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3. San Pietro in Montorio.

Es war eine Stunde später, nahe an Mitternacht.

Wo die Villa Corsini an den Weg stößt, der vom Kloster San Pancrazio zur Porta des gleichen Namens führt, war ein unheimlich Leben und Drängen.

Truppen-Abteilungen rückten mit eiligem, aber stillem Schritt vom Hauptquartier her, formierten sich in Kolonnen und harrten in strengem Schweigen, Gewehr am Fuß, der weiteren Befehle. Adjutanten und Ordonnanzen jagten umher und instruierten die Abteilungs-Kommandeure.

Wie eine dichte, unheimliche Wolke schien die nahe Stunde der Entscheidung über den Kriegern zu hängen.

Zwei dunkle Gestalten, in französischen Kapots gehüllt, kamen mit hastigen, aber vorsichtigen Schritten die Straße vom Kloster herauf. Sie hielten sich sorgsam im Schatten, mengten sich aber hier und da unter die ihnen den Weg versperrenden Truppen, sprachen, wenigstens der eine, flüsternd mit ihnen und verfolgten unaufhaltsam ihren Weg.

Der eine der beiden war von schwerfälliger Figur und konnte nur keuchend seinem jüngern schlanken Gefährten folgen. Zuweilen entwischte ihm dabei eine leise Verwünschung in fremder Sprache, aber der jüngere Mann unterdrückte sie sogleich und drohte, ihn zu verlassen.

Durch das Dunkel der Nacht begünstigt und gerade infolge ihres bei aller Vorsicht kecken Auftretens waren sie bereits durch die nächtliche Truppen-Aufstellung und auf den Weg, der an den Trümmern des Vascello hin zwischen dem Gianiculo und dem Tre-Anchi hinauf nach der Porta Cavalleggieri führt, gekommen, der in diesem Augenblick frei von Truppen war und den der Jüngere hastig entlang eilte, als sein Gefährte an einer der Gartenmauern keuchend stehen blieb und sich auf einen dort liegenden Stein niederließ. Der andere war sogleich wieder bei ihm.

»Akuschla, Liebling, möge Eure Seele im Fegefeuer schwitzen, wie ich auf diesem Weg!« keuchte der Dicke. »Die heilige Madonna möge mir vergeben, daß ich so thöricht gewesen bin, mich von einem solchen Tollkopf beschwatzen zu lassen zu solch albernem Unternehmen!«

»Aber, würdiger Frater, galt es nicht Eurer Freiheit so gut wie der meinen?« erwiderte heftig, aber leise, der Jüngere. »Hab' ich Euch nicht selbst erzählen hören im Lager an jeden, der es vernehmen wollte, wie tapfer Ihr für die römische Freiheit gekämpft? welche Heldenthaten Ihr verrichten wolltet, wenn Ihr nicht so schändlich gefangen gehalten würdet, und daß General Garibaldi Euch volles Vertrauen geschenkt und die Führung der Volksbewegung übertragen habe?«

» Eheu! so ist es, so ist es, mi fili! Es ist Unrecht von mir, daß ich selbst meine Verdienste herzähle, aber wir sind schwache Menschen und diese Eselsköpfe von Franzosen glauben alles. Aber ich bin dennoch ein Narr gewesen, daß ich sie verlassen; denn sie sind bei all ihren Lügen lustige Burschen, sie verstehen vortrefflich zu fouragieren und lieben ein gutes Lied. Ich sage Euch, wenn ich ihnen das von dem Kapuziner und der Nonne vorsang, die Primadonna im Argentina oder della Valle könnte nicht größern Beifall haben.« Und er begann mit heller Stimme einen obscönen Gassenhauer anzustimmen:

»Der Mönch und die Nonne sind lustig und frei« …

»Schweigt still, oder ich stoß' Euch mein Messer durch die Kehle, Ihr betrunkener Schuft,« flüsterte der junge Mann und drückte ihm die Hand auf den breiten Mund. »Willst Du die ganze Armee hinter uns drein hetzen? Der Satan hat mich geritten, daß ich so einfältig war, einem Kerl wie Dir zu vertrauen und ihn zur Flucht zu bereden, weil er prahlte, mit jedem Weg und Steg um Rom vertraut zu sein. Ich sehe, daß alle Deine Geschichten Wind gewesen, und die Franzosen Dich in irgend einer Weinschenke aufgegriffen haben, und nicht während Du Heldenthaten im Corsini verrichtetest!«

Fra Pan warf sich in die Brust. »Das lügst Du in Deinen frechen Hals hinein, Du verdammter junger Halunke, von dem kein ehrlicher Christenmensch ergründen kann, ob er ein Frösche fressender Franzose, oder ein welscher Spitzbube ist. Ich allein habe für meinen Freund Garibaldi die Villa erobert und mit dieser meiner Hand fünfundzwanzig, nein, fünfzig Franzosen zu Boden geschlagen. Und wenn ich's nicht that, so that es mein Esel, das arme Tier! Der Teufel hole die Bestie, daß sie mich in der Poterne abgeworfen. Wenn meine Geistesgegenwart nicht gewesen wäre, die mich zur Seite kugeln ließ, wo ich das Fäßchen mit dem Orvieto-Wein fand, ich glaube, die Halunkenbande hätte meinen geistlichen Leib als einen Tummelplatz für ihren verdammten Streit benutzt. Aber ich sage Dir, Jüngling, mein Grauer ist ein vortreffliches Tier, und der Gram könnte mir zehn Pfund meines Leibes kosten, wenn sie ihn etwa zu einer Salami gemacht haben sollten, von der mir die Schurken nicht einmal etwas gegeben haben!«

Der Mönch fing an, bitterlich zu weinen bei dem Gedanken, daß sein Esel zu Wurst verhackt sein könnte.

Der junge Mann stampfte ungeduldig mit dem Fuß. »Ich dächte, Ihr habt Euch jetzt genug erholt, Bursche, wollt Ihr nun kommen?«

Der würdige Terminierer machte einen Versuch aufzustehen, aber er sank sogleich wieder auf seinen Sitz zurück. »Wenn ich nur wenigstens einen Becher Wein hätte!« murmelte er.

Sein Gefährte sah mit Ärger, daß nichts mit dem Schlemmer anzufangen sei, dennoch konnte er ihn nicht verlassen, da er gänzlich mit der Gegend und den verworrenen Wegen unbekannt war. Zum Glück schoß ihm ein guter Gedanke durch den Kopf.

Er beugte sich nieder und that, als ob er den Stein untersuche, auf dem der Mönch saß. »Wißt Ihr, auf was Ihr sitzt, Fra Pan?«

»Hol' Dich der Henker! ich weiß nur, daß es hart genug ist für einen geplagten Mann wie ich!«

»Es ist eine Bombe und sie kann jeden Augenblick springen, nachdem Ihr sie so erhitzt habt!«

Der Terminierer hatte noch von dem Bombardement des Tages her einen heiligen Respekt vor allen Geschossen. Er sprang wie eine Feder von seinem Sitze auf und rannte wie toll davon, zum Glück auf dem Weg, der sie von der französischen Stellung entfernte.

Sein jüngerer Gefährte holte ihn endlich ein und zwang ihn stehen zu bleiben. Es war die höchste Zeit, denn soeben hörte man den Anruf einer französischen Schildwache und den Hufschlag von Pferden.

» Halte-là! qui vive?«

»Mazagran!«

» Passez!«

Die Reiter, es waren ihrer drei, hielten jedoch. Der die Parole gegeben, wandte sich zu der Schildwache.

»Weißt Du, ob der Herzog schon in der Villa Girandi eingetroffen ist?«

»Seit einer halben Stunde, mein Offizier. Ich sah den General vor der Ablösung.«

Die Reiter kamen langsam heran, der Sprecher erteilte offenbar seinen Begleitern wichtige Befehle.

Der junge Mann im Kapotrock hatte seinen dicken Gefährten in einen dunklen, von zwei Mauern gebildeten Winkel gedrückt und sich dicht an die Wand geschmiegt.

»Ich hoffe, Vaillant ist bereits im Besitz der Zeichnungen und Nachrichten, welche die Herzogin von Ricasoli und Montboisier diesen Abend über den Bau der zweiten Linie und die Besetzung der Stadtteile geschickt haben. Reiten Sie nach den Breschen, Kapitän Fromentin, und melden Sie dem Kommandierenden, er solle alles in Bereitschaft halten. Man soll, um den Feind zu täuschen, alle zehn Minuten einen Kanonenschuß thun. In einer Stunde wird der Angriff beginnen, der Überfall muß vollständig gelingen, da wir die Parole kennen. Hoffentlich fangen wir diesen Herrn Garibaldi selbst. Sie ist: La-Plata! das Feldgeschrei: San Dolores! ich reite nach der Villa, um dem Herzog den Vertrag zu überbringen!«

Einer der Begleiter kam in Galopp an den Versteckten vorbei und schlug den Weg ein, den sie gekommen. Die beiden andern Reiter folgten vorsichtig in der Dunkelheit im Schritt und schlugen einen Seitenweg zur Rechten ein.

