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IV.

Die Reisevorbereitungen der Freundinnen waren vollendet. Noch ein Tag und sie verließen Beide die Stadt um im reizend gelegenen Felsberg Ruhe und Vergessen aller Unannehmlichkeiten zu suchen. Es waren keineswegs die Vorbereitungen zu einer fröhlichen Reise gewesen, wie sie die Jugend in Erwartung der mysteriös interessanten Reiseabenteuer macht. Nein, mit wehmüthigem Ernst hatte Adelheid Metthorst ihr Hauswesen für eine lange Abwesenheit geordnet und der stete Gedanke »wie sie wiederkehren und ob sie jemals hier wieder wirken und schaffen werde«, begleitete sie peinigend bei allen Schritten ihrer Einrichtung.

Auch Marilia's Herz war durchaus nicht mit fröhlichen Bildern erfüllt. Schwer lag der Druck einer Erfahrung auf demselben, die ihr von Tag zu Tag sicherer zu einer ewigen Entsagung wurde. Alban von Ettinger mied sichtlich ihre Begegnung – er hatte also mit seiner Liebe wirklich abgeschlossen. Dumpf hallten die letzten Worte, die er zu ihr geredet, in ihr wieder – sie waren ihr das Grabgeläute ihrer schönen Zukunft.

Dennoch bereute sie ihre Treue in der Freundschaft nicht! Sie hatte mit dem Muthe der Ueberzeugung gehandelt und mußte nun mit dem Muthe des Märtyrers die Folgen tragen. Tapfer verschmähte sie es durch Mittheilung ihrer Erfahrung Trost zu suchen. Sie legte sich Stillschweigen auf, nicht aus Schonung der Freundin allein, sondern auch aus Rücksicht auf den Mann, den sie wahrhaft geehrt und geliebt. Aber es gewährte ihr der Gedanke, fern von der Stätte ihres jugendlichen Hoffens die schmerzliche Veränderung betrauern zu können, eine unendliche Erleichterung und sie begrüßte den letzten Tag ihrer Anwesenheit im Vaterhause mit einem tiefen, wehmüthig freudigen Athemzuge.

Frau Metthorst empfing in der Frühe dieses Tages einen Brief ihres Gatten, worin er ihr die Erfolglosigkeit seiner Reise meldete und zwar mit allen Specialitäten seines Besuches in Beroda. Seine Ankunft stand also bevor und da er auf die vagen Vermuthungen des klugen Kellners hin noch einen schwachen Versuch zur Aufklärung machen und zu diesem Zwecke eine kleine Seitentour einschlagen wollte, so schrieb er vorläufig, was er erlebt hatte. Frau Adelheid fühlte sich wunderbar betroffen von diesem Briefe, der traurig und hoffnungslos war. Ihr schien die Sache gelichtet durch die Bemerkungen der Frau und der Kinder. Sie begriff nicht wie ihr Mann den Vorfall so leicht nehmen könne. Sie dachte nach und ließ sich dann, rasch entschlossen, Mantel und Hut bringen.

Ihr Vorsatz war, dem Staatsanwalt von Ettinger ohne weiteres diesen Brief zu übergeben und sie führte diesen Vorsatz aus.

Im Bureau der Staatsanwaltschaft angelangt, bat sie um eine Unterredung mit Herrn von Ettinger unter vier Augen. Befremdet empfing dieser Herr die Meldung, war jedoch augenblicklich bereit, die Dame eintreten zu lassen.

So ungünstig auch seine Stimmung für die Gattin eines Mannes sein mochte, den er eines Verbrechens schuldig hielt, so war doch der Eindruck, den Adelheid in diesem Momente auf ihn machte, ein überwältigender. Nie war ihm das Gepräge völliger Herzensreinheit und Unschuld so unzweideutig entgegengetreten, wie in diesem bleichen Frauenantlitze, von einem strahlenden Augenpaare gleichsam erhellt und vergeistigt. Er kannte diese Frau schon längere Zeit. Er hatte sie immer als eine bedeutende Erscheinung unter den Frauen betrachtet. Aber der Seelenadel, die Würde und die ächt weibliche Ruhe, die sich jetzt in ihrem Wesen ausprägte, imponirte ihm mächtiger als er es erwarten konnte. Aber er überwand diesen Eindruck und waffnete sich mit der Kaltblütigkeit, die er bei seinem Berufe aufrecht halten mußte, um urtheilen zu können. Indem er die Dame mit einem Anfluge von ehrerbietiger Achtung zu einem Sessel geleitete, rief er alle bösen Gerüchte in sich zurück, welche ihm zu Ohr gekommen waren. Es sollte ein interessantes Studium, eine bereicherte Menschenkenntniß für ihn abgeben, was diese Frau zu ihm führte. Man lebt ja um zu lernen, man beobachtet ja um weiser zu werden. Der stete Verkehr mit Menschen, die es zur Aufgabe ihres Lebens gemacht haben, eine verbrecherische Laufbahn zu verfolgen, macht den Argwohn zur Gewohnheit und der Stolz, ihnen, den schlauen, geistig oft sehr befähigten, überlegen sein zu wollen, weckt den Keim der Ungerechtigkeit. Es hatte einen gewissen Reiz für den Staatsanwalt, die Regungen in diesem Frauengemüth zu ergründen und ihre Pläne zu verfolgen, die sie zur Rettung ihres Gatten entworfen haben mochte. Ihm waren im Laufe der Zeit so viel ehrliche Augen aufgestoßen, die nicht der Ausdruck einer Innerlichkeit genannt zu werden verdienten, daß er sich wohl hütete, Frau Metthorsts offenen Blick für den Abglanz einer vollkommenen Schuldlosigkeit gelten zu lassen. Er blickte fest, forschend und streng beobachtend in ihr bleiches, von Körper- und Seelenleiden zeugendes Antlitz, als sie ihren Brief hervorholte und mit ergreifender Hast zu sprechen begann.

