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VI.
Die Frau.

Es ist eine merkwürdige und rätselhafte Erscheinung, dass Nietzsche trotz des Verkehres mit höchst gebildeten und gelehrten Frauen, unter denen sich ernste, künstlerische und tief angelegte Naturen befanden, im allgemeinen von der Frau nichts vorteilhaftes zu erzählen weiss, und dass er die Frau als ein inferiores Wesen behandelt. In seiner Umgebung befanden sich Frauen, die in Bezug auf Bildung und Kunstverständnis in keiner Beziehung hinter ihm zurückstanden. Manche von diesen Frauen war ihm eine Stütze in den Tagen der Krankheit und so manche hat ihn durch feinfühlendes Verständnis bei seinen Arbeiten gefördert und ermuntert.

Und trotzdem ist Nietzsche ein Frauenverächter geworden. Wie das gekommen sein mag, dafür finden wir in seinen Werken keine genügende und rechtfertigende Erklärung. Er kannte allzugut die vornehmen Frauennaturen, er unterschätzte aber trotzdem die Bestrebungen derselben und bemühte sich mit ironischen Worten die geistige und gesellschaftliche Emanzipation der Frau ins Lächerliche zu ziehen.

Dieser ablehnenden, ja oft sehr gehässigen und unfeinen Haltung den Frauen gegenüber, wie sie uns in den Schriften Nietzsches entgegentritt, müssen, wie anderen Aeusserungen, persönliche Motive zu Grunde liegen, über die man vergebens in der bisher erschienenen Biographie der Frau Förster-Nietzsche eine Aufklärung sucht. Auch seine intimen Freundinnen Malvida von Meysenbug, Lou Andreas-Salomé und Meta von Salis-Marschlins wissen darüber nichts zu berichten.

Aber noch viel merkwürdiger und rätselhafter ist es, dass das weibliche Geschlecht trotz der schlechten Behandlung von Seiten Nietzsches zu seinen grössten Verehrerinnen gehört und ein grosser Teil des Nietzsche-Kultus ist auf das so sehr geschmähte »Spielzeug« und die »gefährliche und schöne Katze,« wie er die Frau nennt, zurückzuführen. Sollten etwa die Frauen durch ihre freundliche Stellungnahme zu Nietzsche die Richtigkeit seiner Behauptungen anstandslos anerkennen? So hätte dann Nietzsche mit seinem »Du gehst zu den Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!« eine grosse Wahrheit gesagt, wofür sein Erfolg bei den Frauen der beste Beweis wäre.

Wir wollen im folgenden Nietzsche selbst über die Frau, Liebe und Ehe sprechen lassen.

»Das Weib hat so viel Grund zur Scham; im Weibe ist so viel Pedantisches, Oberflächliches, Schulmeisterliches, Kleinlich-Anmassliches, Kleinlich-Zügelloses und -Unbescheidenes versteckt … das im Grunde bisher durch die Furcht vor dem Manne am Besten zurückgedrängt und gebändigt wurde. Wehe, wenn erst das »Ewig-Langweilige am Weibe« – es ist reich daran! – sich hervorwagen darf … Wir Männer wünschen, dass das Weib nicht fortfahre, sich durch Aufklärung zu kompromittieren …« (Jenseits v. G. u. B. Nr. 232).

»Wenn das Weib ein denkendes Geschöpf wäre, so hätte es ja, als Köchin seit Jahrtausenden, die grössten physiologischen Thatsachen finden, insgleichen die Heilkunst in seinen Besitz bringen müssen! Durch schlechte Köchinnen – durch den vollkommnen Mangel an Vernunft in der Küche ist die Entwicklung des Menschen am längsten aufgehalten, am schlimmsten beeinträchtigt werden: es steht heute selbst noch wenig besser« (jenseits v. G. u. B. Nr. 234).

»– das Weib entartet. Dies geschieht heute: täuschen wir uns nicht darüber! Wo nur der industrielle Geist über den militärischen und aristokratischen Geist gesiegt hat, strebt jetzt das Weib nach der wirtschaftlichen und rechtlichen Selbständigkeit eines Kommis: »das Weib als Kommis« steht an der Pforte der sich bildenden modernen Gesellschaft … Seit der französischen Revolution ist in Europa der Einfluss des Weibes in dem Masse geringer geworden, als es an Rechten und Ansprüchen zugenommen hat; und die Emanzipation des Weibes, insofern sie von den Frauen selbst (und nicht nur von männlichen Flachköpfen) verlangt und gefördert wird, ergiebt sich dergestalt als ein merkwürdiges System von der zunehmenden Schwächung und Abstumpfung der allerweiblichsten Instinkte. Es ist Dummheit in dieser Bewegung, eine beinahe maskulinische Dummheit, deren sich ein wohlgeratenes Weib – das immer ein kluges Weib ist – von Grund aus zu schämen hätte« (Jenseits von Gut und Böse Nr. 239).