Der Mönch stöhnte leise, als sie vorüber waren. »Uf! dem heiligen Benediktus sei gedankt, daß sie fort sind. Jetzt können wir gemächlich weiter gehen.«

Aber diesmal hielt ihn sein Gefährte fest. Der junge Mann zitterte vor innerer Erregung. »Still! keinen unnützen Laut,« zischte er. »Hast Du nicht gehört, daß fünfzig Schritt von hier Posten den Weg sperren? Jetzt, Mönch, nimm Deinen Verstand und Deine Erinnerungen zusammen. Weißt Du, wo wir uns befinden?«

»Sankt Peter kennt die Portierloge am Himmelsthor nicht besser. Es ist der Garten des Signor Bianchini, eines gegen unser Kloster wohlthätigen Mannes. Hab' ich doch im vorigen Herbst noch da drinnen mit seinem Gärtner fünf Flaschen vom letzten Jahrgang probiert!«

»Wo hinaus liegt der Wall, ich meine die Befestigung der Stadt?«

»Keine fünfhundert Schritt weit, wenn man quer durch die Gärten bis zum Fuß der Wälle gehen könnte.«

»Würdet Ihr Euch im Dunkel durch die Gärten finden können?«

»Muscha, versteht sich! wenn nur keine Mauern da wären!«

»Jetzt, Fra, höre mich an,« sagte der junge Mann entschlossen. »Ich muß in höchstens fünfzehn Minuten am Fuß jenes Walles und in der Stadt sein. Du wirst diese Mauern mit mir überklettern und mir den Weg zeigen.«

»Du bist verrückt, Jüngling, denkst Du, daß ich ein Seiltänzer bin, der halsbrechende Kunststücke auf den Piazzas macht?«

»Aber ich habe andere Dinge gethan, wenn der Orkan durch das Takelwerk der Itaparika heulte. Hier ist ein Strick, und hier ein Messer. Du wirst an jener Mauer auf meine Schultern steigen, und so ihre Höhe gewinnen. Dann hilfst Du mir mit dem Strick, und ich helfe Dir hinunter.«

»Es ist unmöglich, Jüngling. Diese Schufte von Gärtnern haben ihre Mauern oben mit Glasscherben und allerlei andern Nichtswürdigkeiten bedeckt!«

»Siehst Du das Messer?« sagte der andere. »Bei der Seele meiner Mutter, so wahr nur Gott helfe in meiner letzten Stunde, ich stoße Dir die Klinge durch den Hals, wenn Du nicht auf der Stelle gehorchst, Pfaff, und auch nur einen Laut von Dir giebst. Der General Garibaldi muß gewarnt und gerettet werden. Was ist unser Leben dagegen!«

Der Ton des jungen Mannes war so entschlossen, das Leuchten seiner Augen, selbst im Dunkel der Nacht sichtbar, so drohend, daß der Mönch nicht wagte, ihm zu widersprechen, und sich mit leisen Verwünschungen zu der Anstrengung entschloß. Sein Begleiter stemmte Kopf und Arme gegen die Mauer, und es gelang Bruder Pan, nach einigen Versuchen glücklich in die Höhe zu kommen, wo er jedoch bald durch einen Ausbruch des Schmerzes alles verdorben hätte, da er mit gewissen Körperteilen in der That in einige boshafte Glasscherben geriet. Nur die Furcht vor seinem Begleiter ließ ihn noch zu rechter Zeit seine Verwünschungen zu einem leisen Stöhnen ermäßigen. Einen Augenblick darauf war dieser bei ihm, ohne sich um die Verletzungen, die er davon trug, zu bekümmern, und warf den Mönch ohne weiteres von der Mauer hinab in das Innere des Gartens.

Es ging übrigens besser, als sie gedacht. Die einzelnen Verbindungsthüren waren sämtlich eingeschlagen oder verbrannt, und als der Mönch sich erst gehörig orientiert, gelang es ihm rasch vorwärts zu kommen, indem sie nur noch einmal gezwungen waren, eine Mauer zu überklettern, und sie sahen den Wall oder die Bastion bereits im Dunkel vor sich, als in dem letzten Garten ein leises Wimmern ihr Ohr traf.

Der junge Mann blieb sogleich stehen und näherte sich der Stelle, obschon ihn der abergläubische Mönch zurückzuhalten suchte.

Das Halblicht der Sommernacht ließ einen Mann erkennen, der am Boden lag und leise wimmerte.

»Gott sei Dank, daß endlich Hilfe kommt,« stöhnte er. »Ich dachte schon, ich müßte hier sterben und verwünschte die Thorheit, die mich solche gefährliche Botschaften übernehmen ließ. Ihr seid doch Franzosen, Freunde?«

Der jüngere Flüchtling antwortete sofort in französischer Sprache, indem er seinem Gefährten ein Zeichen gab, zu schweigen.

»Das seht Ihr an unsern Uniformen. Aber wer seid Ihr? Ihr tragt keine solche? Wie kommt Ihr hierher?«

»Da Ihr Franzosen seid, kann ich's Euch sagen. Ich wollte ins Hauptquartier oder doch zu der nächsten Feldwache. Ich habe Briefe von Wichtigkeit an den kommandierenden General.«

Ein Verdacht, schnell wie der Blitz, flog durch den Kopf des jungen Mannes. Er erinnerte sich an die eben gehörten Worte des Offiziers.

»Ihr kommt von der Herzogin von Ricasoli?«

»Ja! ich habe den Gang wohl zehnmal gemacht, weil ich die Gegend kenne als alter Gendarm, wenn ich auch jetzt den dummen Rock da tragen muß. Diesmal aber ist mir's schlecht bekommen, denn ein verfluchter Freischärler da oben auf dem Wall muß mich gesehen haben, und feuerte auf mich. Die Kugel ist mir durch den Rücken gegangen, und ich kann mich nicht von der Stelle rühren. Rufen durfte ich ja nicht, ohne eine zweite zu bekommen. Ihr seid gewiß ausgesandt, mich zu suchen, weil Ihr wißt, von wem der Brief kommt?«

»Versteht sich! gebt die Depesche her, es hat Eile: ich werde sogleich sorgen, daß Euch Hilfe wird.«

Der ehemalige Gendarm, der Freund und Gegner der Banditen des Mascherato, je nachdem es sein Amt mit sich brachte, deutete nach der Brusttasche seines halb geistlichen Rocks, das Sprechen wurde ihm infolge des langen und schweren Blutverlustes bereits sehr sauer.

»Laßt mich nicht hier umkommen, wie einen Hund!« stöhnte er, »schafft Hilfe herbei! rasch, sonst ist's zu spät!«

Der vorgebliche Franzose hatte bereits die Papiere genommen. »Gewiß, Kamerad, habt nur einen Augenblick noch Geduld. Aber wie seid Ihr aus Rom entkommen?«

»Vor zwei Stunden schon über den Wall! Tausend Schritt weiter oben haben die Nationalgarden die Bewachung. Zwei von ihnen gehören zu den unsern, sie halfen mir über die Mauer. Aber Hilfe! Hilfe! es kommt wieder!«

Das Blut gurgelte dem Unglücklichen in der Kehle. Der Flüchtling riß seinen Gefährten mit sich fort, ohne sich um den Verwundeten weiter zu kümmern. »Nach dem Wall, fort, geradeaus nach dem Wall!«

»Sie werden auf uns schießen, die Spitzbuben!«

»Laßt sie! Wenn ich getötet werde, bringt Ihr diese Papiere zum General ohne Säumen. Schießt nicht, Leute! amici! amici!«

»Wir kennen das!« sagte italienisch die Stimme einer Schildwache oben auf dem Wall, an dessen Fuß sie sich befanden. »Ihr französischen Schurken pflegt immer damit anzugreifen!«

»Um Himmelswillen! haltet einen Augenblick. Ich kenne die Parole: La-Plata! wir sind Freunde des General Garibaldi und nur zwei unbewaffnete Flüchtlinge, die aus den Händen der Franzosen entkommen sind!«

Da es häufig vorkam, daß aus dem französischen Lager sich Überläufer meldeten, so senkte die Schildwache das schon zum Schuß erhobene Gewehr und rief einen Soutien heran.

»Kommt herauf! aber einer nach dem andern, und eine Kugel fährt Euch durch den Schädel, wenn Ihr den geringsten Verrat treibt.«

Zwei Minuten später stand der Entflohene auf der Krone des Walls. »Wo ist der kommandierende Offizier? Jeder Augenblick Verzögerung, Kamerad, kann Verderben über Rom bringen! Ich muß sogleich Garibaldi sprechen!«

Der Mönch keuchte den Wall herauf. »Der Henker hole alle Verschwörungen, die freie Republik und die Franzosen dazu! Akuschla, mein Liebling, habt Ihr nicht einen kleinen Tropfen in Eurer Feldflasche für einen heiligen Mann? Ich sage, das kommt davon, wenn man seiner Tapferkeit keinen Zügel anlegt; aber ich will ein Kardinal werden, wenn ich mich noch einmal verleiten lasse, Villen zu stürmen und Franzosen wie die Wachteln zu spießen. Meiner Mutter Sohn ist zu gut, für andere Kastanien aus dem Feuer zu holen!«


Wie bereits bemerkt, lief die zweite Verteidigungslinie, die General Garibaldi mit so wunderbarer Schnelligkeit dem Vordringen der Franzosen entgegen gedämmt hatte, von der ersten Bastion südlich der Porta San Pancratio vor dem Pino-Hügel und der Villa Spada vorüber und stützte sich auf die Klöster von San Casimato und San Callisto.

Die Befestigungen der Linie waren von Anfang an nur flüchtig gewesen, die Sappe hatte nicht Zeit gehabt, die Arbeiten zu vollenden, und das Genie-Korps, über das der General gebot, war so unerfahren und widerspenstig, daß die Arbeiten der Offiziere nicht nur beaufsichtigt, sondern geradezu bewacht werden mußten.

Das Bombardement der letzten Tage und das furchtbare Feuer von Kartätschen und Stückkugeln aus solcher Nähe hatte die Arbeiten vollständig demoliert. Nur der Mut und die Aufopferung des Deutschen Hofstetter hatten es möglich gemacht, die während des Tages zerstörten Traversen mit Verlust vieler Menschenleben wieder herzustellen.

Obschon man glaubte, nach dem furchtbaren Kampf des Tages vor jedem nächtlichen Angriff sicher zu sein, waren doch von der Sorgfalt des Befehlshabers alle Anstalten getroffen, um ihn mit Energie zurückzuweisen.

