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IV.
Der Uebermensch.

Man spricht heute sehr viel von Uebermenschen. Der Begriff, oder sagen wir richtiger, das Wort ist in Mode gekommen und gleich vielen anderen Mode-, Schlag- und Stichworten wird es in richtigem und falschem Sinne gebraucht. Für Manchen ist der Uebermensch der Typus eines idealen, edlen Menschen, für Andere ist er mit dem Begriffe Verbrecher identisch oder sehr nahe verwandt. Zwischen diesen zwei extremen Vorstellungsarten bewegen sich dann in verschiedenen Nuancierungen und Abstufungen die Auffassungen vom Uebermenschen.

Das Wort Uebermensch ist gar nicht neu; wir finden es schon bei Herder und Goethe. Im Faust heisst es: »Welch' erbärmlich Grauen fasst Uebermenschen dich!« Und in der Zueignung zu Goethes Gedichten finden wir folgende Stelle:

»Kaum bist du sicher vor dem gröbsten Trug,
Kaum bist du Herr vom ersten Kinderwillen,
So glaubst du dich schon Uebermensch genug,
Versäumst die Pflicht des Mannes zu erfüllen!«

Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Nietzsche nicht nur das Wort, sondern auch die damit verbundene Vorstellung von Goethe entlehnt hat. Er verbindet aber nicht immer eine klare und deutliche Vorstellung mit dem Worte Uebermensch.

Ursprünglich verhielt sich Nietzsche zu diesem ganzen Begriffe sehr ablehnend. Der Uebermensch als ein Wesen von neuen und höheren Eigenschaften galt ihm zu einer gewissen Zeit sogar als eine lächerliche Phantasievorstellung, wie aus folgender Stelle zu ersehen ist: »Es müsste geistigere Geschöpfe geben als der Mensch, bloss um den Humor ganz auszukosten, der darin liegt, dass der Mensch sich für den Zweck des ganzen Welt-Daseins ansieht und die Menschheit ernstlich nur mit Aussicht auf eine Welt-Mission sich zufrieden giebt« (Menschl. Allzum. II. S. 199). Und noch in der Morgenröte (Nr. 49) heisst es: »Ehemals suchte man zum Gefühle der Herrlichkeit des Menschen zu kommen, indem man auf seine göttliche Abkunft hinzeigte: dies ist jetzt ein verbotener Weg geworden, denn an seiner Thüre steht der Affe, nebst anderem greulichem Getier, und fletscht verständnisvoll die Zähne, wie um zu sagen: nicht weiter in dieser Richtung! So versucht man es jetzt in der entgegengesetzten Richtung: der Weg, wohin die Menschheit geht, soll zum Beweise ihrer Herrlichkeit und Gottverwandtschaft dienen. Ach, auch damit ist es nichts! Am Ende dieses Weges steht die Graburne des letzten Menschen und Totengräbers. Wie hoch die Menschheit sich entwickelt haben möge – und vielleicht wird sie am Ende gar tiefer als am Anfange stehen! – es giebt für sie keinen Uebergang in eine höhere Ordnung, so wenig die Ameise und der Ohrwurm am Ende ihrer »Erdenbahn« zur Gottverwandtschaft und Ewigkeit emporsteigen. Das Werden schleppt das Gewesensein hinter sich her: warum sollte es von diesem ewigen Schauspiele eine Ausnahme für irgend ein Sternchen und wiederum für ein Gattungchen auf ihm geben! Fort mit solchen Sentimentalitäten!«

Diese Sentimentalitäten, die Nietzsche einst mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen hat, wurden dann zu seinem Lieblingsthema, zum Angelpunkte seiner ganzen Lebensauffassung. Immer das gleiche Schauspiel! Nietzsche giebt Vorstellungen auf, die er als die notwendigsten einst angesehen und nimmt wieder solche an, die er mit Hohn und Gelächter abgewiesen hat. Und immer geschieht das, nicht etwa aus einer erkenntnistheoretischen Notwendigkeit, darum kümmert sich Nietzsche überhaupt nicht, sondern aus irgend einer künstlerischen und mystischen Neigung, die über die gewöhnlichen Daseinserscheinungen hinausgehen und etwas ganz neues schaffen möchte. Die Unzufriedenheit mit der bestehenden Weltordnung, das Suchen nach einem »Sinn der Erde«, und das Bestreben diesen »Sinn der Erde« zu finden, haben bei Nietzsche den Uebermenschen gezeitigt.