»Herr von Ettinger, unglückliche Zufälle haben meinen Mann dem Verdachte einer Wechselfälschung preisgegeben. Ich weiß, daß dieser Verdacht hinreichend groß ist, ihn einer gerichtlichen Untersuchung zu unterwerfen und daß er derselben nicht entgehen wird, wenn er von seiner Reise zurückkehrt, die er lediglich unternommen um die Spur des Mannes aufzufinden, der ihn in diese abscheuliche Geschichte verwickelt hat. Schon ist mein Mann vorgeladen vor Gericht – er wird sich morgen stellen – aber leider ist es ihm nicht gelungen den Mann zu finden, der ihm die falschen Wechsel übergeben hat.«

Ein sarkastisches Lächeln Ettingers bekundete, daß sein Mißtrauen durch diesen Eingang keineswegs geschwunden sei. Die junge Frau bemerkte es wohl, fuhr aber ruhig fort:

»Jetzt eben erhalte ich diesen Brief von meinem Manne – lesen Sie ihn – was mein Mann darin leichthin erzählt, scheint mir von solcher Bedeutung, daß ich, Ihrer Umsicht vertrauend, einen Faden zu diesem Labyrinthe voll Dunkelheit dadurch zu bieten meine.«

Ettinger schlug den Brief auf und las ihn. Adelheid lehnte erschöpft den Kopf in die Hand und schaute begierig in sein Gesicht, um darin das Resultat ihres Schrittes zu lesen. Seine Mienen veränderten sich jedoch nicht im geringsten, obwohl es innerlich in ihm hallte: »gut erdacht – gut manövrirt, um seine Flucht zu erklären und zu beschönigen! Fein entworfen und ganz richtig angelegt, um einen weniger erfahrenen Staatsanwalt zu täuschen.« Etwas eitel in Bezug aus seinen Scharfblick, hätte er gar zu gern diesen stillen Reflexionen Worte geliehen, aber er konnte es nicht über sich gewinnen, der bleichen Frau mit einer unzarten Bemerkung wehe zu thun.

Stumm legte er den Brief zusammen. Frau Metthorst erhob sich. Ihr Auge flammte.

»Sie trauen diesem Briefe nicht – ich sehe es sehr wohl, Herr von Ettinger. Und ich muß leider eingestehen, daß die Unerfahrenheit und Unbesonnenheit meines Mannes den Standpunkt der Gefahr für ihn verschlimmert hat. Aber ich bitte Sie gerecht zu bleiben, mein Herr, und ohne Vorurteile Nachforschungen anzustellen, die die Wahrheit der Thatsache enthüllen können.« –

»Seien Sie überzeugt, daß von Seiten der richterlichen Behörde nichts verabsäumt werden wird, dem Thäler auf die Spur zu kommen,« sprach Ettinger mit etwas feierlichem Ernste. »Wenn Sie jetzt, nachdem Herr Metthorst es zwei Mal versucht hat, durch heimliche Entfernung die Thätigkeit des Gerichtes zu durchkreuzen, auf einiges Mißtrauen stoßen, so liegt dieß in der Natur der Sache.« Adelheid war heftig zusammengefahren, als Ettinger mit scharfer Betonung von »zweimaliger Entfernung« sprach. Sie faßte sich aber schnell und schlug den richtigen Weg ein, den Beamten durch Offenheit zu versöhnen.

»Sie haben ganz recht, mein Herr,« entgegnete sie freimüthig ausschauend. »Ich erkläre unser Beginnen jetzt selbst für gesetzwidrig, nachdem es ein vergebliches geblieben ist. Die Furcht vor gerichtlichen Verhandlungen, die uns zu compromittiren drohten, hat uns zu zweideutigen Schritten veranlaßt. Mein Mann kam, vor acht Tagen etwa, in der Nacht ganz unerwartet zurück, trostlos und verzweifelt. Er hatte die Spur des Betrügers verfehlt – seine Baarschaft war zu Ende gegangen. Drei Stunden später schlug er mit neuem Muthe die entgegengesetzte Richtung ein um im Gebirge seine Nachspürungen fortzusetzen. Der Fremde hatte sich eines Tages specielle Schilderungen dieser Gegend entschlüpfen lassen.«

»Gegen Sie selbst Madame?« warf Ettinger kühl ein. Adelheid sah ihn erstaunt an.

»Gegen mich?« wiederholte sie. »Ich habe diesen Fremden niemals zu Gesicht bekommen!«

»Er hat sich Ihrer Gastfreundschaft gerühmt im Hotel,« erwiederte Ettinger scharf aufblickend.