Drei Kohorten der italienischen Legion, zwei Bataillone der Bersaglieri Manaras, die beiden Bataillone aber zählten zusammen nur 500 Mann, die Bataillone der Regimenter Dall'Unione, Pasi und Marchetti und schwache Kompagnieen der Finanziers, des Bataillons Mellara, Medici und der Studenten hielten die Linie und die Bastion besetzt. Fünfzig der Lanziers des Generals, seiner persönlichen Leibwache, hatten den Befehl erhalten, mit ihren Lanzen die Eingänge der Linien und die geschossenen Breschen zu verteidigen.

Die Soldaten, von den Anstrengungen der unaufhörlichen Kämpfe, die kaum eine Ablösung gestatteten, erschöpft, lagerten hinter dem geringen Schutz der fliegenden Wälle; dennoch waren sie immer heiteren Mutes, und die Offiziere waren häufig gezwungen, die Übermütigen von den kühlen Steinstufen und Bänken der Villa Spada, oder dem Tempel Bramantes zu vertreiben, der sich auf dem Platz von San Pietro in Montorio erhebt, wo einst Petrus der Apostel und Fels des Heilandes, gekreuzigt ward. Denn trotz der Gefahr, welche gerade diese Stellen durch die von Zeit zu Zeit einschlagenden Bomben boten, waren sie wegen ihrer Kühle die gesuchtesten.

Kaum daß man, an den Tod so gewöhnt, den einschlagenden Kugeln eiligst Platz machte.

Von Zeit zu Zeit, in unregelmäßigen, oft langen Zwischenräumen, erhob sich aus den französischen Batterieen der feurige Streif einer Bombe durch den wolkenbedeckten Nachthimmel, oder ricochettierte ein Kernschuß über die kurze Entfernung, welche die Gegner trennte.

Die Wolken, die schon während des Abends den Horizont umzogen, hatten sich verdichtet, ein leichter Strichregen begann zu fallen, der erste seit vielen Tagen der Belagerung und deshalb um so willkommener und erfrischender für die Bedrängten, die sich unbekümmert ihm hingaben.

Unter der Halle, die das große Portal der von Baccio Pintelli neu erbauten Kirche San Pietro in Montorio bildet, saßen zwei Gestalten: Aniella Crousa und der Freund und Leiter ihrer Kindheit in fernem Lande über der weiten See, der Neger La Muerte.

Die treue Gattin hatte den General nach einer Unterredung hierher begleitet, wohin er durch einen Boten gerufen worden. Auf dem Platze vor der Kirche hatte der General von ihr Abschied genommen, sie dem Schutze des Schwarzen anvertrauend, der sie über den Tiber zurückbegleiten sollte; aber die Kreolin, von einem unerklärlichen Gefühl der Besorgnis getrieben, war vor der Kirche zurückgeblieben, um den geliebten Gatten noch einen Augenblick zu sehen.

Der Neger saß vor ihr auf den Marmorstufen der Treppe, den Kopf in die Hand und diese auf das Knie gelegt. Neben ihm lag seine furchtbare Waffe, die Lanze. Die dunkle Gestalt war unter den Soldaten zu wohl bekannt, als daß sie nicht bei dem Anblick die Nähe des geliebten Führers erkannt, und durch ihr Fernhalten geehrt hätten.

Der alte Schwarze hatte nach dem Verbot seiner Herrin von seiner abergläubischen Ahnung und der Erscheinung seines Obi nicht wieder gesprochen, aber er war trübe und gedrückt und redete in seltsamen Erinnerungen nur von den Tagen der Kindheit, als seine Herrin jung gewesen an den Ufern des mächtigen La Plata, und er in der Hacienda mit ihr gespielt oder sie zu sich auf den Sattel gehoben und durch die weiten Pampas zu ihrer fröhlichen Lust gejagt war. Nur mit Mühe vermochte die Signora ihn zur Gegenwart zurückzubringen, die ihrer Aufmerksamkeit doch so sehr bedurfte.

»Ich will morgen wiederkehren,« sagte die Kreolin, »um die arme Nonne zu besuchen, die in der Sakristei verwundet liegt. Die Legionäre Giuseppes erzählen, daß sie ihnen viel Gutes gethan, ehe sie bei dem Sturm des Corsini so merkwürdig verwundet wurde.«

Die Augen des Schwarzen wanderten unruhig umher, seine Seele schien einen inneren Kampf zu kämpfen, denn die Hand fuhr zuweilen unter die Blouse und faßte einen Gegenstand, den er dort auf der Brust trug, dann aber zaudernd wieder fahren ließ.

»Hat das Kind je gehört von der Diamantenschlucht?«

»Du weißt, La Muerte, daß an den Grenzen unserer Staaten, in Brasilien, die Diamanten-Distrikte liegen. Aber auch tiefer hinab, nach dem Fluß zu, müssen sie sich finden; wie solltest Du selbst sonst zu dem wunderbaren Stein gekommen sein, den Du mir bei unserer Einschiffung in Montevideo brachtest, und den ich seitdem auf Dein Bitten an meinem Halse tragen muß? Du hast mir nie sagen wollen, wo und wie Du ihn eigentlich gefunden!«

»Die Filhinha möge ihn nimmer verlieren. Er sein ein Feetisch,« murmelte der Neger.

»Still, La Muerte, Du bist ein Christ, mein Vater ließ Dich taufen, und Du hast den Segen unserer Religion. Ich sprach mit Dir von der barmherzigen Schwester; die Ärzte sagen, daß die Kugel, die ihre Brust traf, an dem Zeichen des heiligen Kreuzes abgeprallt sein muß, sie hat kaum wenige Blutstropfen verloren. Aber die Erschütterung des Schlages muß ein inneres Lebensorgan verletzt haben, da sie seitdem in tiefer Betäubung liegt und nur selten die Augen öffnet. Wer mochte die Frau sein, die vorhin die Sänfte zur Kapelle begleitete? Wenn man die Kranke fortbringt, mußt Du Dich erkundigen, Väterchen, wohin man sie geführt, denn ich will sie besuchen im Hospital, ehe wir Rom verlassen.«

»Wie es blützt und blünkt!« murmelte der Neger, »die Strahlen düser Sonne sind geworden zu Stein, nur La Muerte kann sü nehmen, alle, alle. Grün – Rot – Gelb – und da leuchten der schwarze! Für was sammeln La Muerte, als für Filhinha, sein Kind? Aber er kann nicht lassen von der versteunerten Sonne, bis der Obi sein Haupt in den finstern Schoß nümmt.«

»Du träumst, La Muerte! Du mußt mit dem Arzt reden, Alter, ich werde es Giuseppe sagen! Weißt Du, Dir darf ich es vertrauen, daß der General von dieser undankbaren Regierung gefordert hat, daß sie mit den braven Truppen Rom verlassen soll?«

»Der alte Senor hat mir vertraut düses Kind, wie er gestorben sein in der Hacienda de las noches entretenidas. La Muerte ist gewesen der Hund, der ührem Fuße folgt, wenn er geht zu seinen Vätern, den Ashanteekriegern im heißen Land, wer wird beschützen sie?«

»Du wirst nicht sterben, La Muerte, Aniella braucht ihre Freunde. Aber höre, was war das für ein Schrei? – und dort kommen Reiter in vollem Galopp; was ist geschehen?«

Die auf dem Platz lungernden Soldaten hatten die gleiche Bemerkung gemacht, und sammelten sich in Gruppen.

Drei Reiter kamen im raschen Lauf von der Villa Spada her, der eine führte ein Pferd am Zügel, auf dessen Sattel eine unbehilfliche dicke Gestalt stöhnend sich an Hals und Mähne festhielt.

Der vorderste Reiter parierte sein Roß, daß es auf die Hacken sank, er trug einen französischen Kapot, das Licht des brennenden Pechkranzes fiel auf seine Züge. »Er ist ein Franzose, schießt ihn nieder!«

» Evviva republica! rasch, wo ist der General?« Die Signora war aufgesprungen, sie stürzte auf den Reiter zu, den sie erkannt. »Um der heiligen Jungfrau willen, wo kommst Du her?«


Die Capella Borgherini war durch das Licht einiger Kerzen auf dem Altar erhellt.

Das weite Schiff der prächtigen Kirche war leer und öde, die Thüren waren geschlossen oder von Männern bewacht, die niemand den Eintritt gestatteten. Nur die ewigen Lampen, die in ihren silbernen Ketten vor den Kapellen und Altären schwankten, verbreiteten ein vereinzeltes unheimliches Licht in dem majestätischen dunklen Raum, den früher die berühmte Transfiguration Rafaels zierte.

In der Capella saßen etwa dreißig Männer, teils in Civil, teils in den Uniformen der verschiedenen Verteidiger Roms. Vor den Stufen des Altars, der durch ein großes, aber von einem Vorhang verdecktes Heiligenbild geschmückt war, stand ein Tisch, auf dem über zwei gekreuzten, mit Cypressenzweigen umwundenen Dolchen ein Totenkopf lag.

An diesem Tisch saß ein Mann von mittlerer Größe, mit bleichem, sehr ausdrucksvollem Gesicht, schwarzem Bart und Haupthaar. Er war in einen dunklen Mantel gehüllt und unbewaffnet.

»Brüder des Bundes,« sagte der Präsident, »Ihr seid versammelt, um eine schwere Anklage zu hören und zu richten, ehe Rom fällt. Der Ankläger trete vor und sage sein Wort.«

Der Mann in der Uniform der Emigrati, der am Abend des Kampfes um die Villa Corsini an der Leiche seines Neffen den Becher des Generals geleert, trat vor.

