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Grün – Weiß – Rot.


1. Villa Corsini.

Wir haben Rom im Augenblick der Ermordung des Grafen Rossi, des Ausbruchs der republikanischen Schilderhebung und der Gefangennahme des Papstes verlassen Vgl. Villafranca Bd. III. und tragen in kurzen Zügen die Geschichte der italienischen Revolution bis zum Tage der Wiederaufnahme unserer Erzählung nach.

Am 24. November war Pius IX. verkleidet aus dem Quirinal entflohen mit Hilfe des französischen, des spanischen und des bayerischen Gesandten und hatte glücklich Gaëta erreicht, wo er sich unter den Schutz des Königs von Neapel stellte, in einer Proklamation alle früheren Zugeständnisse an die römische Revolution zurücknahm und die katholischen Mächte Europas zum Beistand aufforderte.

In Neapel war die Revolution durch das Proletariat, die Lazzaroni selbst und die Armee unterdrückt worden und hatte sich gegen die Aristokratie gekehrt. Sicilien, das am 13. April 1848 die bourbonische Dynastie seiner Krone verlustig erklärt, am 10. Juli den Herzog von Genua, den zweiten Sohn Karl Alberts von Sardinien zum König gewählt hatte, war im April 1849 unterworfen worden. Der Don Quixote der Revolution, der zehnmal wortbrüchige Pole Miroslawski, hatte auch hier seine Unfähigkeit gezeigt, und, zum Anführer der Sicilianer berufen, Stellung auf Stellung verloren, bis er selbst das Weite suchte. Nach heftigem Kampfe fiel erst Catania; dann wurde Syrakus besetzt; am 23. April unterwarf sich auch Palermo, und die Insel wurde wie erobertes Land behandelt.

In Toscana hatte, wie in Rom, die republikanische Partei rasch den Konstitutionalismus verdrängt. Der Großherzog hatte, von seinem eigenen Ministerium Guerazzi-Montanelli. das ihn zur Fortsetzung des Krieges gegen Österreich gezwungen, verraten, am 7. Februar Florenz verlassen und war nach Gaëta gegangen. Die am 15. proklamierte Republik wurde indes bald von den Florentinern selbst gestürzt, am 12. April wurden die Anhänger Guerazzis vertrieben, die Freiheitsbäume umgeworfen, die großherzoglichen Wappen wieder hergestellt, und der Diktator selbst ins Gefängnis geworfen. Die royalistische Gegenrevolution hatte rasch und unblutig gesiegt: am 25. Mai waren die Österreicher von Livorno aus eingerückt, das allein für die Sache der Revolution Widerstand geleistet hatte, und der Großherzog wurde bei seinem Einzug von dem Jubel der Bevölkerung empfangen.

Sardinien war durch die Siege der österreichischen Waffen bei Goito, Peschiera und Custozza im Sommer des Jahres 1848 nur gedemütigt, nicht von seinen Gelüsten geheilt worden. Während in der Zeit des durch englische Vermittelung erlangten Waffenstillstandes ein liberales Regierungssystem ausgebildet wurde, dessen sich unter dem Schutze Palmerstons bald aufs neue die italienische Demokratie bemächtigte, hatte, von dieser und seinem Ehrgeiz unablässig geschürt, Karl Albert heimlich gerüstet, um noch einmal als Spada d'Italia für den stolzen Traum der Einheit Italiens unter sardinischem Scepter einzutreten.

Aber die Spada d'Italia erwies sich als eine sehr unzuverlässige Klinge.

Am 12. März 1849 hatte Karl Albert den Waffenstillstand gekündigt und war in die Lombardei eingerückt. Aber nur drei Tage dauerte der eigentümliche Feldzug, Radetzki, erbittert über den Treubruch, machte durch die glänzenden Siege von Mortara und Novara am 21. und 23. März dem Kampfe schnell ein Ende. Karl Albert, selbst von den Demokraten verlassen, verzweifelte an jedem Erfolg, und während das so schmählich geschlagene Heer in wilder Zuchtlosigkeit sich auflöste, verzichtete er noch am Abend der Schlacht zu Gunsten seines ältesten Sohnes Victor Emanuel auf die Krone und floh in die Verbannung, in der er vier Monate darauf, am 28. Juli, zu Oporto starb.

Noch in der Nacht seines Regierungsantrittes schloß der neue König einen, von dem greisen österreichischen Feldherrn großmütig bewilligten Waffenstillstand, um dessen Siegeslauf nach Turin zu verhindern. In dem darauf am 6. August zu Mailand folgenden Frieden behielt Sardinien zwar seine Grenzen, mußte aber 75 Millionen Franken als Kriegsentschädigung zahlen.

Die nächste Folge der Siege war die Herstellung der österreichischen Macht, nicht nur in der Lombardei, wo in blutig unterdrückten Bewegungen, namentlich in Brescia, die Revolution ihre letzten unglücklichen Versuche machte, sondern auch in Modena, Parma und Toskana.

Nur an zwei Stellen wehte jetzt noch kühn und trotzig die italienische Trikolore, die Fahne grün-weiß-rot und leistete im Heldenkampf Widerstand gegen die Bataillone der Reaktion, in Venedig und in Rom.

Die Venetianer hatten am 23. März 1848 nach der Vertreibung der Österreicher die Republik von San Marco proklamiert. Aber bald brach auch hier die Uneinigkeit zwischen den Radikalen und den Anhängern der sardinischen Pläne aus, am 13. August hatten die Republikaner im wilden Aufstand die piemontesische Besatzung verjagt, und Manin aufs neue zum Diktator erhoben, der nun mit eisernem Terrorismus herrschte, aber zugleich heldenmütig die Stadt gegen die Österreicher verteidigte, die bald vom Westen und dem Meere aus sie blockierten. Trotzig wies er, auch nachdem mit dem Sieg von Novara die Hoffnung auf Ersatz geschwunden, die Aufforderung Haynaus und im Mai selbst die Friedensvorschläge Radetzkis zurück, während Elend und Zwiespalt die unglückliche Stadt im Innern zerrissen. Mit Heldenmut verteidigten die Republikaner die meerumgürtete Feste. Und als nach dem furchtbaren Bombardement, am 26. Mai, das erste Bollwerk Venedigs, das Fort Malghera, in die Hände der stürmenden Kroaten gefallen, sprengte der Diktator die prächtige Lagunenbrücke, jede Verbindung mit dem Festlande abschneidend, wie der Spanier Cortez einst seine Schiffe hinter sich verbrannte.

Während die Batterieen der Österreicher mit den todsprühenden Bomben die Granite der Piazza und die stolzen Paläste und Kirchen der Giudecca besäeten, wüteten Hunger, Cholera und Meuterei im Innern der gänzlich eingeschlossenen Stadt.

In Rom kämpfte Garibaldi für die italienische Freiheit.

Sofort nach der Flucht des Papstes, und während Kardinal Antonelli von Gaëta aus bald die kirchlichen Blitze gegen die Rebellen schleuderte, bald im geheimen unterhandelte, hatte sich in Rom eine provisorische Regierung, ein Triumvirat, gebildet. Es war zu Ende Dezember eine konstituierende Versammlung berufen worden, deren erstes Werk es war, auf den Bannstrahl des päpstlichen Stuhls drei Tage nach ihrem Zusammentritt, in der Nacht vom 8. zum 9. Februar, mit 120 gegen 20 Stimmen zu beschließen: »Die weltliche Herrschaft des Papsttums ist abgeschafft; der römische Pontifex erhält alle Garantieen für unabhängige Ausübung der geistlichen Gewalt, die Regierungsform des römischen Staates ist die reine Demokratie und nimmt den glorreichen Namen: römische Republik wieder an. Die römische Republik tritt mit dem übrigen Italien in die durch die gemeinsame Nationalität geforderte Verbindung.«

Der entscheidende Beschluß, diese so plötzliche Abwerfung des Gewohnten, machte die Herzen des Volkes erbeben, die besseren Stände, von dem roten Gespenst der Republik erschreckt, zogen sich zurück, das Volk, von den Priestern bedrängt, begann zu schwanken. Nur eine kräftige entschlossene Herrschaft konnte die Freiheit aufrecht erhalten, wie alle republikanische Freiheit der Tyrannei als ihrer ersten Stütze bedarf. In keiner Regierungsform herrscht naturgemäß mehr Terrorismus, als in der Republik. Die blutigen Lehren des alten Roms, der finstern Geschichte Venedigs, der Guillotine von Paris haben es bewiesen.

Das Triumvirat Armellini, Saliceti, Montecchi wurde durch die radikale Partei gesprengt: Mazzini, der furchtbare, stille Lenker und Leiter der italienischen Bewegung, trat offen an die Spitze der Diktatur, Saffi und Armellini seine Gehilfen. Mit eiserner Gewalt wurde der republikanische Terrorismus geübt, und die Greuel von Ancona und Sinigaglia bewiesen, was die herrschende Partei unter Freiheit der politischen Meinung verstand, und daß die Füsiladen von Palermo, die Kerker von St. Elmo und Angelo ihr furchtbares Gegenstück hatten.

Die Reaktion antwortete mit den Schlachten von Mortara und Novara; von Gaëta aus flogen die dringenden Mahnungen des päpstlichen Stuhls an die katholischen Mächte; die wieder erstandenen Throne rüsteten zum neuen Kreuzzug des neunzehnten Jahrhunderts; von der Lombardei her nahte das siegende Österreich, vom Süden das bigotte, revolutionserschreckte Neapel, über das Meer her das bigotte Spanien.

Da sandte Mazzini seinen Boten Ratazzi nach Paris zur Mahnung an die Schuld von Ham und an die der Wahl des 20. Dezember.

Zugleich erscholl der Ruf des rastlosen Agitators durch ganz Italien und verlangte den Zuzug der Freischaren zur Verteidigung des wichtigsten Bollwerkes der italienischen Freiheit.

Was an republikanischen Elementen nicht im eigenen Kampf begriffen oder niedergeworfen und zerstreut war, eilte nach Rom.

Garibaldi, das Schwert des Agitators, war einer der ersten, der mit seiner italienischen Legion herbeizog. Manara mit seinen Bersaglieri, nachdem er die Österreicher zwei Stunden bei Novara aufgehalten, hatte sich nach der verlorenen Schlacht in die Apenninen geworfen und unter hundert Gefahren, mit Verrat und Not kämpfend, auf Fußwegen sie überschritten. Von allen Seiten kamen einzelne Streiter herbei, in Rom selbst bildeten sich rasch Legionen, die Studenti, die Finanzieri unter Zambianchi, selbst die Klöster stellten ihr Kontingent, denn auch einen Teil der Geistlichkeit hatte der allgemeine Taumel ergriffen.

Aber der kühne und schlaue Agitator der Republik hatte seinen Meister gefunden.

Zwanzigtausend Mann hatte der Bewerber um die französische Präsidentur an jenem Abend im Hotel du Rhin am Vendôme-Platz als Preis des Beistandes der Republikaner gelobt, gegen Rom marschieren zu lassen.

Am 28. April fand die Landung eines Korps von 35 000 Franzosen bei Civita-Vecchia statt und Oudinot, bis zum letzten Augenblick seine Instruktionen in diplomatisches Schweigen hüllend, rückte gegen Rom vor. Vergeblich verlangte die republikanische Regierung eine offene Erklärung, erst als es zu spät war, das weitere Vordringen zu verhindern, erkannte Mazzini, daß der frühere Protegé der Revolution ihn überlistet und, der Tradition seines Oheims folgend, mit einem Fuß seine künftige Macht auf Italien stützen und deshalb Rom, seinen Mittelpunkt, in seine Gewalt bringen und mit französischen Truppen besetzen wolle.

Herr von Rom, vermochte der Präsident der französischen Republik der europäischen Revolution seine Gesetze vorzuschreiben.

Die Erkenntnis erregte einen Sturm der Erbitterung in den Herzen der Römer. Die Begeisterung für Kampf und Widerstand loderte aufs neue in hellen Flammen empor, geschürt von den zahlreichen Scharen der Revolutionäre, die sich in dieser letzten Station ihres Kampfes gesammelt. Die Wälle wurden ausgebessert und mit Kanonen besetzt, eine Barrikaden-Kommission ernannt, die Verteidigung geordnet und der Kampf gegen das verräterische Frankreich für die Unabhängigkeit der römischen Republik proklamiert.

Garibaldi war überall, obschon Eifersucht und Intrigue ihm das Oberkommando verweigert hatte. Der kühne Parteigänger kämpfte für die Sache, der er sein Leben gewidmet, nicht aus Ehrgeiz. Er wußte, daß auch seine Zeit kommen werde.

Die Franzosen hatten ihr erstes Lager zwischen der Straße von Civita-Vecchia und dem rechten Tiberufer genommen und versuchten am 30. April ein mehr gesichertes in der Nähe der Stadt auf dem Monte Verde zu erobern.

Der Tiber, von Norden kommend und in zwei tiefen Windungen sich nach Süden schlängelnd, teilt Rom in zwei ungleiche Hälften, die eigentliche Stadt mit ihren alten Erinnerungen und tausend Denkmälern, auf dem linken Ufer von der Porta del Popolo im Norden beginnend bis zu den Thoren St. Paolo und St. Sebastiano im Süden, jenseits deren auf dem Weg nach Tivoli an der alten lateinischen Straße die mehr als tausendjährigen Ruinen der alten Gräberstadt beginnen. Die große Stadt umfaßt den Monte Pincio, den Monte Viminale, den Esquilin, den Monte Celio, den Palatino und Aventin, mit ihren Kaiserpalästen und Trümmern. Die lange Straße des Korso erstreckt sich von der Porta del Popolo bis zum venetianischen Platz unfern des Kapitols und des Forum Romanum. Zur Linken des Korso liegt der päpstliche Palast des Quirinal, zur Rechten das Straßengewirr um die Plätze Colonna, Navona und Mvnte Citorio.

Der Stadtteil jenseits des Tiber ist das Trastevere mit dem Monte Vaticano und Gianiculo. Das Kastell St. Angelo, die berühmte Engelsburg, beginnt an der ersten Tiberwindung den weit vorspringenden vatikanischen Stadtteil mit dem Vatikan, der fast eine Stadt für sich, und der Peterskirche. Die Porta Cavalleggieri führt unterhalb des Petersplatzes nach der Straße von Civita-Vecchia und dem Meere. Am Gianiculo entlang ist die alte bastionierte Stadtmauer, die das ganze Rom umschließt, von einem zweiten Thor, der Porta San Pancrazio, unterbrochen, dem im Süden am Tiber selbst, am Hospital St. Michelo, die Porta Portese folgt.

Vier feste Brücken, die Engelsbrücke am Kastell, die Ponte Sisto gegenüber der Porta St. Pancrazio, die Brücken über die Insel San Bartolomeo und die Aemilianische Brücke vermitteln außer einigen fliegenden Übergängen und den Trümmern alter römischer Brücken den Verkehr nach dem innern Rom.

Vor der Porta San Pancrazio, etwa in der Entfernung eines Büchsenschusses, liegt zur Rechten der mit Gartenmauern und Hecken umsäumten Straße die Villa Vascello, daran stoßend die Villa Valentini, während dem Thor gegenüber mit engem Eingang die Gärten der Villa Corsini sich öffnen, um die rechts und links die Wege nach Pamfili und nach dem Kloster San Pancrazio sich erstrecken.

Die Stellung ist eine der gedecktesten und beherrscht den Zugang der Stadt von dieser Seite. Deshalb galt auch die erste feindselige Handlung der Franzosen der Wegnahme der Villen Pamfili, Giraudi und Valentini.

Sie waren am Nachmittag des 30. April mit ihrem rechten Flügel bis in die genannten Villen, mit ihrem linken um den Monte Vaticano herum bis an die dort nach Norden sich öffnende Porta Angelica vorgedrungen.

Garibaldi mit seiner italienischen Legion, den Studenti, den Finanzieri unter Zambianhi und einigen andern kleinen Abteilungen war durch die Thore San Pancrazio und Cavalleggieri unter dem Schutz der Wallgeschütze ausgefallen und hatte den Feind zurückgeschlagen. Die Abhänge der Villa Pamfili wurden mit dem Bajonett genommen, und ein französisches Bataillon gezwungen, die Waffen zu strecken.

In der Mitte der Freischaren zogen die knirschenden Franzosen in Rom als Gefangene ein, empfangen von dem Hohn des Volks.

Der Jubel in der Stadt war unbeschreiblich – ganz Rom illuminiert, auf den Straßen und Plätzen drängte sich Vornehm und Gering mit begeisterten Exklamationen; von diesem Augenblick an war Garibaldi der Heros des Volkes.

Aber auch an Scenen der entfesselten Volksleidenschaften fehlte es an dem Abend des Sieges nicht. Ein Priester, der verkleidet in den Villen gefunden und im Kampf gegen die republikanischen Legionen ergriffen worden, ward zum Tode verurteilt, aber ehe die Kugeln der Soldaten ihn niederstrecken konnten, auf der Tiberbrücke vom Volk ermordet und in den Fluß geworfen.

Infolge seiner Niederlage unterbrach der französische Oberbefehlshaber seine Operationen, während die Verhandlungen mit der republikanischen Regierung wegen der Übergabe Roms fortdauerten.

Diese Zeit wurde benutzt, um sich gegen die heranrückenden Neapolitaner zu wenden. Von der Piazza del Popolo aus zog Garibaldi mit dreitausend Mann aus Rom, erreichte unbemerkt im Bogen um die Stadt die Straße von Palestrina, Tivoli und Velletri und schlug die stärkeren Neapolitaner in wiederholten Gefechten zurück. Auch eine zweite Expedition glückte in gleicher Weise durch die siegreichen Gefechte bei Velletri und Arce, und Garibaldi drang bis ins neapolitanische Gebiet. Aber die Intriguen in Rom hatten ihm durch die Beigabe des Generals Roselli als Oberbefehlenden eine hemmende Last zugegeben, und mitten im Siegeszug rief ihn die Unschlüssigkeit der republikanischen Regierung nach Rom zurück. Am 2. Juni traf die Brigade in Rom wieder ein.

Ohne aktiv vorzugehen, hatten die Franzosen diese Zeit benutzt, ihre Stellung zu sichern und ihr Lager im Norden und Westen der Stadt näher heran zu legen.

Am 2. Juni verkündete eine Bekanntmachung den Bewohnern der Stadt, daß mit den Franzosen ein Waffenstillstand mit fünfzehntägiger vorheriger Kündigung geschlossen sei. Aber schon am Abend klebte man an allen Straßenecken neben das erste Plakat eine von Oudinot unterschriebene Erklärung, nach welcher der französische Bevollmächtigte Lesseps seine Instruktionen überschritten habe, und der General am 4. morgens den Angriff beginnen werde.

Der 3. Juni fiel auf einen Sonntag.


Die ersten Strahlen der Sonne vergoldeten die riesige Kuppel von San Peters Dom, die wie ein flammendes Gebilde über die ungesunden Nebel der weiten Fläche sich erhob, welche die sieben Hügel umgiebt.

Die weite Piazza war in dieser frühen Stunde fast gänzlich leer.

Das weite Rom schlief noch.

Auch die Schläfer regten sich kaum, die auf den Steinfliesen der Kolonnaden ihr Lager in der schönen Sommernacht gefunden, die Lazzaroni Roms oder mancher nächtliche Schwelger. In Italien ist das Volk nicht so eigen mit seinem Nachtlager, das Portal jeder Kirche, die Steinbank des Palastes, der Schutz des Porticus genügt ihm für die wenigen Stunden.

Auf den Stufen der Kolonnade, die sich um die Nordseite des Platzes zieht, saß eine kleine dunkle Gestalt. Der Kopf, von braunen langen Locken umgeben, paßte durchaus nicht zu der verwachsenen zwergartigen Figur. Das schöne Gesicht, über dessen Züge der Hauch tiefer Schwermut gebreitet lag, war in die Hand gestützt, während der Arm wieder auf dem Knie ruhte, und sinnend starrte das Auge auf die kämpfenden grauen Töne von Nacht und Licht.

