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V.

Endlich siegte der Frühling, welcher wochenlang mit dem Winter gekämpft hatte. Des Lenzes warme, lebensfrische Lust trat in Kraft. Fort waren plötzlich die Schneegewölke, milder wehte der Wind und die Sonne zog triumphirend im blauen Aether daher. Unter ihren belebenden Strahlen erstand schnell von neuem des Lebens Reiz, des Menschen Wonne und Glück. Rasch öffneten sich die lange zurückgehaltenen Knospen und in unglaublich kurzer Zeit bedeckten sich die Bäume mit den zarten, grünen Blättchen, die in jedem Jahre mit neuem Entzücken begrüßt werden. Eben so rasch erschlossen sich die Blüthen der Obstbäume. Es war eine Pracht und eine Fülle in der ganzen Natur, als habe eine gütige Fee endlich Erbarmen mit den Menschen gehabt und die grausame Kälte durch einen Zauberspruch verjagt.

Marilia hatte ihre Freundin glücklich nach Felsberg gebracht, aber zuerst beeinträchtigte ein anhaltendes Regenwetter die Wirkung des veränderten Aufenthaltes. Noch war alles still und öde in dem schönen Thale, wo das Dorf lag und oberhalb im Bade selbst regte sich noch keine Hand, um die Badelogis in Ordnung zu bringen. Die Saison begann nie vor dem Juni und ehe nicht die Spuren des Winters gänzlich verschwunden waren, traf man keine Anstalten zur Aufnahme von Badegästen. Felsberg erfreute sich überhaupt nie einer glänzenden Saison. Es war mehr ein Bad für trauernde Wittwen, für geduldige Bräute und für historische Ehefrauen. Männer gehörten zu den Seltenheiten, oder es müßten denn die Touristen gerechnet werden, die Felsberg als den Anfangspunkt der Gebirgskette passirten. Doktor Hattorp, der Bruder von Marilias Vater, bewohnte ein einfaches, aber höchst bequem eingerichtetes Haus, das er sich, den Witterungseinflüssen des Ortes entsprechend, am Abhange eines Hügels, umhegt von den uralten Rüstern und Buchen des Waldes, hatte bauen lassen. Die Vorderfront dieses Hauses war dem Thale zugewendet und gewährte eine entzückende Aussicht über Rasenflächen, Felder und Dörfer bis zu den bewaldeten Höhenzügen des nahen Gebirges.

Hier wohnte Frau Adelheid und suchte ihrem Geiste die nöthige Ruhe zu geben. Es möchte selten ein Plätzchen in Gottes großer Welt so ganz zu Beschwichtigungen eingerichtet sein, wie dieß Haus in seiner lebensvollen Einsamkeit.

Selbst in dem trüben Regenwetter, unter dem Nebelgewölk, das im Thale und aus den Höhen hin und her wogte, wie Rauchwolken, selbst da fühlte sich Adelheids Herz von der wunderbaren Schönheit dieser Fluren ergriffen, wenn auch nicht gerade erheitert.

Aber dann trat der Mai mit seiner Siegesmiene ein und mit jedem Tage, nein, mit jeder Stunde wurde es lieblicher rings umher.

Doktor Hattorp war das vollkommene Abbild seines Bruders. Dieselbe Ruhe, dieselbe Biederkeit, dieselbe Gemüthlichkeit und Herzensgüte. Nur ein gewisser Hang zur Satyre unterschied ihn von Marilias Vater. Ihn hatten die ewigen Klagen der kranken Frauen nach und nach ermüdet, und da er seiner Ungeduld nicht harte Worte geben durfte, so lieh er ihr spöttisch gutmüthige. Frau Adelheid war ihm von Marilias Vater sehr warm empfohlen und zwar mit einiger Uebertreibung, als eine Todeskandidatin bezeichnet, wenn nicht, bis zu ihrer bevorstehenden Entbindung ihrem Organismus kräftige Unterstützung geboten würde. Doktor Hattorp in Felsberg lachte inwendig über seines Bruders Sorge, denn die junge Frau entsprach dieser Schilderung durchaus nicht. Ihr Körper erwies sich kräftig genug zu jedweder naturgemäßen Entwicklung, und was an Ueberreizung der Nerven schuld sein mochte, das wollte er schon zu kuriren versuchen.

