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Aus Elisas Briefen

Wie schon im Vorwort gesagt, hat Elisa selbst ihre Briefe an ihre Freundin Karoline Stoltz, die als Gouvernante für Elisas jüngere Schwester in deren elterliches Haus nach Altautz gekommen war, als Dokumente zu ihrem Lebenslauf für den Druck gesichtet, weshalb man sie mit Recht als eine Fortsetzung der mit dem Jahr 1771 abbrechenden Selbstbiographie ansprechen darf. Näheres über diese Briefe erfahren wir aus dem folgenden Tagebucheintrag Elisas während ihres Aufenthaltes auf dem kurischen Gute Bersen, wo sie bei Verwandten weilte. Wir ersehen aus ihm zugleich, daß die ehemalige unglückliche Frau des Herrn von der Recke in späteren Jahren klar erkannt hat, weshalb die Ehe damals für beide Teile ein unglückliches Zusammenleben bringen mußte. Das einsichtsvolle Urteil, das die gereifte Frau über ihr viele Jahre zurückliegendes Eheverhältnis äußert, gibt uns auch einen wertvollen Fingerzeig, welchen Standpunkt wir beim Lesen ihrer stets unter dem starken Eindruck der Gegenwart geschriebenen Briefe einzunehmen haben.

1799 hat ihr der Reichskammergerichtsrat von Seckendorf, einer der Vielen, die vergeblich um ihre Hand angehalten, geschrieben: »Wachen Sie über Ihre lebhafte Einbildungskraft, die Ihnen die Dinge bald verteufelt, bald verengelt!« Er hat damit einen charakteristischen Zug in Elisa treffend gekennzeichnet, und die Siebzigjährige schrieb in richtiger Erkenntnis ihrer früheren Unfähigkeit, den Dingen menschlich gerecht zu werden: »In allem ... finde ich Anklänge aus der Zeit meiner frühen Jugend, wo ich nach einem hohen moralischen Ideale strebte ... und in anderen Menschen nur Teufel oder Engel sah; von den moralischen Schattierungen menschlicher Charaktere hatte ich keine Idee. Schwarz ober weiß erschienen diese mir, die Schattierungen von vortrefflich, gut, mittelgut, schlecht und verworfen kannte ich nicht; hatte die Erfahrung nicht, ... daß alle Seelen Schwächen Raum geben können und dennoch zu den erhabensten Charakteren gehören, die edler als die Alltagsmenschen sind, die sich mit ihrer tatenlosen Tugend brüsten, weil sie keine Gelegenheit zum Fehlen hatten,« C.

Aus zwei Gründen habe ich mich veranlaßt gesehen, die von Elisa gesichteten Briefe nochmals zu sichten, eine Anzahl derselben ganz wegzulassen und in anderen Streichungen vorzunehmen. Einmal der äußere Grund: den vorliegenden Band nicht über ein gewisses Maß hinaus anschwellen zu lassen; zum anderen und vor allem aber, weil die Briefe je länger je mehr Gleichartiges, Wiederholungen bringen, die zur Kennzeichnung weder der berührten Verhältnisse und Personen noch der Briefschreiberin selbst irgend etwas Wichtiges, Neues beitragen.

H. C.
Bersen, den 25. März 1793.

 

Vielleicht bin ich noch über die Hälfte meines Lebens nicht hinweg, und schon weht hohes Gras über das Grab derer, mit welchen ich in herzlicher Verbindung stand. Aber das Bedürfnis meines Herzens, in einer anderen Seele mein lieberes, mein besseres Ich zu lieben, dies ist immer noch so lebendig in mir, als da meine teueren Verstorbenen lebten. Sie, die mir dies Bedürfnis zur Seligkeit machten, sie sind dahin, wohin wir stündlich eilen, und unbefriedigt bleibt nun mein heißer Durst: ein Wesen lieben zu können, dem ich alles bin und das mir alles ist! Doch diese edlere, diese nun unbefriedigte Neigung meiner Seele, die ist mir auch Bürge meines ewigen Seins.

Die Einsamkeit, in die ich mich hier mit einem durch geliebte Gegenstände verwundeten Herzen zurückzog, um hier von mancher Lebenssorge auszuruhen, die gibt mir Muße, eine Menge Briefe zu meinem Unterrichte zu durchlesen, die ich in früher Jugend schon an verstorbene Freunde schrieb und nach deren Tode zurückerhielt.

Vorzüglich weckten die Briefe mich zum Nachdenken über mein verflossenes Leben, die ich meiner, im vorigen Jahre verstorbenen Jugendfreundin, der Demoiselle Caroline Stoltz, seit meinem fünfzehnten bis zu meinem sechsundzwanzigsten Jahre geschrieben habe. Mein ganzes Schicksal, welches von der Vorsehung so wunderbar durchflochten ist, schwebt mir durch diese Briefe so lebhaft vor, daß ich in der Geschichte meiner Jugend viel Unterrichtendes für mich fand.

Meine Briefe von 1771 bis 1780 an diese Freundin meiner Jugend sind treue Gemälde des jedesmaligen Zustandes meiner Seele und meines Schicksals. Unbekannt mit Welt und Menschen stelle ich meiner vertrautesten Freundin meine Gedanken und Empfindungen in diesen Briefen so treulich dar, wie meine Gestalt sich in einem treuen Spiegel abbildet. Meine gute Stoltz liebte mich. In ihrer guten, zur innigen Freundschaft geschaffenen Seele erhielt sich ihre unwandelbare Anhänglichkeit an mich mit zärtlicher Treue. Als mein Geist mehr Ausbildung bekam, da genügte mir der ihrige nicht ganz, aber ihr edles Herz, dies liebte ich immer fort, und ihre sanft enthusiastische Freundschaft für mich blieb bis zu ihrem letzten Hauche unerschütterlich. Sie starb in meinem Hause Elisa bekam 1790 von ihrer Schwester Dorothea, Herzogin von Kurland, ein Haus in Mitau geschenkt und übergab ihrer Freundin die Wirtschaftsführung. C. und ich hatte die traurig süße Pflicht, in ihrer schweren, fünf Monate hindurch höchst schmerzhaften Krankheit ihren Zustand durch meine Pflege lindern zu können. Oft wenn die teure Selige ohne Bewußtsein lag, dann meine Stimme hörte, so kehrten ihre Seelenkräfte zurück, und sie drückte meine Hand an ihr pochendes Herz – an ihre sterbenden Lippen und rief wie begeistert: »Gottlob, daß ich dich, du Freude meines Lebens, kannte, daß ich dich jetzt noch habe, und ewig haben werde! Ewig, ewig wirst du es erfahren, wie ich dich liebte und dich ewig lieben werde! Du, du wirst, du mußt noch lange leben, ohne dich wird der Himmel mir nicht Himmel sein – aber ich will dich missen, auf daß andere gute Menschen hier sich deiner freuen. Gottlob, gottlob, daß ich früher als Sie sterbe! Nicht wahr, Sie sagten so: ›der Tod ist auch Leben?‹ Fritzchen, Elisas Vollbruder. C. Hartman Der Dichter, zu dem Elisa eine innige Zuneigung gefühlt. C. und Martini, Pastor in Groß-Autz, ihr Seelenhirte in vielen Nöten. C. die starben ja auch, und doch leben sie in unseren Seelen, und dort, wo sie sind, da gehe auch ich hin und erwarte dich, du unser aller Liebling!«

Nach dem Tode meiner guten Stoltz fand ich unter ihrem Nachlaß einundzwanzig versiegelte Pakete, die an mich adressiert waren. Auch nicht der kleinste Zettel, den ich der teuern Seligen geschrieben habe, ist von ihr vernichtet worden, und einige meiner Briefe an meine Eltern, an Lisette von Medem, an Doris von Lieven und an Pastor Martini fand ich in dieser Briefsammlung, die sie nach Tag und Jahren geordnet hatte.

Bald nach dem Tode dieser treuen Gefährtin meiner Jugend durchlas ich meine Briefe an sie: 1388 habe ich schon verbrannt, aber einige der mir interessantesten Briefe hob ich auf und las sie jetzt wieder. Die Zeit hat die mehrsten so verbraucht, daß sie kaum mehr an einander hängen; daher will ich mir in meiner jetzigen Einsamkeit das Vergnügen machen, diese zu kopieren. Vielleicht können sie, wenn ich noch isolierter als jetzt bin, mir nach zwanzig Jahren Freude machen, wie sie mir schon jetzt manchen unangenehmen Augenblick verkürzen, wenn ich aus diesen Dokumenten Stoff zum Nachdenken über die labyrinthischen Gänge meines Schicksals hervorsuche.

Der Glaube an meine ewige Fortdauer wird noch lebendiger in mir, wenn ich sehe, wie ich durch Verhältnisse so gestellt wurde, daß ich in einen ganz anderen Wirkungskreis hineinkam, als derjenige ist, welcher zu meinem Herzen paßte. Mit aller Empfänglichkeit zum Glücke kam ich seit den ersten Jahren meiner Kindheit in bittere, die Seele niederdrückende Lagen. Ich wurde mit siebzehn Jahren gewissermaßen zu einem Manne gezwungen, den ich jetzt zwar als Freund schätze, für den ich aber vor zweiundzwanzig Jahren durchaus nicht paßte.

Mit meinem besten Willen, diesen gewiß Rechtschaffenen zu beglücken, wurde er durch mich vielleicht gerade so unglücklich, als ich durch ihn. Erst jetzt, nachdem wir schon siebzehn Jahre getrennt und zwölf Jahre geschieden sind, erst jetzt, da ich meine eigenen Briefe an Stoltzen und meinen Briefwechsel mit Recken wieder lese, der unserer Trennung voranging, erst jetzt fühle ich es, daß ich bei reiferem Geiste und mehrerer Welt- und Menschenkenntnis mit diesem biedern und mich nach seiner und nicht nach meiner Art liebenden Manne glücklich hätte leben können, wenn ich mich mit Klugheit in seinen Charakter zu schicken gewußt hätte und statt mit siebzehn mit dreißig Jahren seine Lebensgefährtin geworden wäre. Hätten auch nur meine Verwandten nicht immer Holz zum Feuer gelegt und mich nicht so wider meinen Charakter behandelt, dann hätte man mich dazu vermögen können, mich mit Recke wieder zu vereinigen. Die Herrschsucht meiner Stiefmutter und meine so innige Anhänglichkeit an sie brachten in Reckes Seele den ersten Keim des Mißtrauens gegen mich; denn er fürchtete, meine Stiefmutter würde mich dazu anhalten, daß ich ihn beherrsche. Diese Furcht wurde durch meine Großmutter und Mutterfreunde noch mehr bei dem Herrn meines Schicksals angefacht.

Daher mußte ich gleich in den ersten Tagen meiner Ehe eine so harte Begegnung von ihm erfahren, daß ich nur Furcht, nicht Liebe für ihn fühlen konnte. Da mein inneres Bewußtsein mir es sagte, daß ich ihn nur zu lieben wünschte, nicht aber liebte, so wollte ich diesen inneren Mangel, der mich in der Stille peinigte, durch zuvorkommende Gefälligkeiten und übertriebene Aufmerksamkeit gegen den Gefährten meines Lebens ersetzen. – In meinem Umgange konnte Recke kein Vergnügen finden, meine jugendlichen Neigungen paßten durchaus nicht für ihn. Ich mußte ihm nach der damaligen Richtung meiner Seele die bitterste Langeweile machen, so wie sein rauhes Betragen natürlich mein Herz von ihm entfernen mußte. Er wollte feurige sinnliche Liebe, die konnte ich ihm nicht äußern, da ich in seinen Annäherungen nur Herzensangst empfand. Ich machte auf innige Seelenliebe Anspruch, die konnte er mir nicht geben, weil er für diese keinen Sinn hatte. So forderten wir beide im Herzen Dinge von einander, die wir nicht zu geben vermochten. Jeder klagte den anderen über Mangel an Liebe an, und jeder wurde dem andern dadurch lästiger. In Reckes Seele entstand Reue darüber, daß er, durch eine hübsche Larve verblendet, sich mit einem Weibe belastet habe, das nicht für ihn passe. Diesen Gedanken gab er mir sehr undelikat zu erkennen. Die Äußerung brachte mich nicht auf, aber sie schlug nach allem Vorhergehenden so tiefe Wurzeln des Widerwillens in mein Herz, daß dieser nun unüberwindlich und der Vorsatz ganz unwankend wurde, nie mehr ein Bett mit ihm zu teilen. In der Folge bereute Recke seine mir gemachten Äußerungen, aber nichts vermochte mich, meinen gefaßten Entschluß zu ändern.

Recke hatte durch eine Reihe von siebzehn Jahren alles das, was er in seinen Briefen von 1776 bis 1778 sagt, wahr gemacht; und hätten Mißtrauen in seinen Charakter und in die Wahrheit der Versicherungen seiner Liebe mich nicht so verblendet, daß ich alle seine Bemühungen, meine Liebe zu gewinnen, nur gerade für so viele Schlingen hielt, in die er mich fangen wollte, um mich nachher noch mehr zu quälen, dann wäre ich gewiß zu ihm zurückgekehrt. Und ich bin es jetzt überzeugt, in meinem reiferen Alter wäre es mir geglückt, Recke durch die Verbindung mit mir froh und zufrieden zu sehen, und auch ich wäre durch ihn nicht unglücklich gewesen, denn mehrere Welt- und Menschenkenntnis sagt es mir jetzt, daß in keiner Ehe und in keiner menschlichen Lage vollkommene Glückseligkeit zu finden ist.

Andere Menschen verwundeten mein Herz in der Folge tiefer Anspielung auf Kränkungen, die Elisa von ihrer Schwester Dorothea und deren Mann, Herzog Peter von Kurland, erlitten. C. und gaben mir mehr Ursache, als Recke, in Menschen Mißtrauen zu setzen. Die zärtliche Achtung und innige Freundschaft des Mannes, der mich als Gatte nicht zu beglücken vermochte, gehört jetzt zu den wahren Freuden meines Lebens, und jeder Beweis treuer Freundschaft, den ich zu geben vermag, vermehrt meine Zufriedenheit, die dadurch sehr erhöht werden könnte, wenn ich ihn noch glücklich verheiratet und vor dem traurigen Schicksale eines isolierten Alters, bei seinem großen Vermögen, bewahrt sähe.

Ich selbst wurde durch einen ganz eignen Gang der Seele von einer zweiten Heirat zurückgehalten, obzwar mein Herz eigentlich nur durch häusliche Glückseligkeit wahre, dauernde Zufriedenheit gefunden hätte. Jetzt bin ich negativ glücklich, auch danke ich noch so manchem lebenden Freunde das Glück, welches tiefgefühlte, innige Freundschaft gewährt. Noch ist meine zur innigsten Freundschaft und Anhänglichkeit geschaffene Seele nicht ganz isoliert. Noch habe ich auch unter den Lebenden Freunde, die mich lieben, wie meine Verstorbenen mich liebten, und die ich liebe, wie ich die teueren Seligen liebte. – Aber oft trennen Verhältnisse mich von den Lieblingen meines Herzens, und mehrenteils muß ich unter Menschen leben, die meinem Herzen fremd sind. Gottlob, daß dies Leben so kurz, und ewig – so lang ist.

 

An Lisette von Medem.

Altautz, den 25. März 1771.

Man hat Unrecht, liebste Lisette, wenn man sagt, ich sei von meinen guten Eltern gezwungen worden, Recke aus Neuenburg zu wählen; und die Heirat werde auseinandergehen, wie die mit Graf Kettler. Diesem hatte ich nie mein Jawort gegeben, nur seine und meine Eltern standen unsertwegen in Heiratstraktaten. Mit mir hat der stolze Graf nicht eher gesprochen, als bis er hörte, ich hätte meine Eltern gebeten, mich lieber an den alten reichen Igelströhm zu verheiraten, als an ihn! Bis dahin wurde ich vom Grafen als Kind behandelt. Wie oft schalt er mich in Gegenwart meines Vaters, wenn ich nicht gut Klavier spielte, und dann hörte ich ihn zu Mama sagen, ich würde schon anders Musik lernen, wenn ich erst seine Frau sein würde. Ich sagte zwar nichts, aber ich bat Gott, daß er mich vor diesem Unglück bewahren möge, Graf Kettlers Frau zu werden, und meiner liebreichen Mutter entdeckte ich mein Herz. Diese vortreffliche Frau hat mich von dem Unglücke befreit, mein ganzes Leben hindurch Klavierspielen zu müssen. Böse Menschen, meine Lisette, sind es, die da sagen, Mama hat ihre Stieftochter dem Neffen ihres verstorbenen lieben Mannes geopfert.

Es ist wahr, Herr von der Recke war mir sonst zuwider, und ich habe es dir, Freundin meines Herzens, selbst gesagt, daß ich lieber sterben, als mit ihm leben möchte, aber ich kannte ihn nicht genug; ich wußte es nicht, daß er ein so vortrefflicher Mensch ist. Er soll die Wohltätigkeit selbst sein und ist sehr reich; was werde ich da Gutes tun können! Zwar liebt er weder Tanz noch große Gesellschaften, denn er ist bloß Landwirt; aber mich soll er ganz unaussprechlich lieben. Mama sagte mir, er würde gewiß sterben, wenn er ohne mich leben sollte. Doch haben meine guten Eltern mir versprochen, daß meine Hochzeit erst an meinem zwanzigsten Geburtstage sein soll, und bis dahin habe ich gottlob noch fünf volle Jahre Zeit, und da will ich recht viel, viel tanzen. Wenn ich Reckes Frau werde, dann wird meine Tanzlust ganz vorbei sein. Daß ich von Wirtschaft und Einrichtung des Hauswesens nichts verstehe, das haben meine Eltern und ich Recke gesagt. Ich hoffe, er wird vielleicht zufrieden sein, wenn die Hochzeit auch erst in meinem einundzwanzigsten Jahre ist. Auf diesen Fall will ich das ganze Jahr Wirtschaft lernen, aber diese fünf Jahre will ich noch mein Leben genießen. Mama will dies auch so. Meine Lisette, du, die ich nächst meinen Eltern am mehresten liebe, wir werden also wie vormals den Winter in der Stadt und den Sommer auf dem Lande zusammen sein. Aber liebe, liebste Freundin meiner Seele, jetzt steht in meinem Herzen noch eine Freundin neben dir. Zwar kenne ich Mademoiselle Stoltz nur seit einigen Monaten, aber ich habe sie so lieb, so herzlich lieb, daß ich an Stelle meiner Schwester sein möchte, um sie als meine Freundin, meine Erzieherin beständig um mich haben zu können. Denke dir, meine liebste Lisette, meine liebe Stoltz nicht so wie die alte, mürrische Mademoiselle, nein! sie ist jung und hübsch, nur drei Jahr älter als ich, singt gut, tanzt gern, und ist immer aufgeräumt. Man hört sie so gern sprechen, auch Mama hält viel von Stoltzchen, und mir kommt es so vor, daß dies liebenswürdige Mädchen mich liebt, wie ich sie liebe. Doch dich, meine Lisette, liebe ich noch mehr, du bist die erste Freundin meiner Jugend, die liebste Freundin meiner Seele.

 

An Lisette von Medem.

Mitau, den 9. April 1771.

Meine Lisette! Du wünschest, ich möchte den, den ich heiraten soll – mehr als meine Eltern, mehr als meine Freundinnen und mehr als den Tanz lieben, und bei diesem Wunsche, liebe Lisette, da finde ich Spuren deiner Tränen! Ich habe diese Spuren deiner Tränen so recht an mein Herz gedrückt, und auch ich mußte weinen, und Stoltzchen weinte mit mir. Glaube mir, Freundin! alles wird gut gehen, und die Hochzeit ist erst in fünf Jahren. Bis dahin werde ich Herrn von der Recke mehr kennen lernen, und dann werde ich ihn auch mehr lieben. Das kann ich dir gewiß versichern, daß ich ihn, obzwar mir sein Gesicht und sein Körper nicht gefällt, dennoch lieber nähme, als den schönen Baron Rönne, denn Mama sagt mir, Recke soll einen vortrefflichen Charakter haben, und Rönne war so in seine schöne Figur, in seinen Verstand verliebt, daß ich ihn nur immer hätte bewundern müssen.

Du weißt es, liebe Lisette, wenn ein Freier kam, der reich war, wie alle meine Verwandten haben wollten, daß ich heiraten sollte. Geheiratet mußte nun werden, freilich hätte ich den alten Igelströhm genommen, der hat mir, als ich ein Kind war und von der Roppen gequält wurde, manches Gute getan. Aber Mama wollte nicht, daß ihr hübsches dreizehnjähriges Lottchen an die vierundsiebzigjährige Leiche, wie sie sagte, angebunden würde und verwesen solle. Von Brinck sagte man immer, er sei nicht reich genug – und wäre schwindsüchtig! Liebste Lisette, nur dir und meiner Stoltz vertraue ich es: wäre Brinck nicht schon seit den ersten Tagen dieses Jahres ein Sterbender, dessen letzten Atemzug man stündlich erwartet, ich hätte es meinen guten Eltern dann nicht versprochen, Recke zu heiraten. Aber dann hätte ich einen andern heiraten müssen, und wer weiß, ob der ein so guter, ein so wohltätiger Mensch als Recke gewesen wäre? Ein anderer hätte vielleicht auch nicht fünf Jahre bis zur Hochzeit warten wollen.

Meine Lisette, sei also ruhig, und wenn man dir sagt, daß Reckes Großvater schon ein schlechter Ehemann gewesen ist, der seine Frau bis zum Wahnsinn gemartert hat, daß Reckes Eltern sich gegenseitig unglücklich machten und daß sein Bruder seiner Frau übel begegnet, dann antworte – daß Mama durch Reckes Vaterbruder glücklich war. Wenn man dir es wiederholt, daß die Männer in dieser Familie sehr ausschweifend sind und Mätressen haben, dann sage, daß es desto besser für mich ist, daß Recke einige zwanzig Jahre älter, als ich, ist. Sagt man, Recke sei nicht hübsch, er sei menschenscheu, er liebe nicht Gesellschaft, nicht Tanz, er würde also seine junge Frau einsperren – dann erwidre, daß er seine junge Frau umso mehr lieben wird, wenn sie sich nach seinen Neigungen richtet. Dies zu tun, sobald die Hochzeit vorbei ist, habe ich fest in mir beschlossen. Doch hoffe ich, daß die Hochzeit noch fünf Jahre aufgeschoben werden soll. Du, meine Freundin, kannst also wegen meines künftigen Schicksals alle Furcht aus deinem mich liebenden Herzen verbannen und jedem, der meine teueren Eltern tadelt, gewiß versichern, daß diese mir Teueren mich nicht gezwungen haben. Alles, was die Zufriedenheit dieser guten Eltern vermehrt, dies zu tun gebietet mir mein Herz. – Auch werde ich durch meine Heirat nicht von meinen Eltern und meinem Geschwister getrennt, beide Güter meiner Eltern sind nahe bei Reckes Gütern. Auch von meiner guten Stoltz werde ich nicht getrennt sein, und ich hoffe, daß Recke es mir erlauben wird, wenn ich mich ganz nach seinen Neigungen richte, daß du, liebe, liebste Lisette, recht oft wirst in Neuenburg sein können.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, den 20. April 1771.

Ach! teure Freundin! meine Hochzeit soll schon im künftigen Monate sein! meine Großmutter will es, mein Bitten, mein Flehen half dagegen nichts. Und was das Ärgste ist, ich darf es nicht einmal zeigen, daß mein Herz mir blutet! Meine guten Eltern versprachen es mir doch so fest, daß die Hochzeit erst in fünf Jahren sein soll. – Ich habe meine geliebte Mutter knieend gebeten, meine Beschützerin gegen den Willen meiner Großmutter zu sein. Nach fünf Jahren will ich Recke gern heiraten, aber jetzt – jetzt! – das ist schrecklich! Als Brinck um mich anhielt, da hieß es, ich sei zu jung, ich müßte noch vieles lernen, und erst nach meinem zwanzigsten Jahre würden meine Eltern mich verheiraten. »Mein Gott! warum wollen Sie denn jetzt ein pures Kind so schnell an Mann bringen?« dies letztere fragten die guten Eltern meiner Lisette Mama, und Mama sagte: »Ich bin nur die Stiefmutter; was der Vater, die Großmutter und die Mutterfreunde beschließen, das muß geschehen; sollte Recke aber meinem Lottchen zuwider geworden sein, weil Brinck noch nicht tot ist, oder weil ihr hier andre junge Herren besser gefallen, so kann ich die Heirat leicht auseinanderbringen sobald ich Recken sage, daß meine Stieftochter keine Neigung für ihn hat; er ist ein viel zu edler Mann, als daß er sie dann nehmen sollte. Aber was werden Großmutter und Mutterfreunde für Lärm machen! Da wird es heißen: ich bin der Heirat mit Behr entgegen gewesen, ich habe mich der mit Rönne widersetzt, ich habe die mit Kettler auseinandergebracht! Doch aus Liebe zu meinem Lottchen will ich es gerne mit allen ihren Mutterfreunden aufnehmen; sollte aber auch diese Heirat zurückgehn, das wäre ein Nagel zum Sarge meines guten Mannes! Aber das verspreche ich Euch: hat mein Lottchen Abneigung gegen Recke, dann wird aus der Heirat dennoch nichts, und sollten auch alle darüber zugrunde gehen.«

Lisette und ich hatten dies Gespräch im andern Zimmer gehört; nun wurde ich vorgerufen, und Mama sagte: »Hat dein Herz sich gegen Recke verändert, so vertraue es mir; fürchte dich nicht, daß man dich für wankelmütig und kokett halten wird; es ist besser, mein Kind, daß man dies von dir denkt, als daß du dich und einen Mann, der dich liebt, unglücklich machst. Hast du einen Widerwillen gegen Recke?« – »Nein, liebste, beste Mutter; dies nur betrübt mich, daß die Hochzeit schon in diesem Jahre, sogar im künftigen Monate sein soll!« Ich konnte mich der Tränen nicht enthalten; meine gute Mutter küßte mich und versprach mir, ihr Mögliches zu tun, auf daß die Hochzeit ausgesetzt werde. Sie hat mir auch versprochen, recht viel in Neuenburg zu sein, falls es ihr nicht gelingt, die Hochzeit aufschieben zu können. Wir alle weinten herzlich.

Abends gegen 6 Uhr.

Mama liest, und ich bin allein. Ach Stoltzchen, wenn ich das alles so vorausgewußt und überdacht hätte, ich hätte mich, da Mama mir den Wunsch meines Vaters, Recke zu wählen, so dringend äußerte, zu ihren Füßen geworfen und würde sie gebeten haben, daß sie mir erlauben möge, Igelströhm zu heiraten, er ist ja auch reich; was tut's, daß er vierundsiebzig Jahre alt ist, und was habe ich davon, daß ein Recke Heermeister gewesen und, wenn Gotthardt Kettler Komthur Recke nicht gefangen genommen hätte, dieser Herzog von Kurland geworden wäre und Recke jetzt Herzog sein würde. Mama freut sich, daß, da ein Heermeister Medem Mitau erbaut hat, nun eine Medemstochter die Reckenfamilie, die nahe am Erlöschen ist, emporheben würde. Um der Esserschen Güter und des Namens willen sollte ich Kettler heiraten, und nun muß ich wieder einen Namen und die Neuenburgischen Güter heiraten. Ja, wenn ich noch fünf Jahre hätte warten können, das wäre was anders – aber jetzt, liebe Stoltz, jetzt schon soll ich heiraten. Mama hat mich wieder vorgehabt und mich mit vieler Liebe gebeten, ich möchte doch keinen Widerwillen gegen die nahe Hochzeit äußern, dies würde Recke und meinen Vater betrüben, und alle Menschen würden mich für wankelmütig halten und glauben, ich wäre von meinen Eltern gezwungen.

Gestern speiste der alte Igelströhm mit uns bei Großmama; er war so betrübt, er weinte fast darüber, daß ich einen andern heiraten werde. Hätte ich nicht gefürchtet, daß Mama böse sein würde, so hätte ich Igelströhm gesagt, daß, wenn meine Eltern und Recke es zufrieden sind, ich ihn lieber als Recke heiraten wolle. Aber mein Stoltzchen, das hätte Lärm gegeben; Mama und Großmama können den Gedanken nicht ertragen, daß ich an einen vierundsiebzigjährigen Mann verheiratet werden soll. Igelströhms selige Frau war freilich fünfzehn Jahre älter als ich, aber was tut das – Igelströhm tat ihr alles zu Gefallen, er liebte sie sehr; mich würde er noch mehr lieben, denn ich würde garnicht in der großen Welt leben – ich würde immer zu Hause sitzen, mit seiner Tochter um die Wette lernen, nur meine guten Eltern besuchen! Ach! wäre ich doch vor ein paar Monaten fest darauf bestanden, Igelströhm zu heiraten; aber jetzt, jetzt ist es zu spät! Nie hätte ich mich entschlossen, Recke zu heiraten, wenn meine Eltern es mir nicht so fest versprochen hätten, daß die Hochzeit erst nach fünf Jahren sein soll. Doch meine liebreiche Mutter hat mir versprochen, noch einmal zu versuchen, ob es möglich ist, Großmama dahin zu bringen, daß die Hochzeit noch auf ein Jahr ausgesetzt werde! Ach! – schon dies wäre Wohltat für mich!

Abends nach 10.

Ach! mein Stoltzchen! was gab es für Lärm bei Großmama! ich dachte, ich würde des Todes sein! – Man hieß mich eine verrückte Närrin, die durch alle Huldigungen der Männer einen Sparren zu viel im Kopfe hat, und was ich denn mit dem Aufschieben der Hochzeit wolle? Ob ich denn noch ein paar Dutzend Männer an der Nase herumzuführen dächte? Meine Tante Kleist und ihre Töchter, die Feindinnen meiner Kindheit, legten immer Holz zum Feuer, und da hieß es: da ich einmal mein Jawort gegeben habe, so müßte die Hochzeit beschleunigt werden; jeder Tag, der länger ausgesetzt würde, mache mich zur größeren Törin. Jetzt müsse ich mich beizeiten von Hof, Stadt und allen großen Gesellschaften entwöhnen, um ganz Landfrau zu werden und für Recke zu passen. –

Hierüber verzürnten sich Mama und Großmama so, daß ich schon zu hoffen anfing, die ganze Heirat werde sich zerschlagen, aber leider vereinigten sich beide darin, daß die Hochzeit in wenig Wochen sein soll. Mama hofft, ihren künftigen Schwiegersohn Großmama zum Trotze zum Hof- und Weltmann zu machen, und Großmama hofft, mich durch Anstiften der Kleistschen Familie, sobald ich Reckes Frau bin, dem Schauplatz der großen Welt zu entfernen. Meine Großmutter meint es bei allem Brausen gut mit mir, aber die Tante will mich nur an den Mann bringen, weil sie so eher für ihre Töchter, die meine Mutter sein könnten, Männer zu bekommen hofft. – Warum hat sich Recke nicht in eine von ihren Töchtern verliebt? Dann würde ich nicht so geplagt sein.

Den 22. April.

Mama hat meine Hochzeit leider zum 20. Mai festgesetzt und Recke geschrieben, daß ich an meinem siebzehnten Geburtstage seine Frau sein soll, wenn er sogleich an Hof geht und den Winter in der Stadt zu leben verspricht; falls er beides nicht eingeht, so muß er noch fünf Jahre warten. Wie froh wäre ich, wenn er Mama ihr Verlangen ausschlüge! – Heute Abend ist bei Minister Simolin ein Ball für mich. Ach! ich möchte lieber weinen als tanzen.

Den 23. April.

Der Ball war mir peinlich – ich mußte heiter tun, und hätte weinen mögen! – Was mir sonst Freude machte, zerriß mein Herz. Oberjägermeister Grotthuß tat, als wollte er von Sinnen darüber kommen, daß ich Braut sei, Rutenberg aus Ilsenburg desgleichen, kurz alle, alle stimmten in diesen Ton. So viel ist gewiß: sobald ich Reckes Frau bin, so besuche ich keine Bälle, keine großen Gesellschaften mehr. Ich werde Ihnen, meine Freundin, schon sagen warum! Brinck wird täglich schwächer, Matkewitz war heute zu ihm geschickt, um zu hören, wie er geschlafen hat, und da hat er ihn zu sich rufen lassen, hat viel nach mir gefragt. Er hat wissen wollen, ob ich gewachsen bin, ob ich gesund aussehe, und da Matkewitz gesagt hat, ich sei seit einigen Monaten größer und schöner geworden, so hat er gesagt, Matkewitz möge mich in seinem Namen bitten, daß ich recht oft in den Spiegel sehen und meine Seele so schön erhalten möge, als mein Körper ist, auf daß er sich dessen, wenn er mich im Himmel wiederfände, freuen könnte. Stoltzchen, ich muß doch nicht so flatterhaft sein, als Tante Kleist es sagt, weil Brinck mit seiner Todesgestalt mir besser gefiel, als Rönne in voller Blüte der Schönheit! – Ach, ich wäre wahrlich nie mit Recke versprochen worden, wenn Brinck nicht schon seit dem November ein Sterbender gewesen wäre. –

 

An Lisette von Medem

Altautz, den 2. Mai 1771.

Der Abschied von dir, meine liebe, liebste Lisette, zerriß mein Herz! Ach Gott! ich liebe dich mehr als jemals! Du sahst mich diesmal traurig, mißvergnügt, gewiß nicht, weil ich Recke heiraten soll, sondern bloß weil meine Hochzeit so zeitig angesetzt wurde. Ich bin jung, flüchtig und fürchte daher, daß ich nicht die Fähigkeit haben werde, Recke so glücklich zu machen, als ich es wünsche. Er muß mich doch sehr lieb haben, weil er seinen Widerwillen überwunden hat und am Hof gewesen ist. Auch soll er Mama versprochen haben, vom November bis zu Ende Februar mit mir in Mitau zu leben. Großmama soll darüber sehr böse sein, daß Mama Recke zu beidem gezwungen hat. Sie und Tante Kleist haben Recke, wie Papa sagt, gegen Mama und mich aufzubringen gesucht; aber er hat sich an alles nicht gekehrt und gesagt, daß er mich so lieb habe, daß er für mich eine Fahrt nach der Hölle machen wolle. Meine Tante und mein Onkel aus Creutzburg sollen hinzugesetzt haben, ich würde ihm seine Höllenfahrt schon übel bezahlen, denn meine Stiefmutter habe mich durch ihre superkluge Erziehung zur Närrin und Romanheldin gemacht; und das Beste wäre, wenn er mich im Stich sitzen ließe; er könne gleich auf der Stelle eine bessere Frau bekommen, die besser für ihn passen würde; meiner Tante Kleist ihre Töchter wären so wirtschaftlich als die Mutter. Großmama soll mit Tränen hinzugefügt haben: »Ich liebe Lottchen wie meine Seele und beweine es, daß die alte Wetterhexe, ihre Stiefmutter, sie zur Närrin gemacht hat. Lottchen ist von Natur ein gutes Kind, aber mein Sohn hat Recht, die alte Närrin verdient eine lange Nase, und Sie sollten das Kind sitzen lassen und eine von meiner Kleisten Töchtern nehmen: Ihre Braut ist ein pures Kind, und wer weiß, wie die Stiefmutter ihr noch den Kopf verdreht. Die hatte ja alle drei Männer unter ihrem Pantoffel! Bitten Sie Gott, daß es Ihnen mit Ihrer jungen Frau nicht auch so geht, wie es Ihrem seligen Vaterbruder mit der Stiefmutter ging.« Recke aber hat sich an all das nicht gekehrt, er hat gesagt, daß er mich liebt und gewiß glücklich sein wird. Was mich aber sehr betrübt, so soll Recke versprochen haben, mich oft zu Großmama zu bringen, auf daß ich von ihr und Tante Kleist gute Lehren erhalte. Das alles schreibt die Ropp an Mama und macht sich dabei über ihre Großmutter, ihre Mutter und ihre Schwester recht lustig. Mama war auch recht böse; ich habe meine gute, liebe Mutter auf den Knieen gebeten, mich nicht die unartigen Reden meiner bösen Verwandten entgelten zu lassen. Ich will es ihr durch mein ganzes Leben zeigen, daß ich sie unaussprechlich liebe, und ihrer Erziehung Ehre machen. Mama küßte mich und versicherte mir ihre Liebe; aber auf Recken war sie sehr böse, daß er versprochen hat, mich oft zu Großmama zu führen. Sie hat ihm darüber Beschuldigungen gemacht, und Recke hat geschworen, daß dies nicht wahr ist. Kann wohl sein; denn die Ropp ist eine böse Schlange, die mich von Kindesbeinen an verfolgt hat. Nun tut es ihr leid, daß ich nicht so dumm geblieben bin, als sie mich in meiner Kindheit machen wollte. Die Ropp hat wohl gewiß gedacht, Mama wird mich nicht leiden können, weil Großmama meinetwegen so über sie räsonnierte. Die Medem aus Behnen, die dich, liebeste Freundin, herzlich grüßt, sagt mir im Vertrauen, daß Recke gesagt hat, daß, wenn er nicht so sterblich in mich verliebt wäre, er dem Vorschlage meiner Verwandten Gehör gegeben und die ganze Heirat aufgegeben hätte; denn Mama habe ihn doch als ein Kind behandelt, aber für meine Kousinchens würde er sich gar schön bedankt haben; meinetwegen könne man sich wohl in die Familie hineinheiraten, aber nicht der Kleistschen Kinder wegen. So etwas Schönes, wie ich wäre, könne man garnicht wiederfinden, und alle reichen jungen Herren hätten sich bei dem Wunsche, mich zu besitzen, die Finger verbrannt und wären mit langen Nasen abgezogen, und er Kriegsmann und Buschklepper hätte mich bekommen. Er würde also kein solcher Narr sein und den schönen Fang, den er gemacht hat, sich vor dem Maule wegfischen lassen, weil ein paar alte Weiber Grillen hätten.

