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Grün, Rot und Weiß.


I. Das Blutbad von Enyád.

Im Dezember 1848 hatte nach der Abdankung des gutmütigen und schwachen Kaisers Ferdinand sein Neffe Franz Joseph I. den Thron bestiegen, dessen energische Mutter, die Erzherzogin Sophie, jetzt die Zügel in der Hand hielt.

Noch ehe das Jahr zu Ende, rückte die Kaiserliche Armee unter Windischgrätz in Ungarn ein. Rasch bemächtigten die Österreicher sich des rechten Donau-Ufers, zernierten Komorn und rückten gegen Ofen vor, während Schlick in Kaschau stand.

Die Revolutions-Armee war ungenügend und erst in der Bildung begriffen, die Führer waren ratlos und uneinig und rechneten auf Hilfe von außen. Entmutigt schickte der Reichsrat eine Deputation an den Fürsten Windischgrätz, um zu unterhandeln, erhielt aber zur Antwort, daß unbedingte Unterwerfung gefordert werde. Am 5. Januar hatten die Kaiserlichen Buda-Pesth besetzt.

Auf diesem Punkt des Sieges wandte sich das Geschick. Ein harter und ungünstiger Winter lastete schwer auf der kaiserlichen Armee, die an verschiedenen Punkten zersplittert stand und nur wenige einzelne Erfolge errang, während das militärische Genie des ungarischen Feldherrn Görgei sich jetzt in vollem Glanze zeigte. Mit den zusammengerafften unausgebildeten Truppen der Honveds führte er den geschickten Rückzug von der Donau nach den Bergstädten aus und hielt sich gegen die Angriffe des Schlickschen Korps. Hinderte auch augenblicklich seine weiteren Erfolge die Eifersucht Kossuths und die Ernennung des Polen Dembinski zum Oberfeldherrn, so wußten doch auf der andern Seite die Österreicher nicht aus ihrem Siege bei Kápolna Vorteil zu ziehen und wurden an mehreren Punkten aus ihren Stellungen gedrängt. In Siebenbürgen kämpfte der Pole Bem gegen das Puchnersche Korps, und obschon am 21. Januar bei Groscheuern, am 4. Februar bei Vizakna geschlagen, siegte er fünf Tage später bei Piski, marschierte auf Hermannstadt, die Hauptstadt des Landes und schlug die eingedrungenen Russen in die Walachei zurück. Nach der Besetzung Kronstadts war Siebenbürgen völlig in der Gewalt der Magyaren, und als jetzt Görgei nach dem Erkranken Vetters, des Nachfolgers des Polen Dembinski, wieder den Oberbefehl übernahm, gingen die Truppen der Revolution von der glücklichen Verteidigung zum Angriff über.

Die anfangs laue und besorgte Stimmung der Bevölkerung hatte sich durch die Erfolge gehoben und loderte bei dem militärischen Geist der Magyaren in enthusiastischer Kampfeslust. Überall wurde gerüstet, und jedes Opfer gebracht. Mit blutiger Faust herrschte das magyarische Regiment, und die grün-rot-weiße Fahne der ungarischen Nationalität, der Empörung gegen die Gesamtmonarchie, wehte im ganzen Lande.

Ein Heer unter Perczel, dem kühnen Ungarnführer, drang nach der Bácska und dem Banat und schlug die Serben zurück, während Bem Siebenbürgen wieder erobert hatte. Karlsburg und Temesvár waren die einzigen Punkte, die im Südosten die Kaiserlichen noch im Besitz hielten. Im Norden war Görgei über die Theiß gegangen, hatte die Kaiserlichen bei Gödrilla am 7. April geschlagen und das bedrängte Komorn durch den Sieg am 9. bei Waitzen entsetzt. Unaufhaltsam drängten die Ungarn vor, und der Weg nach Wien lag nochmals vor ihnen.

Wild und blutig wuchs durch diese Erfolge der Haß der Nationalitäten, jenes große Gegengewicht, auf das Österreich rechnete und das zu schüren man kein Mittel unterließ. Kühne Parteigänger aus der Walachei und Kroatien drangen in kecken Streifzügen oft weit hinein ins Land oder kämpften in den Gebirgen, während in Galizien, durch das ultramontane Priestertum entflammt, jene entsetzliche Contre-Revolution der Bauern gegen den Adel mit Mord und Brand wütete.


Es war ein Jahr nach jener Aushebung der »Strapazier-Menscher« in den Niederungen der Theiß. Vgl. »Villafranca.« Vierzig Meilen von dort, umgeben von den bergigen Schluchten und Höhen der Karpathen, von den Ausläufern der Gebirge, die von Großwardein und Clausenburg herunter sich nach dem Carlstädter Komitat und den Grenzen der Walachei ziehen, lag, in der Siebenbürger Gespannschaft Carlsberg, eine jener Csárdas an der Straße von Klausenburg nach dem Gespannschaftsort, am Ufer der toten Maros, die dem Strome des Südostens entgegeneilt.

Eine Meile davon liegt der große Marktflecken Nagy Enyád mit seinem Collège und seinen drei Kirchen, in denen 6000 Bewohner der verschiedenen Konfessionen ihr Herz dem Allmächtigen darbringen.

Über die Sümpfe und Ebenen der Pußten breitete der Frühling seine grüne Decke, in den Gebirgen war der Schnee geschmolzen und rieselte in tausend weißen Bächen nieder zum Thal und die Höhen belaubten sich mit lichtem Grün, die Mose trieben ihre frischen Farben aus dem Dunkel des Winters und Leben und Lebensdrang war überall.

Der Abend dunkelte bereits – die weite Küche der Csárda Schenke, Kneipe. hier im Lande der Sachsen etwas besser und geräumiger gebaut, als die Heide-Wirtshäuser im eigentlichen Ungarn zu sein pflegten, war von vielen Gruppen und Ab- und Zugehenden gefüllt. Unbestimmte Gerüchte von einem blutigen Gefecht, das in der Nähe von Carlsburg in den Gebirgen stattgefunden haben sollte, erregten die Gemüter und flogen wie Brandfackeln hin und her.

Der Wirt der Herberge, die an der Straße lag und bei der Nähe des großen Komitatsfleckens gewöhnlich nur den untersten Klassen zur Einkehr diente, war ein Jude, gelenkig und dienstbeflissen gegen alle Rassen, in keinen Streit seiner Gäste sich mischend, um kein Thun derselben sich kümmernd und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Wie ein Wiesel schlüpfte die kleine Gestalt in dem schmutzigen Kaftan durch die Gruppen der Gäste, den scharfen Pfirsichbranntwein in die geleerten Gläser schenkend, oder scheltend und zankend mit den Dienstleuten oder der eigenen Tochter, der dunkeläugigen hübschen Rebekka, die am Herd den großen Kessel mit Hirsebrei und Speck, dem Lieblingsgericht der slavischen Stämme in den Karpathen, rührte.

In einer Ecke saßen drei oder vier sächsische Bauern am Tisch, die Köpfe zusammensteckend und mit einander flüsternd. Auf den breiten ehrlichen Gesichtern war der Ausdruck einer gewissen Zufriedenheit unverkennbar, mit der sie all die Neuigkeiten umher hörten; denn sie hielten im stillen, wie all ihre Landsleute, zum Habsburger Haus und mußten schwer unter der Herrschaft der Ungarn leiden, die nicht bloß ihren Geldbeutel weidlich schröpften, sondern im Siegesrausch die größten Brutalitäten verübt hatten.

Juhászen, die Schafhirten der Gegend, in ihren schmutzigen Gatyen mit der Guba aus dem groben Halinatuch bekleidet, rauchten über ihrem Glas die kurze Pfeife; der Csikos des benachbarten Gestüts saß heute mit seinem Ménnmester, dem Gestütmeister, auf derselben Bank und die ganze Gesellschaft der sonst so stolzen und hochmütigen Tanyenbesitzer, der Gazdás oder Häusler, der Kanaszen und Gulyas war bunt durcheinander gewürfelt.

Wie nirgends in Ungarn, fehlte auch hier nicht der Zigeuner. Es war ein großer, breitschulteriger Bursche mit wetterzerfahrenem, durch eine große Narbe noch mehr entstelltem Gesicht, von einigen 40 Jahren, der von Zeit zu Zeit seine Huszt strich und zu einem Tanz oder Nationallied ansetzte, bis ein unwilliger, barscher Fluch eines der Erzähler, den sein Spiel störte, ihn wieder verstummen ließ. Hinter ihm, in einen Haufen Lumpen gehüllt, kauerte seine Mutter wie ein Häufchen Unglück. Nur die funkelnden Augen blitzten noch lebenskräftig aus diesem Gemisch von Runzeln und Schmutz, umgeben von zottigem weißem Haar.

Das Weib mußte sehr alt sein, gewiß siebzig oder darüber. Von Zeit zu Zeit reichte der Sohn ihr den kleinen Krug mit Slibowitza, den er neben sich aus der Erde stehen hatte, zurück, und sie zog dann das brennende hitzige Getränk in langem Zug, bis er selbst ihr den Krug vom Munde riß.

»Hußka Petike – habe Mitleid mit der, die Dich unterm Herz getragen. Was hat sie anders auf der Welt noch als Dich und den alles vergessen machenden Trank, seit der Apfel ihres Auges, das Kind der sieben Sterne mit den Moskowiten davongegangen!«

»Still, alte Hexe,« brummte der ehrerbietige Sohn, »seht Ihr nicht, daß die Herren sprechen wollen. Sie werfen uns noch auf den Anger, wenn Ihr fortwinselt, und habt doch schon die Hälfte des Kruges allein getrunken, den uns der gnädige Herr dort von dem geizigen Juden hat einschenken lassen.«

Der »gnädige Herr« hatte herzlich wenig das Aussehen eines solchen. Er trug die sehr einfache Kleidung eines jener wandernden Krämer, wie sie von Pesth oder anderen großen Städten aus mit allerlei Kram das Land durchstreifen und jetzt vornehmlich jene mit Feuer und Blut geschriebenen, alle Leidenschaften entflammenden Blätter des Pesthi Hirlap und anderer revolutionärer Zeitungen in die Hütten der Landbewohner verbreiteten. Neben dem Manne, der an dem großen Kamin saß, einen Krug roten Weins trank und einige Schnitten Kolasz aß, stand sein kleiner Kasten, den er sonst auf dem Rücken schleppte. Er selbst trug einen großen braunen Slowakenhut, der die obere Hälfte des Gesichts fast ganz verbarg, wozu ein schwarzes Pflaster über dem linken Auge noch mehr half. Dennoch ließ sich erkennen, daß das wohlgeformte Antlitz von einer blassen, wächsernen Farbe war, die durch den krausen kurzen Bart um Kinn und Lippen noch mehr hervorgehoben wurde.

Der Krämer hatte sich in den Schatten der vorspringenden Seitenwand gesetzt und warf von Zeit zu Zeit eine Frage oder ein Wort in das eifrige Gespräch einiger Tanyenbesitzer und Honveds, die den Ehrenplatz vor dem Kamin eingenommen hatten und eifrig tranken und rauchten. Die von ihm eingestreuten Bemerkungen zeugten von ziemlich genauer Kenntnis der Verhältnisse und führten die Redner stets auf den Punkt, über welchen jener ohne zu fragen Auskunft haben wollte.

Wer scharf aufgemerkt hätte, würde vielleicht bemerkt haben, daß zwischen dem wandernden Kaufmann und dem Judenwirt zuweilen ein rascher, vertraulicher Blick getauscht wurde.

Ein anderer Gast entzog sich durch seine Lage und den tiefen Schlaf, in dem er anscheinend lag, so ziemlich aller Beachtung. Es war ein großer, kräftig gebauter Mann, der die schmutzigen Überreste österreichischer Militärhosen trug, sonst aber ganz und gar in eine weite, braune Guba gehüllt war, die er über Kopf und Gesicht gezogen. Bei dieser Bewegung hatte sich der Mantel etwas verschoben, und man konnte dabei ein scharfes, spießähnliches Eisen sehen, das in dem Strick steckte, den er als Gürtel um den Leib geschlungen trug. Ein keulenartiger, großer Knüppel lag neben ihm auf dem Ofen, denn dort hatte der Mann mit den Kindern des Juden nach der Landessitte sein Lager genommen.

»Is sich nix mehr mit König von Ungarland,« schrie ein stämmiger Tanyenbesitzer, indem er mit der Faust auf seinen Schenkel schlug. »Hab' ich selber gelesen, als ich gestern in Enyád auf Markt war, Proklamation diejenigte.«

» Baszom a lelkedet! Muß doch Ungarn haben einen König! Was ist das Ungarland ohne König? Für was ist sich die eiserne Krone da, die ich selber gesehen, mit Augen meinigten!«

» Fene egyemek! Für was ist unser Vater Kossuth da? Laßt ihn machen zum König. Swabi König taugt nur für die Swabi Schweine, nicht für ungar'schen Mann!«

Ein sehr verständlicher Blick nach der Seite, auf welcher die sächsischen Bauern saßen, bezeichnete, wen der Sprecher meinte. Die deutschen Ansiedler jedoch, die hierin der Minderzahl waren, hielten für gut, von der Anzüglichkeit keine Notiz zu nehmen.

Einer der alten Tanyenbesitzer zog den pechgewichsten Schnurrbart durch die Finger. Die straffe Haltung zeigte, daß er in seiner Jugend Soldat gewesen war. »Ist sich nicht so leicht, zu jagen König vom Thron. Hat noch viele Regimenter vom Szeklerland von Ungarn, die fechten für ihn!«

» Kutya Teremtete! sind sich das Verräter am Ungarland!«

Draußen vor der Csárda ließen sich Stimmen hören, ein Ruf nach dem Wirt, Pferde schnaubten; durch die aufgerissene Thür sah man im Schein des flammenden Fichtenspans, den einer der Béres, der Knechte des Judenwirts hielt, drei Reiter. Die Pferde waren so abgetrieben, daß sie kaum auf den Beinen stehen konnten.

Einer der Fremden hatte sich aus dem Sattel geschwungen, der andere hielt den dritten, der hin- und herschwankte auf dem seinen.

»Leute heraus! Wo ist der Csárdak? Seid Ihr Ungarn und laßt einen verwundeten Soldaten sterben aus Mangel an Hilfe?«

Zehn Hände griffen zu; man hob die schwankende Gestalt vom Pferde und trug sie hinein in die Küche, die Gesellschaft sammelte sich um die Neuangekommenen. Selbst der Vagabund am Ofen, der bisher anscheinend im Schlaf gelegen, richtete sich empor und betrachtete aufmerksam, auf seinen Arm gestützt, die Scene. Dann, als nehme er größeren Anteil daran, setzte er sich auf und stieg langsam vom Ofen herab.

Sein Gesicht war jetzt unbedeckt, er trug nur eine alte österreichische Soldatenkappe, kaum erkennbar noch in Form und Farbe, Mit einer großen ungarischen Kokarde daran. Das Gesicht war braun, edel geformt mit schmaler, kühner Adlernase und offenbar noch jung, aber von hundert Falten des Leidens oder grimmiger Leidenschaften zerrissen. Die großen Slowaken-Augen des Mannes zeigten einen seltsamen finsteren grausamen Ausdruck, wenn sie auch jetzt mit einem gewissen Gefühl von Liebe auf den einen der Reiter gerichtet waren.

Man hatte den Verwundeten auf eine Bank am Feuer niedergelassen. Eine in Hast um seine Stirn gewickelte Schärpe, unter der dunkle Blutstropfen über das blasse Gesicht bis zum schwarzen Bart herabgesickert waren, es in roten Streifen, gleich einer schrecklichen Tättowierung entstellend, bewies, wo die gefährliche Wunde saß. Außerdem war sein linker Arm von einem Bajonettstich durchbohrt und hing, ebenfalls nur flüchtig verbunden, kraftlos nieder. Das Gesicht des Offiziers, denn er trug die zerrissene, beschmutzte Uniform eines solchen, ebenso wie sein sorgsam um ihn beschäftigter Gefährte, zeigte, daß er, wie jener, noch jung war, er mochte einige zwanzig Jahre alt sein.

Der Dritte, im weißen zottigen Szür, über den eine breite, ungarische Schärpe geknüpft hing, war älter als seine Gefährten: eine breite, kräftige, rohe Gestalt, das Antlitz von dunklem, aber auffallend blassen Teint mit durchbohrend scharfen Augen. Lang hing der dunkle Schnurrbart an den Seiten des Mundes herab. Er trug ein Gewehr auf dem Rücken und einen schweren Reitersäbel an der Seite, während sein Gürtel mit Pistolen gespickt war.

Auch der zweite Offizier blutete aus einer leichten Armwunde, von der er jedoch kaum zu wissen schien. Alle seine Sorge gehörte dem Freunde. Die Abzeichen, die seine beschmutzte, an mehreren Stellen zerfetzte Uniform noch zeigte, bewies seinen höheren Rang.

»Schafft Wasser herbei und Leinwand und seht, ob niemand aufzutreiben ist, der etwas von Heilkunst versteht! Ich fürchte, wackerer Sándor, Deine Kunst aus den Pußten reicht hier nicht hin!«

» Baczom a lelkedet! ich hab' mich mein Lebelang auch mehr mit Wundenschlagen als mit Wundenheilen abgegeben. Dennoch hat's ausgereicht, um wenigstens die Verblutung zu hindern.«

»Es wäre schrecklich, wenn auch er das Opfer seiner Unvorsichtigkeit sein sollte. Zweihundert tapfere Burschen, – und wie wenige werden dem Gemetzel entkommen sein! Seht nach den Pferden, Wirt, und laßt sie mit Branntwein abreiben. Wir haben keine Zeit, uns aufzuhalten, und auch Ihr, Leute, werdet gut thun, Eure Maßregeln zu nehmen, denn in einer Stunde können die Walachen hier sein! Unterdes gebt einen Krug Wein her, ich verschmachte vor Durst!«

Sein stolzes Wesen, der Ton seiner Worte zeigte, daß er ans Befehlen gewöhnt und sich einer weit höheren Lebensstellung bewußt war, als die bunte Gesellschaft um ihn her sie einnahm. Während die Wirtin mit ihrer Tochter jammernd und klagend sich um den Verwundeten beschäftigte, Wasser herbeibrachte und sein Gesicht wusch, holte der Wirt einen frischen Krug Wein und reichte ihn demütig dem Offizier.

»Soll ich verkommen, gnädiger Herr Offizier, wenn es nicht ist echter Ofener, wie ihn trinkt der Herr Obernotär selber in Enyád! Aber es ist nichts zu gut für die Herren Patrioten vom Land, bin ich doch selber ä Patriot und schrei aus vollem Herzen Eljen Kossuth! Doch was haben gesagt der Herr Offizier von unsere grimmige Feinde, die Walachen?«

Ohne gleich auf die Frage des Juden, die viele neugierige Gesichter umher versammelte, zu achten, reichte der Offizier den gefüllten Krug zunächst seinem Kameraden im Szür.

»Trink', Mann! Dem, der die blutigste Arbeit gehabt, gebührt auch der erste Trunk. Ohne Dich läg' ich ohnehin zwischen den Leichen unserer Brüder.«

Der andere wollte die Ehre ablehnen.

»Trink' sage ich Dir, wackerer Bursche. Es lebt kein besserer Kämpfer für die Freiheit im ganzen Ungarnland!«

Der Mann nahm den Krug und schwang ihn empor. »Wenn Ihr das sagt, Herr, bin ich stolz darauf. Eljen Hungaria und die Freiheit!«

»Eljen Rózsa Sándor!« schrie eine Stimme hinter dem Kreise und eine alte Mütze wurde an die Decke geworfen.

»Rózsa! Rózsa Sándor?« murmelten die Bauern und Hirten umher, den berühmten Betyár betrachtend, dessen Ruf schon vor der Revolution in allen Komitaten verbreitet war, und der sich seitdem an der Spitze einer aus den wildesten Elementen bestehenden Freischar überall gefürchtet gemacht hatte durch die verwegenen Streifzüge, die er nach allen Seiten hin unternommen und mit einer an das Wunderbare grenzenden Schnelligkeit ausführte, so daß man nie wissen konnte, in welcher Gegend des Landes er sich eigentlich befand.

Der ehemalige Roßhirt wandte sich um, als er seinen Namen von der heisern Stimme der Vagabunden aussprechen hörte, und seine scharfen, blitzenden Augen ruhten einen Moment lang forschend auf dem verstörten Gesicht.

» Fene egyemek! Das ist der Szabó, der Wolfsfänger! Wo kommst Du her, Bursch'? Ich habe Dich seit dem Abend nicht wieder gesehen, als der kroatische Wolf und der Wolf der Pußten Dein Bestes fraßen!«

Über das zerrissene Gesicht des Slowaken flog ein grimmiges Lächeln, halb schmerzliche Erinnerung, halb Freude über das Wiedersehen des alten Freundes und Schützers, als dieser sich durch den Kreis der Gaffenden zu ihm drängte und ihm die Hand reichte. »Laß die Toten ruhen in ihrem Grabe!« sagte er finster, »die Säge, die man ihr mitgab, Ein alter Aberglaube unter Magyaren und Slaven, um zu verhindern, daß die Toten wieder aufstehen und als Vampyre umherwandeln. hat ohnehin nicht geholfen, und sie kommt in ihrem blutigen Leichentuch und legt sich an meine Seite und ruht nicht, bis ich ihr Blut versprochen habe und immer mehr Blut.«

Seine Augen starrten in unheimlichem Grimm vor sich hin, dabei packte er krampfhaft den Arm des Freundes. »Hab' ich ihr doch gegeben Blut, viel Blut, und hier brennt mir's im Hirn wie ein feuriges Meer. Denkst Du an den alten Swabi-General, Rózsa, der an jenem Abend dort war bei dem stolzen Magnaten und dem ich brachte den Wolf, damit er Gnade gebe dem Leib und der Seele der armen Slowakenbraut?«

»Es war der Latour! Sie haben ihn erschlagen und gehenkt in der Kaiserstadt, in Wien.«

Der Slowak lächelte noch grimmiger, er schlug den zerrissenen Mantel auf und deutete auf das Eisen, das er im Gürtel trug. »Schau her, Rózsa Sándor! Der Wolf hat seine Zähne in ihren Leib geschlagen, er verschmähte den Wolf, d'rum ist der Szabó selber ein Wolf geworden. Diese Hand stieß ihm das Eisen in die Brust, und wie der Mächtige fiel, der mit einem Worte die Hanka hätte retten können, da jubelte es in meiner Brust, als hörte ich den Staregessy Brautdiener. seinen Spruch sagen.«

»So ist es wahr, was die Leute sprachen: Du warst in Wien unter den Soldaten?«

»Der Szabó war in Wien und hat getrunken Blut, viel Blut. In jener Nacht kam die Hanka zu mir aus ihrem Grabe und that mir schön. Aber sie will Blut und immer mehr Blut. Sie müssen alle sterben, die es gelitten, daß die Hanka zum Roten kam!«

» Baszom a Mágnást! Du wirst hier blutige Arbeit genug finden! Schlag' Dir die Gedanken an die tote Dirne aus dem Sinn und komm' unter meine Schar. Sie haben den Rózsa zum Freikapitän gemacht, die Herren in Pesth, und teremtete! sie haben nicht gethan daran schlecht. Hui! heute hier – morgen da im Ungarnland und immer die Flinte in der Hand und den Säbel am Gelenk. Die Katharina wird freuen sich, Dich wieder zu sehen!«

»Die Katharin! Szent Katharin? Sie liebte sie auch. Du hast recht, Rózsa! Was macht die Katharin?«

»Wohlauf, Bursch! Sie steht mit einer Schar am Eejer Körös im Halmágyer Komitat und wird besser Glück gehabt haben, als ich.«

»Was ist geschehen?«

»Wir haben Schläg' bekommen, Bursch, von den Kaiserlichen und den walachischen Hunden, mögen ihre Eingeweide zehntausendmal in höllischem Feuer versengen! Höllische Schläg', sag' ich Dir, von meinen zwanzig Jungen, so wild und tapfer, wie der Hengst auf der Pußta, bin ich allein noch übrig, wenn nicht der oder jener sich glücklich davon gemacht.«

»Wie kommst Du hierher ins Siebenbürgener Land, Rózsa Sándor?«

» Teremtete! Wo kommt der Betyár nicht hin? Wie kommst Du selber hierher, herunter von Wien? Hab' ich begleitet den gnädigen Herrn dort, der den Rózsa gern hat, von Vilagos her, um zu suchen den General Bem. Sind wir gefallen im Gebirg' in Hinterhalt, meine Betyáren und die Honveds von dem Offizier da! Falsche Schurken die Swabi hier im Siebenbürgnerland; haben uns gewiesen falsch und waren wir mitten d'rin, ehe wir's gewußt. Hui! Kurvanyád! Wie die Kugeln und die Felsstücke niederfielen auf uns, gleich dem wilden Hagel auf das Feld!«

Der Betyár hatte, unbekümmert um seine beiden Gefährten, den alten Genossen aus den Sümpfen der Theiß niedergezogen an einen Tisch, von dem sein grimmiger Blick die erschrockenen Bauern und Hirten zurückscheuchte, und ein großes Glas voll scharfem Pfirsichbranntwein heruntergestürzt, das er dann füllte und dem Slowaken bot. »Trink', Szabó, wenn die Pferde neuen Atem geschöpft, brechen wir auf.«

Der Offizier beschäftigte sich noch immer mit Hilfe der Judenwirtin mit dem Verwundeten am Feuer. Der Wirt war eifrig um ihn her und wiederholte die Frage nach der Warnung, die ihnen der Offizier vor den Walachen gegeben.

»Gnädigster Herr Edelmann, allerbester Herr Offizier, wie sollen doch kommen die grausamen Walachen hierher mitten ins Land, wo stehen die tapferen Herrn Magyaren, zu schützen Haus und Leben?«

Der Offizier wandte sich finster um.

»Kennst Du den Tribun Jankó?«

»Gott soll mer behüten, gnädiger Herr! Den grausamen Wüterich, den Holofernes mit dem gewaltigen Schwert! den Menschenschinder, der die Kinder im Mutterleib tötet. Gott Abrahams, was ist mit dem?«

»Ehe eine Stunde vergeht, kannst Du die Ehre haben, ihn zu bewirten, Jude! Er war es, der uns die Niederlage bei Karlsburg in der verfluchten Schlucht beigebracht hat. Aber verstell' Dich nicht! Ich weiß sehr wohl, daß er zu Euren Freunden gehört, denn das ganze Land hier ist kaiserlich gesinnt und im geheimen den Ungarn feind, die doch für Eure Freiheit ihr Blut vergießen!«

»Soll mir Gott strafen, gnädigster Herr Magnat allergnädigster Herr Offizier, wie können Sie reden so schlimm? Ich bin zwar ein armer Jüd', aber ich steh' doch mit Leib und Leben zu den Herren Patrioten und dem großen Herrn Kossuth und dem Herrn Batthyányi und all den vornehmen Herren, die uns gebracht die Freiheit, obschon sie kostet viel Geld!«

»Schweig'! Sieh' lieber zu, ob denn kein Mensch aufzutreiben, der etwas von der Heilkunst versteht. Ich kann meinen Kameraden unmöglich sterben lassen, bloß aus Mangel an Hilfe, obschon seine Unvorsichtigkeit die Schuld trägt an unserer Niederlage!«

»Main! es is doch kein Doktor, als wie in Enyád! Aber gnädigster Herr Offizier, hier is ä Kaufmann, er hat Mittel für alles, und ä Wunderbalsam, daß er könnt' heilen das Loch von ainer Kanonenkugel, wenn der Herr Offizier noch nicht ist gegangen ganz tot!«

»Gieb her! Wo ist der Mann, vielleicht hat er einige Kenntnis?«

Aber der wandernde Krämer mit dem blassen Gesicht war verschwunden – er befand sich nicht mehr auf dem Platz und niemand hatte gesehen, wo er hingekommen.

Das Stöhnen des Verwundeten rief den Offizier wieder an seine Seite. »Armer Freund,« sagte er, »Du leidest so viel, und ich kann nicht helfen! Hoffentlich ist es möglich, Dich nach Enyád zu schaffen, wo bessere Hilfe zur Hand ist.«

»Dank, Stephan,! aber es ist zu spät, ich fühle, es ist vorbei mit mir, die Flucht hat meine Kraft gebrochen, nur ein toter Mann geht von hier!« Der Kranke drückte dem Freunde die Hand.

»Heiliger Gott! einer der edelsten von Ungarns Söhnen, auf den wir so viel gebaut! Mut, Alexander, Mut, es wird so schlimm nicht sein!«

Der leise Ton einer Zigeunerfiedel unterbrach den Tröster, es war die Melodie einer jener glutvollen Schlachtenlieder, wie sie in dem Hangok a multbol im Lauf des vorhergehenden Jahres erschienen und von der Begeisterung rasch durch ganz Ungarn getragen worden waren.

Der Verwundete richtete sich auf den gesunden Arm empor, die Glut einer stolzen Freude überflog sein totbleiches Gesicht.

Zu dem Klang seiner Fiedel summte der Zigeuner halblaut die wohlbekannten Worte.

»Hörst Du, Stephan! Es ist mein Lied! Alexander Petöfi wird nicht gestorben sein im Ungarnland, auch wenn diese elende Hülle der Rasen des Vaterlandes deckt!«

Der zweite Offizier hatte sich nach dem Geiger umgesehen, das verwitterte Gesicht schien wie eine undeutliche Erinnerung in ihm emporzutauchen.

»Kennst Du diesen Herrn, oder war es Zufall, daß Du in diesem Augenblick sein Lied spieltest?«

»Halten zu Gnaden, Herr Graf, soll armer Zigeuner nicht kennen dürfen den Mann, der gesungen hat unser » Mostvagy soha?« Das berühmte Gedicht »Jetzt oder nie!« mit welchem der junge 26jährige Dichter im März 1848 die Jugend entflammte und den Sieg der Revolution in Pesth herbeiführte. Bin ich ein elender Csárdafiedler, hat doch auch der Zigeuner ein Herz für das große Wort!«

»Ich danke Dir, Mensch, in des sterbenden Freundes Namen. Dein Lied ist ein Trost für ihn auf dem finstern Weg, den der Freiheit edelster Dichter gehen muß!«

»Halten zu Gnaden, gnädigster Herr Graf!« bat der Zigeuner, indem er die Fiedel sinken ließ und nach dem Attila des Offiziers griff. »Wenn das Peterchen sich hat erdreistet, mit seinem Spiel zu belästigen die Herren Magnaten, hat er gehabt dabei einen Zweck andrigen.«

»Was meinst Du?«

»Ist sich Mutter meinigte, so schwarz und alt sie aussieht, ein kluges Weib und versteht zu suchen beim Licht des großen Aldoboran Kräuter in Heid' und Wald, die gut für die Gebreste der Menschen. Glaub', Herr, ist meine Mutter keine Hexe, wenn sie auch hat Augen rote vom Alter und vom vielen Weinen, nur eine weise Frau, die schon manchen geheilt hat, hohen Magnaten und armen Juhasz auf der Pußta.«

»So schaff' die alte Vettel herbei; in diesem Augenblick ist jede Hilfe willkommen, und ich weiß, Ihr Zigeunergesindel kennt oft geheime Mittel, die kein Christenmensch weiß und anwenden mag.«

Das Peterchen wich demütig zur Seite und hinter ihm kam die gekrümmte, von Alter und Krankheit zusammengezogene Gestalt seiner Mutter zum Vorschein, häßlich wie die Hexe von Endor und wenig genug geeignet, irgend Vertrauen einzuflößen. Aber der Ungar war zu sehr an solche Gestalten im eigenen Lande gewöhnt, als daß sie ihm so widrig erschienen wären, wie vielleicht dem Sohne eines anderen Landes. »Dort ist der Kranke, alte Hexe,« sagte er barsch. »Versuch' Dein Heil an ihm, und wenn Du ihm Linderung schaffen kannst, bis wir ihm bessere Hilfe bringen, sollst Du goldenen Lohn haben!«

Die Alte war schon an der Bank, die mit einigen herbeigeschafften Mänteln und langhaarigen siebenbürgener Decken notdürftig zum Lager umgestaltet worden, da der Offizier um keinen Preis selbst den sterbenden Kameraden auf das schmutzige Lager der Judenfamilie gebettet hätte. Sie nahm seine Hand, fühlte den Puls und löste dann mit zitternden aber geschickten Fingern den roten Verband um die Stirn, wodurch die breitklaffende Wunde eines bis zum Schädelknochen gedrungenen Säbelhiebes bloßgelegt wurde.

»Schlimm, schlimm!« murmelte die Zigeunerin.

»Junges Blut, frische Kraft! Aber was hilft's, daß die Mumeli-Swa ihn erweckt mit dem Duft ihrer Kräuter zu neuem Leben, daß sie die gebrochenen Glieder heilt, ehe der Mond aufs neue voll wird? Der böse Geist steht an seiner Seite, und ehe die Blätter von der gesegneten Rebe fallen, muß er ein toter Mann sein.«

»Zum Teufel mit Dir, alte Vettel!« zürnte der Offizier. »Willst Du mit Deinem wahnwitzigen Unkenruf das Herz eines Tapferen erbeben machen? Hilf, wenn Du kannst, sonst packe Dich, oder ich schlage Dir den Schädel ein!«

Er faßte drohend die Pistole am Lauf in die Hand.

»O gnädigster Graf unsrigter, sie ist nicht bei Sinnen ihrigten! wenn der Vollmond am Himmel steht, kommt der Geist unseres Stammes über sie!«

Die Alte hatte sich bei der ersten Bedrohung nach dem Offizier gewendet, die gekrümmte, gebeugte Gestalt schien emporzuwachsen, das graue Haar starrte in Büscheln um das verwitterte Gesicht, die roten Augen glühten seltsam und voll Hohn.