»Sie betet allein, und ihr Gebet gilt ihm!« murmelte der kleine Mann, »aber sie ist eine Heilige, und kein irdischer Gedanke entweiht ihr Herz. Armer Thor, hüte Dich, daß nicht die Dämonen wieder von dem deinen Besitz nehmen!«

Er versank aufs neue in träumerisches Nachsinnen, aus dem ihn selbst der gemessene, langsame Schritt eines Nahenden nicht erweckte.

Der herankam, war eine starre hagere Gestalt, in ein schottisches Plaid gegen die Einflüsse des Morgennebels gehüllt, ein Fernrohr in Lederfutteral nebst einem Schirm unter dem Arm. Auf fünfzig Schritt mußte jeder, selbst wenn er kein scharfsichtiger, die Art aus dem Fundamente kennender Römer war, sehen, daß es einer jener europäischen Nomaden voll Sonderbarkeiten und Anmaßungen, ein reisender Engländer war.

Der Brite schien einige vierzig Jahre alt; das Gesicht war fein und schön, aber es hatte einen schlaffen, fast weibischen Ausdruck, trotz der dunklen Färbung, und das von langen Wimpern verschleierte Auge war matt und blickte träg und gleichgültig auf alle Gegenstände. Er trug kurz abgeschnittene rötliche Haare und nach englischer Sitte einen starken hochblonden Backenbart mit sorgfältig rasiertem Kinn.

Der so frühe Spaziergänger oder Bewunderer der Merkwürdigkeiten Roms blieb zuerst an einer Stelle der Kolonnaden stehen, von der her ein eigentümlicher Laut das Rauschen der Fontänen accompagnierte. Es war ein kräftiges, gurgelndes Schnarchen, das von einer Gruppe kam, die unter dem Säulengang ihr Nachtlager genommen. Die so unharmonisch sich vermischenden Töne veranlaßten den Engländer näher zu treten, und ein eigentümliches Lächeln überflog das sonst so schlaffe Gesicht, als er das seltsame Terzett vor sich sah.

Der anbrechende Tag erlaubte bereits, auch im Schatten der Kolonnaden die Gruppe zu erkennen, die aus einem feisten Mönch, einem Esel und einem Mann in der Tracht der Gebirgsbewohner von Tivoli oder Palestrina bestand.

Die beiden menschlichen Mitglieder der Gesellschaft, die gleichsam als dritten in ihrem Bunde den schlafenden Esel in ihre Mitte genommen, waren mit einem merkwürdigen Arsenal von Waffen versehen. Der Mönch, nach seinem Ordensgewand einem der Bettelklöster angehörend, trug die Kutte hoch aufgeschürzt unter einer schmutzigen Schärpe mit den italienischen Farben. Eine große Reiterpistole, aus irgend einem mittelalterlichen Arsenal entlehnt oder gestohlen, stak in dieser Schärpe, die seinen dicken Wanst umgab, eine zweite war herausgefallen und bedrohte, gespannt wie sie war, bei jeder unglücklichen Bewegung das Leben ihres Herrn oder seines Esels. Die Rechte des Mönchs hielt einen mächtigen Knotenstock, mehr einer Keule als einer Stütze ähnlich, während die Linke unter dem entblößten Haupt auf dem Bauche des Esels ruhte, den der Schläfer zu seinem Kopfkissen gewählt hatte. Das breite, öl- und weinglänzende Gesicht, mit Schmutzflecken aller Art bedeckt, glühte noch in der Röte der nächtlichen Libation und nahm sich mit der Tonsur und dem kahlen Schädel überaus komisch aus. Das seltsamste Stück der Bewaffnung, ein Helm von antiker Form, hing herabgerutscht mit dem Riemen an dem feisten, stierähnlichen Hals des Schläfers, und der Druck auf seine Kehle trug nicht wenig dazu bei, das trompetenähnliche Schnarchen noch zu verstärken.

Der Palestriner auf der andern Seite des Esels mit der Bewaffnung und dem Aussehen eines echten Ritters der Heerstraße war ein noch junger Mann mit aufgewecktem, schlauen Gesicht. Aber auch er lag in vollem tiefem Schlaf, obschon seine Hand dabei fest den Lauf seiner Büchse umklammert hielt.

Der Engländer schüttelte den Kopf. »Der tolle Mönch ist wieder betrunken, wie ein Vieh,« sagte er halb ärgerlich. » Goddam! es wird einer tüchtigen Wäsche unter einem Brunnen bedürfen, um ihn noch diesen Morgen nüchtern zu machen. Aber der Bursche ist unbezahlbar in seiner Originalität und hat mir schon manche Stunde den Spleen vertrieben! Wahrhaftig, der Schelm schläft, ohne es zu ahnen, auf einem Pulverfaß, denn wenn das ungeschlachte Ding da losgeht, jagt es ihm gerade die ganze Ladung in den Wanst.« Er hob die gefährliche Pistole auf und spannte den Hahn ab, bevor er sie wieder niederlegte.

Dann kitzelte er den Koloß mit der Spitze seines Stiefels in die Seite und wiederholte dies Spiel, sich an dem Gesichterschneiden des schlaftrunkenen Mönchs und seinem unbehilflichen Drehen amüsierend, bis auch der Esel von der Unruhe seines Herrn halb wach wurde, und, keineswegs schon gewillt, sich in seinem Morgenschlafe stören zu lassen, diesem etliche unsanfte Tritte und Hufschläge versetzte.

Der breite, fast von einem Ohr bis zum andern reichende Mund des Bettelpfaffen verzog sich zu einer kläglichen Grimasse. »Musch, nimm die Hand von meiner Kehle, verfluchter Spitzbube!« brummte er im Schlaf. »Hast Du keine Achtung vor einem heiligen Mann, Du betrunkener Schurke, daß Du mich schlägst? Exorcisco te! exorcisco te! reicht mir die Flasche her, Mädels! ich habe einen Durst zum Umfallen!«

Dann begann er mit seinen Fäusten auf den Esel loszuschlagen, der die Püffe mit allen Kräften erwiderte und ein langgedehntes Y–ah! ausstieß, das auch den andern Schläfer halb erweckte. Dieser murmelte einen tüchtigen italienischen Fluch und versetzte der Glatze des Mönchs einige tüchtige Püffe, worauf dieser, im Traum sich für besiegt haltend, Ruhe gab, und alle drei friedlich ihren Schlaf fortsetzten.

Der Engländer hatte sich schon bei Beginn der Scene mit leichten Schritten entfernt und näherte sich jetzt einem der Ausgänge, die nach den Höfen des Vatikan führen. Hier blieb er stehen und sah nach einer Uhr.

Sie zeigte ein Viertel vor Drei, es war also noch sehr früh am Tage, oder sehr spät in der Nacht.

»Es ist die bestimmte Zeit,« murmelte er. »Ich hoffe, der Bursche wird mich nicht warten lassen, und es ist der Mühe wert, daß er mich zu dieser Stunde hierher bemüht hat.«

Er stellte sich an den Ausgang und gab ein Zeichen mit einem dreimaligen Husten.

Sogleich antwortete aus dem Dunkel des Korridors das gleiche Signal.

Eine große, viereckige Gestalt kam mit vorsichtigen Schritten herbei.

»Sind Sie es, Mylord?«

Der Fragende trug die Tracht eines Laienbruders und eine Kapuze tief über den Kopf gezogen. Ein aufmerksamer Beobachter hätte jedoch leicht bemerkt, daß sein Gang wenig Mönchisches, sondern den, wenn auch vorsichtigen, doch festen Schritt des Kriegers hatte.

» By Jove! wer sollte es sonst sein? Sie haben eine eigentümliche Zeit gewählt, Master Waidinger, um die Leute aus ihren Betten zu sprengen.«

»Still, Mylord,« sagte der andere hastig in dem breiten südschweizerischen Dialekt des Italienischen, »nennen Sie den Namen nicht wieder, selbst die Steine haben hier Ohren. Ich bin der Fra Jacopo und kein anderer! Euer Herrlichkeit befahlen, von allem neuen unterrichtet zu sein und lieben merkwürdige Schauspiele. Es blieb mir kein anderes Mittel, Sie zu benachrichtigen, als der Brief.«

» Per bacco! er war dunkel genug!« Der Engländer nahm einen schmutzigen Brief aus seiner Brieftafel und las laut: »Morgen früh, ehe die Glocke Drei geschlagen, an dem zweiten Eingang zum Vatikan! Es giebt viel zu sehen.«

»Und nun, bitte, mein würdiger Waadtländer und Spion Sr. Heiligkeit oder der eben so heiligen Eminenz, des Herrn Kardinal Antonelli, der mich schon einmal für sein Leben gern erschossen hätte, was giebt es neues?«

»Euer Herrlichkeit haben gehört oder gelesen,« sagte der verkleidetet Gendarm, der damals den Kardinal nach dem Cirkus des Caracalla begleitet hatte, »daß die Franzosen morgen den Angriff beginnen werden?«

» Yes! ich denke mir es von einem bequemen Platz anzusehen!«

»Ew. Herrlichkeit könnten das Schauspiel schon diesen Morgen genießen, wenn es Euer Herrlichkeit auf einige Scudi nicht ankommt!«

»Was soll das heißen? Der Name des Generals selbst steht unter der Proklamation!«

»Wenn Euer Herrlichkeit länger zögern, werden Sie das Schauspiel verlieren. Um 3 Uhr werden die Herren Franzosen sich der Villa Valentini und Corsini bemächtigen!«

»Aber das ist Bruch des Worts und Verrat!«

»Bah,« sagte der Schweizer phlegmatisch, »was geht es mich an, ich verkaufe Euer Herrlichkeit meine Nachrichten und kümmere mich um das weitere nicht!«

Die Apathie war einen Augenblick aus dem Gesicht des Engländers gewichen, jetzt aber nahmen seine Züge wieder den gewöhnlichen, gleichgültigen Ausdruck an.

»Sie haben Recht, es kümmert uns beide nicht. Seit wann haben Sie diese Nachricht, Master Jacopo?«

»Seit gestern Abend!«

Der Lord warf ihm einen raschen Blick zu. »Und Sie haben sie Signor Mazzini oder Avezzano nicht gleichfalls verkauft?«

»Was gehen mich Herr Mazzini oder Avezzano an, ich stehe nicht in ihrem Solde. Ich stecke in dieser miserablen Kutte im Dienst Seiner Heilichkeit bei der Frau Herzogin, und Euer Herrlichkeit bezahlen mich, daß ich Ihnen verrate, was los ist.«

»Sie haben immer Recht. Überdies bezahlen die Herren Republikaner schlecht. Hier nehmen Sie diese zwanzig Scudi für die Nachricht. Unsere kleine Herzogin intriguiert also mit beiden Parteien?«

»Je nachdem!«

»Und sie ist es, welche die Nachricht erhalten hat?«

»Es ist keine Seltenheit, daß französische Offiziere den Vatikan besuchen. Es kommen noch ganz andere Persönlichkeiten hierher. Wenn Euer Herrlichkeiten wüßten …«

»Das sollen Sie mir ein ander Mal erzählen – es gehört in unsern Vertrag. Doch wo wird man den Angriff am besten sehen?«

»Ich denke, wenn Euer Herrlichkeit die Kuppel besteigen …«

»Das ist wahr. Gehen Sie voraus, und lassen Sie mir die Thüren öffnen.«

»Es steht ein Posten auf der Galerie!«

»Gut, ich finde den Weg allein. Gehen Sie jetzt, und wenn diesen Abend Rom nicht etwa in den Händen des Herrn Oudinot sein sollte, so finden Sie sich an dem gewöhnlichen Platz ein.«

Der ehemalige Gendarm machte eine Bewegung, halb ein militärischer Gruß, halb eine Segnung, und schlich davon.

Der Engländer ging einige Schritte auf und nieder.

» By Jove!« sagt er dann, »diese Belagerung fing in der That an, ennuyant zu werden. Man muß die Gelegenheit zu einiger Aufregung benutzen.«

Er zog seine Brieftafel und schrieb auf ein Blatt zwei Zeilen. Dann faltete er dasselbe und ging leise zu der Gruppe der Schläfer zurück, bei der er vorhin stehen geblieben.

Das Kleeblatt schnarchte wieder in voller Einigkeit. Der Engländer beugte sich über den jungen Palestriner und schob ihm das beschriebene Blatt in den Brustlatz, so daß er es bei seinem Erwachen bemerken mußte.

Dann ging er die Rotunde entlang nach dem Eingang der Kirche zu. In der Nähe der Stelle, an der der Bucklige saß, blieb er nochmals überlegend stehen.

»Es wäre schade,« sagte er, »wenn der Angriff so rasch gelingen sollte. Eine Belagerung von Rom sieht man nicht alle Tage, und ich muß sehen, wie diese Herren Republikaner sich schlagen. Aber wo find' ich den Boten?«

Eine zufällige Bewegung machte ihn nach der Richtung schauen, wo der verkrüppelte Mann hinter der Säule saß.

Er trat erstaunt zwei Schritte auf ihn zu.

»Meister Michele?«

Der Zwerg wandte langsam das bleiche Gesicht, ohne sich aus seiner Stellung zu erheben.

»Sind Sie es, Mylord? Seien Sie gegrüßt!«

» Damn! ich dächte, das wäre das wenigste, was Sie sagen können! Mensch, was ist mit Euch vorgegangen, warum verleugnet Ihr Euch und sperrt Euch ab, wenn man Euch besucht, oder seid nie zu finden! Zum Henker, ich habe es verschmerzt, daß Du meine schöne Bacchantin zertrümmert, die ich bei Dir bestellt, und zu der ich Dir das Modell geliefert. Aber dem Freunde sollte man billiger Weise wenigstens nicht die Thür weisen!«

Der Künstler hatte sich erhoben und bot dem Engländer die zarte abgemagerte Hand.

»Verzeihen Sie mir, Mylord,« sagte er traurig, »Sie waren, ohne daß Sie es wußten, schon der Freund und Beschützer des Knaben, und sind es mir immer geblieben. Wie könnte ich je dies vergessen? Wenn ich mit irgend jemand in dieser großen und blutigen Stadt verkehrte, wer könnte es anders sein, als Sie?«

Auf dem sonst so apathischen Gesicht des berühmten Sonderlings lag ein Zug von aufrichtiger Teilnahme, als er die Hand des Zwerges faßte.

»Ich habe Euch kaum wiedergesehen,« sagte er freundlich, »seit dem Morgen nach dem Sturm auf das Quirinal, als ich Euch besuchte, um wegen unserer Schützlinge mit Euch Rücksprache zu nehmen? Vgl. »Villafranca«. Ich fand sie beide verschwunden, das Atelier verwüstet, wie von Vandalen, alle die pikanten Gebilde Eurer Laune zerstört, Euch selbst wie einen Narren und Anachoreten eingeschlossen, und kein Mensch hat seitdem Euer Allerheiligstes betreten!«

»Sie waren von Rom abwesend, Mylord?« sagte der Künstler, ohne Antwort zu geben.

»Länger als drei Monate! Ein Brief rief mich eilig nach London. Von da besuchte ich Petersburg und Berlin, und habe mir die Herren Ungarn in der Nähe besehen. Ich ließ mir in Wien Briefe an Radetzki geben, ein Teufelsbursche unter der alten ruhigen Hülle, und hatte das Vergnügen, mit ihm die Jagd bei Novara mitzumachen. Seine Ordonnanz-Garden sind allerliebste Burschen mit ihren fliegenden Mänteln und schwarzen Uniformen und könnten mit unserm kleinen Revolutions-Komödianten Garibaldi rivalisieren.«

»Sie sind glücklich, Mylord, Sie suchen und finden überall Zerstreuung.«

»Das Leben wäre sonst auch unerträglich, und ich hätte mir schon zehnmal eine Kugel durch den Kopf gejagt oder von der Spitze einer Pyramide einen Salto mortale gemacht. Ich muß Euch sagen, Meister Michele, ich war vor zwei Jahren verteufelt in Versuchung, mit einem Fischerkahn mit aufgespanntem Segel den Niagara hinab zu fahren, und wenn dieses Revolutionsfieber nicht gekommen wäre, wüßte ich wahrhaftig nicht, was ich gethan hätte. Aber um wieder auf Euch zu kommen, als ich vor vier Wochen nach Rom zurückkehrte, um zu sehen, wie sich die Herren Oudinot und Mazzini vertragen würden, habe ich mich sofort nach Euch erkundigt und Euch besucht. Aber Ihr wart niemals zu finden, und ich mußte seltsame Dinge von Euch hören.«

»Und welche, Mylord?«

»Ei Goddam, daß Ihr der Cicisbeo oder Liebhaber einer kleinen Nonne wäret, der Ihr wie ein Hund nachlauft, und daß Ihr ein Kopfhänger und fromm geworden seid, während ganz Rom vor Vergnügen Bocksprünge macht, daß es endlich seinen heiligen Charakter los geworden.«

»Mylord, freveln Sie nicht!«

»Zum Henker, macht, was Ihr wollt! Einen Sparren habt Ihr von jeher gehabt. Es ist gleich, ob Ihr Heiligenbilder oder nackte Nymphen malt und meißelt, es wäre nur schade, wenn Ihr der Kunst verloren gehen solltet. Aber Ihr seid mir immer noch die Erklärung schuldig, wo damals unsere beiden Flüchtlinge geblieben. Daß Euer schönes Modell – der Teufel hole Euren Eigensinn, daß Ihr die Gelegenheit nicht besser benutzt! – die Herzogin von Ricasoli, glücklich davon gekommen und im Vatikan selbst jetzt ihr Hoflager aufgeschlagen hat, an dem alle Parteien fleißig verkehren, das weiß ich aus eigener Anschauung. Aber was ist mit dem Schweizer Offizier geschehen? der Bursche war ein tapferes Blut und interessierte mich!«

Das bleiche Gesicht des Künstlers rötete sich und ein Blitz der Drohung oder Erbitterung schoß aus seinen Augen, während unwillkürlich seine Linke sich fest auf das Herz preßte.

»Wenn Sie seit vierzehn Tagen in Rom sind, Mylord,« sagte er erregt, »werden Sie von der Faustina, diesem Abgott des Pöbels, der sogenannten Göttin der Freiheit oder der Venus von Rom gehört haben.«

»Von der famosen Trasteverinerin? Damn! Das versteht sich! Aber ich habe sie merkwürdiger Weise noch nicht zu Gesicht bekommen.«

»Weil sie nur erscheint, wenn es ihr beliebt, und Blut und Verbrechen im Anzuge sind! Sie ist die Furie dieser verbrecherischen Revolution!«

Der Engländer sah ihn erstaunt von der Seite an. »Aber in welcher Beziehung steht meine Frage zu der Dirne?«

»Wenn Sie nach Signor Riccardo, dem ehemaligen Leutnant der Schweizer, dem Blutsverwandten des ermordeten Rossi, fragen, suchen Sie ihn jetzt in ihrem Gefolge auf den Wällen Roms und in den Bacchanalien des Kapitols!«

»Meister Michele, Ihr seid ein Reaktionär!«

»Ich bin, was ich bin, Mylord!«

»Aber – doch vorerst, wie kommt Ihr zu dieser ungewöhnlichen Stunde hierher?«

Der Krüppel errötete wie ein junges, verschämtes Mädchen.