Dir, meine Lisette, sage ich dies, auf daß du über meine Heirat ruhiger wirst, denn daraus siehst du doch, wie mich Recke lieben muß, weil er sich soviel gefallen läßt. Dafür bin ich ihm doch Dank schuldig. Ich werde mich auch gewiß, wenn ich seine Frau werde, ganz nach ihm bequemen, und meine Verwandten sollen gewiß nicht sagen können, daß meine liebe, gute Mutter mich zur Närrin gemacht hat. Freilich wünschte ich, daß man meine Hochzeit noch fünf Jahre hätte aufschieben können. Aber da es nun einmal nicht zu ändern war, so will ich mich doch wahrhaftig so betragen, als wenn ich schon über zwanzig Jahre alt wäre. Auch wünschte ich, daß Recke seine Liebe zu mir anders ausdrücken möge, aber liebe, liebste Lisette, Recke ist kein Weltmann, er ist Soldat gewesen und Mama sagt immer: »Jeder Vogel singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist, und jeder drückt seine Liebe nach seiner Art aus.« – Ich werde es deinen guten Eltern ewig danken, daß sie zu meiner Hochzeit kommen wollen. Es wäre mir unaussprechlich schmerzhaft gewesen, wenn ich ohne dich, du erste und liebste Freundin meiner Jugend, zum Altare hätte treten müssen. Glaube nur nicht, meine Liebste, daß Recke mich nicht liebt und sich auch aus dir nichts macht, wenn er mit mir und dir wenig sprechen sollte; er ist überhaupt menschenscheu – und mehr noch – weiberscheu. Mama sagt immer, wenn Recke nicht so verliebt wäre, so würde er nicht so blöde sein. Er kann beinahe gar nicht mit mir und meiner geliebten Stoltz sprechen, aber mit Mama und der Behnschen Frau spricht und lacht er recht viel. Er soll ein ganz vortrefflicher Mensch sein, das sagen beide. Aber die gute Medem hat einige Male über meine nahe Hochzeit solche Scherze gemacht, daß ich über und über rot wurde und daß mir die Augen übergingen und ich Mühe hatte, nicht überlaut zu weinen. Da küßte Recke mir recht herzlich die Hände, er lachte zwar über das unartige Zeug, welches die Medem sprach, und sagte mit vieler Freude, daß ich sehr hübsch aussehe, wenn ich so rot werde, aber daß es ihn betrübt, wenn er sieht, daß ich weinen will; nur müsse die Medem kein so unartiges Zeug sprechen. Recke sagte, die Behnsche Frau spricht recht schöne Sachen, aber er wollte sie bitten, daß sie schweigen möge, wenn ich ihn küssen wolle. Hierüber freute sich Mama gar sehr, und sie sagte, das sei ganz allerliebst, was Recke gesagt hätte, und liebe, liebste Lisette, da mußte ich Recke küssen, und er drückte mich so fest – so fest an seine Brust und küßte mich so lange, daß mir recht bange wurde, ich hätte beinahe wieder geweint. Gottlob, daß du, meine Liebste, nicht heiraten mußt! Es ist so häßlich, wenn eine Mannsperson einen küßt; aber das darf ich nicht sagen, denn ich möchte Recke nicht gern betrüben, weil er mich so lieben und ein so guter Mann sein soll. Der arme Mann hat sich ja auch aus Liebe zu mir quälen lassen!

 

An Lisette von Medem.

Altautz, den 9. Mai 1771

Der gute Brinck ist also schon tot! Ich habe in der Stille darüber geweint, und doch habe ich mich gefreut, daß er noch vor meiner Hochzeit gestorben ist. Ich werde mir es immer sagen, daß sein seliger Geist mich beobachtet, und dann so zu handeln suchen, daß er sich meiner zu freuen hat.

Ich weiß nicht, wer das sagen kann, daß Recke und ich uns verzürnt haben. Da das jetzt ganz gewiß ist, daß unsere Hochzeit den zwanzigsten Mai sein soll, so übe ich mich schon jetzt darin, Reckes Wünsche, so viel ich kann, zu erfüllen. Mama war über Recke etwas böse, aber sie ist auch schon gut. Wir hatten Fremde, und da wollte Mama die Gesellschaft dadurch überraschen, daß auf unserm Theater Julie und Romeo von uns gespielt und ein pantomimisches Ballett getanzt wurde. Ich spielte die Julie, mein Bruder Fritzchen Romeo, alle Freunde gaben mir vielen Beifall, aber Recke soll gesagt haben, solche Possen wären nur für Kinder und Komödianten, nicht aber für die Braut von einem gesetzten Manne, die in wenig Tagen seine Frau sein würde. In der Hälfte des Balletts ist Recke hinausgegangen, weil ihm vom Ölgeruch der Lampen schlimm wurde. Ich wußte von nichts, mein guter Vater kam zu mir und sagte: ›Recke ist sehr krank, du mußt ihn besuchen.‹ Mein guter Vater nahm mich und die Behnsche Frau am Arme und führte uns auf Reckes Zimmer; er sah bleich aus, und ich fragte ihn, wie er sich befinde. Er sagte: ›Morgen wird es wieder gut sein.‹ Nun kamen wir zu Mama hinüber, die wir sehr böse fanden; jetzt erst erfahre ich, daß Recke nicht krank, nur unzufrieden war. Da konnte ich mich der Tränen nicht enthalten, mein Herz war mir so beklommen, daß ich Mama bat, mich zu Bette legen zu dürfen. Zwei Tage habe ich Schnupfenfieber und Fieberhitze gehabt, aber bei Gott, es ist kein Streit zwischen mir und Recke gewesen, und ich war unschuldig, daß Mama und Recke auf einander ein paar Tage böse waren. Ich werde gewiß nie mehr Ballett tanzen und Komödie spielen. Mama wollte Recke zum Schabernack nach einigen Tagen Richard den Dritten von uns aufführen lassen: aber ich bat Mama so lange, daß dies nicht geschehen möge, bis sie nachgab. Darüber freute sich mein guter Vater, aber Mama sagte, ich würde schlecht fahren, wenn ich immer so nachgeben würde. Bin ich aber einmal Reckes Frau, so will ich mich so betragen, daß er mit mir zufrieden sein soll, und daß alle Menschen sagen müssen, daß sie so etwas von einer so jungen Frau nicht erwartet haben.

 

An Lisette von Medem

Neuenburg, 2. Juni 1771.

Noch, liebste Lisette, habe ich meine geliebten Eltern hier; ich sehe diese, ich sehe meinen lieben Mann froh, ich bin es also! – Dich, liebe Lisette, erste Freundin meiner Jugend, dich hatte ich nicht hier! – Ach! du lebst in meiner Seele! ewig, ewig werde ich dich, du Teuere, lieben! – Neuenburg ist ein großes, fürchterliches Schloß! es hat sehr dicke, dicke Mauern, acht Personen können in einem Fenster sitzen. Aber die Gegend ist sehr schön; das Schloß ist fast ganz mit Wasser umgeben. Wenn mein lieber Mann und ich in diesem großen Schlosse allein bleiben werden, dann wird es fürchterlich sein! – Was mir Freude macht, ist, daß mein geliebter Mann so vielen armen adligen und bürgerlichen Familien auf seinen Gütern freie Wohnung gibt. Er hat auch einen beständigen Arzt für seine Bauern. Ja! Liebste, mein Mann ist gewiß ein vortrefflicher Mensch, er ist nur kein Weltmann, aber er liebt mich, er tut vielen Gutes und ich werde gewiß recht glücklich sein. Wie die Nachtigallen hier unter meinem Fenster schlagen – wie im Altautzschen Wäldchen! Ach! das liebe, liebe Altautz! dort, meine Lisette, habe ich dich zum letztenmal an mein Herz gedrückt, das dich ewig lieben wird.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 6. Juni 1771. Siebzehn Tage nach der Hochzeit! C.

Ich hoffe immer, es wird anders werden, ich werde Sie und meine lieben Eltern nicht so sehr vermissen, aber mein Herze wird immer gepreßter! – Heute fühle ich es noch mehr als gestern, daß ich Euch, Ihr Lieben, nicht mehr um mich habe! Ich bin hier fürchterlich allein! und – mein Stoltzchen! – gottlob, daß ich allein bin, dann sieht Recke wenigstens meine Tränen nicht! Ich bin seine Frau, ich will mich bemühen, sein Glück zu machen, er soll mich nicht traurig sehen! Ich werde dadurch glücklich sein, wenn ich ihn froh sehe. Er ist sehr mürrisch, und ich weiß nicht warum. Nur zu Ihnen, meine Freundin, kann ich sprechen und schreiben, wie es mir ums Herze ist, aber meine Lisette muß es nicht ahnen, wie mir zumute ist, denn sie kann Recke ohnehin nicht leiden.

Schreiben auch Sie, mein Stolzchen, an Lisette, daß ich sehr glücklich bin, und dies sagen Sie auch an alle Menschen. Gegen meine guten Eltern lassen Sie sich um Gotteswillen nichts vom Inhalte dieses Briefes merken. Mama würde auf Recke sehr böse werden, und beide meine Eltern werden sich vielleicht daraus ein Gewissen machen, daß sie mich an Recke gegeben haben und mir nicht einmal die Bitte erfüllten, meine Hochzeit noch fünf Jahre auszusetzen. Doch meine Tante Kleist und ihre Töchter sollen die Freude nicht haben, mich unglücklich zu wissen, und ich will mich so aufführen, als wäre ich so alt wie meine Cousinen. Und vielleicht werde ich auch noch recht glücklich werden, aber liebes, liebes Stolzchen, Recke kann Mama gar nicht leiden, und ich glaubte wahrhaftig, daß er sie recht lieb hielte.

Gestern Abend fing er an, sich an der Tafel über Mama recht lustig zu machen. Herr von Lieven, der Arzt und sein Kammerdiener waren dabei. Ich nahm seine Hand, küßte sie, drückte sie an mein Herz und bat ihn, wenn er dies Herz nicht verwunden wolle, so möge er nicht so von einer Frau sprechen, die mir lieber als mein Leben wäre. Er machte mir ein paar Augen, daß ich vor Angst in die Erde hatte sinken mögen, und sagte: »Das ist eine wahre empfindsame Theatersprache, mit der ich verschont zu bleiben wünsche; um sie nicht mehr zu hören, so werde ich über Ihre Stiefmutter schweigen, aber ich wünschte zu meinem Glücke, daß Sie Verstand genug hätten, um die Torheiten dieser superklugen Frau einzusehen.« Er schwieg; wider meinen Willen flossen einige Tränen von meinen Wangen; er sah mich noch fürchterlicher an, stand schnell vom Tische auf, alles war erschrocken, ich wußte nicht, wo ich mich lassen sollte. Er nahm Hut und Stock und ging spazieren, die beiden Herren begleiteten ihn; ich warf mich auf meine Knie und flehte zu Gott um Geduld und Verstand. Als ich mich erholt hatte, folgte ich ihm nach, trocknete meine Tränen und machte ein heitres Gesicht; ich fand ihn im Stalle und tat, als wäre nichts unter uns gewesen; er sah mich nun nicht mehr so wild an. Als wir nach Hause gingen und über die Brücke waren, bat ich ihn, da der Abend so schön sei, längs dem Mühlenteich nach dem kleinen Gebüsch zu gehn, wo die Nachtigallen singen. Er sagte, ein guter Wirt habe andre Dinge zu tun, als abends spät die Nachtigallen zu hören, er müsse morgen früh in das Feld hinaus, jetzt sollten wir nur schlafen gehen. Liebes Stolzchen! die Uhr war erst neun. – Doch ich sagte nichts und ging mit ihm aufs Schloß hinauf.

Recke legte sich sogleich zu Bette, ich kleidete mich so langsam als möglich aus – und war froh, als ich ihn schnarchen hörte. Da blieb ich noch eine volle Stunde im offnen Fenster liegen, sah im hellen Schein des Mondes die kleinen Wellen des Flusses spielen, dachte – ach! – dachte da so manches! Wäre ich jetzt noch in unserm lieben Altautz, dann wären wir jetzt gewiß in unserm Nachtigallenwäldchen. Da ich glaubte, daß Recke schon ganz fest eingeschlafen sei, legte ich mich ganz sanft zu Bette, und Gottlob! er wurde auch nicht wach! Ich wurde wach, als er heute früh aufstand, aber ich tat, als sei ich recht fest eingeschlafen. Er kam erst zu Tisch nach Hause, aber er sprach gar nicht, und ich hatte auch nicht den Mut, ein Wort hervorzubringen. Gleich nach Tisch ritt er wieder aus, und so habe ich ihn heute fast gar nicht gesehen.

 

Gottlob! Gottlob! – ich würde nicht geglaubt haben, daß ich mich so freuen könnte! Dank, liebes Stolzchen – Dank für den lieben, langen Brief! auch meine guten Eltern haben mir so herzlich geschrieben! Ich werde Ihren lieben Brief in einem meinen Eltern zeigbaren Briefe beantworten. Diese Zeilen müssen sogleich verbrannt werden.

R. S. Liebes Stolzchen! ich bin wohl noch ein ganzes Kind, daß ich so über Kleinigkeiten weinen kann: aber hören Sie! Meine Mintusche ist unter meinem Fenster von Reckes Hunden zerrissen worden, und was mir am wehesten tut, Recke selbst hetzte dies arme Tier! – Ich schrie zum Fenster hinaus und bat, daß man meine Katze retten möge, aber umsonst, die Hunde bellten so laut, daß keiner meine Stimme hörte, und das arme Tierchen wurde vor meinen Augen zerrissen. Dies Kätzchen war mein Gefährte in meiner Einsamkeit, es wich selten von meiner Seite, und mir war, wenn ich meine Mintusche streichelte und das Tierchen sich dann schmeichelnd und freundlich knurrend an mich schmiegte, als sehnte es sich mit mir nach unserm lieben Altautz. – Ich will nicht glauben, daß Recke meine Katze, die er als Bräutigam streichelte, nun mit Willen tot gehetzt hat, aber ich würde weniger betrübt sein, wenn Recke dies liebe Tier nicht mit gehetzt hätte. Recke lachte überlaut, da er mich weinend fand; ich bat ihn meiner Schwäche wegen um Verzeihung, er aber sagte spottend: »Wenn Sie so über den Tod einer Katze weinen, wie werden Sie sich denn anstellen, wenn Sie einmal Kinder haben und diese sterben?« Diese Rede tat mir noch weher, doch schwieg ich ganz still. Nach einer Weile sagte Recke: »Ihre Katze war ein ganz verwünschtes Tier; gestern hat sie zwei Porcelaine-Tassen entzwei gemacht. Schaffen Sie sich lieber Vögel an; mit diesen können Sie spielen, bis Sie Kinder haben, mit denen Sie sich Zeitvertreib machen: aber die Stiefmutter liebt Katzen, doch keine Vögel, nicht wahr – und so werden die Katzen wohl immer das Vorrecht behalten?« – Liebes Stolzchen! ich war im Herzen gekränkt und empfindlich, aber ich verbiß meinen Schmerz und sagte ganz gelassen, ich wolle kein lebendes Tier mehr um mich haben, keins mehr lieb gewinnen, auf daß ich nicht wieder durch den gewaltsamen Tod eines solchen unschuldigen Tieres gekränkt werden könnte. – Ich schwieg, Recke schwieg auch, und ich bat Gott, mir ja keine Kinder zu geben! – Es ist eine Narrheit, liebes Stolzchen, aber seit dem Tode meiner Katze fürchte ich mich noch mehr vor dem Gedanken, Kinder zu haben. Sagen Sie, liebe Seele, keinem etwas darüber, daß meine Mintusche von Hunden zerrissen ist.

 

An die Eltern.

Neuenburg, 6. Juni 1771.

Die Erscheinung Ihres Boten, liebste Eltern! war mir die Erscheinung eines Engels! – für mich war er ein guter Engel, er brachte mir Briefe von Ihnen, beste Eltern! Ach Briefe! Briefe nur! wann wird mein Herz sich daran gewöhnen können, daß ich entfernt von Ihnen, Liebste, entfernt leben muß! Ich liebe meinen guten Mann, aber Sie, Sie vermisse ich mehr, als ich es sagen kann. Ach! alles, alles ist mir hier so wüste, so fremd! nur die Nachtigallen, die singen wie in unserm Altautz. Meinem lieben Mann, der mich gewiß recht sehr liebt, und mit dem ich recht glücklich bin, dem verberge ich meine Tränen, aber, mein Herz weint nach Ihnen, beste Eltern, auch wenn meine Augen trocken sind. – Mein lieber Mann ist ein sehr großer Wirt, er reitet noch mehr als Papa in der Wirtschaft umher, und das ist mir jetzt recht lieb, so kann ich denn meinen Tränen im Stillen freien Lauf lassen, ich werde mich vielleicht allmählich an die Trennung von meinen besten Eltern gewöhnen! Ach! werde ich das je können? Leben Sie wohl, ewig Geliebte! – Gott erhalte Sie gesund; dies ist der innigste Wunsch meiner Seele. Glauben Sie gewiß, liebste Eltern, daß, obzwar ich Sie ganz unaussprechlich vermisse, dennoch durch die getroffene Wahl ihres geliebten Mannes glücklich ist

Dero
gehorsamstes Kind
C. von der Recke.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 18. Juni 1771.

Dieser Brief, liebes Stolzchen, trifft Sie schon in Mitau; den 23. treffen wir daselbst auch ein. Vormals freute ich mich, wenn wir nach Mitau fuhren; jetzt, mein Stolzchen, jetzt ist es für mich nicht wie sonst! Ich bliebe lieber zu Hause! – In Mitau werde ich mich lustig stellen müssen, hier bin ich allein, hier brauche ich mich nicht zu verstellen, nur die wenigen Stunden, da Recke an der Tafel sitzt, wenn ich da nur ein heitres Gesicht mache, nachher kann ich mich meinen Tränen in der Stille überlassen. Ach! Stolzchen, Recke hat eine so eigne Art, wenn er mich spricht, immer weiß er, was zu sagen, was mir das Herz zerschneidet. Auch über meine Lisette macht er sich lustig; heute sagt er wieder, es taugte nichts, wenn verheiratete Weiber Freundinnen hätten; diese müßten nur ihren Mann und das Hauswesen lieben, und Gott sagte selbst in der Schrift: Du sollst Vater und Mutter verlassen und an deinem Manne hangen, und dein Mann soll dein Herr sein. Ich küßte seine Hand und sagte, daß ich ja auch um seinetwillen Vater und Mutter verlassen hätte, und daß mir es Freude sein würde, jedem seiner Wünsche zuvorzukommen. Auch wollte ich mein Herz davor bewahren, mir eine neue Freundin zu wählen, aber meine Eltern, meine Geschwister und die Freundinnen, die ich schon liebte, die würde ich bis in den Tod lieben, und ich glaube, er könnte zufrieden sein, daß ich in der Freundschaft nicht leichtsinnig wäre. Der gegen Freunde Pflichten erfüllt, würde sie auch gegen den Gefährten des Lebens erfüllen.

Wir standen von der Tafel auf, und Recke fragte mich, ob ich nicht mit ihm zum Viehstall gehen und das Vieh dort überzählen wolle, dies wäre besser, als mich unter einen schattigen Baum zu setzen und da Wielands Sympathien zu lesen. Ich sagte ganz freundlich, daß ich sogleich folgen würde, nur wollte ich Hut und Flor aufsetzen, um mich gegen die Sonne zu schützen. Er sagte sehr ernsthaft, daß er solche Affektation nicht mag; ich sagte ganz freundlich zu ihm: »Wenn Sie ein braunes, von der Sonne verbranntes Gesicht mehr, als eine zarte Farbe lieben, so will ich Hut und Flor nicht mehr tragen.« Und so ging ich mit ihm zum Viehstall, die Sonne brannte heiß, aber ich folgte. Doch bald wurde Recke wieder mißvergnügt. Sie wissen, liebes Stolzchen, ich bin nicht zur Wirtschaft angehalten, ich tat einige Querfragen, und da ging es wieder über Mama her; ich mußte hören, daß er nichts als eine Mode- und Tanzpuppe an den Hals bekommen hätte, die vielleicht noch obendrein solch eine gelehrte Närrin, als die Stiefmama, werden würde. Ich konnte mich kaum der Tränen enthalten und sagte nur: »Sie wußten es ja, daß ich nichts von der Wirtschaft verstehe; ich kann Ihnen, liebster Recke, jetzt bloß meinen guten Willen zeigen. Sie müssen Geduld haben, bis ich mehr Erfahrungen einsammle. Ach! warum warteten Sie nicht noch fünf Jahre mit der Hochzeit?« Er sah mich wieder mit seinen großen Augen so an, daß mir angst und bange wurde, und sagte: »Wo haben Sie all die Tränen her, die Sie in Neuenburg schon geweint haben?« Ich sagte zitternd: »Aus meinem Herzen, welches jedesmal ängstlich zusammengepreßt wird, wenn es Sie mit mir unzufrieden sieht.« – »Sie haben die Romanensprache recht gut studiert, und ich Buschklepper muß Ihrem fein gebildeten Herzen wohl sehr plump vorkommen.« Ach, Stolzchen, ich wußte nicht, wo ich mich lassen sollte; in der Angst schlang ich meine Arme fest um ihn, drückte mein Gesicht an sein Herz und weinte; er hob mein Gesichte mit seiner Hand auf; sah mich scharf an, ich hatte seinen Blick nicht zu scheuen, ich sah ihn auch an, er küßte mich; ich küsse ihn nicht gern, aber weil Mama sagt, daß Männer es gerne haben, daß man sie küssen soll, so küßte ich ihn auch; da drückte er mich an sein Herz und küßte mich länger. Ach! mir wurde so bange, aber ich ließ es ihn nicht merken und tat recht freundlich gegen ihn.

Dann führte er mich auf die Wirtschaftszimmer, wo Leinwand, Flachs, Strümpfe und allerlei Sachen stehn. Das übergab er mir alles, ich bat ihn, mit mir Geduld zu haben, bis ich mehr von der Wirtschaft verstünde, und so ritt er doch nach diesem mir sauren Tage gegen fünf Uhr abends recht freundlich spazieren.

Jetzt, meine Freundin, ist mein Herz leichter, da ich es Ihnen aufgeschlossen habe; vielleicht wird noch alles gut gehn! Wenn ich nur nicht so allein wäre! Meine Reichartin Die Kammerzofe. C. sitzt den ganzen Tag hinter ihrem Schirm und weint; ich kann auch mit keinem Menschen ein Wort reden! Ach! wie war es in Altautz so ganz anders. – Ach, ich weiß wohl, was ich möchte – ich wünschte, daß Recke anders wäre, als er ist. Aber er ist nun einmal so! Lieber Gott, gib mir Verstand! – Ach, da kömmt Recke über die Brücke geritten, geschwinde will ich dies Papier in die Tasche stecken und ihm mit einem recht freundlichen Gesichte entgegeneilen. Meinen Augen ist es gar nicht anzusehen, daß ich geweint habe.

Den 19. Juni. Ich habe Ihnen, liebste Stoltzen, wieder so manches zu sagen, aber wo soll ich anfangen? Ach, liebe Teuere! Ich hatte diese Nacht einen schönen Traum! – Doch nein, ich will von gestern Abend anfangen. Nach der Tafel hatte Recke ein Boot bestellt, und ohne daß ich es vermutete, fuhr er mit mir auf dem Mühlteich spazieren, der komische Doktor Dr. Wichmann, der Gutsarzt. C. fuhr mit uns, und weil es Recke Vergnügen machte, so scherzte und lachte ich. In dem Gebüsche, wo die mehresten Nachtigallen schlagen, da stiegen wir aus, und vor halb zehn waren wir zu Hause. Ach! liebes Stolzchen, wenn Gott doch gäbe, daß Recke öfter so wäre! Aber wie wir ins Zimmer traten, so roch es nach gebratenem Speck, und Recke hörte, daß meine Reichartin sich frischen Salat mit gebratenem Speck habe geben lassen; da war er entsetzlich böse und sagte zu mir, es wäre dummes Zeug, daß meine Kammerjungfer von der Tafel gespeist würde und noch nachts mahlzeiten täte; von nun an sollte ich es von ihr fordern, daß sie mit seinem Kutscher und Kammerdiener speisen möge. Ich sagte ihm ganz freundlich, das könne ich nicht tun, weil sie die Tochter eines Hofgerichtsadvokaten sei, weil sie das Versprechen hatte, von unserem Tische gespeist zu werden, aber wenn er wollte, so würde ich sie ganz abschaffen und gar keine Kammerjungfer halten. Ich dachte, bei Gott, meine Sache recht gut gemacht zu haben, aber nun erst wurde er recht böse und sagte, das Unglück habe ihn auch recht an die vornehmen Familien gebannt, so mit der Frau, so mit der Kammerjungfer. Meine Stiefmutter und meine Großmutter würden schönen Lärm machen, wenn ich keine Kammerjungfer hätte, und alle Hofgerichtsadvokaten würden ihn anfeinden, wenn er ihre Mitschwester fortschickte. Aber wollte ich eine gute Hausfrau sein, so könnte ich wohl verlangen, daß meine Kammerjungfer mit den andern teutschen Leuten äße. Ich sagte, das müsse ja allen Hofgerichtsadvokaten noch unangenehmer sein, als wenn sie ihren Abschied bekäme. Nun wurde er erst recht böse und ging in einem Brummen zu Bette. Ich schwieg ganz stille und wartete, bis ich ihn schnarchen hörte. Da legte ich mich ganz still zu Bette.

Gegen Morgen träumte ich, – ich sei gar nicht mit Recke verheiratet, ich sei die Braut vom seligen Brinck, und so, mein Stolzchen, so stand ich mit dem seligen Brinck in der Altautzschen Kirche am Altare, und wir wurden getraut, und ich war so glücklich! Ach! mir ist noch in meinem ganzen Leben so nicht zumute gewesen, als da im Traume! Und nun führte Brinck mich vom Altare, er sah mich so zärtlich an, und ich sah in sein frohes Gesicht so glücklich hinein, er drückte meine Hand an die seinige, und mir war ganz unaussprechlich wohl. Nun setzten wir uns in den Brautwagen hinein – nur wir beide saßen da, und Brinck drückte mich so innig an sein Herz; er küßte mich auch, aber, mein Stolzchen, da war mir so wohl, so wohl! nie habe ich so etwas gefühlt! – und auch ich, mein Stolzchen, ich drückte Brinck so gerne an mein Herz, und er sagte: »So darf ich dich mein nennen?« – und Stolzchen – ach! – da wachte ich auf, und Recke schnarchte an meiner Seite! – Die Herzensangst, die mich da befiel, die, mein Stolzchen, kann sich keines denken. Nun wurde mir mein Hochzeitstag so gegenwärtig: wie ich mit Todesangst zum Altare trat und mich nachher – ich weiß nicht wie – im Wagen ganz allein an Reckes Seite befand! welche zentnerschwere Last drückte da mein Herz nieder! Alles das wurde mir so gegenwärtig! Gott! wie glücklich muß man sein, wenn man wachend das fühlen kann, was ich im Traume fühlte! – Ach Stolzchen! ich weinte ganz still – aber bitterlich! Mit einem Male hörte Recke zu schnarchen auf, nun erst wurde mir recht bange! Die Morgensonne schien in unser Zimmer hinein, Recke konnte mein Gesicht sehen, und mein Kopfkissen war von meinen Tränen naß. Ich tat, als wenn ich schliefe, aber Recke weckte mich auf und sagte: »Was ist das? auch im Schlaf weinen Sie?« Ich mußte tun, als wenn ich jetzt erst aufwachte, aber der Tränen konnte ich mich nicht enthalten. Er fragte mich, aber nicht mit einer bösen Stimme: »Mein Gott, warum weinen Sie?« Ich sagte in der Angst: »Ach, ich träumte, Mama starb.« Da sprang er ganz böse aus dem Bette und sagte: »Wachend und schlafend wird die Stiefmutter beweint!« Liebes Stolzchen, im Grunde war es mir recht lieb, daß Recke mich so verließ. Noch habe ich ihn heute nicht wieder gesehen, mir ist auch bange vor dem Augenblick. –

 

An Lisette von Medem.

Neuenburg, 5. Juli 1771.

Nun ich nicht mehr in Mitau bin, jetzt, liebe, liebste Lisette, bin ich ungleich heiterer! Es schmerzt mich, daß alle meine Bekannten so eine tiefe Schwermut und ein ganz verändertes Wesen an mir bemerkt haben.

Ich bin mit meinem lieben Manne gewiß recht glücklich, aber wenn ich jetzt so lebhaft sein würde, als ich vor meiner Hochzeit war, dann verdiente ich den Tadel aller meiner Freunde, und man könnte mich für kokett halten. Jetzt muß ich mein Bestreben dahin richten, vorzüglich einem Herzen zu gefallen, und dies ist das Herz meines geliebten Mannes. Meine jugendlichen Neigungen sind nicht die seinigen, aber er würde nichts dagegen haben, wenn ich mich diesen unter der Leitung meiner Mutter überließe, ich aber, meine Lisette, ich würde unzufrieden mit mir sein, wenn ich den Gefährten meines Lebens allein gehen ließe und auf einem andern Wege, als an seiner Seite, mein Vergnügen suchen wollte. Ich und meine guten Eltern, wir wußten es ja schon vor meiner Hochzeit, daß Recke weder den Tanz noch die große Welt liebte. Als ich mich meinem lieben Manne vor dem Altare versprach – da versprach ich es mir, mich ganz nach den Neigungen dessen zu richten, dem ich verbunden wurde, und diesen Vorsatz werde ich heilig halten. Willst du, meine Liebste, aber wissen, warum ich in Mitau so betrübt war, so kann ich es dir sagen; es kam daher, weil meine beste, über alles geliebte Mutter mit mir unzufrieden wurde. Mama wollte, ich sollte noch acht Tage ohne meinen geliebten Mann in Mitau bleiben; sie versprach, mich selbst nach Neuenburg zu bringen, auch mein guter Mann verlangte von mir, daß ich bei Mama bleiben sollte, ich aber tat dies nicht, weil ich glaubte, daß eine junge Frau durchaus nicht ohne ihren Mann in der großen Welt bleiben soll. Mama wurde böse, daß ich glaubte, besser zu wissen, was sich schickt, als sie, und sie sagte, ich würde in meiner Ehe nicht aushalten, wie ich anfange, und man müsse sich nicht so nach Männern bequemen; und mein lieber Mann verlangte durchaus, ich sollte in Mitau bleiben, mit Mama auf Bälle gehen, sonst würden die Leute sagen, daß er eifersüchtig ist und mich einsperren will, und meine Eltern würden ihm den Vorwurf machen, daß er schlecht Wort hielte. Ich aber blieb durchaus nicht ohne ihn in Mitau und sagte ihm und Mama, daß wenn er mich wider meinen Willen in Mitau bei meinen Eltern zurücklassen würde, ich mich wahrhaftig in mein Zimmer einsperren und keinen Menschen sehen wolle, als meine Eltern, mein Geschwister und meine beiden Freundinnen. So, meine liebe, liebste Lisette, verließ ich mit meinem lieben Manne Mitau; aber er und Mama waren böse auf mich.

Was meiner Mutter Freunde von den Auftritten mit Großmama in Brucken erzählen, ist ganz anders, als es wirklich war. Mein lieber Mann hat gewiß nicht darüber geklagt, daß ich mit Mama ohne ihn an Hof gewesen bin und auf dem Balle getanzt habe, denn beides verlangte mein lieber Mann durchaus von mir. Aber wer weiß, wer meiner guten Großmutter alle das Zeug in den Kopf gesetzt hatte, und da hat sie mich freilich ganz entsetzlich gescholten, und sie war gewaltig böse auf mich und Mama, und ich habe sehr viel geweint. Aber mein guter, lieber Mann war an alle dem Lärm und meinen Tränen ganz unschuldig. Noch hatte man meiner guten Großmutter erzählt, daß ich guter Hoffnung gewesen bin und auf dem Balle so getanzt habe, daß mein lieber Mann um die Freude gekommen ist, Vater zu werden. Da half alles nichts: ich konnte Großmama zuschwören, daß ich nicht guter Hoffnung gewesen und daß ich nur zwei Contretänze getanzt hätte – sie glaubte mir nicht und schalt mich noch heftiger. Ach! das waren zwei saure Tage, die ich in Brucken hatte; Großmama, Tanten und Onkel, alles – alles fiel über mich her, und bei Gott, ich weiß nicht warum.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 6. Juli 1771.

Das waren traurige Tage, mein Stolzchen, die ich in Mitau und Brucken hatte, aber das Traurigste war, daß ich Sie, Vertraute meines Herzens, keinen Augenblick allein sprechen konnte. Sie, Liebe, sind die einzige, der ich mein Herz aufzuschließen wage, wenn dies gepreßt wird. – Ist Mama noch böse auf mich, weil ich nicht ohne meinen Mann in Mitau geblieben bin? Ach, Stolzchen! mein Herz wurde mir zerrissen, als ich sah, daß meine gute Mutter und Recke so böse auf mich wurden, da ich mich allein in Mitau zu bleiben weigerte. Und ich konnte doch keinem sagen, warum ich dem Willen derer ungehorsam war, denen zu folgen meine Pflicht ist. Meine erste Pflicht ist doch die, daß mir keine anderen Mannespersonen besser, als Recke, gefallen müssen, – und Stolzchen, wenn ich viel in der großen Welt wäre, an Hof und in Gesellschaften ginge, so wie Mama es will, dann könnte mein Herz in Gefahr kommen. Es tut mir jetzt schon leid, daß ich das ausdrückliche Verlangen meines Mannes erfüllte und ohne ihn mit Mama an Hof ging. Menschen, die mir sonst ganz gleichgültig waren, wenn die mich jetzt zärtlich ansahen, es bedauerten, daß ich verheiratet bin, das Schicksal meines Mannes zu beneiden schienen, dann wurde mein Herz so wunderlich zusammengepreßt – und ich konnte mich mit Mühe der Tränen enthalten, doch hatte ich gottlob die Stärke zu sagen, daß ich sehr glücklich bin und mein Schicksal um keinen Preis vertauschen möchte. – Ich fuhr recht zusammen, als ich mit Ober-Jägermeister Grotthuß tanzte und er, indem wir hinaufschassierten, mir die Hände drückte und mir ins Ohr sagte: » Je suis le plus malheureux des hommes de voir qu'un autre possède tous ces charmes! que j'aurais été heureux, si vous eussiez éte à moi!« Ich antwortete ihm nicht und sah ihn auch nicht an. Als wir den Contretanz hinunter getanzt hatten, sagte ich, ich sei müde, und bat um Verzeihung, daß ich den Tanz nicht ganz endigen könnte. Er führte mich zu einem Stuhle neben Mama und machte dieser bittre Vorwürfe, daß sie mich an Recke verheiratet habe. Ich sagte, diese Vorwürfe verdiene meine gute Mutter nicht, ich hätte Recke selbst gewählt, weil ich durch einen rechtschaffenen und edlen Mann hätte glücklich sein wollen, und dies wäre ich auch. Ich verließ meinen Stuhl und ging zu meiner Tante Keyserlingk, um mit der von nichts zu sprechen, aber mein Herz war gewaltig unruhig, und ich ärgerte mich über mich, daß Grotthuß mir so schön vorkam. Mama sagte, daß fast alle verheirateten und unverheirateten Männer und sogar der Herzog aus dem Tone, wie Grotthuß, zu ihr über mich gesprochen hätten und daß mir das viel Ehre mache. Liebes Stolzchen, was habe ich von einer solchen Ehre, wenn sie mein Herz zusammenpreßt?