Er hatte sich schon vor ihrer Ankunft ein System gebildet, nach welchem er die vorhandene oder eingebildete Reizbarkeit heben wollte. Er selbst hatte nur wenige Jahre das Glück gehabt, eine Gattin zu besitzen, die des Lebens Last und Lust mit ihm zu tragen bestimmt war. Seit einem Jahrzehnt Wittwer, getrennt von seinen beiden Söhnen, die zusammen die Universität bezogen hatten, war es für ihn ein Trost und eine Stütze gewesen, einem alten Fräulein, das er in seiner Jugend als Gretchen Heimann gekannt hatte, sein ganzes Hauswesen übergeben zu können, als dieß Gretchen, nach längerem Aufenthalt in England zur Meta Heimann metamorphosirt, plötzlich wieder in der Heimath erschien. Fräulein Meta hatte sich seit ihrem achtzehnten Jahr als Gouvernante in verschiedenen Familien nützlich gemacht. Auch sie war in dem Hause des Landrath von Ettinger gewesen, und der Sohn desselben, der jetzt als Staatsanwalt fungirte, hatte die Anfangsgründe seiner tüchtigen Bildung ihr zu verdanken. Fräulein Meta Heimann, vom Doktor Hattorp geflissentlich sehr oft und laut »Gretchen« genannt, war die Ursache, der Grundstein einer Bekanntschaft zwischen Marilia und Alban von Ettinger, die zum schönsten Glücke zu führen versprach. Hieraus läßt sich ermessen, daß Marilia nach der Vernichtung ihrer Hoffnungen keineswegs mit leichtem Herzen der Gemeinschaft mit Fräulein Meta entgegenging. Sie fürchtete die tägliche Erinnerung, denn sie wußte, daß das alte Fräulein auf keinen ihrer frühern Eleven so stolz war, wie auf Alban von Ettinger.

Ihre Befürchtungen bestätigten sich. Bis zur Qual gestaltete sich ihr innerliches Zerwürfniß während der paar Regentage, wo sich unter Fräulein Metas Geschäftigkeit ein höchst comfortables Familienleben nach englischem Style entwickelte. Die alte Dame wurde nicht müde, nach ihrem guten Alban zu fragen, ihn als einen Göttermenschen zu preisen und sein edles Herz bis in den Himmel zu erheben. Dem aufmerksamen Blick des Doktors entging es nicht, daß der Name Ettingers das Signal zu allerlei verrätherischen Aufregungen wurde, und da er nicht in den schwebenden Verdacht eingeweiht worden war, so kam er endlich auf Gedanken, die sein ehrbares Herz zur sittlichen Entrüstung trieben. Sollte die junge Frau, trotz ihrer heiligen Bande, dem Einfluß dieser exemplaren Liebenswürdigkeit erlegen sein? Wahrhaftig, eine Schande und Sünde, wenn man ihn durch solche Kurgäste in Mißkredit zu setzen gesonnen sein sollte. Aber nein! Sein eigener Bruder – seine eigene, edelsinnige Nichte! Seine Neugier, einmal erwacht, legte sich mit besonderer Kunst auf die Lauer, und Marilia fand von diesem Augenblicke an stets einen so verrätherischen Spott auf seinem ruhigen Gesichte, daß sich ihre Beklommenheit bis zur Angst steigerte. Hätte sie den Beweggrund seiner sarkastischen Laune geahnt, so würde sie in kindlicher Vertraulichkeit den wahren Sachverhalt entdeckt, und damit die Thorheit eines halben Vertrauens gegen den Mann, der zu Adelheids Hülfe bereit war, ausgelöscht haben.