»Schlag' zu, blanker Graf! Meinst Du in der Fülle Deiner Jugend und Kraft, Du würdest Deinem Schicksal entgehen? Brautbett Deinigtes ist bereit, vom Tau der Nacht und den Wolken des Himmels gebildet, und der krächzende Rabe wird Dein Hochzeitsbitter sein. Hinter Dir steht der schwarze Engel, und seine Hand ist erhoben, das stolze Geschlecht der Batthyányi sterben zu lassen zwischen Himmel und Erde!«

»Wahnwitzige Hexe!« er hob die Hand zum Schlag, doch ließ er sie vor dem starren Blick der Alten wieder sinken, die achtlos, als kümmere sie sein Zorn nicht, über ihn hinweg stierte. Ein Gefühl, wie ein kaltes Schaudern überlief ihn, und fast unwillkürlich wandte er sich um. Hinter ihm stand der Deserteur Szabó Polká, mit seinem Gönner, dem Betyár.

»Ist ein Slowak, Herr, der in der Swabi-Armee gedient hat,« berichtete der Freischarenführer. »Ist sich der Szabó ein braver Kerl, und kann ich trauen dem Wort seinigten. Der Szabó sagt, daß Leute unsrigte haben die Stadt geräumt.«

»Das ist unmöglich! Es wäre eine unsinnige Maßregel, die Straße aufzugeben!«

»Wenn der gnädigste Herr Graf Kunde haben wollen von Enyád,« berichtete die demütige Stimme des Zigeuners, »kann ich geben ganz sichere, da ich gewesen bin vor wenig Stunden dort.«

»Komm hierher!« Er winkte dem Zigeuner zur Seite. »Tretet zurück, Männer, ich habe mit diesem Manne zu reden. Was ist's mit Enyád?«

»Ich schwör's Euer Gnaden beim Kreuz, die Ungarn sind abgezogen diesen Mittag aus der Stadt. Augen meinigte haben es selber gesehen!«

»Wohin?«

»Auf der Straße nach Mediasch. Der General steht bei Segesvar.«

»So hat man uns getäuscht! Wir glaubten ihn in Süden!«

»Halten Euer Gnaden, Herr Graf, Augen Ihrigte offen,« flüsterte der Zigeuner. »Das Land taugt nicht für tapfere Ungarmänner, der Csárdas ist ein Verräter, und es sind noch schlimmere hier!«

»Kennst Du mich denn?«

»Hab' ich doch so oft den hohen Herrn gesehen bei Herrin unsrigte, der schönen Gräfin Cäcilie. Weiß ich doch, daß sie wären längst ein Paar, wenn der selige Herr, ihr Vater, nicht gewesen wär' dagegen und für den stolzen Moskowiten, der unserm Stamm genommen den Apfel meines Auges, mein letztes Kind. Das Petike ist ein treuer Hund für das blanke Haus der Pálffy, ist er auch nur ein Zigeuner. Warum wäre er anders gefolgt der schönen Grafentochter hierher mit seinen Leuten, als um zu ihrem Dienst bereit zu sein und zuweilen zu sehen die Sonne ihres Angesichts!«

Graf Stephan Batthyáni – denn dieser war der junge Stabsoffizier, der sich mit dem Freunde durch die Hilfe des Betyáren aus dem Gemetzel des Überfalls in der Bergschlucht gerettet – fuhr erschrocken zurück.

»Dein Gesicht schien mir nicht unbekannt, ich muß Dich anderswo gesehen haben. Aber was faselst Du von der Begleitung meiner Braut? Gräfin Cäcilie mit ihrer Mutter befinden sich wohlbehalten in Pesth!«

»Hab' ich mit den Augen meinigten gesehen vor fünf Stunden noch die schöne Gräfin in ihrem Haus in Enyád, als ich gespielt mit meiner Hußta vor ihrer Thür. Die gnädigste Gräfin ist mit ihrer Mutter dort seit drei Tagen!«

» Ebbadta! ich habe keinen Grund, Deiner Aussage zu mißtrauen! Dann hat sie die Nachricht, daß ich nach Siebenbürgen gehen würde, thörichter Weise hierher geführt. Ich weiß, die Gräfin, ihre Mutter hat eine Besitzung in der Nähe von Enyád!«

»Bin ich gewesen vielmal da mit dem Magnaten, Ihrem Vater, als ich war sein Geigenmann. Ist doch die Mutter der Zingara, mein totes Weib, aus den Gebirgen der Mlusa, und hab' ich doch getragen das blanke Grafenkind hundertmal auf diesem Arm.«

»Befindet sich die Gräfin noch in Enyád, oder ist sie mit unseren Truppen abgezogen?«

»Die Gräfin ist dort mit der blanken Komteß. Es ist keine Gefahr für sie, denn die Stadt ist ruhig und für die Swabi gesinnt.«

»Dennoch muß ich sie bewegen, daß sie sogleich nach Pesth zurückkehren, während mein Auftrag mich aufs schleunigste zu General Bem führt. Wie weit ist es von hier nach Enyád?«

»Zwei Meilen, Herr!«

»Unsere Pferde sind abgetrieben zum Umfallen, sie können nicht den zehnten Teil des Weges machen! Hat der Csárdas andere Pferde?«

»Er hat sie auf der Weide, aber er wird sie verleugnen!«

» Kutya teremtete! Ich werde ihn mit der Pistole vor der Stirn dazu zwingen. Es hängt vielleicht das Schicksal der Armee in Siebenbürgen davon ab, daß ich noch heute den General Nachricht bringe von dem neuen Sturm, den die habsburgische Politik braut! Komm' hierher, Rózsa! Wir bedürfen Deines Rats!«

Der Betyár trat hastig heran.

»Es ist richtig,« sagte der Graf – »Enyád ist von den unsern geräumt, Bem hat sich nach Medgyes und Segesvar zurückgezogen. An der Nachricht, die ich ihm bringe, hängt Tod und Leben. Ich darf keinen Augenblick länger säumen, als unumgänglich notwendig ist, denn durch die falsche Nachricht, die uns nach Karlsburg verlockt, haben wir schon zu viel Zeit verloren. Dennoch hält es mich mit gewaltiger Angst; denn das Weib, das ich liebe, befindet sich durch einen unglücklichen Zufall in Enyád!«

»Die Gräfin Cäcilie?«

»Sie selbst mit ihrer Mutter! Sie muß unter allen Umständen gewarnt und in Sicherheit gebracht werden, obschon ich kaum besorge, daß die Kaiserlichen bis hierher vordringen werden. Willst Du mir den Dienst erweisen?«

»Welchen, Oberst?«

»Mit diesem Manne nach Enyád zu gehen und für den Schutz der Frauen zu sorgen, bis der General wieder vorrückt, oder bis sie in gutem Geleit die Stadt verlassen können. Ich wünschte, Deine Betyaren wären bei Dir, dann wäre ich beruhigt wegen des Teuersten, das ich habe!«

»Das ist leicht zu machen; ehe vierundzwanzig Stunden vergehen, soll Katharina mit der Schar in Enyád sein. Bursche dieser da ist gut, um Botschaft zu bringen!«

Der Graf wandte sich zu dem Zigeuner. »Kannst Du mir einen Mann schaffen, der mich auf dem nächsten Weg nach Mediasch bringt?«

»Petrike ist das Haupt seines Stammes!«

»Aber was machen wir mit dem Kapitän? Wir können ihn nicht fortbringen und unmöglich hier ohne Hilfe lassen! Das schuftige Gesindel würde ihn dem ersten Feind in die Hände liefern, der sich blicken läßt.«

»Die Mumeli-Swa wird helfen!«

»Wer ist das?«

»Mutter meinigte!« Die alte Hexe humpelte eben herbei.

»Die Mumeli-Swa steht mit ihrem alten Leibe dafür, daß der blanke Junge diesmal am Leben bleiben wird. Aber denkt an die Worte der alten Zigeunerin, es wäre besser, daß er gestorben wäre.«

»Schweig'! Dein Sohn hier sagt uns, daß Du uns helfen kannst, ihn in Sicherheit zu bringen. Du stehst für seine Wunden?«

»Der schwarze Tod ist diesmal noch nicht an sein Herz getreten. Ich habe die Linien seiner Hand geprüft,« sie nahm hastig die Linke des Grafen und betrachtete die innere Fläche, ehe er sie ihr entziehen konnte. »Ihr werdet an einem Tage sterben, er und Du, schöner Graf!«

»Wie Gott will! Bis dahin aber ist es Pflicht, daß ein Kamerad für den anderen sorgt. Hier ist Geld! Aber sprich, wie wir ihn in Sicherheit bringen können, denn die Zeit drängt, und ich muß fort.«

Die Alte raffte gierig die Silberstücke zusammen, die ihr der Offizier zugeworfen. Dann besprach sie sich einige Augenblicke mit ihrem Sohn in der, allen übrigen unverständlichen Zigeunersprache, und während dieser sich aus der Thür der Csárda entfernte, forderte sie von dem Wirt einen Topf, füllte ihn mit Wein und warf Brot, Speck und roten Pfeffer hinein. Dann holte sie aus dem alten Leinenbeutel, der vorhin schon zu dem Verband des Verwundeten hatte Kräuter spenden müssen, verschiedene von diesen, las sie sorgfältig und that sie in den kochenden Trank, den sie sorgsam abschäumte.

Der Verwundete hatte sein Bewußtsein wieder Erlangt, der Verband der alten Zigeunerin übte offenbar den wohlthätigsten Einfluß. Der Graf hatte sich zu ihm gesetzt und teilte ihm die Nachrichten mit, die er empfangen, während der Betyár den Judenwirt ins Gebet nahm, um von ihm frische Pferde für ihren Weiterritt zu erpressen.

Der Jude wand sich wie ein Wurm unter hundert Beteurungen, wie er gern den edlen Herren zu Dienst stehen wolle, und bot Haus und Hof an, nur Pferde könne er unmöglich vor zwei Stunden herbeischaffen, da die wenigen, die er und seine Nachbaren besessen, von den Soldaten in Enyád mit fortgenommen worden. Sein schielender Blick suchte, unbemerkt von dem Dränger, dabei wiederholt eine dunkle Ecke hinter dem Kamin, als folge er dem Wink einer Person, die dort verborgen war.

Mit einem wilden Fluch, der seine Eltern und Elterseltern verdammte, schickte der ehemalige Csikós ihn zum Teufel und berichtete die Verlegenheit, in der sie sich befanden, dem Grafen.

Der Jude schlüpfte an der Kaminecke vorbei.

»Um keinen Preis dürfen sie frische Pferde bekommen,« flüsterte ihm hier eine Stimme ins Ohr. »Zwanzig Dukaten sind Dein, wenn Du sie zwei Stunden aufhalten kannst. Bringe die Pferde an die Hinterthür und warte, bis ich komme. Ich muß unsern Freunden entgegen!«

Der Jude verschwand aus dem Zimmer. Graf Stephan, und der Betyár berieten, was in dieser Lage zu thun sei, bis die alte Hexe sie mit hämischem Kichern unterbrach.

»Hi hi! Ist der Rózsa Sándor gewesen so lange Csikós auf freier Pußte, ohne zu wissen, wie man ein müdes Rößlein heilt? Bist Du blind, Galgenmann, oder hast Du kein Hirn mehr, daß Du die alte Mumeli-Swa nicht kennst, in deren Lager Du so manche Nacht zugebracht, wohlbewacht und mit Speis' und Trank versehen, wenn die Komitats-Panduren Dir auf der Ferse waren?«

Der Betyár schlug sich mit der Faust vor die Stirn.

»War ich ein Esel! es ist wahr, es ist die Mumeli-Swa, und sie weiß für alles Rat. Warum dachte ich nicht längst daran! Sie ist eine alte Hexe, aber sie hat mir zwanzigmal ein krankes Roß auf die Beine gebracht, an dem alle meine Erfahrung scheiterte.«

Die Alte rieb sich vergnügt kichernd die dürren Hände und deutete auf den Topf am Feuer. »Mach', daß Du fortkommst zum Stall, Galgenvogel, und bring' die Rosse heraus, sonst möchte alle Kunst meinigte ihnen nicht helfen mehr. Es ist ein schlimmerer Feind über ihnen, als die Meilen unter ihren Füßen.«

Der Betyár stutzte, dann wandte er sich rasch zum Grafen. »Sie können ihr ganz vertrauen, Oberst, sorgen Sie nur dafür, daß man ihren Willen thut!« Damit sprang er aus der Thür.

Viele der Gäste hatten bereits die Csárda verlassen und waren nach ihren Tanyen oder Hütten geeilt, die Nachricht vor: dem Siege der Kaiserlichen zu verbreiten, andere waren geblieben, entweder um mehr zu sehen und zu hören, oder weil sie doch kein besseres Obdach hatten.

Die Unterredung des Grafen mit dem verwundeten Freunde wurde durch jämmerliches Zetergeschrei und die wilden energischen Flüche des Betyáren unterbrochen, die sich vor der Thür der Csárda hören ließen. Den jüdischen Wirt mit der flachen Säbelklinge bearbeitend, schleppte der Rózsa ihn in die Küche, und die an Verwünschungen so überreiche ungarische Sprache schien in seinem Munde ihren ganzen Vorrat daran zu erschöpfen, so sprudelten sie von den Lippen des Erbosten. Mit einem letzten gewaltigen Hiebe über die Schultern, schleuderte er die jämmerliche Gestalt zwischen die Tische, während zugleich ein unbarmherziger Fußtritt die Csárda-Wirtin, die heulend und flehend ihrem Manne zu Hilfe eilte, zur Seite warf.

»Hund verfluchtigter!« tobte der Erbitterte, »mögen die Schweine Deine Seele fressen! Istem teremtete! Will ich Dich lehren, Hand zu lassen von Pferden uns'rigten und ehrlichen Ungar nicht zu betrügen!«

»Was ist geschehen, warum mißhandelst Du den Mann?« frug der Offizier unwillig.

» Kurvanyád! Hab' ich ihn nicht getroffen, wie er dem Pferd meinigten hat gegeben zu fressen Teufelszeug? Sollten die andern auch daran kommen. Hinter dem Hofthor stehen zwei Rosse frisch und gesattelt! hat der Hund sie nicht verschwiegen, um zu üben Verrat am Vaterland uns'rigtem?«

»Wo sind die Pferde?«

»Der Szabó bringt sie vor die Thür, die fremden Rosse und die Offizierspferde! Roß meinigtes liegt in der Scheuer und streckt die Beine von sich, als wär' es tot!«

Man hörte das Wiehern der Pferde durch die offen gebliebene Thür. Die Mumeli-Swa hob ihren Topf vom Feuer und ohne sich um den Streit zu kümmern, humpelte sie damit hinaus.

»Komm' hierher, Jude, und verteidige Dich! Was hast Du mit unseren Pferden begonnen?«

Der Csárdas kam winselnd herbeigekrochen, Frau und Kinder heulten um die Wette um den rothaarigen Schurken her und versuchten die Kleider des Offiziers zu küssen, um Gnade flehend.

»Gnädigster Herr Magnat, lassen Sie nicht schlagen tot en armen Mann von dem grausamen Herrn Kavalier. Hab' ich's doch machen wollen recht gut, und hab' den edlen Tieren gebracht ä kleine Stärkung von Brot mit Schnaps. Was kann ich dervor, daß das Roß ist krepiert von dem gewaltigen Lauf. Ich bin ä armer Mann, aber ä ehrlicher und schrei': Es lebe der Herr Kossuth in Pesth, es lebe die Freiheit und die Republik!«

»Der Hund lügt, er ist ein Swabi-Spion!«

»Wo kommen die frischen Pferde her, die der Rózsa gefunden? Willst Du antworten, Verräter, oder soll diese da Deine Zunge lösen?«

Der Judenwirt krümmte sich in der Todesangst wie ein Wurm am Boden. »Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs sollen mer helfen in der Stunde, da der Eblis legt die Hand af mei Haupt! Ich will verschwarzen, wenn ich hob berührt die Rosse von die gnädigen Herrn Patrioten in schlimmer Absicht.«

Der Graf hatte langsam ein Pistol aus seiner Schärpe gezogen, spannte den Hahn und richtete es auf die Stirn des knieenden Wirts.

»Nimm Dich in acht, Jude, daß Du die Wahrheit sprichst! Wem gehören die Pferde, die der Mann da gefunden?«

»Soll mir Gott helfen! sie sind nicht mein eigen!«

»Wem?« Der Finger des Fragenden machte eine verdächtige Bewegung.

»Gnode! Gnode! ich will sagen alles! Die Pferde gehören dem Kaufmann da!«

Sein Finger wies auf den Krämer, der im Schatten der Mauer stand, und aller Blicke richteten sich nach diesem.

»Komm hierher!«

Der Krämer schien einzusehen, daß jedes Zurückhalten ihn nur verdächtig machen könnte. Er trat daher langsam in den Lichtkreis, jedoch sorgfältig darauf achtend, daß die Flamme des Kamins in seinem Rücken stand.

»Wir bedürfen frischer Pferde in einer Staatsangelegenheit. Wenn Du ein Sohn Ungarns bist, Mann, wirst Du uns die Deinen nicht verweigern. Du sollst dafür entschädigt werden!«

Der Krämer schüttelte mürrisch mit dem Kopf.

»Das ist leicht gesagt, aber ich hätte das Nachsehen. Ich habe keine Zeit und muß selbst fort, damit die Walachen meine Habe nicht plündern. Ich brauche meine Pferde!«

Durch die offene Thür der Küche trat der Zigeuner herein, gefolgt von vier zerlumpten Gesellen seines Stammes, die eine Art Bahre trugen, wie sie in der Landwirtschaft gebraucht wird. Eine Decke lag darüber; auf die Anordnung des Petrike legten die Zigeuner die Decken und Gubas dazu, welche bisher das Lager des Verwundeten gebildet, und hoben diesen, der mutig den Schmerz verbiß, auf die Trage.

Der Sohn der alten Mumeli-Swa sah den Grafen fragend an. Dieser drückte dem Freunde die gesunde Hand.

»Auf Wiedersehen, mein armer Alexander! Du weißt, Mann, Du bürgst mir mit Deinem Kopf für ihn!«

Das Peterchen nickte; dann geleitete er die Träger mit ihrer Last hinaus.

Batthyányi hatte sich nochmals zu dem Krämer gewandt. Ein unbestimmter Verdacht hatte sich seiner bemächtigt. Er wies mit dem Finger auf den Kasten des Krämers, der noch auf einem der Schemel stand.

»Leute Deines Schlags pflegen nicht mit Pferden zu reisen, sondern auf eigenen Beinen. Sie sind daher gestohlen oder auf irgend welche Weise erhandelt. Du wirst sie wieder verkaufen, oder ich werde Dich zwingen dazu.«

»Wenn der edle Graf Batthyányi das Betyáren-Handwerk üben will, kann ich ihn nicht daran hindern,« sagte höhnisch der Mann. »Die Pferde sind mein, und ich gebe sie nicht.«

Der Graf erbebte bei dem Klang der Stimme, die sich in der hämischen Antwort weniger verstellt zeigte. »Wer bist Du? Du bist nicht, was Du scheinst!«

»Ein Krämer! Ist der tapfere Flüchtling aus dem bedrängten Wien vielleicht ein österreichischer Paßvisitator geworden?«

»Hund! Herunter mit dem Hut! Rózsa packe den Kerl, er ist ein Spion!«

Aber der Betyár hatte, nachdem er seinen Grimm an dem verräterischen Wirt gekühlt und ihn in einen Winkel geworfen, bereits wieder die Csárda verlassen, vor der jetzt ein wildes Lärmen entstand.

Graf Stephan wollte selbst Hand anlegen an den Verdächtigen, aber dieser sprang gewandt hinter einen der Tische und hielt ihm ein doppelläufiges Terzerol entgegen.

»Nehmen Sie sich in acht, Herr, oder Gräfin Cäcilie dürfte noch vor der Hochzeit zur Witwe werden! Zu Hilfe, ihr Männer, leidet nicht, daß man die Freunde des Kaisers mißhandelt!«

»Schurke!« Der Graf sprang auf ihn zu, aber die breiten Gestalten der vier deutschen Bauern, die bei dem Lärmen vor der Schenke allein noch in der Küche zurückgeblieben waren, schoben sich zwischen ihn und den Unverschämten. »Nix da! wir leiden's nicht! Laßt den Mann in Ruh', er hat recht, wenn er sein Eigentum sich nicht will stehlen lassen!«

Der Krämer nahm höhnisch lachend den Hut vom Kopf: eine weiße, schmale, hohe Stirn, ein stechendes graues Auge erschienen darunter.

»Lazare!«

»Derselbe, Herr Graf! Ich denke, Sie werden jetzt vorziehen, mir Revanche für den Peitschenschlag zu geben, statt mit denen da draußen sich zu schlagen. Sie pflegen kurzen Prozeß zu machen!«

»Halunke, ich habe nie gezweifelt, daß Du ein Verräter bist, aber Du sollst wenigstens Deinen Lohn erhalten!«

Der Pistolenschuß knallte, zwei Flintenschüsse, dicht hintereinander in kurzer Entfernung von der Csárda mischten sich mit dem Knall.

»Zivio! Zivio!«

Eine deutsche Verwünschung, der Fall einer mächtigen Gestalt, ein gellendes Hohnlachen des Verräters! Der Galan der Gräfin Martha war gewandt zur Seite gesprungen, und die Kugel hatte einen der sächsischen Bauern getroffen.

Das Auge des Mannes lag voll Zorn und Haß auf dem Thäter, und alle Erbitterung der Rassen konzentrierte sich in dem Blick, während das Blut aus der Wunde an der oberen linken Brust in dunklem Strom hervorquoll und das Hemd und den weißen Leinenrock des Unglücklichen färbte.

»Verfluchter Magyar! Möge der Galgen Dein Los sein, Mörder!«

»Er soll ihm nicht entgehen! Hierher, Männer! Mord! Mord! Haltet den Meuchelmörder!« schrie der jüdische Spion.

Der Oberst stand einen Augenblick unbeweglich und starrte auf das unschuldige Opfer, aber eine Hand riß ihn zurück aus dem Pulverdampf und nach der Thür. Es war Petrike, der Zigeuner. »Zu Pferd, Herr, zu Pferd! Ist sich kein Augenblick zu verlieren zur Flucht, ist der Feind da und schlägt sich der Rózsa mit den Reitern!«

Der Graf stürzte aus der Csárda, begleitet von dem Geschrei des ehemaligen Legionärs und der Bauern.

Vor der Csárda sah er eine wildbewegte Scene. Etwa fünfzig Schritt unterhalb des Gehöfts, auf der Straße nach Karlstadt, schlug sich der kühne Betyár zu Pferde mit Hilfe einiger Honveds, die früher in der Schenke gezecht, gegen mehrere walachische Reiter, an den langen weißen Mänteln und breiten Beinkleidern kenntlich, offenbar nur, um seinem Gefährten Zeit zur Flucht zu gewinnen. Aber es konnte nur Augenblicke dauern, denn das Geschrei, die Flintenschüsse und der donnernde Galopp der Pferde von der sich in langer Windung zwischen den Bergen herstreckenden Straße zeigte, daß rasch eine größere feindliche Reiterschar den Plänklern zu Hilfe kam.

Vor der Csárda drängte sich eine furchtsame Gruppe von Weibern und Gästen und suchte einen Versteck zu gewinnen oder flüchtete im Dunkel querfeldein, nach dem Schutz des nahen eigenen Herdes oder der Bergschluchten und Gelände; dicht an der Thür hockte ein junger Zigeuner, dem man die Angst auf dem Gesicht und in den zitternden Gliedern ansah, im Sattel eines der Pferde, die den Flüchtigen gehörten, und hielt das zweite am Zügel, während Szabó, der Slowak, nicht weit davon ein drittes Pferd mit seiner Keule gegen ein Paar Flüchtige verteidigte, die sich gern desselben bemächtigt hätten, um der Gefahr zu entkommen.

Der Oberst wollte zu dem Tier eilen, das der Slowake hielt, um sich in den Sattel zu schwingen, aber die Mumeli-Swa warf sich ihm entgegen. »Hierher, blanker Magnat, ist sich das Pferd das Deinigte. Hat den Trank der alten Zigeunerin in den Adern und wird laufen drei Stunden wie der Wind! Einen Nobel, blanker Graf, einen Nobel für die Mumeli-Swa und hüte Dich vor dem da!«

»Hier ist der Führer, er kennt die Wege durchs Gebirge! Zu Roß, gnädiger Herr, zu Roß!«

Der Graf sprang mit einem Satz in dem Sattel, das treue Tier, neu belebt durch den feurigen Trank, den die alte Hexe gebraut, hob sich unter dem Druck des Schenkels, als der kundige Reiter es herumwarf, in mächtigem Satz gegen die walachischen Reiter. Der Säbel in seiner Faust fuhr wie ein Blitz über den Zottelkopf und die Filzmütze des Burschen, der den Sándor von der Seite angriff. »Fort mit uns, Rózsa! Flucht vor der Übermacht ist keine Schande!«

Der Petrike war bereits im Sattel: »Mr nach, Herr, ich führe Euch sicher und schnell!« Noch einen Wink des Betyáren an den ehemaligen Kanasz: »Du kennst Deinen Auftrag! grüße mein Weib!« und im wilden Jagen, unverfolgt von den Walachen, die vorsichtig erst die Ankunft ihrer Kameraden erwarteten, galoppierten die vier auf der Straße nach Enyád davon, bis sie an der nächsten Biegung sich trennten.

Wenige Minuten waren vergangen, als die erste Schar des walachischen Freikorps lärmend heransprengte, wilde Gestalten mit der bunten, fliegenden Jacke, den geschlitzten Beinkleidern und den langen weißen Mänteln. Im Nu war die Csárda gefüllt, und Püffe und Stöße trieben den von dem Betyár halbtot geprügelten Judenwirt zur neuen Thätigkeit. »Schaff' sich her Slibowitza, Wein und Speis, Hund von Ungar! Heraus damit, oder der Handjar soll Dir Kehle schlitzen!« Der Ärmste war aus dem Regen in die Traufe gekommen. Jede weitere Verfolgung der Flüchtigen hielt die Reiterschar vorerst für unnütz, nachdem sie gehört, daß jene frische Pferde gefunden, und wollte erst die weiteren Befehle des Führers erwarten, da ihre Ordre lautete, nur bis hierher vorzudringen.

Trotz der drohenden Gefahr und des wilden, unbändigen Tobens der Walachen waren mehrere der früher in der Csárda Versammelten neugierig zurückgeblieben.

Von den Honveds, die mit dem Betyár anfangs Widerstand geleistet, waren zwei verwundet gefangen worden, die andern glücklich entkommen. Die alte Zigeunerhexe war zu dem verletzten Bauer geholt worden und übte dort jetzt ihre Künste, der Slowak aber, ohne sich um den Auftrag zu kümmern, den sein wilder Kamerad in den Sümpfen der Theiß ihm gegeben, lehnte gleichgültig, an der Mauer des Hauses und starrte auf die immer lebendiger und wilder werdende Scene.

Mit jeder Minute stieg die Zahl der herbeiströmenden Freischärler. Wilde, barocke Gestalten mit den langgewichsten Schnurrbärten, dem halb orientalischen Haarschnitt und der bunten Bewaffnung. Zwischen die schmutzigweißen Gestalten der Walachen, die festen, drallen Trachten der Seressanen und die langen roten Mäntel der Grenzer waren Uniformen und Nationaltrachten jeder Gattung an den Ufern der Donau gemischt.

Dann kam ein Trupp roter Seressaner zu Pferde, angeführt von einem kräftigen, robusten Offizier, dessen wildes, rohes Gesicht keinen andern Ausdruck zeigte, als das Vergnügen an Beute und Blutvergießen.

Hinter dem Zug der Seressanen rasselte ein leichtes Gefährt herbei, drei Pferde im Breitgespann, der Csikós mit der fliegenden Jacke auf dem Bock, drei Personen im Innern des offenen Wagens, walachische Reiter umher, hinter dem Wagen eine Abteilung Panduren in ihren roten Mänteln und spitzen Mützen, geführt von einem Offizier, dessen Gesicht eine gräßliche Verstümmelung von Narben zeigte.

Der Slowak, der an der Csárda stand und sich eben davonmachen wollte, zuckte zusammen, als er dies entstellte Antlitz sah. Das Blut schoß jäh in seine Adern, und einen Augenblick lehnte er sich wie betäubt an die Wand des Hauses. Dann überzog ein Ausdruck dämonischer Freude sein Gesicht, und sein Blick, den er fest auf den Offizier der Panduren heftete, hatte etwas wahrhaft teuflisches.

In dem Wagen, der von der Csárda hielt, saßen zwei Männer und eine Dame. Diese schien noch sehr jung, kaum dem Kindesalter entwachsen, aber von pikant sich entwickelnden, gelenken Formen.

Ein Schleier verhüllte in diesem Augenblick ihre Züge, ihre Toilette war mehr reich und elegant, als wohlgeordnet und geschmackvoll. Dennoch bot die Erscheinung dieser Frau immerhin ein wohlthuendes Bild gegen die wüste Unordnung des Zuges.

Gegenüber der jungen Dame saß, in den graugelben Mantel der russischen Militärs gehüllt, ein Mann, dessen breites, tartarisches Gesicht mit den hohen Backenknochen und der kurzen, aufgestülpten Nase, noch mehr als seine Kleidung die Abkunft verriet. Obschon er offenbar noch in den besten Jahren, in der Mitte der Dreißiger war, hatte doch sein ohnehin unschönes Gesicht schon begonnen, etwas Verschwommenes, Welkes anzunehmen, wie man es bei jenen traurigen Wesen findet, welche die orientalische Raffinerie zum Schutz der eigenen Wollüste hergerichtet hat.

Neben der Dame saß ein Mann von jungem, elegantem, stutzerhaftem Aussehen. Seine Civilkleidung zeigte den modernsten Pariser Schnitt, die kleine feine Hand, die zuweilen die Cigarre aus seinen Lippen entfernte, wenn er sprach, und sonst mit einer leichten Reitgerte spielte, deren Knopf ein großer in Gold gefaßter Rubin bildete, war in strohgelbe Glacéhandschuhe gekleidet, es fehlte dem Mann vom Kasket bis zu den feinen Glanzstiefeln nicht das geringste, um als Löwe des Jockey-Klubs auf dem Boulevard des Italiens zu flanieren, als eben nur die andere Umgebung. Die Erscheinung dieses Stutzers mit dem weibisch-verzärtelten Gesicht, von dessen feinem Teint das kleine schwarze Bärtchen scharf abstach, der matte Ausdruck des Auges hinter dem eingekniffenen goldenen Lorgnon, machte einen seltsamen, fast lächerlichen Eindruck unter diesen wilden Gestalten, in dieser reichen wüsten Umgebung des Krieges.

Und dennoch barg diese feine zarte Gestalt, das weibisch-stutzerhafte Äußere einen der grausamsten, blutigsten Charaktere dieses blutigen Rassenkrieges.

Der Stutzer im Wagen war der berühmte oder berüchtigte Tribun Janko, der Anführer der Walachen.

Der Csikós hielt die Pferde an, dicht vor der Csárda. Der Tribun warf einen matten, schmachtenden Blick umher: »Was ist's? was giebt es? wo sind wir hier?«

Der Offizier der Vorhut hatte sich demütig genähert und rapportierte, daß man an der Stelle angekommen sei, wo der Tribun Halt zu machen befohlen, um das Fußkontingent des kecken Zuges zu erwarten, und daß man bis hierher Flüchtlinge von dem Überfall in dem Hohlweg verfolgt habe, die sich hier zur Wehr gefetzt.

»Wo sind sie, Kapitän Ghika?«

»Wir kamen zu spät, Herr, sie zu fangen. Zwei oder drei, die beritten waren, sind entkommen. Wie ich höre, befindet sich der Betyár Rózsa Sándor unter ihnen!«

»Es ist dumm von Dir, daß Du ihn entwischen ließest. Ich hätte den Burschen gern gesehen und zwanzig Dukaten dafür gegeben. Du bist ein Einfaltspinsel, Kapitän Ghika, oder Deine Pferde werden schlecht. Was ist's mit den andern?«

»Drei sind gefallen, Bauern oder Honveds, schlechtes Volk. Zwei haben meine Reiter gefangen. Dort stehen sie.«

Der Tribun lorgnettierte nach der Seite hin. »Haben Sie schon einmal jemanden hängen sehen, meine Gnädige?« frug er galant seine Nachbarin.

Sie schlug ihn mit dem Sonnenschirm, den sie in der Hand trug, kokett auf die seine. »Thörichte Frage! der Fürst hat Ihnen ja gesagt, daß ich aus Ungarn bin. Man hängt in diesem Lande sehr oft.«

»Aber nicht so, wie ich,« sagte der Tribun lächelnd. »Laß die beiden Schurken an dem Pfahl dort mit den Beinen aufhängen. Verstopf' ihnen aber die Mäuler, damit der Lärm nicht belästigt. Meine Nerven sind angegriffen.«

Der Anführer der Rotmäntel, der Mann mit dem zernarbten, bösen Gesicht sah sich etwas verlegen um. »Hassan Huja, der den Strick führt, ist erschossen bei dem Gefecht, Excellenz! Du hast noch keinen andern zu dem Amt ernannt.«

Der Tribun sah sich gleichgültig um. »Bah! es wird doch einen Zigeuner oder einen andern Vagabunden geben, der die Arbeit übernimmt.«

Der Szábo hatte dicht bei dem Wagen gestanden, und bei der Stille, die in dem Kreise um denselben herrschte, jedes Wort gehört.

Er hatte die Kokarde von seiner Mütze gerissen und trat jetzt einen Schritt vor.

»Wollt' ich fragen Excellenz gnädigster, ob man viel hängt bei Dir?«

Der Tribun lachte.

»Ich denke, genug für einen Liebhaber. Aber es wechselt zuweilen mit einigem Halsabschneiden. Der Geschmack ist verschieden. Dein Vertrauen gefällt mir. Du sollst die Wahl haben.«

»Danke, Herr, ich bin kein Ungarmann, sondern armer Slowak. Aber wenn Du Profoß brauchst, macht' ich treten in Dienste Deinigte!«

Der Tribun betrachtete ihn einige Augenblicke durch das Lorgnon.