»Dann hat er gelogen! Ich empfange niemals Geschäftsfreunde meines Mannes. Mein beschränkter Hausstand verbietet solche Gastfreundschaft.«

»Wovon sollte er aber Ihr Quartier so genau gekannt haben, wie er es dem Hotelier geschildert?« wendete der Staatsanwalt achselzuckend ein. »Wovon sollte er Ihre Eigenthümlichkeiten so genau kennen gelernt haben? Der Fremde hat mehr von Ihnen als von Ihrem Gatten gesprochen, er hat mit der Begeisterung eines Bewunderers von Ihnen geredet.«

Adelheids Brust hob sich unter einem schweren, tiefen Athemzuge. Sie legte ihre Hand fest gegen die Stirn, als wollte sie einen Aufruhr ihrer Gedanken beschwichtigen und sagte dann erst mit einer von Bewegung gedämpften Stimme:

»Es ist ein Etwas in der Behauptung, die Sie anführen, das mich schändet, aber ich hege zu Ihnen das Vertrauen, daß die Freundin Marilia's nur einfach erwidern darf ›ich kenne diesen Mann nicht!‹ um Sie zu überzeugen, daß er gelogen hat. Gehen Sie ohne Vorurtheile an's Werk, wenn Sie Schritte zur Aufklärung dieser Sache thun müssen – Sie würden ein schweres, nie zu sühnendes Unrecht auf Ihre Seele laden, wollten Sie mich und meinen Mann eines Einverständnisses mit dem fremden Betrüger anklagen. Selbst betrogen und in eine traurige Zerrüttung gestürzt, im natürlichen Drange seine Ehre zu retten, ist mein Mann übereilt ausgezogen, den Betrüger zu suchen. Das ist der Wahrheit gemäß, mein Herr! Was wir sonst gethan, sind Fehlgriffe, vielleicht tadelnswerth, aber nicht strafbar. Es hatte meinen Mann Niemand gesehen in der Nacht, als ich, und in der Hoffnung, daß er gerechtfertigt von seiner zweiten Tour zurückkehren könne, verhehlte ich gegen jedermann seine kurze Anwesenheit.«

»Sie haben von meinem Einflusse aus das Schicksal Ihres Gatten nichts zu fürchten, Madame,« unterbrach Ettinger sie höflich kalt. »Ich verlasse in wenigen Tagen diese Stadt, um in der Nähe der Residenz als Kreisgerichtsdirector eine neue Wirksamkeit zu beginnen.«

»Und Marilia?« fragte die Dame auf's Höchste überrascht. Der Ausruf glitt von ihren Lippen, ehe sie die verrätherische Bedeutung desselben bedenken konnte.

»Fräulein Marilia trägt die Schuld dieses Entschlusses,« war Ettingers kalte Antwort.

Verstört blickte Adelheid ihn an. Was war zwischen diesen beiden Menschen vorgefallen, die Eins in dem Andern zu leben schienen, die sich gegenseitig zu ergänzen geschaffen waren, die in holder Vergessenheit nur für einander Blicke und Worte hatten, wenn sie sich trafen? Jeden Tag hatte man die öffentliche Erklärung erwartet, daß sie verlobt seien. Die Leidenschaft Ettingers trat bei jeder Veranlassung hervor und Marilia's zärtliche Hingebung war unverkennbar. Adelheid hatte nicht das Recht zu fragen. Ein ernstes Nachdenken lagerte sich nach und nach auf ihre Stirn. Sie vergaß über diese unerwartete Nachricht ihr eigenes Leid und schaute abgespannt und trübe vor sich nieder, als der Staatsanwalt mit undurchdringlicher Ruhe ihren Blick ausgehalten hatte. Mit bitterem Lächeln erhob sie sich dann um zu gehen. Ihre Hand streckte sich nach dem Briefe ihres Mannes aus, den Ettinger noch in der Hand hielt.

»Wäre es nicht gerathen, Sie überließen mir diesen Brief aus Discretion, Madame?« fragte der junge Mann. »Ich würde ihn nur dazu benützen, um meinen Nachfolger in diese Sache einzuweihen.«

»Nein!« sagte die junge Frau stolz und hochfahrend. »Geben Sie den Brief her! Zu Ihnen hatte ich das Vertrauen, daß kleine, geringfügige Ereignisse hinreichend sein würden, Ihre Aufmerksamkeit zu fesseln und eine richtige Ansicht zu ermitteln. Da mir dieß bei Ihnen nicht hat gelingen können, so wird es bei Ihrem Herrn Nachfolger gar nicht von Wirkung sein. Mag die Sache denn den gewöhnlichen Verlauf nehmen, mag mein edler, schuldloser Mann auf die Anklagebank gebracht werden, mag das Publikum hämisch den Kopf schütteln über das Ende unserer irdischen Glückseligkeit, mag es dem Richtercollegium gefallen, ihr Schuldig oder Nichtschuldig nach eigener Weisheit zu sprechen – ich ergebe mich in Gottes Rathschluß! Gottlob wir haben nichts zu bereuen als einige Fehlgriffe in der Vertheidigung unserer Ehre. Gottlob sage ich, denn ich halte die Reue für diejenige Regung des Gewissens, die uns von der Vorsehung zur Strafe unseres Handelns bis an's Ende unseres Lebens zugesellt bleibt.« Rasch verließ sie das Zimmer.

Ettinger blieb allein. Er wollte kalt und ruhig aussehen, aber er wußte nicht, daß der innere Schmerz sein Angesicht schärfer zeichnete und daß sich die Blässe desselben verrätherisch mehrte. Still und regungslos blieb er stehen, als sich die Thür hinter der Frau geschlossen hatte, die er verachten wollte. Marilia's Bild tauchte vor seiner Seele wieder auf in der unaussprechlichen Lieblichkeit, womit es sich in sein Herz gedrängt. Dieser seelenvolle Blick – war er nicht jetzt getrübt, und zwar durch sein hartes Verschmähen getrübt? Das starre Erstaunen ihrer Freundin hatte ihm gar deutlich genug verrathen, was man in Rücksicht auf sein Verhalten gegen Marilia erwartet haben mochte. Seine Berufsehre zwang ihn anders zu handeln, und in der treuen Pflichterfüllung mußte er die Mittel zu seiner Beruhigung und zu seinem Troste suchen. Der junge Mann erkannte nun schon jetzt, daß es weit schwieriger sein würde, sein leidenschaftlich entflammtes Herz zu beruhigen, als er gedacht hatte. Marilia's Worte, die sie kurz vor der gewaltsamen Trennung zu ihm gesprochen, erklangen öfter in seinem Geiste, als er es wünschte. Sie hatte ihn damit an die Pflichten der Menschlichkeit gemahnt! Sie hatte die Unschuld ihrer Freundin verbürgt!