In der Verwirrung ihres Herzens glaubte sie selbst der Gegenstand spöttischen Bedauerns zu sein, und solche Gedanken sind gerade nicht im Stande, eine etwas wankend gewordene Seelenstimmung wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Seit ihrer tiefen, zärtlichen Liebe zu Ettinger vom Schicksale Hindernisse in den Weg gelegt worden waren, verbarg sich jede Regung für ihn mit krankhafter Sorgfalt, um nicht zu Erläuterungen gezwungen zu sein, die Adelheids Seelenruhe vernichten mußten. Tief im Grunde ihrer Brust ruhte die Hoffnung, daß seine Neigung eines Tages alle Selbstquälereien überwältigen werde. Durfte sie, bei solchen hoffnungsreichen Erwartungen, den Wechsel seines Benehmens gegen sie eingestehen? Durfte sie dem unbestimmten Argwohn ihres Oheims, der nur aus wenigen Bemerkungen Nahrung geschöpft haben konnte, mit Geständnissen entgegenkommen, die ihre heiligsten Empfindungen profanirt hätten?

Die halben Geheimnisse brachten also auch hier, wie immer in der Welt, Zerfahrenheit, Spannung, Gereiztheit und Mißtrauen in den freundlichen Familienkreis, der Adelheids innere Aufregungen zu beschwichtigen bestimmt gewesen war; doch fühlten sich natürlich nur die davon unbehaglich gestimmt, welche nicht ganz sorglos dem Verkehr sich hingaben. Fräulein Meta lebte und webte in ihrem Elemente, und wußte nichts von Spannung, Beklommenheit und Mißtrauen. Daher schlugen ihre harmlosen Worte oft wie Bomben in die Unterhaltung, und ließen jene gefahrdrohende Stille eintreten, die in der Furcht einer gänzlichen Niederlage gründet.

»Alban Ettingers letzter Brief an mich klang beinahe wie eine Jubelhymne,« sagte sie am Morgen des Tages, wo die Sonne endlich Siegerin aller Nebelgeister wurde. »Er sprach mit Begeisterung von der Macht und Gewalt, die ein edles Frauenherz über starke Männer zu erringen wüßte. Er schrieb wörtlich, daß er den festen Glauben hege, in der wahren Liebe walte etwas Hohes, Großes, was den Menschen zu einem Ebenbilde Gottes erhebe, und er erachte die Fesseln der Liebe als Blumenketten, die wie Festons das Leben des Menschen zierten bis zur Ewigkeit.«

»Aus dieser Jubelhymne wäre zu schließen, daß ihr Alban Ettinger endlich das Frauenherz gefunden, das Macht und Gewalt über ihn haben wird,« entgegnete der Doktor spöttisch, während sein Blick plötzlich über Adelheids Antlitz streifte, das ziemlich belebt erschien. Marilia aber wurde bleich, und obwohl sie ihre köstliche Ruhe äußerlich beibehielt, so fibrirte sie innerlich so stark, daß sie ihrer Stimme nicht mächtig war.

»Dergleichen habe ich auch gedacht,« flüsterte Meta Heimann mit schüchternem Lächeln, »und ich möchte wohl, wenn es nicht indiscret wäre, die Damen befragen, ob sie nichts näheres davon zu berichten wüßten. Alban ist immer mein Ideal gewesen, und seine Wahl wäre mir nicht gleichgültig.«

Adelheid blickte rasch zu Marilia auf. Ein Blick auf ihr liebes, reizendes Gesicht hemmte die strengen Bemerkungen, die sie an diese Lobpreisung knüpfen wollte. Sie schwieg. Auch der Doktor schwieg und Fräulein Meta ließ bescheiden den Faden des Gespräches fallen. Sie versteckte ihre kleine Verlegenheit in einer größeren Geschäftigkeit und schenkte dem Doktor zum vierten Male Thee in seine Tasse.