»Ich, Felicio Orsini, erhebe Klage!«

»Wer ist Dein Beistand?«

Ein zweiter erhob sich, es war der finstere Fanatiker, der an dem Abend in der Tertullia gesprochen. Er trat zu dem Kläger.

»Ich, Giuseppe Andrea Pierri, mache seine Klage zu der meinen.«

»Wen klagt Ihr an?«

» Karl Ludwig Bonaparte, gewöhnlich Prinz Louis Napoleon genannt, gegenwärtig Präsident der französischen Republik.«

»Welches Verbrechens nach den Gesetzen unseres Bundes beschuldigt Ihr ihn?«

»Des Verrats und des Mordes an seinen Bundesbrüdern!«

»Der Prinz Napoleon ist kein Mitglied unseres Bundes!«

»Er ist im Jahre 1830 der Liga der Carbonari zur Befreiung Italiens beigetreten. Seine Unterschrift befindet sich in den Akten der internationalen Liga der Marianne zu London. Ich berufe mich auf das Zeugnis des Präsidenten selbst.«

Dieser nickte. »So ist es!«

»Der Totenbund der Brüder des Dolches,« fuhr der Ankläger fort, »ist der Erbe und Rächer der europäischen Revolution. Ludwig Bonaparte hat sich in das Vertrauen der Republikaner eingedrängt und sie bei Rimini feig verlassen. Ich klage ihn an der Schuld an dem Tode seines Bruders! Ich klage ihn an, daß er den Eid gebrochen hat, den er geleistet, als die Liga ihn aus den Kerkern von Ham befreit hat! Der Präsident und ich selbst haben dabei geholfen. Ich klage ihn an, gegen sein ausdrückliches Versprechen, nachdem die Liga ihn zum Präsidenten der französischen Republik gemacht hatte, eine Armee nicht zum Beistand der römischen Republik, sondern zur Unterjochung derselben abgesandt zu haben.«

Der Präsident erhob sich.

»Wo ist der Angeklagte – er trete vor! ich lade ihn – ein- – zwei- – dreimal!«

Die tiefe Stille unterbrach nur der schwere Donner eines Geschützes, das in einer der französischen Batterieen gelöst wurde. Einige Sekunden darauf vernahm man das Einschlagen der Bombe in das Dach eines Seitengebäudes der Kirche.

Der Ankläger lachte höhnisch. »Sie haben seine Antwort gehört, Brüder des Bundes!«

»Der Kläger möge die Zeugen nennen!«

»Sie selbst, Präsident, Giuseppe Mazzini! Die andern sind die blutigen Leichname unserer Brüder, die draußen an den Wällen Roms modern, gemordet durch die Kugeln und Bajonette des Verräters.«

Der Präsident der Versammlung erhob sich. »Der Kläger hat sich auf mein Zeugnis berufen. Es ist richtig, daß die Liga Ludwig Bonaparte aus dem Kerker befreit hat.«

»Unter der Bedingung,« sagte eine Stimme aus der Versammlung, »daß er Präsident der französischen Republik bleibt, ohne Kaiser werden zu wollen, und daß er die italienische Revolution unterstützt!«

»Es ist ferner richtig,« fuhr der Präsident fort, »daß die Liga Ludwig Bonaparte zum Präsidenten der französischen Republik hat machen helfen unter dem Versprechen, uns dafür bei der römischen Erhebung zu unterstützen.«

»Den Wortlaut des Versprechens,« sagte die Stimme von vorhin.

»Bei meinem Eid und bei meiner Ehre verpflichte ich mich, sobald es nötig ist, 20 000 Mann gegen Rom marschieren zu lassen.«

»Er hat mehr gethan,« sagte der Mann spöttisch, »er hat 35 000 Mann gegen Rom marschieren lassen. Es ist nur der Unterschied, daß nicht mehr die Tyrannen, sondern wir in Rom waren!«

Eine tiefe Röte überflog das Gesicht des großen Verschwörers. »Ich gestehe zu,« sagte er, »daß ich mich durch einen Bonaparte habe täuschen lassen. Dennoch kann der Sinn unseres Vertrages keinem Zweifel unterliegen. Die Versammlung möge entscheiden. Auf welche Strafe trägt der Kläger an?«

»Auf den Tod!«

»Wenn Louis Napoleon Kaiser der Franzosen ist!« sagte die Stimme von vorhin, »eher hat der Bund kein Recht an ihn.«

Der General stand auf. »Ich erkläre, daß ich bis dahin gegen jede Abstimmung protestiere. Ich führe Krieg gegen diesen Bonaparte, aber nicht durch Mord.«

Die Versammlung hatte sich erhoben – zehn, zwanzig Stimmen sprachen hastig durcheinander für und gegen. Der Ankläger hatte sich zu dem Tisch des Präsidenten gedrängt und legte die Hand auf den Dolch. »Wenn die Männer der Freiheit zu Memmen geworden sind,« sagte er heftig, »so schwöre ich, Felicio Orsini, daß ich allein die gemordeten Brüder an ihrem Mörder rächen will!«

Die Gestalt des Präsidenten richtete sich hoch empor. »Zurück, Unsinniger! Kennst Du Deinen Eid und den Wahrspruch des Bundes? Du wirst gehorchen, jetzt und immer.«

Ein Lärm von außen unterbrach die Antwort des Fanatikers. »Wo ist der General? ich muß zum General!«

Man hörte den vergeblichen Widerstand des Postens an der Kirchenthür, dann das Eindringen einer Menge. »Der General! Wo ist der General?«

Auf einen Wink des Präsidenten waren rasch die Symbole des Bundes entfernt worden. Er selbst hüllte sich in seinen Mantel und trat in den Schatten zurück; auch mehrere andere Mitglieder der Versammlung verschwanden.

Der General Garibaldi war in das Schiff der Kirche getreten. Seine kräftige Stimme machte sich über dem Lärm hörbar.

»Wer sucht mich? was soll die Unordnung?«

Ein junger Mann im französischen Kapotmantel stürzte auf ihn zu und sank vor ihm nieder, seine Knie umfassend. »Vater, General, Gott sei Dank, daß ich noch zur rechten Zeit komme!«

Der General starrte ihm einige Augenblicke ins Gesicht, dann breitete er seine Arme aus. » François, mein Sohn! Wo kommst Du her? ich glaubte Dich verloren! An meine Brust, Junge!«

Er zog den Jüngling empor, der ihn unter Thränen der Freude umarmte. Doch im nächsten Augenblick schon riß er sich los und trat einen Schritt zurück.

»General, die Minuten haben Flügel, Rom, die Republik, Du selbst bist in der größten Gefahr. Es sind Verräter in Rom, welche die Franzosen von allem in Kenntnis setzen, was geschieht. Die Pläne Deiner Linien, alle Berichte über Deine Mittel sind in ihren Händen, da – nimm – lies!« Er streckte ihm die Papiere entgegen, die er dem verwundeten Gendarmen abgenommen.

»Lichter hierher!«

Der General hatte die Papiere geöffnet, er durchflog sie hastig und reichte sie dem nächststehenden Offizier. »Schändlich! schändlich! wie kommst Du in ihren Besitz?«

»Ich war seit acht Tagen im französischen Hauptquartier Gefangener! Man hat mich verhaftet, als ich versuchte, von Civitavecchia mich durch die französischen Posten nach Rom zu schleichen. Diesen Abend erst gelang es mir, mit Hilfe eines gefangenen Mönchs zu entkommen. Auf dem Weg hat das Glück oder die Vorsehung mich in den Besitz dieser Papiere und weiterer Nachrichten gesetzt. Noch diese Nacht, wahrscheinlich in dieser Stunde schon, wird der Feind mit großer Macht die zweite Linie überfallen und hofft Dich vollständig zu überraschen.«

Der General lächelte finster. »So leicht überrascht man den Garibaldi nicht! Wo ist der Oberst Manara?«

»Hier, General!«

»Die Bersaglieri in die Spada! Wer kommandiert die Bastion links!«

»Carogni mit den Kompagnieen Rosagutti!«

»Senden Sie Morosini zur Verstärkung dahin. Lassen Sie die Bresche der Bastion mit Zündmaterial füllen, das bei dem geringsten Zeichen des Angriffs in Brand gesteckt werden muß! – Wie freu' ich mich. Dich wieder bei mir zu haben! – Senden Sie Hoffstetter, Oberst, er ist der Zuverlässigste. – Sacchi, hierher!«

Der alte Kampfgefährte aus den Pampas war bereits an seiner Seite und begrüßte freudig den jungen Mann, den alle schon als Schiffsjungen auf der Itaparika herzlich geliebt.

»Die zweite Kohorte der Legion in den Verbindungsweg von der Traverse zur Spada! Sie muß beim Angriff die Brustwehr verteidigen. Das Bataillon Basi zur Unterstützung. Kein Schuß, bis die Canaillen auf der Brustwehr selbst sind. Laß Marochetti in Callisto benachrichtigen, daß er sich bereit hält. Schande für das römische Volk, daß einer zum Verräter werden konnte! So wahr ich Garibaldi heiße, er soll den Tod des Spions sterben, und ob es der Höchste wäre, wenn ich ihn entdecken kann!«

»Ich kenne die Verräter,« sagte der junge Kapitän. »Französische Unterhändler müssen noch diesen Abend in der Stadt gewesen sein. Ich hörte den Namen von ihnen selbst, die Person, welche jene Briefe dem Feinde gesandt, ist die Herzogin von Ricasoli!«

» Demonio! das ist mehr als Verrat! Sie soll den Tod eines Spions sterben! Wo ist sie?«

» Hier

Die Stimme kam aus dem dunklen Säulengang der Kirche, sie war schrill und scharf, die Stimme eines Weibes.