Durfte er sich jedoch in seiner Pflichtübung beirren lassen? Durfte er das Mädchen, und sei es so rein wie Engel sind, zu seiner Braut machen, welches allen Verdächtigungen zum Trotz, fest an die Menschen glaubte und im innigsten Verkehr mit ihnen blieb, denen vom Verdachte das Brandmal eines Vergehens aufgedrückt wurde?

Er selbst hatte Ursache anzunehmen, daß Metthorst schuldig war. Wie sollte ein fremder mit allen Stadtverhältnissen unbekannter Mann es sich wohl einfallen lassen, aus hunderten von Kaufmännern gerade den Wechselagenten Guido Metthorst zum Opfer einer sehr gut angelegten Betrügerei zu wählen? Wie hätte dieser fremde Mann wohl darauf rechnen dürfen, den Metthorst zu einem riskanten Geschäfte zu finden? Nein, es war eine fein abgekartete Sache, die nur durch die unerwartete Vorsicht eines Wechslers zu früh an's Tageslicht gekommen war. Man hatte die sorglose Verschwendungssucht des reichen Albert Bekon ausbeuten wollen und man war seines Credites sicher, frech genug gewesen, unter dem Namen eines zweiten Bekon Summen von Belang flüssig zu machen.

Wenn Guido Metthorst seines eigenen Vortheiles wegen, nicht mit dem angeblichen Herrn Albrecht Bekon unter einer Decke gespielt, so würde er eben so leicht, wie jener Wechsler, durch den die Fälschung aufgedeckt wurde, mit einer einzigen Frage an Albert Bekon das Gewebe des Betrugs haben vernichten können. Der falsche Bekon war rechtzeitig verschwunden. Auch Metthorst verschwand. Albert Bekon gab mit unbeschreiblichem Uebermuthe die Erklärung ab, daß er keinen Bruder habe und fragte jeden Menschen, wie man so thöricht sein könne, einem Fremden Wechsel zu honoriren, da man diesen Fremden nie in seiner Gesellschaft bemerkt habe. Dazu kamen die Erzählungen des Hotelbesitzers, der sonderbare Andeutungen von diesem Fremden gehört hatte, die auf eine längere Bekanntschaft mit dem Ehepaare Metthorst schließen ließen. Genug, der Staatsanwalt von Ettinger fand nach dieser stillen Recapitulation seiner Verdachtsgründe, daß er gar anders habe handeln können.

Geistig überlegene Männer sind nie bescheiden. Sie stellen ihre Urtheilskraft stets über diejenige anderer Menschen und so geschahe es denn, daß Ettinger ganz kaltblütig die tiefe Erschütterung Adelheids, womit sie von ihm geschieden war, für einen Theatercoup erklärte, wie ihn Frauen von Geist und Phantasie ganz leicht auszuführen verständen, ohne sich eigentlich einer Heuchelei schuldig zu machen. Er fand sogar ihre Exaltation natürlich. Die Angst um den Mann, den Vater des Kindes, das sie bald zu erwarten hatte, ihre precaire Lage, der vereitelte Versuch, die drohende Untersuchung zu hemmen, ihre eigene, wenn auch vielleicht geringe Schuld – waren das nicht Gründe genug, eine Aufregung zu bewirken, die der Erscheinung einer hübschen Frau etwas erhabenes verlieh?

Und wenn dann wirklich Wahrheit in ihren Worten lag, wenn sich durch die gerichtliche Untersuchung Umstände herausstellten, die eine Freisprechung Metthorst's möglich machten?

Wenn er im widernatürlichen Kampf sein Herzensglück einer Berufspflicht geopfert, wenn die Strenge seiner Grundsätze grundlos etwas zerstört hatte, was nie wieder herzustellen war?

»Dann muß ich meinen Schmerz einsam tragen,« flüsterte er dumpf vor sich hin.

»Marilia hat den Muth bewiesen, mich ihrer Ueberzeugung zu opfern, soll ich kleinmüthig erscheinen?« –

Indeß, so stoisch Ettinger den Weg verfolgte, den er einmal eingeschlagen hatte, so konnte er doch nicht verhindern, daß seine Meinung durch den Brief des Metthorst etwas wankend gemacht wurde. Er nahm Notiz davon, um weitere Nachforschungen zu veranlassen. Ihm lag die Verbindlichkeit ob, alle Quellen zu erschöpfen, die ein Ereigniß aufzuhellen vermochten, welches wie eines Dämons Werk, sein eigenes Glück zerstörten, da sich die Beweise, die Metthorst moralisch verurtheilten, nur dadurch zur rechtlichen Geltung erheben ließen, wenn sein Mitschuldiger herbeigeschafft würde, so forderte seine Pflicht die Verfolgung jeder Spur, die dahin führen konnte.