»Gretchen, Sie überschwemmen mich mit Güte!« sagte er abwehrend. »Halten Sie Maß in allen Dingen! Auch in Rücksicht auf Ihren vielgeliebten Alban möchte ich Ihnen diesen Rath zurufen, denn so viel ich durch mein Studium der Physiognomien beurtheilen kann, idealisiren Sie Ihren hochbelobten Alban viel zu sehr. Frau Adelheid und meine Nichte Marilia sind verstummt vor Schreck.« Er erhob sich und blickte zum Fenster hinaus. Das Sonnenlicht verklärte die ganze Gegend und das Schwirren und Zirpen der Vögel klang vom geöffneten Fenster her, wie ein leises Jauchzen der Freude.

Der Doktor wendete sich rasch wieder zum Frühstückstisch, der nach englischer Manier servirt war. »Wissen Sie was, Gretchen, lassen Sie schleunigst die Coulissenwand um die Veranda ziehen, denn von morgen ab frühstücken wir draußen mit den Vögeln um die Wette. Es ist plötzlich Sommerwetter geworden – vielleicht Ihren Nerven zu lieb, meine Gnädige,« sprach er zu Adelheid. »Sie haben einen Gatten, der Ihnen erlaubt, nervenschwach zu sein – ich zeige mich aber grausamer und hartherziger, als Ihr Gatte, ich erlaube dieß nicht. Deßhalb verordne ich jetzt einen Spaziergang nach dem Wasserfalle, der nach dem Regenwetter immer vortrefflich rauscht und sprüht. Unterdeß Sie mit Marilia dahin gehen, erholt sich Gretchen Heimann von ihrem Schrecken über die stumme Verurteilung ihres Lieblings Alban.«

»Nennen Sie mein Schweigen nicht eine Verurtheilung, Herr Doktor,« antwortete Adelheid sehr beeilt. »Meine Anschauungen über sein Wesen wichen nur so gänzlich von dem ab, was Fräulein Meta als einen Ausdruck seines Innern citirte, daß ich lieber schwieg, als remonstrirte. Mir scheint, als huldige Herr Alban von Ettinger dem Principe, nie seiner Leidenschaft nachzugeben, um nicht der menschlich schönen Schwachheit Thor und Thür zu öffnen. Uebrigens sind wir Fräulein Meta die Erklärung schuldig geblieben, daß sich Herr von Ettinger zur Zeit gar nicht mehr in unserem Wohnorte befinden wird. Er ist, seiner eigenen Mittheilung zufolge, als Kreisdirektor in der Nähe der Residenz placirt worden.«

»Seiner eigenen Mittheilung zufolge«, wiederholte Marilia selbstvergessen und schaute mit dem vollen Ausdrucke einer großen Befremdung ihre Freundin an. Diese erröthete. Sie hatte sich nicht entschließen können, Marilia zur Mitwisserin ihrer beschämenden Niederlage zu machen. »Hast du Ettinger persönlich gesprochen, Adelheid?« setzte das junge Mädchen in richtiger Ahnung, ihre Erkrankung am Tage vor der Abreise darauf schiebend, hinzu. Ein schmerzliches Zucken der Lippen war Adelheids Antwort. Der Doktor runzelte mächtig die Stirn. War das nicht deutlich genug, um seine Ueberzeugung zu sichern, daß er bei dieser blassen, hübschen Frau wohl ein böses Gewissen, aber keine überreizten Nerven zu kuriren habe. Aergerlich verließ er das Zimmer.

Marilia und Adelheid gingen nach dem Wasserfall, Fräulein Meta aber lächelte weise über die falschen Meinungen, welche man über einen Mann aussprach, der nie auf dem Wege des Erdenlebens straucheln konnte, weil in ihm Hochsinn mit Stolz, Pflichtgefühl mit Seelenstärke gepaart war. Daß ein Mann trotzdem zu viel – nach den Begriffen der Humanität – zu viel thun könne, sollte sie erst durch Erfahrung begreifen lernen.

Schweigend schritten die Freundinnen auf dem breiten, schnell getrockneten Kiespfade fort, der sie sehr bald zu einem prächtigen Parke führte. Auch den Park durchwandelten sie, ohne sich in jenes trauliche Plaudern zu vertiefen, worin die Herzen sich aufthun, wie die schwellenden Blüthenknospen, die vom Hauche der Wärme berührt werden.