Ich werde sobald nicht wieder nach Mitau an Hof – und in große Gesellschaften gar nicht gehen. Oder wenigstens nicht eher, als bis ich es fühle, daß kein Mensch mir besser, als Recke, gefällt. Der Herzog sagte auch zu mir, er habe nie geglaubt, daß meine Schönheit noch erhöht werden könne, aber mein ganzes Wesen habe eine noch interessantere Anmut erhalten, und Recke wäre der beneidenswerteste Mann in der Welt. Ich sagte nicht ganz ohne Rührung, mein Bestreben würde dahin gehen, ihn, soviel es in meinen Kräften stünde, wenigstens zum glücklichen Manne zu machen. Rönne schlug sich mit einem Ausdrucke von Verzweiflung an seine Stirne, denn er hörte, was der Herzog mit mir sprach. Der Herzog faßte seine Hand, schüttelte diese und sagte: »Lieber Baron, glauben Sie mir, ich fühle für diese schöne, liebenswürdige Frau, was Sie fühlen. Wenn Herr von der Recke den Schatz, den er besitzt, ganz zu schätzen weiß, dann ist er glücklicher, als ich es mit meinem Herzogtume bin.« Der Herzog nahm mich zur Menuette auf, und ich war froh, als der Tanz zu Ende war. Ich versichere es Ihnen, Liebe, ich war die ganze Zeit über, so lange der Ball dauerte, wie auf Nadeln. Ach! Stolzchen! oft waren mir die Tränen nahe, wenn ich daran dachte, wie glücklich ich noch hätte sein können, wenn ich nicht hätte heiraten müssen.

Mir war so bange, daß Recke verdrießlich sein würde, weil ich nicht in Mitau blieb, aber er ist jetzt nicht so mürrisch, als er vor Johannis war. Er hat mir auch sehr freundlich gesagt, daß er, um mir Vergnügen zu machen, nach Lisettchen schicken will, und daß sie acht Tage hier bleiben kann. Wir haben ein paar Nachbarn besucht, aber liebes Stolzchen, diese fahren ihre Frauen auch in Gesellschaften so an, wie Recke mich bisweilen anfährt, wenn wir unter uns sind. Das soll hier schon so im Neuenburgischen Kirchspiel die Art sein, daß die Männer ihre Frauen sehr kurz halten. Und so, Liebe, ist Recke wohl noch ein besserer Mann, als die andern – und wenn ich ihn durch mein sanftes, zuvorkommendes Betragen ganz werde gewonnen haben, dann werde ich vielleicht noch glücklich sein können. Aber Stolzchen, in große Gesellschaften gehe ich nicht mehr.

Sobald Lisettchen bei mir gewesen ist, so komme ich nach Altautz; dies hat mein lieber Mann mir auch schon erlaubt. Gottlob, er spricht nicht mehr so viel Böses von Mama, er ist überhaupt, seit wir aus Mitau zurück sind, viel freundlicher. Mama mag doch wohl Recht haben, daß es den Männern gefällt, wenn man ihre Frauen schön findet. Das ist doch sonderbar! warum brauchen denn die Männer andrer Leute Augen als Zeuge dessen, daß sie was Gutes besitzen? Werde ich denn besser dadurch, daß andre Männer mich zur Frau wünschen? – Mein Bestreben wird dies sein, daß alle Männer, die mich beobachten, wünschen sollen, eine solche Frau, als ich bin, zu besitzen. Meine Schönheit ist nicht mein Verdienst, die gab mir Gott, aber ich will eine recht gute Frau werden. Eine schöne Frau allein macht doch wahrhaftig ihren Mann noch nicht glücklich!

Ich will recht viel lesen, um meinen Verstand und mein Herz zu bilden, dann wird mir auch, wenn übles Wetter ist und ich nicht herumspazieren kann, die Zeit in diesem großen, wüsten Schlosse nicht so lang, und mir wird vielleicht dann auch nicht so ängstlich sein. Noch habe ich das Vergnügen, in Herrn von Lieven, der ein Freund von Recke ist und eine allerliebste Schwester, eine gute Frau und Mutter hat, recht angenehme Unterhaltung zu haben. Recke liebt diese Familie sehr, sie lebt auf einem Gute von Recke, eine halbe Meile von hier. Ich will die Freundschaft dieser Menschen suchen, weil mein Mann sie liebt. Den Prediger dieses Orts – einen sehr klugen Mann – den und dessen Familie kann Recke nicht leiden, denn er sagt, alle Priester dürsten so nach Oberherrschaft, wie Blutigel nach Blut. Mir gefallen diese Menschen recht gut, und das Pastorat ist ganz nahe bei Neuenburg. Solche Reden, die Recke bisweilen über gute Menschen hält, die tun mir recht in der Seele wehe. Wenn ich erst sehen werde, daß er mich recht liebt, dann will ich ihn bitten, daß er nicht so oft mit hämischer Bitterkeit über so viele Menschen öffentlich urteilen möge. Ehe ich ihn aber durch mein sanftes, gefälliges Betragen dahin gebracht habe, mich recht lieb zu halten und mir immer freundlich zu begegnen, eher will ich nichts sagen und ihn auch hundert Dinge, die mir wehe tun, machen lassen, ohne ihm ein Wort zu sagen. Ach, liebes Stolzchen, noch habe ich ein stilles Leiden – ich sehe einige Bauernjungen Gänse und Schweine hüten; sie haben ganz zerrissene Kleider, gehn auf bloßen Füßen und sehen recht wie Recke aus, und man hat mir gesagt, daß es seine Kinder sind! Ich hätte weinen mögen – aber ich durfte nichts sagen. Wenn es Mädchen gewesen wären, so hätte ich Recke gesagt, daß die Kinder mir gefallen, und hätte sie in den Hof genommen; das darf ich jetzt nicht tun. Wenn ich spazieren gehe, so stecke ich immer etwas Zwieback oder Pfefferkuchen zu mir und gebe dies den Kindern; ich habe ihnen auch etwas Geld zu Schuhen und Strümpfen gegeben. In Reckes Vorratskammer sind so viele Strümpfe, aber die will ich nicht ohne Erlaubnis nehmen.

Die beiden kleinen Jungen halten mich so lieb; wenn sie mich nur von weitem kommen sehen, so laufen sie freundlich zu mir und küssen meine Hand. Recke soll doch ein sehr guter Mensch sein, er ist so reich – er ist Vater und bekümmert sich nicht um seine Kinder. Ich habe ganz still für mich geweint, als ich so darüber nachdachte! – Ach, Gott bewahre mich vor Kindern; Recke liebt seine Kinder nicht.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 3. August 1771.

Jetzt, liebes Stolzchen, bin ich durch den Besuch meiner lieben Lisette recht froh. Auch ist mein lieber Mann die Zeit her recht freundlich gewesen, und das freut mich doppelt, weil meine Lisette jetzt glauben wird, daß ich recht glücklich bin. Einige Male wurde mir recht bange, Recke machte an der Tafel unverschämte Scherze; Frau von Lieven, Dortchen Lieven und ich wurden blutrot und schlugen die Augen nieder. Die alte Mama Lieven schmusterte und machte dem Doktor Wichmann ein paar mächtig große Augen; dieser leckte gar freundlich seine Lippen, wiederholte mit vielem Beifall das schmutzige Zeug, was Recke gesprochen hatte. Der gute Lieven sah Wichmann mit einem tadelnden Blicke an, und Lisette hatte so viele Gegenwart des Geistes, daß sie aus allem einen bescheidenen Spaß machte.

Lisette hat recht närrische Einfälle; sie sagt, ich tue nicht recht, daß ich meinem Manne immer die Hand und nie den Mund küsse; ich sollte einmal versuchen und einige Tage statt seine Hand seinen Mund küssen; dies würde meine Ehe noch um vieles glücklicher machen. Was Lisettchen auch für Einfälle hat! ach! mein Stolzchen! mein Herz klopft immer so ängstlich, wenn Recke mich mit einem Kusse an sein Herz drückt. Seine Hand will ich wohl küssen, aber seinen Mund! Ach! er macht dann so sonderbare Augen, vor denen mir bange wird.

 

Frohe und trübe Stunden, mein Stolzchen, wechseln für mich. Die seligen Tage der Freude, die ich in Altautz hatte, verwechselten sich bei unsrer Rückkunft in so manche Mißvergnügen. – Recke hat die gute, alte Gampern, die seine Wärterin war, verabschiedet, weil die gute, alte Frau in ihrer vierteljährigen Hausrechnung nicht anzugeben wußte, wo zwei Schinken und 8 Pfund Feingarn geblieben sind. Auch mit mir war Recke unzufrieden, daß ich dem Hauswesen nicht besser vorstünde und viel zu flüchtig und unaufmerksam wäre. Ich kann dir es gar nicht sagen, meine Liebe, wie mich die Verabschiedung der guten, alten Frau schmerzte! sie bat Gott, daß es ihrem lieben Herrn, den sie auferzogen hat, gut gehen möge, wenn sie auch nicht mehr sein Brot ißt. Mich bat sie, froh und heiter zu sein, den gnädigen Herrn zu lieben, auch wenn er bisweilen verdrießlich ist.

Stolzchen, du hast die gute, alte Frau nicht gekannt! aber, bei Gott, es war hart von meinem Mann, daß er die Pflegerin seiner Kindheit verstieß. Ich bat, er möge sie behalten, und wurde darüber bitter angefahren, hörte Spöttereien über meinen Hang zum Lesen, und da ging es wieder über Mama her, daß sie mich zur gezierten Närrin, nicht aber zur Wirtin erzogen habe. Großmama und Tante Kleist hätten sehr Recht gehabt, da sie ihn gewarnt hätten, sich nicht bloß in eine schöne Larve zu vergaffen; ein kurländischer Edelmann brauche eine gute Wirtin, nicht aber eine Bücherfreundin zur Frau. Stolzchen, die Reden zerrissen zwar mein Herz, aber daß er die alte Gampern abschaffte, dies kränkte mich noch tiefer. Doch verbarg ich meine Tränen und sagte mit aller Sanftmut, daß ich mir ein Vergnügen daraus machen würde, mich ganz nach seinem Willen zu bequemen, daß ich mit der Zeit mehr wirtschaftliche Kenntnisse einzusammeln hoffe; bis dahin möge er Geduld mit mir haben und mich belehren. Doch müsse er es mir auch zu gute halten, wenn ich einige Stunden des Tages zur Ausbildung meiner Seele verwende, weil ich selbst dadurch geschickter würde, eine gute Gattin und Hausfrau zu werden. Ach, Liebe, so böse, als Recke da wurde, habe ich ihn noch nicht gesehn, mir wurde recht angst; ich schwieg still; als er aber sagte, er wünsche, daß ich nur nicht so viel Verstand aus den Büchern holte, daß ich Versuche machte, Herr im Hause zu werden, denn dies könne üble Folgen haben, da konnte ich mich denn nicht enthalten, ihm mit Tränen zu sagen, daß ich meinem Herzen und Verstande gewiß die Richtung geben würde, still dulden zu lernen und in der strengsten Erfüllung aller Pflichten meine Zufriedenheit zu suchen. Recke sagte sehr bitter, die erste Pflicht eines Weibes sei die, nach dem Beifalle ihres Mannes zu streben. Ich drückte seine Hand an mein Herz und sagte: »Lieber Mann, dies glückt oft bei dem besten Willen nicht, und dann, dann muß man sich mit dem Beifalle seines Gottes und seines Gewissens begnügen. – Glaube mir. Lieber, es ist süß, den Beifall seines Gottes und seines Gewissens zu haben!« Er lachte bitter und sagte wie im Scherz: »Sie sollten wirklich künftig die Kanzel besteigen.« Mit diesen Worten verließ er mich.

Den 25. September.

Heute ist Recke nicht mehr so mürrisch. Lieven war in Neuhof, und mein Mann hatte Kopfschmerzen; er bekam einen Brief aus Bechhof und war der Antwort wegen in Verlegenheit, ich bat ihn, er möge mich zu seinem Schreiber machen; das tat er auch; und er war mit meinem Briefe recht zufrieden; nun mußte ich noch an den Annenhöfschen Amtmann schreiben, und auch der Brief war gut. Nun war ich sehr froh, daß ich 'was gemacht hatte, womit Recke zufrieden war. Auch rief er mich an sein Bett und sagte mir, ich möge ihm den Kopf kratzen; wenn meine Hand an seinem Kopfe wäre, so fühle er weniger Schmerzen. Ich küßte seine Augen und seine Stirne, und er drückte meine Hand an sein Herz und sagte: »Du bist doch ein gutes Weib!« – Mein Stolzchen, wie das meinem Herzen wohl tat! ich küßte seine Hand und sagte ihm mit aller Wahrheit, daß ich gewiß kein größeres Glück kenne, als wenn ich ihn mit mir zufrieden sehe. Leben Sie wohl, Liebe! ich hoffe noch zu Gott, daß ich recht glücklich sein werde.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 9. Februar 1772.

Großmama und Tante Kleist schlafen Mittag, die Cousinchens sind nach dem Dandalschen Hause hinübergegangen, indessen kann ich Ihnen, liebes Stolzchen, einiges schreiben. Nun weiß ich, wer mich gegen Großmama so gelobt hat – das ist mein guter Vetter aus Prekullen und seine Frau; auch Landrat Taube und seine Frau haben der alten Francken viel Gutes von mir gesagt, und dann ist die alte Francken in Strutten bei ihrem Schwager gewesen, und dort sollen die Menschen alle sehr eingenommen von mir sein. Aber die Prekullsche Frau hat an Großmama gesagt, daß, wie sie in Neuenburg gewesen ist, so hat ihre Kammerjungfer gesagt, daß alle Leute in Neuenburg mich sehr lieben und bedauern, daß der gnädige Herr mir oft so schlecht begegnete; Hier ist einiges in dem Briefe gestrichen gewesen. Elisa gibt zu verstehen, daß Recke noch von früheren Zeiten her sich von Weibern auf dem Hofe beeinflussen lasse. C. Großmama war darüber böse, und sie wollte Recke vorkriegen und ihm sagen, daß er Marlise aus dem Hofe geben und die Hofmutter, Oberaufseherin über Viehstand und Mägde. C. die in Neuenburg ist, des Kutscher Krische seine Frau, auch versetzen möge. Auch wolle sie ihm über das Betragen den Text lesen und ihm sagen, daß weder sie, noch mein Vater, noch meine Verwandten es dulden würden, daß er mir so schlecht begegnete, und sie würden gewiß alle auf Scheidung dringen, wenn er sich dem Leben mit solchen Menschen ergeben wollte.

Ich versicherte Großmama, daß die Neuenburgischen Leute gelogen haben und daß mein Mann mich sehr liebt und mir gewiß treu ist, bat um Gotteswillen, Großmama und kein Mensch möge Recke wegen Marlisen nur ein Wort sagen, denn er würde doch sehr böse werden, daß er so unschuldig in Verdacht ist; er könne nachher glauben, ich hätte gar geklagt, und dann würde ich sein Herz ganz verlieren. Auch wäre Marlise ein gutes Mädchen, die ich sehr lieb hielte. Es kostete mir viel Mühe, Großmama dahin zu bestimmen, daß sie mir versprach, Recke kein Wort über die Geschichte zu sagen. Aber Stolzchen, was hörte ich noch von Großmama? Ach! dies zerriß mein Herz! Wissen Sie, wer Großmama vorigen Johannis so aufgebracht hatte, weil ich mit Mama am Hof gewesen bin? Stolzchen, Recke – Recke selbst, er, der es von mir verlangte, daß ich mit Mama an Hof gehen soll, er konnte darüber klagen und sogar die Geschichte erfinden, daß ich guter Hoffnung gewesen bin und ein Kind vertanzt habe! Ach! Stolzchen! für so falsch und heimtückisch habe ich Recke nie gehalten! Und er konnte meine Tränen sehen, er konnte es hören, wie alle meine Verwandten mir übel begegneten, und dennoch nahm er seine Verleumdungen nicht zurücke! Stolzchen! – jetzt fürchte ich, daß mein Mann kein guter Mensch ist! Ein guter Mensch wird eine unschuldige Frau nie verleumden und dieser ein solches Bad bei ihren Verwandten zurichten! Aber ich will nicht Böses mit Bösem vergelten! – Ach! – Stolzchen! – so lange ich Recke für einen verdrießlichen Brummkater hielt und mich von ihm dennoch geliebt glaubte, so fühlte ich mich minder unglücklich, als seit ich weiß, daß ich durch ihn fälschlich verschwärzt wurde und daß Großmama und meine Verwandten mich durch seine Veranlassung so mißhandelten! – Darum sagte er auch nicht, als Großmama so böse war, daß er es selbst verlangt hat, daß ich mit Mama an Hof gehen möge! Und doch konnte der falsche Mensch, der mich verklagt hat, hernach fordern, daß ich bei Mama bleiben und mit ihr wieder an Hof gehen und große Gesellschaften besuchen soll! Ach! der böse Mensch hat vielleicht daran nur seine Freude, wenn er mich weinen sieht! Im Hause, da neckt er mich, und außer dem Hause, da will er Mama und Großmama böse auf mich machen.

Doch! ich will nicht Böses mit Bösem vergelten, ich will mich desto besser gegen ihn betragen, aber mein Herz hat er noch mehr von sich entfernt – dies werde ich dennoch nur dir, mein Stolzchen, und Gott klagen! Gott kann, Gott wird alles zum Besten lenken! er wird auch mein eignes Herz regieren, daß dies sich nicht zu sehr von meinem Mann entfernt. Vielleicht hat unser guter Gott mich zum Werkzeuge ausersehen, aus meinem Mann durch Sanftmut und Geduld einen bessern Menschen zu machen. Ich will den Mut nicht verlieren! – ich will aus dem Wege fortwandeln, den ich zu gehn angefangen habe. Gott wird mich unterstützen, und alle seligen Geister werden mich umschweben und sich dessen freuen, mich einst in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Da, wo Menschen mich nicht beobachten können, will ich nach dem Beifalle dessen streben, der in dem Innern meiner Seele liest. Und so, mein Stolzchen, will ich auch meine Gedanken rein erhalten und mit diesen weder durch Unmut über mein Schicksal, noch durch Unwillen gegen Recke sündigen. Wer weiß, ob auch mein Mann es so böse gemeint hat! Vielleicht haben Tante Kleist und ihre Töchter manches hinzugelogen. – Tante Kleist sucht mich wegen der Marlise gegen Recke aufzubringen und kann sich gar nicht auswundern, wie ich Recke zu entschuldigen suche und behaupte, daß Marlise ein gutes Mädchen ist. – Ach, wenn Recke nur nicht verleumdet hätte und wenn er nur sonst ein guter Mensch wäre, dann könnte er darin tun, wie er wollte, dazu würde ich wahrhaftig nichts sagen.

Den 10. Februar.

Großmama hat mir ein Stück schönen blauen Atlas geschenkt, dies soll nun geschwinde fertig gemacht werden, weil die liebe Frau mich in diesem Kleide geputzt sehn will. Donnerstag ist für uns groß Souper beim Minister, und da will Großmama, daß ich recht hübsch sein soll.

Recke ist sehr freundlich und liebreich gegen mich, wenn wir unter Menschen sind; bin ich aber allein mit ihm, dann muß ich manche Bitterkeit hören. Meine Lisette ist fast den ganzen Tag bei uns, auch ihre guten Brüder sind oft hier. Lisettens Bruder Fritz hat auf mich ein schönes, nur zu schönes Gedicht gemacht. Elisa von der Recke hatte die schwärmensch-seelenvollen Schriften dieser kurz vorher gelesen; sie entsprachen ganz ihrer eigenen Empfindsamkeit. Zum Verständnis des Seelenlebens Elisas und ihrer Zeitgenossen vergegenwärtige man sich, daß 1774 Werthers Leiden erschien. C. Sie sollen es zu lesen bekommen, sobald ich in Altautz bin; es für Sie abzuschreiben, habe ich keine Zeit; ich will mich bemühen, so gut zu werden, wie Fritz Medem in seinem Gedichte sagt, daß ich schon bin. – Tante Kleist sagt immer zu meinem Manne, daß meine Stiefmutter, die die Heirat gebäckert hat, ihn wohl recht auf Händen tragen müsse, weil er ein so guter Ehemann sei. Wenn die Tante Kleist dies mit gen Himmel gekehrten Augen sagt, dann lacht Recke so spöttisch und sagt, er ist ja kein guter Ehemann, kein guter Schwiegersohn, denn er geht nicht an Hof.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 11. Februar 1772.

Gestern ging mein Brief an Sie ab, und heute fange ich sogleich einen andern an! Alles geht hier immer noch recht gut, nur daß Recke freundlich tut, wenn es die Leute sehn, und dann wieder brummt, wenn wir allein sind! Gottlob, daß dies keines, als ich, merkt. Seit ich weiß, daß er mich bei Großmama verklagt hat, hält ihn mein Herz noch weniger lieb. Aber das soll mit Gottes Hilfe schon anders werden. Ich bin nur froh, daß keiner mir besser als mein Mann gefällt! Jetzt sind mir, gottlob, alle gleichgültig! – Keiner von allen hat Youngs und Cronegks Geist keiner hat Agatons Schwung der Seele, Wielands Roman, 1766 erschienen. C. Stolzchen!

Wie so manchen Gedanken muß ich ganz für mich behalten! Nicht daß ich ihn dir nicht sagen könnte – nur, es läßt sich nicht so schreiben!

Alles ist jetzt bei Großmama recht gut, aber ich darf hier nicht viel lesen. Großmama sagt: » Weiber werden durch Lesen zum Narren, die Bücher sind nur für Männer gemacht!« – recht als hätten wir keine Seele, als wären die Weiber nur ein Stück Fleisch! Um nicht Lärm zu haben, so lese ich hier nur so lange, als ich mich frisieren lasse. Die Geschichte von Marlise kann Großmama gar nicht vergessen, sie fängt immer von neuem an, und ich bleibe immer beim alten, daß die Geschichte erlogen ist, und bitte dann um Gottes willen, Recke durch keine Vorwürfe zu kränken.

Den 12. Februar.

Heute ist Ball am Hofe, ich wurde wieder gebeten, aber ich habe abgesagt und mich unpäßlich angegeben. Lisette ist doch recht drollig, sie hat mir gesagt, Landrat Taube habe sie gebeten, mich dahin zu bringen, daß ich meinen Mann zärtlicher küssen möge, vorzüglich wenn wir unter vier Augen sind. Recke soll zu ihm halb traurig und halb mißvergnügt gesagt haben: »Was hilft es, ich habe eine schöne Frau, aber sie ist wie ein Stück Eis, sie liebt mich nicht.« Da hat Taube gesagt, daß er mir Unrecht täte, ich entzöge mich ja aus Liebe zu ihm aller Gesellschaft und opferte ihm alle meine jugendlichen Neigungen. Keine Frau in meinem Alter würde sich, wie ich, betragen, und keine Frau wäre, wie ich, die Gefälligkeit selbst gegen ihren Mann. Da soll Recke gesagt haben, er würde ungleich glücklicher sein, wenn ich eigensinnig oder zanksüchtig wäre, wenn ich ihn nur liebte; ich liebte nur meine verdammte Pflicht, ich wollte drei Kronen im Himmel haben; an einer würde mir nicht genügen. Er habe es manchmal versucht, mich aufzubringen; das ginge ebensowenig, als mich zur Liebe gegen ihn zu reizen. Höchstens könnte er mich, wenn er mich neckt, Im Sinne von »boshaft quälen«. C. zu Tränen bringen, die ich zu verstecken suchte und dennoch sanft und freundlich bliebe. Und wenn er darauf dächte, mir einen Gefallen zu erzeigen, und nun glaubte, so recht herzlich von mir umarmt zu werden, dann küßte ich ihm so ehrfurchtsvoll die Hand, daß ihm ganz schlimm würde. – Der Landrat Taube hat mir sagen lassen, daß er es treu und redlich mit mir meint, wenn er mir rät, manchmal auf meinem Willen zu bestehn, nur müsse ich recht zärtlich gegen meinen Mann tun. Dies wäre schon so die Art, alle Männer wollten von ihren Weibern geliebt sein. – Die Männer sind doch sehr närrische Menschen! – Ich war böse auf Recke, daß er so unartiges Zeug von mir gesprochen hat, aber Lisette behauptete, dies sei ein Beweis, daß mein Mann mich sehr liebt.

Den Mittag speiste Taube bei Großmama, und wie er in die Stube trat, so wurde ich blutrot. An der Tafel saß er bei mir, und da sagte er, er könne es mir ansehn, daß Lisette seinen Auftrag ausgerichtet habe. Ich möchte doch ja seinem Rate folgen, dann erst würde ich meinen Mann glücklich machen und selbst recht glücklich sein und ihn ganz beherrschen können! – Ach! Ich will gar nicht herrschen! Ich trank immer mein Glas Wasser und wußte nicht, wo ich meine Augen lassen sollte, und wurde über und über rot! Großmama sah es und fragte Taube, was er mir gesagt hat; da wurde mir recht angst, aber Taube sagte lachend, daß er mir gesagt hat, daß, wenn ich ihn nicht bald zu Gevattern bäte, ich seine Gunst verlieren würde. Nun fing Recke recht herzlich an zu lachen, und dumme Gesundheiten wurden getrunken, und ich wurde noch röter. Nun wollte Taube, daß ich Recke anlächeln soll, aber ich konnte bei Gott meine Augen nicht ausschlagen. Da sagte Taube mir wieder auf französisch ins Ohr: wäre ich seine Frau geworden und hätte ich mich bei dem Scherz so ängstlich betragen, dann wäre er sehr betrübt worden. – Nach der Tafel küßte ich Recke auf den Mund, als wir in die Kammer gingen. Ich will doch wahrhaftig alles mögliche tun, wodurch ich meinem Mann gefällig werden kann. Aber gut ist es nicht von ihm, daß er so gegen Taube gesprochen hat. Doch gottlob, daß Tante Kleist nichts von diesem Gespräche weiß, die hätte wieder eine Jagd angestellt. Sie fügte schon so einen Tag zu meinem Mann: »Lottchen ist gar nicht wie aus unsrer Familie; sie karessiert den lieben Mann gar nicht. Ich bin ein altes Weib und karessiere meinen alten Kleist mehr, als unser junges hübsches Lottchen ihren vortrefflichen Mann karessiert.« –

Diesen Abend speist Hofrat Schwander hier, er war heute morgen bei Großmama zum Besuch, und da mußte ich so ganz im Negligé in fliegenden Haaren hinunterkommen. Rutenberg aus Ilsenburg, der von Lenorchen Kleist ihrem Zimmer hinunterkam, begegnete mir und führte mich zu Großmama hinein. Er hielt mich an der Hand – blieb stehn und sah mich vom Kopfe bis zu den Füßen an und sagte: »Gott selbst hat sich durch Sie in seiner Schöpfung übertroffen! – Recke muß Sie nicht aus seinem verwünschten Schlosse hinauslassen, auf daß andre ehrliche Männer durch Ihren Anblick nicht zum Wahnsinn getrieben werden. Und Sie – zeigen Sie sich doch ja keinem Manne anders, als im Putze, auf daß man den Trost hat zu glauben, der Putz habe Sie verschönert. Recke wird weniger beneidet werden, wenn man nicht aus einem so reizenden Negligé schließen kann, welchen überschwänglichen Schatz er besitzt.« – Ich antwortete ganz kalt: »Ich bin sehr glücklich, daß Recke mehr auf die Eigenschaften meines Herzens, als auf eine vergängliche Larve sieht.« Ich freute mich über mich, daß Rutenbergs Reden mein Herz auch um keinen Schlag stärker bewegten. Schwander hat mich seit vorigem Johannis nicht gesehen; er sagt, ich soll sehr gewachsen sein und viel heiterer aussehen; darüber freute er sich vorzüglich. Meine Großmutter führte mich und Schwandern nach der Kammer, und da erzählte sie ihm die dumme Geschichte von Marlisen. Ich leugnete sie wieder und bat Großmama, um Gottes willen dies dumme Geschwätz nicht zu glauben, noch weniger aber darüber zu sprechen, Schwander stimmte mir bei und sagte, Großmama möge mich nur ansehen; in meiner Figur läge Reckes Verteidigung. Da aber sagte Großmama, sie sei auch sehr schön gewesen, aber sie wäre nicht eher Frau im Hause geworden, als bis sie gründlich reine Wirtschaft gemacht hätte.

 

Schwander bat Großmama, über die Sache zu schweigen, und versprach, selbst nach Neuenburg zu kommen und dort, falls er eine verdächtige Person fände, rein Haus zu machen, weil Recke auf seine Vorstellungen achtet. Nun wurde Großmama ruhig und versprach uns, gegen keinen ein Wort über diese Geschichte zu sprechen.

Abends nach zehn.

Heute war mein Mann recht freundlich, und er blieb es auch, als wir allein waren und auf unser Zimmer hinaufgingen. Den ganzen Abend hat er sehr viel mit Schwandern gesprochen, und Schwander versicherte mir, daß mein Mann mich sehr lieben soll, nur soll er glauben, daß ich ihn nicht liebe und mich nur aus Pflicht, nicht aber aus Liebe zu ihm, ganz nach seinen Neigungen bequeme. – Ich soll meine Eltern, mein Geschwister und meine Freundinnen weit mehr als ihn lieben, so sehr ich dies auch zu verbergen suchte. Mein Gesicht soll ganz anders aussehen, wenn ich nach Altautz fahre, als wenn ich von dort zurückkomme! wenn ich in Neuenburg bin, so soll ich oft rote, verschwollene Augen haben und dann doch immer die freundliche Gefälligkeit selbst sein! in Neuenburg soll man mich fast gar nicht lachen hören, in Altautz und selbst bei meiner Großmutter wäre ich weit aufgeräumter. Nur wenn ich mit ihm allein wäre, dann hätte ich immer rote Augen, und so wäre er denn der glücklichste und unglücklichste Ehemann zugleich. Er hätte einen wahren Engel zum Weibe, er liebte den Engel, dieser Engel betrüge sich gegen ihn, als liebte er ihn, aber er wüßte es wohl, er würde nicht geliebt, und nur meiner Pflicht brächte ich alle meine Neigungen zum Opfer!

Stolzchen! – ich kann es Ihnen gar nicht sagen, wie mich das alles rührte. Ja! so wie Schwander es mir sagt – das klingt ganz anders, als was Taube mir sagen ließ. Ich will doch wahrhaftig, wenn ich nun nach Neuenburg komme, so heiter, so lustig sein, daß mein guter Mann nicht mehr glauben soll, daß ich nur meine Pflicht, nicht aber ihn selbst liebe. Mein Stolzchen, Recke ist doch wohl ein guter Mensch – er hat nur so seine eigne Art, sich auszudrücken. Vielleicht meint er es auch nicht so arg, wenn er mich bisweilen anfährt und, was mir Vergnügen macht, lächerlich zu machen sucht! – Ich hatte es schon auf meiner Zunge, Schwandern zu sagen, daß das, was mich vorzüglich drückt, der Gedanke ist, daß mein Mann mich vorigen Johannis fälschlich bei Großmama verklagt hat und daß der, der seine unschuldige Frau so mißhandeln lassen kann, weder seine Frau zu lieben, noch ein guter Mensch zu sein vermögend ist. Doch! ich wollte keine alte Geschichte aufwärmen, auch wollte ich in dem Freunde meines Mannes nicht den Argwohn wecken, daß er falsch ist. Ich weiß, wie mich dieser Gedanke quält! und durch mich soll Recke wahrhaftig keinen Freund verlieren.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 18. Febr. 1772.

Die schönen Tage der Freude, der Hoffnung, von Recke geliebt zu sein, die sind dahin! – Gott weiß es, mit welchem Vorsatz ich heimkehrte, recht vergnügt zu leben und meinen Mann zu überzeugen, daß ich ihn liebe! – Kaum waren wir aus dem Tor hinaus, so machte Recke die Miene, die mir immer Herzensangst auspreßt, doch ich faßte Mut, nahm seine Hand, drückte sie an mein Herz, sah ihn zärtlich an und legte meinen Kopf mit den Worten an seine Brust: »Sie, liebster Mann, habe ich ja noch, und so bin ich froh!« – »Lassen Sie mich, ich atme schwer!« – sein Gesicht sah finster aus, und nun konnte ich den ganzen Abend kein Wort sprechen. Liebes Stolzchen, es ist mir nicht möglich, gegen Recke zärtlich zu tun, wenn er mich so anfährt. –

Da wir nach Neuenburg kamen, ging es noch ärger her. Meine Reichartin und Marlise hatten sich in unsrer Abwesenheit verzankt, und die Marlise hatte über Julchen an Recke geklagt, und ehe ich noch in Neuenburg war, hatte Recke Marlisen aus dem Hofe gegeben und sie zur Mutter nach Neuhof geschickt. Nun ging ich zu Recke und bat ihn, Marlisen doch wieder auf den Hof zu nehmen, aber ich bekam zur Antwort: »Der Stein des Anstoßes ist nun fort, aber Sie täten wohl, wenn Sie auch Ihr Kammerkätzchen wegjagen würden! Schon das letztemal, als wir aus Altautz kamen, hatte Ihre Jungfer sich unterstanden, Marlisen ein paar Ohrfeigen anzubieten, und nun haben sie wieder Händel gehabt.« – »Liebster Mann, Sie verlangen immer, daß die Mädchen viel arbeiten und nicht draußen herumrennen sollen, daher hatte ich Marlisen unter die Aufsicht meiner Reichartin gesetzt und dieser gesagt, daß sie, wenn die Mädchens nicht parieren, jeder Ungehorsamen eine Ohrfeige geben soll, aber jetzt soll Marlise nicht mehr unter meiner Jungfer stehn, sie ist ein gutes Mädchen – ich will allein mit ihr zu tun haben, ich bin so zufrieden mit ihr!« – Hier machte mein Mann ein paar mächtig böse Augen und sagte mir, ich könnte meine Beredsamkeit zu andern Dingen sparen; hier würden meine glatten, honigsüßen Worte umsonst angebracht werden! – und so ging er ganz wild und böse aus der Stube hinaus, und ich sah ihn erst an der Tafel!

Des andern Morgens kam Marlisens Mutter wie eine Furie zu mir! sie schrie wie eine Furie, stampfte mit Händen und Füßen, sprach so geschwinde, stieß so viele Schimpfreden aus, daß ich, die wenig Lettisch kann, gar nicht verstand, was sie haben wollte. Ich streichelte das Weib und versicherte, so wenig Lettisch ich auch weiß, daß ich ihre Tochter gerne im Hofe behalten hätte, daß sie ein gutes Mädchen sei, aber die Alte wurde immer wütender, und da ich mich vor ihrem Geschrei nicht zu retten wußte, so lief ich davon und verschloß mich in mein Zimmer. Alle die Tage her ist Recke finster und mürrisch gewesen; oft sagte er in Gegenwart seines Domestiken, daß, der heiratet, der größte Tor wäre und daß es eine Hölle für einen Mann sei, mit Weibern zu tun zu haben! – Die besten Weiber wären eitle, törichte Närrinnen und falsch wie Galgenholz. Ich nahm mich zusammen und sagte, ich wollte mich bemühen, ihm doch am Ende bessre Gedanken von Weibern beizubringen, und so trat ich zu ihm und küßte ihn, aber er kehrte sich von mir weg und sagte: »Gehen Sie nur und lassen Sie mich!« – Stolzchen! dies war mir ein Stich ins Herz! – Mein Mann liebt mich nicht, er klagte nur, daß ich nicht ihn, nur meine Pflicht liebte, um doch über etwas klagen zu können und die Narren auf seiner Seite zu haben.