Ob der starre Pflichtmensch nicht mit dergleichen Reflexionen sein weich gewordenes Gemüth gegen den kalten Verstand zu beschönigen trachtete? Er fühlte es freilich nur allzudeutlich, daß die ideale Weiblichkeit Adelheid's wunderbar beschwichtigend auf die zornige Wallung wirkte, womit er Marilia's treue Anhänglichkeit an diese Frau tadeln wollte. Er wurde schon jetzt geneigt, diese Handlung des jungen Mädchens eine seltene Großmuth zu nennen und die Gediegenheit ihres Charakters darnach abzumessen. Seinem Herzen gestand er darüber kein Urtheil zu, allein seine Vernunft legte sich jetzt in's Mittel und beleuchtete den vorliegenden Fall mit der Frage: »Und wenn Metthorst und seine Frau wirklich ebenfalls betrogen wären? Wenn ein erfahrener Betrüger seine Sorglosigkeit benutzt und mit schlauer Umsicht den Verdacht vorbereitet hätte, der jetzt den Agenten von allen Seiten trifft?«

Dergleichen Gedanken waren nicht dazu angethan, Ettinger zu beruhigen. Obwohl er in würdigem Ernste seine vermehrten Tagesgeschäfte besorgte, obwohl er in würdiger Ruhe alles das ordnete, was er unvollendet seinem Nachfolger übergeben mußte, so flogen doch seine Gedanken rastlos zu den Fragen zurück, die etwas spät von seiner Vernunft angeregt worden waren.

Zuletzt erwachte der Drang in ihm, noch ein einziges Mal mit Marilia zu sprechen. Er wußte, daß der nächste Tag zur Abreise nach Felsberg bestimmt war. Er konnte erwarten, daß Marilia bei ihrer Freundin verweilen werde und in dieser Voraussetzung schlug er in später Abendstunde den Weg über die Esplanade ein, voll Hoffnung, daß der Zufall ihm Marilia beim Nachhausegehen entgegenführen werde.

Er hatte allerdings diesen Zufall ganz richtig berechnet, nur wurde sein Vorsatz, mit ihr zu sprechen, durch die Begleitung ihres Vaters, des würdigen Doktor Hattorp vereiltelt. Marilia, weit ernster als sonst, plauderte mit der ihr eigenen Anmuth mit ihrem Vater, der mit stark umwölkter Stirne neben ihr herschritt. Vorsichtig folgte Ettinger dem Vater und der Tochter, nachdem er erst Beide in der Dunkelheit an sich hatte vorübergehen lassen. Ihr Gespräch drang deutlich zu ihm. Die Stille, welche schon auf der Straße herrschte, ließ ihn jedes Wort vernehmen, das ihren Lippen in der Kümmerniß ihrer Herzen entfloh.

»Aengstige dich nicht Mari,« sagte der Vater, »sie ist in guten Händen. Guido wird durch seine zärtliche Liebe eine Beruhigung bewirken, die ich ihr mit allen Arzneien nicht verschaffen konnte.«

»Du meintest vorhin, Papa, mit solchen Zufällen sei nicht zu spaßen,« wendete Marilia ein.

»Der Kuckuck hole solche Nervensysteme,« brummte der Doktor mehr für sich, setzte aber gleich darauf laut und vernehmlich hinzu: »Es muß etwas ganz besonderes passirt sein, mein liebes Kind. Weißt Du nichts davon?«

»Nein!« betheuerte das junge Mädchen. »Adelheid soll ausgewesen sein – fragen mochte ich nicht ›wohin‹, denn die Dienstboten werden leicht mißtrauisch, wenn man Neugier zeigt und ich denke, wir müssen durch unser ruhiges Vertrauen die Stimmung des Publikums wieder in's Gleichgewicht zu bringen suchen. Adelheid's Zustand war heute fürchterlicher als jemals, Papa.«

»Ja, ja, das Aechzen, womit sie ihrem inneren Schauder Luft zu machen suchte, verrieth aber eher eine Seelenqual, als ein Körperleiden. Sie muß fort von hier, sonst riskiren wir, daß sie erliegt. Jedenfalls hat irgend eine Nachricht ihr allzu empfindliches Gemüth getroffen und den fatalen Unfall herbeigeführt. Gottlob, daß ihr Mann eintraf. Wie mit Zaubermacht wirkte seine Nähe. Es ist kurios, was die Liebe vermag!«

Marilia holte merklich beklommen Athem, fragte jedoch mit ganz ruhiger Stimme:

»Meinst Du, Vater, daß Adelheid ohne Gefahr morgen früh reisen kann?«

»Warum nicht? Je eher desto besser! Fürchtest Du eine Alleinreise mit ihr, so mag Guido Euch begleiten!« antwortete der Doktor hastig.

»Das geht nicht,« erwiderte Marilia eben so hastig. »Ich fürchte auch nichts, wenn Du versicherst, daß Adelheids Zustand die Reise aushält. Je eher, desto besser – Du hast mir aus der Seele gesprochen!«

»Warum sollte Metthorst euch nicht begleiten können? Deinetwegen wär's mir lieb –« meinte der Doktor.

»Metthorsts Rückkehr ist bekannt – eine abermalige Abreise noch dazu in Begleitung seiner Frau würde zu den schlimmsten Redereien Anlaß geben, Papa.«

»Thorheit! Denkst du, daß ein einziger Mensch in der ganzen Stadt dem jungen Manne etwas schlechtes zutrauet?« fragte der Doktor ärgerlich.