Nur in einzelnen Worten gaben sie ihrem wohlthätig beruhigten Herzen Ausdruck, nur durch leise, kurze Bemerkungen unterbrachen sie die heilige, einsame Stille, die um sie herrschte. Es war sichtlich, daß der Geist sich in Beiden beflügelte, daß er die Gegenwart verließ, um über Berge und Thäler hinweg den unendlichen Weltraum zu durchirren, und die Zukunft zu entziffern. Eine Nachtigall weckte mit leisem, süßen Schlagen die Träumerei der Seele. Von den Irrlichtern der Phantasie umspielt, träumten sie, bis sie, vom Rauschen des Sturzbaches gestört, emporfuhren, und der Wirklichkeit wieder fest ins Antlitz schauten.

Rascher gingen sie den Hügel hinab, der, eine einzige große Rasenmatte schien, durchkreuzt von einem Laubgange, welcher schon im frischen Grün prangte. Immer näher kamen sie der Thalschlucht, immer stärker wurde das Rauschen. Noch wenige Minuten, und sie standen an einer schmalen Brücke, die über die hochempörten Schaumwellen des kleinen Baches hinwegführte. Erschreckt hielt Adelheid ihren Schritt an. Darüber hinweg sollte sie, um den imposanten Anblick des Sturzbaches vollständig zu genießen? Auch Marilia hemmte ihren Fuß. Es schien ihr ein Wagniß, den festen, aber schmalen Steg unter dem dröhnenden Schalle der Wassergarben zu betreten. Und dennoch drängte es sie vorwärts.

In seiner stillen, ruhigern Schönheit hatte sie den Wasserfall unzähligemal schon gesehen. So aber in der wilden Fluth von Absatz zu Absatz springend, schäumend, sprühend, brausend im gewaltigen Fall, so noch nie. Muthig lächelte sie der Freundin zu.

»Wir wagen nichts – verlieren aber viel, wenn wir nicht weiter gehen,« sagte sie.

Und Adelheid schritt vorwärts. Sie ging voran und stand mit ihrem bleichen, verklärten Antlitze, die Augen voll Thränen, der Begeisterung und Anbetung entsprossen, bald dem Wassersturz, der einen wahren Staubregen weithin sendete, gegenüber.

Marilia, weniger ergriffen und überwältigt, weil sie die Pracht des Falles schon öfter bewundert, mahnte sie nach kurzer Frist, zurückzutreten. Vorsorglich umfaßte sie die Freundin.

Sicher und fest auftretend erreichten sie das Ufer wieder. Mit einem Seufzer schlug die junge Frau beide Hände vors Gesicht, und lehnte sich matt an Marilias Brust. Diese schwieg und ließ die Bewegung in ihr auszittern. Solche Erschütterungen der Seele sind Blüthen, die den Keim zu künftigen Früchten in sich bergen.

»Gottes Geist schwebt im unendlichen Raume,« flüsterte Adelheid, »seine Allmacht spricht sich aus im neuen Schöpfungsfieber der Natur, seine Güte blickt hervor aus dem Dasein jedes Würmchens, und ich – ich will ihm nicht vertrauen? Ich will verzagen, weil er mir leichte Leiden sendet? Nein, mein Gott, ich baue auf Deine Allmacht, auf Deine Güte und auf Deine Barmherzigkeit! Ich will nicht grollen über mein unverdientes Leid, ich will meine Sorge, meinen Gram, meine selbstgeschaffene Pein abwerfen und der Hand eines allgütigen Wesens die Schlichtung aller Wirren überlassen!« Sie sah hinaus in den Aether des Himmelsgewölbes, sie übergab mit diesem Blicke das Heil ihrer Zukunft der göttlichen Gnade. Dann küßte sie Marilia.