Die Menschen der Gegenwart mit ihren Tugenden und Lastern, mit ihren Hoffnungen und Entsagungen, mit ihrem Streben und Verzichtleisten ekelten ihn an. Er frug sich, wozu das alles! Um solcher Menschen willen eine Welt zu schaffen, war wirklich der Mühe nicht wert. Es muss ein tieferer Grund für die Existenz derselben gefunden werden, es müssen die Daseinsberechtigungen dieser kleinlichen Leute irgendwo anders liegen, als man es bisher anzunehmen pflegte.

Nach dieser Ueberlegung gelangte Nietzsche zur Ueberzeugung, dass der Mensch der Gegenwart ein Uebergangsstadium, eine Uebergangsstufe zum Uebermenschen, der erst dem Dasein eine Berechtigung verleihen soll, ist.

»Und Zarathustra sprach also zum Volke:

Ich lehre euch den Uebermenschen. Der Mensch ist etwas, das überwunden werden soll. Was habt ihr gethan, ihn zu überwinden?

Alle Wesen bisher schufen etwas über sich hinaus: und ihr wollt die Ebbe dieser grossen Flut sein und lieber noch zum Tiere zurückgehen, als den Menschen überwinden?

Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham. Und ebendas soll der Mensch für den Uebermenschen sein: ein Gelächter oder eine schmerzliche Scham.

Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und vieles ist in euch noch Wurm. Einst waret ihr Affen, und auch jetzt noch ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe.

Wer aber der Weiseste von euch ist, der ist auch nur ein Zwiespalt und Zwitter von Pflanze und von Gespenst. Aber heisse ich euch zu Gespenstern oder Pflanzen werden?

Seht, ich lehre euch den Uebermenschen.

Der Uebermensch ist der Sinn der Erde. Euer Wille sage: der Uebermensch sei der Sinn der Erde!

Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht.

Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren die Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren! – – – – – – – – – –

Nicht eure Sünde – eure Genügsamkeit schreit gen Himmel, euer Geiz selbst in eurer Sünde schreit gen Himmel!

Wo ist doch der Blitz, der euch mit seiner Zunge lecke? Wo ist der Wahnsinn, mit dem ihr geimpft werden müsstet?

Seht, ich lehre euch den Uebermenschen: der ist dieser Blitz, der ist dieser Wahnsinn! –« (Also sprach Zarathustra S. 12 u. ff).

Nietzsche wird nicht müde, in immer neuen Wendungen diesen Uebermenschen zu predigen; der Uebermensch ist sein Lieblingsthema geworden, trotzdem er sich damit in Widerspruch zu seiner früheren Behauptung gestellt hat. Einst war ihm der Uebermensch eine lächerliche Phantasievorstellung, jetzt wird er ihm zum einzigen Sinn der Erde. Er predigt in eindringlichstem Tone mit Zuhilfenahme seiner stärksten Mittel den Untergang des Menschen zum Zwecke der Hervorbringung des Uebermenschen.

»Die Sorglichsten fragen heute: »wie bleibt der Mensch überwunden?« Zarathustra aber fragt als der Einzige und Erste: wie wird der Mensch » überwunden

Der Uebermensch liegt mir am Herzen, der ist mein Erstes und Einziges – und nicht der Mensch: nicht der Nächste, nicht der Aermste, nicht der Leidenste, nicht der Beste. –

Oh meine Brüder, was ich lieben kann am Menschen, das ist, dass er ein Uebergang ist und ein Untergang. Und auch an euch ist vieles, das mich lieben und hoffen macht.

Dass ihr verachtet, ihr höheren Menschen, das macht mich hoffen. Die grossen Verachtenden nämlich sind die grossen Verehrenden.

Dass ihr verzweifelt, daran ist viel zu ehren. Denn ihr lerntet nicht, wie ihr euch ergäbet, ihr lerntet die kleinen Klugheiten nicht.


Diese Herrn von Heute überwindet mir, oh meine Brüder, – diese kleinen Leute: die sind des Uebermenschen grösste Gefahr!

Ueberwindet mir, ihr höheren Menschen, die kleinen Tugenden, die kleinen Klugheiten, die Sandkorn-Rücksichten, den Ameisen-Kribbelkram, das erbärmliche Behagen, das »Glück der Meisten« –!