»Der Verdacht schleicht oft im Finstern und es ist an uns, diesem Verdachte auf keine Weise Nahrung zu geben,« antwortete Marilia leiser als bisher. »Adelheid sagte mir schon vor einigen Tagen, daß Metthorst vorgeladen sei. Er wird sich morgen unverzüglich dem Gerichte stellen – da es sein könnte, daß man zu harten Maßregeln griffe, so so wäre es gut, wenn Adelheid in der Morgenfrühe die Stadt mit mir verließe.«

»Thorheit!« murmelte ihr Vater. »Denkst du, daß man schuldlose Leute verhaften wird?«

»Ich weiß es nicht, aber eine innere Stimme weissagt mir Unglück, Vater. Wenn es dir gefällig wäre, uns deinen Wagen um acht Uhr anspannen zu lassen – Adelheid ist mit mir einverstanden – sie brennt vor Verlangen, fortzukommen – Guido wird sich fügen, wenn du ihm die Nothwendigkeit dieser beschleunigten Abreise vorstellst – wir sind dann unterwegs, wenn man zur Verhaftung des armen Metthorst schreiten sollte.«

»Zur Verhaftung –« wiederholte der Doktor. »Nein, Mari, dahin wollen wir es doch nicht kommen lassen. Ich bürge für Metthorst – ich werde ihm eine Caution von viertausend Thaler zur Verfügung stellen – verhaften lasse ich ihn nicht, und sollt ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen – darauf mein Wort, Kind!«

»Mein lieber Vater!« flüsterte Marilia mit unbeschreiblicher Innigkeit. »Du bist also auch von Guidos Redlichkeit überzeugt.«

»So vollkommen überzeugt, wie vom Dasein eines höheren Wesens!« betheuerte der Doktor.

»Wer ihn kennt, zweifelt auch nicht an seiner Unschuld –« warf Marilia ein.

»Also mit solchen Sorgen verbitterst du dir dein Jugendleben?« rief der Vater eifrig.

»O, nein –« antwortete das Mädchen mit zaghafter Stimme.

»Darum der Schleier der Betrübniß über deinen hellen, freundlichen Augen? Thorheit – wenn heut zu Tage ein Mann wirklich unschuldig ist, so verurtheilt ihn das Geschwornengericht gewiß nicht eher, als nach sichern Beweisen von Schuld.«

»Aber der Makel, Vater, der Makel, der an dem Manne haften bleibt, welcher öffentlich auf der Anklagebank gesessen hat? Ich glaube nicht, daß Metthorst's Beide diese Schmach überwinden werden – sie gehen daran zu Grunde!«

»Es ist und bleibt eine verwünschte Geschichte,« brummte der ehrenwerthe Doktor voller Zorn.

»Hätte der junge Mann, der Albert Bekon nicht gleich so fürchterlich in die Lärmposaune gestoßen und mit seinen satyrischen Redensarten den armen Metthorst gleichsam an den Pranger gestellt, so würde die Aufmerksamkeit bei weitem weniger auf diesen gerichtet sein. Bei Bekons Mittheilungen kam aber der Fremde, der als Thäter angesehen werden muß, fast gar nicht in Betracht. Nur auf Metthorst richtete er seine Pfeile, nur von Metthorsts falschen Wechseln sprach er in allen Estamiants.«

»Daher also die fürchterlich schnelle Verbreitung eines Verdachtes, der sonst, wie alle Werke der Nacht, langsam und vorsichtig schreitet,« entgegnete Marilia mit einiger Gereiztheit. »Mir ist dieser leichtfertige Humor Bekons unerklärlich, da er sich noch vor kurzer Zeit auffallend an Metthorst anzuschließen versuchte. Seine Freundschaft muß schnell erkaltet sein, sonst würde er den Mann schonen, den er mit Versicherungen seiner Zuneigung überhäufte, und ihn stets zum Mitgenossen seiner Gelage machen wollte. Metthorst's Stolz sträubte sich gegen die Abhängigkeit von dem reichen Mann.«

»Natürlich rächt sich nun der reiche Mann an dem armen Schlucker, der seine Zärtlichkeitslaune nicht gebührend respektirt hat,« fiel der Doktor ein. »Mir ist dieser Wechsel in seiner Stimmung sehr erklärlich. Albert Bekon möchte, wie alle reiche Muttersöhne, den Mittelpunkt in der Männergesellschaft bilden. Im Allgemeinen beliebt, stehen ihm dennoch einige Männer schroff entgegen, die er an sich zu ziehen sucht. Dazu mag Metthorst gehört haben. Jetzt gehört auch der Staatsanwalt von Ettinger zu den wenigen, die es wagen, den jungen, übermüthigen Mann zu geißeln. So etwas verträgt ein Muttersöhnchen nicht, das stets seinen Willen gehabt hat. Es soll neulich im Café royal beinahe zu Unannehmlichkeiten gekommen sein, und merkwürdiger Weise hatte man sich darauf gefreut, den jungen, hochfahrenden Mann vom Staatsanwalt abgeführt zu sehen. Leider ist die Sache durch die schnelle Abreise Bekons vertagt.«

»Bekon ist fort?« fragte Marilia sonderbar hastig.

»Vielleicht ist er schon wieder hier. Sein Vater soll vom Schlage getroffen sein. Eine telegraphische Depesche meldete ihm dieß Unglück an demselben Tage, wo man ihn der Geisel Ettingers verfallen glaubte.«

Mit diesen Worten bogen die beiden nächtlichen Wanderer in die schmale Straße ein, die zu dem freien Platze führte, und es wurde nun dem Staatsanwalt nicht ferner möglich, ihnen unbemerkt nahe zu bleiben. Er hatte auch vollständig genug gehört, um Stoff zum Nachdenken zu finden. Ohne Schwierigkeit errieth er den Zusammenhang von Adelheids Krankheitsanfall und ihrer peinlichen Geistesaufregung. Sie hatte durch seine Eröffnungen nun einen vollständigen Ueberblick erhalten, wie weit sich die Verdachtsgründe ausdehnten. Wenn er nur überzeugt gewesen wäre, daß verletztes Zartgefühl und nicht Schuldbewußtsein die Ursache ihres Seelenleidens sei.