»Ich könnte Ihnen dieselbe Frage zurückgeben, Mylord; Sie wissen, daß ich Restaurator in den Galerieen des Vatikan bin.«

»Ah bah! man restauriert keine Bilder morgens 3 Uhr!«

»Nun wohl, ich habe jemand gestern Abend hierher geleitet!«

»Und seitdem wartet Ihr hier auf dem Marmorpflaster der Kolonnaden? Goddam! die Liebe muß groß sein!«

»Mylord!«

»Meister Michele, Ihr thut mir leid! Der Narr, den Ihr jetzt aus Euch macht, ist nicht besser, als Euer früherer!«

»Mylord,« sagte der kleine Mann und legte schüchtern die Hand auf den Arm seines Gönners, »die Erkenntnis der wahren Schönheit ist über mich gekommen, und ich bereue tief meine früheren Verirrungen. Nicht in dem Fleisch, nur in dem Geist wohnt die göttliche Offenbarung! Sie ist eine Heilige und wird zu den Heiligen gehen!«

»Wer?«

Der Zwerg wies mit der Hand nach dem Vatikan. »Wissen Sie nicht, daß man dort ein Lazarett eingerichtet hat?«

»Ich hörte davon; der Vatikan ist groß genug, und ich wüßte nicht, zu was er nicht schon benutzt worden wäre, vom Bordell bis zum Schafott!«

»Sie geht jede Nacht dahin, um die Kranken zu pflegen und zu trösten, und ich folge ihr wie der Hund, der die Schwelle seines Herrn bewacht.«

» By Jove! Ihr habt mir immer noch nicht gesagt, wer?«

»Schwester Fausta, die Samariterin!«

»Ah, die kleine Nonne, von der man mir gesagt hat, daß Ihr wie ein Narr in sie verliebt seid. Ist sie wirklich so hübsch?«

Der Künstler warf dem Excentrik einen finstern, strengen Blick zu. »Freveln Sie nicht, Mylord, an allem, was hoch und rein ist. Sie kennen sie.«

»Ich?«

»Sie selbst führten Sie zu mir!«

»Den Henker! es ist das einzige Mal in meinem Leben, daß ich bei der Herzogin von Ricasoli durch Mascherato Euren Kuppler gemacht, aber der Zufall that mehr als ich, und Ihr ließet ihn entschlüpfen! Damned! ein anderer hätte der schönen Herzogin ihre getrocknete Garderobe nicht so bald zurückgegeben, und wenn sich halb Rom auf den Kopf gestellt hätte!«

»Erinnern Sie sich der barmherzigen Schwester, Mylord, die Sie selbst zur Pflege des verwundeten Offiziers mir sandten?«

»Vom Hospital di Spirito?«

»Ja!«

»Und was ist mit ihr?«

»Es ist Schwester Fausta!«

»Dieselbe, die Euch von dem Studium des römischen Weiberfleisches bekehrt hat? Goddam your eyes! Da habe ich einen sehr dummen Streich gemacht! Aber zum Henker, Mensch, da schlägt von den Türmen die fünfzehnte Stunde, was wir andern vernünftigen Menschen drei Uhr nennen, und ich vergesse über dem Kunstgeplauder mit Euch meinen Zweck. Wollt Ihr ihrer Unheiligkeit der römischen Republik einen Dienst erweisen!«

»Mylord, ich menge mich nicht in Politik!«

»Ich auch nicht, ich habe Lord Minto mein Wort verpfändet, wie Ihr wißt. Aber es handelt sich bloß um die Kleinigkeit der Eroberung Roms!«

»Was kümmert sie mich!«

»Aber die Herren Mazzini, Avezzano und Garibaldi und sonst einige Tausende wird sie gewaltig kümmern. Ich muß auf die Laterne der Kuppel, um das Schauspiel nicht zu versäumen. Aber Ihr, Meister Michele, macht Euch auf die Beine und lauft, so geschwind Ihr könnt, zur Wache an der Porta Cavalleggieri und laßt Alarm blasen. Um 3 Uhr wollen die Franzosen die Villa Corsini angreifen und das Vascello. Die Porta San Pancrazio ist die ihre und Rom dazu, wenn nicht beizeiten etwas dagegen gethan wird, und das wäre in der That ein zu kurzer Spaß!«

»Mylord, ich kann nicht von dieser Stelle, ich warte auf sie!«

»Ihr seid in der That ein größerer Narr, als ich dachte. Damned! da ist es ohnehin zu spät, aber diese Herren Republikaner sind besser auf dem Posten, als ich dachte!«

Ein entfernter Kanonenschuß hatte das Gespräch unterbrochen, ein zweiter, dritter folgte. Von der Engelsburg her antwortete das Krachen eines schweren Geschützes und gab das Signal. Aus den Straßen wirbelte Trommelschlag, das Horn der Bersaglieri in entfernten Quartieren rief zum Sammeln.

» By Jove! ich bin um den Anfang gekommen! Hol' Euch der Henker, Signor Michele, und Eure barmherzige Schwester dazu. Adieu, Mann, und wenn der Mascherato sie vielleicht einmal aus dem Kloster für Euch stehlen soll, so laßt mich's wissen, ich werde nochmals ein gutes Wort für Euch bei ihm einlegen, da er sich wieder in Rom zeigt!«

Der Viscount nickte mit dem Kopfe und wanderte mit gleichgültigem Schritt, als kümmere der Aufruhr, der das ganze Trastevere in Bewegung brachte, ihn nicht im geringsten, dem Eingang der Peterskirche zu, um mit seinem Fernrohr von der Galerie über der Kuppel den Angriff zu beobachten.

Die Schläfer unter den Kolonnaden waren erwacht und sprangen über den Platz, von allen Seiten eilten Volk und Soldaten herbei in der buntesten Verwirrung und den seltsamsten Toiletten, wie der Kanonendonner sie aus dem Schlafe gestört. Kein Mensch, auf die Erklärung des französischen Oberbefehlshabers bauend, hatte an einen Angriff auf die Stadt schon am heutigen Tage gedacht, und jetzt heulte es plötzlich durch die Straßen: I Francesi! I Francesi! avanti! avanti! die Wallgeschütze donnerten, und der Sturmmarsch störte den heiligen Frieden auf dem riesigen Platz.

Auch der Palestriner war aus seinem Schlaf erwacht, hatte sich die Augen gerieben und dem Esel einen Tritt versetzt, daß dieser mit einigen mürrischen Yahs auf die Beine sprang. Dann begann er seinen zweiten Gefährten, den Mönch, zu bearbeiten, doch ohne den gleich glücklichen Erfolg, wie beim Esel.

»Steh' auf, Fra Pan! hörst Du die Kanonen nicht, betrunkener Pfaffe! Der Teufel ist los!«

»Meinen Segen …« brummte der Träumende und begann im Schlafe zu singen:

Droben auf dem Berge
Da steht eine schöne Kapell,
Da tanzt der Kapuziner
Kyrie! kyrie! kyrie eleison

»Es ist mit dem Vieh nichts anzufangen,« sagte ärgerlich der Bursche. »Er ist schlimmer, als sein Esel. Aber, bei der Madonna, ich will ihm seinen unersättlichen Schlund stopfen, daß er genug daran haben soll.«

Er öffnete den Riemen des Helms und lief mit diesem zur nächsten Kaskade. Dort steckte er selbst den Kopf in das kühle Wasser und nahm einige Abwaschungen der Spuren der vergangenen Nacht und der Schwelgerei des Abends vor und füllte dann das improvisierte Gerät bis zum Rande mit dem kühlen Element.

Als er zu seinen Schlafgenossen zurückkehrte, hatte sich bereits eine Gruppe um diese gesammelt. Der Bettelmönch war durch seine Unverschämtheit und Völlerei eine in ganz Rom bekannte Person, und obschon der fortwährende Kanonendonner den Ernst des Augenblicks und die Gefahr verkündete, in welcher die Stadt schwebte, gab es doch Leichtsinnige genug, deren Fuß eine solche Scene fesselte.

Der Mönch lag auf dem Rücken, den Mund weit geöffnet und schnarchte, daß man es trotz des herrschenden Lärmens weit hin hörte, als sein Gefährte zu ihm trat und ihm den ganzen Inhalt des Helms in die Kehle und über das Gesicht schüttete.

Die Gesichtsverzerrungen des würdigen Terminirers, sein Pusten und Sprudeln waren so komisch, daß der Kreis in ein lautes Gelächter ausbrach und viele der auf dem Platz sich sammelnden Soldaten herbeilockte.

Der Mönch saß jetzt aufrecht und glotzte verwundert und mürrisch umher.

»Hol' Euch alle der Teufel! die Heiligen mögen mir die Sünde vergeben! Ihr feiges, schnatterndes grölendes Gesindel. Könnt Ihr einem Mann der Kirche nicht einmal seine Nachtruh gönnen? O Jäsus! Republikaner wollt Ihr sein! Eheu! eheu! Wassersaufende Spitzbuben seid Ihr, aber ich will den Halunken zeichnen, der mir das Zeug in die Kehle gegossen, daß er sein Lebelang dran denken soll! Hat nicht einer von Euch vielleicht eine Flasche roten Orvieto bei sich, und giebt einem mißhandelten Mann einen Schluck, damit er einen Geschmack kriegt?«

»Schäme Dich, versoffener Mönch, daß Du schon wieder ans Trinken denkst. Hörst Du nicht den Kanonendonner von San Pancrazio? Die Republik ist in Gefahr!«

»Den Teufel über sie! was geht mich Eure lausige Republik an! O Jäsus! ein ehrlicher Mann hat nichts als Last und Verdruß, seit Ihr Seine Heiligkeit, unser Oberhaupt, und die Herren Eminenzen fortgejagt. Schickt es sich für einen Mann meines Standes, wie ein Kriegsknecht umherzulaufen und mit solch liederlichem Gesindel zu verkehren? In nomine Domini! Heiliger San Pankratius, diese Kerle schänden die Kirche und verdienten gehängt zu werden. Wenn ich nur wüßte, wo der Schlingel Peppo steckt?«

»Wenn wir es Sr. Excellenz, dem General, melden, daß Du wieder auf die Republik schimpfst,« sagte ein Legionär, ihn mit dem Bajonett seines Gewehrs in der Seite kitzelnd, »so läßt er Dich ins Loch stecken.«

»O Jäsus, Jäsus! ist keine Christenseele da, die einem armen Mann auf die Beine hilft, daß ich diesem Spitzbuben zeige, was ein ehrlicher Schillehla für ein ander Ding ist, als sein nichtswürdiger Bratspieß? Ins Loch stecken, sagst Du? Muscha! ich scher' mich den Henker was um Deinen General und um die Herren Mazzini und Garibaldi und die ganze Sippschaft zusammen, die Klosterschänder und Kirchenräuber!«

»Still, Pfaff! wenn Du nicht betrunken wärst, ich wollte Dir Dein ungewaschenes Maul stopfen!«

»O Jäsus! wo nur der Schelm, der Peppo steckt? Was Deinen General betrifft. Du rothemdiger Maulaffe, der Teufel hat ihn zum General gemacht, so lügt er in seinen Hals hinein, denn er hat mich einen betrunkenen Schuft genannt, als ich ihm meinen Rapport machen wollte, und die Hölle soll mich von unten auf braten, wenn ich mehr als zwei Flaschen elenden Trasteveriner im Magen hatte. Pfui über Euern Herrn Garibaldi, er ist ein Zauberer und Ketzer, der den Teufel immer hinter sich führt!«

»Kein Wort gegen den General, Pfaffe, oder es geht Dir schlimm!« Fäuste und Gewehrkolben waren ringsumher gegen den Zänker erhoben, der vergeblich Anstrengung machte, auf die Beine zu kommen.

»Peppo! wo der junge Schurke steckt! Peppo!«

»Hier!«

Der Palestriner war eben mit einer frischen Füllung des Helms zurückgekommen und goß sie ohne weiteres dem zankenden Mönch über die Glatze, um ihn vollends nüchtern zu machen.

Die Wirkung war wunderbar, denn im Nu stand der Terminirer auf den Beinen, blickte wild wie ein angeschossener Eber umher und schwang dann seinen keulenartigen Knotenstock zu einem Hiebe, der den nächsten besten sicher mit zerschlagenem Hirnschädel zu Boden gestreckt hätte, wenn ihm nicht der Palestriner in den Arm gefallen wäre.

»Gieb Ruhe, einfältiger Mönch, oder bei der Madonna, ich stoße Dir mein Stilett in den dicken Wanst. Ich war es allein, der Dir das kalte Bad gab.«

»Dann sollst Du es büßen, Du Schelm!«

»Ruhe, sag' ich! Es war das einzige Mittel, Dich nüchtern zu machen. Da lies!«

Er gab ihm das Papier, das vorhin der Viscount in seinen Brustlatz gesteckt hatte.

Fra Pan wischte sich die wein- und wassertrüben Augen; die wenigen Worte, die der Zettel enthielt, schienen aber eine große Macht über ihn zu üben, denn er begnügte sich, leise zu brummen, daß sein Kamerad wohl etwas sanftere Mittel hätte in Anwendung bringen können, und erklärte sich bereit, ihm zu folgen, während er seinen Groll in der gewöhnlichen scheltenden und prahlerischen Weise gegen die umstehenden lachenden Soldaten kehrte, die er faule, grinsende Schelme nannte, mit deren republikanischen Köpfen sein guter Stock sicher noch einmal in Berührung kommen würde.

Er wurde jedoch bald von dem neckenden Kreise befreit, denn das Horn rief sie nach der Mitte des Platzes zur Aufstellung, und die Offiziere trieben sie auf allen Seiten zusammen.

Von der Porta Cavalleggiere her kam ein Reitertrupp heran gesprengt. Hin und wieder stürzte einer oder der andere auf dem glatten Marmorpflaster, das die Einwohner noch nicht Zeit gehabt, mit nassem Sande zu bewerfen, aber die kleine Kavalkade ließ sich durch die Unfälle nicht aufhalten.

An der Spitze des Trupps auf einem schönen feurigen Pferde ritt ein Mann, so ruhig und fest im Sattel sitzend, als wäre er in Erz darauf gegossen. Obschon seine Gestalt nur von mittlerer Größe war, imponierte sein Ansehen doch auf der Stelle, das sonnverbrannte Gesicht mit den antiken Zügen, zur Hälfte von einem rötlichen Bart bedeckt. Unter dem spitzen Hut der schmalen Krempe quoll das tiefbraune Haar hervor. Der Reiter trug eine rote Blouse und um die Hüften der langen gelbbraunen Pantalons einen Gürtel mit Pistolen und prächtigem Dolch, an seiner Seite klirrte ein leichter Reitersäbel. An seinem Hals flatterte im scharfen Ritt ein kurzer weißer Mantel.

Alle seine Begleiter waren ähnlich gekleidet und bewaffnet, wie er, nur einer, der dicht hinter ihm ritt, machte eine Ausnahme. Es war ein Neger, schwarz wie Ebenholz, von riesiger Große. In seiner Faust führte er als Waffe eine lange Lanze mit rotem Fähnchen.

Ein donnerndes Evviva Italia! Evviva Garibaldi! begrüßte den geliebten Führer, als er vor der Front der rasch gebildeten Kolonne der italienischen Legion, der Truppe, die er zur Verteidigung Roms geführt, sein Pferd mit gewaltigem Ruck parierte.

»Legionäre!« erklang seine volle Stimme, »die Franzosen haben Verrat geübt und uns hinterlistig angegriffen. Wichtige Stellungen sind in ihrem Besitz, die Legion wird sie wieder nehmen und Rom seine Freiheit sichern!«

Ein donnernder Ruf der Zustimmung antwortete der kurzen, aber begeisternden Ansprache des Generals. Die Legionäre schlugen ihre Waffen zusammen und schwenkten ihre Hüte.

Garibaldi führte seine Truppen nie gegen den Feind, ehe er nicht persönlich dessen Stellung erkundet. In diesem Augenblick kam er von der Porta Cavalleggieri, wohin er auf die erste Nachricht von dem Angriff geeilt war.

Sein Stab hatte sich um ihn versammelt, es fehlten nur wenige Offiziere, die auf Kundschaft ausgesandt waren, oder um die Truppen der Brigade zu sammeln.

»Oberst Daverio!«

Der Chef des Generalstabs hielt neben ihm, er sollte den wichtigen Auftrag, den er erhielt, ehe zwei Stunden vergangen, mit dem Leben bezahlen.

»Sind die Bersaglieri benachrichtigt? Warum ist Manara nicht an seinem Platz?«

»Soeben erhalte ich ein Billet von seinem Adjutanten vom Campo vaccino. Ein Ordonnanzoffizier des Obergenerals hat den Befehl gebracht, daß das Regiment auf dem Forum in Reserve halten soll. Manara fragt, was er zu thun hat.«

Der General unterdrückte eine Verwünschung auf Roselli, dessen Unentschlossenheit und Verwirrung schon so oft seine Thätigkeit gehindert.

»Lassen Sie Manara die Weisung zugehen, nach San Pancrazio zu rücken. Gott sei Dank, dort kommt Bixio!«

Wie ein Rasender jagte der junge feurige Adjutant des Generals über den Platz daher.

»Er hat scharfe Augen,« murmelte der General, »sie sind die einzigen, auf die ich mich verlassen kann, seit François fort ist!«

»Ihr Pferd blutet, Bixio!«

»Der Streifschuß eines französischen Voltigeurs! Ich war mitten zwischen ihnen, in den Weinbergen auf der Höhe des Mario!«

»So werden wir ihren linken Flügel fassen können, die Bastionen des Vatikan sind mit schwerem Geschütz besetzt, und wir werden einen Sieg feiern wie am 30. April!«

»Es ist unmöglich, General! Die Franzosen sind Herr der Stellung. Retten Sie das Vascello, oder es ist in einer halben Stunde verloren, und die Porta mit ihm!«

Die schlimme Nachricht machte nicht eine Muskel in dem Gesicht des Generals zucken. Der ursprüngliche Plan, die Franzosen von ihrer linken Flanke her zurückzudrängen, und zu überflügeln, hatte der raschen Überlegung eines andern Entschlusses Platz gemacht.

»Daverio, welche Truppen sind zur Hand?«

»Die drei Kohorten der Legion! die Eskadron Dragoner, ein Linienbataillon, die Studenti, die Emigrati und die Truppe des Majors Medici!«

»Dirigieren Sie alles nach der Porta Pancrazio. Lassen Sie die Straßen sperren und nur die Reiter und die Legion passieren. Die anderen Truppen besetzen die Wälle und die Häuser am Thor.«

Der Oberst salutierte und erteilte rasch seine Befehle an die Adjutanten.

»Hast Du nähern Bericht über den Angriff?«

»Das Bataillon Mellara hatte den Posten in den Villen,« berichtete Bixio, »zwei Kompagnieen vorgeschoben nach Pamfili –«

»Halt!« unterbrach ihn der General.

Oberst Marochetti, sein alter Kampfgenosse aus den Pampas von Montevideo, kam herbei.

»Fertig die Legion!«

»Dann fort mit Dir! In zehn Minuten bin ich bei Euch!«

Unter dem Klang der Hörner und dem Zuruf der sich sammelnden Menge verließen die Kohorten im Sturmschritt den Platz. An den Zugängen desselben von Rusticucci und der Villa Barberini her dirigierten bereits die Offiziere die heranziehenden Freischaren nach der neuen Richtung.

»Weiter, Bixio!«

»Die Nähe des französischen Lagers hätte die Lombarden vorsichtig machen sollen, aber sie haben nichts gethan zur Verstärkung des Platzes. Die beiden Kompagnieen in Pamfili sind von den Franzosen überrascht und nach kurzem Widerstand gefangen genommen. Mellara ist schwer verwundet. Der Rest ist von Villa zu Villa geworfen und schlägt sich um das Vascello.«

»Dann ist es die höchste Zeit. Der Henker hole die Lombarden. Es sind dieselben, die sich bei der Landung der Franzosen in Civita-Vecchia überlisten und ihrer Waffen berauben ließen. Was wollen Sie hier, fromme Schwester? Ihr Platz ist nicht in diesen Reihen!«

Der Major Manuli lüftete den Hut und grüßte achtungsvoll die Nonne, die langsam von dem Eingang der Kirche her über den Platz herbeigekommen war und jetzt mitten unter den erregten Kriegern stand.