»Warum haben wir denn Geheimnisse vor einander, meine Mari?« fragte sie noch mit dem zauberischen Lächeln der Verklärung. »Sieh, mein Gewissen mahnt mich, daß ich dir verhehlt habe, die Sache meines armen Guido zum Bessern lenken zu wollen, indem ich Ettingers Aufmerksamkeit einem sonderbaren Zufalle zuwendete. Es ist mir nicht allein vollständig mißlungen, diesen Zufall geltend zu machen, sondern Ettinger hat mir bei dieser Gelegenheit seine Verdachtsgründe mehr enthüllt, als er eigentlich wohl beabsichtigte.«

»Was sagte er?« fragte Marilia ängstlich.

»Wirst du in deiner holden Mädchenunschuld es begreifen, daß der fremde Betrüger sich eines Einverständnisses mit mir gerühmt hat?« sagte Adelheid mit ruhiger Würde.

Marilia sah die junge Frau erst zweifelnd an, dann senkte sie die Stirn. Es lag eine unendliche Trostlosigkeit in diesem Geberdenspiele. Diese Schmach, die man auf ihre Freundin zu häufen gewagt, vernichtete ihre Hoffnung auf eine endliche Lösung. Jetzt erst verstand sie Ettingers Forderung zu würdigen.

»Mein Herz brach beinahe bei seinen Eröffnungen,« sprach Adelheid weiter. »Ich glaubte nicht leben zu können mit einem Makel, der schändender war als alles, was ich sonst tragen mußte.«

»Weiß Guido davon?« fragte Marilia.

»Wie hätte ich diese Last allein tragen können! Guido tröstete mich, so gut er konnte. Ich aber war mit Dem zerfallen, der unser Geschick lenkt. Warum mir eine Last des Trübsals, die ich nicht verdiene?«

»Meinem Gefühle nach trägt sich ein unverdientes Trübsal leichter, als eine schwere Schuld,« antwortete Marilia treuherzig.

Adelheid mochte die Richtigkeit dieser Bemerkung fühlen. Sie ließ dieselbe unvermindert, und sagte, plötzlich abspringend: »Nun verlange ich jedoch von dir, Mari, daß du ebenfalls zur frühern Vertraulichkeit zurückkehrst. Im Grolle mit Gott und mit der ganzen Welt verschloß ich mein Gemüth gegen die Segnung, die im Austausche unserer Erfahrungen liegt. Mein Gemüth ist wieder erweicht. Ich werde mit dir über den Trümmern deines Liebesglückes trauern – sage mir nur, was zwischen dir und Ettinger vorgefallen ist. Er eröffnete mir in seiner kurzen Manier, daß du die Schuld seiner Versetzung trügest.«

Marilia fuhr erschreckt zusammen. »Ich? Er sagte es dir? Dir sagte er es?« stammelte sie fassungslos. Als sie dem sehr gespannten, sehr verwunderten Blicke der jungen Frau begegnete, fügte sie verwirrt hinzu: »verschiedene Meinungen, verschiedene Ansichten –«.

Adelheid legte die Hand auf Marilias Hände, die sie fest verschlungen gegen ihre Brust gepreßt hielt. »Weißt du, daß sein Benehmen grausam ist?«

»O nein,« antwortete das Mädchen, nach und nach von ihrer Verwirrung genesend. »Meine Beziehung zu Ettinger war längst abgebrochen!«

»Du vertheidigst ihn nicht mit dieser Erklärung! Ich wiederhole nochmals, daß sein Betragen unerhört ist. Wenn bei der Liebe sich des Mannes Stolz mit einer Consequenz geltend macht, daß er bis zur Härte steigt, so vernichtet er den Glauben an Liebe. Ich erkläre Ettingers Verhalten für sündhaft. Er berücksichtigte in seinem überreizten Pflichtgefühle mit krassem Egoismus seine eigene Person und seine eigene Ehre, ohne daß es ihm einfiel, an die Ehre und an den guten Namen der Dame zu denken, die er seit einem halben Jahre in stummer Beredtsamkeit als Diejenige bezeichnet hat, die er liebte, und die er zu seiner Lebensgefährtin zu machen entschlossen war.«

Marilia hob den Blick und richtete ihn mit wiedergewonnener Ruhe auf Adelheid.

