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II.

Mehr getragen als geführt vom starken Arme ihres Gatten erreichte Adelheid ihr Zimmer, nicht ahnend, wer Augenzeuge einer Begrüßung gewesen war, die sie so freudig erschütterte. »Du hier, Guido? Du bist endlich wieder da? Wie konntest Du es über's Herz bringen, mich so furchtbar zu ängstigen? Wie konntest Du mich verlassen ohne mir nur eine Andeutung zu geben wohin Du wolltest? O Guido, Guido – mein Herz wäre gebrochen, hätte ich Marilia nicht gehabt!« klagte die junge Frau unter seinen zärtlichen Küssen.

»Ich bauete auf Marilia,« entgegnete er. »Mir war die Besinnung entflohen – ich hatte nur den einen Gedanken ›Ihm nach‹, du mußt deine Ehre retten!«

»Und Du hast den Mann gefunden, der Dich in dich Unglück gestürzt?«

»Nein, meine Adelheid – nein! Verzweifelt kehre ich zurück – ich habe seine Spur verloren und meine Baarschaft reichte nicht aus, eine andere Tour einzuschlagen, die mir mehr Glück versprach. Zerschmettert kehre ich zurück – ich gebe alles verloren, denn wer wird mir glauben, wenn ich von der Verzweiflung rede, womit ich Station für Station den Mann gesucht habe, der sich mein Vertrauen erschlichen unter dem Vorgeben, er sei Albert Bekon's Bruder.«

»Hättest du Albert Bekon doch zu rechter Zeit befragt –« fiel Adelheid halb vorwurfsvoll ein, fügte jedoch gleich entschuldigend hinzu: »Aber wer konnte hier einen Betrug ahnen!«

»Seine Aehnlichkeit mit Albert Bekon hat mich zu der Nachlässigkeit verleitet, keine nähere Erkundigungen einzuziehen, da die Bekon's notorisch Millionäre sind,« erläuterte Metthorst mit schwermüthigem Ernste. »Ich hatte einen guten Verdienst zu erwarten – mein habsüchtiges Beginnen ist hart gestraft.«

»Man hat den schweren Verdacht des Betrugs auf Deine Person geworfen,« sprach die junge Frau scheu und leise.

»Ich konnte nichts anderes erwarten, Adelheid,« antwortete er dumpf.

»Was gedenkst du nun zu thun, Guido?«

»Ich gehe morgen zum Staatsanwalt von Ettinger und melde ihm die ganze Sache!«

»Ob das nicht zu spät ist, Guido? Vor deiner Abreise hätte es der Sache eine andere Wendung geben können, jetzt aber nicht mehr.«

Der Mann richtete sich heftig und stolz auf. »Hat mein Name den Klang verloren? Betrachtet man mich als den Urheber des Betruges? Sollte ein musterhaftes Leben so rasch jeden Einfluß verloren haben, daß man an der Wahrheit meiner Berichterstattung zweifeln könnte?«

Adelheid schmiegte sich fester an ihren Gatten, als sie kaum hörbar antwortete:

»Ich fürchte, Du hast einen bittern Kelch zu leeren – man nennt Deine heimliche Reise eine Flucht vor der richterlichen Gewalt – man glaubt nicht an Deine wahrheitsgemäßen Erzählungen – man hat mich verhört und durch allerlei Fragen confus zu machen versucht –«

»Dich? Dich verhört! Dich, Du unschuldiges, süßes, reines Wesen – Dich hat man in's Gericht geschleppt –« rief Metthorst außer sich.

»Nicht geschleppt,« berichtigte Adelheid mit schwachem Lächeln. »Sei unbesorgt. Ich bin im Wagen des Doctor Hattorp hingefahren und habe an seinem Arme das Gerichtszimmer betreten.«

»Gott lohne dem wackern Doctor!« sprach Metthorst aufathmend. »O, wie kann ich mir je vergeben, daß Du durch mich, für mich gelitten, Adelheid!« Er sah ihr mit Innigkeit ins Auge. »Es werden einige schwere Wochen zu verleben sein, mein Lieb, dann aber ist unser Himmel wieder frei von Wolken und unser Glück hat sich vermehrt.«