Ettinger wollte sich einreden, ruhig sein zu können. Es gelang ihm dieß wieder eben so wenig, wie vorhin. Adelheid's bleiches, charaktervolles Gesicht mit den strahlenden Augen stellte sich in erschreckender Klarheit vor ihm auf. Es drängte ihn mit aller Macht zum Bewußtsein, daß ein schuldiger Mensch so nicht zu ihm aufzublicken vermöchte. Diese Regung verstärkte sich. Im Hintergrund seiner Seele wohnte Sehnsucht, sich nicht von Marilia im Groll zu trennen, sondern die verletzten Empfindungen zu beschwichtigen. Die Erfahrung hatte ihn im Laufe der wenigen Tage schon hinlänglich belehrt, daß ein Herzenskampf nicht so sicher zu beseitigen sei, wie er es sich eingebildet. Der Widerspruch in seinem Innern, der sich nach seiner festen Entscheidung, »die Liebe seiner Berufspflicht unterzuordnen«, erst erhoben hatte, blieb seinem gewohnten Scharfsinne ein Räthsel. Er sah ein, daß andere Mittel angewendet werden mußten, um die Harmonie seines Wesens wieder herzustellen und von dem Weh erschreckt, das ihn bei dem Gedanken an eine ewige Trennung von Marilia durchbebte, suchte er eine Beschwichtigung in dem Vorsatze, das junge Mädchen auf alle Fälle nochmals zu sprechen, freilich nicht in der Absicht, das Band, welches durch die Ereignisse des Tages zerrissen war, wieder zu knüpfen und zu befestigen, sondern nur in dem Glauben, Ruhe und Muth zu erringen, wenn er ihrer Verzeihung gewiß sein könne. Im Begriffe, die Marter eines ewigen Abschieds aus sich zu laden, irrte sein Geist zu der Frage über: »ob denn keine Rettung, kein Ausweg möglich sei.« O ja! Wenn er seine Selbstachtung aufs Spiel setzen, wenn er seine eigenen Ueberzeugungen willkürlich umstoßen wollte – dann war ihm der Weg zu seinem Liebesglücke frei, dann fielen die Fesseln, welche ihm einen vollen Lebensgenuß verschränkten. Stand er denn weniger ehrenvoll vor der Welt da, wenn er seines Glückes wegen die Verdächtigungen des Publikums gering achtete? Keineswegs! War es denn unedel gehandelt, wenn er, noch vor dem Schiffbruche, sich den Besitz eines Kleinodes sicherte und späterhin die Gründe des Verdachtes erst anerkannte? O, Gott bewahre! Aber es war seinem Wesen zuwider, sich durch Zweideutigkeiten bloß zu stellen – es war seinem Männerstolze entgegen, rücksichtslos den Regungen zu erliegen, die zwar zum menschlichen Glücke dienen, aber nicht die Entschlüsse des Verstandes und der Vernunft regeln sollen. Ettinger hielt also seine strengen Vorsätze aufrecht, ließ sich jedoch willenlos von dem Wunsche, »Marilia noch einmal sehen und sprechen zu mögen«, verleiten, am nächsten Morgen den Augenblick wahrzunehmen, wo der Wagen des Doktor Hattorp langsam über den weiten Platz wegfuhr, um denselben in der besten Absicht ein energisches Halt zu gebieten.

Er hatte es nicht nöthig. Der alte bewährte Kutscher des Doktors mußte es wohl ganz in der Ordnung finden, bei seiner Annäherung anzuhalten. Mit einem vielsagenden Schmunzeln nahm er respektvoll den Hut ab und faßte schnell die muthigen Pferde fester mit den Zügeln. Sie standen auf einen Ruck. Ettinger trat rasch zum Wagenschlag, aus dem ihm Marilias holdes Gesicht, mit ruhigen, aber müden Augen, entgegen leuchtete. Eine schnelle Röthe lief über ihr ganzes Antlitz, sonst aber blieb der Ausdruck desselben unverändert.

Ettinger nahm die Hand, die lässig auf dem Rande des Wagens ruhte, und sah sie mit jener stummen Beredtsamkeit, die dem leidenschaftlichen und tiefen Schmerze eigen ist, fest an. Das flüchtige Erröthen wich von Marilias Angesichte. Sie erbebte vor diesem Blicke, denn er verkündigte ihr, daß es eine letzte Unterredung sei, die dieß unerwartete Zusammentreffen heiligen solle.

»Unsere Wege haben sich getrennt, Marilia,« flüsterte Ettinger mit wankender Stimme, »wir scheiden auf immer in dem Momente, wo eine unauflösliche Vereinigung unser Wunsch geworden war – ich gebrauche Trost, um nicht zu sinken – lassen Sie mir die Beruhigung zurück, daß wir ohne Groll scheiden, daß sie die Wichtigkeit der Lebensregel anerkennen, die meinen Entschluß rechtfertigen muß. Marilia, sprechen Sie ein gütiges Wort zu Dem, der zum Erstenmale im Leben verzagt.«

Das junge Mädchen lächelte sanft. »Sie heischen Trost von mir? Ja, ich ehre die Gründe, die Sie für Ihre Handlungsweise anführen, ich unterwerfe Ihrem Urtheile willig das eigene Urtheil, aber ich halte fest an meiner Ueberzeugung, wie Sie an der Ihrigen. Wir scheiden ohne Groll – ich müßte mich verachten, wollte ich Ihnen grollen – der wahre Schmerz kennt keinen Groll – denn er ist ohne selbstsüchtige Regungen – nur Eines mögen Sie hören von mir, Ihr Beruf ist ein fürchterlicher, weil er die Meinung der Möglichkeit tödtet! So lange ein Schein von möglicher Schuldlosigkeit leuchtet, so lange muß eine gerechte Duldsamkeit herrschen, wenn man nicht an Herzenshärte glauben soll. Ich hege keinen Groll, Alban, wenigstens ist meine schmerzliche Trauer bei dieser Lebenserfahrung dem Unmuthe darüber weit überwiegend, ich hege sogar die tröstende Ueberzeugung, daß Sie nach kurzer Zeit Ihre jetzigen Ansichten selbst verdammen werden! Aber es wäre ein himmlisches Glück für mich gewesen, wenn die Weiche Ihres Herzens der strengen Pflicht ein Ziel gesetzt hätte. Glauben Sie mir, das Herz ist in solchen Fällen ein besserer Rathgeber, als der Verstand.«