»Was weißt du von Ettingers überreiztem Pflichtgefühl?« fragte sie besonnen.

Adelheid lächelte traurig. »Denkst du, daß Geständnisse nöthig gewesen wären, um mich von dem zu unterrichten, was seine Entschlüsse hervorgerufen hatten. Es bedurfte nur eines ruhigen Nachdenkens von wenigen Minuten, und die ganze Reihenfolge seiner Handlungsweise lag klar vor mir. Ich erinnerte mich meines Spazierganges aus der Esplanada. Damals schon erwachte in mir die Furcht vor seiner voreiligen Verurtheilung. Kannst, willst du läugnen, daß damals der erste Zwiespalt in euren Ansichten eingetreten ist?«

»Nein! ich läugne es nicht!« antworte Marilia einfach und ehrlich.

»Damit gibst du also zu, daß ich die Ursache deines Unglückes bin?«

»Das gebe ich nicht zu! Es stand mir frei zu handeln, wie ich wollte! Weder eine Pflicht, noch ein anderes Band, als die aufrichtigste Liebe für dich, fesselte meinen Willen. Ich hätte aber nicht allein deine Verachtung, sondern auch Ettingers Mißachtung verdient, wäre ich in meiner Ueberzeugung wankend erschienen.«

»Diese Ueberzeugung betraf unsere Unschuld?«

Ja! Ettinger muß die öffentliche Meinung zur Richtschnur seiner Handlungen nehmen. Ich hielt mich an den Gesetzen der Religion aufrecht.«

Adelheid lächelte bitter. »So wäre also Ettinger in seinem Rechte, wenn er mich, wenn er meinen Mann verachtet und schuldig nennt?«

»Wenn er dieß thut, so mag er es mit seinem Gewissen ausmachen,« fiel Marilia schnell ein. »Aber Ettinger war in seinem Rechte, daß er jede Gemeinschaft, sei sie direkt oder indirekt gewesen, mit denen mied, die von der öffentlichen Meinung angetastet erschienen.«

»Warum folgtest du meiner Aufforderung denn damals nicht, als ich fühlte, daß Ettinger es verlange?« fragte Adelheid gereizt.

»Weil ich dich liebte!« Diese ruhige Antwort weckte die guten Geister in Adelheid wieder. Sie umschlang Marilia mit ihrem Arm und fügte hinzu:

»Nicht wahr, weil Du fühltest, daß ich Dich in der schweren Zeit der Heimsuchung nicht entbehren konnte? Aber das Ziel Deines Leides soll erreicht sein! Ich fühle mich hier geborgen. Du kehrst in Deines Vaters Haus zurück und Ettinger wird sogleich begreifen, daß Du damit seinen Willen ehrest!«

»Nein, Adelheid! Ich bleibe bei Dir! Mein Schicksal ist unwiderruflich bestimmt! Ich habe entsagt!«

»Das wäre ja entsetzlich!« rief die junge Frau. »Meinetwegen solltest Du einem Glück entsagen, welches die Seligkeit des Himmels für Dich enthielt?«

»Nicht Deinetwegen entsage ich, sondern meiner Ueberzeugung wegen!«

»Ich werde an Ettinger schreiben – ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen – Meta Heimann soll meine Vertraute werden – ihr wird es gelingen, die gestörte Harmonie zwischen Euch herzustellen – Guido's Schuldlosigkeit muß sich ja feststellen – ich würde Ettinger verachten, wollte er ferner auf dem Wege fortschreiten, der ihn seines Glückes beraubt!«

Marilia hatte sich schon beim Beginn dieser abgebrochenen Rede etwas widerwillig von ihrer Freundin abgewendet. Jetzt erhob sie ihre Stimme zu einer gewissen Kraft und sagte fest: »Wenn Du mich lieb hast, so vermittelst Du nichts! Jedes Wort würde mein Gefühl entheiligen. Was könnte meinem Herzen genügen, wenn nicht das Herz des Mannes den Weg allein fände, der ihn zu mir zurückzuführen vermöchte. Wenn zwei Menschen einen Pfad durch's Leben vereint antreten wollen, so müssen sie es in voller Uebereinstimmung von Achtung und Liebe thun. Von außen her dürfen die Hemmnisse ihrer Wallfahrt nicht entfernt werden.«