Ich werde wieder meinen alten Gang gehn, ihm mit der Achtung, die ich ihm schuldig bin, begegnen, ich werde Geduld mit seinen Launen haben, aber mich hüten, ihm durch Äußerungen der Zärtlichkeit lästig zu werden. – Du lieber Gott! wie kann ich diese denn auch für einen Mann fühlen, der mir so begegnet? Stolzchen! der Gedanke, daß selige Geister mich umschweben, daß diese in meinem Herzen leben, der gibt mir Mut, heiter zu bleiben, wenn ich mich von dem verkannt und verachtet sehe, dessen Leben ich so gern erheitern möchte. –

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 18. April 1772.

Diesmal, liebstes Stolzchen, war ich in Altautz sorgenvoll betrübt und dennoch herzinnig vergnügt. Die schwere, fast tödliche Krankheit meiner liebsten Mutter zerriß mein Herz. Aber die Äußerungen ihrer Liebe und das herzliche Betragen meines guten Vaters waren mir wohltätige Freude! Wie inständig bat mein liebreicher Vater mich, meiner Ruhe zu pflegen, meine Gesundheit zu schonen, als ich fünf Tage und fünf Nächte ununterbrochen an Mama ihrem Bette gewacht und sie verpflegt hatte! Und Mama nannte mich das beste Kind, das edelste Geschöpf! – Mein Stolzchen, Mamas Fantasien rührten mich noch mehr! – gebe der Himmel, daß nur nicht dumme Dienstfreundlichkeit meinem Manne Mamas Fantasien wieder erzählt! es würde ihm doch unangenehm sein, zu hören, daß Mama sich in der Hitze des Fiebers darüber Gewissensbisse machte, daß sie mich einem solchen Manne gegeben hat! Gott, wie charakterisierte sie ihn in ihren Fantasien! und wie flossen die Tränen meines guten Vaters, als sie ihn ermunterte, mit ihr seine arme, gequälte Tochter um Verzeihung zu bitten, daß sie sie einem bösen Kerkermeister übergeben und für die Neuenburgischen Güter verkauft haben. Ich kniete am Bette meiner Mutter und legte meinen Kopf in den Schoß meines Vaters, der auf Mamas Bette saß, und versicherte dem Teuren, daß ich es nicht bereue, meines Mannes Frau geworden zu sein, daß ich glücklich sei, sobald ich meine Eltern nur mit mir zufrieden sehe, und daß ich in meiner Ehe gewiß mit jedem Jahre noch glücklicher werden würde. Mein guter Vater nahm mich auf seinen Schoß, drückte mich so liebevoll an sein pochendes Herz, daß mir recht wohl und wehe dabei wurde. Mein Stolzchen, wären Sie doch lieber statt der schwatzhaften Annelise bei dieser Szene gegenwärtig gewesen!

Hier wurde ich von meinem Manne recht liebreich empfangen – er sagte mit inniger Sorgfalt für meine Gesundheit, daß ich sehr bleich aussehe, daß er – obzwar er sich meiner Zuhausekunft freue – dennoch gewünscht hätte, daß ich noch in Altautz geblieben wäre, bis Mama das Bett verlassen kann. Er bot mir sogleich einen Boten an, der uns morgen früh Nachricht von Mamas Befinden bringen soll. Um einige Tage hat er mir versprochen, mit mir nach Altautz zu fahren. Liebe Seele, ich fühle mich so glücklich, wenn mein Mann sich liebreich gegen mich beträgt. Ich habe meinem guten Vater die zärtliche Aufnahme meines Mannes umständlicher beschrieben; Sie, liebes Stolzchen, werden den Brief wahrscheinlich zu lesen bekommen. Mein Mann hat mir für neunzig Taler schöne Bücher geschenkt, auch hat er mir sogar einige Aufsätze aus dem englischen Spectator vorgelesen. Sie werden es sehn, liebes Stolzchen, mein Mann wird mich am Ende noch recht lieb halten. Wie glücklich würde ich sein, wenn er sich immer so gegen mich betrüge!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 2. Mai 1772.

Liebes Stolzchen! das liebreiche Betragen meines Mannes war bloß ein heiterer Sonnenstrahl in stürmischen Apriltagen! Kaum waren wir zum Tor hinaus, als Recke schon zu brummen anfing. Da hieß es: »Ihre Schwester ist ein Kind, und sie ist viel vernünftiger, als Sie; sie hat sich bei der Krankheit der Stiefmutter gar nicht so läppisch als Sie angestellt. Sie hat gut geschlafen, gut gegessen und ihre Augen durch keine unnützen Tränen verdorben! Die Alte wird gewiß sobald nicht sterben und noch manches Jahr andre Menschen quälen. Papa stirbt gewiß früher, als sie, und nimmt sie sich ihrer grauen Haare zum Trotze noch gar den vierten Mann.« – Ich schwieg und sah Recke mit verhaltener Wehmut, doch mit Zärtlichkeit an; er fuhr fort und sagte: »Ihre Schwester ist ein schnack'sches Mädchen; sie sagte zu mir: »Erlauben Sie es Ihrer Frau nicht, daß sie so bei Mama wacht, wenn sie krank ist; Lottchen verwöhnt Mama. Wenn Mama denkt, daß ich auch so die Nacht bei ihr wachen und meine Gesundheit für sie verderben soll, wie meine Schwester, so betrügt sie sich gar schön! – Gottlob, daß ich noch nicht so groß bin; sonst hätte Papa wohl gar verlangt, daß ich mit Lottchen um die Wette wachen soll.« – »Liebster Recke, man muß meiner Schwester ihre kindischen Reden zu gute halten.« – »Kindische Reden? Bei Gott! sie ist in ihrem zwölften Jahre vernünftiger, als Sie in Ihrem achtzehnten Jahre!« Ich schwieg, aber mein Herz wurde mir zusammengepreßt. Liebes Stolzchen, sagen Sie doch an Dortchen, daß sie sich hüten möge, so leichtsinnig in die Welt hinein zu schwatzen. Wenn Mama so etwas hört, dann wird sie auch böse werden.

Hier habe ich von Recke noch kein freundliches Gesicht bekommen! Mit meiner Wirtschaft ist er auch sehr unzufrieden, es heißt, in diesem Jahr ist viel mehr als im vorigen aufgegangen. Über Mama höre ich unaufhörlich Stichelreden, daß sie mich so schlecht erzogen hat. – Stolzchen, ich werde mich nicht mehr freuen, wenn Recke freundlich tut, ich werde mich dann nur auf kommendes Ungewitter vorbereiten. – Doch will ich alles in Geduld und Hoffnung tragen, und meine trüben Stunden will ich als Lehrer betrachten, die mein Herz zur echten Tugend bilden. –

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 18. Sept. 1772.

Gestern, liebes Stolzchen, werden meine geliebten Eltern meinen Brief erhalten haben, in welchem ich schrieb, daß ich nur in meinem Herzen das Geburtsfest meines guten Vaters feiern würde. Mein Mann hat schon seit drei Tagen Kopfschmerzen und heftige Übelkeiten, bei denen er viel leidet und die nach einem ängstlichen Würgen mit einem Erbrechen endigen. Heute zwar befindet er sich besser, aber er ist noch immer sehr matt. Keiner weiß ihm den Tee zuzubereiten, keiner vermag sein Lager so gut zurechte zu machen, und keiner kratzt ihm den Kopf mit so leichter Hand als ich. So wehe es mir tut, ihn leiden zu sehen, so glücklich fühlte ich mich dadurch, ihm alles so nach Sinne machen zu können! Heute morgen machte er mir das Anerbieten, heute unsern Vater zu seinem Geburtstage zu überraschen und morgen abend heimzukehren. Ich konnte ihm aber mit Wahrheit versichern, daß ich seinetwegen zu unruhig sein würde und daß ich das Geburtsfest meines Vaters am besten zu feiern glaubte, wenn ich durch meine Pflege seinen Zustand erleichterte. Er legte meine Hand auf seine bloße Brust und sagte, ich sollte fühlen, wie ihm sein Herz läge; ihm wäre sehr schlimm, aber wenn meine Hand an seinem Herzen läge, dann würde sein Herz minder gepreßt. Mein Kopf sank auf seine Brust, und ich küßte sein pochendes Herz unter den innigsten Wünschen für seine Genesung. Als ich meinen Kopf in die Höhe hob, sah er mich recht freundlich an, drückte meine rechte Hand fest an sein Herz und die Linke an seine Stirne, verlangte einen Kuß und sagte, daß ich ein sehr gutes Weib sei und daß er mich recht herzlich liebe. Auch wiederholte er, daß es ihm wehe täte, daß ich um die Freude käme, dem Geburtstage meines guten Vaters beiwohnen zu können; doch wolle er heute noch einen Boten nach Altautz schicken, auf daß ich morgen früh wisse, wie mein Geschwister dies Fest gefeiert habe. Ich nahm den Boten an, aber ich sagte, ich würde nicht eher schreiben, als bis er Mittag schliefe, weil ich mich jetzt lieber mit ihm beschäftigen wolle. Ich suchte ihn durch allerlei Gespräche zu erheitern, gab ihm aufmerksam die vorgeschriebenen Arzeneien ein, war in der Seele zufrieden, daß ich ihm alles so nach Sinne machte. Jetzt schläft er recht sanft Mittag, und ich schreibe hier an seinem Bette.

Stolzchen! wenn mein Mann mir in gesunden Tagen nur zur Hälfte so begegnete, ich würde mich sehr glücklich fühlen und ihn gewiß so lieben, wie ich jetzt meine Eltern und Euch, Ihr Freundinnen meiner Seele, liebe. – Vielleicht, vielleicht schenkt Gott mir diese Wohltat! – Ich will gewiß alles nur Ersinnliche tun, um nicht nur meinen Mann glücklich zu machen, sondern auch es selbst zu sein. Ach! wenn ich ihn nur froh und glücklich sehe und er mir keine hämischen Streiche spielt, dann fühle ich mich schon glücklich.

Gegen 4 Uhr nachmittags.

Mein Mann fühlt sich nach dem Schlafe recht erquickt. Er fühlt jetzt keinen Schwindel, keine Übelkeiten, wenn er umhergeht. Mein Herz fühlt sich so leicht. Er sagte sehr freundlich zu mir: »Ich verdenke es Mama gar nicht, daß sie Sie gerne um sich hat, wenn sie krank ist.«

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 25. Mai 1773.

Heute sind es zwei Jahre, daß ich Neuenburg zuerst betrat! – Gottlob, daß diese zwei Jahre schon überstanden sind, daß meine Seele reifer geworden ist und nicht mehr so sehr an Kleinigkeiten hängt. – –

 

Mein lieber Vater freute sich sehr über meines Mannes gute Wirtschaft! Die Felder stehen wie von Gott zu wünschen! Auch ich freue mich über diesen Segen Gottes, aber als Mein kann ich mir kein Korn von diesen Feldern denken. Mein guter Vater sprach immer von meinen Feldern, meinem Viehe, meiner Leinewand. MEIN! – ach! – was meinem Manne gehört, das ist nicht mein! Mein guter, lieber Vater bat mich so freundlich, dafür zu sorgen, daß er bald Großvater wird, auf daß er sich freuen könne, daß sein Stamm den Genuß dieser schönen Güter bekäme! Auch sagte mein Vater mir, Recke soll betrübt sein, daß er schon zwei Jahre verheiratet ist und noch keine Hoffnung, Vater zu werden, hat. Mein lieber Vater schilderte mir den Zustand so süße, den er gefühlt hat, als meine Mutter ihm die Hoffnung gab, Vaterfreuden zu genießen. Der edle, gute Mann sagte mir mit zurückgehaltenen Tränen, so sehr er meine Mutter immer geliebt habe, um so viel sei sie ihm lieber geworden, da sie mich unter ihrem Herzen getragen habe, und die größte Freude seines Lebens wäre die gewesen, da er mich – seine Erstgeborne – an der Brust seiner geliebten Gemahlin gesehen hätte! Nie wäre meine Mutter ihm schöner – nie lieber gewesen, als da er sie zum ersten Male nach ihrer schweren Entbindung im Wochenbette sein Kind anlächelnd gesehen hätte! Die Geburt aller seiner Kinder habe ihm Freude gemacht, aber die meinige vorzüglich! So würde er sich wieder freuen, wenn er mein erstes Kind in meinem Wochenbette sehen könnte. – Stolzchen, ich konnte mich nicht halten, ich stürzte zu den Füßen meines guten Vaters, verbarg mein Gesicht auf seinem Schoße, aber mein Schluchzen verriet meine Tränen; mein guter Vater hob mich auf, drückte mich an seine Brust, und auch seine schönen Augen waren rot! Ich konnte kein Wort sprechen! Aber die Rede meines guten Vaters hatte mein Herz zerrissen! Ich erschrak über mich, daß mir der Gedanke, Mutter zu werden, so fürchterlich war, als die Freude meiner guten Mutter darüber groß gewesen sein soll, daß sie mich unter ihrem Herzen trug! Mein Vater hatte auch das Wort »Pfand der Liebe« ausgesprochen. Pfand der Liebe! – der Liebe? Ach! Stolzchen, dieser Ausdruck durchdrang mein innerstes Gebein mit einem ängstlich kalten Schauer! – Guter Gott! ich ehre die Wege, die du mich führst, aber erhöre mein Flehen und lasse mich nicht eher Mutter werden, als bis ich das Glück genieße, meinen Mann lieben zu können.

Stolzchen, ich bleibe meinem Vorsätze treu, alle Kränkungen meines Mannes so viel als möglich zu vergessen, auch werde ich unermüdet seinen Wünschen zuvorzukommen suchen, aber wenn er mich umarmt, dann fühle ich in mir verborgne Todesqual, weil ich die Möglichkeit dessen, Mutter zu werden, jetzt nur mit Schauder denken kann. – Vielleicht – vielleicht wird meines Mannes Charakter milder, – vielleicht behandelt er mich einst mit mehrerer Achtung! Und dann, wenn in meiner Seele ein besseres Bild der seinigen ruht, dann, ja dann, dann will ich ihm und meinem Vater mit tausend Freuden unter den schwersten Mutterwehen Vaterfreuden bringen. –

Liebes Stolzchen, verbrennen Sie diesen Brief, mein Herz war mir so voll! Hätte wohl auch besser getan, alle diese Gedanken meiner Seele in mir zu verschließen! – doch! – auch Sie sind ja meine Seele und werden dies alles nur in Ihrem Herzen verschließen!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 14. Juli 1773.

Einige Tage der Freude waren mein! Lisette war hier, auch sah ich meinen Mann so liebreich, so gefällig, wie ich ihn seit mehr als einem halben Jahre nicht gesehen habe. Dies freut mich um so mehr, weil meine Lisette nun glauben wird, daß es immer so geht. Ich hatte einen Tag heftiges Nasenbluten, und mein Mann kam in einer halben Stunde viermal zu mir, und da ich immer stärker, immer stärker blutete, so wollte er nach Hofrat Lieb schicken; ich verbat es, doch schickte er in der Stille nach Hofrat Lieb, und dieser Freund war des andern Mittags da. Aber das Nasenbluten hatte schon aufgehört, nur sah ich noch blaß aus. An diesen Tag, mein Stolzchen, will ich denken, wenn mein Mann wieder unfreundlich wird. Ach! den Tag glaubte ich gewiß, daß er mich liebt! Er richtete selbst Limonade für mich zu, bat mich, ehe noch Lieb da war, Temperierpulver zu nehmen. Ich scherzte, war lustig, aber dann küßte er meine Hand und bat, daß ich nicht sprechen soll, weil das Blut in Wallung kömmt. Lisette sagte mir nachher, ich soll totenbleich, aber sehr interessant ausgesehen haben, weil meine Haut noch blendend weißer und meine Augen noch feuriger, als gewöhnlich, gewesen sind, obzwar Freude und Sanftmut über mein bleiches Gesicht verbreitet waren. Mein Haar war ganz zerstreut, und dies soll mir sehr wohl gelassen haben. Recke nahm alles Haar zusammen, bat Lisetten, mir einen Taler vor der Stirne und das Haar in die Höhe zu halten. Er selbst hielt mir einen Taler im Nacken, streichelte mit der andern Hand meinen Hals und Nacken und sagte, er habe es gar nicht gewußt, daß ich einen so schönen vollen Nacken hätte. Das viele Haar und die schwarze spitzene Halskrause verdeckte meinen schönen Hals und Nacken viel zu sehr. Für magre, gelbe Hälser wäre es gut, daß sie solche Halskrausen wie die Hamburger Prediger trügen, aber mein Gesicht und mein Hals würden durch einen solchen Kragen entstellt. Des andern Tages hatte ich nur ein schwarzsamtenes Bändchen um den Hals, und mein Haar ließ ich in drei Flechten hart zusammenflechten, bog sie einige Male zusammen und steckte sie so mit meinem großen schildpattenen Krummkamm zusammen. Aber die Menge meiner Haare füllten Hals und Nacken dennoch ziemlich aus. Als ich angekleidet war, sagte ich meinem Manne, die Halskrause hätte ich nun verbannt, aber meine Haare könne ich nicht bezwingen, doch wollte ich sie, wenn es ihm besser gefiele, größtenteils wegschneiden lassen. Er drückte mich an seine Brust und sagte sehr freundlich zu mir: »Nein, liebes Weibchen, spare mir deine Haare zur Perücke; trage sie so lange auf deinem Kopfe, bis ich Kahlkopf werde, dann versorge mich von deinem Reichtume! – Aber dein braunes Haar wird zu meinem braunroten Gesichte nicht wie zu deiner weißen Haut passen. Ich werde dann wie der alte Ganskau mit der dunklen Perücke aussehen, und dann wird mein Weibchen mich gar nicht mögen.« Ich legte meinen Kopf an seine Brust, drückte seine Hand an mein Herz und sagte: »Mein Teurer! ich sehe nur auf die Seele, nicht auf den Körper derer, die mir wert sind; den werde ich in jeder Gestalt lieben, dessen Seele mir ihre Hülle weit macht.«

Recke lachte nach seiner Art und sagte: »Sehn Sie, Fräulein Lisette! mein hübsches Weibchen möchte mich so gern zum Sylphen Luftgeister, die zum Dienste der Menschen bereit sind. C. machen, aber ich Erdenkloß werde nimmermehr Geist allein.« – Nun fügte Recke noch einige Scherze nach seiner Art hinzu, Lisette scherzte mit; ich machte einen Vorschlag zum Spazierengehn, dies aber erlaubte Recke nicht, weil ihm für mein Nasenbluten bange war. Doch sagte er, er wolle aus Wielands Don Silvio vorlesen, wenn wir ihn lesen hören wollten. Er las uns bis zu Tische vor, machte oft recht schnurrige Anmerkungen, so daß wir recht herzlich lachten; wenn ich aber zu stark lachte, dann bat er mich mit vieler Sorgfalt, stille zu sein, auf daß mein Blut nicht wieder in Wallung käme. Mein Herz war so dankbar gegen ihn, daß er es in meinen Augen gelesen haben muß, wie wohltätig sein Betragen auf meine Seele wirkte. Er fragte mich mit einer sehr liebreichen Stimme, indem er die Hand nach mir ausstreckte: »Was ist dir, mein Weibchen, dein bleiches Gesicht wird mit einem Male blutrot? ist dir nicht wohl?« Ich stand von meinem Stuhle auf, schlang meine Arme um ihn, drückte ihn an mein Herz und sagte ihm ins Ohr: »Mir ist nur zu wohl, ich fühle mich unaussprechlich glücklich, denn ich sehe, daß du mich liebst.« Er küßte mich herzlich und sagte: »Liebes, gutes Weibchen, komme, sitze auf meinem Schoße; du wirst hören, ich werde dann noch besser lesen.« So las er den Don Silvio weiter fort, aber es schien mir, daß auch er bewegt war. Mein Stolzchen, vielleicht erhört Gott mein Gebet! vielleicht werde ich noch recht glücklich sein! – Doch auch dafür danke ich Gott, daß mein Mann durch sein Betragen bisweilen die Hoffnung in mir rege macht, daß unsere Ehe mit der Zeit recht glücklich sein wird. – – –

 

Eben verließ mein Mann mich – er brachte mir drei Schnuren echte Perlen und sagte, er habe für ein Halsband gesorgt, weil ich den häßlichen Priesterkragen abgeschafft habe, aber auf meinem Halse würden die Perlen, so schön, wie sie sind, sehr gelb aussehn. Ich mußte die Perlen sogleich umbinden, auch rief Recke Julchen zu uns und fragte sehr freundlich, ob mir die Perlen nicht sehr hübsch lassen. – Stolzchen, welch eine glückliche Veränderung ist im Betragen meines Mannes vorgefallen! Gott! wie glücklich werde ich sein, wenn er bleibt, wie er seit einigen Tagen ist. Lassen Sie, liebe Seele, unser Fritzchen und Pastor Martini diesen Brief lesen. – Meinen Eltern werde ich auch schreiben, aber so, daß diese nicht Ursache haben zu glauben, daß es gewöhnlich anders ist.

 

An Mademoisell Stoltz.

Neuenburg, 20. Sept. 1773.

 

Mein Stolzchen! meine traurigen Ahnungen waren nicht umsonst! Ich habe keinen fröhlichen Augenblick. Großmama, Onkel, Tante und sogar Madame Cheky mißhandeln mich! In jeder Stunde muß ich es hören, daß Mama eine Närrin aus mir gemacht hat, die eines so vortrefflichen Mannes gar nicht wert sei. Reckes Freude, sein Triumph, die zerschneiden mein Herz; mehr aber werde ich durch seine heuchlerische Zärtlichkeit niedergedrückt, die er mir in Gegenwart meiner Verwandten erzeigt! ja er spielt sogar den sterblich Verliebten. Gleich den Morgen, nach Großmama ihrer Ankunft ging der Lärm los. Großmama ließ sich in allen Zimmern umherführen, und als sie in mein Schreibzimmer kam, da ging der Lärm an. Sie sah meinen Bücherschrank und fragte Recke, wie viel Bücher er in diesem Schrank hätte. Recke wandte sich zu mir und sagte: »Nicht wahr, liebes Weibchen, deine Bibliothek besteht doch wohl schon aus 400 Bänden?« Hier fuhr Großmama gewaltig auf. »Wie, sagte sie, das sind deine Bücher? Und du schämst dich deiner Albernheit nicht? Hast du die Bücher nur zur Parade, dann bist du eine Närrin, und liest du sie gar, so bist du ganz verrückt! Wo kann ein Weiberkopf so viele Bücher fassen? Lieber Recke, ich bedauere Sie recht sehr, daß Sie solch eine alberne Närrin zur Frau haben. Sie müssen sie kurz halten und alle die verfluchten Bücher ins Feuer werfen. Die alberne Stiefmutter hat das sonst gute Kind ganz verrückt gemacht. Ich werde es nimmermehr zugeben, daß meine Großtochter sich durch Gelehrsamkeit zum Spektakel macht und die Plage eines so guten Mannes wird. Sage mir, bist du albern genug, zu glauben, daß du die Bücher, die du liest, verstehst?« – »Meine gnädige Großmama, hier ist kein Buch, das nicht ein jeder, der sich im Nachdenken übt, verstehen sollte!« Nach dieser Antwort fuhr Großmama so auf, daß ich dachte, sie würde mich schlagen. – Recke konnte seine Schadenfreude nicht verbergen, der Onkel und die Tante lachten hoch auf, die Tante zeigte Großmama Mendelsohns Phädon und sagte, der Onkel aus Nerft zerbräche sich über das dumme Buch den Kopf und verstünde es nicht – ein dummer Jude habe sich es einfallen lassen, beweisen zu wollen, daß die Seele unsterblich sei. Man müßte aufhören ein Christ zu sein, wenn man zweifeln könnte, daß die Seele unsterblich sei. Nun ging der Lärm erst recht an, Großmama war fast bis zu Tränen gerührt, daß meine Stiefmutter durch ihre närrische Erziehung mich zur Hölle führen könnte; auch darüber macht Großmama sich Sorge, daß der Onkel aus Nerft ein so verwünschtes Buch liest. Die Tante sagte: »Es war bei dem bloß Neugierde, er wollte doch sehen, was ein Lumpenjude schreiben kann, aber mein Schwager wird nie, wie unsere kluge Recken, sagen, daß er das Buch versteht.« – Indessen hatte der Onkel Eulers Briefe an eine teutsche Prinzessin aufgefunden, und nun ging wieder ein neuer Lärm an. Er sagte, da er in Straßburg studiert habe, da hätte er ein Kollegium über die Physik gehört, und alle Gelehrten hätten über den Streit der Monaden Gemeint ist die Monadenlehre Leibniz'. Nach ihr besteht die Welt aus seelenartigen Einzelwesen (Monaden), deren jedes ein Spiegel der Welt ist. C. verdrehte Köpfe bekommen, er selbst hätte von dem albernen Plunder nichts begriffen und, um nicht von Sinnen zu kommen, das dwatsche Zeug im Stich gelassen. – Stolzchen! nun wurde Großmama ihr Zorn, ihr Mißmut ohne Grenzen! Sie weinte sogar darüber, daß sie solche Schande an mir erleben müsse, und verwünschte die alte Wetterhexe, meine Stiefmutter, daß sie mich verrückt gemacht habe. – Ich faßte den Vorsatz, zu allem zu schweigen und mich, wie in Brucken, wieder durch Worte mißhandeln zu lassen. – Gestern mußte die Tante aus Creutzburg die wirtschaftlichen Einrichtungen durchsehen. Da fand die Tante alles schön und vortrefflich angeordnet, brachte aber zugleich die Nachricht, daß nur Romanofsky Kammerdiener bei Recke. C. und seine Frau sich der Haushaltung annehmen, daß meine Bücher mir wahrscheinlich keine Zeit ließen, mich mit der Wirtschaft zu beschäftigen. Nun ging es von neuem über mich her. Großmama fragte mich, warum ich mich der Wirtschaft gar nicht annehme? Ich sagte: »Mein Mann hat mir die Wirtschaft abgenommen und sie Romanofsky und dessen Frau übergeben, weil er diesen mehr als mir zutraut.« Recke sagte mit vieler Freundlichkeit, er liebe mich zu sehr, als daß er mir nicht jedes Unangenehme aus dem Wege räumen sollte; er wisse, daß die Wirtschaft mir unangenehm sei und daß ich mich lieber mit meinen Büchern beschäftige. Hier fuhr Großmama auf und sagte. Recke selbst verdürbe mich und er solle mit meinen Torheiten keine solche Nachsicht haben. Recke sagte, er würde sich gerne alles gefallen lassen, wenn er mich nur froh in Neuenburg sehen könne und meine Liebe gewönne. Ich wäre gewiß eine ganz vortreffliche Frau und er liebe mich mehr, als sein Leben! Gott, Gott! wie zerreißt Recke mein Herz durch sein heuchlerisches Betragen!

– Meine gute, mich liebende, irre geführte Großmutter mißhandelte mich durch Worte auf das entsetzlichste. Ich kenne Großmama; wenn sie im Zorne ist, muß man schweigen. Ich schwieg, aber unmöglich war es mir, Reckes Karessen zu ertragen. Mein Herz war durch sein scheinheiliges Betragen zu gekränkt, und Liebe und Zärtlichkeit kann ich nicht heucheln. Nun bekam ich wieder Schelte, daß ich gegen die Zärtlichkeiten meines Mannes kalt wie Eis sei, und wenn ich diese immer so erwiderte, dann könne ich nie Mutter werden. Nun wurde ich wieder darüber gescholten. – –

Hier seufzte Recke bitterlich und tat recht betrübt, daß er noch keine Hoffnung habe, Vater zu werden. Der Onkel aus Creutzburg hielt einige schmutzige Reden, ich konnte mich der Tränen nicht enthalten. Über meine Freundschaft mit Lisetten, über mein oftes Fahren nach Altautz wurde ich auch gescholten. Kurz, Stolzchen! ich habe jetzt wahre Höllentage, und was das ärgste ist, so hat mein Mann mein Herz, das ihn durchaus lieben möchte, jetzt noch mehr von sich entfernt. Meine Pflichten werde ich dennoch mit desto größerer Strenge erfüllen, aber Gott und ich wissen, wie mein Herz durch den Gedanken gepeinigt ist, mit einem solchen Manne verbunden zu sein. Wenn das noch lange so fortdauert, dann gehe ich ganz zugrunde! Auch ist mir ein solches Leben Last. – Lebe wohl! Gottlob, daß ich dich zur Freundin habe!

 

An die Eltern.

Neuenburg, 27. Sept. 1773.

Beste, innig geliebte Eltern! Ich weiß nicht, wie ich diesen Brief anfangen soll! Jeder Gedanke, den ich in Worte einkleiden will, wird durch meine Tränen erstickt! und das schwere Gebot meiner Großmutter, daß ich Sie, liebe, liebste Eltern nur alle vier Monate besuchen soll, drückt mich ganz darnieder.

Meine Großmutter glaubt, daß ich meinem Manne diesen Beweis der Liebe schuldig bin, und da hat sie mir bei Segen und Fluch angesagt, welche Opfer ich meinem Manne bringen soll, um meine Pflicht gegen ihn zu erfüllen und ihm Beweise meiner Liebe zu geben. Großmama behauptet, die often Besuche, die ich Ihnen, liebste Eltern, mache, können meinen Mann auf den Gedanken bringen, daß Neuenburg und sein Umgang mir zuwider sind. Meine Freundschaft und meine Korrespondenz mit meiner lieben, liebsten Lisette soll ich auch aufgeben, weil eine verheiratete Frau nur in ihrem Manne ihr ganzes Glück finden müsse. Meinen Hang zu lesen soll ich bloß in Liebe zur Wirtschaft verwandeln. Ich habe meiner Großmutter versprochen, ihren Segen dadurch zu verdienen, daß ich ihren Befehlen so viel möglich nachzustreben suchen werde. Ihr härtestes Gebot, Sie, beste Eltern, nur alle vier Monate zu besuchen, werde ich mit blutendem Herzen erfüllen. Den Briefwechsel mit meiner Jugendfreundin gebe ich auf, und nach Neuenburg soll sie nicht kommen. Aber Herr meines Herzens bin ich nicht, und so werde ich meine liebe, gute Lisette mit zärtlichster Freundschaft, so lange ich mein Bewußtsein habe, lieben. Mit der Wirtschaft will ich mich, wenn mein Mann mir diese überläßt, mit bestem Wissen und Gewissen beschäftigen. Und lesen will ich nie, wenn mein Mann nur eine müßige Stunde hat, weil ich es so für meine Pflicht halte, ihm, wenn er müßig ist und es erlaubt, durch meinen Umgang die Zeit zu verkürzen. Aber sollte ich gar nicht lesen, dann könnte ich in meiner Lage in diesem wüsten Schlosse von Sinnen kommen. Ich würde also nur gerade soviel lesen, um durch Ausbildung meiner Seele das Leben, es sei auch, wie es sei, ruhig und mit Würde tragen zu lernen. Diese Antwort hatte ich den Mut meiner Großmutter zu geben. Mein Versprechen werde ich – so schwer es meinem Herzen wird – erfüllen. Vielleicht werden all die Opfer, die ich meinem Manne bringe, mir seine Liebe erwerben und mich so glücklich machen!

Verzeihen Sie, liebste Eltern, daß dieser Brief durch meine Tränen so verwischt ist! – Es ist der vierte Brief, den ich an Sie angefangen habe! – noch aber bin ich nicht Herr meines Schmerzes, meiner Tränen. Der Gedanke, daß ich recht tue, wird mir schon mein Schicksal ertragen lehren. – Entziehen Sie, liebste Eltern, meinem Manne Ihre Liebe nicht und machen Sie ihm aus Liebe zu mir keinen Vorwurf über das Gebot meiner Großmutter, welches ohne seine Veranlassung nicht gegeben sein kann. Vorwürfe würden sein Herz nur von meinen geliebten Eltern entfernen und mich also um so unglücklicher machen, auch würden alle Opfer, die ich bringe, auf diesen Fall fruchtlos sein. Keiner liebt Sie mehr als

dero gehorsames Kind
Lotte.

 

An Mademoiselle Stoltz

Neuenburg, 27. Sept. 1773.

Der Brief an meine Eltern wird Ihnen, liebste Stolzen, sagen, durch welche Gebote meiner Großmutter mein Herz zerrissen ist. Ach, Stolzchen! ohnsäglich habe ich alle die Tage her gelitten, und was meine Leiden vermehrte, war, daß die Heucheleien meines Mannes mir diese Begegnung meiner Großmutter zuzogen! – über Mama schimpfte meine ganze Familie, daß sie mich verrückt gemacht hat.

Auch darüber, daß ich noch keine Kinder habe, wurde ich bitter gescholten; es hieß, ich sei schon im dritten Jahre verheiratet und gäbe meinem Manne keine Hoffnungen zu Vaterfreuden. Man wundre sich, daß er meiner nicht ganz überdrüssig sei. Regierungsrat Plettenberg wollte sich von seiner Frau scheiden lassen, weil sie ihm nur zwei Töchter und keinen Sohn gebracht habe, und Recke schwiege sogar dazu still, daß ich ihn kinderlos lasse. Der Onkel setzte hämisch hinzu, ich würde gewiß schon zwei Kinder haben, wenn ich meinen Mann nur halb so, als meine Bücher, meine Freundinnen und meine superkluge Stiefmutter lieben würde. Ich schwieg zu allen diesen Reden und bat Gott, mich vor dem Unglück zu bewahren, Kinder unter meinem Herzen zu tragen, wo ich immer fürchten müßte, sie könnten dem Vater ähnlich werden.

Den andern Morgen nach dem mir traurigen Tage, der mich um die Hoffnung, Recke hochschätzen zu können, gebracht hat, sah meine Gestalt durch den Kummer meiner Seele so verändert aus, daß Großmama, da ich ihr guten Morgen gab, über meine Todesblässe zusammenfuhr und mich sehr besorgt fragte, ob ich krank sei. Ich stürzte mich zu ihren Füßen hin, umfaßte ihre Knie: »Ich bin gesund, aber dennoch mehr als krank, weil mein Herz durch den Schmerz zerrissen ist, daß ich Sie mit mir unzufrieden und auf mich ungnädig sehe.« Sie hob mich auf und drückte mich an ihre Brust, sagte, ich sei ihr sehr geliebtes und auch ein ebenso gutes Kind, nur hätten die gelehrten Narrheiten meiner Stiefmutter mich verdorben. Ich versprach, ihrem Rate so viel möglich nachzukommen, nur könne ich nicht versprechen, daß ich nicht lesen würde, weil dies meine einzige Zerstreuung in diesen wüsten Mauern sei. Großmama segnete mich bei ihrer Abreise recht herzlich, bat mich, nicht mehr betrübt zu sein und für meine Gesundheit zu sorgen. Mir aber scheint es, daß diese ziemlich erschüttert ist – unaufhörliche Schwindel, Herzklopfen, und dann wird mir bisweilen so schlimm, daß ich hinzustürzen gedenke. Vielleicht endigt der gute Gott meine Qual durch einen frühen Tod! Ach Stolzchen! – ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie mir an Leib und Seele ist! Wenn es doch möglich wäre, daß Fritzchen mich besuchte. –

 

An die Stiefmutter.

Neuenburg, 30. Sept. 1773.