Alles am Weibe, meint Nietzsche, ist ein Rätsel; der Mann ist für das Weib nur ein Mittel, der Zweck bleibt immer das Kind. Nietzsche möchte, dass die Liebe beim Eingehen einer Ehe nicht berücksichtigt und ausschlaggebend werden soll.

»Es sollte nicht erlaubt sein, im Zustande der Verliebtheit einen Entschluss über sein Leben zu fassen und einer heftigen Grille wegen den Charakter seiner Gesellschaft ein für allemal festzusetzen: man sollte die Schwüre der Liebenden öffentlich für ungültig erklären und ihnen die Ehe verweigern: – und zwar, weil man die Ehe unsäglich wichtiger nehmen sollte! so dass sie in solchen Fällen, wo sie bisher zu stande kam, für gewöhnlich gerade nicht zu stande käme!« (Morgenröte Nr. 151).

»Die Ehen, welche aus Liebe geschlossen werden (die sogenannten Liebesheiraten), haben den Irrtum zum Vater und die Not (das Bedürfnis) zur Mutter« (Menschl. Allzum. I, Nr. 389).

»Eine Ehe, in der jedes durch das andere ein individuelles Ziel erreichen will, hält gut zusammen, zum Beispiel, wenn die Frau durch den Mann berühmt, der Mann durch die Frau beliebt werden will« (Daselbst Nr. 399).

»Man soll sich beim Eingehen einer Ehe die Frage vorlegen: glaubst du, dich mit dieser Frau bis ins Alter hinein gut zu unterhalten? Alles andere in der Ehe ist transitorisch, aber die meiste Zeit des Verkehrs gehört dem Gespräche an« (Daselbst Nr. 406).

»Mitunter genügt schon eine stärkere Brille, um den Verliebten zu heilen; und wer die Kraft der Einbildung hätte, um ein Gesicht, eine Gestalt sich zwanzig Jahre älter vorzustellen, ginge vielleicht sehr ungestört durch das Leben« (Daselbst Nr. 413).

»Die Abgötterei, welche die Frauen mit der Liebe treiben, ist ein Grund und ursprünglich eine Erfindung der Klugheit, insofern sie ihre Macht durch alle jene Idealisierungen der Liebe erhöhen und sich in den Augen der Männer als immer begehrenswerter darstellen. Aber durch die jahrhundertlange Gewöhnung an diese übertriebene Schätzung der Liebe ist es geschehen, dass sie in ihr eigenes Netz gelaufen sind und jenen Ursprung vergessen haben. Sie selber sind jetzt noch mehr die Getäuschten, als die Männer, und leiden deshalb auch mehr an der Enttäuschung, welche fast notwendig im Leben jeder Frau eintreten wird – sofern sie überhaupt Phantasie und Verstand genug hat, um getäuscht und enttäuscht werden zu können« (Daselbst Nr. 415).

»Man liebt zuletzt seine Begierde, und nicht das Begehrte« (Daselbst Nr. 175).

Nietzsche ist ein Frauenverächter, denn kann es eine tiefere, furchtbarere Verachtung geben, als die, welche im Weibe nur das Mittel zum Zweck gelten lässt! Das Weib soll nur fremden Interessen dienen, entweder denen des Mannes oder denen der Gattung. Nirgends die leiseste Andeutung oder auch Ahnung, dass die Frau auch eigene Interessen haben könne oder dürfe. Er verwirft die Liebe als Grundlage der Ehe, selbst der Begriff dieser Liebe in der Ehe ist ihm unbekannt. Die Liebe wird bald als Verliebtheit ins Lächerliche gezogen oder als Brunst an den Pranger gestellt.

Nietzsches Stellung zum Weibe ist kein isolierter Punkt, sie ist vielmehr im engsten Zusammenhange mit seiner ganzen Gedankenwelt, sie ist nur eine specielle Anwendung seiner Herren-Moral. Die Frau ist ihm keiner Freundschaft würdig, in ihrer Liebe sieht er nur Ungerechtigkeit und Blindheit. »Katzen sind immer noch die Weiber, und Vögel. Oder besten Falles Kühe« (Zarathustra S. 82).