Und lieber verzweifelt, als dass ihr euch ergebt. Und, wahrlich, ich liebe euch dafür, dass ihr heute nicht zu leben wisst, ihr höheren Menschen! So nämlich lebt ihr – am besten!« (Zarathustra S. 418/19).

Was ist nun dieser Uebermensch? Ist er ein höheres Wesen, das einer höheren vollkommneren Rasse angehört, oder ist dieser Uebermensch nur ein Symbol, ein Ideal, dem nachzustreben schon ein Verdienst ist? Man kann sich diesen Uebermenschen als eine Ueberart, im Sinne des Darwinismus, denken, als eine Entwickelung der gegenwärtigen Menschheit zu einem vollendeteren und höheren Typus. »Aufwärts geht unser Weg von der Art zur Ueberart« diese Aeusserung kann nur im darwinistischen Sinne verstanden werden. Ebenso wie bei den Tieren höhere Arten durch natürliche Zuchtwahl entstehen, sollten auch – nach Nietzsche – die Menschen es machen. Die besten Menschen sollten durch Paarung eine bessere und höhere Rasse hervorbringen.

Der Uebermensch, wie ihn Nietzsche an anderen Stellen wieder schildert, lässt aber noch eine andere Deutung zu. Der Uebermensch ist nach dieser anderen Schilderung nicht im physischen sondern im intellektuellen Sinne zu verstehen. Nicht der Körper sondern der Geist soll die führende Rolle übernehmen. Der Uebermensch ist demnach keine Ueberart im darwinistischen Sinne, sondern ein grösserer Mensch, ein Genie, dessen Hervorbringung das Ziel der ganzen Kulturentwicklung sein soll. Das Genie, der grosse Mann, ist die höchste Blüte der Menschheit, in ihm wird Vergangenheit und Zukunft eins; dem Genie allein ist die Entwicklung der Menschheit zu verdanken. Nicht das Volk, die Masse, die Gesamtheit, der Pöbel bringt die Menschheit vorwärts, nein, der Aufschwung ist das Werk der Einzelnen, des Genies, des Uebermenschen.

Im Genie tritt also in ausserordentlichem Grade das hervor, was die Menschen befähigen kann von einer Art zu einer höheren Art, zu einer Ueber-Art sich zu entwickeln. Das Genie ist ein Wesen, das »den Menschen rechtfertigt, ein komplementärer und erlösender Glücksfall des Menschen, um dessenwillen man den Glauben an den Menschen festhalten darf.« Diese Genies sind »Explosionsstoffe, in denen eine ungeheure Kraft aufgehäuft ist; ihre Voraussetzung ist immer, historisch und physiologisch, dass lange auf sie hin gesammelt, gehäuft, gespart und bewahrt worden ist, – dass lange keine Explosion statt fand. Ist die Spannung in der Masse zu gross geworden, so genügt der zufälligste Reiz, das Genie, die That, das grosse Schicksal in die Welt zu rufen.«

Diese Scheidung von Geist und Körper wird nicht überall streng durchgeführt, der Dualismus wird monistisch ausgebildet und so erscheint der Uebermensch als die Verkörperung einer starken Physis und hochentwickelten Psyche. Ein grosser Geist in einem starken Körper, ein geistiger und körperlicher Kraftmensch.

Nietzsche erblickt im Genie eine starke vorbildliche Natur, derentwegen der Staat und die Menschheit existieren. »Weder der Staat noch das Volk noch die Menschheit sind ihrer selbst wegen da, sondern in ihren Spitzen, in den grossen Einzelnen liegt das Ziel, – dieses Ziel aber weist durchaus über die Menschheit hinaus.« »Die Menschheit soll fortwährend daran arbeiten, einzelne grosse Menschen zu erzeugen, dies und nichts anderes sonst ist ihre Aufgabe.«

Die nähere Bestimmung dieses Genies fällt bei Nietzsche mit der Verherrlichung der Macht, die mit dem Bösen identisch ist, zusammen. »Die stärksten und die bösesten Geister haben bis jetzt die Menschheit am meisten vorwärts gebracht« (fröhliche Wissenschaft). Seine Liebe für den »Raubmenschen« und Verbrecher »diese gesündesten tropischen Untiere und Gewächse« kennt keine Grenzen. Nietzsche träumt von einer neuen Zukunft des Menschen, die man aus den schlechtesten und niedrigsten Trieben im Menschen züchten müsste.