In einiger Entfernung war ihr ein Mann gefolgt in der Kleidung, wie sie die fremden Künstler in Rom zu tragen pflegen, und einige Schritte hinter ihr stehen geblieben, außerhalb des Kreises, in den sie so mutig drang. Es war Meister Michele, der Verwachsene, den vorhin der Lord auf den Stufen der Kolonnaden getroffen hatte.

Die Nonne trug die Kleidung einer barmherzigen Schwester; an ihrem Gürtel hing eine Tasche, mit Wundbalsam und Verbandzeug gefüllt. Als sie auf die barsche Anrede des Generals jetzt langsam den dichten Schleier zurückschlug, der außer der Stirnbinde ihr Gesicht verhüllte, sah man, daß dieses jung und von ergreifender Schönheit war.

»Mann von Eisen und Blut,« sagte sie langsam, »der Himmel sendet mich, Dich zu warnen. Halte ein auf Deinem Wege und vergieße nicht nutzlos Ströme von Blut. Vergeblich ist Dein Ringen, nicht Du bist es, der Sankt Peters Stuhl stürzen wird! Nicht der eigene Sohn soll die Mutter schlachten, wo der Fremdling schon auf ihr Verderben sinnt. Laß der Bestimmung Gottes ihren Lauf und ende den blutigen Frevel!«

Der General hatte finster die Zügel seines Pferdes angezogen. »Was will die Närrin,« sagte er streng, »was mischt sie sich in Männerwerk? Schafft das Weib fort, sie ist eine Verrückte oder eine Betrügerin, die das Volk aufwiegelt!«

»Es ist Fausta, die Samariterin!«

Die Worte Manulis machten einen allgemeinen Eindruck. Es war keiner im Kreise, der nicht schon von der aufopfernden Hingebung der barmherzigen Schwester gehört hatte, die Tag und Nacht in den Spitälern zubrachte, und selbst am Tage des ersten Kampfes mit den Franzosen durch keine Gefahr sich hatte abhalten lassen, den Verwundeten auf dem Schlachtfelde die ersten Dienste zu leisten. Der verwundete Manuli verdankte ihrer Hilfe das Leben.

Auch das strenge Antlitz des Generals wurde bei dem Namen freundlicher. »Verzeihen Sie, Madonna, ich kannte Sie nicht. Sie haben so viel für meine Krieger getan, daß ich Ihnen Achtung und Dank schulde, und das läßt mich Ihre Worte vergessen. Aber es ist keine Zeit, diesen Dank auszusprechen, der Feind ist vor den Thoren, und viele werden Ihres Beistandes bald bedürfen. Dort ist Ihr Platz.«

Die Nonne hatte die Hand auf seine Zügel gelegt, tiefe Trauer, schmerzliche Begeisterung strahlte aus ihren Zügen. »Verblendeter,« sagte sie, »Du folgst einem falschen Gott! Die Ströme von Blut, die Dein Wahn vergießt, werden einst schwer auf Deiner Seele lasten! Nicht die Freiheit ist's, für die Du Dein Schwert führst, sondern der Frevel! Kehre um!«

Der General befreite den Zügel mit fester Faust aus ihrer Hand. »Du bist keine Tochter Roms, Weib, sonst fühltest Du anders! Nur römische Mütter verdienen, von Freiheit zu sprechen!«

»Deine Freiheit ist ein Phantom, Blutiger! Der Fluch der Kirche ist über Dir, halt ein! halt ein! oder er wird Dich treffen in Deinem Liebsten auf Erden! Du düngst die Erde mit Blut und Leichen um einer falschen Freiheit willen, Elend verbreitest Du, und elend, verlassen von Deinem falschen Götzen wirst Du enden!«

»Sei es! ich will sterben, wenn ich nur Rom von seiner Pfaffenknechtschaft befreit! Aus dem Wege, Weib, und vorwärts, ihr Herren! Nach San Pancrazio!«

Er warf sein Pferd in halber Volte herum und sprengte an der Nonne vorbei, die Offiziere folgten ihm, nur Manuli hielt noch einen Augenblick neben der barmherzigen Schwester.

»Madonna,« sagte der tapfere Offizier, »ich beschwöre Sie, nehmen Sie sich in acht. Selbst die Wohlthaten, die Sie verbreiten, würden Sie bei solchen Reden nicht schützen vor dem Fanatismus des Volkes und der Soldaten. Denken Sie an den Priester, den man an jenem Tage in Stücke gerissen!«

»Ich folge dem Gebot der Heiligen,« antwortete sie, »mich treibt die Stimme des Herrn!«

»Hören Sie meine Warnung, Madonna, und leben Sie wohl! Nach der Schlacht suche ich Sie auf, um für Ihre Sicherheit Sorge zu tragen!«

Sie streckte die Hand gegen ihn aus: »Sorge für Dich selbst, stolzer Mann, denn auch Du hast die Warnung der Geweihten verschmäht! Geh' nicht weiter, denn der Geist sagt mir's. Deiner wartet der Tod!«

Der Offizier fuhr leicht zusammen, es lag in dem Ausdruck der Seherin ein so tiefes Gefühl der Wahrheit, daß sein tapferes Herz unwillkürlich erbebte. Aber der Mannesstolz unterdrückte die zagende Empfindung. »Wie Gott will! Dann bete für mich!« Er sprengte im sausenden Galopp dem Feldherrn nach.

Die barmherzige Schwester machte das Zeichen des Kreuzes, dann ließ sie den Schleier wieder über ihr blasses Gesicht fallen und wandte sich nach Sankt Peters Dom, von dem in mächtigen Klängen zwischen dem Donner der fernen Schlacht die ehernen Zungen der Glocken zur ersten Frühmesse riefen.

Vereinzelte Gestalten, Männer und Frauen, eilten über den weiten Platz, die Angst ihrer Herzen zu den Altären des Allmächtigen zu tragen, aber die meisten wandten sich von ihnen zu dem Schauplatz der menschlichen Thorheit und Leidenschaft.

Auf der Stelle, auf der sie gestanden, als ihre Warnung von den stolzen Männern trotzig zurückgestoßen worden, kniete die Nonne nieder zum stillen Gebet, und als vom fernen Dom das heilige Zeichen der göttlichen Wandlung, das ewige Opfer des Heilands für die irrende Menschheit, herüber klang, berührte ihre Stirn in frommer Demut den Marmor der Quadern.

Ihr Gebet war zu Ende; als sie sich erhob, winkte sie still dem Verwachsenen, der noch immer an seinem Platze stand, näher zu kommen.

»Hören Sie den schrecklichen Donner der Kanonen, Signor Michele?«

»Ich höre ihn!«

»Mein Werk ist hier zu Ende, es beginnt dort. Leben Sie wohl, und die Heiligen mögen mit Ihnen sein!«

»Was wollen Sie thun, Madonna?«

»Die Pflicht der Barmherzigkeit! Den Leidenden Trost und Hilfe bringen, die ich nicht bewahren konnte!«

»Ich begleite Sie! ich verlasse Sie nicht in den Gefahren!«

»Was können Sie mir helfen, wo Gott mein Schutz ist. Ich verbiete Ihnen, mir zu folgen!«

»Aber Sie wissen …«

»Was?«

»Wenn Er da ist!«

»Vielleicht kann ich seine Seele retten, wenn ich den Leib nicht retten kann!«

Sie machte das Zeichen des Kreuzes über den Knieenden, dann schritt sie langsam über den Platz der Richtung zu, aus der der Kanonendonner herüberklang.

Der Künstler sah ihr nach, bis ihre dunkle Gestalt an der Ecke des Rusticucci verschwand, dann folgte er ihr langsam von ferne.


Durch die Straßen des Trastevere vom Ponte Sisto, der alten Brücke des Janiculus, her drängte der Menschenstrom an der Villa Farnesini, San Pietro in Montorio, der Spada und dem Palazzo Corsini vorüber nach den Wällen des Thores, vor dem der Kampf jetzt seit drei Stunden wütete. Tausende von Zuschauern, begierig auf jede Kunde von außerhalb, aufgeregt von jeder Salve des Geschützes, in Angst und Besorgnis um den Ausgang des Tages hin- und herwogend; lange Reihen der Vetturini, die zum Thor zogen, um die Verwundeten aufzunehmen, Ordonnanzen und Wachen, die mit aller Mühe kaum den Weg offen zu halten vermochten, Nationalgarden, die auf ihre Posten nach den Wällen eilten, heranziehende Truppen zur Unterstützung oder Ablösung der Kämpfenden, Offiziere und Adjutanten, die zur Stadt sprengten oder von dorther kamen, Männer aus dem Volk und Artilleristen, die von San Angelo her schweres Wallgeschütz herbeischleppten, ein buntes Gewühl von Gestalten und Stimmen: alles in Aufregung, alles in Eifer, oft einer den andern hindernd, so bald wie möglich zum blutigen Werk des Todes zu kommen!

Unter dem Klang ihrer Hornmusik kamen mit dem raschen, fast laufartigen Tritt die Bersaglieri heran, um sich auf dem Platz am Navorelli auszustellen. Ein Evviva i Bersaglieri! Evviva i capelli fondi! empfing die mutige Schar, die bei Palestrina die Neapolitaner geworfen. Die kleinen muntern Burschen mit ihren dunkelgrünen Waffenröcken, den niedern Filzhüten und dem schwarzgrauen, bis zur Patronentasche reichenden Mantelkragen glühten vor Kampflust und Eifer und konnten von ihren Offizieren kaum zurückgehalten werden, sich durch das Thor zu stürzen, das jetzt von dem Transport Verwundeter und von Munitionskarren erfüllt war.

Der Führer der Bersaglieri, Oberst Manara mit seinem Adjutanten, dem Deutschen v. Hofstetter, drängte sich durch die Wagenreihe. Er war ein stattlicher hoher Mann, kaum 25 Jahre alt; jeder Zug seines edlen Gesichts, das dunkle Feuer seiner Augen verkündete den mutigen, unerschrockenen Krieger, die graziöse elegante Bewegung seines Körpers den Mann von guter Erziehung.

Plötzlich blieb er an einem der Wagen halten. »Heilige Mutter Gottes – Bixio! Was ist Ihnen geschehen?«

Der Verwundete, der die Kissen, aus denen er lag, mit seinem Blute färbte, lächelte traurig und wies auf seine Wunde. Er hatte eine Kugel durch den Leib erhalten, dennoch schwenkte er grüßend die Hand, als er an den Reihen der Kameraden vorüberfuhr, die ihn mit lautem Zuruf empfingen.

»Wie steht der Kampf? wo ist der General?«

Ein verwundeter Legionär, das blutige Taschentuch um den Kopf gebunden, den rechten Arm zerschmettert herabhängend, blieb auf seinem Wege zur Ambulance stehen und salutierte mit der gesunden Linken den Obersten, der ihn fragte.

» Cospetto! es ist gut, daß Sie kommen, Signore! Ich glaube, mit der Legion ist's zu Ende, und der General wird für eine neue sorgen müssen. Per bacco! diese Froschfresser von Franzosen haben uns schlimm geklopft, Oberst Daverio fiel an meiner Seite, unser braver Major Manuli ist durch den Hals geschossen. Daß Oberst Marochetti und Bixio verwundet sind, haben Sie gesehen!«

»Aber der General?«

»Bah! wo wird er anders sein, als im Feuer! Sein weißer Mantel wehte uns voraus, als wir zweimal das Corsini stürmten. Ich sah ihn am Vascello die Trümmer ordnen, als ich mich vorüberschleppte, aber ich glaube, alle Offiziere sind tot oder blessiert, die Kugeln regnen dort draußen wie Hagel.«

Der Oberst griff an seinen Hut. »Dank, mein Braver, für die Auskunft! Gute Heilung, Kamerad!« Er drängte sein Pferd in die Lücke der Wagen und bald mit Güte, bald mit Gewalt gelang es ihm, das Thor zu passieren.

Auf der Straße am Vascello, den von dem Zugang der Villas Valentini und Corsini bis hierher fliegenden Kugeln ausgesetzt, hielt der General, gleich seinem Schatten hinter ihm der Neger.

Die Scene umher war entsetzlich, selbst die gestählten Nerven der Krieger erbebten vor diesem Anblick.

Der Weg vom Thor, dessen Eingang durch eine leichte, mit Feldgeschützen besetzte Erdfläche gedeckt war, war rechts und links bis zum Eingang des Corsini von hohen Gartenmauern gebildet, nur an einzelnen Stellen von kleinen Casas oder Häusern und den Eingängen in die Gärten und Weinberge unterbrochen.

An diesen Mauern, gleich toten Fliegen zerstreut, lagen die roten Gestalten der Legionäre tot, verstümmelt, sterbend! andere schwankten, auf mitleidige Kameraden gestützt, daher und, schon die sichere Rettung erfassend, streckte sie vielleicht eine der weithin treffenden Kugeln der Chasseurs d'Orleans wenige Schritte vor dem rettenden Eingang zu Boden. Im Hofe des Vascello drängten blut- und schweißbedeckt die aus dem Sturm gerettetem Krieger, Legionäre, Studenti und Liniensoldaten wirr durcheinander, unter den Befehlen der Offiziere den Transport der Verwundeten zur Stadt besorgend, die Eingänge und Fenster verbarrikadierend oder Schießscharten in die Mauern schlagend. Hier flehte ein Schwerverwundeter um einen Becher mit Wasser; dort erhob der erschöpfte Krieger die hölzerne Weinflasche, die ihm mitleidig ein Vetturin reichte, zum Munde und setzte sie nicht eher ab, bis der letzte Tropfen herausgesogen war. Freunde suchten die Freunde, Kameraden vergeblich den gefallenen Offizier, die tapfere Legion Garibaldis, die Blüte der Verteidiger Roms, hatte den ersten Todesstoß erhalten.

Aber unentmutigt schlugen sich die Übriggebliebenen. Während die lange Mauer des Corsini mit seinen hochgelegenen Fenstern von dem wohlunterhaltenen Feuer in fortwährenden Rauch gehüllt war, knatterte aus den Fenstern der Casas und des Vascello unaufhörlich die Antwort hinüber nach dem nahen Valentini und der Hauptstellung der Franzosen.

Zweimal seit dem Beginn des Kampfes hatte der General sie mit Sturm, mit dem Bajonett genommen, und die Franzosen daraus vertrieben. Aber mit unwiderstehlicher Gewalt wälzten die in den Gärten des Pamfili und dem Kloster San Pancrazio gedeckt aufgestellten Reserven ihren Strom heran und warfen die geringe Zahl der Sieger wieder aus der mit Blut gewonnenen Villa. Vergebens kämpfte Sacchi, der treue Gefährte des Generals von La Plata her, den Säbel in der Faust, an der Spitze der kühnen Schar; vergebens fand Daverio, durch die Schläfe geschossen, unter den Buchsbaumhecken des Gartens den Tod, schlug sich Marochetti wie ein Rasender, führte der kühne Bixio, der Liebling der Legionäre, auf seinem englischen Pferde, dem Geschenk des Prinzen von Canino, seine Abteilung die breiten Stufen der Villa hinauf bis in den ersten Stock und drang hoch zu Roß durch den Salon bis hinaus zum Balkon. Von neun Kugeln durchbohrt fiel unter ihm das treue Roß und durch den Leib geschossen schleiften seine Getreuen den jungen Helden aus der mörderischen Umgebung.

Mit riesiger Sichel hatte der Tod seine Ernte unter den Mutigsten und Tapfersten gehalten, das Feuer, das jetzt noch, manchem verderblich, die langgestreckte Straße bestrich, war ein Kinderspiel gegen das Schlachten von vorhin.

Unbekümmert um die bis hierher, ja bis zum Wall reichenden Kugeln, hielt der General mit den wenigen Offizieren, die ihm geblieben, am Eingang des Vascello und ordnete dessen Verteidigung. Die breite Straußfeder auf seinem Hut war geknickt, der weiße Mantel durchlöchert von französischen Kugeln; wer in der Aufregung Zeit gefunden, genauer darauf zu achten, hätte gesehen, daß von seinem linken Schenkel herab einzelne Blutstropfen in den kurzen Reiterstiefel zollten. Dennoch veränderte das bronzene Gesicht keinen Zug, nur um die kleinen gutmütigen Augen flog zuweilen eine zitternde Bewegung, wenn er die gelichtete Reihe der Getreuen sah, oder ein teurer Toter oder Verwundeter vorüber getragen wurde.

Oberst Manara salutierte. »Ich bin unglücklich, General,« sagte er, »nicht den Lorbeer und den Tod mit diesen Tapfern haben teilen zu können.«

Der General reichte ihm die Hand. »Tapfere Männer kommen nie zu spät, und es gießt der Arbeit noch genug. Wo steht Ihr Regiment?«

»Jenseits des Thors!«

Der General zog seine Uhr. »Wir müssen das Corsini wieder haben, um jeden Preis. Versuchen Sie Ihr Heil, Oberst, und sehen Sie, ob die Bersaglieri besseres Glück haben, als meine Rothemden. Wo ist Manuli?«

»Tot, General! seine Leiche liegt im Garten, es war unmöglich, sie mit uns zu nehmen.«

»So mußt Du selbst Deinen alten Dienst versehen, Sacchi, ich hoffe, Du hast ihn seit der Hacienda von San Dolores noch nicht verlernt!«

»Befiehl, General!«

»Laß das Thor räumen! Ich kann den armen Schelmen nicht helfen, das Messer des Chirurgen kommt noch zeitig genug in ihr Fleisch. Die Bersaglieri sollen heraus. Geben Sie Ihre Befehle, Oberst, und lassen Sie eine Kompagnie auf dem Wall. Eine zweite bleibt als Reserve im Vascello, mit den andern mögen Sie den Kampf in fünfzehn Minuten beginnen!«

Er ritt in den Hof des Gebäudes, Sacchi war bereits am Thor und trieb mit dem Griff seines Säbels die schreienden Vetturins und den drängenden Schwarm von Munitionsknechten, Volk und Soldaten auseinander.

»Platz für die Bersaglieri!«

»Laßt sie zeigen, was sie können, und ob sie eine festere Haut haben, als wir!«

»Sie haben einen Vorteil vor uns voraus,« sagte der Ordonnanz-Offizier Grippa, höflich die verwundeten Legionäre grüßend, denen die Passage durch das Thor jetzt verweigert worden.

»Und welchen, mein Offizier?« frug ein schwarzbärtiger alter Bursche, der durch die Schulter geschossen war.

»Man sieht das Blut nicht auf ihren Blousen!«

» Brava! Evviva i capelli tondit! Es leben die runden Hüte!«

Der Ruf wiederholte sich aus hundert Kehlen, als die wackern Bersaglieri unterm Klang ihrer Hörner jetzt leichten, raschen Tritts durch das Thor heranmarschierten und sich diesseits desselben aufstellten.

Das Vascello ist etwa vierhundert Schritt vom Thor entfernt, der Eingang der Villa Corsini achtzig Schritt weiter.

Dieser Eingang ist schmal, er bildet die Spitze des Dreiecks der Anlagen um die Villa.

Der Oberst war vom Pferde gestiegen, das er seinem Reitknecht gab; er wollte den Sturm in Person anführen. Seine Adjutanten warfen einzelne Rotten in die Casas, von denen aus die Studenti die Fenster des Corsini beschossen.

Die Kompagnie Ferraris war die vorderste. Plötzlich entstand unter den Tirailleurs ein Lärm, sie hatten eine Abteilung der Franzosen vom Kloster heranrücken sehen, um sich in die Villa zu werfen. Zugleich kam der General herangesprengt.