»Nimm unser Mißgeschick nicht zu leicht, mein Lieber, Theurer,« bat die junge Frau. »Es quält mich, daß Du gar keine Auskunft über den betrügerischen Menschen geben kannst und es wird wahrscheinlich Deine Angelegenheit verschlimmern, daß Du, trotz Deiner Reise, nichts erzielt hast, was Aufklärung brachte. Wäre es nur möglich, die kleinste Spur anzugeben.«

»Die Möglichkeit liegt vor, wenn ich mich mit ausreichenden Mitteln versehen, nach dem südlichen Theile des Gebirges begeben könnte, wo dieser Mann nothwendig gelebt haben muß, da er jeden Baum und jedes Haus dort kannte. Er hatte sich eines Tages im Eifer des Gespräches verrathen und gab mir dann, etwas ausweichend, zu, einmal eine kurze Zeit daselbst gelebt zu haben.«

»O Guido eile doch dorthin!« rief die junge Frau neu belebt. »Warum zögerst Du? Dir fehlt Geld –?« Hastig erschloß sie einen Kasten im Schreibtisch, der neben ihr stand und zog eine saubere Börse hervor, die sie mit leuchtenden Blicken vor ihrem Gatten ausschüttete. »Sieh – es sind nahe an hundert Thaler, mein Lieber – Ersparnisse für die Taufe – aber wir feiern diese Taufe still in Felsberg, wohin mich der Doctor Hattorp durchaus schicken will.«

»Segen über den wackern Doctor!« unterbrach der Mann sie. »Ja, ja, geh nach Felsberg, gehe mein Leben und vergiß die Qual, die mein Unverstand Dir bereitet hat. Ich aber will mich sogleich wieder aufmachen und nicht ruhen bis ich den Schurken entdeckt habe, der mein Lebensglück beeinträchtigte. Ich mache Gebrauch von Deinen Ersparnissen – sie sollen, als ein gesegnetes Gut, mein Werk fördern, damit unserem erwarteten Kinde kein befleckter, kein verunglimpfter Name zu Theil wird. Gib mir eine Erquickung mein holdes Weib, nur ein wenig Speise und Trank und dann fort von hier! Ich will nicht rasten bis ich mich reinigen kann von dem schmählichen Verdachte!«

Adelheid lächelte beistimmend und legte ihre Lippen mit zärtlichem Drucke auf seine heißgewordene Stirn ehe sie hinauseilte um einige Lebensmittel herbeizuholen. Niemand im Hause wachte, als sie. Kein Mensch hatte den Gatten gesehen. Ihr Dienstmädchen schlief längst. Es war also keine Nachrede zu fürchten, wenn er schnell wieder fortreiste um seinen Zweck weiter zu verfolgen. Es war am besten, daß er reiste um gerechtfertigt wieder erscheinen zu können. Nach ihrem Ermessen mußte es ihm nun glücken, den Betrüger aufzuspüren. Sie selbst war ja nun getröstet. Sie wußte wo er weilte, sie wußte warum er abwesend sein würde. Ueber solchen Erleichterungen erträgt sich schon eine kurze Trennung und da sie die erquickende Aussicht auf ein Stillleben in Felsberg an Marilia's Seite hatte, so blickte sie fast heiter auf die nächste Zeit, die als eine Uebergangsperiode zum höchsten Glück betrachtet werden durfte.

Als sie den Gatten erquickt hatte, entließ sie ihn unter heißen Segenswünschen und er eilte den nächsten Nachtzug zu benützen, der ihn an die Grenze des ...Gebirges befördern konnte.

In derselben Minute, als die Lokomotive ihr schrillendes Signal durch die stille Nacht tönen ließ, schrieb der Staatsanwalt von Ettinger nach langem, schwerem Kampfe mit seinem mächtig erwachten Mitleiden, die Worte nieder: »Es ist zur Kenntniß der Staatsanwaltschaft gekommen, daß der Wechselagent Guido Metthorst in dieser Nacht von seiner Reise zurückgekehrt ist. Ich mache der königlichen Gerichtsbehörde hiervon Anzeige und beantrage, nunmehr den Wechselagenten Guido Metthorst verantwortlich zu vernehmen, eventualiter sogleich den Haftbefehl gegen ihn zu erlassen.«

Der Schlag war gefallen. Während Frau Adelheid in wiedergewonnener Ruhe von glücklicher Lösung aller Verwirrungen träumte, bemächtigte sich früh morgens ein Diener der Gerechtigkeit des inhaltschweren Schreibens und trug es der richterlichen Behörde zu, welcher die Macht der äußersten Verfolgung frei stand.