Dieser Uebermensch soll nun der »Sinn der Erde« sein und der Glaube an diesen Uebermenschen soll den Glauben an Gott ersetzen. Denn »Tot sind alle Götter, nun wollen wir, dass der Uebermensch lebe.«

Die Menschen der Gegenwart sind verkommen, sie sind Dekadenten, sie leiden an dem Ueberfluss von Kultur, die, weit entfernt, sie zu erheben, glücklicher zu machen und ihre Lebenslust zu steigern, sie vielmehr entnervt und mit unsäglichem Schmerz erfüllt. Die Menschen des Geistes erscheinen Nietzsche als ein Niedergangstypus, sie sind die Lebensmüden, die von der Quelle des genussreichen Lebens sich abgewendet haben. Ihre Bildung, ihr Wissen hat sie erdrückt, hat ihnen die Freude am Dasein vergällt, die Kultur hat sie nicht sieghafter, sondern leidender und schwächer gemacht. Weg also mit der Kultur, die überall die Vorbotin des Zerfalls und des Niederganges ist.

Sokrates ist ihm der Typus dieses Menschen, der dem Untergange bestimmt ist, seine Vernunft ist sein Verderben, mit ihm beginnt auch – nach Nietzsche – der Zerfall des griechischen Staates. Wo sich der Mensch der Ordnung, den Gesetzen, der Vernunft fügen muss, da giebt er sein bestes, seine Instinkte, seine ursprüngliche und eigentliche Lebenskraft auf.

Die Kultur verlangt vom Menschen das Aufgeben seiner Individualität, das Zurückdrängen seiner eigenen und tüchtigsten Instinkte, sie stellt Forderungen, die immer mehr in der Askese aufgehen. Das ist falsch, meint Nietzsche; der Mensch muss und soll seine Persönlichkeit behaupten. Man soll nicht unpersönlichen, sondern rein persönlichen Zielen dienen, den Zweck des Daseins soll man in sich selbst suchen. So will es der Uebermensch, ihm ist alles tugendhaft, was seine Kraftentfaltung fördert.

Nietzsche stellt den Uebermenschen mit seinen bösesten Trieben und Neigungen viel höher, als den selbstlosesten Idealisten. Dies ist es, was der Zarathustra verkündet. Der Starke sucht in der Durchsetzung seines schaffenden Ichs seine Lebensaufgabe. Der Wert des Menschen liegt in seinen Instinkten.

Diese Instinkte, mögen sie gut oder schlecht sein, sie sollen herrschen und bestimmen, denn sie allein machen das Wesen des Uebermenschen aus. In der unbändigen Bethätigung dieser Instinkte sieht Nietzsche das höchste Ideal einer gesunden Gesellschaft.

»Die stärksten und bösesten Geister haben bis jetzt die Menschheit am meisten vorwärts gebracht: sie entzündeten immer wieder die einschlafenden Leidenschaften – alle geordnete Gesellschaft schläfert die Leidenschaften ein« (Fröhl. Wissenschaft S. 41). Was dann aus den bisherigen Idealen der Menschheit wird, bleibt für Nietzsche gleichgültig. Wahrheit, Tugend, Gerechtigkeit haben gar keinen Wert, sobald sie die Lebenskraft nicht steigern; sie sind schonungslos zu verwerfen.

»– wir halten es schlechterdings nicht für wünschenswert, dass das Reich der Gerechtigkeit und Eintracht auf Erden gegründet werde, … wir freuen uns an allen, die gleich uns die Gefahr, den Krieg, das Abenteuer lieben, die sich nicht abfinden, einfangen, versöhnen und verschneiden lassen, wir rechnen uns selbst unter die Eroberer wir denken über die Notwendigkeit neuer Ordnungen nach, auch einer neuen Sklaverei – denn zu jeder Verstärkung und Erhöhung des Typus »Mensch« gehört auch eine neue Art Versklavung hinzu – nicht wahr?« (Die fröhliche Wissenschaft S. 335).