»Ich erstaune über diese ideale Anschauung, denn sie klingt zu resignirt für ein liebend Herz!« wendete die junge Frau ein. »Eine Liebe ohne Selbstsucht scheint mir kühl.«

»Hätte ich mit der Selbstsucht leidenschaftlicher Liebe gehandelt, so würde ich kein Liebesglück verdient haben,« antwortete Marilia.

»Arme Marilia, Du wirst eines Tages einsehen, daß die Freundschaft Dir Dein Opfer nicht hinreichend ersetzen kann!«

»Glaub' das nicht! Die Liebe für Alban ist seit der traurigen Alternative, die mich um eine Hoffnung ärmer machte, tiefer und fester in mein Herz gewachsen, aber sie ist auch heiliger, ruhiger und besonnener geworden. Ich weiß es jetzt, daß wir Beide nicht anders handeln konnten. Der Vorsehung sei es anheim gegeben, uns Trost zu spenden, wie wir ihn nöthig haben.«

Adelheid schaute mit liebender Bewunderung auf das junge Mädchen, welches mit starkem Geiste ein Lebensglück begrub, während sie sich durch einige harte Lebenserfahrungen erschüttern ließ. Was verlor sie denn durch den Irrthum der Welt, der ihrem Gatten ein Vergehen zur Last legte? Wurde ihr Herzensglück beeinträchtigt? Konnte nicht ein einziger günstiger Moment Aufklärungen herbeiführen, die ihr ganzes Leid in Nichts verfliegen ließen?

Demüthig küßte sie die weiche Hand Marilia's, die sie hielt. Ihr stummes Gelöbniß sprach sich in dieser Demuth aus und als jetzt von fern her des Doctor Hattorp kräftige Stimme ein fröhlich »Glück auf!« rief, da war ihr zu Muthe, wie einer Seliggesprochenen. Langsam, mit ernsten Mienen, aber mit glänzenden Augen giengen die Freundinnen dem Doctor entgegen. Verwundert ließ dieser die Augen von Marilia zu Adelheid und wiederum von Adelheid zu Marilia schweifen. Wie strahlte das bleiche Gesicht der jungen Frau in günstiger Verklärung! Hinter dieser Stirn mit den unschuldig reinen Augen wohnte ganz sicherlich kein unedler Gedanke! Ihm ergieng es wie dem Staatsanwalt. Die Würde der echten Weiblichkeit schlug seine feindseligen Bedenklichkeiten zu Boden und das Gepräge völliger Herzensreinheit überwältigten seine vorgefaßten Meinungen.

Adelheid bemerkte die Veränderung seiner Mienen ohne den Grund davon zu ahnen. »Wir haben uns über tief ergreifende Erfahrungen verständigt,« sagte sie mit rührender Heiterkeit. »Es wird jetzt daran gearbeitet, daß alles anders werden soll!«

»Recht so, meine Gnädige!« erwiderte der Doctor mit gemüthlichem Spott. »Gute Vorsätze sind die besten Präliminarien zur Kur. Geist und Seele frei gemacht von sündlichen Gedanken, dann tritt die Natur mit ihrer Kraft in's richtige Gleichgewicht.«

Er bot Adelheid den Arm und fragte, ob sie wirklich den Wasserfall besucht hätte. Als er hörte, daß sie eine volle Viertelstunde im Anschauen versunken gestanden, rief er lachend: »Um Gotteswillen, erzählen Sie dieß keinem Andern, als mir, sonst glaubt kein Mensch mehr an Ihre Nervenschwäche. Marilia, mein Kind, schreibe doch Deinem Papa, daß er sich im verzeihlichen Irrthum befunden, als er diese junge Frau zur Nervenkranken gemacht. Sie sei nur herzens- oder geisteskrank gewesen und der Genesung sehr nahe!«


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