»Such' in San Pietro in Montorio,« wiederholte die Stimme, »und Du wirst die schöne Faustella bei ihrem Liebsten finden!«

Der General sah sich erstaunt um. »Wer sprach da? Wache herbei! Seht nach, wer gesprochen!«

Ein Offizier der Finanzieri trat heran. »Wer die Nachricht auch gegeben, General,« sagte er, »sie ist richtig. Die Herzogin von Ricasoli mit mehreren Begleitern ist vor kaum einer Viertelstunde nach San Pietro gekommen. Sie legitimierte sich durch eine Passierkarte des Kriegsministers und kannte die Parole.«

»Sie hat sie den Franzosen verraten, laß sie ändern, General. Ich hörte sie selbst: La-Platal«

Der General biß die Zähne zusammen, seine Augen funkelten. »Laßt die Metze suchen, schleppt diese Borgia Hierhers wo Ihr sie findet! Die neue Parole, meine Herren!« Er flüsterte sie ihnen zu: »Nieder Feretti!«

Viele Soldaten hatten eilig die Kirche verlassen, die Befehle des Generals zu vollführen. Adjutanten eilten hin und her, Schlag auf Schlag folgten die Ordres zur Verteidigung. In dem Augenblick der Gefahr! erkennt man den entschlossenen Mann, den Feldherrn!

Ein wüstes Geschrei tobte am Eingang. Nieder mit ihr! Tod den Verrätern! Zum General! zum General!«

Der eindringende Haufe öffnete sich. Zum Tode bleich, keuchend, mit zerrissenen Kleidern, aber mit vor Stolz und Wut funkelndem Auge wurde in der Mitte der Tobenden die schöne Herzogin von Ricasoli, die Nichte des römischen Souverains, herbeigezerrt. Hinter ihr drein, die Hände auf den Rücken geschnürt, der Graf von Montboisier, ihr Begleiter. Die vier ihrer Waffen beraubten Diener der Herzogin wurden von den Soldaten gezwungen, die verschlossene Sänfte, die eine schwere Last zu enthalten schien, hinter ihn her zu tragen. In dem Gedränge der Neugierigen sah man ein dämonisches, in wildem Triumph funkelndes Frauengesicht mitten zwischen den Männern: Faustina, die Venus von Rom! Sie hielt die Hand auf die Sänfte gelegt; in ihrer Nähe keuchte noch immer der dicke Mönch und trocknete sich den Schweiß von der Stirn von dem wütenden Ritt.

Als die Herzogin den General und den Kreis der Offiziere erblickte, riß sie sich mit einer heftigen Bewegung von ihren Wächtern los und trat stolz dem General entgegen.

»Signor Generale, was soll die Behandlung dieser Vermessenen? Kennt man mich nicht? ich bin die Herzogin von Ricasoli und fordere Schutz und Genugthuung, wenn Sie Männer von Ehre sind!«

»Ich kenne Sie, Frau Herzogin,« sagte der General finster. »Zunächst, wie kommen Sie hierher, mitten ins Lager der Truppen zu so ungewöhnlicher Zeit?«

»Ich bin mit Passierkarte des Ministers General Avezzano hier.«

Der Divisionär warf einen Blick auf die Sänfte, welche die Träger vor der Kapelle niedergesetzt. »Wer ist da drinnen?«

Man riß bereits die Vorhänge herunter; in der Sänfte ausgestreckt, die Glieder gebunden, einen Knebel im Munde, lag die mächtige Gestalt des ehemaligen Schweizer-Offiziers.

Ein Entsetzen und bei jedem, der diese kräftige, frische Natur früher gekannt, tiefes Mitleid, erregende Veränderung war mit ihm vorgegangen, noch gewaltiger, als beim Sturm auf die Corsini sich schon gezeigt, wo das Feuer des Wahnsinns ihn aufrecht erhalten. Matt und glanzlos blickten die Augen aus den tiefen Höhlen des eingefallenen, von wildem Bart überwucherten Gesichts; die gefesselten Glieder, wie der ganze Körper, hingen abgezehrt und kraftlos in den wunderlichen Lumpen, die sie umhüllten. Die Wunden der beiden Schüsse, die er bei dem Rückzug aus der Villa Corsini erhalten und die verbinden zu lassen er sich geweigert, waren in euren grauenhaften Zustand übergegangen.

»Wie kommt der Mann in die Sänfte?«

»Diese Frau hier,« berichtete ein Sergeant, »hat ihn auf der Schwelle des alten Anbaus, in dem eine barmherzige Schwester verwundet liegt, und von der er seit dem Tage nicht gewichen, durch ihre Diener ergreifen lassen. Sie behauptet, sie habe das Recht dazu.«

»Es ist ein Verwandter, von dessen Verwundung und Krankheit ich erst jetzt gehört,« erklärte die Herzogin. »Ich habe die Vollmacht des Ministers, ihn nach meiner Wohnung bringen zu lassen!«

»Zeigen Sie das Papier!«

Die Herzogin zog die Karte hastig aus dem Busen, ein zweites Papier fiel dabei mit heraus.

Das zornbleiche Gesicht übergoß sich mit dem Blut jähen Schreckens, sie beugte sich rasch nieder, um das Papier aufzuraffen. Aber der Kapitän François kam ihr zuvor, er stieß den Fuß Montboisiers, der sich rasch darauf gesetzt, zurück und hob das Papier auf. Er reichte es dem General.

»Den Brief, geben Sie den Brief her, Sie werden nicht in die Privatgeheimnisse einer Dame sich drängen!« keuchte die Herzogin.

Sie stürzte auf ihn zu, das verhängnisvolle Dokument ihm zu entreißen.

Der General trat einen Schritt zurück.

»Lies! es gilt Rom!« sagte dieselbe gellende Frauenstimme, die vorhin aus dem Dunkel des Kirchenschiffs die Anwesenheit der Dame in San Pietro verkündet hatte. Die Herzogin starrte nach der Stelle hin, von welcher der Ruf kam und bedeckte unwillkürlich schaudernd das Gesicht mit den Händen: aus dem Halbdunkel sprühten ihr dämonische Augen entgegen.

Die Courtisane zeigte mit höhnischem Triumph auf den Mann in der Sänfte.

» Mein

Der General Garibaldi hatte das Blatt auseinander geschlagen, seine Stirne wurde noch finsterer, indem seine Augen die Zeilen überflogen.

Dann sah er sich mit funkelndem Blick im Kreise um.

»Kapitän Dandalo?«

»Hier, General!«

»Wählen Sie zwei Offiziere, einen Sergeanten und einen Legionär zum augenblicklichen Kriegsgericht!«

Die Herzogin ließ die Hände sinken, ihr Gesicht war totenbleich. »Der Brief …« stammelte sie.

»Der Brief ist von Madai Feretti, als Papst Pius IX. Er dankt dieser Frau für die Dienste, die sie und ihr Freund, der französische Kapitän Montboisier, geleistet haben, um Rom in die Hände der Franzosen zu liefern und unter seine Herrschaft zurückzuführen. Der gnädige Souverain verspricht seiner Nichte dafür vollen Ablaß ihrer Sünden!«

»Es ist Lüge, es ist natürlich, daß mein Oheim dies wünscht, aber ich fordere den Beweis! …«

Die Gestalt des Generals schien förmlich zu wachsen in dem Zorn, der die Adern seiner Stirn schwellte.

»Lügnerin! Kennst Du diese Papiere?«

Er hielt ihr die Berichte vor die Augen, die Kapitän François dem sterbenden Boten abgenommen.

Einen Moment lang starrte die Unglückliche auf die überführenden Beweise, dann sank sie entsetzt, vernichtet zusammen.

»Gnade! Erbarmen!«

Der General wandte die eherne Stirn gegen den Franzosen.

»Ist dies der Kapitän Montboisier, Ihr Genosse?«

»Das ist mein Name, Signor!«

»Sie waren Gefangener auf Ehrenwort und haben sich in Konspirationen gegen die Republik eingelassen. Sie wissen, was darauf steht.«

Der Kapitän antwortete nur: »Ich bitte Sie, mir wenigstens diese unwürdigen Fesseln abnehmen zu lassen. Sie sind im Besitz der Gewalt und mögen thun, was Sie verantworten können!«

»Diese Frau,« fuhr der General fort, »die von der Republik Gastfreundschaft genossen und sich als eine der unseren ausgegeben, hat sie verraten. Das Blut unserer gemordeten Brüder schreit um Rache. Der Verrat dieses Weibes ist schuld, wenn die römische Republik fällt! Die Beweise liegen vor, ich frage das Kriegsgericht, welche Strafe die beiden Angeklagten verdient haben?«

Der Kapitän Dandolo ging von einem der vier Mitglieder des Gerichts zum andern, dann sagte er ernst:

»Den Tod!«

»Den Tod!« wiederholten einstimmig die Mitglieder des Kriegsgerichts.

Die Herzogin kniete am Boden. »Es ist nicht wahr! Ich kann nicht sterben! ich will nicht!«

»Leutnant Farlini!«

»Hier, General!«

»Nehmen Sie zehn Mann. Gönnen Sie jedem der Verurteilten zehn Minuten Zeit für sein Seelenheil und lassen Sie beide dann an den Mauern der Kirche erschießen. Verstehen Sie wohl – was auch geschehen mag, – Sie kümmern sich um nichts und erfüllen Ihre Ordre.«

Zwei Hände schlugen applaudierend ineinander. » Brava! Evviva la justitia di Generale Garibaldi!«

Es klang wie triumphierendes Lachen aus dem Haufen der Zuschauer.

»Der General Garibaldi,« sagte eine feste und ernste Stimme aus dem Schatten des nächsten Pfeilers, »wird seinen Ruf dadurch nicht schmälern, daß er eine Frau erschießen läßt!«

Aus dem Dunkel hervor trat die Gestalt des Mascherato in den Kreis.