Wozu Sittlichkeit, sie ist ein Ballast, der über Bord geworfen werden muss. »… mit jeder Verfeinerung der Sittlichkeit sei der Mensch bisher mit sich, mit seinem Nächsten und mit seinem Lose des Daseins unzufriedener geworden« heisst es in der Morgenröte (Nr. 106). »Die grossen Epochen unseres Lebens liegen dort, wo wir den Mut gewinnen, unser Böses als unser Bestes umzutaufen« (Jenseits von Gut und Böse Nr. 116). Alles ist erlaubt, was das Wohl des Individuums fördert. Nicht umsonst hat Nietzsche die Moral einer zersetzenden Kritik unterzogen und nicht aus blosser Liebhaberei hat er neue Werte aufgestellt. Beim Uebermenschen zieht er die Konsequenzen seiner Lehre. »Hinter den höchsten Werturteilen, von denen bisher die Geschichte des Gedankens geleitet wurde, liegen Missverständnisse der leiblichen Beschaffenheit verborgen, sei es von Einzelnen, sei es von Ständen oder ganzen Rassen« (Fröhliche Wissenschaft S. 7). Also weg mit diesen Missverständnissen.

Dies ist die Lehre vom Uebermenschen. Nietzsche wusste wohl, dass er die Welt gegen sich haben wird. Aber das hinderte ihn nicht, seine Meinung zu sagen, und er ruft denjenigen, die ihn nicht verstehen und die ihm nicht folgen wollen, zu:

»Unsere höchsten Einsichten müssen – und sollen! – wie Thorheiten, unter Umständen wie Verbrechen klingen, wenn sie unerlaubter Weise denen zu Ohren kommen, welche nicht dafür geartet und vorbestimmt sind« (Jenseits von Gut und Böse Nr. 30.)

Der Uebermensch braucht sich ja nicht um das Urteil der Masse zu kümmern, er ist ein Aristokrat, er ist ein Anhänger der Herren-Moral, er schafft sich ja selbst seine Werte und er bestimmt, was tugendhaft ist. Der Uebermensch wendet sich gegen den Despotismus der Majorität und er bekämpft jede Einschränkung seiner Individualität.

Auch im Uebermenschen, wie ihn Nietzsche geschildert hat, tritt uns nichts neues entgegen, wie überhaupt alles in seinen Schriften, so enthält auch diese Doktrin nichts, was den mit der Entwickelung des menschlichen Geistes Vertrauten nicht schon irgendwo begegnet wäre. Aber die Gewalt und die Leidenschaft, mit der er seine Gedanken ausgedrückt hat, hat es bewirkt, dass alle seine Vorgänger in ihm verschwunden sind und er als der einzige Vertreter seines Typus dasteht. Nicht Carlyle, nicht Stirner sind die Repräsentanten des extremsten Individualismus, wohl aber Friedrich Nietzsche.

Wenn man näher zusieht, da findet man, dass Nietzsches Uebermensch sehr viel Aehnlichkeit mit dem Heroenkultus Carlyles, mit Emersons Repräsentanten des Menschengeschlechts und dem stahlharten Ich Stirners, hat. Aber Carlyle glaubt, dass alles Grosse zwar durch heroische Individuen geschieht, aber er ist überzeugt, dass diese Heroen im Dienste der Menschheit wirken und nicht in ihrem eigenen Interesse. Nietzsche dagegen spottet über den Glauben Friedrichs des Grossen, der der erste Diener des Staates sein wollte, wie über eine bewusste Heuchelei.

Nietzsches Lieblingsgestalten sind selbstsüchtige Tyrannen, wie Cesare Borgia und Napoleon I. Er will daher nur eine Kultur gelten lassen, die Kultur der »grossen Einzelnen.« Es steht für ihn fest, dass alle Kultur nur durch einzelne mächtige Persönlichkeiten geschaffen wird, und dass die Welt eigentlich nur für diese grossen Persönlichkeiten da ist, damit sie sich bethätigen können, »Jede Neuschaffung einer Kultur geschieht durch starke, vorbildliche Naturen.«

Wie wir bereits nachgewiesen haben, ist auch der Uebermensch keine selbständige und neue Schöpfung Nietzsches, wir erwähnen noch, dass schon Fedor Dostojewski (1818-1881) diesen Typus in seinem Romane »Raskolnikow« (1868) geschildert hat. In demselben finden wir auch die Einteilung in eine Herren- und Sklaven-Moral.

Trotz aller Originalität ist Nietzsche nicht selbständig, er hat keine einzige neue Idee gefunden, aber er hat trotzdem das Denken seiner Zeitgenossen in höherem Masse beeinflusst als die stillen Philosophen, die ihm an Weite des Gesichtskreises und tieferer Einsicht in die grossen Weltprobleme so unendlich überlegen waren.