Der Ruf: » Il Francesi!« setzte die Kompagnie in Verwirrung, und sie flüchtete bis zum Vascello zurück, wo das Gelächter der Legionäre und ihrer Kameraden sie empfing.

Wutschäumend sprang der Oberst unter sie. Hauptmann Ferrari trieb mit dem Säbel die Retirierenden zurück. »Feiglinge! Ihr wollt den Namen des Regiments entehren?«

Der General lächelte, er wußte, wie leicht selbst die tapfersten Truppen durch einen Zufall verwirrt werden.

Er hob den Hut und winkte zum Angriff.

»Zweite und vierte Kompagnie vorwärts! Rettet die Ehre der Bersaglieri!«

» Avanti! Avanti!«

Wie ein Strom stürzte sich die Masse gegen den Eingang der Gärten, die eben noch Geflohenen drängten sich durch die Reihen voran, ihren tapfern Führer an der Spitze.

Bajonette und Säbel wurden bunt durch einander geschwungen; kein Schuß fiel aus der Menge, die einen dichten Keil in dem engen Eingang bildete.

» Avanti! Avanti!«

Mit Begeisterung sehen die Zurückgebliebenen am Vascello die Flut der Tapferen dem Tode entgegen stürmen.

Unter der Aufregung des Augenblicks entging fast ein anderes Schauspiel ihrer Aufmerksamkeit, bis der erst von einzelnen gemurmelte, dann immer allgemeiner verbreitete Ruf: » Santa Fausta! die heilige Schwester vom Esquilin!« sie weckte.

Aus dem Thor durch die Menge, die ehrerbietig Platz machte, kam die barmherzige Schwester, die am frühen Morgen auf dem Petersplatze zu dem General gesprochen.

Der kurze Schleier, dar über ihre Stirnbinde niederfiel, war zurückgeschlagen, auf dem schönen, bleichen Antlitz lag die ernste Begeisterung einer erhabenen Pflicht. Es war, als ob sie das wilde Getöse der Schlacht um sie her nicht vernehme, noch beachte, so ruhig und entschlossen setzte sie ihren Weg fort. Einzelne Blutflecken an dem weißen Kopftuch ihres dunklen Gewandes bewiesen, daß sie bereits von einer anderen Stätte ihres heiligen Berufs kam und im Dienst der Verwundeten thätig gewesen war. An ihrer Seite trug sie die Verbandtasche, in ihrer Linken einen Korb mit Leinenzeug und Erquickungen, während die Rechte das Brevier hielt.

»Geht nicht weiter, Madonna,« bat ein alter Legionär, indem er die Hand ausstreckte, als wolle er sie am Gewand zurückhalten. »Geht nicht weiter, jeder Schritt vorwärts droht den Tod. Die französischen Kugeln respektieren niemand, und wenn eine Heilige vom Himmel käme!«

»Bleibt, Santa Fausta!« riefen die Soldaten. »Wir würden untröstlich sein, wenn Euch ein Leid passierte!«

Die Nonne hob ruhig lächelnd das Auge zum Himmel. »Die heilige Mutter Gottes ist mit ihrer Dienerin. Haltet mich nicht auf, Männer, kann ich Eure Seelen nicht retten, will ich mein heiliges Amt doch üben an Eurem sterblichen Teil!«

Die Kugeln zischten und zerrissen die Luft mit jenem unvergleichlichen Ton, den keiner vergißt, der ihn je im lernst der Schlacht gehört hat.

Die barmherzige Schwester schritt in der Mitte des Weges auf den Eingang des Corsini zu.

Etwa zweihundert Schritt hinter ihr, unbeachtet und unbemerkt von ihr in ihrem heiligen Werk, folgte ihr Meister Michele.

Avanti! Avanti!«

Die Villa schien ein feuerspeiender Vulkan, so blitzte und hagelte das tötende Blei aus ihren Fenstern. Breite Steintreppen führten rechts und links hinauf zu dem ersten Stock, während das Parterre nur zu einer Poterne, einem Durchgang, diente.

» Tirez! tirez, mes braves! sur les officiers!«

Viele stürzten, von den Kugeln getroffen, schon am engen Eingang, und ihre zuckenden Leichen sperrten den Weg. Der Oberst riß die eine Hälfte der Eindringenden mit sich hinter den hohen Buchsbaumhecken an der linken Gartenmauer entlang, die andere führte sein Adjutant auf der rechten Seite bis auf dreißig Schritt von der Villa. Ein mörderisches Schießgefecht begann in einer Entfernung, daß der Pulverblitz fast die Haare des Gegners versengte. Die Franzosen in ihrer geschützten Stellung bildeten einen Feuergürtel, Tod und Verderben sprühend über die ganze Breite der Gärten hinweg, denn von der Rampe der Villa aus liefen rechts und links zwei Fuß hohe Mauergänge bis zur hohen Gartenmauer, auf denen in kleinen Kübeln Orangenbäume die besten Schießscharten gewährten, die man sich wünschen konnte.

Hintes dem Mauergang hatten sich die berühmten Jäger von Orleans, die Jäger von Vincennes, wie sie früher und später hießen, postiert, die Schöpfung des verstorbenen Herzogs von Orleans, und sandten aus ihren nie fehlenden Karabinern zwischen den Kübeln der Orangenbäume hindurch den sichern Tod in die Reihen der Stürmenden.

Dessen ungeachtet hielten die Bersaglieri diesem Verderben speienden Vulkane gegenüber aus.

In gedrängten Gruppen knieten sie, kaum 30 Schritt von der Feuerlinie der Franzosen entfernt, am Boden und unterhielten kaltblütig ihr Feuer auf die Fenster und die Baumreihe, zwischen ihnen standen aufrecht die Offiziere, ermunternd, befehlend, ihren Leuten die besten Punkte zeigend, wohin sie ihr Feuer zu richten hätten, aber auch kenntlich durch ihre grünen, hängenden Federbüsche und ihre goldenen Franzen-Epaulettes für die Kugeln der Feinde.

Da ward der jüngere Dandolo verwundet und von zwei Kameraden aus der Reihe gezogen. Sein tapferer Bruder, der Kapitän, wendete sich zu einem letzten Blick nach ihm, es war sein letzter, denn durch die Schläfe geschossen stürzte er tot zu Boden, und unter einem Regen von Kugeln trugen ihn die Brancards zurück. Signeroni, Mangini und andere Offiziere sanken in ihr Blut, aber noch stand Manara selbst, noch kommandierten unter ihm der besonnene Rozzat, Ferrari, Morosini, Manciagli.

Kaum zehn Minuten hat dies mörderische Schießgefecht gedauert, und die Stürmenden sind decimiert, es ist unmöglich, das Corsini mit dem Bajonett zu nehmen. Sein deutscher Adjutant reißt Manara zurück, dar kaltblütig in dem schrecklichen Feuer an der Mauer lehnt und noch einmal zum Angriff blasen lassen will. »Jede Minute ist Verderben,« beschwört er ihn, »aber Attackieren das Hoffnungloseste, was Sie thun können. Oder würden Sie sich Corsini abnehmen lassen, wenn Sie sich dort befänden?«

Auf dem Bauch kriechen die Verwundeten zurück, um den Todeskugeln zu entgehen und den Ausgang oder wenigstens die nächste Hecke zu erreichen, unter der sie sterben können. Aber noch ist die letzte furchtbarste Scene dieses Aktes nicht gespielt.

Auf den Befehl des Obersten gießt endlich das Horn den Tapfern das Signal zum Rückzug, die nicht eher von dieser Mordstätte weichen wollen. In dunklen Haufen drängen sie jetzt nach dem Eingang. Da erst hält der Tod seine Ernte, da erst mäht die blutige Sense mit gewaltiger Hand unter den Wehrlosen. Die noch so muntern, kühnen Burschen, wie sie niederstürzen auf das Gesicht, der Nächste glaubt, es ist ein zufälliges Straucheln über die Wurzeln des Weinstocks, er beugt sich, dem Kameraden hilfreich die Hand zu reichen, sie fährt nach der eigenen Todeswunde zurück! In der alten Gewohnheit, die gefallenen Brüder mit sich fortzuschleppen, springen andere, die schon hinter der schützenden Casa oder dem Eingang des Gartens glücklich angekommen, noch einmal zurück. Ein kurzer Seufzer, eine krampfhafte, schauerähnliche Bewegung der Glieder, und sie liegen neben den Freunden.

Der letzte im Zug, verläßt Oberst Manara den Garten, er sieht nicht die einfache dunkle Gestalt, die neben ihm vorübergleitet hinein in den Krater des Vulkans, er weiß nur, daß die Leichen seiner Tapfern den Boden decken, und das Corsini ist noch immer in den Händen der Franzosen!

So kommt er zum General, der unfern des Eingangs hält. Kein Wort des Vorwurfs oder des Hohns empfängt ihn, ein Tapferer versteht den andern, und der Händedruck des kühnen Führers sagt ihm, daß er weiß, das Mögliche sei geschehen.

Auf den Befehl des Generals kehren die Trümmer der Schar nach dem Vascello zurück, dieses Bollwerk wenigstens mit allen Mitteln zu befestigen. Nur die Casas zur Seite des Weges bleiben besetzt und aus ihnen wird das Feuer nach den Fenstern des Corsini unterhalten.

Das Innere der Villa selbst bietet ein kaum weniger schreckliches Bild, als der blutgetränkte Garten.

Dichter Pulverdampf erfüllt die Säle und Gemächer, kaum wird es möglich, die einzelnen sich darin bewegenden Gestalten zu unterscheiden. An den Fensteröffnungen stehen in geschützten Gruppen die Jäger mit ihren dunklen Blousen, aus den pulvergeschwärzten Gesichtern nur die weißen Augen leuchtend, von Zeit zu Zeit den trocknen Mund mit einem Trunk aus der Feldflasche lechzend, ehe sie aufs neue die todbringende Kugel in die Büchse stoßen und dem fliehenden Feind einen letzten Gruß nachsenden.

Verwundete liegen ächzend an den Wänden umher, – die Chirurgen sind bereits mit ihnen beschäftigt oder lassen sie aus den Gemächern fortschaffen nach dem hinter der Villa Giraudi eingerichteten fliegenden Lazarett. Ein Offizier läßt die Säle von den Toten räumen, man braucht den Platz für die Lebendigen! Die starren, im letzten Krampf verzerrten Gesichter sind blutbefleckt, denn die Kugeln der Bersaglieri haben fast durchgängig nur Hals oder Kopf getroffen.

Jetzt beginnt sich der Pulverdampf zu verziehen, der frische Luftzug durch die geöffneten Pforten treibt ihn vor sich her, ein Blick über das Feld des schrecklichen Kampfes eröffnet sich.

An einem der Fenster hebt eben ein Jäger die Büchse zum Anschlag. »Sieh'st Du, kleiner Guillaume, was sich da regt, dort unter dem Lorbeerbusch? Einer der italienischen Halunken hat sich verkrochen, aber mort de Dieu, es soll ihm nichts nützen! Jacques Lagrange versteht sein Visier zu nehmen!«

Der Finger berührt den Drücker, als eine Hand den Lauf der Büchse in die Höhe schlägt, die Kugel zischt hoch durch die Gipfel der Pinien und Lorbeerbäume in die Luft.

» Sacretonnere …«

»Still, Kamerad! Du bist mir zu Dank verpflichtet! Ein Tapferer, wie Du, würde sich einen ewigen Vorwurf daraus gemacht haben, ein Weib zu erschießen!«

Der Jäger sieht sich verdutzt um. Der andere, der die Büchse emporgeschlagen, ist ein Artillerie-Offizier, er erinnert sich, daß er ihn während des Kampfes schon in der Villa gesehen und seine ruhige, sichere Haltung bewundert hat.

»Aber, mon capitain, ich wollte einem der italienischen Spitzbuben einen Denkzettel geben!«

»Du irrst, mein Braver! Sieh' näher hin, es ist eine Frau!«

Der Jäger starrte mit offener Verwunderung nach der Stelle, auf die er vorhin gezielt. Der Pulverdampf verdunkelte die Gestalten nicht mehr, in der That, dort zwischen Toten und Sterbenden, hinter der Taxushecke kniete ein Weib im schwarzen klösterlichen Gewand mit dem weißen Kopftuch. In ihrem Schoß ruhte der Kopf eines Gefallenen, den sein rotes Hemd als einen der Legionäre bezeichnete.

Monsieur Jacques Lagrange setzte geschwind den Kolben seines Karabiners auf den Boden. » Ma foi, mon capitain, Sie haben recht! Da hätte ich bald eine abscheuliche Dummheit begangen; aber das kommt vom Eifer, und der verdammte Qualm beißt mir etwas die Augen!«

»Keine Entschuldigung, mein Braver! Ich freue mich nun, daß ich Sie vor einer Übereilung bewahrt!« Der Offizier hatte das Glas vor dem Auge. »Sehen Sie, Montbrison, es ist eine barmherzige Schwester, ein junges schönes Geschöpf, das den Mut gehabt hat, Ihren Kugeln zu trotzen für den edlen Zweck der Menschenliebe. Wir müssen dafür sorgen, daß ihr kein Leid geschieht!«

»O, das ist unnötig,« sagte der angeredete Major der Jäger, »ich denke, Sie kennen unsere Soldaten und sehen da ein neues Beispiel. Wahre Teufel im Gefecht und dann wie die Kinder. Da sammeln sich unsere Bursche schon um die Gruppe und bieten ihr alle mögliche Hilfe an. Aber, was denken Sie, wird geschehen, Kapitän Fromentin! werden sie es wagen, nach dieser Lektion noch einen Versuch zu machen?«

Der Artillerie-Offizier war mit der Untersuchung durch sein Glas fertig. »Sie haben sich zu tapfer geschlagen,« sagte er, »und die Position ist zu wichtig, als daß sie nicht alles daran setzen sollten, sie wieder zu gewinnen. Überdies haben sie einen Mann an ihrer Spitze, der keine Gefahr kennt und selbst vor dem Unmöglichen nicht zurückbebt.«

»Sie meinen diesen Abenteurer Garibaldi?«

»Ja! Er mag ein Abenteurer sein, aber er ist ein Mann! Ich sah ihn im vorigen Herbst im Salon des Herrn Baroche, als er durch den sardinischen Gesandten Sr. Hoheit dem Prinz-Präsidenten vorgestellt wurde!«

»Und heute wechseln die beiden Mächte Flintensalven,« lachte der Major. »Aber das bringt die Politik mit sich. Doch lassen Sie uns zu unserm Gegenstand kommen – was raten Sie zu thun?«

»Ich wundere mich über eines!«

»Das ist?«

»Die Römer müssen schlechte Artillerie-Offiziere haben, sonst würden ihre Bastionen in der Nähe des Thores nicht müßig sein. Das Feuer ist schwierig, aber nicht unmöglich, und die Behauptung der Villa würde Ihnen schwerer geworden sein, wenn man die Mauer des Gartens zusammengeschossen hätte. Ich habe die Ordre, hier zu bleiben, aber ich muß einen Rapport an General St. Renaud senden. Darf ich um einen Ihrer Offiziere bitten, Major?«

»Das Bataillon wird in zehn Minuten abgelöst werden. Ich werde selbst Ihre Mitteilungen überbringen.«

»So sagen Sie dem General, daß es die größten Schwierigkeiten hat, Artillerie hierher zu bringen, bis unsere Position vollständig gesichert ist. Garibaldi wird seinen Fehler bald einsehen, er ist ein zu guter Soldat, und wir haben das Feuer der Bastionen dort drüben jeden Augenblick zu erwarten. Die Arbeiten der begonnenen Parallele jenseits des Klosters müssen beeilt und von dort die Bastionen eins und zwei beschäftigt werden, dann ist der Besitz der Villa gesichert.«

»Sie haben recht, hören Sie, da kommt die Ablösung!«

»Und dort die Bestätigung, daß Garibaldi seinen Fehler bemerkt!«

Der Anprall einer Kanonenkugel gegen das Sousterrain der Villa begleitete die Worte. Aber die Kugel war matt und durch die hohen Baumgruppen abgeschwächt. Die ungünstige Lage des Terrains verhinderte ein volles Feuer, und nur einzelne Kugeln trafen die Mauern des Gartens.

Zugleich vernahm man die Hornsignale der von Giraudi her anrückenden Abteilungen, welche die Jäger abzulösen bestimmt waren.

Es war ein für den Erfolg dieses Tages wesentlicher Umstand, daß die Franzosen den mit so großer Todesverachtung ausgeführten Angriffen stets frische Truppen entgegen setzen konnten, während Garibaldi auf seine ersten Kräfte beschränkt blieb. Vergeblich hatte er an den Oberkommandierenden, General Roselli, um Beistand gesandt, man schlug sich auf dem Mario und an der Porta del Popolo mit gleicher Erbitterung, und Roselli hatte alle Not, sich dort gegen den Ansturm der Franzosen zu halten. Die ganze kampffähige Macht, über welche die revolutionäre Regierung in Rom zu verfügen hatte, bestand in diesem Augenblick aus etwa 15 000 Mann, während der Herzog von Reggio an diesem Tage allein zwanzigtausend nach und nach ins Gefecht zog.

Die Mittagsstunde war schon vorüber, die Sonne begann ihre brennenden Strahlen bereits in schräger Richtung auf den blutigen Schauplatz zu senden, wo unverändert das Schußgefecht fortdauerte. Von einer an Wahnwitz grenzenden Tollkühnheit getrieben, schlichen sich einzelne der Legionäre und Bersaglieri zwischen den Mauern und Weingärten entlang bis dicht heran zur sichern Stellung des Feindes, um aus dieser Nähe einen tödlichen Schuß auf ihn zu thun.

Die Nonne vom Esquilin hatte den gefährlichen Posten, den sie mit so heroischer Hingebung gewählt, noch nicht verlassen und die große, fast an Zartheit grenzende Aufmerksamkeit, mit der sie die Soldaten behandelten und sie ungestört ihr hochherziges Werk verrichten ließen, bewies, welchen tiefen Eindruck die Aufopferung und Schönheit selbst auf die rohesten Gemüter gemacht hatte.

Eine seltsame Unruhe und Besorgnis schien bei ihrer heiligen Pflicht die barmherzige Schwester zu bewegen; denn während sie jedem der Unglücklichen, der ihrer bedurfte, Hilfe und Beistand leistete, ging sie doch von einer der traurigen Gruppen zur andern, und ihr schwermütiges blaues Auge schien unter den verwundeten Italienern, die jetzt gleichfalls die Hilfe der französischen Chirurgen genossen, und unter den Leichen, die von den Soldaten reihenweise unter die hohen Taxushecken gelegt worden, eine bekannte Gestalt zu suchen.

Wiederum kniete sie jetzt an derselben Stelle, wo nach ihrem Eintritt in den Garten die Kugel des Jägers sie bedroht hatte.

Der Krieger, der hier die Todeswunde empfangen, lag noch immer bewußtlos auf den Wurzeln der Pinie ausgestreckt, aber die krampfhaften Zuckungen der Finger, jenes schreckliche Zupfen und Suchen verkündete, daß seine Auflösung nahe sei.

Die Teilnahme der tapfern Soldaten hatte der barmherzigen Schwester geholfen, ihn auf den weißen amerikanischen Mantel zu betten, der so oft durch das Getümmel der Schlacht geweht. Es war Manuli, der Adjutant Garibaldis, der hier lag, und dem sie ja selbst mit prophetischer Sehergabe den Tod verkündet.

»Alle Hilfe ist vergeblich, Madame,« sagte ein älterer Militärarzt, der zu der Gruppe getreten, »in wenig Augenblicken wird es mit ihm zu Ende sein.«

»Dann stirbt ein Tapferer! Ich sah ihn heute Morgen die Legionäre zum Angriff führen und erinnere mich, ihn schon bei dem Gefecht am 30. gesehen zu haben.«

Es war der Artillerie-Offizier von vorhin, der gesprochen. Mehrere der Offiziere der neuen Besatzung der Villa, die im Garten ihre Anordnungen getroffen und die Spuren der früheren Angriffe besichtigt, kamen herbei. In ihrer Mitte befand sich ein Mann in Civil, Skizzenbuch und Zeichenstift in der Hand.