Liebste Mutter, wenn Sanftmut, wenn stille Duldung seiner Launen, wenn mein unaufhörliches Bestreben, ihm gefällig zu werden, mir sein Herz nicht erwirbt und seinen Charakter nicht verbessert, dann liebe Teure, werde ich nur um so unglücklicher, wenn er aus Entsehn Rücksicht auf. C. für meine Eltern ein andres Betragen gegen mich heuchelt. Teuerste, verehrungswürdigste Mutter, verzeihn Sie mir, daß ich Ihnen offenherzig gestehe: ich wünsche mir nicht bloß einen für mich gefälligen Mann, ich wünsche mir vielmehr einen Gefährten des Lebens, den ich ehren kann. Vielleicht werde ichs durch mein Betragen dahin bringen, daß Reckes Charakter besser wird; und ich wiederhole es, dann nur werde ich mich glücklich fühlen: findet die Vorsehung es aber für gut, diesen heißesten Wunsch meiner Seele unerfüllt zu lassen, dann werde ich durch Erfüllung meiner Pflichten und durch die Freude, mich hochschätzen zu können, glücklich sein! O! lassen Sie mich, Teure, lassen Sie mich den dornenvollen, steilen Pfad, den ich zu wandeln angefangen habe, getrost fortgehn! Ich werde nicht ermüden: auch blühn auf diesem Wege Freuden für mich! Vervollkommnung meiner selbst, beste Mutter! ist dies nicht auch Freude? und welche Freude wird mein sein, wenn mein Mann am Ende nicht durch Drohungen meiner Eltern – nein! durch mein Betragen und durch sein eignes Herz dahin gebracht wird, unsern Wünschen gemäß gegen mich zu handeln. Vielleicht hat ihm auch nur mein Onkel aus Creutzburg alle diese wunderlichen Grillen eingeblasen! genug, es sei, wie es sei, ich werde mich ganz nach seinen Launen bequemen und gewiß nicht in der Kunst der Selbstverleugnung ermüden.

Und nun, beste, verehrungswürdigste Mutter! verzeihen Sie, daß ich Ihren gütigen Vorschlag, unter Ihrer Adresse mit meiner lieben, liebsten Lisette zu korrespondieren, nicht annehme. Beste Mutter, was ich verspreche, muß ich unbedingt halten oder sonst habe ich keinen Frieden in mir. Ich weiß nicht, wie ich meinen Mann ansehen sollte, wenn ich ihm etwas verborgen hätte?

Freilich ist der Briefwechsel mit meiner Jugendfreundin ein so unschuldiges Vergnügen, daß ich mir diese Freude nicht versagen dürfte. Aber wenn mein Mann nur meine Anhänglichkeit an ihn durch dies Verlangen auf die Probe stellen will, dann ist's doch meine Pflicht, selbst diesen unbilligen Wunsch zu erfüllen, vorzüglich da ich es meiner Großmutter versprochen habe, meinem Manne dies Opfer zu bringen?

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 30. Sept. 1773.

Liebes, bestes Stolzchen! ich bitte Sie, so sehr ich bitten kann, tragen Sie das Ihrige dazu bei, daß Mama meine Bitten erfüllt und über meinen Brief nicht böse wird. Ich beteure es Ihnen vor Gott, das einzige Mittel, durch welches ich mich minder unglücklich fühle, ist dies, welches ich erwählt habe, – das ist: in Frieden mit mir zu leben; und ich finde dann nur Ruhe in meinem Herzen, wenn ich meine Pflichten aufs strengste erfülle. – Was habe ich davon, wenn mein Mann aus Furcht vor meinen Eltern sich gegen sie und mich verstellt und mich nachher bei Großmama anschwärzt? Das einzige, was meine Leiden mindert, ist dies: daß ich Recke allen Schein zu klagen raube. – Meine Schwindel lassen nicht nach, mit Mühe schleppe ich meine Glieder umher, doch – Geduld! alles wird besser werden. Machen Sie nur, daß Mama meinen Bitten Gehör gibt! – Verzeihn Sie, ich kann nicht weiter schreiben, mir ist nicht wohl! – nächstens schreibe ich mehr. Gottlob, daß mein Mann nicht verlangt hat, daß auch unser Briefwechsel aufgehoben wird. Sagen Sie meiner Lisette, daß ich sie ewig lieben werde – doch, dies weiß sie ja selbst! – Gottlob, daß das längste Leben gegen ewig – so kurz ist. Könnte Fritzchen mich doch besuchen! – Unaussprechlich liebt Sie Ihre bis in den Tod getreue Freundin

Lotte.

 

An Mademoiselle Stolz.

Neuenburg, 20. Okt. 1773.

Mamas Hoffnung ist, gottlob, unbegründet! Ich bin – dem Himmel sei es gedankt – nicht guter Hoffnung! Hofrat Lieb ist hier gewesen, er hat mich völlig beruhigt; er sagt, meine Nerven sind von mannigfaltigem Kummer angegriffen, er wolle mir einen förmlichen Gebrauch machen lassen, aber bis zum Winter könnte ich noch manche harten körperlichen Beschwerden haben. Die schmerzhafteste Krankheit ist mir Wohltat gegen den Gedanken, durch den Mutter zu werden, dessen Charakter ich nicht schätzen kann, und der seine Freude daran findet, mich zu quälen.

Seit der Abreise meiner Großmutter ist Recke noch mürrischer als gewöhnlich! Seine Tafelgespräche handeln von der Torheit der Männer, die heiraten und sich mit so abgeschmackten Geschöpfen, als die Weiber sind, belasten. Ich schweige hierüber, und sogar Wichmann schweigt, und da muß Recke denn freilich aufhören, weil er sonst bloß mit sich selbst sprechen und nur Romanofskys Beifall haben würde, der hinter seinem Stuhle steht und mich angrinst.

Ich schreibe Ihnen, mein liebes Stolzchen, aus meinem Bette, weil ich nur dann, wenn ich liege, Linderung meiner heftigen Kreuzschmerzen und meiner bösen Schwindel fühle. – Reckes Heuchelei verwundete mich tief in der Seele. Heute bei meinem Erwachen trat er an mein Bett und machte mir ein Geschenk mit Büchern. Ich habe die Rechnung gesehen, die Bücher kosten über 50 Taler. Er behandelt mich recht, wie ein Kind behandelt wird. Es kostet mir Mühe, zu diesem Trojanischen Geschenke zu schweigen und ihn nicht an den Auftritt zu erinnern, da Großmama und die Creutzburgischen mich wegen meines Hanges zum Lesen so mißhandelten. Doch ich blieb meinem Vorsatze treu, Recke durch keine Anschuldigung über sein zweideutiges Betragen in Verlegenheit zu setzen. Gleich, nachdem er mir die Bücher geschenkt hatte, sagte er mit einer freundlichen Miene, er habe die Equipage bestellt und ich könnte morgen nach Altauz fahren, acht Tage dort bleiben, auf daß ich noch vor Eintritt des impassablen Weges meine Eltern und Geschwister besuchen könne. Dies hämische Betragen meines Mannes zerriß mein Herz, aber ich faßte mich, ließ ihn keinen Unwillen merken und fügte, freilich nicht ohne Rührung: »Mir ist heute wirklich so schlimm, daß ich nicht hoffen kann, morgen mein Bett zu verlassen, aber wenn ich auch gesund wäre, würde ich meine geliebten Eltern doch nicht besuchen. Das Gebot meiner Großmama kann dir, mein Teuerster, nicht fremd sein. Mein Wort und die Pflicht, dir jedes Opfer zu bringen, das in meiner Gewalt steht, sind mir gleich heilig.« – »Ich habe es dir schon gestern gesagt, Großmama ihr Verlangen ist eine Posse, die mich ärgert; fahre also zu deinen Eltern, schreibe wieder an deine Lisette oder wenn du zu krank bist, um nach Altauz zu fahren, so will ich heute noch nach Fräulein Lisette schicken.« – »Erst zum neuen Jahre oder vielleicht noch später besuche ich meine Eltern, und meine Lisette kömmt gewiß auf keinen Fall nach Neuenburg, ebenso wenig schreibe ich an sie.« – Mit vielem Unwillen sagte Recke zu mir: »Das ist doch ein unausstehlicher Eigensinn, durch den du mich nun vor aller Welt lächerlich machen willst.« – Ich küßte seine Hand und sagte nicht ohne Rührung: »Bei Gott, der heißeste Wunsch meiner Seele ist der, dich froh, glücklich, mit mir zufrieden und vor aller Welt geehrt zu sehen! – Schreibe an Großmama, klage über meinen Eigensinn, der deinem Willen widerstrebt; sage, daß ich deine Vorschläge, nach Altautz zu fahren mit meiner jugendlichen Freundin zu korrespondieren, ausgeschlagen habe, und bitte Großmama, daß sie mich zwingt, diesem deinem ausdrücklichen Willen zu folgen, dann sollst du. Teuerster, nicht über meinen Eigensinn zu klagen haben.« – Recke blieb still, sein Gesicht verfinsterte sich – nun bemühte ich mich, von anderen Dingen zu sprechen, und bekam nur Ja und Nein zur Antwort.

Den 29. Oktober.

Alle die Tage her war ich recht krank, heute ist mir etwas besser. Recke habe ich wenig gesehen und fast gar nicht gesprochen. Er ist sehr verdrießlich! – Gott! was soll ich von seinem sonderbaren Charakter denken! Er bringt Großmama dazu, daß sie mich darüber mißhandelt, daß ich lese, meine Eltern zu oft besuche, mit Lisetten Umgang habe, und bald darauf schenkt er mir Bücher, verlangt, daß ich nach Altautz fahre, und will sogar nach Lisetten schicken! – Nein! nein! jetzt bin ich durch solche hämische Fallen, die mir gelegt werden, nicht mehr zu fangen! Ich werde ihm die Freude verderben, mich bei meiner Großmutter anzuschwärzen.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 16. Dez. 1773.

Mein Stolzchen, machen Sie sich keine Sorge über meine verfallene Gestalt! ich sehe gewiß nicht so übel aus, als Matkewitz es beschrieben hat. Es wird schon wieder gut werden! Ich kann Ihnen von meinem Befinden nichts weiter sagen, als daß unser redlicher Lieb mir schreibt, erst nach dem Frühlinge kann es besser werden, weil meine Nerven sehr angegriffen sein sollen. Ich dring aufschwellen. C. sehr auf, habe schweren Atem, durchaus keinen Appetit, und mir ist oft so schlimm, daß ich hinzustürzen denke und einer Art von Ohnmacht nahe bin.

Unser braver Hofrat Lieb ist seit einer Viertelstunde hier, weil sein Herz ihn zu mir geführt hat. Er sagte mir, die wiederholten Nachrichten meines üblen Befindens haben ihn zu mir gebracht, er sei in der Entfernung zu unruhig gewesen. Er will morgen und übermorgen hier bleiben und mir dann einen neuen Gebrauch vorschreiben. Verzeihn Sie mir, liebste Stoltz, wenn ich es Ihnen gestehe, daß mir das Leben so gleichgültig ist, daß ich dem Dahinwelken meiner Gesundheit mit einer stillen Freude zusehe. Alles hat – gottlob – sein Ziel, und jenseit des Grabes werden wenigstens gewisse drückende Bande aufgelöst sein! Doch um dem Tode heiter entgegen lächeln zu können, muß man schon in diesem Leben jedes Schicksal mit heiterer Ruhe zu ertragen wissen.

Den 17. Dezember.

Ich hatte eine schlechte Nacht, und heute soll ich zum erstenmal zur Ader lassen. Unser Papa Lieb scheint sehr besorgt! – ich weiß wirklich nicht, warum dieser väterliche Freund so unruhig ist – ich bin es nicht! je mehr mein Körper leidet, desto ruhiger ist meine Seele! – Papa Lieb ruft mich ab, mir soll die Ader am Arme geöffnet werden. Ein Aderlaß ist bei mir eine neue Erfahrung für mich!

Den 18. Dezember:

Mein Stolzchen, wie soll ich es Ihnen sagen? Gott! Gott! Das Maß meines Unglücks ist voll! Noch! noch kann ich mich an den Gedanken nicht gewöhnen, daß ich von meinem Verfolger ein Kind unter meinem Herzen trage! Großer Gott, ist es möglich, daß ich durch ihn Mutter bin? Ach, wie soll ich diesen Gedanken ertragen lernen? Wie? wie soll ich meinen tiefgefühlten Schmerz hierüber aller Welt und vorzüglich dem Vater des Kindes verbergen, welches ich jetzt unter meinem Herzen nähre! Nein, nein! es ist nicht möglich! es kann nicht sein! – –

 

Wenn Gott sich doch erbarmen und mein Gedächtnis von mir nehmen möchte! – Ich war gestern ungewöhnlich heiter, als mir die Ader geöffnet wurde, denn ich fühlte mich sehr krank. Ein paar Stunden nach der Ader war mir viel besser zumute: ich scherzte mit unserm Papa Lieb über so manches. Er spielte Klavier, sang allerlei niedliche, lustige Lieder, die er kürzlich komponiert hat; nun er mich recht heiter sah, sprach er über meine anhaltende Unpäßlichkeit und da – Gott! – da sagte er mir, ich sei guter Hoffnung! Ein ängstlicher, kalter Todesschauer überfiel mich bei dieser, bei dieser mir schrecklichen Botschaft, und ich sank in fast konvulsivischen Schmerzen nieder! und so brachte man mich, ich weiß nicht wie, zu Bette. Die Ader wurde wieder gesprengt, und da Recke von Georgenhof zu Hause kam, da sagte unser redlicher Lieb ihm, daß er in wenigen Monaten Vaterfreuden zu erwarten habe. Der fühllose Mann sagte nichts weiter, als: »Das hat auch lange gedauert!« Er lachte dazu und ging so, ohne ein Wort zu sagen, mein Bett vorbei! Ich dachte, das Herz sollte in meiner Brust zerspringen! – Noch bis jetzt hat Recke kein Wort zu mir gesprochen. Ich denke immer, würde ich ihn wenigstens froh und zärtlich gegen mich sehen, mein Zustand würde mir minder unerträglich sein! – Zärtlich! – ach! seiner Zärtlichkeit ist nie zu trauen! – Stolzchen, ich muß schließen! ich mag nicht denken, nicht schreiben! Und dann? Sagte Hofrat Lieb mir nicht, die Ruhe meines Geistes wird auf die Gemütsart meines Kindes Einfluß haben? Ruhe des Geistes – und Mutter durch Recke? Gott! Gott! – Das hoffe ich nicht, armes, unschuldiges Wesen, das durch mich das Licht der Welt erblicken soll! Ich will nach Ruhe streben! Gott ist ja Weisheit und Güte! Alles! alles lenkt seine weise Huld! – die – die wird mich unterstützen, sie wird mir beistehen! sie wird mir meinen Kummer verbergen helfen, auf daß weder die Welt, noch der Vater meines Kindes den tiefen Schmerz ahnen, der mein Herz zerreißt! Aber eben diese ewige Güte muß mir auch die Kraft verleihen, den Gedanken, daß Recke der Vater meines Kindes ist, mit Unterwerfung zu ertragen! Vernichten Sie diesen Brief, Freundin meines Herzens! vernichten Sie ihn! Ach! ich möchte auch die Empfindungen und die Gedanken meiner Seele vernichten können, die mich seit gestern foltern. Gott – Gott erbarme sich meiner!

 

An Pastor Martini.

Neuenburg, 23. Dez. 1773.

Ihr freundschaftlicher Besuch, Ihr trostvoller Zuspruch, die, mein väterlicher Freund, die haben mich beruhiget und mir eine Aussicht zu stillen Freuden eröffnet. Ich betrachte meinen Zustand nicht als trostlos, seit Sie mir ihn von so mannigfaltigen Seiten als hoffnungsvoll darstellten, Gott segne Sie für den Trost, den Sie in mir so lebendig zu erhalten wußten! – Gott segne Sie auch dafür, daß Sie meine Vernunft zu überzeugen suchten, daß der weise Urheber meiner Tage mir meinen nah an Verzweiflung grenzenden Schmerz über meinen jetzigen Zustand verzeihn wird, falls ich aus allen Kräften nach Heiterkeit des Geistes und Zufriedenheit mit den Wegen der Vorsehung strebe. Ja, Verehrungswürdiger – seit ich Ihnen die geheimsten Empfindungen meiner Seele aufschloß, seitdem wird mein Herz nicht mehr so ängstlich gepreßt! denn Ihre weisen, Ihre trostvollen Lehren, die suche ich mir zu eigen zu machen. Ich betrachte dies Leben als Erziehung zur Ewigkeit: und wohl dem, der durch sein Schicksal oft daran erinnert wird, daß das Ziel unsers endlichen Loses nur kurz und die Ewigkeit ohne Ende ist! Alles, was uns also für die längere Dauer zum Glücke zubereitet, dies ist nur wahres Glück. Guter Gott! als solches will ich nun auch meine jetzige Lage betrachten und des Mannes Kind, der meine Tage vorsätzlich trübt, dennoch mit Heiterkeit unter meinem Herzen tragen! – Und führte die Geburt dieses Kindes mich dem Grabe zu, wie glücklich bin ich dann! aller irdischen Qual entnommen, wirkt mein Tod und die Geburt meines Kindes vielleicht mehr auf Reckes moralische Besserung, als mein Leben jemals hätte wirken können. Sie, mein nachsichtsvoller Freund, Sie edler Lehrer der beseligenden Religion Jesu! Sie erlauben es mir also, mich über die Ansicht meines wahrscheinlichen Todes zu freuen. Dies nur machen Sie mir zur Pflicht, meine Gesundheit zu schonen und meinen Tod nicht durch heftigen Kummer zu beschleunigen. Ja, teurer, väterlicher Freund! Ihre weisen Lehren in Ausübung zu bringen, will ich mich innigst bestreben. Der Tod soll mir bloß in traurigen Stunden ein freundlicher Führer scheinen, der mich zu besserem Glücke leitet, falls ich mit reinem Herzen an der Vervollkommnung meiner selbst arbeite. Sie haben recht, Verehrungswürdiger! jetzt ist es eine meiner ersten Pflichten, nicht nur nach Heiterkeit zu streben, sondern dem Vater meines Kindes muß ich nun über meinen jetzigen Zustand mehr Freude äußern, als ich noch bis jetzt zu fühlen vermag: ich bin dem diese Schonung schuldig, der mich vielleicht bloß aus Irrtum so bitter kränkte. Gott, wie glücklich würde ich mich fühlen, falls Recke durch Vaterfreuden zu einem edleren Betragen gegen mich zu bewegen wäre! – Jetzt, Verehrungswürdiger, jetzt will ich den mir von der Vorsehung anvertrauten Keim eines Menschen, den ich unter meinem Herzen trage, nicht bloß als Kind eines Mannes betrachten, der meine Tage so trübte! Nein! ich will dies unschuldige Wesen als Pfand der Vorsehung lieb gewinnen, welche dies Kind, gewiß aus weiser Güte, meiner Vorsorge anvertraute. Meine Mutterpflichten fangen also von dem Augenblicke an, daß ich mich in Hoffnung weiß! und je weniger liebenswürdige Eigenschaften der Vater hat, desto sorgfältiger muß ich diese junge Pflanze in mir verpflegen! – Ja! teurer, väterlicher Freund! – ich strebe nicht umsonst nach Ruhe und Heiterkeit! Gott unterstützt mich auch! – Seit zwei Nächten habe ich schon recht gut geschlafen, und ich werde gewiß für meine Gesundheit alle Sorgfalt haben, auf daß ich meinem Kinde eine gesunde Nahrung und wo möglich nur die Leidenschaft gebe, nach Vollkommenheit der Seele zu streben. Gott segne Sie für den Trost, für die weisen Lehren, die durch Sie empfing Ihre Sie mit dankbarer Freundschaft ehrende

Lotte.

 

An Mademoiselle Stoltz

Neuenburg, 7. Januar 1774.

Die Freude meiner guten Eltern über meinen jetzigen Zustand macht mir ihn lieber. Aber die Hoffnungen der Teuren kann ich mit ihnen nicht teilen. Werden sie erfüllt, dann sind meine Erwartungen übertroffen, und Freude, liebes Stolzchen, die werde ich dankbar zu ertragen wissen.

Ich wünschte, Martini hätte es Ihnen, liebes Stolzchen, und meinem Bruder nicht gesagt, daß mein Mann sich auf den Tod meiner Mutter freut und daß er, um sich an Mama zu rächen, mich so oft bei der Großmama verklagt, um Mama durch mein Leiden zu quälen! – Ach! Gott, könnte ich doch diese Handlungsweise meines Mannes aus meinem Gedächtnisse tilgen! – Seit ich sein Kind unter meinem Herzen trage, schmerzt mich jede seiner Immoralitäten noch mehr! und meine Pflichten für ihn scheinen mir nur noch gedoppelt! ich möchte es ihm, aller Welt und mir selbst verbergen, daß ich ihn nicht hochachten kann! – Stolzchen! ich weiß! – Sie wollten mich durch meines Mannes Gespräch mit Martini erheitern, aber meine Seele ist noch mehr verwundet! – was hilft es mir, daß er es seinem Freunde versichert, daß er mich liebt, daß ich ein ganz vortreffliches Weib sei – wenn er zugleich die Grausamkeit hat, dies unschuldige, dies von ihm geliebte Weib aus ungerechtem Haß gegen eine so vortreffliche Schwiegermutter zu quälen? Was soll ich von einem Charakter denken, bei dem sich die Liebe so äußert, als bei andern der Haß? Und wie unwahr ist der Vater des armen Geschöpfes, welches durch mich das Licht der Welt erblicken wird! – er weinte am Krankenbette meiner leidenden Mutter und kann sich gleich in der nämlichen Stunde gegen seinen Freund der Aussicht freuen, daß, um mich seiner Worte zu bedienen, die alte Wetterhexe entweder bald himmelfahrten oder höllenfahrten wird! – Ich verdenke es meinem guten Bruder nicht, daß er sich durch dies heuchlerische Betragen so indigniert fühlte, daß selbst ich seinen Unwillen gegen Recke nur mit Mühe dämpfen konnte. Mein Befinden ist ganz leidlich, und ich beobachte jede Gesundheitsregel mit Aufmerksamkeit, um dem Großkinde meines guten, meines edlen Vaters gesunde Nahrung zu geben. Die Freude dieses Teuren über die Hoffnung, Großvater zu werden, die ist mir ein erquickender Trost. Jetzt, mein Stolzchen, werde ich – falls Recke nichts dagegen hat – das Gebot meiner Großmutter, meine Eltern selten zu besuchen, übertreten, weil ich meinem Kinde gesunde Nahrung schuldig bin und weil Freude wohltätig auf meinen Körper wirkt. Ich habe schon Antwort auf den Brief, in welchem ich Großmama meine Hoffnungen melde. Ihr ganzer Brief ist voll Segenswünschen für mich, für meinen Mann und mein Kind. Aber eine Zeile von der Hand meines Creutzburgischen Onkels machte, daß fast ein konvulsivischer Schmerz mein Herz durchdrang. – – – – – Ach! Stolzchen! diese niedrigen Ausdrücke meines Onkels erinnern mich an die traurige Zeit, da ich auf Veranlassung meines Mannes so mißhandelt wurde. Heute schreibe ich an Großmama, daß, da es doch möglich ist, daß ich, wie meine selige Cousine aus Prekullen, in meinen ersten Wochen sterben kann, so möge sie mir um des Kindes willen, welches ich unter meinem Herzen trage, es doch erlauben, die Freude zu genießen, meine Eltern und Geschwister, die nur vier Meilen von mir leben, öfterer zu besuchen. So wie ich Großmama kenne, so wird sie mir in meiner jetzigen Lage mein ihr gegebenes Wort, meine Eltern nur alle vier Monate zu besuchen, liebevoll zurückgeben, und mein Brief an sie wird mich dieser biedern Frau noch lieber machen.

Ich habe vergessen, unserm lieben Pastor Martini zu sagen, daß ich seinen Rat befolgen und den Briefwechsel mit meiner lieben, liebsten Lisette wieder anfangen werde, so bald mein Mann mir jetzt eine Veranlassung, dies zu tun, geben wird. Haben Sie Dank, Liebe, daß Sie meine gute Lisette sowohl wegen meines Zustandes, als meines Befindens wegen zu beruhigen suchen! Die Teure hofft also auch dadurch eine glücklichere Ehe für mich, weil Recke nun seinen Wunsch, Vater zu werden, erfüllt sehn wird! – Wie glücklich würde ich mich fühlen, wenn Eure allerseitigen Hoffnungen in Erfüllung gehn! Alles, was Gott gibt, ist gut.

 

An Lisette von Medem.

Neuenburg, 2. März 1774.

Heute, meine liebe, liebste Lisette, fühle ich die innigste, die tiefgefühlteste Freude, denn ich schreibe dir jetzt mit der festen Überzeugung, daß unsre gegenseitige Freundschaft für einander den Beifall meines geliebten Mannes hat, der es sogar bald nach dem harten Gebote meiner Großmutter, daß wir unsern Briefwechsel aufheben sollen, liebevoll von mir verlangte, daß wir dieser Einschränkung keinen Raum geben mögen. Ich aber betrübte wider meinen Willen bis jetzt durch die Pünktlichkeit, mit welcher ich die Befehle meiner Großmutter ehrte, das Herz meines mich liebenden Mannes, dem es wehe tat, daß ich mir aus Irrtum eine so edle Freude entzog. Glaube mir gewiß, liebe, liebste Lisette! ich würde dir selbst jetzt nicht schreiben, wenn mein liebreicher Mann mich nicht mit Tränen gebeten hätte, ihn und uns ferner nicht mehr dadurch zu quälen, daß wir uns weder sehn noch schreiben. Von deinem Herzen, meine Lisette, und von der edlen Freundschaft deiner vortrefflichen Eltern gegen mich bin ich es fest überzeugt, daß sie mir es allerseits gestatten werden, wie vormals, deines Umganges zu genießen. Gottlob! Dein Herz und das meinige sind von der Wahrheit überzeugt, daß unsre Freundschaft für keine kürzere Dauer, als für die Ewigkeit geknüpft ist.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 5. Juni 1774.

Vielleicht, teure Freundin meiner Seele, ist dies der letzte Brief, den ich Ihnen von hier aus schreibe, denn den 8. bringt mein Mann mich nach Altautz, um dort entbunden zu werden. – Mein Stolzchen! ich habe noch so manches auf der Seele, und einmal muß ich noch zu Ihnen aus vollem Herzen sprechen! – Meine Seele ist jetzt so heiter, so wolkenlos, als der helle, blaue Himmel, der uns heute einen schönen Tag verspricht. – – – Liebe, Teure! nichts ist uns bei unsrer Geburt gewisser, als der Tod! Der Tod kann für den, der die Fähigkeiten seiner Seele zu verbessern suchte, kein Übel sein, weil Gott die Weisheit und Güte ist und weil der, der diese schöne Welt schuf, kein Wesen willkürlich in einen schlimmem Zustand versetzen wird – und – gottlob! Teure, ich kann der Verwandlung meines Seins fröhlich entgegenlächeln! Mir ist der Tod das, was nach einer finstern, stürmischen, Gefahr drohenden Nacht dem fast verzagten Schiffer eine schöne Morgenröte und ein glücklicher Wind ist, der ihn unverletzt zum Hafen bringt! – Mein Stolzchen! betrüben Sie sich nicht, falls ich früher als Sie zur Heimat abgerufen werde, und beweisen Sie mir auch nach meinem Tode Ihre Liebe durch Erfüllung meiner Bitten.

Für das erste verbrennen Sie alle meine Briefe, in welchen ich Ihnen mein Herz über das Betragen meines Mannes aufschloß. Es würde meine Seligkeit stören, wenn es nach meinem Tode bekannt würde, daß ich nicht glücklich war. Vernichten Sie also alle Spuren, aus welchen der Zufall es einst meinem Kinde verraten könnte, der Vater machte die Mutter unglücklich. Meinen Eltern suchen Sie die Vorwürfe, die sie sich nach meinem Tode über meine Heirat machen werden, aus dem Sinne zu bringen. Wenn ich krank werde, dann nehmen Sie, Liebe, meine Taschen zu sich; in diesen werden Sie zwei versiegelte Briefe finden, den einen an meine Eltern, den andern an meinen Mann. Erst den andern Tag nach meiner irdischen Vollendung geben Sie meinen Eltern und meinem Manne die Briefe. Sagen Sie beiden, daß mein letzter Hauch Segen für sie vom Himmel erflehte, daß meine Seele in den Stunden der Angst und des Todeskampfes dem Himmel die besten Wünsche für ihn opferte – – –

Und nun, mein Stolzchen! nur dies noch; meines Mannes Betragen ist wirklich seit einigen Wochen so gewesen, daß ich, falls ich noch länger leben sollte, hoffen darf, eine glücklichere Ehe zu haben. Auf alle Fälle ist auch der Mut mein, selbst das Leben als Geschenk unsres guten Gottes dankbar anzunehmen. Vernichten Sie diese und alle meine Briefe, die auf meine Ehe Beziehung haben, sogleich nach meinem Tode, ohne daß Sie die Briefe wieder lesen, und denken Sie nur daran, daß mein Mann seit einigen Wochen mit herzlicher Sorgfalt für meine Freuden tätig war. –

 

An Lisette von Medem.

Altautz, 10. Juni 1774.

Nicht ohne Tränen verließ ich Neuenburg und den Kreis Freunde, den ich dort erworben habe! – Neuenburg ehre ich als den wahren Ort meiner Erziehung, und meine mir teure Lievensfamilie liebe ich als Verwandte meiner Seele, mit welchen ich einst im Kreise seliger Geister an Vollkommenheiten zuzunehmen hoffe.

Mein lieber Mann war, da er mich heute verließ und nach Neuenburg heimkehrte, so bewegt, daß auch ich noch bis jetzt so weich bin, daß ich leicht weinen kann. Gott mache den Vater meines Kindes doch auf alle Fälle so glücklich, als ich es wünsche! – Vielleicht sehe ich ihn nun erst als Mutter seines Kindes – vielleicht aber auch sehe ich ihn nie wieder! – auf diesen Fall lasse du, meine Lisette, ihn nach einiger Zeit diese Zeilen lesen, die es ihm dennoch, wenn ich selig sein werde, wiederholen sollen, daß, seit ich die Seinige wurde, sein Glück meinem Herzen ein größeres Bedürfnis, als das meinige, war! Und habe ich diesen heißen Wunsch meiner Seele nicht immer erfüllt gesehen, so trage ich es dir, Freundin meines Herzens, auf, es meinem Manne und jedem, der darüber spricht, zu sagen, daß ich den Vater meines Kindes unschuldig erkläre, falls er sich oder irgend einer meiner Freunde ihm im Herzen darüber Vorwürfe machen sollte, daß er mich bisweilen mißverstand! – Am Throne Gottes wird er es einst erfahren, wie sein Glück – seit ich seine Gattin wurde – das Ziel meiner Wünsche war! – Ehre du, meine Lisette, wenn ich auch nicht mehr bin, meinen Mann als deinen Freund – beschäftige dich oft mit meinem Kinde und sage es meinem Manne und meinen Freunden, daß meine Seligkeit wo möglich dadurch vermehrt werden kann, wenn ihr untereinander Freunde bleibt.

Verzeihe, Liebste, falls dieser Brief dir Tränen auspreßt – der Gedanke an den Tod tötet uns ja nicht! – vielleicht werde ich recht alt! – aber das längste Leben ist gegen die Ewigkeit kurz! – und gottlob, meine Lisette, unsre Freundschaft ist für die Ewigkeit! denn auch der Tod kann unsre Herzen nicht trennen.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 10. Aug. 1774.

Fast, mein Stolzchen, ist mir heute so zumute, als da meine guten Eltern mich das erstemal nach Neuenburg brachten und mich dann verließen! doch jetzt ist mir dies Schloß nicht mehr so wüste, ich fühle mich nicht mehr so allein! – Meine Friedrike gibt diesen öden Mauern Interesse für mich! Aber Sie, meine Freundin, vermisse ich jetzt noch mehr, als da ich dies Schloß zum ersten Male, zwar mit Angst und Schrecken, aber doch mit der Hoffnung betrat, daß ich hier nicht ganz unglücklich sein würde! – Ganz unglücklich? – Dem Himmel sei gedankt, dies bin ich nicht! Der sich nichts vorzuwerfen hat und der nach Vervollkommnung des Geistes strebt, der kann nie unglücklich sein, wenn auch die Hoffnung, in dieser Welt glücklich zu werden, aus seiner Seele schwindet. Das Betragen des Vaters meines Kindes ist so, daß ich glauben muß, es schmerze ihn, daß ich nicht gestorben bin. Das Leben nicht als Plage, nur als Erziehung zu betrachten, dahin will ich streben! Über das Betragen meines Mannes schweige ich; es ist, wie es bei der Anwesenheit meiner Eltern war; als diese mir Teuren wegführen, sagte er mit einem mürrischen Tone: »Gottlob, daß ich das Geschmeiß deiner Familie los bin; vielleicht glaubt die Stiefmutter, nun ein Kind hier ist, hier recht oft hausen zu können. Da betrügt sie sich gar sehr; was zum Henker bewog die Alte, sich mit Sack und Pack herzuschleppen? Wenn jedes Kind mir so viel, wie das kleine Mädchen, kosten soll, dann werde ich schön fahren! Arzt und Hebamme kosten schon 170 Taler. Da lobe ich mir meine Mutter, die brachte meinem Vater, bis sie zu kindern aufhörte, alle Jahre ein Kind, und außer der Taufgebühr haben wir unserm Vater keinen Heller gekostet. Aber dieser war auch kein solcher Narr als ich; er hatte sich in keine Larve vergafft; kein feines Zierchen, eine gute Wirtin hatte er sich genommen; und in meiner Mutterfamilie war die Wirtschaft, wie in der deinigen das Großtun, zu Hause.« Ich schwieg und dankte Gott, daß mein armes Kind die Reden des Vaters nicht versteht! – aber einst wird dies kleine Wesen groß werden, und dann! – – Gott stehe mir bei!

Mein Stolzchen! wie eitel war die Hoffnung, daß Recke durch Vaterfreuden in seinem Betragen milder gegen mich werden würde! Doch eine Freude habe ich heute gehabt. Recke sagte mir, mein beständiger Husten störe seinen Schlaf, ich möge sein Schlafzimmer verlassen und mich im Zimmer meiner Tochter betten.

Was Sie mir vom Bruder meiner Lisette sagen, tut mir leid; ich mag keiner Seele so lieb sein, daß sie durch ihre Anhänglichkeit für mich Unruhe fühlt; auch ist Fritz Medem viel zu jung, als daß er mein Freund sein könnte. Daß meine Lisette ihren Bruder mit meiner Lage bekannt gemacht und ihm solches Interesse an mir eingeflößt hat, dies schmerzt mich! Es nutzt durchaus zu nichts, daß der junge Mann beständig durch den Gedanken an mich beschäftigt ist, und unsre Lisette hat unrecht, wenn sie ihren Bruder mit den Zügen meines Herzens und Geistes bekannt gemacht. Meinem Herzen wird dieser junge Mann freilich nie gefährlich werden, aber warum soll denn ich in seiner Seele einen Altar haben?

Meiden Sie, liebes Stolzchen, in Ihrem Briefwechsel mit Medem einen Gedankentausch über mich, und bringen Sie den Gedanken aus der Seele meiner Lisette hinaus, daß die moralische Bildung ihres Bruders gewinnen wird, wenn Leidenschaft für mich in seiner Seele obwaltet. Leidenschaft, mein Stolzchen? Leidenschaft muß keiner für mich fühlen, und derjenige, der sie für mich empfindet, dessen Name muß mir nie genannt werden. Hochachtung, freundschaftliches Wohlwollen, dies nur sind die Empfindungen, welche andre Männer für mich fühlen dürfen, und nicht durch die dritte Person darf ein Mann sich es unterstehn, mir höheres Interesse zu äußern. Habe ich das Unglück, daß der, dem ich angehöre, mein Herz von sich entfernt, so werde ich dennoch keinem jemals das Recht einräumen, mir es äußern zu dürfen, daß er Interesse für mich habe.

 

An Pastor Martini.

Neuenburg, 10. Aug. 1774.