Nachdem Nietzsche die Lehre vom Uebermenschen verkündet hatte, fanden sich gleich viele Schriftsteller, die das hingeworfene Problem aufnahmen und litterarisch zu verwerten suchten. Der Schwede August Strindberg (geboren 1849) war der erste moderne Dichter, der von Nietzsche ausging. Auch in Deutschland fanden sich bald Dichter und Schriftsteller, welche, unter dem Einflusse Nietzsches stehend, den Uebermenschen zum Ausgangspunkte ihrer Darstellungen machten. Es ist hier nicht der Platz, näher auf dieses Thema einzugehen. Hier sei nur noch erwähnt, dass die verbreitetste und geläufigste Vorstellung vom Uebermenschen nicht in den Schriften Nietzsches ihre Quelle hat, sondern aus der Romanlitteratur und aus dem modernen Drama hervorgegangen ist. Solche Uebermenschen sind die meisten Helden in Sudermanns Werken, wir nennen nur Regine im »Katzensteg,« Willy Jannikow in »Sodoms Ende,« Magda in der »Heimat.«

Auch Hauptmann macht, bewusst oder unbewusst, bei Nietzsche ganze Anleihen. So z. B. in der »Versunkenen Glocke.« Heinrich fühlt sich als Mensch und als Künstler in seiner Individualität gehemmt. Er zerbricht die Schranken der landläufigen Sitte, verlässt Weib und Kind, um sich der freien Kunst und der freien Liebe widmen zu können. Rautendelein ist ihm Geliebte und Muse zugleich. Als ihm der Pfarrer vorwurfsvoll zuruft:

»Eins aber weiss ich, was Ihr nicht mehr wisst:
Was Recht und Unrecht, Gut und Böse ist

antwortet Heinrich im Sinne des Uebermenschen:

» Auch Adam wusst' es nicht im Paradiese

Der Uebermensch in der Litteratur ist eigentlich mehr Unmensch als Mensch, er stellt sich gewöhnlich ausserhalb einer jeden Tugend, um desto ungestörter seinen selbstsüchtigen, niedrigen Trieben und wechselvollen Eingebungen fröhnen zu können. Bei Nietzsche ist der Uebermensch, wie alle seine Schöpfungen, keine einheitliche, sondern eine vielspältige, widerspruchsvolle und wechselnde Erscheinung. Es laufen die mannigfaltigsten Gedankenfäden in ihm zusammen, bald ist er der Typus eines edlen, bald wieder der eines erbarmungslosen und gewissenlosen Menschen. Gewöhnlich stellt man sich den Uebermenschen als ein Individuum vor, das sich den Zuruf Nietzsches »werdet hart« zum Mittelpunkte seines Denkens und Handelns gemacht hat. Dies ist aber durchaus ungerecht und den Thatsachen nicht entsprechend, wir citieren deshalb von vielen nur folgende Stelle, die im Uebermenschen eine höhere und sittlichere Intelligenz sieht.

»Oh meine Brüder, ich weihe und weise euch zu einem neuen Adel: ihr sollt mir Zeuger und Züchter werden und Säemänner der Zukunft, –

– wahrlich, nicht zu einem Adel, den ihr kaufen könntet gleich den Krämern und mit Krämer-Golde: denn wenig Wert hat alles, was seinen Preis hat.

Nicht, woher ihr kommt, mache euch fürderhin eure Ehre, sondern, wohin ihr geht! Euer Wille und euer Fuss, der über euch selber hinaus will, – das mache eure neue Ehre! – – – – – – – – – – –

Oh meine Brüder, nicht zurück soll euer Adel schauen, sondern hinaus! Vertriebene sollt ihr sein aus allen Vater- und Urväterländern!

Eurer Kinder Land sollt ihr lieben: diese Liebe sei euer neuer Adel, – das unentdeckte, im fernsten Meere! Nach ihm heisse ich eure Segel suchen und suchen!« (Zarathustra S. 296/7.)

Der Uebermensch ist eine poetische Figur, die zum Lieblingsgedanken Nietzsches geworden ist, ihr hat er seinen Zarathustra gewidmet, und in demselben Masse, wie dieser Uebermensch sich im Geiste Nietzsches entwickelt, fühlt sich der Dichter desselben mit ihm identisch. Mit der Vorstellung Zarathustra-Nietzsche verlässt aber der Dichter den Boden des realen Denkens, um in einer krankhaften und wahnsinnigen Selbstüberhebung der geistigen Umnachtung immer mehr und mehr zu verfallen.


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