Der General reichte ihm die Hand. »Seien Sie willkommen, Signor, ich wußte es, daß, wo die Gefahr nahe, Sie nicht zaudern würden!'«

»Und diese Frau?«

»Sie muß sterben, ehe fünfzehn Minuten vergangen sind, so wahr ich José Garibaldi heiße. Unsere Gegner schonen niemand – wer den Verrat geübt, ob Weib oder Mann, muß büßen.«

Der Mascherato trat zurück. »Ich kämpfe nicht mit Leuten, die Frauen ermorden!«

»Halten Sie das, wie Sie wollen, Mylord, wir bedürfen der Hilfe überspannter Narren nicht! An Ihre Pflicht, Farlini, fort mit den Verbrechern! An Ihre Posten, meine Herren!«

Das Wort war kaum aus seinem Munde, als eine gewaltige Salve der Geschütze die Luft zerriß.

Zugleich erscholl aus tausend Kehlen der verräterische Ruf: » Amici! Amici!« mit dem die Franzosen anzugreifen pflegten.

»Der Teufel hole ihre Freundschaft! Zu den Waffen!«

Der General stürzte hinaus, gefolgt von den noch anwesenden Offizieren und Soldaten. Es war die höchste Zeit, daß er kam, denn die Franzosen, als sie den Überfall vereitelt und die Verteidiger wenigstens zum Teil zu ihrem Empfange gerüstet sahen, hatten sich mit Übermacht auf die Bastion und die Linien geworfen und trieben die Besatzung in wilder Flucht vor sich her.

» Francesi! Francesi!«

»Steht, Canaillen! Vorwärts, Legionäre! Es lebe die Republik!«

Der General warf sich den Fliehenden entgegen, er trieb sie mit dem Säbel zurück.

Ein Frauenarm umfaßte ihn. »José, laß mich zusammen mit Dir sterben!«

Der Flammenblitz der Flintensalven fiel auf das bleiche, aber entschlossene Gesicht der Gattin des Generals. » Maladizione! Aniella! Du noch hier? wo ist La Muerte?«

»Hier, Senor!«

»François, mein Sohn, bring' sie fort aus diesem Gewühl. Es ist der beste Dienst, den Du hier leisten kannst! Auf Wiedersehen, Frau, hier oder dort! Avanti! avanti!«

Er war bereits fort, mitten in dem Gewühl, die Woge der Flüchtigen stand, sie drängte zurück, die Spada hielt Manara tapfer mit seinen Bersaglieri, hier stand und brach sich der Kampf.

Der junge Kapitän hatte die Kreolin umfaßt und trug sie aus dem Getümmel, La Muerte deckte ihm den Rücken. »Dort stehen die Pferde, Senor Francesco!«

Es war die Stelle, wo an der Kirche der alte Anbau der früheren Sakristei hervorsprang, in welche bei der damaligen Überfüllung des Hospitals mit Soldaten die verwundete Nonne durch Meister Michele gebracht worden.

Der Neger hatte den Grauschimmel herbeigeführt, der seine Herrin von dem Pavillon Borghese hierher getragen. Er hielt den Bügel, als er plötzlich die Arme in die Luft warf und schwer zu Boden stürzte.

Die geängstete Frau warf sich auf ihn, während der Offizier die erschrockenen Pferde bändigte. »La Muerte, Vater! was ist Dir?«

Ein dunkler Blutstrom drang aus der Schläfe des Schwarzen. »Der Obi – üch wußte … Düser Pardo! Wo seyn Piccaniny das Blut …«

»Heilige Jungfrau, zu Hilfe, François, er stirbt!« Der Neger griff mit der zuckenden Faust unter das Wollenhemd, das er trug, und riß mit gewaltigem Ruck die Schnur entzwei, die einen Gegenstand um seinen Hals befestigt hielt. Es war ein Ledersäckchen von runder Form und mit unbekannten Dingen gefüllt, von dem er sich nie trennte, weder bei Tag noch bei Nacht. Man glaubte, daß es einer jener Feetische oder heidnischen Amuletts seiner wilden Heimat wäre, was er da auf der Brust trug, und die Legionäre sahen mit abergläubischer Scheu auf den seltsamen Schmuck und erzählten am Wachtfeuer wunderbare Geschichten, wie der Neger den Inhalt zu betrachten liebe, wenn er sich ganz unbemerkt glaubte, und wie sein Gesicht dann sich zu unheimlichem Grinsen und teuflischer Freude zu verzerren pflege.

Der sterbende Schwarze drückte den Beutel in die Hand seiner Herrin. »Filhinha nehmen; wo der Ashanten hingehen, keine steinernen Sonnenstrahlen nötig – das Erbe La Muertes – die Düamantenschlucht – wie es glänzt – das Kind – die Senora wollen ühr Piccaniny … hier – hier … der schwarze Stein – es ist Dein Kind! …«

Der gewaltige Körper streckte sich, ein Schauer durchlief die Glieder, der Kopf fiel in den Schoß der weinenden Frau.

Der Neger war tot! …


Eine Ampel erhellte die kapellenartige Wölbung der alten Sakristei, in welcher auf einfachem Lager die barmherzige Schwester ruhte.

Ein himmlischer Friede lag auf diesen Zügen, die gefalteten Hände hielten das Kreuz auf der Brust, die kein Atem mehr hob: Schwester Fausta, die Samariterin, war ein Engel des Lichts.

Wann sie hinüber gegangen, wann der selige Geist schmerzlos von seiner schönen Hülle geschieden, der am Fuß ihres Lagers in Thränen betende Maler wußte es nicht.

Er wußte nicht einmal, daß der treue Wächter der Schwelle, die nur er allein überschritt, um mit Hilfe einer armen Frau aus der Nachbarschaft, die nur selten aus ihrem lethargischen Schlaf erwachende Kranke zu pflegen, gewaltsam von dieser Schwelle entfernt worden war.

Vergeblich hatten die Ärzte des nahen Spitals an diesem seltsamen Zustand ihre Kunst versucht; es hatte sich an der Kranken keine Verwundung gefunden, nur ein kleiner dunkler Fleck in der Mitte der Brust, den die am Kreuz der Nonne abprallende Kugel mit wenigen Blutstropfen gefärbt. So begnügten sie sich denn mit der Diagnose einer allgemeinen Erschütterung des Nervensystems, die vollständige Lethargie hervorgerufen, und überließen der Natur das Sterben oder Erwachen.

Der verwachsene Künstler hatte die Kranke nicht verlassen. Ein Altarbild, das letzte Werk seiner Kunst, schmückte den Altar der Kapelle Borgherini, und die Diener der Kirche überließen ihm daher willig den öden Raum für die Kranke und die Soldaten, die fromme Dulderin gleich einer Heiligen verehrend, teilten ihre Nationen mit den treuen Wächtern und duldeten nicht, daß die Leidende beunruhigt wurde.

Von Zeit zu Zeit nur, gewöhnlich um die Stunde, zu der die Kugel sie niedergeworfen und der Schweizer Offizier sie auf seinen Schultern aus dem Mordgetümmel getragen, war sie erwacht und hatte dankend die frommen blauen Augen auf den treuen Freund gerichtet. Aber nie hatte sie gefragt, nie ihre Lippen zu anderen Worten bewegt, als zum Gebet.

Es mochte eine Viertelstunde vergangen sein, seitdem sie plötzlich aus jenem totenähnlichen Schlaf emporgefahren war und zum Erstaunen des verwachsenen Wächters auf ihrem Lager sich empor richtete.

Ihre Augen starrten in die Luft, es war, als ob sie gespannten Ohrs nach dem Eingang der Zelle hin lauschte, und eine flüchtige Röte ihr Gesicht überzog. Dann hob sie die Hände mit dem Kreuz wie zum Gebet empor, und der Maler hörte ihre klare und rührende Stimme:

»Heilige Jungfrau! errette ihn!«

Die Kranke sank langsam zurück, die Röte war verschwunden von dem lieblichen Antlitz, das Auge geschlossen, kein Hauch mehr hob die jungfräuliche Brust.

Der kleine Maler kniete an ihrem Lager und weinte. War sie endlich zu jener Heimat gegangen, wo die Engel wohnen, ihre himmlischen Brüder?

Er wußte es nicht, aber er glaubte daran.

Er wollte den Schweizer rufen zu seinem Beistand, aber der Wächter, der nie die Schwelle verlassen, war nicht da, und plötzlich krachten von den Batterieen die Donner der Geschütze, und das wilde Toben wälzte sich heran, gleich der mächtigen Sturmesflut!

»Francesi! Francesi!«

Der Künstler schloß die Thür und flüchtete zu dem Totenbett zurück. Draußen tobte der Kampf, Schüsse knallten, erst nahe, dann ferner. Aber über ihm krachte und dröhnte es und die mächtigen Gewölbe von San Pietro erzitterten bis in ihre Grundpfeiler.

Plötzlich wurde die Thür der Sakristei aufgerissen. Ein Offizier der Legionäre schaute hinein. »Sie ist leer bis auf den Burschen da. Hier herein mit der Gefangenen und dem Pfaffen! Zehn Minuten sind ihr vergönnt! Posten vor die Thür! Macht rasch!«

Rauhe Hände stießen eine Frauengestalt in die Sakristei, Gewehre blitzten, Fra Pan ward von den Soldaten hinterdrein geschoben trotz seines Protestes; andere faßten ohne weiteres den ihrem Eintritt mit Bitten und Gewalt wehrenden Künstler und warfen ihn vor die Thür.