Ihre Hoffnung, mein väterlicher Freund, ist nicht in Erfüllung gegangen. – Recke ist gegen die Mutter seines Kindes noch ungefälliger, als vorher. Mein Herz wird durch die bittersten Reden täglich zerrissen; er verwünschte es oft, daß er sich in eine solche Familie hinein geheiratet hat, und wenn mir es nicht möglich ist, meine Tränen zurücke zu halten, dann lacht er überlaut und sagt, er habe gehofft, daß ich mit der Mutter die Kinderschuhe ausziehn und nicht immer plärren würde; er fürchtete, meine Tochter könne ein ebenso weinerliches Wesen, als ich, werden. Die Spöttereien über meine liebe, gute Mutter sind ohne Ende! Ich sagte ihm ganz bewegt, ich würde gewiß sehr heiter sein, wenn sein unfreundliches Betragen nicht den Gedanken in mir hervorbrächte, daß es ihm wehe täte, daß ich nicht gestorben sei. Hier fuhr er gewaltig auf, fragte mich mit einem Blick, der mir allen Mut benahm, was ich denn wolle; ob ich es erwartete, daß er zu meinen Füßen liegen solle, wie mein Vater die Torheit hat, zu den Füßen seines alten, herrschsüchtigen Weibes zu liegen? Ich möge es mir nicht einfallen lassen, weder durch mein Kind, noch durch meine Tränen den Herrn über ihn spielen zu wollen. Auch wäre es sehr eigen von mir, ich wolle von ihm geliebt sein und liebte ihn nicht. Die Rede fuhr mir gewaltig durch das Herz, ohnmöglich war es mir, meine Tränen zurückzuhalten, und so bat und beschwor ich ihn mit den sanftesten Ausdrücken, mir, seit ich die Seinige wurde, nur eine Tatsache, nur einen Blick oder ein Wort zu sagen, wodurch er mir es beweisen könne, daß seine Liebe zu verdienen nicht das Geschäft meines Lebens sei. Hier zog er einen Brief hervor, den er als Bräutigam an mich geschrieben hat. Dieser Brief war halb zerrissen und Mama hatte auf diesem Brief Zwirn gewunden gehabt; den Brief hat er, da er mich in meinen Wochen besuchte, auf einem Fenster gefunden, und da sagte er: »Wenn schon eine Braut sich aus den Briefen ihres Bräutigams nichts macht, diese nicht wert hält, dann wird der Ehgemahl gewiß noch weniger geliebt werden.« Auch setzte er hinzu, dies Zeichen meiner Gleichgültigkeit habe ihn so erbittert, daß er mich in meinen Wochen nicht wieder besucht hätte. Die Briefe meiner Eltern, meiner Freundinnen, die könne ich aufbewahren, und die seinigen hätten keinen Wert für mich. Mir war bei dieser Anschuldigung so wunderlich zumute; ich fühlte es wohl, daß er mir nur Vorwürfe machen wollte, und weil er keine Gelegenheit fand, so suchte er diesen Scheingrund hervor. Ich sagte ihm, daß ich die Briefe, die er mir als Mann geschrieben hat, aufbehalten habe und sie gleich den Briefen meiner Eltern aufbewahre. Hier erwiderte er: »Ja, aus Furcht vor dem Mann hebt man die Briefe des Eheherrn auf, wenn gleich man den Mann zu wenig schätzt, um die Briefe des Bräutigams in Ehren zu halten.« Nach dieser Rede verließ er mich ganz mürrisch – ich ging ins geheime Gemach, und dort fand ich das Abschiedsgedicht von mir, welches ich meinem Manne am Tage, da ich Neuenburg verließ, um in Altautz entbunden zu werden, mit aller Herzlichkeit und der Bitte gab, diese Ergießung meiner Seele, ich möge leben oder sterben, als Andenken aufzuheben. Nach der ersten Bewegung meines Herzens wollte ich mit diesem schon halb zerrissenen Gedichte zu ihm gehen, ihm sagen, wie sehr er mein Herz dadurch verwundet habe, daß er dies mein Andenken so wenig achte – aber ich sagte mir, daß er mich vielleicht nach seiner Art mit einem hämischen Gelächter zurücke weisen könne und dann würde mein Herz um so mehr vom Vater meines Kindes entfernt werden. Ich verschmerzte also stille für mich diese Verachtung eines Mannes, der zu klagen wagt, daß ich ihn nicht liebe, indessen er mich, seit ich die Seinige wurde, nur marterte.

Verzeihn Sie, mein väterlicher Freund, daß ich Ihnen die Leiden meines vielleicht zu stark fühlenden Herzens klage, aber mir wird wohler, wenn ich Ihnen sogar die Schwächen dieses Herzens öffne. Es ist freilich töricht von mir, darüber betrübt zu sein, daß mein Mann mich nicht liebt, denn wenn ich mein Herz vor Gott erforsche, dann muß ich es mir gestehn, daß mein Mann freilich darin Recht hat, daß ich nur meine Pflicht gegen ihn in Ehren halte, diese erfülle, ihn aber nicht liebe. Doch, guter Gott, wie soll ich den lieben, der mich martert und der mir durch sein Betragen ihn hochzuachten raubt? Ach Gott! – Gott! verleihe du mir Mut, dies Leben zu ertragen; noch kann ich mir dies Geschenk meines Gottes nicht als Wohltat, nur als Erziehung denken.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 5. Okt. 1774.

Meine verfallne, bleiche Gestalt sollte Ihnen, liebes Stolzchen, keine Sorge machen; das Dahinwelken meines Körpers führt mich vielleicht früher dem Ziele zu, welchem wir stündlich entgegeneilen. Einen Vorteil habe ich durch meine abnehmende Gesundheit; Recke macht keine Ansprüche an mich. Mir scheint es aber, daß er es darauf anlegt, meine Geduld ganz zu ermüden, auf daß ich mich zur Scheidung entschließe. Fast täglich muß ich es hören, daß er der größte Tor ist, sich durch eine Frau gefesselt zu haben. – Großer Gott! durch mich fühlt er wahrhaftig keine Art Fesseln! –

So wunderlich, als seit der Geburt meiner Tochter, habe ich meinen Herrn nie gesehn. Sonst waren doch noch manche Tage, die in mir die Hoffnung weckten, es könne vielleicht mit der Zeit anders werden. Jetzt ist auch das letzte Stäubchen Hoffnung in mir tot. Es wird anders werden, wenn Gras über meinem Grabeshügel wächst; aber an der Seite meines Mannes müssen meine Tage nach unserm beiderseitigen Charakter immer trauriger verfließen. So lange meine Friedrike noch ein Kind ist, das nicht nachdenken kann, so lange ist das Maß meines Elendes noch nicht voll, aber was wird dann werden, wenn die liebe Kleine über das Betragen ihres Vaters wird nachdenken können? – Und wird Recke mir es wohl erlauben, seine Tochter nach meinen Grundsätzen zu erziehn, da er mich für eine unerträgliche Närrin hält? Und soll ich auch das Unglück erleben, daß mein Kind die Grundsätze seines Vaters annimmt? – Bei Gott, ich will alles von Recke ertragen, nur die Erziehung und Bildung meines Kindes lasse ich mir nicht nehmen! – Aber Erziehung eines Kindes, wie schwer ist diese in einer unglücklichen Ehe! – Gott! Gott! in welch eine Zukunft für mich blicke ich hinein! und werde ich wieder gesund, dann – dann – – –

 

Seit einiger Zeit ist Recke gegen das Lievensche Frauenzimmer sehr unfreundlich; er hat es mir schon einige Male gesagt, daß es ihm zuwider sei, so viel Weibergeschmeiß in seinem Hause so gut als einheimisch zu sehn, und dann schließt er mit dem Nachsatze: ehe er verheiratet gewesen ist, wäre er der glücklichste Mann gewesen, und jetzt hätte fast jeder Tag eine neue Plage für ihn, er müsse in hundert Dingen, weil er eine Frau hat, wider seinen Geschmack leben.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 2. Febr. 1775.

Bitten Sie, liebe Seele, unsern Pastor Martini, daß er Ihnen meinen Brief lesen läßt; in diesem werden Sie finden, was ich zu Eurem Rate denke. Ach Gott! besser wird es nicht werden, und fast fürchte ich einen noch schlimmem Ausgang. Mein Stolzchen, den Gedanken, daß meine Eltern Recke zur Rede stellen sollen, den verwerfe ich ganz. Entweder entsteht nach diesem ein völliger Bruch unter uns, oder Recke gewinnt durch seine glatten Worte meine Eltern und Verwandten ganz. Für das, was mich quält und drückt, dafür haben sie alle keinen Sinn. Das einzige, was jetzt alle gegen Recke aufbringt, ist dies, daß er sich öffentlich Mätressen hält, und dies ist gerade das, was mich nicht kümmert. Wenn Recke hierin meine Eltern befriedigt, dann kann er mich tot quälen, und es wird immer heißen, daß es meine Schuld ist, wenn ich nicht glücklich bin. Mama sagt ohnedies, Recke wäre gewiß ein ganz andrer Ehemann geworden, wenn ich ihrem Rat gefolgt hätte und mich nicht mit kindischer Ängstlichkeit in seine Launen gefügt haben würde. Mama fordert Dinge von mir, die wider meinen Charakter sind. Ich kann, ich will meinen Mann nicht beherrschen; ihn ehren, ihn schätzen möchte ich gerne; aber zanken kann ich nicht; meine Wünsche – wenn sie gegen meines Mannes Neigung sind, durchsetzen, kann ich ebensowenig, und ich würde mich vor mir selbst schämen, wenn ich üble Launen und Neckereien meines Mannes mit einem ähnlichen Betragen erwidern sollte. Mama hat gut sagen, ich sollte nur lachen und ihn zum besten haben, wenn er darüber klagt, daß er die Torheit begangen hat, sich mit einer Frau zu belasten. Ich finde in der Idee nichts Lächerliches, daß ich einem Manne angehöre, der den Zustand des Ehemannes für das höchste Unglück eines Mannes hält. Wahrhaftig, wenn ich nach Mama ihrem Plane handeln sollte, dann würde ich mich vor mir selbst schämen. Mama ihr Verstand übertrifft den meinigen unendlich, aber ich suche meine Glückseligkeit auf einem andern Wege, als Mama.

So weit, mein Stolzchen, hatte ich geschrieben, als Recke mir einen unerwarteten Gast in mein Zimmer brachte. Professor Hartmann ist gekommen. Ich habe ihn jetzt nur wenige Minuten gesehen, aber der Mann gefällt mir ungemein. Recke ist über den Besuch dieses Gastes sehr vergnügt, ich weiß mich nicht zu entsinnen, ihn so heiter gesehen zu haben. Leben Sie wohl, ich schließe meinen Brief, um das Vergnügen zu genießen, den Verfasser des Sophrons und den Sänger der Jahresfeiern sprechen zu hören.

Sage mir, Liebe, wie Mama meinen Brief aufgenommen hat. Mama sagte mir schon das letztemal ziemlich bitter: das Ei will klüger sein, als die Henne.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, den 2. Februar 1775. Abends nach 10.

Ich weiß mir es nicht zu erinnern, daß ich froher, als diesen Abend gewesen wäre! Stolzchen, hätte ich doch Sie und meinen Bruder hier! Recke ist durch Hartmanns David Hartmann, 1752 im Württembergischen geboren, Tübinger Stiftler, trat schon mit zwanzig Jahren als Dichter hervor. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren wurde er als Professor an das Mitauer Akademische Gymnasium berufen. Aus den folgenden Briefen Elisas erfahren wir Näheres über die heftige Leidenschaft, die er für die junge Frau empfand, und die von ihr, wohl halb unbewußt, erwidert wurde (vergleiche den Schluß des Briefes vom 22. April 1777!) Hartmanns Verhältnis zu Elisa ist stark von Goethes Werther beeinflußt. Am 22. Februar 1777 schrieb er an den ihm befreundeten Lavater nach Zürich: »Ich habe Werthers Leiden mit ihr (Elisa) gelesen. Zehnmal hab' ich's verschlungen, das Buch soll mein Freund bleiben, und, Lavater, denke hieran, wenn einst mein Schicksal Ähnlichkeit mit Werthers hätte ... Lavater, hast du keine Ähnlichkeit zwischen mir und Werther gefunden? ... Werthers Leiden sind nun tägliche Nahrung für meinen Geist.« Auch die Todessehnsucht, die Elisas Empfinden gleicherweise beherrschte, kommt in dem Brief an Lavater mehrfach zum Ausdruck. Lavater hatte ihm darauf den Rat gegeben, zu heiraten, und Hartmann antwortete: »Möcht' ein Weib nehmen? So von ungefähr – ja wenn meine von der Recke (noch) Mädchen wäre, möcht' ich wohl schwach genug sein, den Wunsch zu tun.« Es scheint nicht ausgeschlossen, daß der gebrochene Lebenswille des so unglücklich Liebenden seinen bald darauf erfolgten Tod mit herbeigeführt hat. C. Besuch so froh, daß er auch gegen mich recht unverstellt herzlich und sogar gefällig ist. Ich sagte heute an der Abendtafel, daß mir es leid täte, daß meine Doris Lieven nicht auch das Vergnügen genießt, welches mir nun zuteil würde, und sogleich schickte Recke nach Neuhof, um die ganze Lievensche Familie auf einige Tage herzubitten.

Professor Hartmann hat seinen Fuhrmann zurückschicken und Recke versprechen müssen, vierzehn Tage bei uns zu bleiben. Ich freue mich, daß Recke von einem so klugen Manne so viel hält. Was mir aber noch mehr Freude macht, ist dies, daß Recke mich gegen Hartmann so gelobt hat. Hartmann sagte mir, sein Wunsch, meine Bekanntschaft zu machen, sei ausnehmend groß gewesen, weil das Mitausche Publikum und mein Mann mit gleichem Enthusiasmus über mich zu ihm gesprochen haben. Stolzchen! sollte mein Mann mich vielleicht im Grunde doch lieben? – Hätte Recke in meinem Herzen gelesen, da Hartmann mir dies sagte, vielleicht würde er den Gedanken, daß ich ihm lieb bin, in mir nicht zu töten suchen. Hartmann fragte mich, was ich dazu gesagt habe, daß er, ohne mich zu kennen, ohne mich gesehn zu haben, einen so drolligen Brief an mich geschrieben hat. Ich fragte ihn lächelnd, ob er denn meine Antwort schon vergessen hätte? Er sagte mir, diese sei so schmeichelhaft für ihn, daß er zu Anfang geglaubt habe, ich wolle ihn persiflieren, aber die unbefangene Schönheit meiner Seele, die sich in jeder Zeile meines Briefes male, habe ihn, je öfterer er meinen Brief gelesen habe, so hingerissen, daß er nur für den Geist dieser Briefstellerin Gefühl gehabt und den Augenblick gewünscht und gefürchtet habe, da er – so ganz alltäglicher Erdensohn – sich diesem himmlischen Wesen darstellen sollte. Er wisse es, daß er weit unter der Idee stehe, die ich von ihm habe, aber seine Glückseligkeit hinge daran, daß ich ihm das Wohlwollen nicht nähme, welches ich ihm, ohne ihn zu kennen, in meinen beiden Antworten geäußert hätte. – Ich dachte, Recke würde diese Rede bespötteln, aber er fragte mich mit froher Selbstzufriedenheit, ob er nicht Recht habe, wenn er seinen Freund als einen liebenswürdigen und interessanten Mann darstelle.

Den 3. Februar gegen neun Uhr morgens.

Als ich heute früh mit meiner Friederike auf dem Arme in Reckes Zimmer trat, um ihm einen guten Morgen zu bieten, fand ich Hartmann schon bei ihm, und beide frühstückten miteinander. Friedrikchen streckte wie gewöhnlich die eine Hand nach dem Vater und umklammerte mich mit der andern und hüpfte und lächelte so herzlich, daß der Vater sie ganz freundlich von meinem Arme nahm und dann einigemal hoch, hoch in die Höhe hob. Dies gefiel der lieben Kleinen sehr, und da gab sie laute Freudentöne von sich und machte ganz allerliebste Gesichter. Stolzchen, meine Augen wurden vor Freude naß, da ich den Vater mit seinem Kinde so fröhlich spielen sah! – Hartmann griff nach meinen beiden Händen, drückte sie an seine Lippen und sagte: »Schöne, edle Seele! Liebenswürdig schöne Mutter! – Glücklicher Mann und Vater!« Glücklicher Mann und Vater? – Ach! Stolzchen, diese Worte durchdrangen das Innere meines Herzens! Glücklicher Mann und Vater! – könnte ich es doch nur glauben, daß Recke sich durch mich glücklich fühlt. Mir wurde bange, Recke könnte durch Hartmanns Äußerungen böse werden, aber nein, er gab mir Friedrikchen ganz freundlich zurück, und da klammerte sich die Kleine fest an mich und streckte die andre Hand wieder nach dem Vater, recht, als wollte sie uns beide festhalten.

Liebe Seele! ich bin wohl eine Törin, daß ich mich über Reckes liebreiches Betragen so freue! Gott, wie leicht könnte der Mann mich glücklich machen, er braucht nur den Gedanken in mir zu nähren, daß ich ihm wert bin, aber wenn er mich neckt, darüber klagt, daß er so töricht gewesen ist, zu heiraten, dann drückt der Gedanke mich zu Boden, daß ich einem solchen Manne angehöre.

Nachmittags um zwei.

Ich habe mich weggestohlen, um wieder zu Ihnen zu sprechen. Vor halb zehn fand ich mich auf Reckes Wunsch in der Turmkammer ein und fand Recke, Hartmann und Pastor Witt bei einander, sie waren alle sehr vergnügt. Recke bat Hartmann um Verzeihung, daß er ihn nun verlassen und seinen Geschäften nachgehen würde. Mir und Pastor Witt überließe er es also, seinen Freund bis zur Mittagsstunde zu unterhalten. Sie wissen es, Stolzchen, Friedrikchen muß, wenn sie nicht schläft, beständig bei mir sein, weil ich von jedem Eindrucke, den sie erhält, Rechenschaft haben will, um so besser beobachten zu können, wie ihre Denk- und Handlungskraft sich entwickelt. Als ein großer Teppich zu meinen Füßen ausgebreitet wurde, fragte Hartmann: »Was bedeutet dies?« Pastor Witt erwiderte: »Nichts weiter, als daß Sie in unsrer Freundin eine Frau sehen, die die liebenswürdigsten und edelsten Eigenschaften in sich vereiniget.« Die Amme kam und legte sich mit der Kleinen auf die Decke hin, diese streckte gleich ihre Ärmchen nach mir aus. Hartmann wurde dadurch so gerührt, daß er mich mit unverwandten Augen und einer so innigen Herzlichkeit ansah, daß ich blutrot wurde. Nun küßte er meine Hand und sagte: »Göttlich liebenswürdige Frau! – Witt! – bei Gott, du bist zu beneiden, da du diesen Engel täglich beobachten kannst! Du hast mich unaussprechlich glücklich gemacht, daß du mir die Bekanntschaft dieser beiden Menschen geschafft hast!« Er nahm meine Hand, drückte sie und sagte: »Nicht wahr, himmlisches Wesen, Sie versprechen es mir, meine Freundin zu sein?« – Mein Herz sagte: ja, aber ich konnte keine Silbe hervorbringen. Hartmann hielt meine Hand immer fest und wandte sich zu Pastor Witt und sagte: »Sei du Priester der Freundschaft, der unsern Bund, der durch Tugend geheiliget ist, einsegnet.« Witt hielt unsre beiden Hände fest und sagte: »Schon seit Monaten genieße ich das Glück, unter Ihrem Dache zu leben. Ich verbarg es Ihnen, edle Frau, wie sehr mein Herz Sie heiliget; Sie beobachtet zu haben, ist bis jetzt das höchste Glück meines Lebens gewesen. Ihrer Freundschaft wert zu sein, ist das höchste Ziel meiner Wünsche. Das Beispiel meines Freundes macht mich dreist – darf auch ich Ihnen, erhabne Seele, einen Wunsch äußern, dessen Erfüllung mich beseligen würde? Darf ich Sie Freundin nennen?« Unsre drei Hände ruhten während dieses Gespräches ineinander, ich faßte diese mit der andern und sagte: »Euer beider Freundschaft wird mich unaussprechlich glücklich machen, und diese zu verdienen, soll das Geschäft meines Lebens sein.« Jeder von ihnen nahm meine Hand und drückte sie an seine Lippen, Hartmann streckte die andre nach Witt aus und schüttelte dessen Hand mit einiger Rührung und sagte: »Ja! Bruder! dir danke ich das höchste Glück meines Lebens, durch dich kenne ich sie! Gottes Segen über jede Stunde, da du zu mir von unfrei Heiligen sprachst, ehe ich sie noch kannte! Du erwärmtest zuerst mein Herz für ein schönes Ideal, welches du mit solchem Enthusiasmus darzustellen wußtest. Ich liebte das Wesen, das du so warm, so schön beschriebst, aber ich dachte immer, du hast es idealisiert. – Nun steht es da vor mir! – ich sehe diese himmlische Erscheinung selbst, und sie verspricht mir ihre Freundschaft.« – »Lieber Hartmann, Sie kennen mich ja nur seit gestern. Ach, ich fürchte, Ihr habt mich beide zu sehr idealisiert!« – »Zu sehr idealisiert?« riefen beide zugleich.

Abends nach zehn. Meine Stunden fliehen zu glücklich dahin, als daß ich erwarten könnte, daß es so fortdauern wird. Recke ist die freundliche Gefälligkeit selbst, auch gegen meine Lievensfamilie habe ich ihn lange nicht so herzlich gesehn. Hartmann glaubt im Himmel zu sein, er sagt, hier wäre ihm wie in der Schweiz bei Lavatern. Meine Doris gefällt ihm ausnehmend und er gefällt ihr ebensosehr. Den Abend las er uns einen neuen Roman vor, der jetzt viel Aufsehn macht. Werthers Leiden heißt dieser Roman, und meisterhaft schöne Stellen sind in diesem Buche, aber Werthers Liebe und Lottens Betragen gefällt mir nicht, und doch kann ich dies Buch nicht ohne innigste Rührung lesen. – Hartmann liest recht schön, und Witt, Hartmann, meine Doris und ich haben viel über Werthers Liebe zu Lotten gestritten. Jeder hat eine eigne Idee von Liebe und Lieben – meine und Hartmanns Ideen kommen am mehresten zusammen; nur dies wollte Hartmann nicht zugeben, daß die Liebe zu einem seligen Geiste, der keine irdische Hülle mehr habe, die vollkommenste sei. Hartmann sagt: Die Liebe, die gegen die Sinne zu kämpfen hat und jede sinnliche Begierde besiegt, die sei die vollkommenste und veredle den Menschen am mehresten, sobald man seine Seele zu der Reinheit emporhebt, ein solches an Leib und Seele schönes Wesen so ganz ohne Prätension auf irgend einen Genuß als den zu lieben, daß man das selige Gefühl in sich verschließt, die Vollkommenheiten des Geistes eines solchen wirklich existierenden Wesens ganz zu fühlen.

Den 4. Februar.

Nie hat mich die Herüberkunft meines guten Bruders so als heute gefreut. Dieser Teure und Hartmann sind ganz für einander! ihr gegenseitiges Wohlgefallen, welches sie an einander haben, macht mir unsägliche Freude! Der Brief unsres vortrefflichen Pastor Martini ist mir unaussprechlich wert! Alles, was mir der Teure sagt, dringt tief in meine Seele. Ja, ich werde seinen Rat befolgen – nur solange mein Mann sich gegen mich so beträgt, wie seit unsres Hartmanns Ankunft, da brauche ich nicht mit ihm zu sprechen; wird aber sein Betragen wieder schnöde, nun dann befolge ich den Rat unsres weisen Freundes ganz gewiß.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 4. Februar 1775. Abends nach zehn Uhr.

Fritzchens Geist bekommt eine immer interessantere Ausbildung, und ich fühle mich glücklich, einen solchen Bruder zu haben. Aber Mama ihr ungerechter Unwille gegen diesen interessanten Jüngling schmerzt mich und kettet mein Herz noch fester an diesen guten Bruder. Auch Fritzchen findet Recke in seinem ganzen Betragen unkenntlich, aber Fritzchen bittet mich, ja nicht darauf zu rechnen, daß mein Mann bleiben wird, wie er nun ist.

Stolzchen, ich begreife mich selbst nicht – ich weiß nicht, wie ich mir meine innere Freude über sein jetziges Betragen und meine Furcht erklären soll, wenn ich mir sage, dies könne ein Vorbote größerer Annäherung sein, – Leben Sie wohl, Liebe, ich bin heute ungewöhnlich schläfrig; nur dies muß ich Ihnen sagen, Hartmann wird mir immer interessanter. Hätte ich doch Sie, meine Lisette und Pastor Martini auch hier! aber so viele Freunde auf einmal, die würden Recke nur verdrießlich machen, ich kann mich schon jetzt nicht auswundern, daß er beim Anblicke so vieler Menschen dennoch so guter Laune bleibt. Er muß unsern Hartmann sehr lieben, weil er dies um seinetwillen duldet. Vielleicht, vielleicht wird seine Freundschaft für Hartmann ihn veredlen, und dann werde ich auch nicht mehr vor dem Gedanken erschrecken, durch ihn Mutter zu werden.

Den 5. Februar.

Recke ist heute nach Annenhof hinüber gefahren und bleibt bis morgen einiger Geschäfte wegen dort; er bat aber die ganze Gesellschaft, beieinander zu bleiben. Unsern Hartmann finde ich heute äußerst traurig und niedergeschlagen, ich weiß aber nicht warum. Hartmann hatte es durch Witt und Fritzchen erfahren, daß Dortchen Lieven und ich Verse machen, und da mußten wir ihm einige Produkte unsres Geistes zeigen. Er schien manches mit Vergnügen zu lesen, aber mit einem sonderbaren Ausdruck erstickter Wehmut sagte er: »Ich werde Witt und Ihren Bruder bitten, mich nicht mit den Zügen Ihres Geistes bekannter zu machen. Man muß Sie nicht ganz kennen, wenn man nicht beständig um Sie leben kann.« Als er ein paar meiner Sterbelieder und das Lied an meinem Geburtstage nebst einigen Trostliedern gelesen hatte, da sah er mich mit unaussprechlicher Teilnahme an und sagte mit einem Tone, den ich immer noch höre: »Kann eine Glückliche so dichten? – Gott, sollte das wahr sein, was ich gehört habe? Mein ganzes Ich widerstrebt der Möglichkeit eines solchen Gedankens! Sie, Beste, müssen durchaus glücklich sein!« – Meine gute Doris war bis zu Tränen gerührt, aber Hartmann sah, gottlob, nur mich an, und ich hatte den Mut, sagen zu können: »Ich bin glücklich!« Mein Stolzchen! in dem Augenblicke war ich es auch. Es ist so eigen – Hartmanns Blick, Hartmanns Ton der Stimme hat so etwas Beseligendes für mich, daß mir ganz unaussprechlich wohl dabei zumute ist, wenn ich den Gang seiner Seele ahnen kann, und mehrenteils ist das, was er sagt, noch schöner, als das, was ich mir dachte. Dunkel schweben seine Ideen mir vor, und wenn er diese in Worte kleidet, so wird es in meiner Seele so hell! ich scheine mir mehr zu sein, als ich zuvor war, und werde mir selbst lieber. Es herrscht nun so ein süßer Friede in mir und mit allem, was um mich ist, daß ich wünsche, es bliebe ewig so! – Ist mir es doch, als liebte ich Euch alle mehr, seit ich Hartmann kenne.

Den 6. Februar.

Morgens nach zehn. Mein Stolzchen, wie soll ich es Ihnen sagen – mein Herz ist gepreßt! meiner Seele ist so ängstlich zumute – mein seliger Zustand, meine Stunden der Freude sind dahin! Diesen Morgen bei meinem Erwachen erhielt ich von meinem Herrn einen sehr artigen Brief; er schrieb mir, daß Geschäfte ihn noch einige Tage in Annenhof zurückhalten würden, unterdessen bäte er mich, meine Gesellschaft recht herzlich von ihm zu grüßen und diese bis zu seiner Nachhausekunft in Neuenburg zurückzuhalten. In Unschuld meiner Seele teilte ich diesen Brief unserm Lieven sogleich mit und war dabei fröhlich und guter Dinge. Mein vorsichtiger Freund las diesen Brief und las ihn wieder und sagte: »Wenn ich Ihnen was zu raten habe, so bestimmen Sie Hartmann dazu, daß er Neuenburg je eher je lieber verläßt, sonst werden Sie bei Ihrer Großmutter darüber noch mehr auszubaden bekommen, als über Ihren Hang zum Lesen und darüber, daß Sie nach Ihrer Hochzeit am Hof gewesen sind.« Stolzchen, diese Rede meines rechtschaffnen Freundes durchdrang mein Herz! ich konnte mich der Tränen nicht enthalten und fühlte, daß er Recht hatte! – Gott! warum ist Recke in seinen Freundlichkeiten gefährlicher, als in seinen Neckereien!

Meine Doris bestärkte mich mit blutendem Herzen in dem Vorsatze, Hartmann zu bewegen, uns heute noch zu verlassen. Da ich hier aber nicht über Equipage zu gebieten habe, so wurde es zwischen mir und Dortchen beschlossen, daß wir Fritzchen bitten würden, Hartmann in seinem kleinen Schlitten nach Altautz zu fahren. Mama wird sich über diesen Gast gewiß freuen, und so macht es auch hier das wenigste Aufsehn, wenn Hartmann uns so schnell verläßt.

Ich gab Hartmann den Brief meines Herrn, er las ihn und sagte: »Schreiben Sie Ihrem Gemahle, daß ich seiner Einladung mit Vergnügen folge und ihn recht herzlich erwarten werde.« Ich fragte nicht ohne Bewegung: »Hartmann, sind Sie mein Freund?« – »Gott! welche Frage!« – »Nun, so verlassen Sie heute noch Neuenburg – reisen Sie mit meinem Bruder nach Altautz; bei meinen Eltern, bei meinem Geschwister werden Sie willkommen sein! Forschen Sie nicht, warum ich diese Bitte tue, und sagen Sie es niemand, daß ich diese Bitte tat.« – Mein Herz wurde krampfhaft zerrissen, so lange ich dies sprach, aber meine Augen blieben trocken! – Hartmann wurde totenbleich, blieb eine Weile stumm, auch ich vermochte nichts zu sprechen, und sein Blick durchdrang das Innere meiner Seele – mir entfielen da einige Tränen, er bewegte die Lippen, vermochte aber nichts hervorzubringen, griff nach meinen beiden Händen, drückte die eine an seine Lippen, die andere an sein pochendes Herz, dann sah er mich wieder an und sagte: »Himmlische Erscheinung! – Dein Wille soll befolgt werden! Aber aus Barmherzigkeit, verlassen Sie mich jetzt!« – Er hielt die beiden Hände vor sein Gesicht, und ich lief mit zerrissenem Herzen oben auf die Treppe der Turmkammer hinauf, kniete an der Schwelle der Türe, betete zu Gott, aber ich weiß nicht was. Mein Herz fühlte sich dennoch gestärkt, und nun ging ich zu Hartmann, der sich auf seine beiden Arme gestützt hatte, sich mit einem ganz glühenden Gesicht zu mir wandte und mir ohngefähr folgendes sagte: »Die seligsten Stunden meines Lebens genoß ich an Ihrer Seite! – ich werde Sie fliehn! und Ihr Bild soll mir, wo ich bin, Kraft zur Tugend verleihn, und noch im Tode soll es meine Seligkeit erhöhen! Nie sieht Neuenburg mich wieder, ich aber sehe Sie unaufhörlich! – Niemand soll es erraten, daß ich Sie fliehe und dennoch mit Ihnen lebe. Sie selbst sollen dies nie hören. Die Achtung, die Freundschaft Ihres Gemahls will ich suchen, wenn er ohne Sie in Mitau ist. Sie sollen, wenn Sie es fordern, nicht einmal Briefe von mir erhalten. Jetzt können Sie auch die Briefe, die mein Herz an Sie schreibt, nicht mehr entgegennehmen! Mit Menschen nicht, nur mit Gott will ich von Ihnen sprechen. Bin ich so Ihrer Freundschaft wert? – und wird mein Andenken auch in Ihrer Seele leben?« Ich sagte: ja! Er wiederholte dies Ja, wollte meine Hände an seine Lippen drücken, ließ sie aber fahren und sagte: »Nein! liebe Heilige! – selbst deine Hände sollen von meinen Lippen nicht berührt werden: aber dein ganzes Wesen, jeder Zug, jede Miene, alles – alles ist meiner Seele einverleibt. Ich werde jetzt auf ein Stündchen in mein Zimmer gehn, ich muß allein bleiben. Bestimmen Sie, wann und wie ich fahren soll.« Mit diesen Worten verließ er mich, ich eilte in mein Zimmer, bat Fritzchen und Dortchen, mich allein zu lassen.

Leben Sie wohl! – noch atmet er unter diesem Dache – aber nie sehe ich ihn mehr hier. Verbrennen Sie diesen Brief!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 6. Febr. 1775.

Er und mein Fritz sind fort! – Das Herz und der Kopf sind mir gleich schwer! – welch ein heftiges Schneegestöber haben die lieben Reisenden! – Erst gegen halb zwölf kam Hartmann wieder, Pastor Witt begleitete ihn, er sagte ganz traurig: »Wir verlieren unsern Freund sehr unerwartet!« – Am Tisch wollte Hartmann zwischen mir und Friedrikchen sitzen, mit dieser hatte er allerhand Spaß. Nach der Tafel bat er mich, noch ein paar Worte mit ihm allein zu sprechen. Er sah mich mit einem Blick an, der meine ganze Seele erschütterte, dann sagte er: »Noch einmal will ich mir meine Augen durch Ihren Anblick heiligen! und nun! vergessen Sie, was ich Ihnen diesen Morgen sagte, ich aber werde mein Gelübde nie vergessen, und sagen Sie sich in Ansehung meiner nur dies, daß ich Ihrer Freundschaft und Ihres Vertrauens nie unwert werden kann.« Nachher nahm Hartmann von allen kurz Abschied und nahm alle Herzen mit sich.

 

Den 7. Februar.

Heute früh traf Recke hier ein, aber ach Gott! wie verdrießlich war er wieder! – Ich hatte es mir vorgesetzt, heiter und freundlich gegen ihn zu sein und mich über nichts, was er auch sagen könnte, innerlich zu härmen, auch blieb ich meinem Vorsatze treu. Er war bitterböse, daß Hartmann fort war, und sagte, einen solchen Narrenstreich würde er gewiß nicht getan haben, wenn er nicht dazu wäre verleitet worden. – Eben kömmt der Altautzsche Bote! – Dank! tausend Dank, liebe Freudengeberin! Das dachte ich wohl, daß er Euch allen gefallen würde! Daß er aber unpäßlich und traurig ist, dies tut mir in der Seele wehe. Mein Herr nahm Hartmanns Brief sehr freundlich auf, nur sagte er: »Wenn die Frau Stiefmama nur nicht dem guten Jungen den Kopf verdreht.«

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 6. März 1775.

Nun, mein Stolzchen! Der Wunsch unsres Martinis und der Ihrige ist erfüllt! Ich habe mit meinem Herrn über sein zunehmend unfreundliches Wesen gegen mich gesprochen. Aber mein Herr, dieser gebietende Gefährte meines Lebens, wollte mich zuerst mit Hohn und Spott abführen und erklärte sich am Ende sehr ernsthaft, daß, wenn ich denn die wahre Ursache seines Mißvergnügens wissen wolle, so könne er mir es sagen, daß es einzig nur Reue der Torheit sei, mich geheiratet zu haben. Ich wäre nur zu sicher durch einen bessern Mann, als er ist, glücklicher geworden, und er würde nicht durch das Gefühl gedrückt sein, mit einer Frau leben zu müssen, wider die er durchaus keine Klage, als die, habe, daß sie ganz und gar nicht für ihn paßt und auch in Ewigkeit nicht für ihn passen wird.

Ich habe unsern Martini gebeten, dir, mein Stolzchen, meinen Brief an ihn mitzuteilen, denn obzwar mein Herz ruhig ist, so könnte ich dennoch nicht mein Gespräch mit meinem Herrn noch einmal niederschreiben, ohne dabei mehr Tränen zu vergießen, als mein Beistand mir es erlaubt. Meinen Eltern sagen Sie, liebe Teure, nichts von alle dem, ich habe Mut, alles still zu dulden, und will durchaus die Bande nicht aufgelöst sehn, durch die ich für diese Welt in Fesseln geschmiedet bin. Der Welt und meiner Friederike will ich es, so lange als möglich, zu verbergen suchen, wie ihr Vater sich gegen ihre Mutter betrug; vielleicht vergißt Recke es ganz, daß ich seine Frau bin, dann werde ich mich auch nicht mehr unglücklich fühlen, und so werden nur Sie, Fritzchen, Martini und ich die wahre Lage meines Schicksals kennen; der Welt, meinen Eltern und meinen Verwandten werde ich es aber zu überreden suchen, daß ich mit dem Vater meines Kindes recht glücklich lebe. – Mein Herz schlägt jetzt ruhiger, da es so ganz ohne meine Schuld von Recke aufs tiefste verwundet ist. Nun ich alle Hoffnung zur glücklichen Ehe aufgegeben habe und meine Ehe nicht mehr als Ehe betrachte, nun habe ich es mir versprochen, daß mich jetzt nichts – gar nichts mehr von meinem Herrn schmerzen soll. An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 8. April 1775.