» Eh bien! Ich bin's zufrieden. Du kannst gleich Dein Probestück an den beiden Burschen da machen! Wie heißt Du?«

»Szabó, Excellenz!«

» Bon! geh' an die Arbeit! Ist es Ihnen gefällig, meine Gnädige, auszusteigen? Wir werden hier etwas verweilen müssen, bis die Szemerys heran sind.«

Der Offizier der Dorobanzen öffnete den Schlag; der Tribun bot galant der Dame die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen, aber sie setzte den Fuß auf die Seitenlehne, hob ihr langes Kleid und flog mit einem kecken Sprung hinunter auf die Schwelle der Thür.

»Bravo meine Gnädige! Die Ceritto hätte es nicht graziöser machen können! Kommen Sie, Durchlaucht, lassen Sie mich Ihnen wenigstens helfen.«

» K tschortu! ich wünschte, ich hätte es so wenig nötig, wie die kleine Hexe dort!« Der Herr im grauen Mantel stieg langsam und ärgerlich mit Hilfe der herbeispringenden Diener aus dem Wagen. Als er zur Csárda ging, konnte man sehen, daß er infolge einer Hüften-Verletzung hinkte und sich eines Stockes bedienen mutzte.«

Eben, als die Gesellschaft die Schwelle der Csárda überschritten, hörte man von dem Platz vor derselben her ein verzweifeltes Geschrei.

»Was giebt es?«

Die junge Dame war auf der Schwelle stehen geblieben und drehte sich um. Sie schlug den Schleier zurück, und man konnte das braune, bleiche, eigentümlich geformte Gesicht unter dem verschobenen Pariser Hut sehen, aus dem zwei schwarze Augen wie glühende Kohlen funkelten, während in den weit geöffneten Nüstern in dem gewölbten Bau der niedern Stirn und dem aufgeworfenen zuckenden kleinen Mund mit der erhobenen Oberlippe ein merkwürdiges Gemisch von sinnlicher und geistiger Raffinerie und Genußsucht sich kundgab.

»Sieh, Batuschka,« sagte sie, den Arm des Hinkenden zwickend. »Die Ungarn setzen sich zur Wehr, die Narren wollen sich nicht hängen lassen. Willst Du nicht ein bißchen stehen bleiben, um zuzusehen?«

»Hinein mit Dir, Tunsa! es ist nichts für Dich! Der Satan steckt in der Dirne!« Er stieß sie vor sich her in die Thür, aber sie gehorchte nur maulend. Der Tribun hatte sich nach der scheußlichen Scene gewandt, wo der neue Henker unter dem Gelächter der Reiter sich mit den beiden Verurteilten balgte.

»Der Bursche soll ein Ende machen, oder ich laß ihm selbst hängen!«

Das Kreischen der Gefangenen verstummte, die Hände waren ihnen auf dem Rücken geschnürt, der Knebel in ihrem Mund, daß die weißen Augäpfel groß aus den braunen Gesichtern hervortraten. Schweiß- und blutbedeckt, denn er hatte bei dem Ringen sein Eisen gebraucht, erhob sich der Slowake aus der Gruppe und sein Auge suchte nach einer geeigneten Stelle für den Tod der beiden Unglücklichen.

Der Tribun trat in die Küche der Csárda und kam hier gerade zu einer anderen Scene zurecht.

Auf dieselbe Bank, auf die man vorhin den verwundeten Offizier gebettet, hatte man jetzt den sächsischen Hofbesitzer gelegt, und seine Gefährten und das alte Zigeunerweib waren um ihn beschäftigt, das Blut zu stillen und ihm Hilfe zu leisten, obschon die Mumeli-Swa bei dem leichten roten Schaum, der auf seine Lippen trat, bedenklich den Kopf schüttelte.

» Ebbadta! es riecht so fatal nach Blut!«

Der Tribun beeilte sich, den Wünschen der Dame zu entsprechen. »Was giebt es hier? Wer ist der Kerl?«

»Oh Gnaden, 's ist ein Tanyenbesitzer aus der Nachbarschaft.«

»Wir sind Deutsche, Herr, Freunde des Kaisers und der guten Sache!«

Der Tribun wandte sich zu den nachfolgenden Offizieren. »Werft das deutsche Schwein hinaus mit samt seinen Genossen.«

Der alte Mann am Sterbelager seines Gefährten richtete sich empor. »Die Ungarn haben ihn erschossen, Herr! Man sagte uns, daß Ihr kommt, um uns zu schützen!«

Der Tribun wandte ihm den Rücken. »Was trinken Sie, Champagner oder Thee?«

»Tunsa mag uns den Thee machen, sie versteht es vortrefflich.«

Die junge Dame hatte sich's bereits bequem gemacht. »Du sollst mich nicht bei dem abscheulichen Namen nennen, garstiger Fürst! Ich heiße Feodora, merke Dir's und laß Deinen Thee machen, von wem Du willst!«

Der Fürst lachte. »Da sehen Sie den eigensinnigen Kobold! So geht sie mit mir um. Pierre, sorge für den Thee.«

Bei dem vorigen Namen hatte sich die alte Zigeunerin, die man eben mit den Bauern hinausdrängte, umgewandt. Ihre blöden Augen waren zu schwach gewesen, die Fremden sogleich zu erkennen, aber der Ton der Stimme, als die Dame sprach, schien wie ein elektrischer Schlag ihre welken Nerven zu berühren.

Einer der Soldaten hatte sie am Arm gepackt. »Hinaus mit Dir, alte Hexe, hörst Du nicht, daß der Herr befohlen hat, das Zimmer zu räumen?«

Die Diener des Tribuns und des Fürsten hatten aus einer prächtigen Menage die Erfordernisse des Mahls genommen und Wachskerzen in silbernen Leuchtern auf den Tisch gestellt, den sie im Handumdrehen mit Damast und Gerät zum eleganten Theetisch verwandelten.

»Wer hat von der Tunsa gesprochen, wo der Tod auf der Schwelle sitzt?« murmelte die Alte. »Tunsa, mein Herzkind, ich habe Deine Stimme gehört!« Dann mit einer Kraft, die man dem morschen gebeugten Körper schwerlich zugetraut, hatte sie sich aus den Händen der Soldaten losgerissen und wankte auf die Gesellschaft zu.

»Tunsa, mein Kind, wo bist Du? Der gute Geist möge Dich segnen, wenn Du zurückkehrst zu der Mutter Deines Stammes, dessen Glück von ihm gewichen ist mit Dir!«

Die Dame am Tisch hatte es erst jetzt der Mühe wert gehalten, einen Blick auf die Alte zu werfen. Einen Moment schien es, als wolle sie emporspringen und ihr entgegeneilen, aber schon im nächsten hatte sie sich anders besonnen und zeigte verächtlich die flehten, spitzen Zähne.

»Wer ist das Weib? was will die Hexe?«

»Tunsa, sie ist's! kenn' ich Dich doch, Goldkind, unter Tausenden. Bist Du so blank geworden und schön und trägst Kleider von Seide und Gold! Laß mich berühren Deine Hand und Dein dunkles Haar! Du wirst nicht vergessen in Deinem Glück die Mumeli-Swa, die braunen Kinder der Heide werden einander nimmer vergessen.«

Die junge Dame wandte verächtlich der: Kopf ab. »Was hab' ich mit dem Bettelpack zu thun. Jag' sie hinaus, Pierre!«

Der Fürst lachte roh. » K tschortu! ich glaube, die alte Hexe gehört wirklich zu Deiner Verwandtschaft, Kind! Es ist nicht hübsch von Dir, daß Du sie verleugnest.«

Das Gesicht der jungen Dame färbte sich dunkelrot, und ein zorniger bitterböser Blick flog aus ihren Augen auf den Rücksichtslosen. »Du thust Recht, Fürst Iwan, wenn Du Dich erinnerst. Vielleicht daß die Mumeli-Swa jetzt bessere Mittel hat, die Kugelwunde zu heilen, als damals!«

Diesmal war es der Fürst, dessen Gesicht eine dunkle Glut überzog. Die kleinen tatarischen Augen blitzten mit der Wildheit eines verwundeten Tigers auf die freche Spötterin, als wolle er sie vernichten, und eine finsterböse Falte furchte seine Stirn über der Nasenwurzel und zog die buschigen Brauen zusammen.

»Hüte Dich, Narr!«

Aber die junge Dame schien dergleichen Scenen gewöhnt und sich ihrer Herrschaft sehr bewußt zu sein, denn sie sah ihrem Freund oder Gebieter ziemlich keck und trotzig ins Gesicht.

Der Fürst, wie ihn die Schöne angeredet, biß sich auf die aufgeworfenen Lippen. »Befreien Sie uns von der Bagage, Excellenz. Sie verdirbt uns dein Appetit!«

Der Tribun Janko, der mit der Tournüre eines vollkommenen Weltmanns die Scene nicht gesehen, machte eine einzige ungeduldige Bewegung nach der Thür.

»Fort mit ihnen!«

Der Jude mit seiner Familie, die Bauern mit ihrem Verwundeten und die alte Zigeunerin, die nach ihrem Goldkind schrie, wurden im Nu von kräftigen Händen gepackt und aus der Thür geworfen.

Es war außer der Gesellschaft des Tribuns jetzt nur noch der Krämer in der Csárda.

Der drohende Blick des Walachen traf ihn. »Hast Du nicht gehört?«

Der Krämer hatte sich mit der sichern Haltung eines Mannes der gebildeten Stände dem Tisch genähert.

»Entschuldigen Euer Excellenz einen Augenblick! Habe ich die Ehre, den Fürsten Trubetzkoi zu sprechen?«

»Das ist mein Name! Was willst Du?«

Der falsche Krämer neigte sich zu ihm über den Tisch und flüsterte ihm ein Wort zu.

Der Fürst fuhr zurück. Dann erhob er sich rasch. »Entschuldigen Sie mich, Excellenz. Dieser Mann ist nicht, was er scheint. Kommen Sie hierher, Herr!«

Er winkte den Spion nach einer Ecke des Zimmers.

»Wer sind Sie, und wie kommen Sie zu dieser Losung?«

»Ich bin die Person, die Euer Durchlaucht als den Überbringer der letzten Nachrichten erwarten. Ich glaubte Euer Durchlaucht erst an der Aluta zu treffen und war auf dem Weg dahin. Hier sind meine Legitimationen und die Depesche des Fürsten Windischgrätz für General Lüders.«

»Ihr Name, Herr?«

»Er thut wenig zur Sache, steht aber Euer Durchlaucht zu Diensten. Doktor Lazare.«

Der Fürst verbeugte sich.

Der frühere Legionär zog eine Schere aus der Tasche und trennte damit die Naht seines Stiefels auf. Zwischen dem doppelten Leder kam ein versiegeltes zusammengefaltetes Papier zum Vorschein. Der Fürst erbrach es sofort und las den Inhalt.

»Man verweist uns für alle weiteren Nachrichten und Mitteilungen auf Sie, mein Herr. Der einliegende Zettel des Grafen Medem, unseres Gesandten in Wien, bestätigt, daß man Ihnen volles Vertrauen schenken darf. Sie kommen?«

»Zunächst aus Debreczin, dem Sitz des Reichstags.«

»Und was ist dort geschehen?«

»Der Agitator hat vorgestern am 14. den Reichstag zu dem Beschluß vermocht, Ungarn für unabhängig und das Haus Habsburg-Lothringen des Throns verlustig zu erklären.«

»Teufel! ich denke, man wird jetzt in Wien nicht mehr zögern, die Hilfe Sr. Majestät meines Kaisers zu erbitten. Was ist weiter geschehen?«

»Kossuth hat sich zum Präsidenten der ungarischen Republik erklärt und ein Ministerium unter Szemeres Vorsitz ernannt, das die Volkssouveränität in allen Konsequenzen vertreten soll.«

»Und Görgei?«

Der Spion lachte. »Herr Kossuth ist schlau, er hat ihn zum Kriegsminister gemacht und ihn von der Armee in dem Augenblick entfernt, wo er uns geschlagen hatte und auf dem Wege nach Wien war.«

Der Russe lachte. »Dies Österreich hat doch immer Glück!«

»Es läßt sich nicht verhehlen,« fuhr der Unterhändler fort, »daß die Situation im Augenblick einigermaßen schwierig ist. Aber wir haben die besten Aussichten. Die Spaltungen unter den ungarischen Rebellen werden nicht lange warten lassen, und Ihre Generäle können unmöglich unthätig an den Grenzen stehen bleiben. In der Teilnahme der Polen liegt die große Gefahr für Rußland.«

»Unsere Generäle haben ihre Instruktionen,« sagte der Russe kalt, »und wissen zu gehorchen. Fürst Paskewitsch wird die Polen niederhalten, General Lüders hat den Süden besetzt, die Revolution wird diesmal nicht über unsere Grenzen kommen, ich bürge Ihnen dafür. Anders steht es mit Ihnen! Sie selbst gestehen mir, daß in diesem Augenblick Ungarn so gut wie verloren ist. Es ist dies der Fall, ohne unsere Hilfe. Die Preußen, mit denen man von Olmütz aus kokettiert, werden bald selbst genug Beschäftigung haben und offene Revolution, wenn nicht im eigenen Lande, so doch in den deutschen Nachbarstaaten. Trotz der Schlacht von Novara können Sie in Italien noch keinen Soldaten entbehren, denn Venedig hält Sie in Schach; die Besatzungen des Innern Landes können nicht geschwächt werden, denn trotz der Konstitution vom 4. März ist nirgends Ruhe, und wollen Sie nicht die deutsche Kaiserkrone wirklich an Preußen fallen sehen, muß Österreich dort überall seine Hand im Spiele behalten. Ihre einzige Rettung sind wir. Fürst Schwarzenberg weiß das so gut, wie Sie und ich.«

»Es wird dankbar sein!«

Der Russe verzog den Mund ziemlich spöttisch. »Ich hoffe es,« sagte er. »Doch das alles sind nicht unsere Sachen, das mag man zwischen den Kabinetten von Olmütz und Petersburg verhandeln und sich durch Bedingungen sichern. Ich fürchte, offen gestanden, daß Se. Majestät der Kaiser Nikolaus zu uneigennützig ist. Was uns anbetrifft, so habe ich einzig Ihre Nachrichten über den Plan des Feldzugs in Empfang zu nehmen, den General Lüders gern unterstützen wird, soweit es seine Instruktionen erlauben, es sei denn, daß Sie uns die definitive Aufforderung des Fürsten brächten, Siebenbürgen anzugreifen.«

Der Agent verbeugte sich ausweichend. »Ich hoffe, die Zeit wird bald kommen. Ich denke, Bem und die Ungarn sind Ihre Gegner so gut wie die unsern. Der Kampf bei Hermannstadt, infolgedessen Sie Siebenbürgen geräumt haben, hat das bewiesen.«

Der Russe biß sich auf die Lippen; es war sehr natürlich, daß er sich nicht gern an die Schlappe erinnern ließ, die Bem dem russischen Korps, das anfangs sehr willig in Siebenbürgen einmarschiert war, beibrachte. Doch war sein Benehmen von diesem Augenblick an weit höflicher, indem er sah, daß er einen ihm gewachsenen Gegner vor sich hatte.

»Erlauben Sie mir zur Sache zu kommen, mein Herr. Ich bitte um Ihren Auftrag!«

»Se. Durchlaucht der Fürst Windischgrätz wird in diesen Tagen im Oberkommando der ungarischen Armee durch Feldmarschallleutnant Welden ersetzt werden, aber er behält die Leitung der diplomatischen Angelegenheiten.«

Der Russe verbeugte sich zustimmend.

»Ich gebe Ihnen zu, daß unsere Chancen in diesem Augenblick in Ungarn selbst schlecht stehen, aber zwei Monate werden genügen, dies zu ändern. Kaiser Nikolaus hat uns seinen Beistand zugesagt, aber bei den weiten Entfernungen des russischen Reichs werden die nötigen Truppen vor Anfang Juni nicht konzentriert sein können. Fürst Paskewitsch wird dann mit 130 000 Mann durch Galizien einrücken, während General Lüders von der Walachei her durch Siebenbürgen gemeinsam mit dem Banus operiert. Die deutsche Armee im Norden – so werden die Rebellen von allen Seiten erdrückt werden. Wir haben die vollkommensten Einverständnisse in ihrem Lager, – der offene Zwiespalt zwischen Kossuth und Görgei wird nicht lange auf sich warten lassen. Serbische Abgeordnete sind in diesem Augenblicke bereits in Wien.«

»Und bis dahin?«

»General Lüders möge in Verbindung mit den Walachen einen Plänkler-Krieg bis zur Entscheidung unterhalten, um zu verhindern, daß sich Bem mit seiner ganzen Macht nach Norden wirft. Schlick ist ihm in diesem Augenblick nicht gewachsen.«

»Diese Plänkeleien zerstreuen unsere Truppen und führen zu keinem Resultat.«

»Euer Durchlaucht vergessen, daß Carlsburg und Temesvar die beiden einzigen Punkte sind, die wir im Südosten noch im Besitz haben. Ohne Ihre Unterstützung würden sie sehr gefährdet sein. In Ihrer Hand liegt es, die Walachen zu solchen Zügen zu ermuntern, wie der Tribun sie eben ausführt. Hier ist der genaue Bericht über die Stärke der ungarischen Korps und der einzelnen Besatzungen.«

Der Russe steckte sorgfältig das Papier ein. »Das ist, was wir brauchten und wird dem General sehr willkommen sein. Lassen Sie uns zum Tisch zurückkehren, damit Tribun Janko nicht ungeduldig wird.«

Er führte den Agenten dahin. »Entschuldigen Sie, Freund,« sagte er zu dem Walachen, »dieser Herr da hat uns wichtige Nachrichten gebracht, über die wir später sprechen. Er ist die Person, die ich erwartete und er kommt von unsern Freunden im Kaiserlichen Hauptquartier.«

Der Tribun verbeugte sich einladend, der Spion nahm an seinem Tische Platz.

»Können Sie uns eine Mitteilung machen über die Stärke der Besatzung von Enyád?«

»Enyád ist diesen Mittag von den Ungarn verlassen worden.«

»Das ist unmöglich!«

»Ich habe vor einer Stunde die sichere Nachricht auf derselben Stelle, wo Euer Excellenz jetzt sitzen, gehört und kann sie verbürgen. General Bem hat sich nach Mediasch zurückgezogen.«

Die Augen des Walachenführers schossen einen frohlockenden Blitz. »Bei dem schwarzen Raben mit dem Ring! Das walachische Wappen. so ist Enyád unser!« Er wandte sich zu dem Kammerdiener, der sich in genügender Entfernung hielt.

»Kapitän Ghika soll kommen und Kalo Johann! zur Stelle!«

Der Fürst legte die Hand auf seinen Arm. »Nicht so hastig, Freund! Bedenken Sie, was Sie thun. Sie kennen unsere Instruktionen. Es könnte eine Falle sein, und Bem uns von Carlstadt abschneiden!«

Der Agent sah ihn fest an. »Wenn Euer Durchlaucht sich beeilen, können Sie wahrscheinlich noch liebe Freunde in Enyád treffen!«

»Was meinen Sie damit, Herr?«

»Gräfin Cäcilie Palffy mit ihrer Mutter befinden sich in diesem Augenblick in Enyád.«

» Tschort tebä poberi! Mann, ist das wahr?«

»So gewiß, als ein anderer Bekannter Eurer Durchlaucht bereits Maßregeln getroffen hat, die Damen zu warnen!«

»Wer, Herr?«

»Der Name wird, so viel ich gehört, Euer Durchlaucht nicht angenehm sein!«

»Heraus damit!«

»Graf Stephan Batthyányi!«

Das Gesicht des Fürsten wurde bei diesem Namen blutrot und nahm einen unbeschreiblichen Ausdruck von Haß an. »Stephan Batthyányi sagen Sie? und er ist in Enyád?«

»Nein!«

» K tschortu! Foltern Sie mich nicht länger! Wo ist er?«

»Jetzt auf dem Weg nach Mediasch, wie ich glaube mit wichtigen Depeschen an Bem. Vor einer halben Stunde probierte er seine Pistolen nach mir auf derselben Stelle, an der Ew. Durchlaucht sitzen.«

Der Fürst war, ohne auf seine Lähmung und deren Schmerzen zu achten, emporgesprungen. »Verflucht! Reden Sie die Wahrheit?«

»Der deutsche Bauer, den seine Kugel statt meiner traf, kann Euer Durchlaucht die beste Antwort geben. Der Graf war einer der drei Flüchtigen, die Ihre Reiter bis hierher verfolgt, der Betyár Rózsa Sándor der zweite, Alexander Petöfi, der Adjutant Bems, der dritte. Er ist schwer verwundet und man hat ihn hier in der Nahe in ein Versteck gebracht.«

»Lassen Sie Ihre Reiter aufsitzen, Janko! Tausend Dukaten dem, der ihn mir lebendig bringt oder tot!«

Der Doktor machte eine abwehrende Bewegung. »Es ist zu spät! Wären ihre Reiter zehn Minuten eher gekommen, so hätten sie ihn gefangen. Auf den Schleichwegen in den Bergen, bei Nacht, ist es unnütz, ihn zu verfolgen. Sie haben eine bessere Rache in der Hand, Durchlaucht!«

»Welche?«

»Seine Braut

Der Russe schlug mit der Faust auf den Tisch. »Sie haben recht! Nach Enyád, Tribun! nach Enyád! ich nehme jede Verantwortung auf mich!«

Der Tribun sah ihn lauernd an. »Sie werden nichts dawider haben, wenn meine Burschen sich etwas in Enyád lustig machen? Der Soldat muß etwas haben für seine Mühe!«

»Zum Teufel, machen Sie, was Sie wollen, aber schaffen Sie mir die Gräfin in meine Macht!«

» Bon! Was ich kann, soll geschehen. Hauptmann Ghika!«

»Zu Befehl, Excellenz!«

»Du hast jetzt Gelegenheit, Deine Dummheit von vorhin gut zu machen. Nimm dreißig der besten Pferde und jage vorwärts nach Enyád. Wenn sie stürzen, erhältst Du andere, aber Du mußt in einer halben Stunde dort sein, oder ich degradiere Dich.«

»Die Slugitori werden dort sein, Excellenz!«

»Ich will Dir's raten! Nimm Besitz von den Thoren, keine Seele darf aus der Stadt, bis ich komme. Erkundige Dich nach der ungarischen Gräfin Palffy, die heute Mittag noch dort war. Wenn Ihr sie fangt, zahlt dieser Herr hier das Lösegeld. Fort mit Dir, in zehn Minuten bin ich auf Euren Fersen!«

Der Reiter-Kapitän sprang unter seine Leute, sein Kantschu jagte sie von dem Lager, vom Zechen, vom Spiel empor. Er selbst suchte die Bestberittenen auf, ehe fünf Minuten vergingen, saß die wilde Schar im Sattel und galoppierte auf der Straße nach Enyád in die Nacht hinein.

»Kalo Johann!«

Der zweite Offizier wartete bereits der Befehle.

»Laß Deine Reiter aufsitzen! Wir brechen sofort auf. Sage den Schurken, daß sie in Enyád Entschädigung haben sollen. Mein Pferd, rasch! Kapitän Jurisch mit den Szeklern bleibt zurück, besetzt die Csárda und sendet Späher in die Umgegend. Von allem, was passiert, rasch Botschaft nach Enyád. Sobald die Szemenys Die Fußsoldaten. kommen, sollen sie weiter marschieren. Laß den Schuften sagen, daß sie in Enyád zu spät kämen, und sie werden lange Beine haben.«

Der Offizier machte das Zeichen des Gehorchens, rings umher verkündete alles den raschen Aufbruch und die schnelle Befolgung, die jedes Wort des Tribuns fand.

Der Fürst befragte unterdes den Agenten auf das Genaueste um alle Umstände.

»Sie werden uns begleiten nach Enyád?«

»Es ist unmöglich, ich habe eine Mission nach Carlsburg, wo ich Sie zu finden glaubte. Ich muß morgen dort sein, aber Graf Batthyányi hat meine Pferde gestohlen.«

»Der Tribun wird für andere Sorge tragen.« Er wandte sich zu der Dame, die hinter ihm stand. »Sie können mir überdies einen Gefallen erweisen und Madame sicher nach Carlsburg zurückbegleiten.«

» Ebbadta! ich denke nicht daran, Schatz, Dich zu verlassen!«

Die Stirn des Fürsten zog sich in Falten. Der Autokrat, der über zwanzig Tausend leibeigene Seelen gebot, grollte in ihm bei dem kecken Widerspruch.

»Es ist notwendig, daß Sie gehen, Madame, es ist mein Wille!«

Die Zigeunerin lachte ihm ins Gesicht. »Sei nicht närrisch, Schatz, Du weißt, daß ich mir nicht befehlen lasse. Wer sollte Dich denn Pflegen und Dich ärgern? Du denkst, ich werde eifersüchtig sein auf die stolze Grafentochter. Teremtete! es fällt mir nicht ein! Du weißt, daß ich Dir an jenem Abend versprochen habe, sie soll Deine Frau werden, sie möge sich sträuben, wie sie will. Nimm mich mit, und Du wirst sehen, daß ich Wort halte.«

Der Fürst zauderte.

» K tschortu! wenn ich Dich verlasse, komm' ich nicht wieder! Ich sehne mich ohnehin manchmal nach der Heide und mag Dein Gold nicht! Aber ich weiß, Du kannst nicht leben ohne mich, und ich denke, wir wollen die blasse Gräfin zusammen ärgern und quälen!«

Sie hatte den Kopf in den Nacken geworfen, der halbgeöffnete Mund zeigte die kleinen, spitzen Zähne, zwischen den gesenkten Lidern hervor blitzten die dunklen Augen so wollüstig verführerisch, jeden Nerv des Körpers erbeben machend.

Der Fürst zuckte die Achseln. »Es ist mit der Närrin nichts zu machen. Aber ich sage Dir, nimm Dich in acht, meine Pläne zu kreuzen. Sie müssen allein reisen, Herr, aber ich denke, wir sehen uns wieder, und« – er nahm ihn beiseite – »sagen Sie dem Kommandanten, daß er sobald wie möglich Truppen nach Enyád sendet, ich fürchte, unser Freund Janko wird es etwas zu wild treiben. Er ist ein eingefleischter Teufel trotz seiner fashionablen Außenseite.«

Der Tribun kam in diesem Augenblick zur Csárda zurück, ein langer Heiduck führte sein prächtig geschirrtes Pferd. »Entschuldigen Sie mich, Madame, daß ich nicht die Ehre haben kann, in Ihrem Wagen die Reise fortzusetzen. Ich hoffe, Sie in Enyád wieder zu sehen. Folgen Sie bald nach, Fürst, ich habe Befehl gegeben, daß Ihre Eskorte sich jeden Augenblick bereit hält.«

Die Kalesche des Russen rasselte auch bereits vor die Csárda, der kecke Walachenführer hob die Maitresse seines Gefährten galant in den Wagen. Dann schwang er sich selbst in den Sattel.

»Wo ist der Slowak von vorhin? Der Bursche hat sein Probestück gut genug gemacht.«

Er nickte gleichgültig nach dem Balken hinüber, an dem man im Schein der angezündeten Feuer zwei Leichen an den Füßen hängen sah.

Zwei Schritt von seinen Opfern entfernt, saß der Henker, Szabó, der Slowak, auf einem Stein, den Kopf in die Hand gestützt, das Auge starr nach der Csárda gerichtet, wo der Hauptmann der Panduren mit seinen Leuten sich eben einzurichten begann.

Erst auf den Ruf der Walachen erwachte er aus seinem starren Hinbrüten und kam langsam näher.

Der Tribun warf ihm einige Geldstücke zu. »Ich bin zufrieden mit Dir, Du sollst die Stelle haben, die Du erbeten. Schick' ihn mit den Szemerys nach Enyád, Hauptmann Jurisch.«

Der Panduren-Kapitän salutierte.

»Staffier' ihn heraus, damit der Bursch' ein wenig Ansehen erhält. Einer Deiner Leute mag ihm seinen Mantel geben, ich werd' es bezahlen. Haltet sichere Wacht und sendet Nachricht von allem, was geschieht. Vielleicht gelingt es Euch, die Burschen aufzufinden, die uns entwischt. Der Herr hier hat 1000 Dukaten für den einen geboten!«

Er hob die Reitgerte in die Höhe. »Vorwärts!«

Die kleine, behandschuhte Hand drehte das bäumende Pferd wie in der Manege auf den Hinterfüßen um sich selbst. Er grüßte galant nach dem Wagen. »Vorwärts, Bursche!«

Mit wildem Geschrei brauste die Schar in die Nacht hinein. Der russische Fürst saß im Wagen neben dem Zigeunerkind.

»Im Galopp!« befahl er. »Fünf Dukaten, wenn Du mit ihnen zugleich in Enyád bist!«

Auch der Wagen rasselte davon.

Es blieb nichts vor der Csárda, als die lodernden Feuer, welche die Dorobanzen angezündet, ihren Kuwelian zu kochen, und die Gruppe der Panduren-Wachen, die Leichen der Gehenkten und der neubestallte Henker. Auf der Schwelle saß der Panduren-Hauptmann und stopfte seinen Schibuk.

Der Slowak schritt langsam und bedächtig auf ihn zu.


In Enyád war am Nachmittag große Freude über den raschen Abzug der ungarischen Besatzung gewesen, die lange und schwer die als deutsch, das heißt kaiserlich, gesinnte bekannte Stadt bedrückt hatte.

Die Nachricht von dem gelungenen Überfall und der Vernichtung des ungarischen Kommandos in dem Engpaß bei Carlsburg war noch nicht hierher gekommen, und somit auch nicht die Nachricht von dem kecken Streifzug und dem Nahen der Walachen, aber sie würde nur die Freude erhöht haben, da man in jedem Feind der Magyaren den eigenen Freund sah.

Es war bereits finster und die Straßenbeleuchtung wie in allen kleinen Städten Ungarns schlecht genug, aber sie wurde heute vermehrt durch die Lichter und Lampen, die in vielen Häusern an die Fenster gestellt worden, eine improvisierte Illumination, um die Freude über den plötzlichen Abzug der Ungarn auszudrücken, die eben nicht sehr schonend in der Stadt gewirtschaftet und sie seit zwei Monaten mit Requisitionen aller Art ruiniert hatten. Die Schenken waren offen, die deutsch gesinnten Bewohner machten sich lustig, zogen umher und brachten vor mehreren Häusern, deren Besitzer als magyarisch gesinnt bekannt waren, eine Art von höhnender Katzenmusik. An mehreren Orten war es bereits zu Schlägereien gekommen, denn auch die ungarische Partei war nicht schwach und der Haß der Rassen so groß, daß er bei jeder Gelegenheit zur hellen Flamme aufloderte.

Vor einem ziemlich ansehnlichen, steinernen Hause am Markt hielt eine Reisekalesche mit ledernem Schutzdach versehen, der Csikos saß auf dem Bock und hielt ziemlich ungeduldig die drei kleinen Pferde in Ruhe, die vor den Wagen gespannt waren, während er mit zwei ungarischen Dienern sprach, die schwer bewaffnet an dem Eingang des Hauses standen. Von Zeit zu Zeit steckte eine Zofe den Kopf aus der Thür, schaute suchend über den Platz hin und kehrte dann nach einigen, mit den beiden Dienern gewechselten Worten wieder in das Haus zurück.

Auf dem Markt bewegten sich mancherlei bunte Gruppen, viele blieben vor dem Hause stehen und sammelten sich um den harrenden Wagen. Die Unterhaltung wurde in drei, vier verschiedenen Sprachen geführt, und die Stimmung schien eben nicht sehr freundlich, weder für die Bewohner des Hauses, noch für die wartende Dienerschaft.

Droben in einem Zimmer, das nach der Marktseite hinausging, lag auf einer Ottomane eine ältere Dame, in einen Reisemantel gehüllt, bei dem Licht zweier Kerzen, die auf einem antiken Bronze-Armleuchter steckten, ungeduldig in Briefen und einem kleinen Notizbuch blätternd. Eine Chatoulle aus der sie die Briefe genommen, stand geöffnet vor ihr; zwischen den Papieren und Toilettensachen, die sie enthielt, sah man eine Anzahl Geldrollen.

Das Gesicht der Dame war nervös und kränklich, aber das Auge hatte einen überaus herrischen und stolzen Ausdruck behalten. Sie mußte bereits fünfzig sein und trug unter dem Reisemantel Trauerkleider.

»Ist die Komteß endlich gekommen?« fragte sie, sich erhebend, ungeduldig zu der eintretenden Zofe.

»Nein, Gnaden! is sich nicht zu sehen und sagt der Miklos, daß das Volk unruhig ist und Gefahr, je länger gnädige Herrschaft bleibt! Die Leute reden so schlimm und sagen, wir dürften nicht fort!«

»Die Unbesonnene! Geh' hinunter und sage dem Jäger, er soll der Komtesse entgegen gehen und ihr sagen, sie dürfe keine Minute länger zögern!«

Die Dienerin entfernte sich eilig. Als sie an die Hausthür kam, hatte sich der Volkshaufen vor derselben bedeutend vermehrt, und die Aufregung desselben steigerte sich mit jedem Augenblick.

»Sie soll nicht fort! Wir wollen sie festhalten, sie und ihr Geld! Was braucht sie hierher zu kommen, um Geld von den armen Leuten zu erpressen, bloß, damit es den verdammten Rebellen in Pesth nicht daran fehlt!«

»Sie hat einen ganzen Koffer voll Silber auf dem Wagen, ich weiß es bestimmt!«

»Es ist gestohlenes Gut! Sie haben uns genug geplündert, die ungarischen Schurken! Heraus mit dem Gelde! Laßt sie herunter kommen, die Alte und die Junge! Die Junge ist die Schlimmste, aber sie sollen beide ins Gefängnis!«

Die Frauen schrieen noch mehr als die Männer und hetzten diese, die Gräfin mit ihrem Gelde nicht aus der Stadt zu lassen. Man erzählte, daß ihr Gutsverwalter ihr am Mittag eine bedeutende Summe habe bringen müssen, daß sie befohlen habe, alles Silberzeug in ihrem Schloß und ihrem Haus in Enyád einzupacken, um es in Pesth einschmelzen zu lassen und ein Regiment dafür zu werben. Die junge Gräfin wolle es selbst anführen.