Dann verließen die meisten eben so schnell, wie sie eingedrungen, die Zelle; nur der scheltende Mönch blieb zurück, nebst einem Legionär, der auf sein Gewehr gestützt, den Hut tief in die Stirn gedrückt, als Posten an der Thür stand, und die auf dem Boden der Zelle ausgestreckte konvulsivisch schluchzende Frau.

»Muscha,« brummte der Mönch. »Seid vernünftig, Weib, wenn's nun einmal nicht anders sein kann, so kommt her. So viel in meinen Kräften steht, will ich Euer Gewissen erleichtern zu dem schlimmen Gang. Ein Schluck Wein würde Euch freilich besser thun; da, nehmt die Flasche und thut einen Zug, nachher wollen wir weiter reden!«

Die Frau fuhr vom Boden empor. »Ich bin die Herzogin von Ricasoli, ich kann nicht sterben! ich will nicht sterben! Nehmt alles Gold, Gnade! Erbarmen!«

Ihre Haare flogen wild um den Kopf, die Augen fuhren in Todesangst umher, als suchten sie Schutz.

»Einen Priester! schafft einen Priester! Laßt mich nicht ohne Absolution sterben! Nein! nein! …«

»Frau,« sagte der Terminirer, dem trotz seines Materialismus die furchtbare Todesangst der Unglücklichen nahe ging, »Ihr thätet gut, zu beten. Ich habe zwar nicht alle Weihen, aber was ich thun kann für Eure arme Seele, soll geschehen.«

Sie sprang auf und rang die Hände. »Sterben! sterben! so jung – es ist nicht möglich! rette mich! Laßt mich entfliehen! öffnet die Thür! mein Gold, meine Diamanten! Auf meinen Knieen beschwöre ich Sie!«

Sie war auf den Legionär zugestürzt, der an dem Thürpfeiler lehnte, und schüttelte verzweifelnd seinen Arm, so daß sein Hut herabfiel und der Schein der Lampe auf sein Gesicht fiel.

Wie von einer Schlange gestochen, zuckte sie zurück.

»Der Kardinal!«

Der Bettelpfaffe erschrak. »Der Kardinal,« stotterte er, »Weib, was redet Ihr? welcher Kardinal …«

Die Herzogin hatte den Arm des Verkleideten gefaßt.

»Ich habe Sie erkannt! Sie sind schuld an meinem Unglück! Sie müssen mich retten, oder ich überliefere Sie Ihren Todfeinden!«

Der Kardinal machte sich los von ihrer Hand. »Sie irren sich, Frau Herzogin,« sagte er kalt, »ich habe keine Spionsdienste verrichtet und nach dem Vertrag, der, wie Sie wissen, bereits geschlossen ist, würde meine Person nur wenig Gefahr laufen. Aber dennoch bin ich bereit, alles mögliche zu thun, um Sie zu retten, nur weiß ich noch nicht wie. Das war ich von vorn herein, denn ich wohnte der Scene in der Kirche bei und habe mich mit Absicht zu diesem Posten gedrängt, was mir in dieser Verwirrung leicht möglich war.«

»Retten Sie mich! retten Sie mich um jeden Preis!« Der Kardinal warf auf den bestürzten und stummen Bettelmönch einen scharfen und drohenden Blick.

»Ihr liederlicher Lebenswandel,« sagte er streng, »hätte Ihnen längst die schärfste Pönitenz zuziehen müssen. Aber ich will Nachsicht üben mit Ihren Verirrungen. Sie haben gehört, wer ich bin! Was auch geschehen möge, Sie werden weder sehen noch hören, oder der tiefste Kerker der heiligen Inquisition ist Ihr Los!«

Fra Pan beugte sich auf das Demütigste und tief zerknirscht vor dem verkleideten Kirchenfürsten. Die furchtbare Disziplin der Kirche, so locker ihr Zügel zumeist war, übte im Fall der Not auch auf ihn ihre gewaltige Macht.

»Gehen Sie an die Thür und bewachen Sie den Eingang,« befahl der Kardinal, »indes ich dies Gemach untersuche.«

Er ging an den Wänden umher, aber der Zugang zur Kirche war vermauert, da die Sakristei seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Vor dieser Stelle befand sich überdies das Lager der Toten.

Der Kardinal schaute empor. Da fiel sein Blick auf die Hülle. »Wer ist das?«

»Das einzige, was jene Frau zu retten vermag!«

Der Kardinal schaute empor.

»Der Mascherato,« sagte er erstaunt, »hier und in dieser Stunde?«

»Nicht weniger wunderbar, Eminenz,« sagte der berühmte Banditenhäuptling, »als daß Kardinal Antonelli in der roten Blouse sich mitten unter den Truppen der Revolution befindet. Aber wir haben keine Zeit, uns über dergleichen Abnormitäten den Kopf zu zerbrechen. Wissen Euer Eminenz, wer diese Tote ist?«

»Wie sollte ich? was geht sie mich an?«

»Es ist die Schwester Fausta, das Zwillingsebenbild der Dame, die Kardinal Antonelli mir einst an den Ruinen des Cirkus Maximus zu rauben befahl.«

»Ich erinnere mich; man sagte, sie sei dieser Dame ähnlich!«

»Überzeugen sich Euer Eminenz selbst!« Der Bandit warf das Linnentuch zurück, das die Ehrfurcht des Künstlers über das verklärte Antlitz gedeckt.

Der Kardinal fuhr erstaunt zurück. »Das ist in der That merkwürdig! es ist die Herzogin selbst!«

»Und die Venus von Rom! Ich weiß in der That nicht, wo dieser Dämon von Weib im Augenblick verweilt, sonst würden wir kein so leichtes Spiel haben. Begreifen Sie nicht, was ich meine?«

»Nein!«

»Die Tote muß die Lebende ersetzen. Leutnant Farlini vollzieht in fünf Minuten das Urteil, so wahr Sie jene französischen Kanonen hören. Ich vernahm von dem thörichten Pfleger dieser Art von Heiligen, daß ihre Leiche sich in diesem Gemach befände, und da ich mir vorgenommen, diese Dame hier zu retten und die ungewöhnliche Ähnlichkeit kannte, so verschaffte ich mir Eingang.«

Der verkleidete Kardinal hatte stumm der Erklärung des Banditen zugehört.

Er trat jetzt rasch einen Schritt auf ihn zu.

»Wollen Sie mir Ihr Wort geben, die Leitung der Sache mir zu überlassen und niemals und unter keinen Umständen ohne meine Erlaubnis von dem Gebrauch zu machen, was Sie heute erfahren? Ich verspreche Ihnen dafür, daß die römische Justiz niemals die Garotte oder das Bagno für Ruggiero il Mascherato haben wird!«

Der Bandit lachte. » Cospetto! das macht mir wenig Sorge! Aber Euer Eminenz haben mein Wort!«

»Dann treten Sie zurück. Sie und der Mönch! Was ich rede, sei für Ihr Ohr verschlossen.«

Er näherte sich der Verurteilten, die schluchzend und verzweifelnd sich an dem Fuß des Totenlagers niedergeworfen.

»Wollen Sie Ihr Leben retten, Altezza?«

»Um jeden Preis – Barmherzigkeit! Nur leben! leben!«

»Dann giebt es nur ein Mittel, oder Sie sind in zehn Minuten zerrissen von den Kugeln, eine Leiche, wie diese da! Büßung Ihrer Sünden!«

»Alles! alles! nur reden Sie!«

»Gott selbst und seine Heiligen haben Ihnen den Weg gezeigt. Diese Tote da ist ein Mitglied der Schwestern der Barmherzigkeit vom Kloster des Esquilin. Sie müssen verschwinden aus dem Reiche der Lebendigen, oder so wahr Sie hier jetzt lebend vor mir knieen, ich kann es nicht hindern, daß die Herzogin von Ricasoli in fünf Minuten von den Soldaten des Rebellen Garibaldi erschossen wird! – verschwinden, um als Nonne Fausta aufs neue wieder aufzuleben!«

»Aber Sie werden mich befreien. Sie werden mich anerkennen, wenn Rom besiegt ist?«

Sie hatte die Hände flehend zu ihm empor gestreckt, ihre Blicke ruhten wirr, verzweifelnd auf ihm.

»Wir werden Ihnen Ihre Identität zurückgeben, sobald es ohne Gefahr für Sie geschehen kann. Wählen Sie – Tod oder Leben!«

Sie sah nicht den triumphierenden Blick, mit dem er auf sie niederschaute und in dem ein lebendiges Grab lag, sie dachte nur an die Rettung des Augenblicks, das kostbare Leben, das nur einmal zu verlieren war.

»Leben! leben! retten Sie mich!«

An die Thür der Zelle donnerte die Hand des Offiziers: »Die Frist ist um! heraus mit der Spionin!«

Der Kardinal wies ohne zu sprechen nach dem Lager der Toten; auf seinen Wink stemmte sich die robuste Gestalt des Mönchs gegen den Eingang.

Mit der Kraft und Hast der Verzweiflung riß die Herzogin die Tote von ihrem friedlichen Lager und entkleidete sie der leichten Gewänder. Ehe eine Minute vergangen, war die Leiche mit dem kostbaren, halbzerrissenen, schwarzen Seidenkleid und dem zerfetzten Schleier den vornehmen Dame umhüllt.

Noch einmal wies der Kardinal schweigend auf das Totenbett; Faustella Ricasoli, die Tochter der Borgia, warf sich hastig auf das traurige Lager.

Der Mascherato sah mit verächtlichem Achselzucken auf diese wahnsinnige Lebenslust; der dicke Mönch zitterte.

Mit Gewalt wurde die Thür von außen aufgestoßen: »Heraus mit der Verbrecherin – schleppt sie mit Gewalt zum Tode, wenn sie zu feig ist!«

Der Mascherato hob die Hand, seine Leute drängten sich durch die Legionäre.