Mein Gebrauch, liebes Stolzchen, tut mir sehr wohl, fast mit jedem Tage wird meine Farbe besser, und der Krampfzufall, der Euch allen Sorge macht, der ist jetzt viel schwächer. Der gute Papa Lieb sagte heute hocherfreut, jetzt sei er es gewiß, daß ich in keine Abzehrung verfallen würde. Großmama ist äußerst liebreich gegen mich und in der Seele froh, daß mein Herr alle Posttage und mit jeder Gelegenheit so lange und zärtliche Briefe an mich schreibt. Sie hebt alle diese Briefe auf, um sie meinen Mutterfreunden zu zeigen und so die Verleumdung zu schanden zu machen, die es zu sagen wagt, daß mein Mann sich aus mir nichts mache. Diese Briefe, mein Stolzchen, sind ein feines Gewebe der List und Heuchelei. Für mich sind in diesen Briefen hin und wieder Brocken gestreut, die mein Herz verwunden könnten, wenn ich jetzt vor dieses Herz nicht Stahl gesetzt hätte. Mein Mann, der Gefährte meines Lebens, konnte mich kränken, aber mein Vormund Sie hatte in einem früheren Briefe geäußert, sie werde künftig ihren Mann nur noch als ihren Vormund, im übrigen aber als einen »ihr fremden Gegenstand« ansehen. C. – von dem geht mir nichts zu Herzen. Hartmann hat mich, wie ich es erwartete, noch nicht besucht. Aber vorgestern auf der Assemblée bei Minister Simolin sahen wir diesen Freund. Mein Stolzchen, wir sahen ihn mehr, als daß wir ihn sprachen! nur einmal trat er zu mir und fragte, wie ich mich befinde, und sprach von Altautz; mit Dortchen sprach er mehr. Die Simolin, die sehr viel von ihm hält, rief ihn, da ich bei ihr auf dem Sofa saß, zu uns, und wollte ihn über Physiognomik in Gespräch verwickeln, er aber antwortete nur kurz und entschuldigte sich mit Kopfschmerzen; die Ministerin sagte: »Mein Gott, Hartmann, was ist Ihnen? Sind Sie verliebt? Seit Sie aus Altautz zurück sind, da haben Sie immer Kopfschmerzen, sind immer zerstreut, dort ist eine hübsch schwarzäugige Demoiselle Stoltz, hat diese Ihr Herz entführt?« Hartmann antwortete: »Entführt hat sie mein Herz nicht, aber auf immer hat dies edle Mädchen mein Herz an sich gezogen, weil gleiche Neigungen uns verbinden.« Er sah mich mit einem Blicke an, in dem seine schöne Seele sich malte, aber ich sah ihn nicht lange an, ich schlug die Augen gleich nieder. Als ich meine Augen wieder aufschlug, da begegnete mir sein Blick. Ehe wir von Simolins wegfuhren, faßte ich das Herz und trat zu Hartmann, und da bat ich ihn, für seine Gesundheit zu sorgen und sie als das Eigentum seiner Freunde zu verpflegen. Er antwortete: »Ich bin gesund, ich bin glücklich, denn ich sehe SIE – wenn auch meine Augen Sie nicht sehn, und dies Bild, welches ich beständig in meiner Seele umhertrage, gibt mir die Kraft, Sie zu fliehn und Ihrer würdig zu handeln.« Leben Sie recht wohl und grüßen Sie Fritzchen und Parthey. Friedrich Parthey, ursprünglich Leineweber zu Frankenberg i. Sa., wurde später Musiker und kam 1774 dreißigjährig als Musiklehrer nach Altautz. Er begleitete 1777 Elisas Bruder Fritz, mit dem eine innige Freundschaft ihn verband, als Hofmeister nach Straßburg. Elisa stand bis zu seinem Tode 1822 in ständigem Freundschaftsverkehr mit ihm. C.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 19. April 1775.

Die Briefe meines Herrn sind so zärtlich, daß, wenn ich nicht schon so oft in meinen Erwartungen wäre getäuscht worden, ich doch glauben würde, daß er mich liebt. Zwar sind hin und wieder in einem zärtlichen Gewande hämische Wendungen angebracht, durch die er Großmama gegen mich aufbringt. Bei seiner Freude über die guten Nachrichten meiner zunehmenden Gesundheit bittet er mich, dies höchste Gut zu schonen und wenigstens um meiner Friedrike willen alle Gesundheitsregeln zu befolgen. Denn für sich habe er nicht den stolzen Gedanken, zu glauben, daß mir das Leben auch um seinetwillen lieb sei. Er wisse es, daß bei meiner Reinheit der Seele der Tod mich gewiß zu höherer Glückseligkeit führen würde. Aber trostlos würde sein Leben verfließen, wenn ich früher, als er, stürbe. Er müsse es gestehn, sein Herz wäre oft verwundet worden, wenn er mich auf meinen Spaziergängen auf dem Kirchhofe fröhlicher, als im Schlosse an seiner Seite gesehen hätte. Er bäte mich, diesen Frühling solche melancholische Spaziergänge zu vermeiden. Auch glaube er, daß ich meine Gesundheit durch das Nachtlesen und -schreiben so geschwächt habe. Hätte er nicht einen solchen Widerwillen gegen alle wirtschaftlichen Geschäfte bei mir bemerkt, dann würde er so dreiste sein, mir diese als angenehme Zerstreuung und Mittel zur Genesung vorzuschlagen, jetzt aber bliebe ihm nichts übrig, als Gott zu bitten, daß ich die Gesundheit, die ich entfernt von ihm und seinem Hause erlangt habe, nun in Neuenburg nicht wieder verlieren möge. Die innigsten, die zärtlichsten Ausdrücke der Liebe sind fast in jeder Zeile, so daß sogar meine gute Doris Lieven nun selbst zu glauben anfängt, ich sei zur Glückseligkeit dieses sonderbaren Mannes notwendig.

Gott, wie hätte er mein Herz an sich ziehen können, wenn er das letztemal, da ich mit ihm sprach, sich so gegen mich, als jetzt in seinen Briefen, erklärt hätte! Aber nein! – durch beißenden Spott und bittre Gleichgültigkeit verwundete er mein Herz und entfernte es von sich! –

Das einzige, was meine Eltern und meine Großmutter bisweilen gegen ihn erbittert, das sind seine Mätressen. Für das, was mich kränkt, da haben sie alle keinen Sinn. – Sie kommt nun auf das Gespräch zurück, das sie mit ihrem Vater über die häufige Untreue ihres Mannes geführt hat. Noch immer war Recke abhängig von Frauenspersonen seines Hofes. Während die Familie, wie schon oben angedeutet worden ist, hierin eine Änderung wünschte, zeigte sie selbst sich dabei gleichgültiger. Sie wollte, daß sich das Wesen ihres Mannes gegen sie selbst ändere, und hoffte gewiß, daß jene Störungen des ehelichen Friedens dann von selbst wegfallen würden. Ihr Vater beklagte diese ihre Haltung und betonte sehr richtig, daß ihr Mann, wenn sie ihm ihre Mißbilligung zu erkennen gebe, darin einen deutlichen Beweis ihrer Liebe sehen und sich ändern werde.

 

Hier, mein Stolzchen, bat ich Papa – falls Recke ihm den Auftrag gegeben habe, ihn bei mir zu entschuldigen – ihm in meinem Namen zu sagen, daß, falls es sich mit seinen Grundsätzen und seinem Gewissen vertrüge, so könne er es in dieser Beziehung ganz halten, wie er es wolle, und ich würde keinen unangenehmen Augenblick dabei haben, ja, ich würde sogar an seine Liebe zu mir glauben, wenn er mich nur nicht durch unsägliche Neckereien im Hause und durch allerlei Stichelreden kränken wolle. Die Tränen meines guten Vaters bei dieser meiner Antwort durchdrangen meine Seele, und es tat mir bitter wehe, daß ich meinem guten Vater so viel gesagt hatte. Der liebe Mann erwiderte: »Ach! liebe, liebe Lotte! Deine Gleichgültigkeit über die Mätressen deines Mannes kränkt mich und wird ihn bitter kränken, wenn du sie ihm äußerst. Ein Mann sieht seine Frau lieber über seine Untreue aufgebracht, als mit dieser zufrieden.«

Liebes Stolzchen! was sind die Männer für sonderbare Geschöpfe, wenn Papa in dem, was er sagt, recht hat! – Bei Gott! ich könnte keinen Mann lieben, der etwas tut, das er will, daß mich ärgern soll. Und wie können Männer so sonderbar sein, daß sie Liebe fordern, wenn sie nicht zu lieben wissen? – Ist denn die Ehe bloß zur Plage für die Weiber ein Gesetz? – Wenn alle Männer so sind und alle Weiber, wie ich, dächten, dann würde die Welt bald aussterben.

Doch ich kehre wieder zu Reckes Briefen zurück. Diese hebt Großmama als Dokumente dessen auf, daß ich von meinem Manne unsäglich geliebt werde. Auch habe ich von Großmama eine bittre Epistel über mein närrisches Betragen hören müssen, und sie findet es unbegreiflich, wie ich einen so vortrefflichen Mann durch solche Torheiten kränken könne. Die erste Pflicht einer Frau sei die, ihrem Manne Glauben an ihre Liebe zu ihm einzuflößen, aber meine verfluchten Bücher, die wären mir gewiß lieber, als mein vortrefflicher Mann. Aus diesen Teufelsbüchern hätte ich auch wohl die verrückte Idee geholt, mich auf dem Kirchhofe umherzuschleppen. Ich schwieg zu allem, was Großmama sagte, denn was hätte ich entgegensetzen können? Die gute Frau versteht den Gang meiner Seele ebensowenig, als sie vermögend ist, das seine Gewebe der Heuchelei meines Herrn zu entwickeln. Wenn jetzt schon ein Bote aus Neuenburg oder ein Posttag kömmt, dann wird mein Herz ängstlich zusammengepreßt – Großmama bemächtiget sich sogleich aller Briefe, denn sie glaubt, das Recht zu haben, alle Briefe an ihre Kinder und Großkinder zu erbrechen. Vergessen Sie, liebe Seele, also nicht, Ihre Briefe nicht an mich, sondern an Dortchen Lieven zu adressieren.

Eben wollte ich mich ankleiden, da wurde ich durch Hartmanns Besuch überrascht! mein Blick muß ihm mein Erstaunen gesagt haben, und er sagte: »Ich mußte Ihnen, Beste, neugieriger Forscher wegen einen Besuch machen, um sagen zu können, ich habe Ihnen meine Aufwartung gemacht. Aber ich werde mich gleich wieder hinwegbegeben. Gottlob! Gottlob, daß Sie so wohl aussehn!« – Stolzchen, es liegt doch eine eigne Freude darin, ein gutes, edles, liebes Menschenantlitz anzusehn! – Wir sahn uns beide eine lange – lange Weile an, und konnten nicht sprechen, und mir war so wohl! Endlich kam Dortchen Lieven, die freute sich gar sehr, Hartmann bei uns zu sehn, und da konnten wir sprechen. Dortchen bat Hartmann, den Mittag bei Großmama zu speisen, denn wir haben beide die Erlaubnis, Gäste zu bitten; ich aber bat unsern Freund, uns bald zu verlassen und, so lange wir hier sind, weder Mittag noch Abend bei Großmama zuzubringen. Ich habe schon darüber Lärm, daß ich gerne lese; wenn sie noch gar sähe, daß ein Autor mein Freund ist, dann wäre noch mehr Lärm. Hartmann verließ uns also nach einem kurzen Besuche. Er sagte mir, er habe den Vorsatz gehabt, nun ich nicht in Neuenburg bin, Recke daselbst zu besuchen, aber er habe sich zu schwach gefühlt, sich die Seelentortur anzulegen, einen Ort wiederzusehen, in welchem er mich nie mehr sprechen würde.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 29. April 1775.

Nun, mein Stolzchen, ist auch das letzte Fünkchen Hoffnung, daß Recke mich liebt, in mir erlöscht, und nun ist mein Vorsatz unwankend, ihn nie mehr als meinen Gatten zu betrachten! – Seine Briefe an mich waren nichts als niedere Heuchelei, durch die er mich bei Großmama anschwärzen wollte. Er empfing mich mit der kältesten Verachtung, so daß meine Doris sich der Tränen nicht enthalten konnte, und daß nun auch diese sanfte Seele vor solch einem Grade der Heuchelei zurückbebt. Alle die schönen Hoffnungen, die dies holde Mädchen sich machte, denen auch ich töricht genug war, noch in meinem Herzen Raum zu geben, die sind nun auf ewig dahin! – Ist es doch, als ärgerte sich Recke darüber, mich munter und gesund zu sehen. Ich werde jetzt nichts als Mutter sein und meine Gesundheit für Friedrikchen zu erhalten suchen.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 11. Juni 1775.

Die Aussicht, daß ich auch den Trost Ihres Umganges verlieren soll und daß Mama uns trennen will, um mich dazu zu bestimmen, daß ich mich meinem Manne wieder nähere, hat mir bittre Tränen gekostet, ehe meine Seele sich durch den Gedanken stärkte, daß unsre Leiden wohltätige Erzieher zur Tugend sind, falls wir diese gehörig benutzen. Ich weiß wirklich wenig Dinge, die mein Herz so kränken würden, als wenn Sie, Vertraute meiner Seele, das Haus meiner Eltern verlassen müßten. Man kann uns voneinander entfernen, aber trennen, mein Stolzchen, trennen kann man uns nicht! Wir lieben uns einmal, und dies Gefühl wird uns eine Ewigkeit hindurch beglücken.

Der Gedanke, daß Gott unser Schicksal mit weiser Güte lenkt und uns durch dies, wenn wir es gehörig benutzen, zur Tugend und zum wahren Glücke erzieht, der ist seit einiger Zeit so lebendig in mir, daß ich, durch diesen Gedanken gestärkt, jeder Zukunft getrost entgegensehe. Mögen sich um mich her auch noch so viele Wolken sammeln, ich werde nun den Mut nicht verlieren und im Vertrauen auf Gott alles ruhig erwarten und jeden Schlag des Schicksals geduldig ertragen. Ich werde heute noch an beide meine Eltern schreiben und sie darüber zu beruhigen suchen, daß zwischen mir und meinem Herrn gewiß keine öffentliche Trennung vorgehen wird, falls weder sie noch meine Verwandten sich in die Angelegenheiten unsrer Ehe mischen. Diese Hoffnung ist, seit ich aus Altautz zurück bin, noch mehr bei mir befestigt worden. Mein Herr hat sich nun in seinem neuen Zimmer abgesondert. Er kündigte mir diese Nachricht so freundlich, so fröhlich an, daß ich nun die feste Hoffnung habe, daß sein und mein Wunsch übereinstimmen. Durch diese Veränderung der Zimmer, die mein Herr ohne meine Veranlassung getroffen hat, da haben wir ja beide stillschweigend einen Akkord getroffen, durch den meine Eltern nun gesichert sind, daß ich nicht in die Verlegenheit kommen werde, mich öffentlich vom Vater meines Kindes zu trennen. Im übrigen kann mein Herr mich nun noch so sehr einschränken, mich necken und von meinen Verwandten necken lassen, ich werde alles still dulden, so lange er keine Pflicht von mir fordert, von der ich nun durch sein Betragen gegen mich entbunden bin. Ich habe meine Eltern mit aller zärtlicher Ehrerbietung gebeten, sich nicht an Großmama zu wenden, weil auch sie nicht vermögend ist, meinen Entschluß zu ändern, und nichts als ein anhaltend liebreiches Betragen meines Mannes gegen mich könne mich dahin vermögen, nun aufs neue Mutter zu werden. Da nur meine Eltern diesen meinen Entschluß kennen, so haben sie nichts zu fürchten, weil ich hoffen darf, daß alles in jetziger Lage bleiben wird; sollte aber Großmama meinen Vorsatz ahnen, so würde sie Recke ermuntern, Pflichten von mir zu fordern, auf die er kein Recht mehr hat, und dann wäre eine Trennung unausbleiblich. – Auf unsrer Rückreise von Altautz warf der Wagen einzig nur durch Schuld des Kutschers um. Doch dem Himmel sei es gedankt, keiner nahm Schaden.

Jetzt erst, da Großmama mich gesund glaubt, und da Tanten und Onkeln die Briefe meines Herrn gelesen haben, die er nach Mitau an mich schrieb, jetzt muß ich den Unwillen dieser guten Frau recht drückend fühlen. Sie schreibt mir, daß es Gott nicht genug zu klagen sei, daß die Bücher mir den Kopf so verrückt hätten, daß ich die Plage eines so vortrefflichen Mannes sei und tausend Narrheiten im Kopfe hätte, die mich dessen unwert machen, ihr Kind zu heißen. Ich weiß, daß diese gute, mißleitete Frau mich liebt, und ich liebe sie, auch wenn ich von ihr geplagt werde.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 7. Juli 1775.

Gottlob! nun bin ich wieder zu Hause. Mein diesmaliger Aufenthalt in Mitau war mir peinlich! wenn schon die ganze Familie bei Großmama versammelt ist, dann ist eine Hetze unter ihnen, so, daß dem, der nicht wie sie denkt, die Haare zu Berge stehn. Doch durch meinen guten Onkel aus Nerft hat die Roppen diesmal nicht ihr Wesen treiben können, und Großmama war wieder recht gütig gegen mich. Mein Onkel aus Nerft hält viel von Hartmann, und da mußte dieser beinahe täglich bei Großmama speisen.

Sie, liebes Stolzchen, erinnern sich der interessanten Physiognomie des Fremden, den wir im Konzert bei Wessel sahen und der uns beiden und Hartmann so wohl gefiel. Sie erinnern sich auch dessen, daß Fritz Medem darüber hämische Bemerkungen machte, daß dieser Fremde mich oft angesehn und daß ich rot geworden bin, als unsre Blicke sich begegneten. Hartmann fand im ganzen Wesen dieses Fremden so viel Interessantes, daß er bei Großmama wieder vom schönen Anstande und edlen Ausdrucke des Gesichtes dieses Fremden sprach, den niemand kannte und aus welchem Medem einen rigaischen Kaufmannsburschen machen wollte. Hartmann sagte, die feinen und edlen Manieren dieses Fremdlinges hätten einen Mann von feinem Tone der Welt und ausgebildetem Geiste verraten. Nun sagte Medem, ob dies auch seinen Weltton verriete, daß dieser Laffe mich so angegafft hätte, bis ich endlich rot geworden wäre. Hartmann erwiderte: »Der Blick dieses Fremden war so bescheiden, wie sein ganzes Wesen; und zog Frau von der Recke seine Blicke an, so beweist dies, daß er einen eben so guten Geschmack hat, als Sie, lieber Medem, haben; denn auch Ihre Blicke verweilten unaufhörlich auf der Gestalt unsrer edlen Freundin, und einem Fremden kann man es weniger, als einem Freunde, verdenken, wenn dessen Blicke in einer öffentlichen Versammlung oft auf einem schönen Gegenstand verweilen, der so die Aufmerksamkeit eines jeden Menschen fesselt.« Als Hartmann mit Medem sprach, stand Hartmann so, daß er mich nicht sehen konnte, Medem war aber so undelikat, überlaut zu mir zu sagen: »Nun, gnädige Frau, da haben Sie ja das laute Geständnis, daß unser Philosoph durch Ihre Reize gefesselt ist.« Ich ward vor Unwillen blutrot, und Hartmann sagte, indem er zu mir trat, mit vieler Bescheidenheit: »Sie, Gnädigste, trauen mir es gewiß zu, daß ich es nicht wußte, daß Sie hier sind, denn sonst hätte ich dem Gespräche früher ein Ende gemacht.« Indem er dies sagte, zog er sein Schnupftuch hervor, und ihm fiel ein Brief aus der Tasche, Medem bemächtigte sich seiner beiden Hände, und mit der andern wollte er das Papier aufheben. Hartmann sagte zu mir: »Um Gottes willen, nehmen Sie, meine Gnädige, dies Papier in Ihren Schutz.« Ich hob das Papier schnell auf und steckte es in meine Tasche. Großmama erwachte von ihrem Mittagsschlafe, und ihre imposante Gegenwart machte, daß weder über den Brief, den ich in meiner Tasche hatte, noch über den Fremden gesprochen wurde.

Des andern Morgens besuchte Hartmann mich wider mein Vermuten auf meinem Zimmer, er bemerkte mein Erstaunen und sagte: »Verzeihen Sie diese Dreistigkeit, aber nur einige Augenblicke muß ich Sie allein sprechen, um von Ihnen nicht verkannt zu werden. Der Zufall brachte gestern einen Brief an Sie in Ihre Hände, der bei Gott mit dem Gedanken geschrieben war, daß Sie ihn nie sehen würden.« – »Ich habe auch diesen Brief wirklich nicht angesehn, und Sie erhalten ihn so wieder, wie er in meine Hände kam. Können Sie mir aber dies Rätsel erklären, wie ein Brief, der an mich geschrieben ist, nicht für mich geschrieben sein sollte?« – »Liebste, teuerste, mir heilige Freundin! Jetzt wünschte ich, Ihnen nichts gesagt zu haben! Doch um nicht mißverstanden zu werden, muß ich Ihnen eine Schwärmerei gestehn, die mich beseligt und niemand Schaden bringt. Seit ich mir in Neuenburg das Gesetz gab, Sie zu fliehen, lebte ich dennoch immer fort mit Ihnen. Ihr Bild war und ist seitdem von meiner Existenz unzertrennlich, es wurde mir Bedürfnis, über alles, was mich betraf, zu Ihnen zu sprechen; mit Ihnen weder im Umgange, noch in Briefen so zu sprechen, wie mein Herz es mir gebot, dies erlaubten meine Grundsätze und meine heilige Ehrfurcht für Sie mir nicht. Ich wählte also das Mittel, täglich an Sie so recht aus der Fülle meines Herzens zu schreiben. Alle Sonntage und Donnerstage versiegelte ich, was ich geschrieben hatte, und wenn ich meine andern Briefe zur Post schickte, dann verschloß ich dies Paket in meine Schatulle, und diese süße Täuschung – als könnte meine Seele sich ganz in die Ihrige durch Briefe ergießen, – die tat meinem Herzen wohl. Alle Monate durchlas ich diesen meinen stillen, einseitigen Umgang mit Ihnen, siegelte jeden Monat alle in der Art an Sie geschriebenen Briefe wieder ein und genoß so eine stille Freude, die Keiner vielleicht mir nachfühlen wird. Das Blatt, welches gestern in Ihre Hände fiel, ist ein solcher an Sie angefangener Brief. Mir schien es nicht ganz unmöglich, daß Sie das Blatt, wenn Sie es angesehn und gefunden hätten, daß es an Sie gerichtet ist, vielleicht gelesen haben würden, und so mußte ich Ihnen dies zu meiner Rechtfertigung sagen.« – Ich gab unserm Freunde das Blatt zitternd wieder und konnte ihm mit Wahrheit versichern, daß ich kein Wort gelesen habe. Der Edle sah mich mit einem Blick an, den ich nicht zu vergessen vermag, und sagte: »Edles, erhabenes Wesen! – Sie verändern Ihre Farbe, Sie zittern! – Bei Gott, dies Blatt enthält nichts, was Ihrer unwert ist! mein Gefühl für Sie ist so rein, so lauter, als das Gefühl für den Urheber meines Daseins! – lesen Sie – lesen Sie diese Zeilen, um sich von der Lauterkeit meiner Empfindungen zu überzeugen und geben Sie sie mir dann wieder.« – »Ich glaube, was Sie mir sagen, aber – ich lese diesen Brief nicht, ich brauche ihn nicht zu lesen, um mich von der Lauterkeit Ihrer Freundschaft zu überzeugen. – Verlassen Sie mich aber jetzt und speisen Sie diesen Mittag nicht hier, ich werde Sie bei meinem Onkel entschuldigen, oder besser, gehn Sie gleich zu ihm und entschuldigen Sie sich. Glauben Sie aber fest, daß meine zärtliche Freundschaft Ihr unwandelbares Eigentum ist, so lange Sie sich wie jetzt betragen.«

Mein Stolzchen! mein Herz war mir bei diesem Gespräche so gepreßt, daß ich mich kaum der Tränen enthalten konnte. Er ging zum Nerftschen, und seit diesem Morgen habe ich Hartmann nur einmal bei Großmutter gesehn, aber wir haben fast gar nicht miteinander gesprochen. Ich weiß nicht, ob meine Einbildungskraft mich täuscht, aber es scheint mir, als herrschte eine tiefe Schwermut über sein ganzes Wesen und als hätte er auch nicht mehr die blühende Farbe der Gesundheit.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 30. Aug. 1775.

Mama hat also wieder mit Liebe meiner gedacht? dies freut mich! – sie fürchtet eine öffentliche Scheidung zwischen mir und meinem Mann? Ganz kann ich dieser Furcht nicht widersprechen, denn ich sehe wenig Wahrscheinlichkeit dazu, daß wir unser Leben miteinander beschließen werden. Das innre Bewußtsein, daß ich an meiner gegenwärtigen Lage mit Recke unschuldig bin, gewährt mir eine Ruhe und Zufriedenheit, die nahe an Glück grenzt. Denn ich habe bei Gott alles mögliche getan, um sein Herz zu gewinnen und das Glück einer friedlichen Ehe zu genießen, aber alles – alles war vergebens. Jetzt ist mir es nicht möglich, aus meinem Gedächtnisse das Bild von alledem hinauszubringen, was ich hier seit meiner Heirat gelitten habe, und Recke braucht es nur ganz zu vergessen, daß ich seine Frau bin, dann soll unter uns keine Trennung stattfinden. Er braucht mich ja nur als Lehrerin seines Kindes in seinem Hause zu dulden, dann will ich es aller Welt sagen, daß ich die glücklichste Ehefrau bin. Doch soll es nicht so bleiben, wie es jetzt ist, dann wähle ich freilich, wenn es nicht anders sein kann, eine Scheidung. Aber selbst dann werde ich es nicht bedauern, daß ich seine Frau wurde. Diese traurigen Tage waren mir Erziehung, und da meine drückende Lage gewissermaßen noch fortdauert, so muß sie mir noch nützlich sein.

Ach, liebe Teure! wie erschrecke ich vor dem Gedanken, daß man jetzt schon auf den Fall einer Scheidung an eine zweite Heirat denken kann! Gott! – Gott! was soll ich da von Mama denken! – ach, unsre Grundsätze stimmen gar nicht überein. Das traurige Bild meiner Ehe ist zu lief in meiner Seele gegründet, als daß ich ohne Entsetzen an eine zweite Heirat denken könnte. So sehr ich meine Eltern liebe, so würden sie mich doch nie zu einer zweiten Heirat bereden können. –

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 12. Sept. 1775.

Mama ist nicht ich, und ich bin nicht sie – sie würde vielleicht nach ihren Grundsätzen glücklich sein, sich, wie sie sagt, keine Lebensfreude versagen und so Recke vielleicht glücklicher machen, als ich ihn mache, weil ich, wie sie sagt, mit schwärmerischer Ängstlichkeit an der Veredelung meiner arbeite. – Es ist nun einmal so, meine Seele hat die Richtung, daß sie sich dann nur glücklich fühlt, wenn mein innrer Richter mir sagt, ich erfülle meine Pflichten aufs strengste. Mama glaubt, die ganze Pflicht einer Frau bestehe einzig nur darin, mit ihrem Manne ein Bett zu teilen, im übrigen dürfe sie sich in nichts nach dem Gefährten ihres Lebens genieren. – Ich hingegen glaube das Gegenteil; mir scheint es pflichtlos, dem sich zu überlassen, der einen auf unsägliche Art kränkt und so unser Herz von sich entfernt; nichts aber entbindet uns von der Pflicht, für die Ruhe und Zufriedenheit dessen zu sorgen, mit dem wir in Verbindung stehn. Der dem Gefährten seines Lebens mit seinem Wissen einen Possen spielt, ihn neckt, der ist strafbar. Ich werde mich also nie dazu herabwürdigen, meinem Herrn einen Possen zu spielen, ich werde mich aber auch zu sehr in Ehren halten, um mich einem Manne preiszugeben, der durch unedle Behandlungen gegen mich mein Herz von sich entfernt hat.

Bin ich durch diese Art zu handeln gegen das Gesetz strafbar, so mag das Gesetz mich strafen – ich werde nicht murren, ich werde selbst dann durch das Bewußtsein froh bleiben, daß Gott, der in das Innre meines Herzens sieht, der jede Triebfeder meiner Handlungen kennt, mit mir zufrieden ist. Unsres Hartmanns Unpäßlichkeit beunruhigt mich; die Aussicht, ihn in Altautz zu sprechen, freut mich. Aber ganz gewiß ist es doch noch nicht, daß ich werde kommen können.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 20. Sept. 1775.

Unser Hartmann ist wahrscheinlich noch in Altautz. Gott! – was das für ein Mann ist! jede seiner Unterredungen hat sich meiner Seele tief eingeprägt! und jedes Gespräch mit ihm macht mir ihn lieber. Warum sind die Verhältnisse nicht so, daß wir uns unsres Umgangs freuen können? Ich wüßte es mir nicht zu erinnern, daß ich noch in meinem Leben so glücklich, als auf unserm Spaziergange nach dem Urdsenwäldchen gewesen wäre. Mama war liebenswürdig heiter! – Partheys und Fritzchens Flöte, Ihr und Dortchens Gesang, Hartmanns seelenvolles Gespräch, dies alles hat mir das Andenken des gestrigen Tages auf immer geheiliget. Wäre Hartmann minder heiter und fröhlich gewesen, dann hätten seine Sterbegedanken mir Sorge gemacht. Aber nun war mir so, als sprach ein Engel Gottes über die Verwandlung unsres Seins! Mein Stolzchen, ich habe den Namen der fünf Sterne vergessen, die ihrer Lage nach den Buchstaben W formieren; wenn Sie diesen Abend wieder im Altautzschen Garten sind und diese Lieblingsgestirne unsres Freundes mit ihm, mit Fritzchen und Parthey ansehn, dann sagen Sie ihm, daß auch meine Blicke auf diesen Gestirnen mit vollem Gedanken an Euch verweilen. Denken Sie sich doch den Ausdruck des Gesichtes, den Ton der Stimme, mit welchem unser Freund uns mit der Lage einiger Gestirne bekannt machte und wie seine hinreißende Beredsamkeit uns das Unermeßliche des Weltalls und die Unendlichkeit unsrer Seele und ihrer edleren Empfindungen ausmalte. Am Ende blieb er bei den fünf Sternen stehn und sagte: »Seht – seht da! ist das nicht ein leibhaftiges W? – Wiedersehn! ewiges Wiedersehn rufen diese Millionen Welten uns zu!« Er hielt unsre beiden Hände an sein stark, pochendes Herz und sagte mit einem mir unvergeßlichen Ausdrucke: »Dort – dort trennt uns kein Schicksal mehr! Hier wollen wir streben, der Seligkeit, die unsrer wartet, wert zu sein!« Stolzchen, warum ist Hartmann nicht auch mein Bruder? – doch dies wäre ein zu reicher Segen Gottes, zwei solche Brüder lieben zu können! Fritzchen Elisas Vollbruder, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Bruder Lisettes. C. hat wirklich im Schwünge seines Geistes viel von Hartmann! – Fritzchen, den darf ich mit reiner Schwesterliche lieben, und Hartmann, den muß ich nur als Freundin ehren! Es ist meinem Herzen so wohl, daß ich Euch, Ihr teuren Lieblinge meiner Seele, noch beieinander weiß! auch meine Seele ist mit ihren Gedanken bei Euch.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Schneppeln, 28. Sept. 1775.

Meine Reise geht glücklicher von statten, als ich es erwartete. Die Verwandten meines Herrn sind äußerst liebreich gegen mich. Mein Schwager spielt um meine Winke, und mein Herr sagt halb mit Wohlgefallen, halb mit Spott, er glaube, sein Bruder sei sterblich verliebt in mich. (Sie kommt nun auf ihre früher geäußerten Besorgnisse über das Verhältnis zu ihrem Gatten zu sprechen.) Auch hoffe ich jetzt, daß keine Trennung unter uns erfolgen und alles stillschweigend auf dem alten Fuße bleiben wird. Kurz – es wird mir nun zu meiner Beruhigung wahrscheinlich, daß Recke sich nicht mehr als verheiratet betrachtet. Zwar betrage ich mich in Ansehung dessen mit äußerster Vorsichtigkeit gegen ihn; so sehr ich mich im übrigen immer noch bemühe, seinen Wünschen zuvorzukommen, so ernst, so zurückhaltend und so achtungsvoll betrage ich mich gegen ihn, sobald ich unser Schlafzimmer betrete. Stolzchen, lachen Sie über mich, aber ich muß es Ihnen gestehn, es ist mein stiller Stolz, daß ich meinem Ehegemahl in dieser Rücksicht solche Achtung eingeflößt habe, daß er – der meinen Vater gebeten hat, mich dahin zu bestimmen, daß ich mich ihm überlasse, es nicht wagt, auch nur mit einer Miene ein Recht zu fordern, dessen er sich durch sein Betragen gegen mich verlustig gemacht hat. Meinen Eltern sagen Sie, liebe Seele, nichts vom Inhalte dieses Briefes; mögen sie sich in dem Gedanken wiegen, daß ihre Wünsche erfüllt sind.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Schneppeln, 30. Sept. 1775.

Eben, liebes Stolzchen, brachte mir mein Schwager das aus Altautz an ihn adressierte Paket. Wie mich der Anblick der Züge so geliebter Hände freute, dies sagt Ihnen gewiß Ihr eignes Herz. Jetzt, liebe Seele, werden Sie, Fritzchen und Martini durch meinen letzten Brief schon einigermaßen beruhigt sein. Ich hoffe, wir werden uns wiedersehn, ohne daß zwischen mir und meinem Herrn eine Erklärung vorfallen wird. Als er sich mir heute in einer Weise nahte, die mir nicht gefiel, sagte ich mit kaltem Ernste, aber ohne Zeichen des Unwillens: »Unter uns, mein Teurer, sind solche Tändeleien überflüssig.« – – – Als ich angekleidet war, schloß er mich wieder in seine Arme und sagte, daß er doch gewiß das schönste Weib habe. Ich sagte mit einem etwas imposanten Tone, mein Stolz sei der und mein Bestreben würde dahin gehen, die treuste Freundin für ihn zu sein, und so nahm ich ihn am Arm, und wir gingen zur Gesellschaft hinüber. Es wurde auf Schneppeln die Hochzeit von Reckes Mündel, eines Fräulein von der Brüggen, gefeiert. C. Mein Schwager und Landrat Taube fanden mich blendend schön, und es schmerzte mich, daß beide meinem Herrn solche Komplimente machten, daß er der Besitzer solcher Reize sei. Ich hatte nicht das Herz, die Augen aufzuschlagen, und alle die Herren fanden zu meinem Ärger, daß ich weit interessanter, als die sehr hübsche Braut sei, und daß, wenn ich nicht eine Tochter hätte, mein schamhafter Blick Recke in den Verdacht bringen könnte, daß ich noch ein unschuldiges Mädchen wäre. Mir war dies Gespräch verdrießlich, mein Schwager wurde durch meinen ernsthaften Blick ganz still, Recke verbarg seine Verlegenheit durch lautes Lachen und sagte, wenigstens müsse man ihn nicht für eifersüchtig halten, weil man mir sogar in seiner Gegenwart die Cour mache. Taube sagte: »Ja, wenn Sie nicht da sind, dann darf man es Ihrer Frau gar nicht sagen, daß sie fast alle Köpfe ganz wider ihren Willen verrückt, sie gibt einem dann selbst mit ihrer Engelsmiene einen so strafenden Blick, daß man tot daliegt und nicht zu sprechen wagt. Da ist der kleine Carl Sacken; sein armes Herz brennt lichterloh, aber er, der sonst so dreiste wie ein Schäferhund ist, er zittert und wagt es gar nicht, seine Gottheit anzuschauen. Wie ein siebenjähriger Knabe steht dieser fröhliche Witzling da, sobald die Recken gegenwärtig ist.« Mein Herr lachte herzlich und sagte, Sacken müßte an der Tafel bei mir sitzen, und er müsse es doch sehn, wie seine Frau ihren Gefangenen behandelt. Ich erwiderte mit vielem Ernste, ich hoffte, daß es mit der Gefangenschaft dieses biedern Mannes nichts zu bedeuten habe, ich hoffte aber auch zugleich, daß jeder, dem an meiner Achtung gelegen sei, keinen solchen Scherz treiben würde, der mir und dem guten Sacken gleich unangenehm sein müsse. Mein Schwager sagte: »Bei meiner Treue, ich kenne kein Weib, das die Männer so in Respekt zu halten weiß, als meine schöne, liebenswürdige Schwiegerin.« Indem trat Sacken in das Zimmer – sein ernster, melancholischer Blick war auffallend – ich sprach ganz ungezwungen von gleichgültigen Dingen mit ihm, machte, daß das Gespräch sogleich allgemein wurde, und entfernte mich gleich darauf, um an Sie, liebe Seele, zu schreiben.