Es war allerdings etwas Wahres an der Sache. Gräfin Cäcilie, benachrichtigt, daß ihr Bräutigam nach Siebenbürgen gehen müsse, hatte ihre Mutter bewogen, Pesth zu verlassen und ihre Besitzung in Enyád zu besuchen. Die Gräfin hatte eingewilligt, weil sie seit dem Tode ihres Gemahls nicht dort gewesen war und der Gutsverwalter bedeutende Summen schuldete. Aber erst am Tage des plötzlichen Abzugs der ungarischen Besatzung war sie in Besitz des Geldes gekommen.

Zwei Kerle aus den untersten Klassen machten sich daran, den Wagen zu erklettern und sein Inneres zu visitieren. Bansi, der lange ungarische Jäger der Gräfin, hieb den einen mit dem Hirschfänger in der Scheide über den Kopf, daß er blutend von dem Rade stürzte.

» Baszom a teremtete! will ich das deutsche Schwein lehren, anzufassen das Eigentum von gnädiger Gräfin. Schlag' ich Dich tot wie tollen Wolf!«

Der Schlag gab der Menge das Signal zu einem wütenden Geschrei. Flüche und Verwünschungen überschütteten die Diener, zehn, zwanzig Hände fielen den Pferden in die Zügel, andere Personen versuchten den Wagenschlag zu öffnen, erhobene und bewaffnete Fäuste bedrohten die beiden Diener und den Kutscher, die Zofe war längst wieder ins Haus geflüchtet.

In diesem Moment der Aufregung erklang eine helle, gebieterische Stimme unter der Menge und rief deren Aufmerksamkeit nach einer anderen Stelle.

» Ebbadta! Was geht hier vor? was untersteht sich die Canaille? Bansi! Miklos! macht von Euren Waffen Gebrauch, wenn sie Euch anzurühren wagen!«

Eine schlanke Frauengestalt stand furchtlos mitten zwischen der erregten Menge. Sie trug das kleidsame ungarische Nationalkostüm, den Kalpak mit der hohen Reiherfeder, dessen Agraffe eine große Kokarde in den Nationalfarben bildete. Ein Burnus von den gleichen Streifen umhüllte leicht ihre Gestalt. Das schöne, edle und kühne Gesicht der jungen Gräfin glühte vor Unwillen, der stolze, herrische Blick ihres Auges scheuchte die Nächststehenden zurück, obschon sie fast allein war, denn ihr Begleiter, einer der Schüler des Lyceums der Stadt, war ein Knabe von etwa fünfzehn Jahren.

»Zurück da! wie könnt Ihr es wagen. Euch an unsern Leuten zu vergreifen? Die Peitsche gehört Eurer Frechheit!«

»Es ist die Junge! Sie ist zehnmal schlimmer noch als die Alte! Sie ist eine Rebellin! Schlagt sie zu Boden! Ins Gefängnis mit der magyarischen Hexe!«

Komtesse Cäcilie sah sich stolz und höhnisch um. »Ist der Canaille der Kamm so rasch geschwollen, weil General Bem heute Mittag die Stadt verlassen? Nehmt Euch in acht, Gesindel, wir lassen nicht mit uns spaßen und Eure nichtswürdige Gesinnung ist bekannt. Für Verräter am Vaterlande giebt es ungarische Stricke!«

»Selber Verräterin! Nieder mit den Magyaren! Es lebe der Kaiser!«

Die grobe Faust eines deutschen Handwerksmannes langte nach dem Kalpak der Gräfin. »Herunter mit dem Firlefanz. Wir sind Schwarzgelbe und brauchen Eure Freiheit nicht.«

»Unverschämter!« Die kurze Reitgerte, welche die Komtesse in der Hand trug, zog eine scharfe, rote Schwiele quer über das Gesicht des Dreisten.

»Den Schlag sollst Du büßen, ungarische Hexe, und wenn Du zehnmal eine Gräfin bist!« Die große brutale Gestalt des Mannes stürzte sich auf die Dame, ein Griff der einen Hand riß ihr den Burnus von der Schulter, die andere holte zum Schlage aus.

Dann folgte ein heller Schrei, die Hand sank nieder und faßte nach der Seite – der Mann taumelte.

»Bravo, Vetter Alexander! Sie sind ein Mann und kein Knabe mehr! Öffne die Thür, Bansi! schlag' sie zu Boden, wenn sie nicht weichen.«

Der junge Mensch stand einen Augenblick betäubt, seine Hand ließ das kurze Messer fallen, mit dem er im Augenblick der Bedrohung seiner Cousine nach dem Manne gestochen hatte, das Blut, das über seine Hand gespritzt, machte ihn erbeben.

»Ich bin gestochen! schlagt sie tot, das ungar'sche Beest!«

»Mord! Mord! sie hat Blut vergossen!«

Bansi, der Jäger, hatte sich durchgekämpft und deckte mit seinem Leib die Herrin. Die Gräfin verlor jedoch keinen Augenblick die Fassung. Sie war schon an der Thür des Hauses und drängte ihren jungen Beschützer hinein. »Fort, Alexander, oder sie töten Dich dafür, daß Du den deutschen Flegel gezeichnet hast! Zurück, Schurken, oder der erste hat die Kugel im Kopf.«

Sie hatte das Gewehr des Jägers ergriffen, das in der Thür lehnte, und im Nu lag es an ihrer Wange. »Hinein, Leute! sie mögen sich die dicken Schädel an unserer ungarischen Thür einrennen! Fahr' sie nieder, Foukas!«

Aber während die Gräfin glücklich mit den beiden Dienern und dem Schüler in das Haus gelangte und die schwere Thür von schwarzem Eichenholz ins Schloß warf und verriegelte, gelang es dem Csikos nicht, das ihm anvertraute Gefährt der entfesselten Menge zu entziehen. Er machte zwar den Versuch, im Galopp davon zu jagen, aber die Umdrängenden klammerten sich an die Pferde und an die Räder, und kräftige Hände rissen ihn unter argen Püffen und Schlägen vom Bock. Wie ein Wasserhuhn tauchte der gewandte Bursche unter den erhobenen Armen nieder und wand sich durch die Menge, Herrschaft und Gefährt glücklich im Stich lassend.

An der starken Hausthür rüttelte vergeblich der Haufe; im Nu waren die Pferde ausgespannt oder die Stricke zerschnitten. Der Wagen wurde umgestürzt, und Weiber und Männer waren darüber her, ihn zu durchsuchen und alles herauszureißen. Der dicke Handschuhmacher, den der Stoß des Knaben nur sehr leicht verletzt hatte, schrie, als ob er jeden Augenblick die Seele aufgeben wollte und forderte Rache und Gefangennahme, wenn nicht Tod der Frevler. Das Gekreisch der Weiber vermehrte den Lärm, der im Nu den ganzen Platz füllte.

Die unteren Fenster des Hauses waren mit starken Eisengittern versehen, an einem der obern im Gemach ihrer Mutter, die händeringend hinter ihr stand, erschien jetzt die Komtesse, die Flinte des Jägers in der Hand, und richtete den Lauf auf den Wagen.

»Zurück, Schurken! wer Hand anlegt, ist des Todes!«

»Das Weib hat den Teufel im Leibe, sie schießt!«

»Drauf! drauf! herunter mit der ungarischen Metze! Gebt die Mörder heraus!«

Die Menge, die vor dem drohenden Flintenlauf zurückgewichen war, flutete aufs neue herbei; aber sie wurde auseinander geworfen, rechts und links, schreiend und zeternd durch den rasenden Galopp zweier Reiter, die in voller Carriere, ohne Rücksicht auf die Glieder ihrer Mitmenschen, durch die Menge sprengten bis dicht vor die Thür.

» Baszom a lelkedet! wollt Ihr machen Platz, Hunde, verfluchtige!« Der Säbel des Betyáren fuhr in flachen Hieben rechts und links über die Köpfe, die der Hufschlag des Pferdes noch nicht verscheucht.

»Hilf, Himmel! die Ungarn kommen! die Ungarn!«

Der Ruf that mehr, als die Hiebe des Betyáren, als der Flintenlauf der mutigen Komteß. Wie Spreu vor dem Wind flüchtete die Menge über den Platz.

Vor dem Hause, neben dem umgestürzten Wagen, hielten der Betyár und Petrike, der treue Zigeuner, ihre schäumenden Pferde an. Die Komteß beugte sich weit aus dem Fenster.

»Euer Gnaden kennen mich nicht?«

»Nein. Wer bist Du?«

»Ich bin der Rózsa Sándor! Der Graf, Ihr Liebster, sendet mich hierher zu Ihrem Schutz. Hier der Zigeuner mag's bezeugen!«

»Graf Stephan? wo ist der Graf?«

»Auf Weg nach Mediasch. Wir sind überfallen worden, haben erlitten eine Niederlage bei Carlsburg. Graf und ich sind entkommen, aber die Walachen und Österreicher sind auf Fersen unsrigten und werden bald hier sein, Ihro Gnaden haben zu verlieren keine Zeit, wenn Sie wollen flüchten!«

»Was thun? Es ist ein Unglück, daß Ihr nicht zehn Minuten früher gekommen seid, meine Braven. Die Leute wollten uns nicht abreisen lassen! sie haben unsern Wagen umgestürzt und die Pferde gestohlen.«

Der Betyár stieß einen wilden, gotteslästerlichen Fluch aus. Zugleich sprang er vom Pferde und versuchte mit Hilfe des Zigeuners zunächst den Wagen wieder aufzurichten. Auf Befehl der Komteß wurde die Thür geöffnet, und ihre Leute halfen ihnen dabei.

Aber vergeblich sah man sich nach dem Csikos und seinen Pferden um. Der furchtsame, eingeschüchterte Bursche hatte sich aus dem Staube gemacht. Die Pferde waren nirgends zu sehen.

Dagegen hatte sich die Volksmasse bald von ihrer Furcht vor der Rückkunft den Ungarn erholt. Dunkle Haufen sperrten die Ausgänge des Platzes, und ein drohendes, tobendes Geschrei zeigte dem unerschrockenen Freischarenführer, daß keine Zeit zu verlieren war.

Der Wagen war aufgerichtet, aber es war keine Möglichkeit, auf diese Weise die Stadt zu verlassen. Die Komteß Cäcilie war jetzt bei den Männern, die zum Schutz ihrer Flucht gesandt waren, und hielt mit ihnen Rat. Die Meinung des Betyáren ging dahin, die beiden Damen auf ihre Pferde zu setzen und, umgeben von ihren Dienern, sich nötigenfalls mit Gewalt den Ausgang aus der Stadt zu verschaffen.

Als man jedoch der alten Gräfin den Vorschlag machte, wollte sie nichts davon wissen und hielt ihr Bleiben für weniger gefährlich, als eine solche Flucht.

Mit der Verhandlung verging kostbare Zeit.

Der Vorschlag, die Pferde der beiden Reiter vor den Wagen zu spannen, war nicht ausführbar, da man kein Geschirr finden konnte, und unter Drohen und Schreien drängte die Menge jetzt näher, nachdem sie sich überzeugt, daß nur die beiden den Frauen zu Hilfe gekommen waren. Steine flogen gegen das Haus und gegen die Gruppen, und einer derselben verletzte nicht unbedeutend den Jäger.

» Fene egyemek! Der Teufel fresse ihre Eingeweide! wir müssen ins Haus und uns wehren, so gut es geht!« fluchte der Betyár, indem er die schwere Kiste mit dem Silberzeug auf die Schulter hob. »Hinein, Ihro Gnaden, und der Schwarze soll auf ihre Köpfe fahren, wenn sie uns nahe kommen.«

Unter dem wütenden Geheul der Menge, die sich ihre Beute für den Augenblick entgehen sah, wurde die Thür des Hauses geschlossen und verrammelt, und der Betyár übernahm sogleich die Anordnung der Verteidigungsanstalten, bis die Behörden zum Schutz der gefährdeter Frauen Maßregeln getroffen.

Die Hoffnung darauf aber war vergeblich. Was etwa nach Abzug der Besatzung in der Stadt von Behörden noch Macht hatte, gehörte zur deutschen Partei und hatte nicht die geringste Lust, sich um den Schutz zweier Frauen zu kümmern, die, wie jedermann wußte, enragierte Freundinnen und Helferinnen der Revolution waren. Überdies gab es ähnlichen Zank und Streit in Menge zwischen den Parteien am Ort, und die Selbsthilfe war längst an der Tagesordnung statt eines geregelten Regiments. Schwerlich auch hätte in dieser Zeit ein so geringer Umstand, wie ein Messerstich, so große Aufregung veranlaßt, wenn eben nicht die Erbitterung des Volks durch die Bedrückungen der abgezogenen Honveds hervorgerufen worden wäre.

Dazu vergrößerte das Gerücht die Geldsumme, welche die Gräfin von ihren Verwaltern erhoben, und das Silber, das sie nach Pesth mitnehmen wollte, mit Riesenschnelle und reizte die Habsucht des Pöbels.

Die Gesellschaft hatte sich daher unter Preisgebung der Pferde kaum im Hause eingeschlossen und die Thür verbarrikadiert, als auch die Menge nochmals über den Wagen herfiel, ihn zerschlug und mit den Stücken ein Feuer auf dem Platz anzündete, während ein anderer Teil, mit allerlei Handwerkszeug und Waffen versehen, zu einem ernsten Angriff gegen das Haus vorrückte. Der Anführer derselben war ein deutscher Schlosser, ein Mann von kräftiger Gestalt und als Raufbold bekannt. Er führte einen schweren Hammer in der Faust und schwor, er wolle die Thür aufbrechen und wenn zwanzig ungarische Teufel dahinter ständen. Auch bestand der Menschenhaufe keineswegs bloß aus Personen der untersten Klassen. Viele Schüler des Kollegiums hatten sich darunter gemengt und tobten und lärmten mit dem Pöbel.

Die beiden Diener der Gräfin, ihr junger Vetter, der Betyár und die Komteß selbst hatten sich bewaffnet und hielten Wache an den oberen Fenstern, während der Zigeuner von dem Rózsa den Befehl bekommen hatte, acht zu haben, daß niemand von der Rückseite ins Haus dringe. Wir haben bereits erwähnt, daß dies von Stein und die unteren Fenster mit starken Eisengittern versehen waren.

»Kommt heraus, Ihr verdammten ungarischen Schurken!« schrie der Schlosser, der wie die meisten seiner Gefährten, ziemlich angetrunken war, »gebt das Geld heraus, das Ihr fortschleppen wollt und die Dame, die meinen Vetter gestochen, oder wir plündern das Haus und hängen Euch an den Thüren auf!«

» Kutya lanczos! Geh' zurück, Hund,« sagte der Betyár, »oder Kugel meinigte fährt in Deinen Dickkopf!«

Der Schlosser lachte. »Der Spieß ist umgekehrt, mein Bursche. Heute wollen wir Euch Pfefferfressern zeigen, wer Herr ist. Thu' den Schießprügel weg, oder ich brech' ihn auf Deinem Rücken entzwei.«

»Wir wollen ins Haus! macht gutwillig auf, oder wir schlagen die Thür ein!«

Die Antwort des Betyáren war eine höhnische Verwünschung, er legte die Flinte an und zielte auf den Trunkenen, der furchtlos mit seinem Hammer näher schritt.

Die Gräfin auf dem Diwan rang die Hände. »Um Gotteswillen, sie reißen uns in Stücke, wenn es zum Blutvergießen kommt.«

Die Komteß stand bei dem Betyáren. »So lange es möglich ist, vermeidet es, Blut zu vergießen. Wenn es geschehen muß, das Blut des Helden von Sigeth rollt in meinen Adern, und wenn meine Mutter auch im Augenblick sich schwach zeigt, wir werden zu sterben wissen!«

»Gebt die Rebellen heraus! Nieder mit den Kossuth-Hunden! Es lebe der Kaiser!«

»Die Memmen! Sie wollen Söhne Ungarns heißen!« Das Auge der schönen Gräfin schien Feuer zu sprühen auf die dichtgedrängte Menge, die jetzt herankam. Schüsse knallten gegen die Fenster, eine der Kugeln traf den Jäger in die Schulter, er taumelte mit einem Schrei zurück, eine andere zischte dem Betyáren dicht am Kopfe vorbei.

» Teremtete! jetzt wird sich's Ernst! Zurück, gnädige Gräfin, daß ich den Halunken aufs Korn nehm'!«

Aber die Dame schlug die Flinte nieder. »Hörst Du nichts, Rózsa? Halt' ein! unsere Retter sind da.«

Rasender Hufschlag durch die Straße vom Carlsburger Thor her, weiße flatternde Mäntel über den Köpfen der fernen Menge, im Glutlicht der Kienfackeln.

»Zivio! Zivio!«

Das Blut, das in das schöne Gesicht der jungen Heldin getreten war, wich einer Totenblässe.

»Um Gotteswillen – was ist das?«

Der Betyár stieß einen wilden gräßlichen Fluch aus, der alles im Himmel und auf Erden vermaledeite. »Der Teufel hat ihre Hufe beschlagen, es ist vorbei. Die Walachen sind's, die verräterischen Hunde!«

»Das ist schlimm,« stöhnte die Gräfin, »es sind unsere Feinde! Aber es werden Offiziere dabei sein, und wir können uns ihnen ergeben, eher als dem meuterischen Pöbel dieser Stadt!«

Der Betyár lachte verächtlich. »Haben Gräfin gnädige niemals gehört von Janko dem Tribun? Der Rózsa Sándor möchte fallen lieber in die Zähne von hundert hungrigen Wölfen, als in die Zähne seinigte. Kennen gnädige Gräfin walachische Hunde nicht!«

»Vielleicht kannst Du noch fliehen, während wir hier unsere Feinde beschäftigen. Nimm irgend eine Verkleidung und laß Dir die Hinterthür öffnen?«

» Baszom a mágnást! was würde sagen der Graf? Der Rózsa verläßt seine Freunde nicht, so lang er eine Flinte in der Hand hat, der seinigten. Wir müssen uns wehren, so lang wir können.«

»Aber Soldaten werden sich nicht an Frauen vergreifen!«

»Der Walach schont nix, weder Frau noch Mann. Vielleicht daß Szent Istwan uns Hilfe sendet, wenn wir uns halten können zwei Stunden noch und der Szabó seine Schuldigkeit gethan.«

Der Betyár dachte an sein kühnes Weib, oder hoffte vielmehr eine Art Wunder; denn es war unmöglich, daß sie, selbst zeitig genug von seiner Gefahr benachrichtigt, mit dem Rest seiner Freischar vor dem anderen Mittag hätte in Enyád sein können.

»Sieh hin! was thun sie da?«

Die Reiter, die Vorhut, welche der Befehl des Tribun nach Enyád voraus gejagt, hielten auf dem Platz und sammelten sich um ihre Führer. Jeden Augenblick kamen neue herbei, je nachdem die Schnelligkeit ihrer Pferde ihnen den Wettlauf möglich gemacht. Anfangs hatte sich die Menge erschrocken wie bei dem Einbruch des Betyáren zurückgezogen, bald aber hatte sich die Nachricht verbreitet, daß es Freunde, kaiserliche Hilfstruppen seien, daß die Ungarn eine Niederlage erlitten, und daß eine größere Truppenmacht herbei käme, sie von diesen zu befreien. Der Jubel war groß, wie durch Zauberschlag öffneten sich die Thüren, die bis jetzt noch verschlossen geblieben; auch die Bevölkerung der besseren Stände kam herbei, man brachte Wein und Speisen, die Fenster wurden erleuchtet, und alles beeiferte sich, den wilden Reitern Sympathieen zu zeigen.

Rasch hatte man sich über die letzten Vorgänge, die versuchte Flucht der beiden Gräfinnen Palffy und den Sturm auf das Haus verständigt. Die Nachricht, daß zwei Flüchtlinge, offenbar von denen, die sie verfolgt, sich in das Haus geworfen, rief das Triumphgeschrei der wilden Bande hervor, und die übertriebene Nachricht von dem Schatz der Gräfin steigerte ihre Habgier. Der Kapitän, ein finsterer und grausam blickender Mann, gab sofort Befehl, den Angriff fortzusetzen.

Aber noch ehe dieser begann, merkten die Enyáder, daß sie mit dem Tausch der Besatzung ihrer Stadt wenig gewonnen, und daß diese Freunde schlimmer wären, als ihre Feinde.

Während nämlich noch die Vorbereitungen zur Erneuerung des Angriffs getroffen wurden, drangen einzelne der wilden Reiter in die Häuser und begannen dort, als hätten sie eine feindliche Stadt im Sturm genommen, zu plündern und machten ohne weiteres, wo ihnen Widerstand geleistet wurde, von ihren Waffen Gebrauch. Das Geschrei und Wehklagen der Flüchtenden mischte sich bald mit dem Lärm auf dem Platz.

Die Offiziere des Tribunen hatten seine Befehle erfüllt, alle Thore und wichtigen Punkte des Fleckens waren von seinen Reitern besetzt, ein Widerspruch unmöglich, und schon begann sich die ganze Bestialität der gefürchteten und verrufenen Horde zu zeigen.

Ein Mann, ein deutscher Handwerker, drängte sich mit einer traurigen Last auf seinen Armen durch die Menge zu dem Offizier, der in der Mitte des Platzes hielt und von seinem schaumbedeckten Schimmel herab mit dem Kantschu eine Anzahl seiner Leute zum Angriff gegen das Haus der Gräfin antrieb. Es waren ihrer nur wenige, die Lust hatten, seinen Befehlen Folge zu leisten. Die Pferde waren rasch zusammengekoppelt worden und ohnehin gewöhnt, ihrer wilden Reiter zu harren, von diesen aber verschwand einer nach dem andern in der Menge, um leichteren Kaufs sich Beute zu holen, als an den Mauern des Hauses und den Flintenmündungen seiner Verteidiger, und bald bewies ein Hilferuf oder ein Pistolenschuß aus den nächsten Wohnungen, wie der Verschwundene dort beschäftigt war.

Der Handwerker trug auf seinen Armen ein junges Mädchen von etwa fünfzehn Jahren, aus einer Wunde am Hals floß der rote Lebensstrom, der Mann blutete gleichfalls aus einer Wunde am Kopfe. »Mein Kind! mein Kind! Zu Hilfe! sie haben mein Kind gemordet! sie plündern mein Haus! Wo sind die Offiziere? Ich will Rache für das Verbrechen!«

Mitleidige Nachbarn, obschon selbst in Ängsten, sammelten sich um den Unglücklichen. »Was ist geschehen, Meister Jahn? Hierher! hierher! hier ist ein Offizier er wird uns schützen!«

Der Vater hatte das arme Kind auf den Boden niedergelegt, keine fünf Schritt von dem Offizier der Slugitori, der der Scene kaum einen gleichgültigen Blick schenkte, sondern auf seine Reiter schimpfte, die keine Miene machten, sich den Kugeln des Betyáren auszusetzen.

»Fluch solchen Freunden!« schrie der Handwerker. »Sind das Soldaten des Kaisers? Der Bube wollte dem Kinde Unzucht anthun, und als es sich wehrte, stieß er ihm das Messer in den Hals.«

»Gerechtigkeit! Schutz, Herr Offizier! Man mordet unsere Familien! man plündert unsere Häuser!«

Der würdige Kapitän verstand entweder das Geschrei nicht oder hatte keine Lust, darauf zu antworten. Er sprengte gegen das Haus und schüttelte sein Taschentuch gegen die Fenster, zum Zeichen, daß er unterhandeln wolle, denn er hätte sich gern die Beute gesichert, ehe seine Kameraden herankommen konnten.

Die Belagerten hatten sehr wohl die Scenen bemerkt, die sich in ihrer Nähe abspielten, und die ihnen Hoffnung gaben, daß ihre Feinde sich untereinander entzweien und so ihrer vergessen würden, bis ein günstiger Moment zur Flucht gekommen. Der Betyár wollte ans Fenster, um die Vorschläge des Walachen anzuhören, aber das besonnene Mädchen drängte ihn fort und übernahm selbst die Rolle.

»Komm' sich herunter, gnädiges Fräulein,« sagte der Walache in gebrochenem Ungarisch, »liefern Sie aus das Geld und die Schurken von Magyar, oder ich laß massakrieren alles, was ich find' im Haus!«

»Wenn Sie ein Offizier sind,« antwortete die Gräfin französisch, denn sie wußte, daß der Walache dies besser verstehen würde als ihre Muttersprache, »so stellen Sie uns ehrenhafte Bedingungen. Wir sind Frauen, die jeder Soldat ehrt, auf welcher Seite er auch kämpfen mag. Man hat uns gehindert, friedlich diese Stadt und unser Haus zu verlassen, der aufgeregte Pöbel hat es gewagt, uns zu insultieren und uns angegriffen, als wir von unsern Freunden verteidigt wurden.«

»Sie sind eine Feindin des Kaisers, Madame, Sie müssen sich ergeben. Diese Leute haben recht gethan, es sind treue Unterthanen des Kaisers!«

»Nun wahrhaftig,« sagte die Gräfin spöttisch, »ich sehe eben nicht, daß Sie von Ihren Bundesgenossen als solche behandelt werden. Aber kommen wir zur Sache. Wenn Sie so wenig ritterlichen Sinn haben, so sind wir bereit, meine Mutter und ich, uns als Kriegsgefangene zu übergeben. Mit unserm Eigentum mögen Sie machen, was Sie wollen, aber die Personen, die uns beigestanden, müssen frei und ungehindert diese Stadt verlassen dürfen und uns selbst muß genügender Schutz verbürgt werden.«

Der Walache lachte höhnisch. »Die verfluchten Honveds, die uns entlaufen, sollen hängen. Hier sind wir die Herren! kommen Sie herunter, Madame, und ergeben Sie sich ohne Umstände. Wenn Sie vernünftig sind, sollen Sie es gut haben. Sie sind hübsch genug, um diese Nacht das Bett des Kapitän Ghika zu wärmen!«

»Nichtswürdiger!«

Sie trat mit flammendem Auge zurück. »Gieb ihm, was ihm gebührt, tapferer Rózsa, und laß uns als Ungarn sterben,« sagte sie entschlossen. Der Betyár, obschon er das Gespräch und die Beleidigung nicht verstanden, hatte bei dem ersten Wink die Flinte an der Wange und seine Kugel, nur durch eine hastige Bewegung des Reiters ihr Ziel fehlend, riß diesem die breite Mütze vom Kopf. »Mach', daß Du davon kommst, hinkender Schurke, Kutzo blachen – hinkende Walachen, ein Spottname der Bewohner der südlichen Walachei. oder meine nächste Kugel wird Dir die schuftige Zunge für immer lähmen!«

Der Hauptmann hatte bereits sein Pferd herumgerissen und war zurückgejagt. Auf den Schuß aus dem Fenster ließen sich einige seiner Leute herbei, ihre langen Flinten regellos gegen das Haus abzuschießen, was mit einer Salve aus den Fenstern erwidert wurde. Das Gesindel hatte darauf genug und begann trotz der Schmähungen des Führers aufs neue sich zu zerstreuen, als der herannahende Galopp einer starken Reiterschar den wilden Auftritt aufs neue änderte.

Es war der Tribun selbst mit seinen Dorobanzen, der jetzt eilig herankam. Sein Auge übersah mit funkelndem Blick die Scene, die sonst so apathischen, fast weibischen Züge des Gesichts hatten einen Ausdruck kaltherziger Grausamkeit angenommen, der etwas Tigerähnliches hatte. Er parierte sein Pferd mitten auf dem Platz, nicht weit von der Stelle, wo noch immer der Mann um sein blutendes Kind beschäftigt war; die Nüstern der feingeformten Nase öffneten sich und zogen sich zusammen, wie bei einem wilden Tier, das Blut und Beute wittert, und der kleine Kopf mit dem sorgfältig frisierten und parfümierten Haar war nach der linken Schulter geneigt, gleich als höre er mit Wohlgefallen das Angst- und Hilfegeschrei, das bereits aus den Häusern der nächsten Straßen herüberdrang.

Seine Reiter füllten den Platz und begannen abzusitzen und dem Beispiel ihrer Kameraden zu folgen. Nur die Schar, die zunächst um ihn war, seine Leibwache, wagte nicht, sich von der Stelle zu rühren, denn jeder Mann wußte, daß hier Ungehorsam augenblicklicher Tod gewesen wäre.

Kapitän Ghika hielt bereits vor dem Gebieter, der unter der stutzerhaften Hülle einen Charakter barg, vor dem selbst seine eigene Roheit erzitterte.

»Ist das Nest besetzt?«

»Draco Suzzo hat Posten an alle Thore gestellt. Aber die Burschen sind kaum zu halten und lechzen nach Beute!«

»Ist es Dir gelungen, die Ungarinnen zu fangen?«

»Sie sind dort, Excellenz! In jenem Hause. Das Volk hielt sie bereits gefangen und hatte ihre Flucht gehindert. Aber sie haben sich verschanzt und auf uns geschossen, als ich sie zur Übergabe aufforderte. Zwei der Flüchtigen, die uns an der Csárda entkommen, sind bei ihnen!«

»Ha! C'est magnifique! Weißt Du, ob es der Ungar ist, oder der andere?«

»Es ist der Bursche, mit dem ich selbst mich herumschlug. Ich erkannte ihn am Szür, als er aus dem Fenster auf mich schoß.«

»Also der Rózsa Sándor, wie unser neuer Profoß versichert. Das ist gut! ich bin neugierig, ihn zu sehen! Laß das Haus gut bewachen, daß keine Maus entwischen kann. Sie sind dort gut aufgehoben, bis wir uns mit ihnen beschäftigen können. Wo ist der Stuhlrichter oder der Oberfiskal dieser Stadt? Warum kommt man nicht, um mir den gehörigen Respekt und Dank zu beweisen, daß ich sie von den Ungarn befreit? Bringt die Vorsteher hierher, bei Gott, ich will sie lehren, was Sitte ist!«

Statt der verlangten Behörden des Orts drängten sich Frauen und Männer um den Reiter, den man bald als den Gebieter der wilden Schar erkannt, die durch die Nachzügler von Minute zu Minute sich vermehrte.

Geschrei und Wehklagen scholl auf allen Seiten über die Plünderung und die Gewaltthätigkeiten, die sich die walachischen Reiter erlaubten.

Auch der deutsche Handwerker, der Vater des ersten Opfers dieser Brutalitäten, hatte sich erhoben und kam heran gewankt. »Gerechtigkeit! Hilfe, General! Man hat meine Tochter zum Tode verwundet, man hat mein Haus geplündert!«

Er hatte den Zügel des Tribun gefaßt und hielt sein Pferd fest.

»Was ist's, was willst Du?«

»Wir sind treue Unterthanen des Kaisers, wir fordern Schutz und Gerechtigkeit von Ihnen, wenn Sie im Namen des Kaisers kommen. Man hat meine Tochter, mein einziges Kind erstochen.«

»Wer?«

»Einer Ihrer Soldaten, Herr!«

»Wo ist er? bring' ihn her! Er soll gestraft werden, wenn er zuviel gethan hat!«

Der Mann richtete sich fest empor. »Wie, General, glauben Sie, daß ein Vater sein Kind morden lassen werde, ohne ihm zu Hilfe zu kommen? Ich habe den Schurken zu Boden geschlagen, Gott gebe, daß mein Arm Kraft genug gehabt habe, ihm das Wiederaufstehen unmöglich zu machen!«

Der Tribun steckte langsam die Hand in den Pistolenhalfter seines Sattels. Seine Augen starrten mit kaltem Blick in das erregte, aber ehrliche Gesicht des Bürgers.

»Wie, Mann? Du hast gewagt, Deine Hand gegen einen meiner Soldaten zu erheben?«

»Er stach mein Kind, mein einziges Kind! Er hat mich selbst verwundet!«

»Nun, beim Raben mit dem Ring, dann will ich Euch Gesindel Respekt lehren vor den Soldaten des Janko! Nimm dies!«

Wie ein Gedanke schnell fuhr die Pistole aus dem Halfter und drückte sich die kalte Mündung auf die Stirn des unglücklichen Mannes. Ein Blitz, ein Knall, und mit zerschmettertem Schädel stürzte der Vater neben sein verblutendes Kind.

Die Menge wich entsetzt zurück; über den Körper hinweg ritt ruhig und kalt der Mörder. Seine Stimme, gewöhnlich so ruhig und glatt, hatte etwas vom Brüllen des gereizten Löwen an sich, als er sich zu den Zitternden wandte.

»Glaubt die Canaille, die tapferen Walachen wollen ihr Blut für Euch Hunde umsonst vergießen? Rebellen seid Ihr alle gegen den Kaiser und müßt als solche behandelt werden! Wo sind die Vorsteher von Enyád, frag' ich? Bringt die Schurken herbei, oder ich lasse das Nest an allen Ecken anzünden!«

Zwei Männer, von den angstvollen Bürgern halb mit Gewalt hergezerrt, schlichen näher; es waren der Ispán oder Kastner und einer von den Magistratsräten. Die meisten Mitglieder der Stadtbehörden waren Ungarn, oder doch der Revolution zugethan und hatten sich versteckt oder das Weite gesucht.

»Was sind das für Kerls?«

Sie stellten sich zitternd vor, und der Kastner hatte sich soweit ermannt, den Tribun als einen Erretter und Befreier der Stadt zu begrüßen.