»Ich denke, Chevaulet,« sagte lachend einer der Offiziere, »Sie werden hier Stoff genug für Ihr Skizzenbuch finden. Wenn der Herr Präsident Sie einige der noch leeren Felder in der Galerie von Versailles ausfüllen lassen will, weil Herr Vernet gegen ihn gestimmt hat, ist Ihr Glück gemacht.«

»Bah! Sie selbst stimmten gegen ihn und haben sich doch der Suite des Generals aggregieren lassen, Graf!«

»Für diesen Feldzug, mein Lieber, für diesen Feldzug! Paris war mir langweilig. Was meine Stimme betrifft, so wissen Sie, wir Legitimisten haben uns der Abstimmung enthalten; aber was will man machen, man braucht zuweilen einige Aufregung für die Nerven.«

»Die Miron hat ihm einen Korb gegeben,« flüsterte ein anderer Offizier, »und seine Gläubiger wollten ihn nach Clichy bringen, deshalb ist er hier.«

Montboisier, denn der legitimistische Flaneur aus dem Faubourg St. Germain war es, hatte ein feines Gehör. »Sie müssen wissen, lieber Rainville,« sagte er spöttisch, »es hat nicht jeder das Glück, einen Pariser Häuserspekulanten zum Vater zu haben. Was Fräulein Miron betrifft, so hat jede Dame ihren Geschmack, und es läßt sich nichts dagegen sagen, auch wenn er sich bis zum Populace der Barriere d'Enfer verirrt.«

Die Worte waren absichtlich so laut gesprochen, daß der Artillerie-Kapitän, der kaum drei Schritte entfernt stand, sie hören mußte.

Ein roter Fleck zeigte sich auf seinen, von der Sonne Afrikas und den Wettern des Atlas gebräunten Wangen, doch durfte er, um der Dame selbst willen, nicht Notiz nehmen von den Worten.

»Was wollen Sie mit dem Häuserspekulanten sagen, Bürger-Kapitän?« frug pikiert der frühere Nationalgardist.

»Ah bah! seien Sie nicht närrisch, Rainville. Es ist keine Beleidigung, der Sohn eines reichen Mannes genannt zu werden, namentlich von einem armen Teufel, der kaum noch wagt, sich Montboisier zu nennen, nachdem die hohe Republik den Adel abgeschafft. Sehen Sie, Chevaulet, diese Gruppe ist wirklich interessant. Sie sollten sie mit Ihren kühnen Strichen skizzieren. Eine alte Nonne, einen sterbenden Brigand in ihrem Schoß! Schade, daß Sie das Schwirren der Kugeln nicht dazu malen können, die über unsere Köpfe fliegen.«

Er hatte das Lorgnon ins Auge geklemmt und betrachtete die traurige Scene. Die barmherzige Schwester kniete, der Gruppe der Offiziere den Rücken zugewendet, und betete über dem Sterbenden.

Wie so oft in dem Augenblick vor dem Tode die scheidende Seele eine letzte Anstrengung macht und noch einmal zum Irdischen zurückkehrt, so auch hier. Das brechende Auge des Freischaren-Offiziers öffnete sich weit und starrte umher auf die fremden Gestalten, bis es mit einem Ausdruck von Furcht und Entsetzen auf der Nonne haften blieb. Der Oberkörper richtete sich langsam empor, gestützt auf den linken Arm, die Rechte streckte sich nach ihr aus.

»Du bist der Tod, ich kenne Dich, auf dem Petersplatz – fort! fort! Ich darf nicht sterben, ehe Corsini unser ist. Der General …«

Aus der Ferne erklang wildes Geschrei, der Jubelruf: » Evviva Garibaldi!«

Der Körper des Sterbenden zuckte hoch auf, seine Hand schwenkte wild durch die Luft.

» Evviva Gari …«

Er sank zurück, aus dem Verband am Hals brach ein dunkler Blutstrom und erstickte den letzten Ruf, mit dem Namen seines Führers auf den Lippen traf ihn die Hand des Todes.

» In nomine Dei, patris, filii et spiritus sancti!« betete die Nonne, und ihre Hand berührte die Stirn des Toten mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes.

» Valga me Dios!« sagte der Graf zu dem Maler sich wendend, »ich habe keinem so pikanten Auftritt beigewohnt seit dem Abend bei der Guerin, als Miron die kleine Fleur de mort aus den Katakomben dahin brachte und die Welt gewann! Erinnern Sie sich der Scene? Aber zum Teufel, was haben Sie, Chevaulet?«

Der Maler starrte auf die Nonne, die ihr Gebet über den Toten beendet hatte und sich still und demütig erhob, um den Kreis zu verlassen, der sich um sie gebildet.

»Bei Gott! sie ist es!«

»Wer?«

»Faustine, die Venus von Rom!«

»Der wilde Flüchtling der Guerin, die uns die Schönheit der Katakomben ersetzen mußte? Lassen Sie sehen!«

Der Graf schob den Maler zur Seite und trat der Nonne in den Weg. »Erlauben Sie, fromme Schwester.«

Die bisher demütig zu Boden gesenkten Augen der Nonne vom Esquilin hoben sich langsam, und ihr Blick traf ernst und fest den kecken Spötter.

Aber bevor er noch seine Anrede fortsetzen konnte, hatte sich eine Hand auf seine Schulter gelegt.

»Monsieur le Comte,« sagte eine ernste Stimme, »lassen Sie diese Dame gehen, es wäre eine Schmach für jeden Franzosen, ein Wesen wie sie zu beleidigen. Sie haben mir für etwas anderes Rede zu stehen!«

Der Graf wandte sich schnell um, es war der Artillerie-Offizier, der zu ihm gesprochen.

»Herr Kamerad, ich muß Sie bitten …«

»Sie haben soeben geäußert, mein Herr, das unglückliche Mädchen, das man in Paris mit dem Namen der Fleur de mort bezeichnet, in einem, so viel ich weiß, sehr berüchtigten Hause in Paris und in schlechter Gesellschaft gesehen zu haben?«

Der Graf richtete sich stolz empor. »Ich weiß nicht, was Sie unter schlechter Gesellschaft verstehen wollen, Herr Kapitän,« sagte er kalt, »aber ich muß bemerken, daß der Graf von Montboisier und zwei dieser Herren sich in der Gesellschaft befunden haben, an der jene Person teilnahm.«

»Fräulein Samson?«

»Fräulein Samson oder die Fleur de mort, die Tochter des Katakomben-Aufsehers!«

»Und wo?«

»Ich habe es Ihnen bereits gesagt und wiederhole meine Worte nicht gern. Bei der Guerin in der rue des moulins!«

»Sie lügen!«

Eine fahle Blässe überzog das Gesicht des Legitimisten, als er nach dem Griff seines Degens faßte.

»Das mir? Sie müssen wahnsinnig sein, eine solche Beleidigung zu wagen!«

»Ich wiederhole Ihnen, Sie lügen. Fräulein Samson kann nicht bei der Guerin gewesen sein!«

»Nun bei meiner Ehre, das ist zu arg. Sie werden mir Satisfaktion geben, aus der Stelle!«

Die raschen Worte waren in französischer Sprache gewechselt worden, welche die Nonne nicht verstand, aber der Ton derselben, und die Bewegungen waren so deutlich, daß über den Inhalt kein Zweifel sein konnte.

Sie war stehen geblieben, ihre Hand streckte sich zwischen die streitenden Männer.

»Nicht so!« sagte sie traurig, und der Ton ihrer Stimme hatte etwas so feierliches, daß die Umstehenden sich dem tiefen Eindruck, den er machte, nicht entziehen konnten, »an der traurigen Stätte, wo der Herr in seinem Zorn die Trotzigen mäht, wie der Schnitter das Korn! Betet und thuet Buße, denn der Herr ist über Euch, und meine Augen sehen den neuen Strom von Blut, und Eure Zeit ist kurz!«

Wie vorhin der Führer der Freischaren, stieß jetzt der französische Offizier sie rauh beiseite. »Sie werden mir Rede stehen für den Schimpf, zur Stelle!«

»Ich bin bereit.«

Ein wildes Geschrei erhob sich vom Eingange der Gärten her, Schüsse knallten, die Posten, welche die Mauer und das Thor besetzt gehalten, kamen hastig zurückgeflüchtet.

» Sauve qui peut! der Teufel ist los! Sie kommen! sie kommen!«

In das wütende Angriffsgeschrei, das, die Flintensalven übertönend, die Straße herauf kam, mengten sich seltsame Töne, das klägliche Geschrei eines Esels, sprudelnde Flüche und Verwünschungen in irischer Sprache.

Dann donnerte der Ruf: » Evviva Garibaldi! Evviva la Venere! Avanti! avanti!«

»An Ihre Posten, meine Herren! Wir werden angegriffen! Fest! fest! meine Braven!«

Der Ruf des Kommandeurs sammelte die Zerstreuten, aus den Fenstern des Corsini krachte eine Salve, aber die Franzosen waren so vollständig überrascht, daß nur wenige die angewiesenen Posten erreichen konnten und der große Haufe, der den Garten gefüllt, in wirrem Gedräng sich über die Freitreppen in die Villa stürzte, während zwischen den Flintenschüssen aus dem Innern lautes Gelächter erscholl.

Der Anblick des Feindes, der so plötzlich den Eingang der Gärten forcierte, war in der That so komisch, daß selbst die drohende Gefahr die Lustigkeit, die er erregte, nicht zu verbannen vermochte.

Auf seinem mit großen italienischen Kokarden aufgeputzten Esel, der den Kopf zwischen die Beine genommen, kam in vollem Galopp die groteske Figur des Mönchs dahergesprengt, der mit diesem seinem Gefährten den einträchtigen Morgenschlaf unter den Kolonnaden des Petri-Platzes gehalten hatte. Der würdige Bettelpfaffe schnob wie ein angeschossener Eber; bald schrie er laut um Hilfe und Beistand, bald schimpfte er auf irisch und italienisch auf die feigen Halunken, seine Kameraden, bald stieß er die gotteslästerlichsten, mit seinem Gewand sich herzlich schlecht vertragenden Flüche auf seinen Esel aus oder gab diesem die besten Worte. Dabei schwang er unaufhörlich in der Linken die große Reiterpistole mit dem Radschloß, in der Rechten den Knüttel, und seine nackten Fersen bearbeiteten ohne Unterlaß die Flanken seines Grauen.

Der Anblick wäre noch lächerlicher und absurder gewesen, wenn nicht die Gruppe, die hinter ihm drein raste, sofort einen anderen Eindruck gemacht hätte.

Dicht hinter dem Mönch her kam in wilden grotesken Sprüngen eine athletische Gestalt von phantastischem Ansehen, ein Mann, in die Fetzen und Lumpen der altertümlichen, in ganz Rom verhaßten und bespöttelten Tracht gekleidet, welche die Schweizergarde Seiner Heiligkeit des Papstes getragen. Seine langen blonden Haare flogen in wirren, zerzausten Locken um das todbleiche Gesicht, in dem die Augen mit dem Feuer des Wahnwitzes glühten. Der Tolle schwang in beiden Händen ein langes mittelalterliches zweihändiges Schwert in wirbelnden Kreisen um sich her, und der einzige Ruf, den er ausstieß, war: »Venus! Venus! Tötet! tötet!«

Dem Tollen zur Seite sprengte auf einem der kleinen wilden Pferde der Campagna ein junges Weib. Ein tunikaartiges Gewand flog um den üppig schönen, halb entblößten Körper; in den dunkelblonden Locken hing halb zerrauft und verschoben ein Kranz von Weinlaub und Epheu, die Rechte schwang an leichtem Stock eine Fahne mit der Trikolore der italienischen Freiheit, während die Linke mit der Kraft und Sicherheit eines geübten Reiters den wilden Galopp des Pferdes zügelte und es immer dicht an der Seite des Wahnwitzigen hielt.

Es lag etwas dämonisches in dem Aussehen dieses Weibes. Sie war jung, vielleicht kaum zwanzig Jahre alt, und die Bildung des Kopfes und Körpers von klassischer Schönheit. Aber selbst in diesem Augenblick der Gefahr und Aufregung spielte um den sinnlich aufgeworfenen Mund ein Zug bewußten ruhigen Hohns, und in dem kalten spöttischen Blick des Auges lag ein wahrhaft diabolischer Triumph. Unbekümmert um die Kugeln der Franzosen, die machtlos an ihr vorüber zu sausen schienen, hielt sich die Reiterin dicht an der Seite des Schweizers, ihn mit Worten und Gebärden anfeuernd, und das Fahnentuch in ihrer Hand bedeckte von Zeit zu Zeit seine Schultern, als wolle es auch ihn schützen und unverwundbar machen vor den todbringenden Geschossen der Feinde.

» Avanti! avanti!«

» Evviva Garibaldi!«

» Evviva la Venere!«

» Evviva i Mascherati! Evviva i Trasteverini! avanti! avanti!«

In dichten bunten Haufen drang es hinter den seltsamen Führern her, Legionäre, Bersaglieri und Reiter, die Studenti und Emigrati, und dazwischen Linien-Soldaten und Gruppen wild aussehender Bursche in der malerischen Tracht der Campagna und der Bergbewohner von Frascati und Palestrina oder der Abbruzzen.

Der tolle Mönch oder vielmehr sein wild gewordener, von dem Übermut seiner Begleiter toll gemachter Esel, kam so rasch heran, daß es dem Kapitän Montboisier nicht mehr möglich gewesen war, die Eingänge der Villa zu erreichen. Er blieb mitten im Gang stehen und hatte seinen Säbel zur Verteidigung gezogen; aber ein Knüttelschlag des Mönchs zersplitterte seine Klinge bis aufs Heft, der Anprall des Esels stürzte den Offizier zu Boden, und die ganze wilde Schar ging achtlos über hin fort, ihn unter Hufe und Füße tretend, bis einer der Brigandi, von den Abzeichen seines Ranges und seiner Uhrkette gelockt, ihn aus dem Gedränge schleifte und mit wunderbarer Geschicklichkeit aller wertvollen Gegenstände bis auf die Goldtressen des Pantalons entledigte.

Glücklicher war der Artillerie-Kapitän davon gekommen. Mit rascher Entschlossenheit hatte er die Nonne umfaßt und zur Seite gerissen in den Schutz mehrerer Lorbeerstämme, ehe er selbst davon sprang und, mit der Lokalität vertraut, durch einen Seitengang die niedere Balustrade erreichte, welche die Rampe der Villa, wie vorhin beschrieben, mit den Mauern des Gartens verbindet. Die Feinde, die sich im Augenblick über den ganzen vordern Teil des Gartens verbreiteten, waren dicht hinter ihm, aber einige wohlgezielte Schüsse der hinter der Orangerie postierten Franzosen warf die vordersten zurück, und es gelang dem Kapitän, sich über die Balustrade zu schwingen und die Mitte der Seinen zu erreichen.

Welcher Mut und welche aufopfernde Begeisterung für ihre erhabene Aufgabe auch das Herz der Nonne vom Esquilin erfüllte, es erbebte anfangs unter dem plötzlichen Eindruck dieses Ansturms und, die Hände zum Gebet faltend, sank sie in die Knie.

Wie wüste Traumgestalten rasten die Bilder an ihr vorüber, zuerst der tolle Mönch, dann, ihre Augen öffneten sich weit, sie streckte unwillkürlich die Hände nach ihm aus, ihre Lippen öffneten sich zum Ruf: » Salvatore mio! ritarda – ritarda!« denn trotz der Verwilderung der Züge und dem Ausdruck des Wahnwitzes erkannte sie in dem gigantischen Kämpfer mit dem Schwert ihren Retter aus den Händen der Banditen, den Verwundeten aus dem Atelier des Malers im Esquilin, den Mann, von dessen Knechtschaft in den Banden der berüchtigten Courtisane das Volk dunkle und geheimnisvolle Geschichten erzählte; aber der Schwertträger raste an ihr vorüber, ohne auf sie zu achten, mit dem Ruf: » Venere! Venere! Tötet! Tötet!«

Durch das wütende Geschrei der Stürmenden und das Krachen der Flintensalven drang doch der leichte, schneidende Ton eines spöttischen Lachens in ihr Ohr. Auf ihrem schwarzen Pony, den sie mit gewaltigem Ruck bis auf die Hacken niedergerissen, hielt dicht vor der Nonne das Weib mit der Fahne.

Die Augen der beiden Frauen begegneten sich. Das der Nonne sprach Scheu und Entsetzen aus, als habe sie ein giftiges Reptil erblickt! das Auge der Courtisane war voll dämonischen Hohns auf die Knieende gerichtet.

Dennoch, wer in diesem Sturm der Aufregung diese beiden Gestalten hätte beobachten können, würde eine wunderbare Ähnlichkeit oder vielmehr Gleichheit der Züge unter dem Bacchantenkranz der Reiterin und der Stirnbinde der Nonne gefunden haben.

Mit einem frechen, triumphierenden Ausdruck hob die Reiterin den Finger und deutete auf den gegen die Villa stürmenden Mann.

» Il mio!«

Die Schwester vom Esquilin schlug das heilige Zeichen des Kreuzes.

Mit einem gewaltigen Sprung des wilden Renners flog die andere davon hinter dem Schweizer drein:

» Avanti! avanti!«

In dichtem Haufen fluteten die Stürmenden, Reiter und Fußgänger an der betenden Jungfrau vorüber.

Der General hielt wenige Minuten vor der eben beschriebenen Scene auf dem Platz vor dem Vascello mit den Obersten Manara, Sacchi und einigen andern oberen Offizieren, beratend, ob man mit dem Rest der tapfern Schar vor dem nahenden Abend noch einen Sturm auf die verlorene wichtige Position wagen dürfe.

Das Gefecht der Tirailleurs war unter der Zeit ununterbrochen fortgegangen. Auf die Entdeckung, daß die Franzosen den nächsten Bastionen gegenüber bereits ihre Erdarbeiten begonnen, hatte der General die Artillerie der Wälle verstärken und ein Feuer nach jener Seite und nach dem Corsini eröffnen lassen, das wenigstens das Vordringen des Feindes verhindern konnte.

Oberst Manara riet, noch einmal den Sturm zu versuchen und erbot sich, dies an der Spitze seiner Bersaglieri zu thun, aber der General zögerte, den Befehl zu geben, er fürchtete ein neues, unnützes Opfer.

Die Beratung der Offiziere wurde durch ein eigentümliches Intermezzo gestört.

Aus der Porta San Pancratio wälzte sich, dem gegebenen Befehle zum Trotz und den Widerstand der Posten brechend unter dem donnernden Evviva des versammelten Volkes ein dichter, auf das bunteste staffierter Zug. An seiner Spitze ritt auf einem Esel Fra Pan, der Bettelmönch, zur Seite begleitet von zwei kühn und verwegen blickenden Männern in der Tracht der abruzzesischen Gebirgsbewohner und mit Büchse, Pistolen und Stiletts wohl bewaffnet. Ein ähnlich, nur bunt durcheinander gekleideter Haufen von über vierzig Köpfen folgte dem Mönch und hielt sich dicht zusammen. Es waren so entschlossen wilde Gestalten, daß ein Blick zu der Überzeugung genügte, sie wären mit jeder Gefahr vertraut und brächten ihr Leben in Kampf und Fehde zu.

Diesem wohlgeordneten, in dem Gefecht nicht zu verachtenden Haufen hatte sich eine andere ziemlich verworren lärmende Schar, aus den buntesten Figuren bestehend, angeschlossen.

Es war, wie der jubelnde Zuruf des Pöbels bekundete, Venus und ihr Hof.

