italien in Flammen setzen!«

»Dann wird Italien seine Freiheit nicht dem Arm Garibaldis, sondern dem Erbe eines armen Negers verdanken!«

»Alles Gold Europas, alle Diamanten Brasiliens könnten sie ihm nicht kaufen,« sagte der Lord ernst, »wenn Söhne wie Sie ihm fehlten. Leben Sie wohl, Sir, und Sie, Mylady! Ich hoffe, in England und in einer bessern Zeit sehen wir uns wieder.«

War es eine jener Ahnungen, die unwillkürlich die Seele überfallen und die Pforten der Zukunft öffnen, oder die Bewegung des Abschieds von der Stadt, wo sie zu jeder Stunde für das Leben des Gatten gezittert hatte – die schöne Kreolin schüttelte traurig das Haupt. »Leben Sie wohl, Sennor! Aniella Garibaldi wird ihr zweites Vaterland nicht verlassen!«

Und sie verließ es nicht; es ist bekannt, daß sie auf dem zuletzt zur Flucht unter tausend drängenden Gefahren gewordenen Zuge ihres Gatten bei Ravenna den Anstrengungen und den Folgen einer zu frühen Niederkunft unterlag.

Menschenmenge umringte die abziehenden Reste der heldenmütigen Armee und rief derselben noch Abschiedsgrüße und Glückwünsche zu. Die Frauen wehten mit ihren Tüchern und Schleiern, die Männer stürzten in die Reihen der Soldaten und umarmten sie unter Thränen.

Auch das Bataillon der Nationalgarden, das sich auf dem Platz aufgestellt, blieb zurück; es war nur gekommen, den scheidenden Verteidigern die letzte Ehre zu erweisen.

Die Kolonne passierte das Thor von St. Giovanni, auf den Kuppeln des Lateran glänzten die scheidenden Strahlen der Sonne.

Als letzter im Zuge verließ der General die Stadt. An der Porta wandte er noch einmal das Pferd und warf einen langen Blick zurück auf die ewige Stadt.

Er hob den Säbel und winkte hinüber:

» Auf Wiedersehen, Rom

Schluß des ersten Bandes.


Herrosé & Ziemsen. G.m.b.H. Wittenberg.

 


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