Der Walache hörte mit spöttischer Miene die Anrede. »Das sind Worte, guter Freund,« sagte er, »aber Enyád hat sich sehr schlecht benommen. Wir kommen, als die Freunde und Bundesgenossen Eures Herrn, des Kaisers, hierher, und wie empfängt man uns? Mit Flintenschüssen. Deine Bürger haben einen meiner Soldaten erschlagen, das verdient exemplarische Züchtigung.«

Der Beamte, ein bejahrter Mann, rang die Hände. »Um Gotteswillen, Euer Excellenz, das ist ein Mißverständnis! Es sind Ungarn, welche in jenem Hause sich zur Wehr setzen, der Mann, den Euer Excellenz so schwer bestraft, verteidigte die Ehre seiner Tochter!«

»Widersprich nicht, Tölpel!« herrschte der Tribun ihn an. »Das Bürgerpack soll nicht wagen, eine Hand zu heben gegen Soldaten. Meine Reiter müssen Vergütung haben für das Blut, das sie für Euch einsetzen!«

»Gnädigster Herr, die Stadt wird thun, was sie noch vermag. Die Ungarn haben uns vollständig ruiniert, aber ich werde Anstalten treffen, daß sofort Speise und Trank und Fourage herbeigeschafft wird!«

Der Tribun lachte häßlich auf, und die Offiziere umher thaten dasselbe. » Mort de ma vie! was schwatzt Ihr für Unsinn! Dergleichen wissen meine Burschen schon selbst zu finden, macht Euch keine Sorgen darum. Für Euren Ungehorsam aber und weil die Stadt so lange die Feinde des Kaisers aufgenommen und unterhalten hat, lege ich ihr eine Strafe von zehntausend Dukaten auf. Bis morgen früh 8 Uhr müssen sie hier zur Stelle sein, sonst sollt Ihr den Janko kennen lernen!«

»Barmherziger Gott, das ist nicht möglich, Herr, das kann nicht Euer Ernst sein, Herr!« jammerte der Beamte, »die Stadt ist von den Ungarn rein ausgesogen, nicht der zehnte Teil des Geldes ist in ganz Enyád zu finden!«

»Sucht nur gut nach,« höhnte der Tribun, »und Ihr werdet schon finden. Beim heiligen Gregorius! ich schwöre Euch, wenn meine Lämmer Euch suchen helfen, wird sich mehr finden als das!«

Der Beamte war in die Knie gesunken. »Es ist unmöglich für die Stadt!« stöhnte er. »Bedenkt, was Ihr thut, Herr! Ihr kommt als unsere Freunde, im Namen des Kaisers, aber der schlimmste Feind könnte nicht grausamer verfahren!«

»Will die Bestie noch räsonnieren! Was geht mich Euer Kaiser an! Der Janko ist sein eigener Herr! Wollt Ihr zahlen gutwillig?«

»Es ist unmöglich, die Summe aufzubringen!«

»Dann will ich Euch zeigen, wie es geht!« Der Tribun hieb mit der Reitpeitsche den alten Mann über den Kopf, daß eine dicke Schwiele sich über den entblößten Schädel legte. »Schafft den Schurken fort und bindet ihn an den Laternenpfahl dort, damit er sieht, wie man bei uns Dukaten einkassiert. Hauptmann Bibesko!«

»Excellenz!«

»Laß die Weißmäntel absitzen und sich zum Sturm auf jenes Haus fertig machen. Aber schärfe den Schurken ein: lebendig muß ich sie alle haben!«

Der wilde Offizier salutierte, auf den Befehl des Tribunen hätte er die Hölle gestürmt.

»Kalo Johann!«

Der zweite Offizier, der mit ihm gekommen, drängte sein Pferd vorwärts.

»Laß Deine Reiter näher kommen!«

Ein Wink, ein Signal, die wilde Horde zu Fuß und zu Pferde drängte sich im Kreis um den gefürchteten Führer.

Der Tribun hob sich bequem im Sattel und das linke Bein über den Kopf des Pferdes, um nach Bauern- oder Frauenart sich auf die Seite seines Tieres zu setzen.

»Hat jemand von Euch Feuer? meine Cigarre ist über dem Ärger ausgegangen!«

Fünfzig Hände griffen nach dem Gürtel, der nach orientalischer Sitte Pfeife, Tabak und Feuerzeug barg. Von zwanzig Seiten wurde ihm das Verlangte geboten.

Der Tribun steckte ruhig seine Cigarre an dem nächstgebotenen Schwamm an, dann wandte er sich zu der Schar.

»Ihr wißt, Schurken, daß ich Euch vierteilen lasse, wenn Ihr es wagt, meinem geringsten Befehl ungehorsam zu sein.«

Ein gerade nicht sehr behagliches Gemurmel klang zustimmend durch die Reihen der wilden Gestalten, untermischt mit Beteuerungen auf die türkischen und griechischen Heiligen.

»Ihr wißt aber auch, daß ich ein guter Herr bin,« fuhr der Tribun fort. »Ich hab' Euch eine lustige Nacht und Belohnung für Eure Mühen versprochen!«

Ein Jubelgeschrei, ein wildes Hurra auf den Tribun zerriß die Nachtluft und machte das Herz der armen Bewohner des Orts schaudern.

»Nun wohl, meine Lämmer,« fuhr der Redner fort, »diese Schurken verweigern uns, was uns gebührt. Ich geb' Euch bis morgen zu Sonnenuntergang Zeit, Euch in dem Nest zu belustigen und die Kontribution zu suchen. Morgen um 8 Uhr werden 5000 Dukaten baar oder in Wert hier zur Stelle sein, oder – ich durchsuche Euch! Es ist für die Kosten, die Ihr mir macht; das Übrige gehört Euch!«

Der Jubelruf von vorhin war ein Zephyr gegen das Freudengebrüll, das sich jetzt aus den wilden Kehlen erhob. Die Reiter warfen sich von den Pferden; die bereits abgesessen, machten Miene, davon zu eilen, aber der Tribun hob noch einmal die Reitgerte, zum Zeichen, daß er noch etwas zu sagen habe, und augenblicklich legte sich die Aufregung.

»Ich hab' Euch noch eins zu empfehlen. Wenn die Weiber dieser Sachsen sich der Mühe lohnen, so macht dem Ruf des schwarzen Raben keine Schande, eh' Ihr sie zwingt, zu sagen, wo die goldenen Ringe sind. Haltet Euch an die Weiber, das ist immer das Beste. Nur laßt sie nicht entwischen, Ihr kennt ja das Mittel. Viel Vergnügen, meine Lämmer, und nun, Ihr Schurken, dort an unsere Unterhaltung, damit Ihr auch Euer Teil bekommt. – Ordne den Angriff Ghika! aber keine Feuerwaffe, bei meinem Zorn! ich will sie lebendig! Sacre dieu! ich glaube, da kommt schon Monsieur le Prince!«

Schaumbedeckt hielt auf dem Markt das Dreigespann mit der Chaise des russischen Fürsten, in dieser er selbst. Während bereits das wilde Geheul der Walachen, die sich in die Häuser und durch die Straßen stürzten, das Angstgeschrei der Bewohner und das Zivio der Abteilung, die zum Angriff bestimmt war, durch die Nacht gellten, kam der Tribun zum Wagen des Fürsten. »Willkommen Durchlaucht! Sie sind zeitiger hier, als ich dachte, kommen aber gerade zu dem Spaß zurecht. Bon Dieu! wie blaß Sie aussehen! Ist Ihnen Feuer zur Cigarre gefällig?«

Die Farben wechselten rasch auf dem Gesicht des Russen und zeigten seine innere Aufregung. »Es sind uns zweimal die Pferde gestürzt auf dem hundsföttischen Weg, sonst wären wir schon eher hier. Aber auch Sie sind zu spät gekommen. Die Gräfinnen …«

Der Tribun schnippte die Asche von seiner Cigarre. »Sie werden sie dort finden, mon ami, in jenem Hause, alle beide. Meine Burschen versuchen soeben, sie herauszuholen. Ich hoffe, die rasche Fahrt ist Ihnen gut bekommen, meine Gnädige! Ich hoffte kaum. Sie hier zu sehen!«

Die Begleiterin des Fürsten lachte ihm ins Gesicht. »Glauben Sie, daß ich mich fürchte, oder daß ich eifersüchtig bin auf meinen Brummbär? Shorte wosmi! wie meine Durchlaucht zu sagen pflegt. Lassen Sie Ihr Schauspiel beginnen!«

»Machen Sie dem thörichten Geschwätz ein Ende,« sagte der Fürst unwillig – »sehen Sie nicht, daß Ihre Reiter einen Angriff auf jenes Haus machen! Höll' und Teufel! es ist die tolle Gräfin selbst, die aus dem Fenster auf sie schießt!«

Aber in das Krachen der Flintensalve, die aus dem bedrängten Hause fiel und zwei der Dorobanzen niederwarf, mischte sich ein Entsetzen erregendes Jammergeschrei.

Die junge Zigeunerin erhob sich im Wagen und kniete auf den Kissen des Rücksitzes, kokett das goldne Lorgnon vor den Augen. »Was ist das, Excellenz, was geschieht mit den Leuten?«

»Meine Bursche sind famose Darsteller. Eine Scene aus dem letzten Akt der Hugenotten!«

Aber selbst die Bartholomäusnacht, jene ewige Schande Frankreichs, hatte kaum Scenen aufzuweisen, wie die, welche jetzt in den Gassen der unglücklichen Stadt spielten. Aus den eingestürzten Thüren der Häuser stürzten Frauen und Kinder kreischend durch die Straßen, mit fliegendem Haar, mit zerrissenen Gewändern, oft kaum mit dem Hemd bekleidet und flüchteten nach dem Marktplatz, verfolgt von den blut-, raub- und wollusttrunkenen Reitern, den Säbel oder den Handjar in der Faust. Auf der Schwelle des eigenen Hauses lag oft der Herr desselben, erschlagen im Kampf für seine Familie. Die Plünderung in ihrer abscheulichsten Gestalt tobte durch die Stadt, Scenen so entsetzlich und brutal, daß die Feder sie nicht beschreiben kann, besudelten, beleuchtet von mutwillig entzündetem Brande die Straßen. Mit wahnsinnigem Triumphgeschrei schleppten die Plünderer Frauen und Mädchen nach dem Platz, und zwangen sie, selbst die aus den heimlichsten Verstecken erpreßte Beute in große Mulden und Körbe zu schütten, nachdem sie sich selbst die Taschen gierig gefüllt. Dann rissen sie den unglücklichen Opfern die Kleider vollends vom Leibe, verübten Schandthaten jeder Art an ihnen und hieben den Flüchtenden und Sträubenden die Sehnen und Flechsen an Fersen und Kniegelenken durch, unter dem höhnenden Rat, daß sie nun davon laufen könnten, um die Ungarn zu holen.

Der Platz umher war bedeckt von den zuckenden Körpern der Verstümmelten, die die brutalen Mörder zu Haufen warfen.

Selbst die Stirn des kaltherzigen, gegen jede andere Leiden als die seinen gleichgültigen Russen zog sich finster zusammen; der Tribun dagegen schien unter all diesem Blut und Jammer sich behaglich zu fühlen, seine Augen funkelten, und mehr als einmal trieb er mit seiner Reitpeitsche die Unglücklichen zurück, die sich hilfesuchend zu ihm durchgedrängt hatten und flehend seine Kniee umklammerten.

Das wilde Zigeunerkind, die Tochter der Pußten mit dem Flitterstaat der raffinierten Kultur, sie, die anfangs die wilde Scene mit Aufregung, mit einer gewissen wollüstigen Teilnahme begrüßt hatte, zitterte jetzt bei jedem neuen Schrei, der über den Platz gellte.

»Das geht zu weit, Excellenz,« sagte der Fürst streng, »Sie wissen, daß die Ordre des General Lüders lautet, die Truppen sollen sich aller unnützen Grausamkeiten enthalten.«

»Bah! meine Slugitori stehen nicht im Sold des General Lüders.«

»Aber ganz Europa wird mit Fingern auf uns weisen für diese Massacre!«

»Ich hoffe, darüber sehr ruhig auf dem Boulevard Italien im nächsten Frühjahr meinen Mocca zu trinken!«

»Um der Menschlichkeit willen, thun Sie Einhalt!«

Der Walache schnippte mit einem spöttischen Lächeln seine Cigarre ab. »Es thut lange nicht so weh, als wenn Sie Ihre Bauern zu Tode knuten lassen. Im Grunde, was thun meine Lämmer denn? Sie erheben eine kleine Kontribution von Gesindel, dem doch nicht zu trauen ist und bestrafen die Hartnäckigen. Die Weiber werden sich gewiß am wenigstens beklagen, wenn sie nur meinen Burschen die Laune nicht verderben! – Im Ernst, Durchlaucht, ich könnte den Zügel dieser Bande nicht festhalten, wenn ich ihn nicht von Zeit zu Zeit auch schießen ließe. Darin liegt das Geheimnis meiner Macht. Wenn Sie die Gräfin haben wollen, müssen Sie sich schon darein ergeben.«

Der Fürst hüllte sich finster in seinen Mantel und lehnte sich auf seinen Sitz zurück.

Der Tribun legte die Finger an seine Lippen und that einen gellenden Pfiff.

Sogleich kam der Kapitän Ghika, der bereits mit einer Erneuerung des Angriffs beschäftigt war, herbei.

»Du verstehst Dein Handwerk schlecht, Freund Ghika,« redete der Tribun ihn an, »ich habe es immer gesagt, Du bist ein Dummkopf. Wie viele von den Burschen haben sie Dir totgeschossen?«

»Zwei, Excellenz, und drei sind verwundet. Die Hunde wollen nicht mehr heran, wenn sie das Feuer nicht erwidern dürfen.«

»Sei unbesorgt, ich werde sie nötigenfalls Gehorsam lehren. Für was sind die Schurken da, als für Pulverfutter! Schicke in die nächsten Häuser und laß einige Leitern suchen.«

Der Kapitän entfernte sich, die erhaltenen Befehle zu vollziehen. Es trat eine kurze Pause in dem Kampf ein, auch die Plünderer schienen Atem zu schöpfen bei ihrem scheußlichen Werk, das Geschrei der Gemißhandelten zog sich in die entfernteren Gassen.

Diesen augenblicklichen Stillstand benutzten die Belagerten, um sich aufs neue zu beraten und ihre Waffen in stand zu setzen.

Sie hatten natürlich aus den Fenstern die ganzen Vorgänge und die scheußliche Plünderung bemerkt. Schon als die Truppe des Tribuns erschien, hatten sie jede Hoffnung auf eine günstige Wendung aufgegeben. Aber die schrecklichen Scenen, die sich zugleich vor ihren Blicken entfalteten, bestärkten sie nur in dem Entschluß, sich aufs äußerste zu wehren.

Plötzlich, während der Kampf bereits begonnen, und sie mit Flintenschüssen die Stürmenden vor Thür und Fenster zurücktrieben, taumelte die Gräfin Cäcilie, bisher die mutigste von allen, vom Fenster zurück und ließ das erhobene Gewehr sinken.

Ihre Augen waren auf ein Gesicht, auf eine Gestalt gefallen, die sie kannte. Sie griff nach dem Lorgnon, sie schaute wiederholt hin, aus dem Pulverdampf, aus dem roten, fliegenden Schein der angezündeten Feuer, der lodernden Fackeln trat ihr gleich einem Medusenhaupt ein graues, widriges Gesicht entgegen.

»Er ist es!«

»Wer?«

Die Gräfin Mutter war von dem Diwan aufgesprungen, auf den sie sich weinend und betend geworfen.

»Was hast Du gesehen? Senden die Heiligen uns Hilfe?«

»Es ist der Fürst! Fürst Trubetzkoi! er ist dort unten.«

Die Gräfin überzeugte sich in sorgfältig gedeckter Stellung mit ihrem Augenglase von der Wahrheit der Worte.

»Szent Michaly, meinem Schutzpatron sei Dank, dann sind wir gerettet, Kind! Wir müssen seine Vermittelung in Anspruch nehmen, wir müssen uns sofort ihm ergeben!«

»Wie – ihm? dem Fürsten? Nimmermehr!« Die junge Komteß sah sie mit einem erschrockenen Blick an.

»Kind, Du weißt nicht, was Du sprichst. Der Fürst ist ein vornehmer Kavalier, er wird Einfluß genug haben, uns alle zu schützen.«

»Er ist der Feind unseres Landes, er wäre sonst nicht hier unter den Mördern.«

»Aber er ist uns Dank schuldig! Du weißt, wie er in dem unglücklichen Duell mit Stephan, das Deinen Vater so erbitterte, verwundet wurde, er lag drei Wochen krank in unserm Schloß, bis er fortgebracht werden konnte. Er hat um Dich angehalten …«

Die Komteß schauderte. »Das eben ist es, Mutter, was ich fürchte. Ich mag um keinen Preis sein Mitleid anrufen, lieber sterben unter den Händen dieser Mörder!«

Die alte Gräfin versuchte vergebens Bitte und Befehl, nichts konnte den Entschluß ihrer Tochter ändern. Auch der Betyár sah wenig Heil für sich in einem Ergeben an die Walachen, er wußte, daß auf Schutz und Worthalten nicht zu rechnen sei und war entschlossen, sein Leben so teuer als möglich zu verkaufen.

»Sie kommen! Sie haben Leitern geholt! Zu den Waffen, zu den Waffen, Cousine!« klang der Ruf des Knaben Alexander.

Der Betyár hatte bereits seinen Posten eingenommen und ermunterte zum Widerstand.

An jedem Fenster des obern Stockwerks stand einer der Verteidiger, Komteß Cäcilie, bleich und entschlossen, mit der Flinte in der Hand, in möglichst gedeckter Stellung neben dem ihres Verwandten. Selbst der verwundete Jäger hatte sich trotz der Schmerzen, die er empfand, herbeigeschleppt, nur die Gräfin rang in ihrem Versteck mit der schluchzenden Dienerin die Hände, beschwor bald ihre Tochter, den Beistand des Russen anzurufen, bald klagte sie sich selbst an, daß sie Pesth verlassen und in Enyád zu lange verweilt hätte. Die sonst so stolze und starke Frau hatte in den unerwarteten Schrecknissen alle Fassung verloren.

» Fene egyemek!« fluchte der Betyár, »Schurke dort hat Leiter, die heraufreichen wird an das Fenster. Und sollte es Leben meinigtes kosten, er muß haben eine Kugel!«

Er selbst eröffnete den Kampf, der wohlgezielte Schuß streckte in der That den Träger der Leiter, einen riesigen Walachen nieder, die Kugel war ihm mitten durch die Brust gefahren.

Ein Wutgeschrei erhob sich in den Reihen der Stürmenden, zwei andere Slugitori ergriffen die Leiter und rannten damit gegen das Haus. Der Haufe führte noch zwei Leitern mit sich und einen Balken zum Einrennen der Thür. Zugleich hatte der Tribun seine Befehle geändert, ein halbes Dutzend der besten Schützen kam hinter den Stürmenden und begann jetzt ein lebhaftes Feuer auf die Fenster, doch schlugen die Kugeln in das Mauerwerk und dienten nur dazu, die Verteidiger zurückzuscheuchen und in ihre Verstecke zu treiben. Der Tribun hatte die strengste Ordre gegeben, die Bedrängten, wenigstens die Frauen und den Betyáren, unverletzt in seine Hände zu liefern. Die steigende Erbitterung der Slugitori begann freilich, sich nicht mehr an den Befehl zu kehren, und manche Kugel schlug in die Fenster und drang in die Decken und Wände der Gemächer, so daß die Gräfin sich entsetzt mit der Dienerin nach einem hintern Zimmer flüchtete. Das Mädchen übernahm dort statt des Zigeuners das Späheramt gegen einen Angriff von dieser Seite und sandte ihn nach vorn.

Zwischen dem Knallen der Schüsse wirbelte der helle Schlag der kleinen Handtrommeln. Ein Freudengeschrei der Walachen begrüßte die Ankunft ihrer Kameraden, eine Truppe der Szemenys oder Fußsoldaten kam im Geschwindmarsch bunt durcheinander die Carlsburger Straße herauf.

Her Tribun lachte. »Ich habe es ja gesagt! Die Nachricht, daß ihre Kameraden in Enyád den Vortanz hätten, hat ihnen lange Beine gemacht!« Er sprengte den Ankommenden entgegen, die ihn mit einem wilden »Zivio« begrüßten.

Unterdes war es einem Teil der Slugitori gelungen, trotz der wohlgezielten Schüsse der Belagerten bis an die Grundmauer des Hauses vorzudringen, wo sie vor den Kugeln der Gegner sicher waren, denn diese hätten sich aus den obern Fenstern vollständig preisgeben müssen, wenn ihre Flinten hier hätten die Gegner treffen sollen. Sie versuchten mit ihren Kolben und Säbeln die Thür einzustoßen und legten die Leitern an die Fenster, um auf ihnen einzudringen.

» Baszom a mágnást!« sagte der Betyár, »passen Sie auf, gnädigste Gräfin! kommt jetzt böse Viertelstund!«

An dem Fenster, an dem der kühne Sohn der Pußten stand, tauchte ein grimmiges Gesicht empor, die Linke faßte den Fensterrand, sich hineinzuschwingen, die Rechte schwang den Handjar!«

»Zivio!«

»Kommst Du mir Recht, Canaille!« Der Betyár hatte soeben das Laden seines Gewehrs beendet. Ehe der Walache eine weitere Bewegung machen konnte, setzte er ihm kaltblütig das Rohr vor die Stirn und drückte los. Mit zerschmettertem Schädel stürzte der Dorobantze von der Leiter.

Aber dicht hinter ihm klommen andere empor, Schlag um Schlag, Hieb um Hieb wechselten, ehe es dem tapfern Kämpfer gelang, sie hinabzustürzen.

Am dritten Fenster wehrten sich mit dem Mut der Verzweiflung die ungarischen Diener und trieben die Angreifer zurück. Aber an dem, das die Gräfin mit Hilfe des Knaben verteidigte, schwang sich ein brauner Walache hinein, nachdem sein Vordermann eben gefallen, und stieß ein wildes Triumphgeschrei aus, das durch den Kampf bis in das Gemach drang, wo die Gräfin auf den Knieen lag.

Ein so mutiges Herz auch die Komteß hatte, es war doch nur ein Frauenherz und erbebte bei dem Anblick des ihr so nahen Feindes. Sie wich zurück, während der Knabe mutig vorwärts sprang und sich auf den Gegner stürzte.

Ein Griff, ein Schlag, und der Unglückliche fiel blutend zurück in die Arme seiner Cousine. »Barmherziger Gott, Alexander! Zu Hilfe, Sándor! Zu Hilfe!«

Der Rózsa wehrte sich selbst mit Löwenkraft in dem Augenblick wider zwei Gegner, aber die Hilfe kam von anderer Seite. Das furchtsame Peterchen schien mit einemmal bei dem Anblick der Gefahr alle seine gewöhnliche Besorgnis und Furcht vergessen zu haben. Der Zigeuner sprang wie eine Schlange auf den Feind, umschlang ihn von hinten und riß ihn zu Boden. In diesem Augenblick kam Miklos der zweite Diener zu Hilfe und schlug einen neuen Feind, der eben durch das unverteidigte Fenster einsteigen wollte, auf den Kopf. Das Gewicht des fallenden Mannes riß die Leiter mit sich und zerbrach sie am Boden. Zugleich hatte der Betyár sich seiner Gegner erwehrt, der eine taumelte schwer verwundet zu Boden, der andere, der seine Faust schwer genug gefühlt, sprang von selbst herab und flüchtete. Sein Rückzug, denn es war der Kapitän selbst, gab das Signal zum allgemeinen; die Tapfern des Tribunen glaubten genug gethan zu haben für diesmal und eilten so hastig als möglich aus dem Bereich des so mutig verteidigten Hauses, vor dem sie drei Tote zurückließen. Mehr als die doppelte Zahl war verwundet worden.

Aber auch in der kleinen Schar der Kühnen war der harte Kampf nicht ohne schweren Verlust abgegangen. Mit Hilfe des Hausdieners und des verwundeten Jägers war es dem Zigeuner gelungen, seinen kräftigen Gegner zu überwältigen und ihn mit der Gewandtheit seines Volkes zu binden. Fluchend und knirschend wälzte sich der Gefangene jetzt am Boden, bis ihn ein Kolbenstoß des Betyáren und die Drohung, ihm den Schädel einzuschlagen, zur Ruhe brachte.

In der Mitte des Gemachs kniete die Komteß, den Kopf ihres jungen Vetters im Schoß und vergeblich bemüht, das Blut zu stillen, das aus einer tiefen und breiten Hiebwunde quoll, die der Handjar des Walachen ihm quer über die Stirn beigebracht.

Der Körper des unglücklichen jungen Mannes bewegte sich konvulsivisch, seine Arme schlugen in den letzten Zuckungen des Todeskampfes um sich, dann wurden die Bewegungen schwächer und schwächer und die jungen Glieder streckten sich, der Schüler war tot.

Auch die beiden Diener waren nicht ohne Verletzungen davon gekommen, die Kräfte Bansis des Jägers, die nur die Gefahr und Aufregung belebt, verließen ihn jetzt gänzlich, und er mußte sich auf den Diwan legen.

Mit mehr Zartheit und Gefühl, als bei seinem wilden Leben in den Pußten, in dem steten Kampf mit dem Gesetz und in den blutigen Scenen des Bürgerkrieges ihm hätte zugetraut werden sollen, hob der Betyár die weinende Dame auf und zwang sie, sich in das Zimmer zu begeben, wo ihre Mutter und die Dienerin verweilten. Die Leiche des jungen Mannes wurde mit einem Tuch bedeckt, zur Seite gelegt, und der Blick des Freischarenführers auf den Thäter weissagte demselben eben nicht viel Gutes.

Während Miklos, der Hausverwalter, aufs neue die Gewehre lud, trat der Betyár zu dem Zigeuner, der unterdes am Fenster die Bewegungen der Gegner beobachtete. Aber auffallender Weise war dort nichts von Anstalten zu sehen, die Slugitoris der Leibwache des Tribunen schienen Erlaubnis erhalten zu haben, sich ihren Kameraden beim Plündern der unglücklichen Stadt anzuschließen, und nur ein Kreis von Wachen aus den angekommenen Szemenys bewies, daß über der fortdauernden Plünderung das Haus und seine Verteidiger nicht vergessen waren.

Die Beute, zum Teil ganz nutzlos und in den ungeeignetsten Dingen bestehend, welche die Walachen auf dem Platz zusammen häuften, war massenhaft. Der Jammer und das Wehgeschrei der unglücklichen Bewohner wurde wo möglich noch größer, als die Szemenys eingerückt waren, von denen rasch mehrere Haufen aufeinander folgten, denn diese hielten mit unbarmherziger Grausamkeit die Nachlese. Der Tribun und die Offiziere thaten den Scheußlichkeiten nicht im geringsten Einhalt, und der erstere schien sich gar nicht darum zu kümmern. Er hielt wieder am Wagen des Russen, und von Zeit zu Zeit sah man ihn seinen Operngucker nach den Fenstern des bedrohten Hauses richten, als erwarte er von dort ein neues Schauspiel.

Der Betyár war zu dem Zigeuner getreten. » Kutya teremtete, hast Dich brav gehalten, alter Petrike! hab' Dich bei der Seele meiner Mutter nix gekannt, denn als Fiedler und Spaßmacher von gnädigem Herrn seligem. Hast mir manchmal durchgeholfen auf der Heide und wünscht' ich, ich könnte vergelten Dir heute. Aber fürcht' ich, wir stecken in einer argen Falle, und der Rózsa Sándor wird hier seine Haut lassen, müssen und der lustige Petrike auch. Aber isten nyéla, glaub' ich gar, daß der feige Lump weint darüber, nachdem er sich geschlagen, wie ein Betyár!«

Der Zigeuner wischte sich die Thränen aus den Augen. »Sei nicht schlimm, Rózsa, mit dem armen Petrike,« sagte er, »aber was meine Augen sehen, macht mir das Herz meinigtes weich wie Honig im Topf. Der Zigeuner ist doch auch ein Mensch, wenn Euer magyarisch Sprüchwort auch anders sagt, und der Zigeunervater hat ein Herz für sein schlimmes Kind.«

»Was ist's? was meinst Du, Petrike?«

»Deine Augen sind scharf, Rózsa, aber die Augen eines Vaters sind schärfer, und der Regen und Schnee der Heide hat sie nicht trübe gemacht. Siehst Du die Frau dort an der Seite des bösen Magnaten vom fremden Volk?«

»Hab' ich das Weibsstück längst gesehen, ist vielleicht gefangen von den hinkenden Hunden den Walachen.«

»Ist sich die Tochter meinigte, Tunsa mein einziges Kind, das mir geblieben von sieben, die mein armes Weib mir gebar. Aber sie hat verlassen im vorigen Jahr die schlechte Hütte des Zigeuners und die Mumeli-Swa, ihre Großmutter, um zu werden eine blanke Dame und dem Magnaten zu folgen ins fremde Land.«

» Teremtete!« sagte der Betyár rasch, »das wäre vielleicht noch eine Gelegenheit, um unsere Haut zu retten, oder wenigstens die Deinige.«

Der Zigeuner schüttelte traurig den Kopf. »Sie war immer ein schlimmes Kind, und der böse Geist unseres Volkes hat die Hand gehalten über ihre Geburt. Wenn ich zehn Leben zu gewinnen hätte, ich könnte nicht bitten bei der Undankbaren, die die Hütte ihres Vaters verlassen ohne Lebewohl.«

Der Betyár wandte sich verdrießlich um. »Nun dann hilft's nichts, fahren wir zur Hölle zusammen! Der Teufel schwarzester mag holen das Weibervolk, hat sich's gebracht allein uns doch in die Klemme! Fene egyemek! hörst Du nichts, Narr von einem Zigeuner? Diese Hunde sehen da herüber und zeigen hierher! Was ist los über Kopf unsrigtem?«

Die Thür wurde aufgerissen, die Komteß Cäcilie eilte herein, gefolgt von der Gräfin und dem Mädchen. »Um des Himmelswillen! helft, ehe es zu spät ist!«

»Was ist geschehen?«

»Das Dach steht in Flammen, man muß von hinten her Feuer darauf geworfen haben, ohne daß wir's bemerkt.«

Rózsa stieß einen wütenden Fluch aus und rannte hinaus. Bleich und verstört standen die Frauen und ihre Getreuen, selbst die Leiche des jungen Mannes fand jetzt keinen Blick der Teilnahme mehr.

Ein gellendes Triumphgeschrei der Walachen auf dein Platz lenkte all ihre Aufmerksamkeit dort hin, die Bande gebärdete sich wie toll und jubelte und tanzte und schwang ihre Waffen.

Zwei Feuerströme belehrten sie über die Ursachen, die in einiger Entfernung stehenden Häuser rechts und links waren von den Mordbrennern in Brand gesteckt worden.

Zugleich erschien der Betyár wieder; was alle Gefahr des Kampfes, die sichere Aussicht auf den Tod in ihm nicht hatte zu Wege bringen können, seine Stirn war in finstere, ernste Falten gezogen. Die dicke Lage von Schmutz, Schweiß und Pulverdampf, die sein Gesicht überzog, verhinderte zu bemerken, daß die gewöhnliche blasse Farbe desselben einer unnatürlichen Röte Platz gemacht.

»Die walachischen Schurken haben gerechnet gut!« sagte er mürrisch, »wir müssen selbst uns in die Hände liefern die ihrigten, wenn wir nicht braten wollen wie ein Ferkel. Das Dach steht in vollem Feuer; es ist nix zu helfen mehr!«

Das Prasseln des Feuers, das Krachen einstürzender Balken bestätigte seine schreckliche Kunde. Bereits verbreitete sich auch in dem Gemach, in dem sie versammelt waren, eine glühende Hitze.

Der Walache, der an der Wand lag, fluchte und schrie, daß man ihm die Fesseln lösen solle, damit er nicht verbrenne. Sein Geschrei fand aber keine Beachtung, denn jeder hatte genug mit sich selbst zu thun.

In diesen Augenblicken der höchsten Not und Gefahr zeigte der wilde Sohn der Pußten seine ganze Mannheit und Entschlossenheit: Widerstand bis zum letzten Augenblick und dann ruhige, stoische Ergebung in das Unvermeidliche. Auf seine Anordnung, der sich jeder ohne Widerspruch fügte, mußten die Frauen in das Parterregeschoß hinabsteigen, wo sie wenigstens für den Augenblick vor den Flammen geschützt waren. Doch verbot er aufs strengste jeden Versuch, die Thür zu öffnen, bis er selbst dabei sei.

Ehe die Komteß das Gemach verließ, um ihrer Mutter und den Dienern zu folgen, kniete sie noch einen Augenblick an der Leiche ihres jungen Freundes nieder und segnete sie mit dem Zeichen des Kreuzes. Dann – schon an der Thür – warf sie einen schaudernden Blick auf die gefesselte Gestalt seines Mörders zurück und richtete ihn dann bittend und fragend an den Betyár.

»Um der Heiligen willen, Herr,« sagte sie flehend – »wollen Sie wirklich diesen Mann einem so schrecklichen Schicksal überlassen?«

» Teremtete! es wird vielleicht auch das unsere sein! Tessék!« Er wies ungeduldig nach der Thür, die Komteß verbarg das Antlitz in die Hände und entfloh.

Der Betyár trat zu dem Walachen, der jetzt mit finsterm Stoicismus die schreckliche Scene beobachtete, nachdem er wohl gesehen, daß selbst die Verwendung der Gräfin sein Schicksal nicht hatte abwenden können.

»Deine Brüder, die schwarzen Hunde,« sagte der Rózsa, »wollen uns verbrennen. Sie selbst sind es, die Dein Schicksal bereiten. Was hattet Ihr zu thun im Ungarland, warum fallt Ihr wie die hungrigen Wölfe in unsere Heimat und mischt Euch in unsern Kampf?«

Der Walache betrachtete ihn mit einem grimmigen Blick.