Seit dem Tage des Sturms auf den Vatikan, als die Courtisane plötzlich wieder in Rom aufgetaucht war und die Rolle der Bacchantin in jenem Zuge des Volks übernommen hatte, der der Herzogin von Ricasoli und ihrem Begleiter an der Ponte di Spirito begegnete, übte die Faustina einen wahrhaft dämonischen Einfluß auf den Pöbel voll Trastevere, ja auf die niedere Bevölkerung von ganz Rom, die in ihr gleichsam die Verkörperung der zügellosen Freiheit sah. Wo sie erschien, mit der Trikolore in der Hand, sammelte das Volk sich um sie, führte sie im Triumph umher und horchte mit Begeisterung ihren wilden, aufregenden Reden. Dieser Einfluß auf die Menge war um so mächtiger und dauernder, als ein Geheimnis ihre ganze Erscheinung umgab. Nur selten, oft nach wochenlangen Zwischenräumen erschien sie plötzlich, gewöhnlich an den Ruinen des Venus-Tempels auf dem Forum, als wäre sie der Erde oder den Trümmern entstiegen, unter der Menge und regte sie mit Hohn oder flammenden Worten zu irgend einer That des Übermuts oder der Grausamkeit, der Plünderung und Zerstörung der Wohnung eines Aristokraten oder einer unsinnigen ausschweifenden Forderung auf. An jenem Abend, als der auf dem Monte Mario gefangene Priester zum Tode geführt werden sollte, war die Faustina es gewesen, die auf der Engelsbrücke mit ihrer Meute den Unglücklichen den Händen der Soldaten entzog und in Stücke reißen ließ. Nur bei solchen Excessen und wo es galt, die Regierung zu irgend einer extremen Maßregel zu treiben oder das Volk zum Kampf gegen die Franzosen zu entflammen, war sie sicher zur Stelle in ihrem phantastischen, oft bis zum schamlosen gehenden Aufzug. Seltsame, geheimnisvolle Gerüchte liefen über sie im Munde des Volks umher. Niemand wollte wissen, woher sie kam, wohin sie ging, wenn sie so plötzlich verschwand, wie sie gekommen; – einige erzählten, sie wohne unter verrufenen Ruinen des alten Roms, andere behaupteten, in den Gewölben des Kolosseums oder auf dem Kapitol. Allen Fragen wich sie mit Hohn aus und nannte sich selbst die Venus von Rom, so daß viele aus dem Volke wirklich den Aberglauben hegten, sie gehöre einer andern Welt.

Niemals hatte man sie Nahrung zu sich nehmen sehen. Mehr noch als ihre Worte übte ihr Auge eine wahrhaft dämonische Macht. Die Frauen nannten es scheu den »bösen Blick«, die Männer wären unter seinem Einfluß willig in den Tod gegangen.

Seit etwa drei Monaten war sie unter dem Volke nicht mehr allein erschienen, die gigantische Gestalt des ehemaligen Schweizer-Offiziers, ein langes zweihändiges Schwert, wie es vielleicht seine Vorfahren bei Murten oder Sempach geführt, auf den Schultern tragend, begleitete sie als ihr treuer Knappe. Der Unglückliche schien des Lichts seiner Vernunft beraubt, sein hohles, bleiches Gesicht ein schweres Leiden zu verkünden; aber seine Augen hingen mit fieberhaftem Feuer an seiner Herrin, an deren Fersen er sich wie ein Hund heftete, und ein Blick, ein Wink von ihr regierte seine riesige Kraft. Die abgenutzte, fast in Lumpen um ihn hängende Kleidung seiner früheren Stellung hatte anfänglich bei seinem Erscheinen den Zorn des Pöbels erregt, aber ein Wort Faustinens hatte genügt, ihn zu schützen. Seitdem war er bei jeder Ausschweifung der Leidenschaften, bei jeder schlimmen That des Pöbels gegenwärtig und half, ohne andere Worte zu sprechen, als den ewigen Ruf: »Venus! Venus! Tötet! Tötet!«

Man wußte, daß seine Wohnung eine zerfallene Hütte in der Nähe des Forums war, wohin ihm mitleidige Hände die wenige Nahrung brachten, deren er bedurfte. Aber nur selten war er dort zu finden und alle Nächte brachte er in den Ruinen des Kolosseums, unter den Säulen des Tempels der Venus oder am Fuß der berühmten Bildsäule auf dem Kapitol zu, und dort allein hörten die zufällig Vorübergehenden seine Stimme in lauten Reden und wilden Klagen.

Den Leitern der römischen Bewegung war in ihren Plänen und Verhandlungen schon mehr als einmal der Einfluß der Courtisane auf die Volksmasse hindernd entgegengetreten, aber es war unmöglich, ihn zu bannen, und man mußte ihn gewähren lassen und benutzen. Im übrigen kümmerten sich die Triumvirn wenig um das Treiben des niedern Volks und seine Exzesse, denn schon mehr als eine Popularität war an dem Ruf » Aristocratie!« zu Grunde gegangen.

Das waren die beiden Züge, die der General aus der Porta di San Pancratio auf den Kampfplatz hervorströmen sah.

So sehr der General Volksmann war, so wenig liebte er dergleichen Demonstrationen, die sich in seine Dispositionen drängten.

Seine erste sehr unrepublikanische Frage war daher: »Was zum Teufel will das Gesindel hier? Schafft die Narren fort!«

Manara lachte. »Das wird so leicht nicht gehen, General! Es ist die einzige Hilfe, die Ihnen Roselli sendet. Und jene Burschen dort scheinen mir von nicht zu verachtender Art. Ich wünschte, ich könnte meine armen Bersaglieri aus ihnen rekrutieren!«

Der Zug war näher gekommen, und die beiden Führer des Esels und des Mönches nahmen ihren Weg geradezu nach dem General, während die Trasteverini mit ihrer Anführerin in kurzer Entfernung halten blieben, von den Soldaten umdrängt.

Dicht vor dem General hielt der Mönch an und salutierte die Hand am Helm, auf militärische Weise.

» Benedicte! benedicte! General! Ich segne Dich, mein Sohn!« sprach er mit Salbung. »Die heilige Kirche kommt Dir zu Hilfe in der Person eines ihrer unwürdigen Diener, und diese ehrenwerte Jungfrau als eine neue Gesandte gleich der, die vor Orleans die Franzosen schlug, wie ich mir habe erzählen lassen, ist gleichfalls bereit, mit ihren Begleitern Dir zu helfen. Ich versichere Dich, mein Sohn, der Bursche da mit dem langen Sarras ist kein zu verachtender Beistand, und der Teufel soll mich zu einer Polenta zerhacken, wenn er mich nicht eines Abends selber zu Falle gebracht hat. Hier der Peppo muß es bezeugen. Wir wollen diese Froschfresser in Kochstücke hauen, so wahr die grüne Insel meine Heimat ist!«

Der General hatte finster auf ihn geblickt. »Was sollen die Narreteien, betrunkener Pfaffe? Hier ist keine Zeit zu Deinen liederlichen Späßen! mach', daß Du fortkommst!«

Der ältere der beiden Begleiter des Mönchs, ein Mann mit verbrannten, finstern Gesichtszügen, schon über die mittleren Jahre hinaus, zog den mit Bändern und Medaillen geschmückten Hut. »Verzeihung, Excellenza, ich habe dieses Schreiben an Sie zu übergeben!«

Er zog aus seiner Leibbinde ein zierlich zusammengefaltetes Papier und überreichte es dem General.

»Von wem kommt das?«

»Excellenza werden es sehen, wenn Sie die Gnade haben, es zu öffnen!«

Der General erbrach das Billet, es enthielt nur wenige Zeilen. Sie lauteten:

»Ruggiero der Mascherato sendet General Garibaldi fünfzig Tapfere, gewohnt, dem Tode ins Auge zu sehen und bekannt mit jedem Fußbreit in der Umgebung von Rom. Sie werden ihm gehorchen, wie die besten seiner Soldaten. Ruggiero benachrichtigt General Garibaldi, daß der französische Oberbefehlshaber seinen Angriff gegen den Gianiculo richten wird, und daß er innerhalb der Stadt Verbindungen unterhält, die ihn von allen Maßregeln der Verteidiger in Kenntnis setzen.«

»Ruggiero der Mascherato? wer ist das?«

Der Brigant sah ihn erstaunt an. »Wie, Excellenza? Sie kennen den Mascherato nicht? Jedes Kind in Rom kann Ihnen davon erzählen.«

»Il Mascherato? ich habe den Namen gehört – ist es nicht der berüchtigte Führer einer Banditenbande? Die Herzogin von Ricasoli erzählte meiner Frau von einen: Abenteuer, das sie mit ihm gehabt.«

»O, Excellenza thun dem großen Kapitän Unrecht, wenn Sie ihn mit dem Führer einer gewöhnlichen Spitzbubenbande vergleichen wollen. Wir sind freie Männer, Excellenza, die von dem Überfluß der Reichen leben, aber keine Diebe, die den Armen auch nur um einen Bajocchi kränken.«

Der General bedachte sich einige Augenblicke. »Dem sei wie ihm wolle,« sagte er dann bestimmt, »auch das Blut eines Banditen gehört dem Vaterlande. Wo ist Euer Anführer?«

»Hier, General, hier!« schrie der Mönch. »Der Teufel soll mich holen, wenn ich diese Galgenstricke nicht führe, wohin Du willst!«

»Schweig, Pfaff! Ich frage, wo Euer Führer ist?«

»Il Mascherato?«

»Ja!«

Der alte Bandit kratzte sich hinter den Ohren. »Das ist schwer zu sagen, Excellenza,« meinte er. »Ich möchte wissen, wo er nicht ist? Heute Morgen bekam ich durch den Mönch und den Burschen da die Ordere, um Mittag mit den Leuten, so viel ich ihrer zusammenbringen könne, wohlbewaffnet an San Pietro in Montorio zu sein, und dort erhielten wir durch einen Vetturin den Befehl überbracht, uns Euer Excellenza zur Disposition zu stellen!«

»Und wer sind jene dort?«

»O das ist la Venere di Roma! Sie ist so bekannt, wie der Mascherato unter dem Volk.«

»Ich habe von ihr gehört, aber wir können Weiber bei dem blutigen Männerwerk nicht brauchen. Schickt sie fort mit dem Gesindel, das sie begleitet.«

Der würdige Leutnant der Ladroni, denn dieser war es in Person, der die Schar führte, hatte keine Zeit, den Befehl auszuführen; ein plötzliches Ereignis vereitelte jeden Entschluß des Generals.

Die Legionäre hatten sich nach der gewöhnlichen ungenierten Weise während des Gesprächs ihres Führers mit dem Banditen so nahe wie möglich herangedrängt und horchten teils auf die Unterhaltung, teils trieben sie ihre Kurzweil mit dem Mönch.

Einer der leichten Gesellschaft hatte die Gelegenheit wahrgenommen, dem Esel ein brennendes Stückchen Schwamm unter den Schwanz zu schieben. Das Tier fühlte kaum den Schmerz, als es die Beine hoch in die Luft warf, so daß der Mönch bis auf den Hals rutschte, dann ein klägliches Geschrei ausstieß und wie toll zwischen dem General und dem Banditen hindurch rannte und so hitzig auf den Eingang der Villa Corsini zu galoppierte, daß an ein Aufhalten gar nicht zu denken war.

» Avanti! avanti Riccardo!«

Der wahnwitzige Schweizer stürmte vorwärts, mit wildem Triumphgeschrei folgte ihm die Courtisane.

Ihr nach rannte unaufhaltsam der ganze Schwarm, die Trasteveriner, die Briganti, die umherlungernden Legionäre und Bersaglieri, es war, als hätte ein wilder Taumel, ein wahnsinniger Drang, sich in den Tod zu stürzen, sie erfaßt.

Kein Kommando wurde gehört, vorwärts, vorwärts.

Dies alles ging so rasch vor sich, daß der General und die Offiziere kaum wußten, was geschah, noch weniger es hindern konnten. Als er darüber zur Besinnung kam, sah er, daß der Schwarm bereits den Eingang des Corsini erreicht hatte und unaufhaltsam hineindrang.

Sein Entschluß war sogleich gefaßt; er wußte, wie leicht der Zufall, die Überraschung etwas bewirken, was aller Berechnung und aller Tapferkeit zu erreichen unmöglich war. Es galt, den Augenblick zu benutzen, und mit der raschen Besonnenheit, die ihm eigen, jagte er alles, was ihm unter der Hand war, Bersaglieri, Legionäre, Studenten und Linienmilitär, Reiter und Fußtruppen aus dem Vascello und von dem Thore hinterdrein.

Der Erfolg schien seine so unerwartet wieder angefeuerten Hoffnungen auf das glänzendste zu begünstigen.

Wir haben bereits gesagt, daß das Plötzliche des Ansturms, die seltsame Kolonne, die sich zuerst heranwälzte, die Franzosen so gänzlich überraschte, daß an eine regelmäßige Verteidigung anfangs nicht zu denken war. Als die Offiziere und Soldaten ihre Sicherheit wieder erlangten, war es zu spät; der Schwarm der Angreifer war bereits auf der Treppe der Villa und stürzte sich mit wahrer Todesverachtung durch die Fenster und Thüren in das Innere und durch die Poterne nach der Rückseite des Gebäudes. Zugleich drang Manara mit den schnell zusammengerafften Bersaglieri heran und warf in unwiderstehlichem Ansturm mit dem Bajonett alle Verteidigung nieder.

Es war fünf Minuten lang nicht ein Kampf, sondern ein bloßes Morden Leib an Leib im Innern der Villa.

Der Schweizer war allen voran, und schien der Tod in eigener Person, so entsetzlich mähte das furchtbare Schwert in seiner Hand. Schon der grauenvolle Schlachtruf, den seine Väter bei Sempach gedonnert: »Tötet! tötet!« scheuchte die erschrockenen Franzosen vor ihm her. Vergebens warfen sich einige der Entschlossensten ihm entgegen, jeder Hieb der gewaltigen Waffe brachte sichere Vernichtung. Dabei schien er selbst gefeit gegen Tod und Wunden; denn ohne ihn zu berühren, schlugen die Kugeln an ihm vorüber oder durchbohrten die Fetzen seiner Kleidung, und der Stoß der Bajonette und Degen schien an seinem Körper abzugleiten, oder die Falten der Fahne, welche die Courtisane an seiner Seite schwang, schienen vielmehr die Augen der Kämpfenden zu blenden, daß sie, statt nach dem Feind, nach dem bunten Phantom stießen.

Der Ruf: »Rette sich, wer kann!« verbreitete sich durch die Gemächer, und alles drängte den hintern Ausgängen der Villa zu, wohinaus sich bereits der Tolle Bahn gebrochen, der jetzt, sich umkehrend, mit seinen wuchtigen Schwerthieben den Fliehenden den Weg versperrte.

Hinter diesem aber donnerte alsbald das Evviva einer neuen Feindesschar und brachte sie vollends in Verwirrung.

Der General hatte eine Anzahl Lanziers bei sich, geführt vom Obersten Masina. Als er den ersten glücklichen Erfolg des Angriffs sah, gab er Masina den Befehl, denselben zu unterstützen, und die Lanziers jagten, alles vor sich niederwerfend, in den Garten und die Stufen des Corsini hinauf.

Ein Teil der Dragoner, der Bersaglieri und Legionäre war unterdes durch die Poterne und an den Seiten der genommenen Villa vorüber bis an die rückwärts liegende Villa Giraudi gedrungen und hatte auch diese nach kurzem Kampf genommen. Aber es waren ihrer zu wenige, um sie halten zu können, und trotz der Tapferkeit Fervais und der wahnsinnigen Anstrengungen des Leutnants Manciagali mußten sie den Reserven der Franzosen weichen.

Von drei Seiten drangen diese jetzt herbei. Die Villa Valentini eröffnete ein furchtbares Feuer und warf das siebzehnte Linienbataillon unter Sonnet gegen den Feind, aufs neue stürmten die eben abgelösten Jäger unter ihrem tapfern Führer de Marolles di Giraudi und trieben unaufhaltsam alles zurück; Marulaz mit dem zwanzigsten Linien-Regiment forcierte den Eingang vom Kloster her, und die Chasseurs à cheval unter de Mone fegten die Wege an den Gärten entlang.

Noch wütete der Kampf an den hintern Ausgängen des Corsini, noch hatten die kühnen Erstürmer keine Zeit gehabt, sich in dieser festzusetzen und ihre Verteidigungsmaßregeln zu treffen, als die hellen Haufen der Franzosen bereits herandrangen, vor ihnen her flüchtend die wenigen Tapfern, die dem Gemetzel in Giraudi entkommen waren.

»Tötet! tötet!«

»Hierher, Chevaulet, es ist der einzige Weg, aus diesem Höllenloch uns zu retten!«

Der Leutnant Rainville rief's und sprang, den bluttriefenden Säbel in der Faust, aus dem Fenster des ersten Stockwerks hinab in den hinteren Garten. Er hatte in dem Gemetzel den so plötzlich in den blutigen Kampf geratenen Maler nicht verlassen, sondern ihn aufopfernd geschützt.

Der Offizier gelangte glücklich auf den Boden und wollte vorwärts springen, als eine Kugel von hinten seinen Rücken durchbohrte.

»Ich habe genug! Fliehen Sie, Chevaulet, fliehen Sie!«

Der Maler war ihm dicht auf dem Fuß gefolgt; er hatte keine andere Waffe, als ein doppelläufiges Terzerol, das er in der Hand hielt, doch hatte er im Gedränge des Gefechts noch keinen Gebrauch davon gemacht.

Als er sprang, sank er von der Wucht des Falles in die Knie, er wollte sich emporraffen, dicht vor ihm erhob sich die mächtige Gestalt des Schweizers mit dem unheimlich bleichen Gesicht und den rollenden Augen, das große Schwert in funkelnden Kreisen um den Kopf schwingend.

» La Venere! La Venere! Tötet! tötet!«

Chevaulet hob das Pistol dicht vor die Brust des Gegners und feuerte; zwischen die in solcher Nähe tödliche Kugel und ihr Opfer schien sich ein Vorhang zu breiten, die Falten der Trikolore.

Der unglückliche Künstler sah durch den Pulverdampf seinen grimmigen Feind aufrecht vor sich stehen und hinter ihm, mit finsterm Hohn auf ihn blickend, ein dämonisch schönes Gesicht, das er kannte, das er vor noch kaum einer Viertelstunde gesehen, fromm und ergeben, unter dem klösterlichen Tuch, und das jetzt dem einer Mänade glich.

Er ließ die Waffe sinken, ohne den zweiten Schuß zu thun. »Faustina! Die Venus von Rom!«

Das Schlachtschwert des Schweizers fuhr nieder, der scharfe Stahl traf ihn da, wo Hals und Körper sich verbinden und spaltete ihm die Brust bis auf den Brustknochen.

»Faustina!« Der Unglückliche fiel hinten über.

Unter den Falten ihrer Fahne beugte sich die Courtisane über ihn. »Kennst Du mich?«

»Faustina! Paris …«

Ein grimmiges Lächeln des Triumphes verzerrte das schöne Gesicht der Gorgonenlarve. »Stirb! der Tod ist das Erbteil Deines Geschlechts! Es stirbt alles, das in mir Leben geholt. Ich bin die Vernichtung!«

Die Augen des Sterbenden rollten gläsern, erstarrend in ihren Höhlen. »Entsetzliche! Einen Priester – beten – beten …«

»Thor! ich bin die Auferstehung des Fleisches! Meine Jünger sterben, nur ich werde ewig geboren! Deine Zeit ist gekommen!«

Sie küßte ihn auf die Lippen, die blutende Gestalt bewegte sich in den letzten Zuckungen des Todes, einen Moment, und dann streckte sie sich, und so viel Geist und Talent und Kunst war nichts, als ein Haufen blutigen Staubes.