Nietzsches Geringschätzung des durch die Liebe idealisierten Geschlechtslebens hat ihre Wurzeln, wie vieles andere bei ihm, in seiner Verehrung des Altertums, wo die Frau dem Manne nur Weib, Kindererzeugerin war. Bei den Griechen stand die Frau in Ehren, solange sie abgeschlossen von der Welt war, sie war ein »verschliessbares Eigentum.« Wohl durfte die Athenerin dem Gottesdienste beiwohnen, Frauenbesuch empfangen und erwidern und auch mit Männern verkehren, aber nur in Gegenwart ihres Mannes. Es war aber gegen Sitte und Anstand, sich unbegleitet auf der Strasse sehen zu lassen. Schmuck tragen durfte nur die Hetäre, die Ehefrau musste es ruhig ansehen, wie ihr Mann seiner Hetäre das schenkte, wonach sie vergebens sich sehnte.

Die ehrbare Frau in Griechenland war im Kampf gegen die Freundin des Mannes durchaus unterlegen. Der Grieche verlangte von seiner Frau, dass sie seinem Geschlechte Kinder schenke, die erste Jugendzeit derselben überwache, die Sklavinnen beaufsichtige und für alle häuslichen Bequemlichkeiten des Mannes sorge. An öffentlichen Schaustellungen teilzunehmen war ihr verboten. Dagegen durfte die Hetäre überall ihre Pracht und ihren Witz entwickeln und den besten Teil des Herzens ihres Geliebten in Anspruch nehmen. Die Ehefrau musste das alles empfinden, und wenn sie klug war, sagte sie sich wohl, dass mancherlei besser gehen könnte, wenn nur der Mann mehr zu Hause als bei seiner Freundin weilen würde.

Die höchste Aufgabe der Frau im Eheleben sieht Nietzsche nur in der Zeugung und in der Erziehung eines starken Geschlechts, aus dem der Uebermensch hervorgehen sollte. Wir lassen die darauf bezügliche Stelle folgen.

»Jene edlen freigesinnten Frauen, welche die Erziehung und Erhebung des weiblichen Geschlechts sich zur Aufgabe stellen, sollen einen Gesichtspunkt nicht übersehen: die Ehe in ihrer höheren Auffassung gedacht, als Seelenfreundschaft zweier Menschen verschiedenen Geschlechts, also so, wie sie von der Zukunft erhofft wird, zum Zweck der Erzeugung und Erziehung einer neuen Generation geschlossen, – eine solche Ehe, welche das Sinnliche gleichsam nur als ein seltnes gelegentliches Mittel für einen grösseren Zweck gebraucht, bedarf wahrscheinlich, wie man besorgen muss, einer natürlichen Beihilfe, des Konkubinats. Denn wenn aus Gründen der Gesundheit des Mannes das Eheweib auch zur alleinigen Befriedigung des geschlechtlichen Bedürfnisses dienen soll, so wird bei der Wahl einer Gattin schon ein falscher, den angedeuteten Zielen entgegengesetzter Gesichtspunkt massgebend sein: die Erzielung der Nachkommenschaft wird zufällig … Eine gute Gattin, welche Freundin, Gehilfin, Gebärerin, Mutter, Familienhaupt, Verwalterin sein soll, … kann nicht zugleich Konkubine sein: es hiesse im allgemeinen zu viel von ihr verlangen« (Menschl. Allzum. I, Nr. 424).

Nietzsche opfert alles seinem Ideale, dem Uebermenschen. Ehe, Liebe, Moral, Pflicht und alle die Tugenden, denen die Menschheit ihr höchstes und bestes zu verdanken hat, werden schonungslos preisgegeben, um nur die Hervorbringung des Uebermenschen zu ermöglichen. Allen Bestrebungen der Gleichberechtigung der Frau steht er feindlich gegenüber, und zwar aus demselben Grunde. »Wenn ein Weib gelehrte Neigungen hat, so ist gewöhnlich etwas an ihrer Geschlechtlichkeit nicht in Ordnung. Schon Unfruchtbarkeit disponiert zu einer gewissen Männlichkeit des Geschmacks; der Mann ist nämlich, mit Verlaub, das unfruchtbarste Tier« (Jenseits v. Gut u. Böse Nr. 144).

Wie wir sehen, unterwirft Nietzsche die Ehe, die Liebe und die ganze Frauenfrage, ebenso wie die Moral und Religion einer scharfen Kritik. Ueberall ist das Resultat dasselbe. Alle Ideale werden zerstört und schonungslos verhöhnt, und an die Stelle derselben treten der Materialismus und Naturalismus.

Abgesehen aber von der Verstimmung, welche die zahlreichen Aphorismen, die an das Paradoxe grenzen, hinterlassen, wird man andererseits doch gefesselt von den geistreichen Aussprüchen, die auf ein feines psychologisches Gefühl und ein tieferes Verständnis der seelischen Vorgänge schliessen lassen. Aber, wie überall, so ist es auch hier die blinde Leidenschaft, die statt der ruhigen und abwägenden Vernunft das Wort führt und zu Aeusserungen sich hinreissen lässt, die vor einer objektiven Kritik nicht bestehen können.


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