»Nehmt die Herzogin von Ricasoli,« sagte seine klare feste Stimme. »Sie ist ohnmächtig, denn sie ist nur ein Weib. Tragt sie zum Platz, wo das Urteil vollstreckt werden soll.«

Vier der Banditen hoben den Körper empor. »An die nächste Mauer mit ihr,« befahl der Offizier, »unser Blut gehört Rom. An Eure Ordre, Sergeant Andrea!«

Zehn Schritt von dem Eingang der Sakristei hatte man den Körper an die Mauer gelehnt.

Durch die Luft zischte und krachte es. Mit dröhnendem Schall fielen die Bomben auf das Gewölbe der mächtigen Kirche und schmetterten in den Turm.

Drüben an der Spada krachten die Flintensalven, an der Traverse, an der Pino-Batterie wogte hin und her der Kampf.

»Feuer!«

Fünf Schüsse verhallten in dem Krachen und Toben der Schlacht.

Die Gestalt an der Mauer der Kirche fiel lang zu Boden, kein Zucken des letzten Kampfes, der die Seele vom Körper trennt, bewegte sie mehr.

» Evviva republica! morte all' traditori!«

Dem Ruf antwortete ein anderer, ein gleicher Verrat!

» Amici! amici!«

Um die Seite des Klosters her drang die Tête einer französischen Kolonne, Schüsse knallten; mit der Wut der Verzweiflung, mit allem Haß der Nationalität warfen sich die Italiener gegen die Feinde.

Mitten unter ihnen kommandierte fest und unerschrocken, als sei das Schlachtfeld, nicht die Heerstraße, sein Terrain, der Mascherato.

» Ici camerades! sauvez moi!«

Ein Offizier sprang mit hochgeschwungenem Säbel zu der Stelle, von der der Ruf kam. Ein Mann, die Hände auf den Rücken gebunden, stürzte ihm entgegen.

» Sauvez moi, mes braves!«

Der Offizier war an seiner Seite, die Bajonette der französischen Kolonne starrten um ihn her und brachen sich Bahn in den Feind!

»Kapitän Montboisier! Gott sei Dank, der mich hierher geführt!«

»Fromentin! – Peste!«

Der Säbel des Artillerie-Offiziers, der die Attacke nach der Erstürmung der Linie mitgemacht, hatte bereits die Bande durchschnitten. »Hierher, in unsere Mitte, Kamerad!«

In kurzen Fanfaren bliesen die Hörner der Bersaglieri zum Sammeln. Der Deutsche Hoffstetter, zurückgesandt vom General, um die Reserven in den Kampf zu führen, kam mit dem zweiten Bataillon herbei. Bajonett an Bajonett, ohne Schuß; der Rest des ehemaligen Bataillons Mellara unterstützte ihn zur Rechten.

» Avanti! avanti! Evviva republica! Evviva Garibaldi!«

Über die Leichen hinweg ging der stürmische Angriff, die Franzosen wichen, der Rückzug ward wilde Flucht.

Und durch die Luft zischte und pfiff es in feurigem Bogen und nieder auf die Gewölbe krachten die Bomben, Schlag auf Schlag – Schuß auf Schuß. Die Pfeiler wankten – die Bogen brachen. Eine Flammengarbe stieg empor – dann schwankte eine dunkle, gewaltige Masse wie taumelnd durch die Luft und stürzte krachend zusammen.

Der Turm …


Der mächtige Dom war leer, die wilden, trotzigen Männergestalten, die ihn noch soeben belebt, vielleicht lagen sie draußen schon verstümmelt, tot an den Traversen und Batterieen, vielleicht stürmten sie in dem Augenblick als mutige, kräftige Wesen der Vernichtung entgegen.

Im Schiffe der Kirche, nahe der Kapelle Borgherini stand die Sänfte; in der Sänfte ausgestreckt die jammervolle Gestalt des einst so kräftigen und schönen Mannes, um den sie gerungen: Tugend und Sünde, die dämonische Wollust, die lüsterne, hochmütige Laune, und die gottergebene, entsagende Liebe.

Eine mitleidige Hand hatte im Moment der Entdeckung den Knebel aus seinem Munde entfernt, aber seine Glieder waren noch gebunden. Wer hätte in dem Augenblick, wo der Entscheidungskampf rief, sich um den Kranken, Freundlosen kümmern sollen!

Er versuchte vergebens, sich empor zu richten, mit schmerzlichem Klagelaut sank er zurück auf die Kissen.

Seiner Anstrengung antwortete ein leises, höhnisches Lachen.

Faustina, die Venus von Rom, stand vor ihm; sie allein hatte ihn nicht verlassen.

»Undankbarer! erkennst Du mich?«

Er antwortete nur mit einem leisen Stöhnen und wandte das verwilderte, eingefallene Gesicht von ihr.

»Hörst Du den Donner der Schlacht?« sagte sie höhnisch, »auf, tapferer Ritter! man schlägt um Rom, Riccardo Stämfli darf in den Reihen nicht fehlen, wo es gilt, die Freiheit zu verteidigen, obschon Du der Tyrannei Deine Eide geschworen!«

Wieder antwortete das schmerzliche Stöhnen. »Laß ab von mir, Furchtbare! Was willst Du noch von mir?«

»Dich selbst!«

»Siehst Du nicht, daß der Tod schon seine Hand auf mich gelegt? Laß mich in Frieden sterben!«

Die Courtisane lachte spöttisch auf. »Glaubst Du, Thor, Venus gebe den so leicht frei, der ihrem Dienst verfallen? Die stolze Patrizierin, deren Laune sich auf Dich geworfen – wo ist sie? Die duldende Thörin, für die Du die Venus geopfert – wo ist ihr Beistand? Die Liebe des Geistes und des Herzens – wo sind sie? Nur im Fleisch lebt die Wahrheit – nur die Wollust ist das Leben!«

»Fort von mir!«

»Vernimmst Du den Donner, der über uns kracht? Die Zeit ist nahe, da sich's entscheiden soll!« Ihre Hand durchschnitt mit scharfem Messer die Bande seiner Glieder, dann richtete sie ihn empor.

»Thörichter Mann! Was ist von Deinem Glanz und Stolz geblieben? Nur in der Lust ist das Leben, in dem Glauben ist der Tod. Zu mir, Riccardo, und Du sollst leben von neuem!«

»Niemals! Fort von mir!«

»Siehst Du die Gewölbe sich spalten? das Gericht bricht an! Nur ich vermag Dich zu schützen! Bete das Fleisch an, kehre zu mir zurück, und ich will Leben in Deine Adern gießen!«

Der Schweizer hatte sich emporgerafft – in seinen Augen flammte nicht mehr des Wahnsinns Nacht, sondern ein erhabener Gedanke.

»Santa Fausta! Santa Fausta, ich komme!«

Krach auf Krach, mit dumpfem Schlage, durchbrachen die Bomben das hohe Gewölbe des Doms und sprühten, aufschlagend auf die Marmorquadern, Tod und Verderben umher.

Nach der Kapelle schwankte sein Gang – hin zum Altar.

Sie hatte sich vor die Stufen geworfen, ihre Augen sprühten Wollust und Zorn.

»Zu mir, Riccardo! an die Brust, an der Du die Wonnen des Lebens gekostet! Was willst Du mit Deinem kalten Gott? unser Gott ist der Genuß! bete mich an und Du wirst leben! Du bist mein, Seele und Körper, und ich fordere Dich!«

Sie streckte die Arme ihm entgegen, das leichte Gewand war von ihrer Schulter gesunken, und heiß und unbedeckt wogte ihm der herrliche Busen entgegen. Den Kopf leicht zurückgeworfen, die roten Lippen geöffnet, das wollüstige Auge halb verschleiert – so kniete sie vor ihm.

»Zu mir, Geliebter! Zu mir!«

Er streckte die abgezehrten Arme nach ihr, ein Nebel schien vor seine Augen zu treten, er schwankte auf sie zu …

Da krachte und brach es wie ein Feuerstrom vom Gewölbe nieder, und hoch auf loderte die Lohe des von der Explosion entzündeten Holzwerks.

Die Decke, die das Bild auf dem Altar verhüllt, war von der Erschütterung gefallen, im Feuerschein der Lohe hob sich, als träte sie aus dem Rahmen, eine knieende Gestalt, Auge und Hand betend zum Himmel gerichtet, das verklärte Antlitz gläubig erhoben und vom goldenen Strom des Haares umflossen, jenes Bild der heiligen Elisabeth, der Schutzpatronin der Barmherzigen, das Michele, der Maler, die Schöpfungen der Sinneslust zertrümmernd und das Heilige, das ewig Wahre und Schöne erkennend, mit flüchtigem Zug nach der betenden Nonne entworfen hatte.

Der Schweizer stieß die Versucherin zurück. »Zurück von mir! Du bist der Teufel! Santa Fausta! Santa Fausta! Dir geb' ich Seele und Leib!«

Gell auf lachte die Courtisane, der Flammenschein schien sie wie mit einer Feuerwolke zu umgeben, ihr Auge flammte dämonisch! So stürzte sie auf ihn zu, ihn zu umfassen. »Zu spät, Thor! was der Venus verfallen, gehört ihr im Leben und Tod!«

Da schütterte es wie gewaltiger Donnerschlag durch das mächtige Gebäude, daß die Grundpfeiler erzitterten tief in den Boden hinein. Und nieder krachte und brach es in mächtigen dunklen Trümmern, der Turm von San Pietro, schon erschüttert durch das Bombardement des Tages, stürzte zusammen und durch die gesprengte Decke des Doms, in gewaltigen Steinmassen alles begrabend, nieder in die Kirche, den Schweizer und das Bild, die Venus und den Altar der Heiligen!


Die zweite Linie der Verteidiger war erstürmt – Rom war gefallen!


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