» En avant! en avant mes braves!«

Über die Hecken sprangen sie, über die Mauern hob einer den andern, wie sich einst Pelissier von seinen Zephyren über die Mauer des Araberstädtchens werfen ließ, damit seine Tapfern ihn herausholen möchten. » En avant! en avant!« Wie die Teufel kamen die kleinen Voltigeurs, die gewandten Vincenner Jäger durch die Büsche, jeder Baum ein Schutz, jeder Strauch die sichere Deckung zu einem Todesschuß! » En avant! en avant!« mit kurzem Trommelwirbel drang das 17. Regiment in Sturmkolonne durch den Eingang den breiten Weg herauf, alles vor sich herwerfend, die Bersaglieri und die Legionäre, das Gesindel des Trastevere und die Freikorps.

Gleich einem der Recken alter Zeit mähte mit seinem zweihändigen Schwert der Schweizer unter den Anstürmenden, dann riß seine Begleiterin, die schon auf den Stufen der Villa ihren schwarzen Pony verlassen hatte, ihn zurück in den Menschenstrom, Freund und Feind, der sich jetzt durch die Poterne nach der vordern Seite des Gartens wälzte.

Ein kurzes, wütendes, mörderisches Gefecht, wie Dämonen rangen und würgten die Gegner, keine Schußwaffe mehr, nur die Faust, nur der kurze blanke Stahl!

» En avant sur les brigands! en avant!« Immer neue Massen der Franzosen drangen durch Fenster und Thüren. Auf dem Altan, auf den breiten Stufen der Vortreppe schlugen sich die Reiter, rückwärts gedrängt, mit dem Mut der Verzweiflung gegen die im Kreise starrenden Bajonette der Franzosen.

Den Säbel in der Faust, im Sattel seines Rosses, fand Masina, der Oberst der Lanziers, den Reitertod, um ihn her mähte die mitleidslose Sichel, die Marmorstufen trieften voll Blut, auf Leichen glitt der Fuß des Fliehenden aus, bis ihn selbst der Todesstoß erreichte.

An dem Eingang zum Garten der Villa Corsini hielt der General. Dort hatte er gestanden im dichtesten Kugelregen, als sie von dem so plötzlichen Ansturm genommen ward, dort hielt er noch, unbeweglich gleich einer Marmorstatue, als sie wieder verloren wurde.

»Ein Regiment! guter Gott, ein einziges Regiment Reserven, und Rom ist gerettet!« murmelte er halblaut vor sich hin. »Die Stellung ist für immer verlogen, wenn wir sie jetzt verlieren!«

»Es ist unmöglich, Signore, sie zu halten mit diesen Kräften,« sagte eine ernste Stimme gleich einer Antwort auf seine Gedanken, dicht neben ihm. »Man hat den günstigen Augenblick versäumt, die Villa zu befestigen, statt in unnützer Anstrengung die Franzosen nach der Giraudi zu verfolgen. Sie haben die erste Regel der Kriegskunst vergessen, die von der goldenen Brücke, mein General!«

Der berühmte Freischarenführer wandte sich erstaunt um, denn die tiefe Stimme gehörte keinem seiner Adjutanten.

Neben ihm hielt auf prächtigem Vollblutroß ein hoher, schlanker Mann in der reichen Tracht der römischen Gebirgsbewohner, die der lange rote Mantel halb verhüllte. Sein Kopf war von dem spitzen Hut mit den zahlreichen Bändern bedeckt; von seinem Gesicht, das ein voller schwarzer Bart umgab, war nur der untere Teil zu sehen, denn eine seidene Halbmaske bedeckte den obern.

»Wer sind Sie, Signore? was wollen Sie hier in diesem Augenblick?«

»Ich bin der Mascherato, Signor General,« sagte der Fremde ruhig. »Ich komme, um zu sehen, ob meine Leute ihrem Auftrag Ehre machen.«

»Das Blut ist gleich rot,« bemerkte der General, noch immer den seltsamen Fremden betrachtend, »ob es von einem Ladrone oder einem Soldaten kommt. Wenn diese Männer, die Sie die Ihren nennen, die Hand gegen ihre Mitbürger erhoben, so haben sie es heute gesühnt, denn sie fallen für das Vaterland!«

»Sie können noch besseres thun, Signor Generale! Ist der Sturm auch mißlungen, so können Sie doch die Sieger aufhalten und die Ihren retten!«

»Wie wollen Sie dies thun? ich wünschte, ich könnte es selbst, aber ich habe keine Reserve mehr; sie sind verloren!«

»In fünf Minuten wird die Flucht allgemein sein, die Übermacht ist zu groß. Ich werde wenigstens Ihren Rückzug decken.«

Der Mascherato ritt einige Schritte vor, dann setzte er eine kleine silberne Pfeife an den Mund und ließ einen gellenden Pfiff ertönen.

Der schrille Laut war durch allen Lärm des Kampfes hörbar. Er war kaum verklungen, als sich aus der Masse der Kämpfenden die abenteuerlichen Gestalten der Ladroni lösten und durch die Hecken und Bäume zu dem Eingang zurückeilten.

Von den fünfzig Männern, die mit dem Mönch in die Villa gedrungen, sammelten sich etwa dreißig um den Führer. Der Mönch war nicht unter ihnen. Fast keiner war ohne Wunde, das Blut an ihren Waffen bewies, wie sie im dichtesten Gedränge gekämpft.

Keuchend legte der Leutnant, aus einer breiten Stirnwunde blutend, die Hand auf den Sattelknopf des Pferdes. »Was befehlen Excestenza?«

»Es gilt, den Rückzug Eurer tapfern Kameraden zu decken, selbst mit Eurem Leben. Die Franzosen dürfen nicht über die Grenze dieser Mauer die Verfolgung fortsetzen. Triff Deine Anstalten, sie zu empfangen. Rasch!«

Der Leutnant wandte sich zu seiner Schar. »Hinter die Hecken, Bursche! Haltet Eure Büchsen und Pistolen bereit. Cospetto! wir wollen ihnen einen Empfang bereiten, an den sie denken sollen.«

Die Banditen warfen sich mit der Gewandtheit ihres Handwerks in die Taxushecken am Eingang, sie kauerten am Boden, sie streckten sich auf die Mauer, jede Deckung war im Nu von ihnen benutzt.

Der Mascherato wandte sich noch einmal zu seinem Leutnant. »Wo ist der tolle Mönch?« fragte er, »ich sah ihn nicht unter Euch?«

»Der Teufel hole den Burschen! er kostet uns zwanzig unserer besten Leute. Ich hoffe zu den Heiligen, er hat dafür ein Dutzend Bajonettstiche in seinem Wanst.«

»So ist er gefallen?«

»Peppo sah, wie er in der Poterne von seinem Esel stürzte, der so toll ist, wie er selber. Was weiter aus ihm geworden, weiß ich nicht.«

»Es sollte mir leid thun um den Burschen, aber ich denke, ein Irländer und noch dazu ein Mönch fällt immer auf seine Beine. An Deinen Posten, Gasparo!« Er drängte rasch sein Pferd zurück. »Jetzt, Signor Generale, geben Sie das Zeichen zum Rückzug der Ihren, oder Sie retten aus diesem Höllengetümmel keinen Mann. Aber bei Gott! es ist nicht mehr nötig, denn dort kommen sie von selbst!«

Die breiten Stufen der Villatreppe herunter, durch die Gänge des Gartens, wälzte sich ein Menschenstrom, Reiter und Fußgänger durcheinander, aus den Fenstern der Villa stürzten sie heraus, oft schon von den französischen Bajonetten durchbohrt, aus der Poterne wogte die rückströmende Flut, über die umgestürzten Orangenbäume der Balustrade drängten sich die Fliehenden, Verwirrung, Tod überall! Die fliehenden Reiter, den Leichnam ihres tapfern Obersten mit sich schleppend, vermehrten das Gedränge; wie die Mücken stürzten die Flüchtenden unter den Kugeln der Franzosen, die schnell wieder die Villa besetzt hatten und aus allen Fenstern ein mörderisches Feuer eröffneten, während rechts und links an dem Gebäude vorüber ihre Kompagnieen mit dem Bajonett die Flüchtenden vor sich her trieben.

Mitten in dem Gedränge weht noch immer die Fahne der Venus von Rom, ertönt der Schlachtruf ihres Begleiters: »Tötet, tötet!« Mit Bissen und Hufschlägen kämpft sich der schwarze Pony, der sie getragen, zu seiner Herrin Bahn, im Nu schwingt sie sich auf seinen Rücken und hoch über ihrem Haupt die Trikolore. »Rom! Rom! Die Venus kommt! es lebe die Freiheit! Hierher, Riccardo mio! Zu mir, Geliebter!« Aber der Schweizer hält plötzlich in dem rasenden Lauf inne und hemmt mit seiner Riesenkraft das Gedränge.

Vor ihm an dem Fuß einer Cypresse, nur von deren Stamm vor den Füßen der rasenden Menschenflut geschützt, in zerrissene schwarze Gewänder gekleidet, das weiße Kopftuch mit dem Schleier wild verschoben und mit Blut bedeckt liegt ein Weib am Boden.

Ihre Augen sind geschlossen, das Gesicht ist mit Todesblässe überzogen und, obschon der köstliche Schmuck des blonden Lockenhaares unter der Schere der strengen Klosterregel gefallen ist, von unbeschreiblicher Lieblichkeit und Sanftmut.

Auf dem halb entblößten Busen perlt ein einzelner großer Blutstropfen gleich dem dunklen Granat.

Ihre Hände sind unter der Brust gefaltet, in ihnen hält sie das Kreuz ihres einfachen Rosenkranzes.

»Her zu mir, Riccardo mio! her zu mir! Venus ruft: Die Venus von Rom!«

Der wahnwitzige Schweizer rührt sich nicht, er starrt noch immer auf die ohnmächtige oder tote Nonne.

»Wahnwitziger Thor, was kümmert sie Dich? Hierher zu mir, oder Du bist des Todes. Die Venus ruft!«

Wie aus tiefer Erstarrung fährt er plötzlich empor, aus dem großen Auge bricht ein Strahl von erwachender Seele, seine Hände lassen das gewichtige Schwert zu Boden fallen.

» Venere, la santa! Venus die Heilige!«

Er beugt sich nieder und hebt die zarte Frauengestalt empor gleich einer Feder, er nimmt sie in seine Arme sorgfältig wie ein Kind, so geht er langsam mit ihr vorwärts!

»Verderben über Dich, wahnsinniger Narr!« die Courtisane sprengt an ihm vorüber, die Trikolore, die ihn bisher beschützt, ist verschwunden.

Zweimal erbebt die riesige Gestalt des Schweizers, wie er mit seiner Last sich langsam Bahn bricht durch das Gedränge der Fliehenden, dennoch schreitet er vorwärts.

Aber auf den zerfetzten Lumpen der Uniform, die er trägt, zeigen sich zwei dunkle Flecke, purpurn, wie der auf der Brust der Nonne.

Nicht mehr schützt ihn das geheimnisvolle Wehen der Trikolore.

Wie die Fliegen stürzen sie, die Tapferen, unter den Hufen ihrer eigenen Freunde, unter den Kugeln und Bajonetten der Franzosen.

Es ist ein Morden von Wehrlosen, über des Bruders Leiche schreitet der Bruder, nur vorwärts, vorwärts drängt es, die schreckliche Stätte zu verlassen.

Ein trübes Lächeln überflog die ernsten Züge des Generals, als er sieht, wie an ihm vorüber die bei der Eroberung des Corsini und selbst des Giraudi gemachten Gefangenen geführt oder geschleift werden.

Nicht ohne Siegeszeichen wollen die Legionäre und Bersaglieri aus ihrer Niederlage zurückkehren.

Unter den blutenden Gefangenen befindet sich auch der Kapitän Montboisier; Rozzat, der tapfere Rozzat treibt ihn vorwärts, selbst die Todeswunde in der Brust.

Der General, der unbeweglich am Eingang der Villa hält im furchtbarsten Feuer, das wiederholt seinen Mantel und seinen Hut durchlöchert, wendet sich zu dem Mascherato.

»Wer Sie auch sein mögen, wenn Sie wirklich etwas thun wollen und können zur Rettung dieser Braven, dann zögern Sie nicht.«

Der Soldat bittet den Banditen. Der Mascherato hält dicht neben ihm. Einen Augenblick wendet er sich zu dem bekümmerten Führer, und seine Hand hebt für einen Moment die Maske, die sein Gesicht bedeckt.

»Wird General Garibaldi dieses Gesicht wieder erkennen?«

Der General fährt zurück. »Sehen meine Augen recht? – Sie … dieser Bart …«

Die Maske ist bereits wieder an ihrem Platz.

»Still! Jeder hat seine Liebhabereien!« Wieder giebt die silberne Pfeife ihr Signal.

Eine Salve von dreißig Büchsenschüssen antwortet, dann ein knatterndes Pistolenfeuer, ein wildes Angriffsgeschrei: » Il Mascherato! il Mascherato.«

Die Tête der Franzosen wird von dem unerwarteten Widerstande zurückgeworfen. Unter dem Schutze dieses wohlgezielten Feuers, dieses tapfern Angriffs verlassen die letzten, die es vermögen, das furchtbare Schlachtfeld.

Der letzte, der sich zurückzieht, ist der General selbst, – oder nein, es ist der Neger mit dem wehenden schwarzen Mantel, der mit seinem Körper schützend den Herrn deckt, den geliebten Gatten seiner Gebieterin, Aniellas, der er geschworen hat, ihn aus der Schlacht zurückzubringen, lebend oder tot, wie er ihr einst den schwarzen Diamanten aus dem Leib ihres Kindes zurückbrachte.

Die Ladroni haben sich nach dem glücklich vollbrachten Angriff auf das Signal ihres Führers über die Hecken und Mauern zurückgezogen und decken auch jetzt noch, ihren geheimnisvollen Kapitän umgebend, den Rückzug der Geschlagenen, bis das Feuer der Bastionen den Ausgang des Corsini wieder bestreichen kann, und die Hörner der Franzosen die ihrigen von der gefährlichen Verfolgung zurückrufen.

Am Bascello drängt sich jetzt alles, diese Position wenigstens zu halten, zu schützen. In wenig Minuten ist die Verteidigung wieder organisiert, speien die Fenster des Vascellos und die Casas an der Straße, dieser wahren via mala, einen antwortenden Hagel von Flintenkugeln gegen die französischen Schützen im Corsini und Valentini.

Der General ist unermüdlich in seiner Thätigkeit, um vor dem jetzt mit Macht hereinbrechenden Dunkel jene wichtigen das Thor deckenden Posten noch zu sichern, die Verwundeten zurückschaffen zu lassen in die Stadt, die Munition zu ergänzen, die Reste der Abteilungen wieder zu sammeln und zu locieren, die Artillerie der Wälle zu vermehren. Die Ingenieure arbeiten mit Anstrengung an den künstlichen Verstärkungen der Position.

Einen Augenblick bleibt, sich den Schweiß von der Stirn trocknend, der General bei einer der Gruppen von Verwundeten stehen, eben ziehen die Mascherati vorüber zur Stadt zurück unter dem herzlichen Zuruf ihrer blut- und staubbedeckten Kameraden aus dem Sturm, der tapferen Bersaglieri und Legionäre. Manara, Sacchi, Manciagali schütteln ihnen kameradschaftlich die Hände. » A rivederci! – wenn es wieder gilt!«

In der Mitte der Mascherati wird auf einer Bahre von vier Männern der Körper der Nonne getragen. An der einen Seite der Träger schreitet die hohe Gestalt des Schweizers, das Auge sinnend, träumerisch auf die zarte Gestalt gerichtet, an der andern Seite geht der verwachsene Maler, sein schönes von dem langen Lockenhaar umwalltes Gesicht drückt die tiefste Bekümmernis aus, langsam rollen große Thränen über seine Wangen. In seiner Hand hält er die eine der Nonne, von Zeit zu Zeit überfliegt ein Strahl der Freude, der Hoffnung sein Gesicht, wenn seine zitternden Finger ein Zeichen des noch nicht entschwundenen Lebens, des matten Pulsschlags zu fühlen glauben.

Aus dem Rücken und der Seite des Schweizers tropft es an zwei Stellen, rotes Blut sickert zur Erde und zieht eine lange Spur hinter ihm her. Zuweilen ist sein Gang schwankend, die hohe Gestalt zuckt schmerzlich zusammen, aber unaufhaltsam schreitet sie vorwärts, neben der Bahre her, dem Thore zu.

Der General wechselt einen Blick, einen Gruß mit dem maskierten Reiter, der den Zug schließt, dann wendet er sich wieder zu der Gruppe der eigenen Leute, bei der er steht. Sein treuer Mohr hat ihm eben einen Becher Wein gebracht aus dem Vascello, wo endlich Lebensmittel für die zum Tode Erschöpften angekommen sind. Es ist das Erste, was den General an diesem Tagst genießt; aber die erschöpfte Natur fordert endlich auch bei ihm ihre Rechte.

Am Boden neben ihm liegt die Leiche eines jungen Emigrati. Das dunkle Haar ist mit geronnenen: Blut bedeckt, der Mann, der ihn, den Gefallenen, aus dem schrecklichen Getümmel auf seiner Schulter getragen, hat erst jetzt bemerkt, daß er einen Toten gerettet. Er ist ein Mann von etwa dreißig Jahren mit finstern, entschlossenen Zügen; die Uniform mit dem Abzeichen eines Ober-Offiziers, die er trägt, zeigt, daß er zum Korps der Emigrati gehört. Er kniet jetzt neben der Leiche, die er finster betrachtet, eine Gruppe seiner Kameraden drängt sich um ihn.

Der General scheint ihn näher zu kennen, denn er begrüßt ihn freundlich und reicht ihm den Becher mit dem Rest des Weins.

»Trink, Felicio! Du wirst es nötig haben! Sei ein Mann, jeder von uns hat teures zu beklagen!«

»Es ist der Sohn meiner Schwester,« murmelt der Offizier, »ich liebte den Knaben, als wäre er mein eigener!«

»Es ist hart, Felicio, aber er starb den Tod für das Vaterland!«

»Und durch wen? Wer ist der schändliche Verräter, der das beste Blut unserer Brüder und Söhne vergossen?«

Der General sah finster vor sich hin.

Der Emigrati hatte den Becher genommen und beugte sich nieder zu dem Toten. Er hob den Kopf der Leiche in die Höhe, daß aus der Todeswunde einige Tropfen dunklen Blutes in den Becher sickerten und sich mit dem Wein vermischten.

Dann richtete er sich empor.

»Es sind zwei Jahre her, als sich Mazzini für ihn verbürgte; ich selbst half bei seiner Flucht. Heute klage ich ihn des Verrats der Freiheit an, des Treubruchs und des Mordes!« Er trat dem General näher. »Ich fordere das Gericht des Bundes!« sagte er in leiserem Tone.

»Du weißt, daß ich es nicht zu berufen habe!«

»Aber Mazzini soll es, ich trage darauf an!« Er wandte sich zu dem Kreise seiner Kameraden. »Seht Ihr die französische Fahne dort auf dem Corsini uns zum Trotz? Nicht das Zeichen der Freiheit ist sie mehr, die wir ihr erringen halfen, sondern das Zeichen des Verrats. Dieses Blut, Kameraden, trinke ich auf das Verderben des Verräters! Fluch ihm! Er soll sterben wie dieser Knabe, so wahr ich Felix Orsini heiße!«

Er leerte den Becher und warf ihn zu Boden. Der General hatte die Gruppe verlassen.

Tausend Tote, darunter hundert Offiziere, hatte der Tag den Verteidigern von San Pancratio gekostet. Der vierte Mann war gefallen!

Auf Villa Corsini wehte die Trikolore: Blau – Weiß – Rot!


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