»Die Söhne des schwarzen Raben sind die Feinde der Magyaren. Sie haben ihr Blut getrunken, so lange sie die Ufer des Isther bewohnen!«

»Das ist wahr, ich habe davon gehört. Bist Du ein Christ?«

Der Walache nickte mit dem Kopf zum Zeichen der orientalischen Verneinung. »Der Prophet wird mich in seinen Schoß aufnehmen, wenn das Feuer mich getötet. Ich verachte den Gott des schwarzen Zars und der Magyaren!« Viele Bewohner der Walachei sind in der That Muselmänner, die trotz der Bestimmungen des Traktats von Adrianopel dort wohnen: die Bevölkerung ist aber so gemischt und namentlich für einen Raub- und Plünderungszug wie der gegenwärtige so abenteuerlich zusammengesetzt, daß der Unterschied des Glaubens keine Beachtung findet.

»Christ oder Muselmann,« sagte der Betyár, »Du bist ein tapferer Bursche und kutya lanczos, Du sollst nicht vom Feuer sterben, obschon es die Halunken, Deine Brüder, verdienten. Ich will Dir mit Deinem eigenen Handjar den Kopf abschneiden.«

»Allah kerim! wie Gott will!« sagte der Walache. »Ich danke Dir, Freund.«

Der Betyár machte in der That Anstalt, sein merkwürdiges Barmherzigkeitswerk zu exekutieren, aber der Zigeuner, der ohne sein Wissen zurückgeblieben war, hielt seinen Arm.

»Wenn Azräel uns selber so nahe ist,« sagte er bittend, »soll sich die Hand des tapfern Rózsa beflecken mit dem Tod eines Wehrlosen? Laß ihn denselben Weg nehmen, den er gekommen.«

»Meinetwegen, aber rasch, zum Henker! Kommt er davon, so ist's seine Sache. Pack an, Petrike.« Er hob den Walachen bei den Schultern empor, der Zigeuner nahm die Füße, so stürzten sie ihn kopfüber aus dem Fenster, gleichgültig, ob dort die fallenden Brände ihn erreichen würden.

Aber der Walache, einmal wieder mit der Aussicht des Lebens, schien an harte Stöße gewöhnt und rollte sich, kaum auf den Boden gelangt, auf diesem fort, bis er aus dem Bereich des Feuers war. Dort blieb er liegen, bis seine Kameraden später seine Bande lösten.

Die Hitze in dem Gemach war jetzt unerträglich geworden, die Decke drohte jeden Augenblick den Einsturz, und der Betyár wollte eilig hinabsteigen. Aber wieder hielt ihn die Hand des Zigeuners zurück. »Bitt' ich Dich um eine Gunst, tapferer Rózsa!«

»Was willst Du?«

»Willst Du mir geben Deinen Dolmany und Deinen Szür mit den Stiefeln. Schnell, schnell, Rózsa Sándor! Du sollst nehmen die Guba des armen Zigeuners und seine Bocskor.« Schnürsohlen.

» Teremtete! Warum?«

»Der gute Geist hat mir gegeben den Gedanken. Vielleicht, daß es Dir gelingt, in der Kleidung des armen Zigeuners zu entwischen. Was ist an dem Leben des Petrike gelegen? Der Zigeuner ist ein Hund, der von allen als Hund getreten wird!«

»Das ist wahr,« sagte der Magyar mit jener nationellen Gleichgültigkeit, welche der echte Ungar für das Leben eines so untergeordneten Geschöpfes empfindet. »Jede List ist im Kriege erlaubt, und eine kurze Frist ist immer Gewinn. Werden sie uns freilich totschlagen alle beide und ist sich dann alles egal!« Er hatte rasch die Kleider abgeworfen und den zerlumpten Mantel des Zigeuners genommen. Rauch und Pulverdampf hatten ohnehin die Gesichter unkenntlich gemacht.

Wenige Augenblicke darauf stürzte das Dach des Gebäudes prasselnd zusammen. Die kleine Gesellschaft war in dem Erdgeschoß versammelt, aber auch hier war die Glut bereits so entsetzlich, daß es nicht zum Aushalten war. Die Gräfin klagte ihre Tochter an, daß sie durch ihren Eigensinn zur Mörderin an ihr werde.

» Par Dieu!« sagte der Tribun zu dem Fürsten, der finster die schreckliche Scene beobachtete, ich glaube, diese tollen Weiber verbrennen sich selbst eher, als daß sie sich gutwillig uns ausliefern. Was thun wir mit gebratenen Frauenzimmern? ich werde meine Szemenys noch einen letzten Angriff machen lassen!«

Der Russe hatte sich in dem Wagen erhoben. »Still! sehen Sie nicht, was geschieht?«

Die Chaine der Walachen hatte sich immer näher und dichter um das in Flammen und Rauch eingehüllte Gebäude gezogen, ihr Schreien und Jubilieren glich dem Geheul einer Rotte von Teufeln oder der wildesten Stämme Amerikas, wenn sie ihr Opfer am Marterpfahl umtanzen. Plötzlich erhob es sich zu einem einzigen gellenden Schrei des Triumphes, und alles drängte nach der Mitte zu.

Die Thür des Hauses, die, im Innern fest verbarrikadiert, bisher den Angriffen der Gegner wie der Einwirkung des Feuers widerstanden hatte, war von innen geöffnet worden und aus dem von Rauch und Feuerschein erfüllten Raum traten die Belagerten.

Die Komteß Pálffy schritt in ruhiger, stolzer Haltung voran, ihre Mutter unterstützend, die kaum noch sich zu bewegen vermochte und an ihrer Schulter hing. Die Kleider der Frauen waren an mehreren Stellen versengt, ihr Äußeres zeigte alle Spuren der schrecklichen Stunden. Auf der andern Seite unterstützte die Zofe ihre Gebieterin. Der Hausdiener Milhaly führte mit dem falschen Betyáren den verwundeten Jäger, während hinter ihnen Rózsa Sándor in der zerrissenen Guba des Zigeuners kam, den breiten Slowakenhut tief ins Gesicht gedrückt. Sie waren sämtlich alle ohne Waffen.

Selbst die wilde Horde rings umher fühlte eine gewisse Scheu und Ehrfurcht bei dem Anblick der Gefangenen und Hohn und Triumphgeschrei verstummte. Der Ring der wilden Soldateska öffnete sich und bildete eine breite Gasse bis zu dem Tribunen und dem Wagen des Russen.

Die Komteß machte in der Hälfte des Raumes ein Zeichen mit der Hand, daß ihre Diener zurückbleiben sollten, dann schritt sie mit ihrer Mutter, die sich in der frischen Luft zu erholen begann, aber noch immer sich auf sie lehnte, auf den Tribun zu und blieb etwa drei Schritte von der Gruppe stehen.

Die Gräfin streckte sofort die Arme nach dem Russen hin. »Sie werden nicht leiden, Fürst Trubetzkoi,« rief sie, »daß unglücklichen Frauen weiteres Leid geschieht. Wir begeben uns in Ihren Schutz!«

Der Fürst beeilte sich aus dem Wagen zu steigen. » Bon Dieu! was muß ich sehen, Gräfin Pálffy und die schöne Komteß Cäcilie in diesem Zustand! Welches unglückliche Zusammentreffen! wie konnten Sie sich solchen Gefahren aussetzen?«

»Fragen Sie jetzt nicht, sondern nehmen Sie uns in Ihren Schutz,« schluchzte die Gräfin. »Ich habe sofort allen Widerstand verboten, als ich Sie erkannte; aber man hörte mich nicht. Schützen Sie uns wenigstens vor diesen grausamen Wilden!«

Der Fürst bot ihr artig den Arm. »Ich bitte Sie, meine Gnädigste, einstweilen in meinem Wagen Platz zu nehmen, bis wir ein passendes Unterkommen für Sie ermittelt. Dieser Herr wird gewiß auf meine Verwendung hören. Ich habe mit Bedauern gehört, daß Ihr Gemahl, mein geschätzter Freund, gestorben ist. Es ist unverantwortlich, daß der Herr Graf Batthyányi, Ihr künftiger Schwiegersohn, Sie einer solchen Gefahr ausgesetzt und nur sein eigenes Leben zu salvieren gesucht hat. Ich will seine Versäumnis gut machen. Erlauben Sie mir, meine Gnädigste, Ihnen eine Freundin vorzustellen, die einen armen Krüppel, wie ich bin, seitdem gepflegt und ihm manche Stunde erheitert hat. Mademoiselle Fedora, ehemals Tunsa, wenn ich nicht irre, von Ihro Gnaden Gütern selbst – Ihro Gnaden die Frau Gräfin von Pálffy mit Komteß Cäcilie.«

Die Zigeunerin begnügte sich mit dem Kopf zu nicken und betrachtete mit unübertrefflicher Frechheit die Dame durch ihre goldene Lorgnette.

In das schöne Antlitz der Komteß war das Blut geschossen, und sie faßte heftig den Arm ihrer Mutter. »Kommen Sie hierher, Gräfin! Ihr Platz ist an der Seite Ihrer Tochter!« Sie wandte sich mit stolzer Sicherheit an den Führer der Walachen.

»Mein Herr,« sagte sie französisch, »Sie sind, wie ich denke, der Tribun Janko, der Anführer dieser Männer?«

»Sie raten sehr richtig, schöne Dame!«

»Dann ergeben wir uns Ihnen als Ihre Kriegsgefangenen und verlangen, mit der uns gebührender Achtung behandelt zu werden.«

»Se. Durchlaucht sind ein ganz vortrefflicher Beschützer junger Damen, mein Schatz,« sagte der Tribun spöttisch, »Sie werden bei dem Tausch nicht gewinnen. Mit Weibern, die mir meine Soldaten erschießen, pflege ich etwas rauh umzugehen, namentlich, wenn sie mit nichts ihre Sünden vergüten können!«

Die Komteß verstand, obschon der familiäre Ton des Siegers ihr Blut kochen machte. »Wie ich zur Genüge gesehen, mein Herr, führen Sie auch mit Frauen Krieg, Sie können sich also auch nicht wundern, wenn Frauen sich wehren. Ich fordere nichts, als mein und der Meinigen Leben und Ehre, Sie mögen dafür unser Eigentum nehmen; ich denke, einige tausend Dukaten werden Sie entschädigen!«

»Und wo ist das Geld?«

»Die Kassette mit unserm Gold und einigem Familiensilber steht im Erdgeschoß jenes brennenden Trümmerhaufens, wir haben nichts mit uns genommen, als unser Leben.«

Der Tribun winkte hastig die nächststehenden Offiziere herbei. »Laßt den Brand Einhalt thun, durchsucht das Haus oder die Trümmer, diese Personen behaupten, eine Kiste mit Gold und Silber dort zurückgelassen zu haben. Ist der Bursche da, den ich diesen Morgen zum Profoß gemacht?«

Der Befehl ging von Munde zu Munde, nach einigen Augenblicken trat der Slowak in seinem roten Szeklermantel, den Hut tief in das Gesicht gedrückt, vor.

»Seit wann bist Du hier, Bursche, warum meldest Du Dich nicht?«

»Ich bin vor wenigen Augenblicken gekommen, Herr.«

»Neues aus der Csárda? Was läßt Jurisch melden?«

»Der Hauptmann der Roten ist nicht mehr in der Csárda, Herr.«

» Mort de ma vie! ich will ihn lehren seinen Posten verlassen! Wo steckt der Schurke?«

Der Slowak zuckte die Achseln. »Er befrug mich um die Ungarn, Euer Gnaden, die aus der Csárda entkommen, und für die jener Herr tausend Dukaten geboten. Dann sind wir gegangen, sie zu suchen, tausend Dukaten sind ein schönes Geld, Herr!«

Der Tribun stieß eine Verwünschung aus. »Der Narr! sie werden längst über alle Berge sein. Hat er sie gefunden?«

»Nein, Euer Gnaden – aber …«

»Was?«

»Etwas anderes, Herr!«

»Nun?«

»Ein Wolfsnest! Der Hauptmann Jurisch ist ein eifriger Jäger!«

»Mach' Deinen Scherz nicht mit mir, Bursche! Wo ist der Panduren-Kapitän?«

Die Züge des Slowaken blieben wie von Stein gemeißelt, keine Muskel rührte sich in dem Gesicht, und sein Auge begegnete ruhig und gleichgültig dem zornigen Blick des Tribunen.

»Ich weiß es nicht, Herr! Der Hauptmann scheint ein großer Wolfsjäger zu sein, er bestand darauf, die Jungen zu nehmen und das Tier zu erwarten. Bei Szent Kereszt! ich hab' ihn lebendig dort verlassen, aber der Szabó ist ein armer Slowak und nicht bezahlt, um mit den vornehmen Herren Wölfe bei Nacht zu jagen. Der Szabó hat bedacht, was Euer Gnaden ihm befohlen, und ist gekommen nach Enyád, seinen Dienst zu verrichten.«

Jedes Wort war so ruhig, so fest gesprochen, daß der Tribun an der Erzählung, so seltsam sie klang, kaum zweifeln konnte. Unmöglich ließ sich annehmen, daß der Slowak seinen Kopf freiwillig in den Rachen des Löwen gesteckt haben würde, wenn er sich irgend etwas hätte zu Schulden kommen lassen. Der Tribun schüttelte den Kopf. »Kapitän Jurisch soll seiner Strafe nicht entgehen, wenn er von seiner Jagd zurückkehrt. Es ist gut, daß Du gekommen bist, denn es giebt hier Arbeit für Dich. Hast Du Deine Stricke bereit?«

Der Slowak schlug den roten Mantel zurück, um seine Hüfte waren mehrere Stricke gewunden und die bedeutsamen Schlingen hingen zur Seite nieder.

»Du bist ein eifriger Bursche, so lieb' ich es! so wahr ich der Tribun Janko bin, Du wirst Carriere machen! – Siehst Du die Kirchthür dort?«

»Sie ist groß genug, Euer Gnaden!«

»Ich hoffe es. Geh' dorthin und mach' Deine Anstalten! Du sollst eine besondere Ehre haben!«

Der Slowak, ohne eine Silbe zu erwidern, drehte sich um und ging nach der bezeichneten Stelle. Die Kirche stand an einer Seite des Platzes, in der Nähe der Thür befanden sich die Körbe und Mulden, in welche die Walachen den befohlenen Anteil der Plünderung geschüttet.

Der Tribun rief seinen ersten Offizier. »Laß ein passendes Haus hier am Markt in Bereitschaft setzen zur Aufnahme des Fürsten.«

»Und Euer Excellenz?«

»Ei, ich kann mir's hier bequem machen. Laß meine Teppiche ausbreiten und etwas zu essen herbeischaffen, ich bekomme Appetit. Such' die hübschesten Dirnen aus und laß sie uns bedienen.«

Von den Soldaten wurden sofort kostbare türkische Teppiche, die aus den Häusern genommen, auf dem Boden ausgebreitet und mit Kissen belegt. Der Tribun war vom Pferde gestiegen und saß jetzt nach orientalischer Sitte mit gekreuzten Beinen auf den Kissen, mit dem Russen, der zu ihm getreten war, eine leise Unterhaltung pflegend, während ein junges Mädchen, kaum fünfzehn Jahr und nur mit einem wollenen Hemdchen bekleidet, unter Thränen der Angst zwei Nargileh in Bereitschaft setzte, und andere junge Mädchen gezwungen wurden, Wein und Speisen herbeizutragen.

Die Gräfinnen standen noch immer auf dem früheren Platz, die Komteß stolz und entschlossen, ihre Mutter angstvoll und zitternd, die Entscheidung ihres Schicksals erwartend.

Es schien jedoch die Absicht ihrer Gegner, diese Qual zu verlängern und zu steigern, denn beide nahmen keine Notiz von ihnen, bis Kapitän Ghika die Meldung brachte, daß es nicht gelungen sei, die Chatulle mit dem Silber und dem Gold zu retten, da die Glut jedes Eindringen in das Haus unmöglich gemacht habe, und bei dem Einstürzen des Gebäudes schon einer der Soldaten verunglückt sei.

Der Tribun warf einen finstern Blick auf die Frauen und dann auf die Gruppe der Diener, die noch immer in einiger Entfernung ihren Platz bewahrte.

»Laß die Schurken dort näher treten! Champagner!«

Von den Slugitori vorwärts gestoßen, näherten sich die vier gefangenen Männer, bis sie etwa drei oder vier Schritt von dem Teppich entfernt standen.

Auf die Einladung oder vielmehr den Befehl des Tribunen hatten sich die oberen Offiziere der Reiter und der Szemenys um ihn hergesetzt, um an dem Zechgelage teilzunehmen, das eröffnet werden sollte.

Wir haben bereits erwähnt, daß die Gesichter der Gefangenen durch den Pulverdampf und den Qualm und die Hitze des Brandes geschwärzt und fast unkenntlich gemacht worden waren. Die beiden Diener unterschieden sich durch ihre ungarische Tracht, der Zigeuner durch den Szür und die breite Schärpe des Betyáren mit der Trikolore der Revolution.

Der Tribun kniff sein Lorgnon in das linke Auge und überlief flüchtig die Gruppe, an dem vermeintlichen Betyáren blieb sein Auge mit Interesse länger hängen. Der arme Petrike unterdrückte mit Gewalt das Zittern, das seinen Körper durchlief, und warf unter dem Schutze seines Hutes einen ängstlichen Blick auf den wilden Feind, auf die Gestalten der beiden Frauen, für die er sein Leben gewagt, und dann hinüber zu seiner Tochter, die auf dem Polster des Wagens ihre Rolle fortspielte, die Gefangenen durch ihre Frechheit und ihren Hohn noch tiefer zu kränken.

Der Tribun wandte sich zunächst an die beiden Diener der Gräfin. »Ihr ungar'schen Hunde, wie habt Ihr es wagen können, auf meine Leute zu schießen?«

»Haben sie uns angegriffen, sie selbst,« sagte Mihal, der Hausdiener, unwirsch. »Ist sich die Gräfin unsere Herrschaft, der wir schuldig sind Leib und Leben.«

»Wir werden das später abmachen. Wo ist der Kasten mit dem Geld geblieben, den Ihr im Hause hattet?«

Der treue Diener sah hinüber nach seiner Gebieterin. Die Komteß machte ihm ein Zeichen, daß er reden dürfe.

»Ist sich ein Keller kleiner in der Ecke der Küche,« erklärte der Mann, »hab' ich selbst hineingeschoben den Kasten!«

Der Tribun winkte, einer der Offiziere verließ eilig den Kreis.

»Es wird gut für Dich und Deine Kameraden sein, wenn Du die Wahrheit gesprochen.« – Er wandte sich zu dem Zigeuner.

»Du nennst Dich Rózsa Sándor?«

Dem armen Petrike schnürte die Angst die Kehle zu. So großherzig und mutvoll sein Entschluß auch war, in dem Augenblick der Gefahr vermochte er kaum, ihn festzuhalten, und kein Wort kam über seine Lippen. Es war ohne Zweifel gut, denn seine Angst würde die Täuschung sofort verraten haben.

»Warum antwortest Du nicht, Schurke, wenn ich Dich frage! Du bist Rózsa Sándor, der Betyár?«

Der Zigeuner murmelte etwas, das wie eine Zustimmung klang.

»Du warst mit am vergangenen Nachmittag bei dem Gefecht an der Straße nach Carlstadt und bist mit dem Grafen Batthyányi meinen Leuten entkommen. Wo ist Dein Begleiter geblieben?«

»Er ist nach Mediasch gegangen, Herr!«

»Wie viel Mannschaft hat der polnische Spitzbube Bem bei sich?«

»Ich weiß es nicht, Herr!«

»Mach' Dein Schicksal nicht schlimmer, als es ist! Wie viele, sag' ich?«

Der Zigeuner, der in den Antworten allmählich wieder Mut und Fassung gewann, erinnerte sich dessen, was der Betyár flüchtig erzählt. »Ich kam mit dem Grafen von der ungarischen Grenze, Herr, er wollte den General erst aufsuchen.«

Die Entschuldigung war ziemlich einleuchtend. »Ich habe von Dir gehört, Rózsa,« fuhr der Tribun fort, »Dein Ruf ist bis zu den tapfern Walachen gedrungen, obschon das Gerücht mehr gesagt, als ich finde. Eh bien! wir werden sehen, ob Du der Mann bist, als den Dich das Volk rühmt! Wer ist der Bursche da?«

»Ein armer Zigeuner, Herr, er ist unschuldig, er hat nichts verbrochen, gieb ihm Gnade, Herr!«

»Der Bursche gefällt mir, er sieht in seinen Lumpen mutiger aus, wie dieser Schurke, der es wagt, sich einen Freikapitän zu nennen! Seht zu, ob der Profoß fertig ist und laßt ihn hierherkommen.«

Der Soldatenkreis öffnete sich und bildete eine Gasse hinüber nach der Kirchthür. Auf den Wink der Offiziere kam der Slowak in seinem roten Mantel wieder herbei; er trug in seiner linken Hand eine Schlinge.

»Sieh Dir die Burschen an, Mann,« sagte der Tribun, »es ist Stoff für Deine Arbeit. Du wirst eine besondere Ehre haben; ist's auch kein Magnat, so ist's doch eine ungarische Berühmtheit. Du wirst den Rózsa Sándor hängen!«

»Ich – Herr?«

»Wer sonst. Schau ihn an! dort steht er!«

»Das ist der Rózsa Sándor? Das wäre der Rózsa?«

»Wer sonst? Siehst Du die Schärpe nicht?«

Der Slowak schritt erstaunt auf den Zigeuner zu, als wolle er ihn näher betrachten. Im Vorübergehen aber legte sich eine Hand auf seinen Arm.

»Bei dem Grabe Hankas! der Wolf der Pußta ist zum Verräter geworden!« flüsterte es.

Der Henker erbebte bei dem Ton dieser Stimme und dem Namen der Toten.

»Die Hanka muß Blut haben, aber der Szabó ist kein Verräter!« murmelte er ebenso leise. »Es ist wahr, Herr, das da ist der Rózsa Sándor – ich erkenne ihn!«

Vielleicht, daß der Zigeuner unbewußt gehofft hatte, irgend ein Erkennen werde ihn von den Folgen seiner Großmut ohne sein Zuthun befreien, ein Zittern durchlief seine Glieder, als der Slowak so bestimmt die Täuschung bekräftigte.

Die Komteß konnte die Scene nicht länger ertragen, sie verließ ihre Mutter und trat in den Kreis. »Herr,« sagte sie zu dem Tribunen, »wenn Sie ein Mann von Ehre und Gefühl sind, so rächen Sie nicht an diesen armen Leuten, was ich verschuldet. Auf meinen Befehl allein haben sie sich zur Wehr gesetzt und uns verteidigt. Nehmen Sie all unsere Habe, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie das Geld unter jenen Trümmern finden werden, ich verpflichte mich, Ihnen dieselbe Summe durch unsere Freunde in Pesth zu zahlen, aber lassen Sie diese Leute frei!«

Ein Freudengeschrei von dem niedergebrannten Hause her verkündete, daß die Soldaten des Tribunen die Kiste mit dem Gold und Silber gefunden. Man brachte sie im Triumph herbei und setzte sie vor dem Walachenführer nieder.

»Ich sehe, man kann Ihnen trauen, Komteß,« sagte dieser mit spöttischer Höflichkeit. »Auf mein Wort, Sie werden mich nicht ungalant finden! Aber ich habe der kleinen Valette – auf Ehre, der hübschesten Lorette der Straße Montmartre! – ehe ich aus Paris ging, mein Ehrenwort verpfändet, jeden ungarischen Patrioten hängen zu lassen, der in meine Hände fällt.«

»Sie sind ein Unmensch, kein Soldat!«

»Es läßt sich vielleicht ein Ausweg finden, schönste Komteß! Ich habe mein Wort nur in betreff der ungarischen Patrioten gegeben, ich muß gestehen, es würde meinem Ruf nicht schaden, Herrn Rózsa Sándor, Ihren Schützling, unter meinen Slugitori zu haben, und auch der andere Bursche gefällt mir. Ich bin nicht wählerisch! Champagner für Komteß Pálffy! ich hoffe, Sie werden diesen Leuten mit gutem Beispiel vorangehen und ein Glas mit mir auf das Wohl des Kaisers trinken. Das ist so gut wie Ihr Fahneneid!«

Die Komteß trat entrüstet zurück.

Der Tribun hielt sie fest im Auge. Auf seinen Wink präsentierte eines der unglücklichen Mädchen der Ungarin auf einem Teller einen Pokal mit Champagner.

Zugleich wurden vier Gläser gefüllt und den Gefangenen gereicht.

»Ihr hört, Bursche, um was es sich handelt,« sagte der Tribun streng, nach diesen gekehrt. »Ich schenke keinem Rebellen das Leben, aber ich laß Euch einen Ausweg, selbst dem schlechten Zigeuner dort. Nun, Komteß, wenn's gefällig ist, mit uns anzustoßen: ›Es lebe das Haus Österreich‹!«

Als wolle es auf den bittern Hohn antworten, den er seinen unglücklichen Gefangenen anthat, hörte man aus der Ferne ein langgezogenes Hornsignal.

Das Gesicht des Tribun, der das Champagnerglas in der Hand hielt, färbte sich mit Blut.

»Was ist das?«

Wiederum und deutlicher klang das Signal herüber, es konnte kein Zweifel über den militärischen Charakter desselben sein.

» Par Dieu! die Ungarn! Zu den …«

Der Fürst Trubetzkoi wehrte ihm ab. »Keine Übereilung, Excellenz! ich kenne jenes Signal. Es sind nicht die Ungarn, es sind Freunde von uns, es ist eine österreichische Fanfare!« Dann beugte er sich zu ihm vor und raunte ihm zu: »Was Sie noch thun wollen, muß schnell geschehen! ich wette meinen Rang in der Armee, daß es österreichisches Militär ist, das man uns von Carlsburg nachgesandt.«

Der Tribun stieß einen wilden walachischen Schwur aus. »Sie mögen es versuchen, die Fänge des Raben beschneiden zu wollen. Aber Sie haben recht! Thun Sie mir Bescheid, Komteß! Auf das Wohl des österreichischen Kaiserhauses!«

»Niemals!«

»Ich zwinge die Weiber nicht zum Trinken, aber ich hoffe, Ihro Diener werden ein Glas Champagner dem Strick vorziehen! Es lebe der Kaiser! Es lebe Österreich!«

Die Komtesse betrachtete atemlos, mit funkelnden Augen die Männer. »Ihr seid Ungarn!« sagte sie fast tonlos vor Aufregung.

Der Hohn aus dem Gesicht des Tribunen hatte einem finstern Stirnrunzeln Platz gemacht. »Zum letztenmal – wollt Ihr aus das Wohl Österreichs trinken oder nicht?«

Sein drohendes Auge, wie das einer Natter funkelnd, ruhte auf dem falschen Betyár. Der Ärmste, der seine magyarischen Herren oft auf jede mögliche Gesundheit hatte trinken sehen, war unter dem Druck dieses Auges im Begriff, die Worte zu rufen, als der Betyár selbst die Ehre seines Rufes rettete, indem er, wie durch eine zufällige hastige Bewegung, den Zigeuner so heftig anstieß, daß dieser das Glas fallen ließ. Zugleich erklang eine feste und ernste Stimme, die bisher noch nicht gehört worden, in dem männlichen Ruf: » Vivat Hungaria! Eljen Kossuth!«

Es war der verwundete Jäger Bansi, der Diener der Gräfin, ein Magyar mit Leib und Seele, der, sich von dem unterstützenden Arm seiner Gefährten losmachend, das Glas, das man ihm gereicht, erhob und es mit diesem Ruf leerte.

Der Tribun warf das seine zu Boden, daß die Scherben umhersprangen, während die Komteß, unbekümmert um seinen Zorn und jede Gefahr, die sie bedrohte, die Hand emporhob: »Brav, wackerer Bansi! Stirb wie ein Mann! die Unsern werden Dich rächen!«

»Fort mit ihnen! den Strick für die Schurken! Häng' sie an die Kirchthür' auf, den zuerst,« er wies auf den Verwundeten, »und diesen zitternden Kerl mit seiner verdammten Schärpe an den Kranz des Turmes. Er soll nicht sagen, daß der Tribun Janko nicht einem Kollegen Freikapitän besondere Auszeichnung bewiesen! Fort mit ihnen, ehe die österreichischen Maulaffen kommen!«

Die Komteß wollte sich, von ihrer Hochherzigkeit getrieben, schützend vor die Verurteilten werfen, aber einer der walachischen Offiziere zog sie zurück und hielt sie fest; zugleich wurden die Ungarn von den Soldaten fortgestoßen nach der Kirche hin, Szabó, der Henker, schritt ihnen voran.

Wiederum – in einer Pause des dadurch entstandenen Lärmens – konnte man das Schmettern der Fanfare vernehmen, zwar immer noch entfernt, aber doch näher als vorhin.

Der Tribun wies nach der Gegend, woher die Töne kamen. »Reite eine Patrouille dahin und sehe, was es giebt. Laßt die Aussicht frei, Bursche, nach unserm neuen Galgen, damit diese Damen hübsch sehen können!«

Er hatte sich wieder auf seine Kissen zurückgelehnt und schnitt die Schnur einer frischen Champagnerflasche durch.

»Wir wollen den Signalschuß geben, Durchlaucht!« Er ließ den Champagnerpfropfen knallen.

Die Vorbereitungen zu der Hinrichtung waren von dem neuen Henker mit Geschick getroffen worden, von dem Gesims der großen Kirchthür hingen drei Schlingen. Ein Teil der Walachen, und selbst einzelne der hierher geflüchteten Bewohner der Stadt bildeten neugierig um das gräßliche Schauspiel einen Halbkreis, der nach der Gruppe der zechenden Offiziere eine Gasse offen ließ, ein anderer Haufe der Walachen war um die schwere Chatulle der Gräfinnen bemüht, die man von der Brandstätte gerettet, und die eben auf Befehl des Tribun aufgebrochen wurde.

Viele der Soldaten waren auf dem Platz umher zerstreut und beschäftigt, die allgemeine Aufmerksamkeit war zwischen der Hinrichtung der Ungarn und jenen Signalen geteilt, die das Anrücken einer noch unbekannten Schar verkündete. Obschon noch kein Befehl dazu gegeben, begann doch jeder seine Waffen in Bereitschaft zu setzen, selbst die wildesten Plünderer wischten das Blut von ihren Handjars und Säbeln und luden ihre Gewehre.

Der Slowak hatte mit einer Schnur dem verwundeten Ungarn die Hände auf den Rücken gefesselt. Während er damit beschäftigt war, näherte er sich dem Betyár.

» Tót nem ember! Hund von einem Slowaken,« murmelte dieser entrüstet, »ist das der Auftrag, den Du übernommen?«

»Die Hanka ist gekommen aufs neue in ihrem Leichenhemd,« flüsterte der Slowak, »sie hat nicht Ruhe im Grabe so allein! Warum hat sich der König der Pußten von diesen walachischen Hunden fangen lassen?«

» Kutya teremtete! an mir hat's nicht gelegen! wir haben uns gewehrt genug, aber ist jeder ein Narr, der für Weiber in die Schlinge steckt Kopf seinigten. Aus alter Freundschaft, Bursche, mach's rasch mit uns und ohne viel Schmerzen!«

Der Slowak beschäftigte sich eben, auch seine Hände auf dem Rücken zu fesseln.

»Der Slowak hat ein dankbares Herz! Sieht der Rózsa Sándor keinen Freund hier außer ihm?«

»Keinen als den Gott der Ungarn!«

»So möge der Rózsa die Augen aufhalten und die Gelegenheit benutzen. Ich will ihn retten, aber die andern müssen sterben. Die Schnur an Deiner Hand ist so locker, daß Du sie zerreißen kannst!«

Bansi, der Jäger der Gräfin, stand unter der Kirchthür. »Komm' hierher, Henker! ich bin bereit und habe mein Gebet gesprochen!«

Der Slowak war bereits bei ihm. »Hab' ich Dich oft gesehen bei gnädigem Grafen, Bansi, aber kann ich nicht ändern Dein Schicksal!«

Der Jäger starrte ihn zum erstenmal an. »Du bist der Szabó Polkó von des Herrn Gut an der Theiß, den sie genommen unter die Soldaten?«

»Ich bin's!«

»So grüß' die Mutter und Schwester meinigte, wenn Du wieder dahin kommst, und sag', ich wär' gestorben für die Herrschaft und Ungarnland. Die Wund' an Schulter und Kopf macht mich schwach; – eil' Dich, Szabó, damit ich sterb' wie ein Magyar!«

Daß der Slowak den Henkerdienst versah, schien ihn gar nicht zu wundern – der Slowak ist so verachtet, daß er kaum eines Gedankens gewürdigt wird.

Man hatte eine der Leitern herbeigeschleppt, die vorhin zum Sturm auf das Haus gebraucht worden. Der Henker ließ sein Opfer hinauf steigen und legte ihm die Schlinge um den Hals. »Bist Du fertig, Bansi?«

»Ich bin's!«

»So seien die Heiligen Deiner Seele gnädig!«

In diesem Augenblick war's, wo der Champagner-Pfropfen des Tribun knallte.

» Eljen Hungaria!«

Der Slowak stieß den Unglücklichen von der Leiter, dann umklammerte er den schwankenden Körper und hängte sich mit aller Macht daran. Die lange Gestalt des Jägers streckte sich, das Gesicht färbte sich schwarz; als der Slowak zur Erde sprang, war alles vorüber.

Die Straße herauf, vom Carlstädter Thor her, auf demselben Weg, auf dem die Walachen herangerast, schmetterten Trompeten regulärer Kavallerie, sie bliesen den Ragoczy-Marsch, Fähnchen schwankten im Dunkel der Nacht und der unstäten halben Beleuchtung der Feuer.

Der Offizier, den der Tribun den Nahenden entgegen gesandt, kam herbeigaloppiert.