»In der Welt der Phantasien, Marilia – aber nicht bei Lösung von Problemen des wirklichen Lebens,« antwortete Ettinger fast traurig. »Das menschliche Herz ist schwach – ich fühle es beim Kampfe, den ich bestehen muß. Gedenken Sie meiner ohne Groll, mein liebes, theures Mädchen – in weiter Ferne will ich mich an diesen Trost anklammern, bis ich ruhig geworden bin, bis sich in unsern spätern Lebensereignissen ein anderer Trost erschließt. Ich gehe fort von hier, um meine Lebensansichten prüfen zu können.«

»Fort von hier?« wiederholte Marilia krampfhaft zusammenschauernd. »Fort auf immer? Ein Abschied auf Nimmerwiedersehen?« Gewaltsam drangen ihre Thränen hervor und ihre Hände zitterten vor Aufregung. Sie konnte den Aufruhr ihres Innern nicht bewältigen, so wacker sich auch ihr Mädchenstolz erhob, um dem Männerstolze ebenbürtig zu werden. Marilia war bei aller Sanftmuth keine schwächliche und sentimentale Natur, aber hier traf sie der Schlag zu unvorbereitet und zu gewaltsam. Ettinger gewahrte wohl ihre Vernichtung, obwohl Marilia ihre Verstörtheit bis auf ein wehmüthig krankhaftes Lächeln besiegte. Er neigte sich zartfühlend über ihre zitternde Hand, küßte sie mehrere Male und sprach dann leise: »Ein Lebewohl auf ewig, wenn nicht Gottes mächtige Hand alle Wolken vom Himmel verscheucht, der uns jetzt verdunkelt erscheint. Ein Lebewohl auf ewig, Marilia, wenn ich nicht unmännlich die Grundlagen meines Wesens zerstören soll – ein Lebewohl auf ewig! Gott segne, Gott behüte Sie!«

Marilia vermochte nicht ein Wort zu antworten. Sie duldete, daß Ettinger ihre Hand fester und immer leidenschaftlicher an seine Lippen preßte, sie würde in diesem schweren, verhängnisvollen Augenblick, wo sie die Ueberzeugung gewann, daß der Mann, den sie liebte, die Wahrhaftigkeit seiner Principien mit seinem Glücke bezahlte, alles andere vergessen, und ihre Freundschaft willig geopfert haben, aber die Worte versagten ihr. Schweigend, mit dem Ausdrucke wilden Schmerzes heftete sie das Auge auf die theure Gestalt, die sie nun nicht wiederfinden würde in der Heimath, wenn sie mit ihrer Freundin zurückkehrte. Vielleicht hatten sich während ihrer Abwesenheit alle Nebel des Verdachtes zerstreuet – was nützte ihr das jetzt? Ihr Schicksal war entschieden. Sie mußte tragen, was sie sich selbst aufgebürdet hatte.

Alban trat vom Wagen zurück. Auch ihm versagte die Stimme den Gebrauch. Noch einen Blick unsäglicher Trauer tauschten diese beide Menschen, welche durch eigenen Entschluß vom Rande des Glückes zurückgeschleudert waren, dann zogen die unruhigen Pferde an und entführten rasch das fassungslos dahin gesunkene Mädchen.

Sie schied ohne Groll! Lag denn nun eine so haltbare Beschwichtigung in diesem Troste? Nein, o nein! Aber eine andere Quelle der Beruhigung erschloß sich für Ettinger in der festen Ueberzeugung von Marilias starker Liebe, die sich eines Tages seinen Anforderungen beugen werde. Eine gerichtliche Verurtheilung mußte das Freundschaftsband zwischen ihr und Adelheid zerstören. Ein gerichtliche Verurtheilung! Das Herz that ihm weh, als er dieser Vorstellung nachhing und sich Adelheids frei erhobenen Blick dabei vergegenwärtigte. Gab es denn keinen andern Ausweg im Labyrinthe seiner bedrohten Hoffnungen? O ja! Völliger Beweis von Metthorsts Unschuld! Ein bitteres Lächeln umspielte des Staatsanwalts Lippen. Er schien nicht der einzige Mensch in der Stadt zu sein, der an die Unmöglichkeit eines solchen Beweises glaubte, denn man sah, nach den fortwährenden Nachfragen zu urtheilen, mit erhöhter Spannung der ersten Vernehmung Metthorsts entgegen. Bevor dann weitere Schritte von der Staatsanwaltschaft beantragt werden mußten, war Ettinger abgereist. Dieser Gedanke war ihm lieb. Er blieb persönlich einer Sache ganz fremd, die ihm schon genug Herzeleid bereitet hatte, und konnte ungescheut seinem tiefen, herzlichen Mitleiden für Adelheid Raum geben, ohne Pflichtverletzungen fürchten zu müssen. Der pedantische Eifer, womit dieser Beamte sein Mißtrauen festhielt, beruhte weniger in bösen Erfahrungen, als in einem gewissen Eigensinne, der ihn aufstachelte, gerade in diesem Falle unerschütterlich, so lange bei seiner Meinung zu beharren, bis er glänzend überführt werde.


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