Wer möchte aber das gerechte Erstaunen des Herrn von Ettinger schildern, als ihm im Laufe der nächsten Tage die gerichtliche Meldung zuging, daß es auf einem Irrthum beruhen müsse, wenn von der Ankunft des Wechselagenten Guido Metthorst die Rede gewesen sei, denn seine Hausgenossen hätten es sämmtlich in Abrede gestellt, ihn gesehen zu haben, und eine Verheimlichung seiner Person sei bei der Lokalität des Hauses nicht möglich.

Entrüstet überlas er diesen Bescheid mehrmals. Sein Verdacht erhielt dadurch neue Nahrung. War es nicht durch diesen Umstand bis zur Evidenz erwiesen, daß sich das Ehepaar Metthorst in ein Lügengewebe hüllte?

Aufgeregt durchmaß er sein Zimmer, sonst die Stätte eines stillen Friedens, und überlegte, was er thun könne, um diese Angelegenheit endlich zur Klarheit zu bringen. Forderte er jetzt die steckbriefliche Verfolgung des jungen Kaufmannes, so war dieser auf ewig gebrandmarkt. Aber sein Beruf heischte durchgreifende Schritte. Erklärte er öffentlich dem Gerichte, »den Mann selbst gesehen zu haben«, so überantwortete er ihn ohne Erbarmen den nothwendigen gerichtlichen Maßregeln. Sein Inneres empörte sich gegen Schritte, die ihn als Verfolger der Menschen darstellen, die Marilia liebte und schätzte. Er zögerte, seine persönlichen Wahrnehmungen geltend zu machen. Er suchte es sich selbst einzureden, daß seine Berufspflicht nun erfüllt sei und daß er es der Zeit überlassen könne, das betrügerische Treiben des Metthorst'schen Ehepaars zu entlarven.

Aber die stillen Kämpfe mit seinem Gewissen verleideten ihm das Leben und brachten einen Entschluß zur Reife, der schon lange vorher von ihm erwogen worden war. Er wollte die Laufbahn verlassen, die er seit mehreren Jahren mit der Energie eines starken Geistes betreten hatte. Er wollte in den Justizdienst zurücktreten und die Anerbietungen eines Verwandten, der eine einflußreiche Stellung in der Residenz einnahm, benutzen, um so bald wie möglich einen Geschäftskreis und einen Aufenthaltsort verlassen zu können, der ihm zuwider geworden war. Unverzüglich schrieb er seinem Verwandten, daß er auf seine Vorschläge eingehe und ihn bäte, seine Abberufung möglichst zu beschleunigen.

Jetzt konnte er hoffen, in kürzester Frist aus Verhältnissen treten zu können, die ihm mit jeder Minute unerträglicher wurden. Er traf im Stillen seine Vorbereitungen zur Abreise und wartete ungeduldig des Befehles, sich nach irgend einem Winkel des Landes verfügen zu sollen, wo er mit Muße seine Seelenruhe nähren könne. Unter den wechselnden Ereignissen hatte sich seine Seelenstimmung schon merklich gebessert, und wenn auch Marilia's Bild oft verlockend vor ihn trat, wenn auch sein Herz, nur beschwichtigt und keineswegs erkaltet, in Zukunftsträumen eine Art Trost zu erlangen suchte, so gestaltete sich allmählig dennoch die Ueberzeugung in ihm, daß er seine Neigung überwinden werde und daß es nicht rathsam sei, sich die geringsten Hoffnungen auf spätere Ausgleichungen zu machen. Marilia hatte sich entschieden für ihre Freundin, als er ihr die Alternative gestellt, zwischen dem Glück ihres Lebens und der Beharrlichkeit ihrer Freundschaft zu wählen – mit dieser Entscheidung war ihre ewige Trennung besiegelt worden.


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