»Deutsche, Excellenz! Schwarzenberg-Ulanen.«

»Sie mögen zum Kehraus willkommen sein, oder vielmehr der Teufel soll sie holen und den, der sie uns auf den Hals schickt. Laßt Euch nicht stören, meine Lämmer – es sind Freunde!« Dann wandte er sich zu seinem Offizier. »Gieb Befehl, daß Deine Dorobanzen sich sammeln, Kalo Johann,« sagte er leise, »und ebenso die Szemerys. Sie sollen sich bereit halten auf den ersten Wink, wir können nicht wissen, was sie wollen!«

Den Schein von Gleichgültigkeit annehmend, füllte er ein frisches Glas und warf einen Blick nach der Kirchthür, wo der Slowak eben die Vorbereitungen zur zweiten Exekution traf. »Der Kerl ist eine Schlafmütze, er soll sich eilen, oder ich lasse ihm die Bastonnade geben!« Dann beobachtete er anscheinend ruhig die anrückenden Truppen.

Während aller Augen sich auf diese zu richten begannen, war der Henker noch einmal hinter den Betyár getreten. »Nimm, Rózsa, die Gelegenheit ist günstig! Wenn ich den andern von der Leiter werfe, versuch' Dein Heil. Szent Katharin möge Dir helfen!«

Er hatte dem alten Schützer und Gefährten sein Messer in die Hand gedrückt, das dieser leicht unter den Falten der zerrissenen Guba verbarg.

»Dank, Szabó! Und Petrike – hast Du ihn nicht erkannt?«

Der Slowak zuckte die Achseln. »Was kommt es auf einen Zigeuner an, wenn nur der Rózsa in Sicherheit ist! Die Hanka muß ihr Teil haben.«

Er war schon bei dem zweiten Verurteilten, Miklos, dem Enyáder Hausdiener der Gräfin, einem bereits ältern Mann, der finster und stumm sein Schicksal erwartete.

»Hierher, Freund!«

Der Ungar schritt trotzig zur Leiter.

In diesem Augenblick kam die Tête der Ulanen-Abteilung, die Trompeter voran, auf den Platz und die halbe Division – denn aus einer solchen, etwa 150 Mann mit den Offizieren, bestand das Detachement – schwenkten auf.

Die dunkelgrüne Czapka, Ulanka und Pantalons mit den scharlachroten Aufschlägen bezeichneten sie in der That als einen Teil des berühmten Regiments Fürst Schwarzenberg, von dem drei Divisionen sich bei der heldenmütigen Verteidigung von Temesvár so glänzend auszeichnen sollten.

Der Rittmeister Baron Wendt hielt vor der Front seiner Escadron, der Tribun und Fürst Trubetzkoi hatten sich erhoben, den unwillkommenen Gästen entgegen zu gehen.

Aller Augen waren auf die Ulanen gerichtet, die in ihrer schönen militärischen Haltung vorteilhaft gegen die wilden ungeschlachten Gestalten der Walachen abstachen, die in großen Haufen sich um ihren Führer zu sammeln begannen und ihre Pferde loskoppelten oder ihre Waffen bereit machten.

Diese günstige Zeit hatte der Betyár benutzt, den Strick von seinen Handgelenken zu streifen. Dann drängte er sich hinter den Zigeuner und schnitt dessen Bande durch.

»Der Szábo ist treu geblieben und will uns helfen,« flüsterte er, »mach's wie ich und nimm den Augenblick wahr!«

»Gott geleite Dich, Rózsa, ich habe keinen Mut! sie würden mich totschlagen, wenn ich eine Bewegung machte, es ist unmöglich!«

Der arme Kerl fürchtete sich vor dem Totschlagen, während ihm doch fünf Minuten nachher der Strick drohte.

»Feigling, siehst Du nicht, daß Augen ihrigte gerichtet sind dorthin!«

Der Slowak stand hinter dem Ungar Miklos aus der verhängnisvollen Leiter. Einen Augenblick wandte er sich um, sein Blick traf den Betyáren, er hob den Finger zum Zeichen, dann warf er sein Opfer wie vorhin von der Leiter, ohne sich um dessen Todeszuckungen weiter zu kümmern.

»Fort! es ist Zeit!«

»Ich kann nicht, Rózsa,« stöhnte der Zigeuner, »was in den Sternen geschrieben ist, wird dem Petrike werden. Der gute Geist meines Volkes möge Dich begleiten!«

Der Betyár begriff, daß er sich nicht länger aufhalten konnte, ohne das eigene Leben zu opfern. Mit einem Fluch zwischen den Zähnen über die Feigheit des Gefährten warf er einen hastigen Blick um sich, aller Aufmerksamkeit war auf den Todeskampf des Unglücklichen oder die Front der Ulanen gerichtet. Dann duckte er sich nieder, das Messer in der Faust, um unbemerkt unter die Menge zu schlüpfen oder mit Gewalt sich Bahn zu brechen.

Aber ehe er dies ausführen, ehe er sich wieder erheben konnte, fühlte er eine schwere Faust auf seiner Schulter.

Der Tribun that einige Schritte gegen die Front der Ulanen, gefolgt von dem Fürsten. Der Rittmeister Baron von Wendt ritt ihm entgegen. Es war eine ernste markige Soldatengestalt.

»Ich freue mich, Kameraden von der kaiserlichen Armee zu begrüßen,« sagte der Tribun verbindlich, »obgleich, wie Sie sehen, Ihre Unterstützung nicht mehr nötig ist. Meine Leute haben dies rebellische Nest besetzt, die Ungarn sind im vollen Rückzug nach Segesvár!«

»So haben wir gehört!«

»Steigen Sie ab, Herr, und lassen Sie Ihre Leute es sich bequem machen. Sie werden Erholung bedürfen wie wir nach dem Marsch! Sie sind uns willkommen, obschon ich nicht weiß, ob der Zufall oder eine Ordre Sie hierher geführt.«

»Meine Eskadron ist hier auf Befehl des Kommandanten der Festung Carlsburg. Ich hatte die Ordre, Euer Excellenz, wenn ich die Ehre habe, den Tribun Janko, den Anführer der walachischen Freikorps, vor mir zu sehen, zu folgen.«

Der Tribun verbeugte sich. »Ich bin allerdings Janko,« sagte er. »Doch, wie Sie sehen können, Herr Kamerad, ist die Sorge Sr. Excellenz des Herrn Kommandanten unnütz gewesen. Wir haben die Ungarn allein geschlagen und vernichtet, und Enyád ist in unsern Händen. Meine Walachen sind etwas wilde Burschen und teilen nicht gern, weder den Sieg noch die Beute.«

»Ich bin auch nur hierher beordert, um Sie nötigenfalls zu unterstützen und die Verbindung mit dem Norden wieder herzustellen. Zu diesem Zweck habe ich Befehl, Enyád mit meinen Leuten zu besetzen.«

Der Walache trat einen Schritt zurück. »Das rebellische Nest gehört augenblicklich den Meinen. Wir werden diesen Vormittag die Stadt räumen, und Sie mögen dann darüber verfügen.«

»Ich erkenne an, daß Euer Excellenz im Besitz der Stadt sind,« sagte der Rittmeister ernst, »und mag einige Ausschweifungen Ihrer Truppen entschuldigen« – er wies nach den Brandstätten – »doch erlaube ich mir, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Enyád als überwiegend kaiserlich gesinnt gilt, und die Einwohner daher billige Schonung finden müssen! Dars ich Sie um Erklärung bitten, was jene Exekution dort bedeutet?«

»Es sind ungar'sche Rebellen, die mit den Waffen in der Hand ergriffen worden sind, Herr,« sagte der Tribun scharf. »Auch muß ich Ihnen bemerken, daß ich nicht gewohnt bin, mir Vorschriften machen oder mich verhören zu lassen!«

Ehe der kaiserliche Offizier antworten konnte, wurde die Gruppe der walachischen Offiziere, die sich hinter dem Tribunen in einiger Entfernung aufgestellt, durchbrochen, und die Komteß Cäcilie, ihre Mutter an der Hand mit sich fortziehend, eilte über den freien Raum der Stelle zu, wo die Unterredung stattfand.

»Wenn Sie ein Mann von Ehre sind,« rief die junge Gräfin, »so nehmen Sie unglückliche Frauen in Ihren Schutz, und machen Sie den Grausamkeiten dieser Ungeheuer ein Ende!«

Der Tribun warf einen finstern, drohenden Blick zurück auf seine Leute, daß man die unwillkommene Zeugin nicht zurückgehalten, dann steckte er den Finger in den Mund und that einen gellenden Pfiff.

Augenblicklich waren die Dorobanzen auf ihren Pferden, die Szemenys ergriffen ihre Gewehre und stellten sich in Reihen.

»Wer sind Sie? über was haben Sie sich zu beklagen, Madame?«

»Ich bin die Gräfin Cäcilie Pálffy, die Tochter des verstorbenen Vice-Präsidenten Grafen Pálffy, und dies ist meine Mutter. Wir sind widerrechtlich hier festgehalten und in unserm Hause angegriffen worden. Man hat meinen Verwandten getötet, man ermordet unsere Diener, die uns verteidigt. Ich fordere Ihren Schutz als Offizier und Edelmann. Retten Sie wenigstens die Unglücklichen, die noch zu retten sind, hindern Sie weiteren Mord!«

Sie wies flehend nach der Kirche, wo eben der arme Miklos sein Leben ausgehaucht.

»Lassen Sie augenblicklich innehalten, Herr,« befahl der Rittmeister streng. »Leutnant Graf Salis, nehmen Sie zehn Mann, und hindern Sie die Exekution!«

»Zurück, Herr! Keinen Schritt! Die Hinrichtung wird auf meinen Befehl an berüchtigten Rebellen vollzogen,« rief der Tribun. »Auf Ihre Gefahr, wenn Sie es wagen, die Gerechtigkeit zu hindern. Der, den ich dort hängen lasse, ist Rózsa Sándor!«

Der Name des kecken Betyáren hatte einen solchen Ruf, daß er den österreichischen Offizieren wohl bekannt war. Baron Wendt blickte fragend auf die Gräfin.

»Ist das wahr?«

Die Komteß, die von dem Fluchtversuch des Freischarenführers nichts wußte, senkte den Kopf. »Es ist so,« sagte sie, »aber ich bitte Sie, zu bedenken, daß er im ehrlichen Kampf sich zum Gefangenen ergeben und also das Recht jedes Soldaten hat!«

»Räuber sind keine Soldaten, Madame! Es ist auffallend genug, Damen Ihres Standes in solcher Gesellschaft zu finden.«

»Sie scheinen die Verhältnisse dieser Damen nicht zu kennen,« unterbrach der Russe, der während des ausbrechenden Streites zwischen dem Tribun und dem österreichischen Offizier ruhig seine Stellung bewahrt. »Erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin der Fürst Trubetzkoi, Generalmajor in Diensten Sr. Majestät des Kaisers Nikolaus.«

Der Rittmeister verbeugte sich höflich. »Mein Name ist Baron von Wendt, Sie sehen meine Charge! Darf ich Sie um weitere Erklärungen bitten?«

»Diese Damen sind Verwandte des Grafen Batthyányi, des Präsidenten der revolutionären Regierung in Pesth, und gehören selbst der extremsten Partei an. Es sind gefährliche Feindinnen Ihres Kaisers, und man hat sie hier gehindert, mit einem gefährlichen Spion Bems, der uns entflohen, in Verbindung zu treten und Gelder für die Insurgenten fortzuschaffen. Sie sind unsere Gefangenen!«

»Nimmermehr!« die Komteß klammerte sich an das Pferd des Offiziers. »Wir sind ungar'sche Frauen und bereit, für die Freiheit unseres Vaterlandes zu leiden und zu sterben, wie unsere Väter und Brüder. Wenn man bei Ihnen auch die Frauen als Feinde betrachtet, nun wohl – dann sind wir Ihre Gefangenen, aber nur die Ihren, führen Sie uns, wohin Sie wollen. Sie werden nicht zugeben, daß Damen in den Händen solcher Ungeheuer bleiben!«

Sie wies nach dem Platz, ein klägliches Wimmern des Leidens und der Schmerzen drang in leisen Tönen herüber.

»Was ist geschehen? was geht dort vor?«

»Überzeugen Sie sich selbst, und helfen Sie, wenn Sie ein menschliches Herz in der Brust haben.«

»Graf Salis, nehmen Sie diese beiden Damen in Ihren Schutz, und lassen Sie die Eskadron sich bereit halten für jede Eventualität. Ich bitte Platz da, meine Herren!«

Der Baron lenkte sein Pferd nach der Gegend, aus der die jammernden Laute herübertönten, und ritt langsam auf die Stelle zu, mitten durch die Walachen, die, auf ihren Führer sehend und ein Zeichen erwartend, einstweilen dem unerschrockenen Mut des Offiziers Raum machten. Der Rittmeister kam bis zu einer jener Gruppen von Verwundeten und Verstümmelten, welche die Grausamkeit der Plünderer hier zusammengeworfen.

Die Unglücklichen, aufs neue für ihr Leben fürchtend, krochen jammernd herbei, umfaßten flehend die Füße seines Pferdes und seine Kniee und baten um Schonung und Hilfe. Der Anblick war jammervoll, blutende Frauen und Mädchen, kaum noch mit Fetzen von Kleidungsstücken bedeckt. Gestalten, die sich mit den im blutigen Übermut zerschnittenen Sehnen nicht erheben konnten und sich in ihren Schmerzen wanden, die Leiche des Mannes, der sein Kind verteidigt hatte – selbst ein an die Schrecknisse des Bürgerkrieges gewöhntes Herz mußte der Jammer aufs tiefste ergreifen.

Der Rittmeister machte sich mit Mühe los von den Unglücklichen und ritt zurück auf den Tribunen zu, der ihn festen Fußes mit finsterer Stirn und verschränkten Armen erwartete.

»Was ist hier geschehen? Welche nichtswürdigen Grausamkeiten sind hier verübt worden? Ich fordere Rechenschaft von Ihnen!«

»Wägen Sie Ihre Worte, Herr!« erwiderte der Walache hochmütig. »Der Tribun Janko steht nicht unter österreichischer Vormundschaft, sondern ist ein Verbündeter Ihrer Armee! Meine Leute haben die Ungarn geschlagen, während die Herren Österreicher sicher und bequem zwischen den schützenden Mauern blieben, und sich dann etwas lustig gemacht in der eroberten Stadt. Nennen Sie es meinetwegen Plündern, es kommt mir auf den Ausdruck nicht an, Ihre Soldaten würden es schwerlich besser machen in einer ungarischen Stadt!«

»Aber diese Grausamkeiten gehen zu weit, es sind Freunde der kaiserlichen Sache …«

»Nicht die unsern! der Walache will wissen, für was er Ihre Sache unterstützt. Wenn das der Dank ist, den der Kaiser seinen Bundesgenossen zollt, so werden wir uns zurückziehen. In fünf oder sechs Stunden, wenn meine Pferde und Leute sich ausgeruht, werden wir Enyád verlassen und in unser Land zurückkehren. Bis dahin mögen Sie thun, was Ihnen beliebt, aber ich warne Sie vor jedem Eingriff in unsere Rechte; denn ich würde ihn mit den Waffen zurückweisen, und wir sind Ihnen um das Zehnfache überlegen! Mort de ma vie! ich will mich in meinem Vergnügen nicht stören lassen. Das Klügste ist, Sie gönnen Ihren Burschen gleichfalls eine kleine Erholung und sind mit Ihren Offizieren für diese Nacht meine Gäste!«

Der Rittmeister biß die Zähne zusammen. »Auch ich warne Sie, Herr, diese Scene nicht weiter zu treiben! Was geschehen ist, kann ich leider nicht ändern, aber ich fordere, daß Sie der Plünderung ein Ende machen, oder bei meiner Ehre, machen sich Ihre Räuber noch einer solchen unnützen Grausamkeit schuldig, so lasse ich Feuer auf sie geben, es entstehe daraus, was da wolle!« Er wandte ihm verächtlich den Rücken. »Der erste und zweite Zug abgesessen!«

Die Hälfte der Eskadron rasselte aus dem Sattel.

»Meine Herren,« sagte der brave Offizier, dessen Instruktionen ihm möglichste Vermeidung jedes Konflikts mit den wilden Bundesgenossen geboten, und der überdies einsah, daß er mit seiner geringen Macht bei einem Kampf unterliegen müsse, »betrachten Sie sich als vor dem Feind stehend. Die Eskadron biwakiert auf der Stelle, wo sie sich befindet. Die Hälfte der Mannschaft bleibt zum Wachtdienst bereit – Leutnant Wodzinski, stellen Sie vierfache Posten an alle Straßenausgänge auf den Platz, die Pistole in der Hand. Herr von Gemmingen, Sie sorgen, daß Fourage und Speise hierher geschafft wird. Erlauben sich jene Burschen nochmals, das Leben eines Einwohners zu gefährden, dann sofort Meldung zu mir. Sonst jeder Konflikt vermieden. Schärfen Sie den Mannschaften ein, daß sie mit Räubern nichts gemein haben. Lassen Sie den Feldscher zusehen, was für jene Unglücklichen geschehen kann und stellen Sie Wachen zu ihrem Schutze aus!«

Die Gräfinnen hatten sich ihm wieder genähert, die Energie und das Gebühren des Offiziers flößten Mutter und Tochter Vertrauen und Hoffnung ein.

»Sie sind ein braver Mann, Herr,« bat die Komteß. »Vollenden Sie Ihr Werk, retten Sie wenigstens, was von den Unglücklichen noch zu retten ist.« Sie wies nach der Kirche.

Auf den Schwingen der scheidenden Nacht schwebten von dort her seltsame, zu den Herzen dringende Töne; sie gestalteten sich zu Melodieen, zu dem lieblichen Liede

» Virágos a mezö, a mikor kaszálják«,
»Blumig ist das Feld, wenn es gemäht wird!«

Der Offizier sah dahin, im Dämmerschein der brennenden Feuer erkannte man auf der Ballustrade des Turmes zwei dunkle Gestalten, den Henker und sein Opfer!

Aus den Polstern des Wagens, in dem sie bisher ihr Lager genommen, erhob sich die kleine Gestalt der Zigeunerin, sie warf den Mantel zurück …

»Es ist unmöglich, meine Gnädige,« sagte der Offizier kalt. »Jener Räuber empfängt sein verdientes Schicksal; wenn der Tribun Janko ihn nicht hängen ließe, müßte ich es selbst thun. Was Sie betrifft, meine Damen, so bin ich allerdings gezwungen, Sie als Gefangene anzusehen, bis über Sie entschieden ist. Sie müssen die Güte haben, uns nach Temesvár zu begleiten, wohin ich von hier zu meinem Regiment gehe, doch wird Sorge getragen werden für Ihren Schutz und Ihre Bequemlichkeit, und ich habe bereits Ordre gegeben, zwei Zimmer in einem der nächsten Häuser für Sie in Bereitschaft zu setzen.« – – – – – – – – – – – – – –

Der Betyár hatte sein Messer fest gefaßt zum gewaltigen Stoß gegen den plötzlichen Angreifer.

» Dur!« flüsterte eine Stimme hinter ihm. »Siehst Du nicht, daß ich Dir helfen will? Allah rasi sana, daß Selim seine Schuld lösen kann!«

Der Betyár fühlte einen Mantel um seine Schulter geworfen, es war der weite, weiße Mantel der walachischen Reiter, zugleich die flache Mütze derselben an die Stelle des flachen Hutes gedrückt. Die breite Gestalt eines Slugitor drängte sich vor ihn und verbarg ihn.

»Vorsichtig! Folge mir!«

Erst langsam, dann rascher schritt der Walache mit ihm durch die drängende, noch immer von dem Anblick der Österreicher und der Hinrichtung Miklos' gefesselte Menge, bis sie außerhalb des Kreises und jeden Lichtscheins waren.

Mit rascher Hand hatte der Walache eines der dort zusammen gekoppelten Pferde losgemacht und ihm die Zügel übergeworfen. »Nimm, Bruder, und gedenke, daß die Männer, die zu dem Propheten beten, tapfere Feinde im Kampf, aber bessere Freunde denen sind, die ihnen wohlgethan, als die Männer des weißen Christ!«

Der Betyár hatte, erstaunt über die unerwartete Hilfe, wo er nur auf die eigene Kraft und Schlauheit zählen zu können glaubte, fast willenlos alles mit sich thun lassen.

» Baszom a lelkedet! Bist Du nicht der Bursche, dem ich vorhin die Kehle abschneiden wollte?«

»Ich bin's! Du hast Selim aus dem Feuer gerettet, und seine Augen waren offen. Ich erkannte Dich trotz Deiner Verkleidung. Es ist das Kismet Deines Freundes, gehängt zu werden, und das Deine zu leben. Nimm diese Pistole und diesen Beutel mit Kugeln und laß uns gehen.«

Der Walache hatte ein zweites Pferd für sich genommen; ohne sich mit weiteren Redensarten aufzuhalten, galoppierten sie die Straße entlang; erst außerhalb der Stadt verließ der Anhänger des Propheten den geretteten Feind. – –

Der Rózsa war kaum mit seinem unerwarteten Freunde verschwunden, als der Offizier des Tribunen an der Kirchthür erschien, um den Slowaken anzutreiben, die Exekution zu beschleunigen.

Erst jetzt sah man sich nach den beiden anderen Delinquenten um und entdeckte die Flucht des einen. Der Offizier fluchte lästerlich, aber da man dem Slowaken unmöglich die Schuld der Nichtbewachung aufbürden konnte, und da überdies der Entflohene anscheinend die untergeordnetste Person, ein lumpiger Zigeuner, der gefürchtete Betyár in der Person Petrikes aber noch zur Stelle war, beruhigte er sich bald wieder und trieb den Henker nur an, so rasch als möglich den Befehl an diesem zu voll ziehen.

Obschon sein furchtsames Herz vor den Schrecken des Todes erbebte, ergab sich der arme Zigeuner doch mit Hochherzigkeit in die Folgen seiner Aufopferung. Was hätte ihm auch jetzt ein Geständnis genützt, seine Strafe vielleicht nur verschärft.

Szabó, der Henker, von dem Wink des Offiziers getrieben, trat zu dem Zigeuner. »Komm!« Dienstwillige Hände öffneten die Thür des niederen Turms, der Zigeuner schlich die Stufen hinauf, hinter ihm der Slowak mit dem Strick, die Walachen drängten am Eingang, jetzt eifrig bemüht, jede Flucht zu verhindern.

Der kurze Weg wurde dem Armen sicher zur langen Marterstraße. Als sie auf die Galerie des Turmes hinaustraten, lag unter ihnen der Platz mit seinen wirren, schrecklichen Scenen, dort stritt der Tribun mit dem österreichischen Offizier, da in jenem Wege saß sein einziges Kind, und droben über ihnen allen wölbte sich der mächtige Sternenhimmel mit seinen glänzenden Augen, die nach dem Glauben seines Volkes die Geschicke der Menschen bewachen und seit Ewigkeiten voraus bestimmt haben.

Der Slowak befestigte seinen Strick an der Balustrade des Rundgangs. »Thut es mir leid, Petrike, daß Du sterben mußt,« sagte er freundlich, »aber kann ich nicht retten Dein Leben. Der Betyár ist glücklich entkommen, und sein Weib wird sicher beten für die Seele Deinigte.«

»So meinst Du, daß der Rózsa sich gerettet?«

»Gewiß! Hätten sie ihn sonst nicht zurückgebracht? Er ist schlau und tapfer genug.«

»Er wird dem Ungarland besser dienen, als ich,« sagte der Arme, »was konnte ich thun, der Petrike ist ein armer Zigeuner und verachtet wie ein Hund, obgleich er ein Herz hat, wie die andern, die der große Geist erschaffen. Ob die Vornehmen Wohl daran denken werden, daß der arme Zigeuner ihnen einen Tapfern wie den Rózsa Sándor gerettet hat?«

»Unsinn, Petrike! den Rózsa rettete seine Schlauheit und mein Zögern. Kann ich etwas thun für Dich, Schwarzer, denn wir waren oft zusammen auf der Pußta?«

»Binde mir die Hände los, Freund Szabó.«

Der Slowake löste die wieder geknüpften Fesseln. »Du thust Unrecht mit dem Verlangen, Petrike, es wird Deinen Todeskampf verlängern!«

Der Zigeuner, ohne zu antworten, griff in die innere Tasche des Szür und holte seine geliebte Hußt, die kleine Zigeunerfiedel heraus. Nicht bei dem rasenden Ritt nach der Stadt, um seine Gebieterin zu retten, nicht als er zwischen den züngelnden Flammen die Kleider mit dem Betyáren tauschte, hatte er das Instrument vergessen, das so oft sein einziger Freund gewesen war.

»Ich spielte es, Szabó,« sagte er entschuldigend, »als sie Dich unter die Soldaten warben, an jenem Tag, als der böse Wolf die Hanka zerriß! Es sind viel schlimme Tage seitdem über das Ungarland gekommen, Szabó!«

Der Slowak starrte vor sich hin – die finstern Geister bemächtigten sich wieder seiner Seele, das blutige Bild seines Mädchens stieg vor ihm auf.

»Dein Gott, Szabó, lehrt, daß Du sie wiedersehen, wirst, wenn auch Du gestorben bist, vielleicht dort auf dem blinkenden Stern, der über Deinem Haupte steht. Sei nicht so finster, Szabó, Dein Mädchen ist bei Deinem Gott! Aber die Seelen des Mellelitschel Das schwarze Volk – die ursprüngliche und eigene Benennung der Zigeuner. lösen sich auf in das All. Die Zingani bleiben nicht Rom und Romni, In der Zigeunersprache: Mann und Frau. der große Geist hat bestimmt, daß sie in das Nichts zerfließen, aus dem sie gekommen!«

»Die Hanka muß Gesellschaft haben in ihrem einsamen Grabe,« sagte der Slowak finster, »ich kann Dir nicht helfen, Petrike.«

»Einen Augenblick noch, Du wirst die Hanka wiedersehen, aber das ungetreue Kind meines Herzens dort drüben wird nie mehr das Auge ihres Erzeugers erblicken. Laß mich noch einmal dahinsehen, Szabó, und ich will Dir den Tanz spielen, den ich zu Deinem Hochzeitstage erdacht hatte.«

»Siehst Du! sie winken herauf, und dort steht die Hanka und wartet! Es ist schade, daß Du mit dem Strick sterben mußt, und nicht mit Blut, wie sie!«

Ein unheimlich Feuer der Mordlust glühte aus seinen düstern Augen.

Der Zigeuner hatte sich selbst die Schlinge um den Hals gelegt. »Laß mich mit der Hußta in der Hand sterben,« bat er resigniert, »es war die einzige treue Freundin, die ich hatte, außer der Mumeli-Swa und meinem toten Weib. Azräel möge dafür einst sanft an Deiner; Seite stehen!«

»So spute Dich!«

Der Verurteilte ergriff seine Fiedel und strich mit dem Bogen darüber, eine leichte, luftige Tanzmelodie, den Mohntanz, wie er bei den Hochzeiten üblich ist, der das Säen, Jäten, Einsammeln, Stoßen und Essen des Mohns nachahmen soll, aber er ging bald in eine andere Melodie über – –

Der Zigeuner war ein Meister auf seinem unvollkommenen Instrument. Unwillkürlich, von wirren Gedanken getragen lauschte sein Henker auf die Töne, die zwischen dem wirren Geräusch der Krieger gleich heiligen Schatten durch die Luft schwammen.

Virágos a mezö, a mikor kaszálják!

Das Zigeunermädchen, das auf ihren Wagenkissen mit einem boshaften Genuß all die Scenen und Wirren der Nacht hatte an sich vorübergehen lassen und jetzt mit Koketterie das Thun der meist jungen, stattlichen Ulanen-Offiziere belauerte, war plötzlich emporgeschreckt, ihr scharfes Ohr lauschte durch die Nacht.

Dann versuchte sie vergeblich sich davon weg und ihre Gedanken wieder den schlanken Gestalten der Offiziere in der knappen Ulanka, dem Schicksal der Gräfinnen, oder dem Bachanal des Tribunen und ihres Beschützers zuzuwenden.

Virágos a mezö, a mikor kaszálják!

Der Mantel flog von ihrer Schulter, mit einem Sprunge war sie aus dem Wagen, mit einem zweiten an der Seite des Russen.

» Otschen charoscho … Das ist schön von Dir, daß Du zu uns kommst, bessere Gesellschaft als die schwarzgelben Affen dort! Auf Dein Wohl, Goldkind!«

Sie stieß den Champagner zurück. »Wer spielt die Hußt dort auf dem Turm?«

»Was weiß ich? Willst Du uns tanzen dazu, bei Gott, dann soll der Kerl noch eine Stunde spielen, bis er gehängt wird! Es ist der Sándor, der Betyár!«

»Das ist der Rózsa Sándor nicht, seine Hand weiß nur mit der Flinte Bescheid, nicht mit dem Bogen!«

» K tschortu! Er ist's, Du hast ihn selbst gesehen vorhin! Wer sollte es sonst sein!«

Die verwöhnte Maitresse hatte den Gefangenen vorhin kaum einen Blick geschenkt und sich nur mit der Demütigung der stolzen Gräfinnen, ihrer früheren Herrinnen beschäftigt. Ohnehin stand ihr Wagen etwas entfernt von der Stelle, wo jene zurückgeblieben waren und ihr Urteil empfingen.

»Setz' Dich zu uns und nimm das Glas!«

»Das ist der Sándor nicht,« wiederholte die Zigeunerin, »ich kenne den Ton, das ist die Hußt …«

»Zum Teufel wessen? Du bist wahnsinnig, Dirne, die Zigeunerideen stecken Dir noch immer im Kopf! Setz' Dich hierher, ich befehle Dir's! Sei vernünftig, Du sollst das schönste Seidenkleid haben, was in Bukarest aufzutreiben ist!«

Virágos a mezö …

»Halt ein! halt ein! Das ist mein Vater!« Mit einem Sprung war sie mitten durch die zechende Gesellschaft hindurch, einen Augenblick hatte das Kindesgefühl doch in dieser wilden, von hundert Ränken und egoistischen Leidenschaften verdorbenen Natur gesiegt.

Der Offizier am Turm hatte schon zum drittenmal ungeduldig das Zeichen wiederholt. »Hund von einem Slowaken, wirst Du ein End' machen? hinauf mit Euch und hängt ihn selbst!«

Der Bräutigam Hankas, des Vampyrs fuhr aus seinem Sinnen empor, sein rollendes Auge suchte umher, er stürzte vor –

Virágos a …

Über die Steinbalustrade hinweg fiel eine dunkle Gestalt, kein Sturz auf den Boden, an dem knirschenden, dehnenden Strick schwankte sie zuckend hin und her, die Hände griffen verzweifelnd durch die Luft …

»Auf gute Fahrt zur Hölle, Kamerad Freikapitän!« der Champagner sprudelt in die Gläser, ein wildes Triumphgeschrei der Reiter und Szemenys erhob sich ringsum.

Dicht vor der Zigeunerdirne in dem Pariser Modeputz stürzte eine wertlose Fiedel nieder und zerschmetterte auf den Steinen mit leisem Wehklagen der springenden Saiten in hundert Scherben! …

Nicht auf dem Schlachtfeld allein stirbt man den Tod fürs Vaterland!


In dem Augenblick, da der Tribun mit seiner Horde, der russische Fürst mit seinen Begleitern die Csárda auf dem Wege nach Enyád verlassen, und der Kapitän der Pandurenabteilung, die dem walachischen Freischarenzug diesseits der Siebenbürgener Grenze sich angeschlossen hatte, von der Csárda Besitz genommen, um die Szemenys zu erwarten, saß der Panduren-Hauptmann auf der Schwelle und stopfte seinen Schibuk.

Der Slowak schritt langsam und bedächtig auf ihn zu.

Er war sicher, nicht erkannt zu werden, er wußte wohl, welche schreckliche Spuren die letzte Zeit auf sein Gesicht gegraben. Der breite herabfallende Rand des Slowakenhutes beschattete ohnedies mehr als zur Hälfte seine Züge.

»Hat Euer Gnaden gehört, was der fremde Magnat für den Fang des flüchtigen Magyaren geboten hat?«

Hauptmann Jurisch nahm den Bernsteinknopf des Schibuk aus seinem Mund. »Gewiß, Bursche, hab' ich's gehört und dachte eben daran. Tausend Stück Dukaten – bei der Mutter Gottes von Agram, sie könnten einem armen Kerl, wie ich es bin, gut thun und ihm zu einem ruhigen Alter in seiner Heimat verhelfen!«

»Der Herr gnädige Offizier kann sie verdienen, wenn er mir eine gute Belohnung geben will,« sagte lauernd der Slowak.

Der Pandur richtete sein häßliches Auge auf ihn. »Unsinn, Mensch, der Graf Batthyányi ist längst auf und davon auf dem Weg nach Mediasch und selbst für das schnellste Pferd nicht mehr einzuholen.«

»Der gnädige Offizier irrt sich. Der Graf gnädiger kann nicht über eine halbe Stunde von hier sein. Ich kann es bei meinem Kopfe schwören!«

Der habsüchtige Offizier erhob sich ziemlich hastig. »Wer bist Du eigentlich. Bursch', Du kommst mir nicht ganz unbekannt vor; woher willst Du das wissen?«

»Ich war ein armer Béres und Soldat, gnädiger Offizier, ehe der Herr General Excellenz mich zum Profoß gemacht,« antwortete der Slowak dreist, »und bin aus der Gegend zu Hause. Der gnädige Herr werden niemals von dem Horsi Szabó gehört haben. Aber ich stand hier an der Mauer der Csárda, als die hochgeborenen Soldaten kamen und mit den magyarischen Soldaten fochten und habe gehört, was diese von ihrer Flucht sprachen.«

»Komm hierher, Horsi Szabó,« sagte der Hauptmann freundlich und führte ihn einige Schritte weiter ab von den Gruppen seiner Leute. »Nun rede, guter Bursch', was hast Du gehört?«

Der Slowak schüttelte vorsichtig den Kopf. »Wenn ich es dem gnädigen Offizier sage, ist es kein Geheimnis mehr. Er schickt seine Reiter und läßt die beiden Magnaten festnehmen, und der Horsi kann sich den Mund wischen.«

»Also sind's zwei? Bei meiner Seele, Horsi, ich werde nicht so undankbar sein, Dich zu vergessen, wenn Du mir dazu hilfst!«

Der Slowak blieb bei seinem Mißtrauen. »Wir hätten so gut die Sache allein abmachen und das Geld teilen können, wenn der gnädige Offizier es gewollt.«

»Freilich will ich, wird der Jurisch doch kein solcher Narr sein, ohne Not mit den Schuften da zu teilen!«

»Ich hab' Vertrauen zu dem gnädigen Herrn Offizier,« sagte der neubestellte Henker, »und will ihm mitteilen, was ich weiß. Es war ein schwer verwundeter Herr bei den dreien!«

»So hab' ich gehört!«

»Die Zigeuner haben ihn fortgebracht in einen Versteck. Ich kenne ihn. Dahin hat sich auch der Magnat begeben auf seiner Flucht!«

»Warum?«

»Die Pferde sind müd' zum Verenden, sie können keinen Nachtritt aushalten durch das Gebirge. Überdies ist die Straße nicht zu passieren. Eine halbe Meile von hier ist die Brücke über die Küküllö abgebrochen, die Schlucht ist bei Nacht nicht zu durchreiten, darum soll der gnädige Magnat in dem Versteck bleiben und sich und das Pferd ausruhen, bis die Sonne kommt.«

»Aber werden wir ihrer Meister werden, wenn die Zigeuner ihnen beistehen?«

»Ist sich nichts von den Zigeunern da, als ein blutjunger Bursch. Die Zingani sind klug genug, so gefährliche Gäste nicht zu nehmen in das Lager ihrigtes. Wir werden sie finden in tiefem Schlaf.«

Der Hauptmann überlegte noch eine Zeit, aber das Anerbieten schien ihm zu verlockend, die Treue des freiwillig sich Erbietenden unzweifelhaft. Er überlegte bereits, wie er diesen mit leichter Mühe um seinen Anteil bringen wolle und lachte sich ins Fäustchen.

»Nun höre, Horsi Szabó, ich will Dir folgen, aber wehe Dir, wenn Du mich belogen hast. Bist Du bewaffnet?«

Der angebliche Béres wies auf das Eisen, das er in seinem Strickgürtel trug. »Hat schon ein anderer dran glauben müssen, als die da.«

»Wir müssen sie lebend haben, wenn's geht. Nimm Stricke mit, guter Bursch'.«

»Der gnäd'ge Herr hat mich doch gemacht zum Henker, ich werde doch haben, was meines Amtes ist.«

Der Pandurenhauptmann sah den tückischen Blick nicht, mit dem er ihm die Stricke zeigte. Er hätte sonst gewiß gezögert, ihm zu folgen, trotz der tausend Dukaten.

»Gnädiger Herr Excellenz,« fuhr der Slowak fort, »haben befohlen, zu geben dem Horsi Szabó Mantel und Hut. Es wird gut sein, wenn er aussieht wie ein Pandur.«

Der Hauptmann konnte den Befehl nicht umgehen. Nach einigen Verhandlungen erhielt der Slowak die beiden Kleidungsstücke. Der habsüchtige Offizier erteilte seinen Leuten einige Instruktionen, und dann verließen beide die Csárda, Szabó nur mit einem Knüttel und seinem Spießeisen versehen, der Hauptmann mit Flinte und Pistolen, wie zur Jagd oder zum Kampf bewaffnet.

Der Slowak kannte die Gegend, in der er sich bereits mehrere Tage umhergetrieben hatte, ganz genau. Wo der Weg nach Mediasch von dem nach Enyád sich abzweigt, folgte er dem ersten und schritt auf diesem rüstig vorwärts, seinem Begleiter empfehlend, möglichst wenig zu sprechen und überhaupt kein Geräusch zu machen.

Die Gegend, der Weg führte in die Berge hinein, wurde immer wilder und beschwerlicher. Endlich blieb der Slowak stehen und schien sich zu orientieren.

Der Pandur drängte sich mit einigen halb unterdrückten grimmigen Flüchen an ihn. »Es ist schlimm hier in der Nacht,« sagte er, »ich dächte, wir warteten bis zum Morgen, oder holten noch einige von meinen Leuten.«

»Will der gnädige Offizier sich selbst um die blanken Dukaten bringen, wo er so nahe ist, oder hat er Furcht?«

»Furcht? Es ist gut, daß wir Freunde sind, sonst würde ich Deinem Schädel die Antwort einklopfen. Der Jurisch fürchtet den Teufel nicht.«

»Wir wollen seh'n!« murmelte der Slowak.

»Bist Du auch Deiner Sache sicher, weißt Du den Platz genau in dieser Dunkelheit?«

»Der gnädige Offizier wird sich überzeugen. Er möge schweigen und mir folgen, denn wir haben nicht lange mehr zu gehen, aber wir verlassen den Weg.«

Der Führer wandte sich in eine Schlucht zur Seite, deren hohe Wände nur durch dunklere Massen von dem Wolkenhimmel abstachen. Der Sternenschimmer war ihr einziges Licht. So tappten sie ihren Weg fort, der über Wurzeln und Steingeröll bald in die Höhe stieg und keine Spur menschlicher Bahnung mehr zeigte. Zehnmal stolperte und fiel der Pandur über Felsblöcke oder zerriß an den Dornen und Sträuchern Gesicht und Hände, ohne seinem Unmut Luft machen zu dürfen. Dicht neben ihnen in der Tiefe hörte er das Rauschen eines wilden Gebirgsbaches, und er fühlte, daß jeder unvorsichtige Schritt ihm das Leben kosten könne.

Endlich blieb er keuchend stehen; obschon die Luft kalt und scharf hier oben strich, lief ihm der Schweiß in Strömen vom Gesicht.

»Der Teufel fresse die Eingeweide Deiner Mutter, verdammter Kerl,« stöhnte er. »Das verfluchte Gewehr hindert mich bei jedem Schritt, und ich kann nicht weiter.«

»Dann gebt es mir und schweigt. Wir haben kaum noch fünfhundert Schritt bis zur Stelle.«

Der Pandur reichte ihm die lange Flinte und gab nach kurzem Verschnaufen das Zeichen, vorwärts zu gehen. Je näher man dem Ziele kam, desto elastischer, sicherer schien der Schritt des Slowaken zu werden. Er wandte den Kopf oft zur Seite, als sehe er Gestalten dort, und murmelte unverständliche leise Worte gleich einer Unterhaltung mit unheimlichen Begleitern, von denen er nur selbst wußte.

Bei dem geringen Licht der Sterne ließ sich erkennen, daß sie jetzt auf der öden und ziemlich engen Fläche eines Bergzuges waren. Riesige Felsblöcke lagen umher, zwischen denen hohe Tannen emporschossen, dahinter hob es sich schwarz empor wie eine mächtige Felswand. Noch wenige Schritte, und sie befanden sich in völliger Dunkelheit.

»Wir sind zur Stelle; rührt Euch nicht, gnädiger Offizier, bis ich zurückkehre,« flüsterte der Slowak, »ich will sehen, ob sie schlafen.«

»Gieb meine Büchse her!«

Aber der Führer war bereits verschwunden, kein Laut war von ihm zu hören.

Der Pandurenhauptmann blieb auf dem Platze stehen, er lockerte die Pistolen in seinem Gürtel, aber ein unheimlich Grauen durchschauerte ihn doch, und der Aberglaube, der den slavischen Rassen besonders eigen ist, begann fast die Gier nach der goldenen Belohnung zu überwinden und bevölkerte die unheimliche Stätte mit all jenen Schreckgestalten, die die Sagen und Erzählungen seines Volkes bei Nacht an solche Orte verpflanzen.

Es vergingen mehrere Minuten, nichts regte sich um ihn her, kein Laut, doch halt, ein leiser, bellender Ton –

Plötzlich erhielt er von hinten einen Schlag auf den Kopf, daß er der Länge nach zu Boden stürzte.

Als der Hauptmann Jurisch nach kurzer Zeit von der Betäubung des Schlages wieder erwachte, fehlte ihm der Gebrauch seiner Glieder, er war an Händen und Füßen gebunden und in sitzender Stellung an den Stamm einer Tanne geschnürt. Im Schein eines brennenden Harzspans sah er sich gegenüber seinen Begleiter an der Felswand lehnen, auf seinen Knotenstock gestützt und mit unheimlichen Blicken ihn betrachtend. Dicht neben ihm öffnete sich eine gähnende Mündung und aus ihrem dunklen Schlund funkelten grünlich zwei kleine Augenpaare nicht weniger unheimlich, als die Augen des Slowaken.

Dieser hatte den großen beschattenden Hut abgeworfen. Der Nachtwind trieb das schwarze wirre Haar von der braunen Stirn zurück, wieder, aber diesmal gewaltiger, deutlicher überkam es den Pandurenhauptmann, als sei ihm dies Gesicht nicht unbekannt. »Verflucht seist Du, Sohn des Teufels, das ist der Slowak von der Theiß!«

Er trat auf ihn zu, der flackernde Schein der Kienfackel warf grelle Lichter auf das zuckende Antlitz.

»Kennst Du mich jetzt!«

»Sohn einer Hündin! nichtswürdiger Slowak! was unterstehst Du Dich? Im Augenblick binde die Stricke los, oder ich lasse Dich in Stücke reißen!«

Der Slowak lachte hämisch auf. »Nix so eilig, Hauptmann Jurisch, der Polkó Szabó fürchtet sich nix; die Heiligen, die für den armen Slowaken beten wie für den reichen Magnaten, haben gegeben den Henker der armen Hanka in Hände meinigte, und der Szabó will sein Meisterstück machen in dieser Nacht!«

»Was willst Du thun? ich will Dir alles verzeihen, auch Deinen Verrat,« schrie der Panduren-Offizier, dessen Haar sich zu sträuben begann. Er erkannte, daß er machtlos in die Hand eines Todfeindes gefallen, und er selbst hätte nach den wilden Sitten seines Volkes viel zu wenig daran gedacht, einen solchen zu schonen, als daß er jetzt Schonung erwartet hätte.

Der Slowak, ohne ein Wort zu erwidern, ersetzte den brennenden Fichtenspan durch einen neuen. Dann wandte er sich zu seinem Gefangenen.

»Gedenkt der rote Pandur noch der Hochzeitnacht, die der arme Slowak in seinem Hause gefeiert?«

Der Gefesselte antwortete nur mit einem wilden Fluch. »Laß mich los, thörichter Bursch', und ich will Dir Gold geben – fünf – zehn Dukaten!«

»Hat sich doch gewechselt das Glück, der arme Slowak ist diesmal der Staregessy und der rote Panduren-Herr der Bräutigam. Aber weiß der rote Pandur, welche Braut er umarmen wird auf seinem Lager?«

»Hund von einem Knecht!«

»Der Szabó Slowak ist ein großer Wolfjäger. Wer seine Kinder, die Wölfe, verachtet, ist sein Feind. Der vornehme Graf in Wien hat's erfahren zu seinem Schaden. Schau her!«

Er trat zu der Felsspalte und griff hinein. Ein kurzes, bellendes Kreischen erfolgte. Das Geschöpf, das seine Faust herauszog und vor die Füße des Gefesselten warf, war ein junger Wolf.

Noch begriff der Gefangene nicht, was sein Feind mit diesem Intermezzo beabsichtigte, aber unwillkürlich durchlief ein Schauder sein Gebein.

»Bring' die Bestie fort, sie wird mich beißen!« Er zog die gefesselten Füße, so gut es ging, angstvoll zurück.

Der Slowak lachte. »Ist sich nix Kapitän Jurisch, ist sich ein unschuldiges kleines Tier. Aber der große Pandur will es nicht lassen am Leben, und der Szabó ist sein Knecht.«

Er ergriff das bellende, schreiende Tier, das mit dem Instinkt seiner Natur schon nach ihm schnappte, und stieß ihm das Spießeisen aus seinem Gürtel durch die Kehle, dann schleuderte er den zuckenden Körper weit hin zwischen die Bäume und Felsblöcke.

Der Gefangene schöpfte neue Hoffnung. »Mach' mich los, guter Szabó,« bat er. »Wir wollen vergessen, was geschehen ist, eine Dirne kriegst Du überall wieder, und Dankbarkeit meine soll groß sein.«

»Ist sich noch nicht genug an dem einen, könnte der andere auch noch beißen so werten Freund!«

Wiederum griff seine Hand in den Felsspalt und zog den Gefährten des jungen Wolfes heraus. Ein Stich durch die Kehle, dann warf er das Tier dicht vor die Füße des Gebundenen.

Diesem begann es unheimlich zu werden, das Thun des Slowaken mußte einen Zweck haben, da alles so ruhig, so wohlüberlegt geschah, und er doch keine Anstalten machte, ihn loszubinden.

Er steigerte deshalb sein Gebot. »Du sollst haben zwanzig Dukaten, braver Szabó, zwanzig blanke Dukaten, bei meinem Schutzheiligen schwöre ich's Dir! aber laß mich los jetzt, es ist Zeit!«

Der Slowak hatte sich auf die Erde gesetzt, dicht vor ihn, so daß er jeden Zug seines Gesichts mit der schrecklichen Wollust der Rache studieren konnte.

»Hauptmann Jurisch ist ein eiliger Bräutigam, kann nicht erwarten die Zeit, bis die Braut ins Bett steigt und muß sich doch gedulden die Nacht. Aber der rote Pandur weiß, wie es thut, die Liebste im Arm haben; ist doch die Spur ihrer Küsse noch auf seinem Gesicht!«

Der Gefesselte blickte ihn grimmig an. »Hund von einem Slowaken, willst Du mich höhnen dazu? Wem verdanke ich diese Narben anders, als Dir?«

»Hui, wie der Bräutigam stöhnt in all der Lust in den Armen der Braut! Was windet sich die Hanka und schreit, das dumme Mensch? Hat nicht der rote Pandur sein Recht? Dem Polkó Szabó ist besondere Gnade geschehen, er kann zuschauen bei der Tafel des Herrn, und neben ihm liegt der Wolf, sein Hochzeitsgeschenk. Der Szabó ist ein großer Wolfsjäger, aber der Jurisch jagt die Weiber!«

Der Gefangene wand sich vergeblich die Stricke zu sprengen, die ihn hielten.

Die unheimlichen Augen des Slowaken starrten in das nächtliche Dunkel. »Siehst Du die Hanka dort, so weiß und rot, Freund Jurisch?«

»Zur Hölle mit Dir!«

»Du weißt, die Hanka ist ein Vampyr geworden, oder weißt Du's nicht? Wenn der Mond aufgeht, steigt sie aus ihrem Grabe und legt sich zum Szabó und zeigt die weißen Zähne und bittet um Leichen, daß sie nicht so allein zu sein braucht in ihrem Grabe. Hussah! freu' Dich, Jurisch! der rote Pandur hält heute zum zweitenmal Hochzeit mit der Wolfsbraut!«

»Laß mich los! laß mich los!«

»Nicht so eilig, Jurisch, die Braut will Zeit haben, die Mädchen lösen ihr die Bänder und nehmen die Parta aus ihrem Haar. Nur die Jungfern dürfen sie tragen, und der rote Pandur wird sein Lieb doch nicht als Jungfer vom Lager steigen lassen. Hussah! wie sie sich eng aneinander schmiegen, und die Wölfin sein schönes Gesicht küßt!«

Der Pandur begann zu brüllen: »Hilfe! Hilfe!«

»Still, still Brüderchen! Das ist die Sache des Staregessy, aber ich denke, wir wollen zur Hochzeit nicht so viele Gäste bitten!« Er war dicht bei ihm, seine Augen funkelten so gräßlich, daß der Schreiende unwillkürlich schwieg. »Was willst Du thun? Barmherzigkeit, Szabó!«

Der Slowak stieß ihm, ohne zu antworten, das Handende seines Eisens zwischen die Zähne. Dann riß er von dem Mantel des Hauptmanns einen Fetzen, drehte ihn zusammen in einen Knebel und stopfte diesen in den Mund seines Gefangenen.

»Der Bräutigam singt nicht, wenn er bei der Braut schläft,« sagte er lachend, »wahre Liebeslust ist sich stumm wie die Liebespein. Der rote Pandur mag jauchzen in seinem Herzen!«

Er setzte sich wieder an seinen Platz und zog seinen Pfeifenstummel hervor, den er langsam stopfte. Dann sah er nach dem Himmel und dem Stande der Sterne. »Der Szabó hat noch ein halbes Stündchen Zeit, er will es verplaudern mit seinem Freund, ehe er nach Enyád ausbricht zu dem großen General, der ihm das schöne Amt gegeben, wo er für die Hanka machen kann Leichen, Leichen und immer Leichen! Sie ist zufrieden mit ihm, die weiße Braut!«

Der Panduren-Hauptmann rüttelte vergeblich an seinen Banden, um wenigstens des Knebels los zu werden. Der Slowak achtete kaum auf ihn, als wisse er, daß er seiner gräßlichen Arbeit vertrauen könne. Er blies ruhig den Rauch der Pfeife in die Luft und warf nur von Zeit zu Zeit einen Blick nach den toten Wolfsjungen oder auf seinen Gefangenen. Wenn er den schmutzigen Pfeifenstummel aus den Lippen nahm, sprach er von Hanka und ihrer Brautnacht.

Dem Panduren floß der kalte Schweiß der Todesangst von Stirn und Rücken. Gerade das ruhige, unheimliche Gebühren seines Gegners machte ihm Angst, dazu das Schreckliche, daß er jetzt selbst der Sprache beraubt war, und nicht einmal mehr versuchen konnte, jenen mit seinen Anerbietungen und Bitten zu erweichen.

Endlich war die Pfeife zu Ende. Der Slowak klopfte sie ruhig an seinen Schnürsohlen ab und barg sie in seinem Gürtel. Dann stand er langsam auf.

Der Pandur glaubte, daß der Augenblick seines Todes gekommen, seine Augen quollen aus ihren Höhlen und starrten wüst, greulich auf den Herrn seines Lebens.

Ruhig wie vorhin näherte sich der Slowak ihm aufs neue und zog den Knebel aus seinem Munde.

»Der rote Pandur mag seinem Freunde Lebewohl sagen. Wenn er an den General etwas zu bestellen hat, der Szabó wird es ausrichten. Es ist Zeit, daß ich gehe!«

Der Hauptmann sprudelte und pustete, bis er wieder Luft und Fähigkeit zum Sprechen bekam. Im Grunde des Herzens gewann die Hoffnung auf Rettung wieder die Oberhand; er glaubte, daß sein Feind ihn hier bloß zurücklassen würde, dem Hungertod in dieser Wildnis ausgesetzt; aber der Tod durch den Hunger kommt langsam, und der glücklichen Zufälle giebt es so viele.

»Verlaß mich nicht, guter Szabó, ohne diese Stricke zu lösen, es ist so schrecklich hier allein!«

Der Slowak sah nach den Sternen. »Der Hauptmann der roten Panduren möge sich die Zeit nicht lang werden lassen. Es sind der Stunden nur fünf, ehe die Braut kommt!«

»Von wem sprichst Du?«

»Von der Mutter, die ihre Kinder sucht!«

»Welche Mutter? was soll das bedeuten? Bei Szent Kereszt! ich beschwöre Dich!«

Der Slowak stieß das tote Wolfsjunge noch näher zu ihm. »Der Jurisch ist schlimmer als der Wolf, sie werden zusammen passen, die Wölfin und er. Als ich gestern den Vater erschlug, hab' ich nicht gedacht, daß die Witwe Hochzeit würd' machen mit einem andern Wolf so bald!«

Vor den Augen des Panduren begann es gräßlich zu tagen, er sträubte sich vergeblich gegen die schreckliche Überzeugung.

»Gnade, Szabó! Gnade! Verlaß mich nicht!«

»Wenn der Tag graut, wird die Braut kommen, ihr Nest zu suchen. Ich habe sie gesehen, der rote Pandur mag sich freuen auf ihre Schönheit. Ihre Augen schillern wie der Opal in unseren Bergen, und ihr Atem ist heiß vor Liebessehnsucht!«

»Erbarmen! Töte mich lieber gleich, slowakischer Hund!«

Der neue Henker lachte spöttisch. »Daß ich ein Thor wär', Jurisch Pandur! Nacht um Nacht! Es wird die Braut nicht weniger zärtlich machen, wenn sie findet, daß der frische Bräutigam ihr Hochzeitslager befreit hat von der Brut des Vorgängers! Sie bringt kein Stiefkind in die Ehe!«

Wieder begann der Pandur laut aufzuschreien: »Hilfe! Hilfe!«

Der Slowak wiederholte sein Lachen. »Du scheinst große Sehnsucht zu haben nach der Braut! Vielleicht ruft sie Dein Geschrei desto eher in die Arme Deinigte! Wenn der Szabó Polkó geht, ist niemand im Gebirg, der den Hochzeitsruf hören kann, als die Wolfsbraut!«

Das Geschrei des Panduren ward zu einem dumpfen Wimmern; er fühlte, mit welcher teuflischen Bosheit sein Feind ihm den Gebrauch der Stimme bloß wieder gegeben, um jeden Laut doch zu unterdrücken. In dieser schrecklichen Einöde, so weit von jeder Straßenspur konnte kein Mensch ihn hören, und selbst, wenn seine Stimme zu einem menschlichen Ohr gedrungen wäre, wer hätte es gewagt, in der Nacht den unheimlichen Klagen des Wehrwolfes oder der wandernden Geister zu folgen? Nur die wilden Raubtiere der Nacht wissen nichts von dem Aberglauben der Menschen, und sie allein hätte sein Geschrei herbeizurufen vermocht.

Der Slowak hatte seine Vorbereitungen zum Marsch beendet und steckte einen letzten Span in die Felsritze, dem Opfer zu leuchten und den Todeskampf noch schrecklicher zu machen.

»Barmherzigkeit, Szabó Slowak! bei der Mutter, die Dich getragen! ich will Dich reich machen und Dir dienen als Knecht Deinigter! Laß mich nicht dem Wolf!«

Der starke, wilde Mann, die brutale Natur schauderte bei der Erinnerung an die Umarmung des Wolfes, die er bereits erfahren, an das weiße Gebiß, an die grünen Augen, als die Bestie das entehrte Mädchen und ihn selbst zerfleischte in jener schrecklichen Nacht einer schrecklichen Lust.

Der Slowak trat zu ihm. »Gute Nacht, Jurisch Pandur, und mögen die Heiligen Dein Hochzeitsbett segnen! Rufe die Braut, desto eher kommt sie. Viel Lust, Jurisch Pandur! mache Dich bereit!«

»Szabó, Teufel! höre mich! Gnade! Gnade!«

Der Slowak stand bereits an dem Rand des Lichtkreises, den der brennende Fichtenspan warf. Er drehte sich um, seine Hand streckte sich gegen den Nachthimmel, sein Auge ruhte mit furchtbarem zerschmetterndem Ausdruck auf dem, der ihm sein alles geraubt, der ihn zum Mörder gemacht, zum Henker, der noch die einzige Lust sucht im Vernichten.

» Hanka

Als der Panduren-Kapitän wieder aufsah, war der Slowak verschwunden, er war allein, zu seinen Füßen das tote Junge der Wölfin! – – – – – – – –


Zwei, drei, Stunden waren vergangen, die vierte nahte sich ihrem Ende. Die Zeit war da, die der kundige Wolfsjäger als die bezeichnet hatte, zu der die Wölfin von ihrem Beutezug zurückkehren würde.

Welche Jahre der Todesangst hatte der Panduren-Offizier in diesen Stunden durchkämpft! Erst hatte er sich abgemüht und gerungen, sich von den Stricken zu befreien, vielleicht nur einen Arm, dort zwei Schritte von ihm lag ja sein Gewehr, es konnte ihn schützen. Aber die Knoten des Slowaken hielten fest, unter dem Ringen zogen sie sich nur noch stärker zusammen und preßten die Glieder.

Er fluchte die greulichsten, abscheulichsten Flüche in jeder Sprache, die er wußte, aber er fluchte sie leise vor sich hin, er fürchtete sich, das Echo dieser Felsen und Wälder zu wecken.

Kein lebendes Wesen, nicht einmal der Fuchs strich an ihm vorüber, denn er kannte und ehrte die Höhle des größeren Räubers; nur das Käuzchen, durch den Schein des brennenden Holzspans gelockt, krächzte von einem nahen Baum sein schauriges Totenlied.

Er fluchte dem Licht der Fackel, die der Slowak zurückgelassen, weil es so leicht seine Gestalt den Zähnen des Raubtiers verraten mußte. Dann, als der Span nach und nach herunterbrannte, – wuchs seine Angst mit dem wachsenden Schatten. Das Licht war doch noch ein Freund gewesen, es hätte ihm die nahende Gefahr gezeigt, aber jetzt, allein in dieser schrecklichen Finsternis.

Der Span war erloschen, Nacht um ihn her. Er kämpfte lange und schwer mit sich selbst, ob er rufen solle oder nicht, der höhnende Rat seines Mörders ließ ihn jedesmal verstummen, wenn er die Stimme erhob.

Einmal kam es ihm vor, als sei die Bestie bereits da und belauere ihn. Zwei große glühende Augen hefteten sich aus dem Dunkel auf ihn, er schrie laut auf! Da rauschte es durch die Zweige, und ein großer Uhu, der Felsgenosse und Hausnachbar des Wolfes, flog erschreckt davon.

Dann, als er so da saß, Stunde auf Stunde, kamen ihm die Gedanken der Vergangenheit, und blutige Gestalten tauchten vor ihm auf, das Bild des armen Slowakenmädchens, vom Wolfe zerrissen, mit den frischen Wangen und den klagenden Augen und so manche andere blutige Scene aus dem wüsten Grenzleben.

Aber das Bild der Slowakin kehrte immer, immer, wieder, es war der Wudkoklak, der Vampyr seiner Heimat, der aus dem Grabe stieg und sich zu ihm setzte. Wie die Posaune des Weltgerichts donnerte jenes Abschiedswort des Slowaken ihm in die Seele:

Hanka!

Der rohe, wüste Mensch versuchte zu beten, aber sein Gebet war knechtischer Aberglaube, seine Bitte Frevel, ein solches Gebet kann keine Kraft und Ergebung bringen in der Todesstunde!

Er selbst war ja ein Sohn der Heide und konnte an dem Sinken der Sternbilder die vorschreitende Zeit berechnen.

Mit den wachsenden Minuten wuchs seine grimmige Todesangst. In einer halben, in einer Viertelstunde mußte der Tag grauen, fern zwar im Osten, nur mit leichtem Schimmer die Sterne vertreibend. Stunden vorher, ehe die Sonne kam, aber er wußte, daß er diese nicht sehen würde. Mit dem Tagesgrauen kam der Wolf, so hatte es der Slowak verheißen, und der Slowak log nicht!

Er konnte sich nicht länger halten, die Furcht wuchs riesengroß in seiner keuchenden Brust, und sollte es bloß eine Erleichterung dieser sein, er mußte schreien. Er brüllte laut hinaus in die Nacht: »Hilfe! Hilfe!«

Aber nur das Rauschen des Windes durch die Tannen und Felsen gab ihm Antwort.

Dann wiederholte er sein Geschrei, in Pausen, in einzelnen Absätzen; seine Stimme klang heiser, fast nur wie Stöhnen noch …

Plötzlich schwieg er, was war das? ein fremder Laut! ihm war, als habe er aus dem Felsgrund herauf die Antwort gehört, einen fernen, langgezogenen klagenden Schrei und dann ein Heulen, vor dem das Mark seiner Knochen vereiste.

Wer an den öden Grenzen der Donauländer wohnt, in den Schluchten der Karpathen, auf den Pußten Ungarns oder in den russischen Steppen, der kennt diesen Schrei. Er hat ihn oft genug gehört bei Nacht um die schützenden Balken seiner Hütte, oder mit zagendem Herzen, wenn er draußen durch die Steppe galoppierte oder im leichten Schlitten über die Schneebahn flog.

Das war der Wolf! der Wolf war da!

Noch eine riesige Anstrengung machte der Gefesselte, sich von den Banden loszureißen – vergebens!

Dann wiederholte sich jenes Geheul, es sollte der hungernden Brut vielleicht das Nahen der Mutter mit der Beute verkünden.

In solchen entsetzlichen Augenblicken scheint sich die Sehkraft des Auges, scheinen sich die Nerven des Gehörs zu verdoppeln.

Der Unglückliche streckte lauschend den Kopf vor, seine Augen sprangen fast aus ihren Höhlen, in seinem Hirn wirbelte eine Feuermasse …

Das Knacken brechender Zweige, fallender Steine unter den Sprüngen des Wolfes …

Näher und näher, da – da ist es …

Plötzlich hörte das Geräusch auf und verwandelte sich in ängstliches Schnauben.

Dann folgte ein markerschütterndes klägliches Geheul. Der Wolf hatte das zerrissene, halbgefressene Lamm, das er trug, fallen lassen an der Stelle, wohin der Slowak das zuerst getötete Junge geschleudert. Einen Augenblick, umschnubberte es die grimmige Mutter, dann stieß sie ein zweites, noch entsetzlicheres Geheul aus, faßte es zwischen die weißen Zähne und sprang vorwärts.

Die dunkle Gestalt flog wie ein Pfeil an dem Gefesselten vorüber, der Felsspalte zu, er wagte nicht, sich zu rühren, nur seine Augen verfolgten sie.

Die Spalte war leer.

Das Grauen des Tages ließ bereits, wenn auch undeutlich noch, jede Bewegung des Tieres erkennen.

Die Wölfin ließ das erste Junge fallen, der Blutgeruch zeigte ihr, wo sie das zweite zu suchen hatte. Ohne auch nur auf den Menschen zu achten, stürzte sie zu der Stelle und drehte und wendete es um, und heulte kläglich – ob Mensch oder Tier: auch die Bestie der Wildnis verteidigt und rächt ihr Junges, und das Geheul klang wie der Jammerschrei einer beraubten Mutter.

Plötzlich hoben sich die funkelnden grünen Augen der Wölfin auf den gefesselten Mann, die Haare des Tieres sträubten sich wie Borsten, als es sich so zurückwarf auf die Hinterläufe, den Rachen weit geöffnet, aus dem dampfenden Atem die rote bewegliche Zunge …

Einen gellenden Angst- und Todesschrei stieß der Pandur aus, daß es weit durch die Öde gellte.

Dann that die Wölfin einen Sprung …

Ein Schuß knallte in unmittelbarer Nähe.


Eine Viertelstunde mochte verflossen sein, die Dämmerung wuchs rasch und gestattete bereits, die Umgebung genau zu erkennen.

Neben dem toten Wolfe stand ein kräftiger Mann in dem weiten weißen Walachenmantel auf die lange Flinte des Panduren-Hauptmanns gestützt. Vor ihm lag, lang auf den Boden gestreckt, die bewußtlose Gestalt des Panduren, die er vom Baum losgebunden.

» Baszom e lelkedet! was fange ich mit dem Schwein an? Wollt' ich fast, der Wolf hätt' ihn gefressen, eh' ich kam. Aber ich kann ihn nicht lassen hier, da ich geschworen hab' bei Szent Istvan, meinem Schutzpatron, das erste Feindesleben zu retten, das in meine Hände fiele, wenn ich dem Tode entkäme.«

Der Mann im Walachenmantel stieß den Bewußtlosen kräftig mit dem Fuß in die Seite. »Wach' auf, Pandurenschwein! Ich hab' nicht Zeit, hier zu stehen und muß über die Küküllö sein, ehe die Sonne aufgeht.«

Die Gestalt des vor Todesfurcht und Schrecken Ohnmächtigen begann sich zu regen, die Glieder streckten, das Auge öffnete sich und fuhr wirr, ausdruckslos umher. Erst dann gewann es Leben, als es mit Entsetzen auf die nahe Gestalt des Wolfes fiel.

»Du brauchst nicht bang zu sein,« sagte der Mann barsch, »er ist tot. Dein Geschrei hat gebracht mich gerade zur rechten Zeit hierher. Wer bist Du?«

Der Hauptmann erholte sich, er sah die wohlbekannte Tracht seiner Bundesgenossen, ohne den Mann selbst zu erkennen. »Die Heiligen seien gesegnet, daß sie Dich hierher geschickt. Binde meine Arme und Beine los, ich bin Jurisch, der Hauptmann, und meine Panduren liegen in der Csárda an der Straße nach Enyád!«

» Kutya lanczos! hab' ich dem Szabó da einen schlechten Gefallen gethan. Kam mir das Schurkengesicht gleich so bekannt vor trotz seiner Narben. Es hat den Rózsa oft genug gejagt durch die Heide. Aber gleichviel, wo die Heiligen mir gnädig gewesen sind, kann ich nicht totschlagen den Wehrlosen. Der Rózsa hält sein Gelöbnis. Aber in Sicherheit bringen will ich den Schuft, daß er nicht dran denken soll, uns mehr zu schaden.« Er bückte sich und schnitt die Bande durch, welche die Beine des Banduren gefesselt. Erst nach wiederholten Versuchen gelang es, ihn auf die steifgewordenen Füße zu stellen.

»Binde mir die Hände los! Was zögerst Du? befahl der Hauptmann, »ich werde es dem Tribun melden, wenn Du nicht gehorchst!«

Der falsche Walache lachte. » Kutya teremtete! ist sich das echte Panduren-Dankbarkeit! Hören Deine Schweinsohren nicht, daß ich ein Ungar bin, und kannst Du nicht sehen, wer mit Dir spricht. Ich bin der Rózsa Sándor, ich denke, Du kennst mich gut genug!«

Der Pandur erzitterte; aus dem Rachen eines Wolfes war er in die Klauen eines andern gefallen, den er kaum weniger fürchtete.

Der Betyár warf die Flinte über die Schulter. »Nun vorwärts, Kamerad, Deine Beine sind frei. Du wirst mit dem Rózsa einen Marsch übers Gebirg machen. Vorwärts, oder Messer meinigtes kitzelt Deine Rippen!«

Ein Kolbenstoß gab dem Panduren die Überzeugung, daß der andere es ernst meinte.

Knirschend fügte er sich in die Gefangenschaft, war doch das Leben vorerst gerettet!


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