Was Sie mir von unserm Hartmann sagen, beunruhiget mich! – Seine anhaltenden Todesgedanken machen mir innige Sorge! sollten diese Gespräche Vorempfindung dessen sein, daß wir diesen seltenen Freund verlieren werden? Ich kann es mir wohl denken, daß Mama durch seine Bitte, falls er stirbt, im Urdsenwäldchen begraben zu werden, innigst bewegt gewesen sein muß. Daß Sie, liebes Stolzchen, die ganze letzte Nacht, ehe Hartmann Altautz verließ, mit ihm im Garten ausgewesen sind und auf der großen Treppe gesessen und von mir gesprochen haben: dies ist mir nicht ganz unerwartet, da ich Eure innige Anhänglichkeit für mich kenne. Gott weiß es, ich bin in Ansehung Eurer Empfindungen für mich gewiß nicht Eure Schuldnerin, aber Hartmann, so unaussprechlich wert er mir auch ist, so werde ich es dem Edlen doch nie merken lassen, wie sehr sein Bild meine Seele beschäftiget. Ja! wäre er ein Weib, dann könnte ich mich dem süßen Gefühle, seine schöne Seele zu lieben, ganz ohne Rückhalt überlassen. Jetzt aber muß ich – so schuldlos meine Empfindungen für ihn auch sind – ihm diese zu verbergen suchen. Ich habe, weil Sie, liebes Stolzchen, es wünschen, an unsern Freund geschrieben, ich habe aber nicht, wie Sie es wünschen, geschrieben. Daß seine Gesundheit, daß sein Glück mich interessieren, daß ich seine unwandelbare Freundin bin, dies kann ich ihm sagen, aber höchst Unrecht hätte ich, wenn ich es ihm nur ahnen ließe, daß der Wert seines Geistes und Herzens ihn mir nun so interessant gemacht hat, daß der Gedanke an ihn von meiner Existenz unzertrennlich ist. Auch Sie, Freundin meines Herzens, auch Sie werde ich bitten, auf Zukunft mit unserm Freund jedes Gespräch von mir zu vermeiden. – Eben verließ mein Schwager mich – wir haben viel über nichts geschwatzt. Er scheint mich sehr zu lieben. Mit guter Art habe ich es dergestalt eingefädelt, daß er uns Weiber, die wir lange tanzen wollen, zusammen logieren läßt, seinem Bruder aber ein Zimmer für sich einräumt.

Den 20. Oktober.

Gestern und vorgestern sind wir mehr lustig als vergnügt gewesen; es ist sehr viel getanzt worden, Recke tanzt nicht und liebt auch nicht den Tanz; er war also diese beiden Tage sehr verdrießlich, er fuhr mich bisweilen in Gegenwart seines Bruders für nichts und wieder nichts an, machte über mich hämische Anmerkungen und versicherte mir, daß es die letzte Reise sein sollte, die er in meiner Gesellschaft macht, denn das Weibergeschmeiß sei unausstehliche Plage. – Ich schwieg wie gewöhnlich zu solchen Reden.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 29. Okt. 1775.

Ach Stolzchen! Wird unser Hartmann genesen? Mit jedem Posttage erhalte ich schlimmre Nachrichten seines Befindens. Noch heute schreibt mein Herr mir im Ausdrucke des bittersten Schmerzes. Berentheufel habe gesagt, daß ihm keine Hoffnung bleibt, diesen seltenen jungen Mann zu retten! – Sie, Freundin meines Herzens, Sie kennen ihn, Sie wissen es auch, welche lautre Herzlichkeit meine Seele für ihn empfindet! – Gott! – Gott! – warum mußte ich ihn – warum mußte ich die Seligkeit kennen lernen, einer solchen Seele wert zu sein, und gerade dadurch eine Stütze in jeder Tugend zu erlangen! – Ach! Stolzchen! mein Herz ist zerrissen, meine Seele gebeugt! und außer meinem Fritz, meiner Doris und Ihnen, da wage ich es nicht, irgend jemand meine Angst, meine Furcht, meinen Schmerz ahnen zu lassen. Ich muß ein heitres Gesicht zeigen, muß täglich über Hartmanns tötliche Krankheit sprechen hören und darf nicht sprechen, wie mir ums Herz ist. Gott! wie froh wäre ich, wenn auch ich jetzt schwer krank würde! ich brauchte dann nicht die heitre Miene zu äußern, die man sonst an mir gewohnt ist.

Meine gute Doris ist gerade auch in meiner Lage, fest hängt ihre Seele an Hartmann, wie die meinige; ihre gute Mutter, ihr sonst vortrefflicher Vater findet es unbegreiflich, wie man so über die schwere Krankheit eines Bekannten in Sorge sein könne. Daß ein Mann, den man seit so kurzer Zeit kennt, den man so selten gesprochen hat, mehr, als Bekannter, sein könne, dies finden diese guten Menschen ganz unmöglich. Mama Lieven sagte meiner Doris mit einem bittern Vorwurfe: »Mein Kind, was sind das für Tränen? – ich habe dich nicht einmal am Krankenbette deiner Schwiegerin so betrübt, als bei der Nachricht von Hartmanns Krankheit gesehn. Nun was ist? er ist ein blühend junger Mann, er wird wohl wieder gesund werden, und wenn er auch stirbt, so hast du doch keinen Verwandten verloren. Für ein so gescheites Mädchen, da führst du, liebes Kind, dich jetzt recht kindisch auf.« – Ist eine von uns beiden ernst und in Gedanken, dann heißt es: »die beiden klugen Damen denken gewiß an ihren kranken Professor!« – Wie solche Reden mein Herz zerreißen! Ach! Stolzchen! jeder Augenblick, den meine Doris und ich jetzt allein verbringen können, der macht unsern gepreßten Herzen Luft. Unser Pastor Witt, der fühlt unsern Schmerz mit uns! – Gott! wie gegenwärtig ist mir jetzt jedes Wort dieses teuren Sterbenden! Sterbenden? ja, mein Stolzchen! ich habe keine Hoffnung, daß Gott ihn uns erhalten wird! – früh wird er diese schöne Seele zur bessern Seligkeit leiten! Wie schwach, wie eigensüchtig sind wir, wenn wir am Grabe solcher Menschen weinen! und doch! Liebe, Teure, schwer, schwer wird sich, wenn Hartman« stirbt, diese Wunde bis zur Narbe verheilen. Gott! hätte ich es doch nur, als er das letztemal vom Tode, von seinem vielleicht nahen Tode so herzlich sprach, ahnen können, daß der Teure so nahe am Rande des Grabes sei, dann hätte ich es ihm mehr geäußert, wie innig wert er meinem Herzen ist.

Doch nein! so ist es besser! verlieren wir ihn, dann wird er als seliger Geist in meiner Seele lesen, wie wert er mir war und ewig bleiben wird. Und vielleicht werde ich dieser schönen Seele dann noch lieber, da ich ihr selbst die reinste, die zärtlichste Freundschaft nicht ganz zu äußern wagte, weil ich fürchtete, diese heilige Blüte des Geistes könnte in unsrer Lage, wenn wir uns ihrem vollen Genüsse überließen, verunedelt werden. Ach! Stolzchen, gerne gäbe ich einige Jahre meines Lebens hin, oder gerne wollte ich einige Jahre Leiden der Seele und des Körpers erdulden, wenn ich jetzt nur eine Stunde am Krankenbette unsres Freundes sein und seine Hand, die ich noch nie zu drücken wagte, an mein Herz drücken und ihm sagen könnte, daß sein Andenken auch nach seinem Tode in meiner Seele leben und Gutes fortwirken soll. Stolzchen! wird er – muß er denn sterben? Ach, mein Herz sagt es mir – diese zur ewigen Glückseligkeit reife Seele wird von uns abgerufen werden! Und wir, Liebe, wir sollten über seine Glückseligkeit trauern? – Nein! mein Verstand freut sich der künftigen Seligkeit meines Freundes, aber mein Herz – mein Herz, dies trauert über den Verlust, den wir gewiß erleiden werden. – Wäre es nicht möglich, daß Fritzchen unsern Sterbenden besuchte? Warum bin ich kein Mann, oder er kein Weib? – Auch wenn der Teure stirbt, wollen wir uns dennoch freuen, daß wir ihn kannten! Auch wir sterben einst – auch wir schlummern gewiß zum vollkommnem Sein hinüber. Vollkommneres Sein! – so nannte er ja den Tod!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 7. Nov. 1775.

Seit dem 5. November vermehrt unser Freund die Wonne seliger Geister! In der siebenten Morgenstunde ward er uns entrissen. Unzählige Tränen fließen um ihn, aber meine Augen sind trocken! – Mein Herz ist beklemmt, und eine starre Todeskälte durchläuft meine Adern! Mir ist – als liebte ich in diesem Augenblicke nichts in der Welt! und doch Stolzchen! und doch Stolzchen! und doch liebe ich Euch, Ihr Teuern, mir noch Zurückgebliebenen, mehr als das Leben! – Liebe ich denn dies? – um Euretwillen werde ich es lieben lernen! Mein Kopf ist so schwer! – Hartmann sagte: »Tränen sind doch Linderung!« Ich habe jetzt keine Tränen.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 11. Nov. 1775.

Mein Stolzchen! – noch kann ich mich freuen! diese Erfahrung ist mir, seit ich Hartmanns Tod weiß, ganz neu. – Der gute Vietinghof besuchte mich ganz unerwartet. Dieser Schüler, Freund und Verehrer unsres Seligen kommt von dessen Leiche. In den Armen dieses edlen Jünglinges schlummerte der uns Unvergeßliche zum vollkommneren Sein hinüber! Ich saß im Fenster der Turmkammer, auf der Stelle, auf welcher ich den teuren Seligen das letzte Mal gesprochen hatte, ich war allein – und dachte an den, der meine Seele ehrte – ich wiegte mich in dem seligen Traum, daß mich sein Geist umschwebt, als sein Freund, in tiefstem Schmerz versunken, vor mir stand und sagte: »Ich mußte Sie sehen, vielleicht werde ich an Ihrer Seite Tränen und Trost finden! – Diese Hände drückten die Augen eines Freundes zu, der Sie mit heiliger Liebe ehrte! Noch konnte ich keine Tränen vergießen, und doch weint meine Seele! – Ich schützte einen Besuch bei meiner Schwester in Schmucken vor, aber eigentlich komme ich zu Ihnen. Da Hartmann mir in dieser Welt das Liebste war, so kann ich nur an Ihrer Seite Beruhigung finden. Sie wissen es nicht, was wir – was Sie verloren haben! ach! erst in seiner Todesstunde erkannte ich ganz den hohen Wert seiner Seele! Ich liebte, ich ehrte ihn im Leben! aber jetzt!« – Hier schluchzte Vietinghof überlaut, und auch mir entflossen seit Hartmanns Tod die ersten Tränen. Meine Doris kam hinzu, der Schmerz dieser Teuren ist lauter, aber gewiß nicht stärker, als der meinige. – Ich kann Ihnen, liebes Stolzchen, unmöglich alles, was Vietinghof uns sagte, schreiben, denn mein Kopf ist mir so schwer, daß ich ihn nicht aufrecht zu halten vermag.

In seiner Fantasie soll unser Seliger von einem höhern Wesen, das in weiblicher Gestalt als Engel unter Menschen wandelt, gesprochen und gesagt haben, der Name sei ihm zu heilig, als daß er ihn sterblich nennen würde; würde er aber im Chore seliger Geister sein, da wolle er diesen Namen lobpreisen. In guten Stunden hat er Vietinghof gebeten, wenn er fantasiert, so viel als möglich alle Menschen von seinem Bette zu entfernen. Am letzten Abend seines Lebens, da ist sein Kopf ganz frei und er ist ganz heiter gewesen. Er hat mit Vietinghof viel von allen seinen Freunden und von mir gesprochen. Mit himmlischer Beredsamkeit soll er sich über die mehr als wahrscheinlich philosophische Gewißheit unsrer ewigen Fortdauer ausgedrückt haben. Er hat sich nach der Mitternachtsstunde seine Schatulle geben lassen, aus dieser eine Menge von ihm geschriebener Briefe genommen und sie alle verbrannt. Er hat dabei zu Vietinghof gesagt: »Die Gedanken und Empfindungen, die diese Zeilen enthalten, die werden mich ewig beglücken! So ewig meine Seele ist – so ewig sind auch meine Empfindungen für die Einzige.« – Diese Briefe sind alle an mich geschrieben gewesen. Vietinghof hat dem lieben Seligen den Wunsch geäußert, mir diesen Schatz seiner Gedanken übergeben zu können. Da hat er mit erhabenem Lächeln erwidert: auch selbst nach meinem Tode müsse ich es nicht wissen, mit welcher innigen – doch edlen Liebe er mich geheiliget habe. Er hat sich in der letzten Nacht meine Sterbelieder vorlesen lassen, und wenn er mit Vietinghof allein gewesen ist, dann hat er von Altautz gesprochen und den Wunsch, dort begraben zu werden, wiederholt. – Gottlob! daß wir alle sterben müssen! – wir finden uns gewiß einst wieder!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 16. Dez. 1775.

So bin ich dem Grabe entkommen? Der Tod ihres Seelenfreundes Hartmann hatte Elisa aufs Krankenlager geworfen. C. Deine Liebe, deine Pflege, mein Stolzchen, die brachte mich wieder ins Leben zurück! Durch dich, du Liebe, durch meinen guten Bruder und meine Friedrike da soll auch das Leben Interesse für mich haben. Gottlob, daß ich bei Euch in Remten so krank war! – Dein tiefer Schmerz und der Schmerz meines Bruders hauchten mir Liebe zum Leben ein. Ja, ihr Teuren! so viel es in meinen Kräften steht, will ich dafür sorgen, daß der Tod mich Euch nicht entreißt! ich möchte nicht, daß Ihr bei meinem Hintritte das fühlen möchtet, was wir, die wir Hartmanns Seele liebten, jetzt empfinden, da er uns entnommen ist. Der tiefe Schmerz, von dem Mama über den Tod unsres Seligen ergriffen wurde, der tut meinem Herzen wohl, weil ich, durch ihr Beispiel gerechtfertigt, mir auch in ihrem Beisein durch Tränen Luft machen konnte. Auch mein guter Vater ließ sich auf seinem Krankenbette oft Züge des Charakters unsres Seligen von Vietinghof erzählen und mischte dann seine Tränen zu den unsrigen. Ach! Stolzchen! – noch zittre ich für das Leben dieses guten Vaters! schreiben Sie mir doch immer aufrichtig, wie der Teure sich befindet. Vom Fortgange meiner Gesundheit sollen Sie immer treue Rechenschaft haben. Meine gute Doris Lieven und ihre Familie fand ich hier. Diese Freude danke ich meinem Herrn, der Lievens Frauenzimmer gebeten hat, bis ich von meiner gelben Sucht genese, bei uns zu bleiben. Meine gute Doris Lieven ist noch weit kränker, als ich, ich habe mich von meiner gelben Sucht ungleich mehr, als sie, erholt! Kein Wunder! – ich durfte meine Tränen, weil ich bei Euch war, nicht bloß in mir verschließen.

Ich bin jetzt nur bloß zitronengelb, und meine Doris ist noch ganz orangenfarb. Meine Friedrike kannte mich nicht mehr; jetzt gewöhnte sie sich wieder an mich; aber sie bittet mich immer, ich möchte mich und Dortchen abwaschen, denn es sei gar nicht hübsch, wenn man so beschmiert ist. Mein Herr erlaubt sich so manche Spötterei darüber, daß seine feinfühlende Frau und ihre zartgespannte Freundin auch in der Entfernung sogar, an einem Tage von einer Krankheit befallen sind. Er fragte uns scherzend, ob dieser Beweis der Sympathie, die unter uns herrscht, unsre Seelen nicht noch fester aneinander gekettet hat? Dann setzte er lachend hinzu, er glaube gewiß, wenn eine von uns gestorben wäre, so hätte die andre dies auch nachgemacht; so sehr suchten wir einander ähnlich zu sein.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 9. Jan. 1776.

Daß Fritz Medem Zeuge vom unartigen Betragen meines Mannes gewesen ist, schmerzt mich vorzüglich. So sehr ich Lisetten liebe, so unangenehm ist ihr Bruder mir, und doch darf ich dies, um das Herz meiner Lisette zu schonen, nicht äußern. Auch Sie, mein Stolzchen, halten von Medem mehr, als er es verdient. Eine wirklich edle Seele wird nie über das Verdienst eines andern neidisch werden. Wie spricht er über unsern seligen Hartmann; wie sucht er den Geist des von allen geliebten jungen Mannes herabzuwürdigen! Er macht aus Hartmann einen bloßen Schönsprecher und Schwärmer, er nennt ihn den Philosophen der Weiber. Mein Herz wurde mir dabei zerrissen, aber ich durfte nichts sagen, ich schwieg, weil ich nicht zuviel sagen wollte. So, mein Stolzchen, machen auch Sie es mit Mama, wenn sie ihre Unzufriedenheit über mich äußert, weil ich mich in meiner Ehe nicht nach ihrem Sinne betrage. Verteidigen Sie mich nicht, Sie entfernen dadurch bloß das Herz meiner Mutter von sich, ohne mir zu nützen. Bedenken Sie es nur, wie mir wäre, wenn ich Sie aus Altautz verlöre! Der Tod ihres Seelenfreundes Hartmann hatte Elisa aufs Krankenlager geworfen. C.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 10. Februar 1776.

Hier, mein Stolzchen, werde ich von Großmama und meinem Onkel aus Nerft mit Zärtlichkeit überhäuft. Aber keiner weiß sich in meine Empfindungen zu versetzen, und ich werde hier wieder auf eine andre Art, als von meinen Eltern, gequält. Großmama und mein Onkel aus Nerft wollen durchaus, daß ich geschieden werden soll; Großmama sagt, sie wisse es durch Fremde, wie unwürdig Recke sich von Anfang unsrer Ehe bis auf diese Stunde gegen mich betragen habe, und sie würde es nie zugeben, daß ihr Großkind tot gequält würde. Ich sehe aus allem, daß die Oberhofmeisterin und die alte Francken Großmama eingeheizt haben, und da mein Onkel aus Nerft meine selige Mutter immer noch in mir liebt, so unterhält er Großmama in diesen Gesinnungen. Beide sagen, noch sei ich jung und schön, und ich würde, wenn ich frei wäre, gewiß wieder die reichste Heirat im Lande machen. Sie ahnen es nicht, wie sehr sie mich durch solche Projekte und Reden kränken. Großmama wurde sehr böse auf mich, als ich sagte, daß mich nichts dazu vermögen könne, meiner Tochter beim Leben ihres Vaters einen Stiefvater zu geben. Großmama hieß mich eine durch Bücher verrückt gewordene Närrin, aber der Nerftsche besänftigte sie bald und sagte, meiner Empfindung als Mutter sei es zu verzeihen, daß ich Friedrikchen nicht durch eine Ehescheidung um die Neuenburgischen Güter bringen wolle. Recke sei aber durch sein Betragen gegen mich so verrufen, daß ich eher unter zwölf Dutzend Männern wählen könne, ehe er eine Frau bekommen würde. – Großer Gott! wie wenig sympathisiere ich mit den Gesinnungen aller derer, denen ich angehöre.

Bei Großmama ist es, wie gewöhnlich, voll Welt und jetzt voll junger Herren, aus welchen Großmama in ihrem Herzen einen neuen Großschwiegersohn erwählt. Man überhäuft mich mit faden Komplimenten, die nur meine Sehnsucht nach Einsamkeit und Stille in mir vermehren. – Immer noch ist die Trauer über unsres Hartmann Tod hier allgemein. Mir war dabei so wohl und so wehe ums Herz. Sonntag war ich zur Kirche, Stolzchen! wie mein Herz zusammengekrampft wurde, als ich an das Gewölbe Herzog Peter hatte den Verstorbenen dadurch geehrt, daß er eine ansehnliche Summe für ein feierliches Begräbnis anwies. Die Leiche war in der Trinitatiskirche zu Mitau niedergesetzt worden. Nun hatte Hartmann ja immer den Wunsch ausgesprochen, im Altautzer Urdsenwäldchen begraben zu werden. Ja, er hatte einst in die Rinde eines Baumes auf dem ihm teueren Landsitz der Medemsfamilie seinen, Bodmers und Lavaters Namen eingeritzt und dazu die Worte geäußert: »Wenn ich in Kurland sterben sollte, so wünschte ich unter diesem Baume begraben zu werden.« Lang berichtet, daß Frau von der Reckes Vater den Sarg einige Wochen nach der Bestattung zu Mitau nach seinem Familienbegräbnis zu Remten habe schaffen und dort beisetzen lassen, Elisa ist noch lange Zeit mit Hartmanns Familie, die zu Stuttgart lebte, in schriftlicher Verbindung geblieben. Ja, sie hat die Predigten ihres Herzensfreundes, die sie sich bei begeisterten Verehrerinnen zu verschaffen wußte, für seinen Vater abgeschrieben. C. kam, in welchem unsres Freundes Hülle liegt! Du, mein Stolzchen, wirst es verstehn, wie mir da war! ja, hätte ich unvermerkt den vormals beseelten Staub des Edlen sehn, seinen Sarg öffnen können, dies wäre mir ein wehmutsvoller, aber wohltätiger Anblick gewesen.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 30. März 1776.

Liebes Stolzchen! Wie sonderbar! nach dem Briefwechsel, der zwischen meinem Herrn und mir vorgewesen ist, würde ich es nicht geglaubt haben, daß ich eine Nacht an seiner Seite schlafen könnte, ohne daß unter uns eine Erklärung vorfiele! jetzt, liebe Teure, jetzt fange ich an zu hoffen, daß er stillschweigend meinen Wunsch erfüllen wird. – Ach, wie wollte ich Gott danken, wenn es immer so bliebe, wie es jetzt ist, und wenn weder der Wunsch meiner Eltern, noch der meiner Großmutter erfüllt würde. Mein Gott! wenn Recke nur wollte, er und ich, wir würden beide glücklich sein, und alle Welt sollte glauben, daß wir auf dem besten Fuße leben. – Ich will, ich wünsche gar nichts, als das, wozu er mich selbst berechtigt hat. Ehe dies unter uns richtig ist, werde ich doch nicht recht ruhig sein. Es ist sonderbar, liebe Seele! ich wünsche und fürchte den Augenblick der Erklärung.

Eben erhalte ich deinen Brief, mein Stolzchen. Deine Furcht und Mamas Freude ist vergebens gewesen – zu überraschen, zu beschwatzen bin ich nicht! Was ich für meine Pflicht anerkenne, dem werde ich treu bleiben! meinem Herrn jeden entfernten Anlaß zur gerechten Klage aus dem Wege zu räumen, die Summe seiner Freuden zu vermehren, ohne jedoch die Pflichten gegen mich selbst zu verletzen, soll mein beständiges Bestreben sein; da er nicht nur nach den Gesetzen der Billigkeit, sondern auch nach kirchlichen Gesetzen durch sein Betragen gegen mich das Recht verloren hat, mich als seine Ehegenossin zu betrachten, so werde ich so lange nur die Gefährtin seines Lebens, die Erzieherin seines Kindes bleiben, bis er durch ein edleres und sanfteres Betragen mein Herz so gewonnen hat, daß ich ihn ehren und meiner Friedrike mit Freuden Geschwister bringen kann.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 26. April 1776.

Du weißt, mein Stolzchen, wie sehr ich dich und meine Lisette liebe, aber jetzt habt Ihr mich beide betrübt. Es tut mir in der Seele wehe, daß Fritz Medem einen Ring von meinen Haaren aus deiner Hand als Geschenk von mir erhalten hat. Zwar versprach ich ihm, durch Lisettens Bitten und Klagen bewogen, eine Uhrkette und in dieser etwas von meinem Haar Gearbeitetes, aber daß dieser arrogante junge Mann, der sich für den ersten Menschen in der Schöpfung hält, jetzt einen Ring von meinen Haaren trägt, dies schmerzt mich. Daß mein Bruder einen Ring von Lisettens Haaren als Andenken einer geliebten Freundin erhalten hat, dies genügt nicht und scheint auch nicht so recht miteinander verglichen werden zu können – so wie mein Fritz Lisette liebt, so liebt er dich, Doris Lieven und Louise Medem, aber Lisettens Bruder hat die Torheit, mich in seinen Gedichten zu vergöttern und von mir als einer Gottheit zu sprechen, der jede seiner Empfindungen geheiliget ist und durch deren Andenken er sich zu jeder Tugend, zu jeder großen Handlung beseelt fühlt. Du glaubst es kaum, mein Stolzchen, wie sehr Medem mir durch die Äußerung dessen zuwider wird, daß er mich zu einer Schutzgöttin seiner Tugend erhebt; – was soll diese überspannte Idee, an der Mama und meine Lisette ihr Wohlgefallen haben? Auch ist er mir durch die neidische Verachtung, mit welcher er über Hartmann spricht, ganz zuwider geworden. Wenn ich bedenke, daß ich Hartmann, den ich so innig verehrte, nie einen Ring von meinen Haaren gegeben hatte, so kränkt mich es umso mehr, daß der Spötter dieses unvergeßlichen Freundes einen Ring von meinen Haaren hat! Freilich ist er ein Bruder meiner Lisette, aber Stolzchen, dennoch müßte er kein solches Zeichen der innigsten und herzlichsten Freundschaft von mir haben. – Ist dir ein Mittel bekannt, wie du – ohne daß meine Lisette sich gekränkt fühlt – den Ring zurücke bekömmst, dann hast du mich unsäglich erfreut.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 22. Mai 1776.

Der gute Vietinghof, der seine arme, von ihrem Manne geplagte Schwester in Schmucken besuchte, war auch auf eine Stunde bei mir, er will seinen Diener zu mir schicken und diesen Abend Briefe für dich, für Fritzchen und Martini von mir abholen lassen. Seine arme Schwester wird von ihrem bösen Manne recht geplagt; er hat diesem den Kopf zurechte zu setzen gesucht und ihm gesagt, daß er sich mit ihm herumschießen würde, wenn er seiner Schwester nicht besser begegnete. Es ist doch traurig, daß fast alle Ehemänner in diesem Kirchspiel ihren Frauen schlecht begegnen. Fast beträgt mein Herr sich noch am besten gegen mich, wenigstens sind – dem Himmel sei es gedankt – über uns keine solchen Geschichten, als über die andern. Auch ist mir es unbegreiflich, wie Eheleute miteinander in Streit leben und doch jährlich taufen lassen können. Mein Herz ist, seit ich in Neuenburg bin, von mancher Seite zerrissen worden, aber gezankt habe ich mich doch nicht mit meinem Herrn, auch wäre mir es nicht möglich, außer gegen dich, Fritzchen und Martini über das Betragen meines Herrn zu sprechen, kurz – Grotthuß hat nach der Erklärung seines Schwagers versprochen, seiner Frau besser zu begegnen, und diese bleibt nach wie vor, Galle im Herzen, die Genossin eines Mannes, den sie verabscheut, den sie verachtet, weil sie jetzt die Hoffnung hat, mehr Frau im Hause zu sein. – Ich wollte mir lieber alle möglichen Einschränkungen gefallen lassen, als mich dem aussetzen, nach solchen Auftritten durch einen solchen Mann Mutter zu werden.

Vietinghof lebt immer noch im Andenken an unsern teuern Seligen, und das Bild unsres unvergeßlichen Freundes, welches ihm immer gegenwärtig ist, veredelt diesen ohnehin schon edlen und geistvollen Mann noch mehr; er ist es wert, der liebste Freund meines guten Bruders zu sein. Stolzchen, mir wurde so innigst wohl, als Vietinghof mir noch einige Charakterzüge unsres Hartmanns erzählte, die du nächstens von mir hören sollst.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 8. Juni 1776.

... Heute reiste Recke nach Mitau, und mich befiel eine so wunderbare Wehmut, als sein Wagen zum Schloßtore hinausfuhr! – ich sah ihm nach, so lange ich konnte, dann stürzte ich unwillkürlich auf meine Knie und flehte für ihn zu Gott.

Den 10. Juni.

Stolzchen! Eben erhalte ich einen Brief von meinem Herrn, der mich zwingt, reine Sprache gegen ihn zu führen! Will ich mich selbst schätzen, so muß ich dies tun, es mag daraus auch entstehn, was da will! Meine Seele ist äußerst bewegt! – Aber einmal muß es zur Erklärung unter uns kommen! Ich schäme mich meines Kleinmuts! –

Den 11. Juni.

Mein Brief an meinen Herrn ist fertig! – er floß aus meinem Herzen! – Gott, der in dem Innern meiner Seele liest, weiß, unter welchen Empfindungen ich ihn schrieb! – er ist auch einzig jetzt mein Schutz und Führer.

Ich habe meinen Brief an meinen Herrn noch einmal gelesen – ihn mit seinem Briefe und seinem ganzen Betragen gegen mich zusammengehalten, – und Stolzchen, es entstehe daraus, was da wolle! – ich schicke ihn fort! – Wenn du diese Zeilen liest, dann liest mein Herr den Brief, der über unser Schicksal entscheiden wird! – Geht er nur einigermaßen in sich und hat er den aufrichtigen Vorsatz, sich zu bessern – o! Stolzchen! – dann werde ich mich vom Vater meiner Friedrike nicht trennen! – Lebe wohl! Mein Herz ist nie so bewegt als heute gewesen!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 26. Aug. 1776 um 2 Uhr morgens.

Der Schlaf ist mir ferne, mein Stolzchen – und mein Herz wird von mannigfaltigen Empfindungen bewegt! – Weiß Gott! ich leide jetzt mehr für Recke, als für mich! und was mein Herz vorzüglich zusammenengt, ist der Gedanke, daß der, den ich glücklich zu machen wünschte, jetzt durch mich – vielleicht gerade so unglücklich ist, als er mich gemacht hat! Ach, liebe Teure! – es ist mir hart, unaussprechlich hart, über das Betragen des Vaters meines Kindes gegen fremde Menschen zu sprechen! – ihn – den ich von aller Welt geehrt wünschte, ihn – und sein Betragen gegen mich muß ich jetzt fremden Menschen bloßstellen, weil er sich so wenig kennt, daß er nicht einmal glaubt, unedel und hämisch gegen mich gehandelt zu haben! – Ist es möglich, daß seine Seele so wenig Ideen von Moralität hat, daß er es befremdend findet, daß sein ganzes Betragen gegen mich seit den ersten Tagen unsrer Ehe meine Seele tief verwunden mußte? Weil sein Freund Saß da ist, dem ich auf meines Herrn Verlangen meine Klagen gegen ihn vortragen soll, so sprach ich aus voller Seele zu diesem; um mir aber den Schmerz zu ersparen, länger noch über meines Herrn hämische Neckereien zu sprechen, und um nicht vielleicht im Affekt zu viel zu sagen, so gab ich Saß den Aufsatz, den ich – seit der Plan einer Vermittlung unter uns gemacht wurde – aufgesetzt habe, und bat ihn, diesen mit meinem Herrn durchzulesen und mir dann seine Rechtfertigung zu sagen. Auch forderte ich Herrn von Saß dazu auf, Recke zu fragen, ob ich ihn je in unsrer Ehe, es sei aus Vorsatz oder Schwachheit, beleidiget habe; auf diesen Fall wäre ich erbötig, ihn öffentlich um Verzeihung zu bitten, auch würde ich gewissenhaft alles meiden, was ihm unangenehm wäre, nur müsse er sich meinen Vorschlag gefallen lassen und nicht eher auf mich Anspruch machen, als bis er durch ein edles und liebreiches Betragen mein Herz gewonnen hätte. Aber auf alle Fälle forderte ich von ihm, er möge das namhaft machen, was er mit dem drohenden Schlusse seiner wider mich eingegebenen Punkte habe sagen wollen. Saß hat meinen Herrn meinen Aufsatz nicht lesen lassen, aber ihm manches von seinem unwürdigen Betragen gegen mich vorgehalten. Einiges hat er geleugnet, andres mit Schminke überzogen, und von andern Dingen hat er wieder gesagt, daß sie zwar beleidigend schienen, daß es aber nie seine Absicht gewesen wäre, mich kränken zu wollen. Er hat Saß versichert, er liebe mich mit Leidenschaft, denn ich sei nicht nur das schönste, ich sei auch das beste Weib, das er kennt. Ich hätte ihm zu keiner andern Klage als der Ursache gegeben, daß ich zwar für meine Pflicht – seit ich seine Frau sei – alles getan habe, daß ich ihn aber nie geliebt hätte. Er hätte mich nicht so lieben müssen, wenn er sich nicht dadurch gekränkt gefühlt hätte, daß ich seit der ersten Stunde meiner Ehe meine Stiefmutter, meine Freundinnen und meine Geschwister mehr, als ihn, geliebt habe. Und alle diese hätten ihn von jeher nicht gelitten. Auch sollte ich mir nie gehörig mit der Wirtschaft zu tun gemacht haben und wäre in Altautz immer fröhlicher als in Neuenburg gewesen. Der drohende Schluß seiner wider mich gegebenen Punkte bezieht sich auf meine an ihn geschriebenen Briefe, die er der Welt bekannt machen will, falls ich ihn nicht über die angetanen Beleidigungen um Verzeihung bitte. Auch hat er es Saß gesagt, daß er es aus meinem Betragen seit mehr als einem Jahre dartun will, daß ich mit der Idee umgehe, mich von ihm scheiden zu lassen, und daß du, mein Stolzchen, daß Lisette und Fritzchen dazu den Plan entworfen haben, und daß ihr drei mein sonst so sanft und edles Herz so gegen ihn verstockt habt, daß er nun durch nichts meine Liebe gewinnen kann.

Hier sagte ich, daß ich durchaus nicht geschieden sein will, daß er aber durch sein ganzes Betragen gegen mich und durch die Erklärung, die er mir gegeben hat, daß er es schon am Hochzeitstage bereut habe, sich in meine Larve vergafft zu haben, seit mehr als einem Jahre den Vorsatz in mir befestiget habe, nie mehr durch ihn Mutter zu werden, falls er nicht durch ein edles, liebevolles Betragen mein Herz zu gewinnen suchte, da er es so bitter gekränkt und von sich entfernt hat. Sein Betragen gegen mich habe mich dazu gebracht, ihm die Briefe zu schreiben, die seine Moralität verbessern, nicht aber ihn erbittern sollten. Meinetwegen könne er aller Welt die Briefe bekannt machen, dies würde mich nur insoweit schmerzen, daß mir es wehe täte, falls unser ganzes Publikum unterrichtet würde, was für Neckereien und Heucheleien der Vater meines Kindes sich, um mich zu kränken, gegen mich erlaubt hat. Heilig könne ich es aber versichern, daß keiner meiner Freunde meine Handlungen gelenkt habe, weil ich nur meiner Überzeugung folge. – Mein Herr hat geweint, hat geschworen, daß er mich liebt und daß nur andre Menschen an unsren Mißverständnissen schuld sind. Ich erwiderte, wenn dies wahr wäre, dann könne Recke mir dies dadurch beweisen, daß er alles unter uns so ließe, wie es seit der Geburt meiner Tochter gewesen ist. Und würde er mich einst durch sein Betragen überzeugen, daß er mich wirklich liebt, dann wäre ich erbötig, meiner Friedrike Geschwister zu geben.

Gestern kam Andree; dieser vortreffliche Mann tat meinem Herzen dadurch wehe, daß er mir ganz trocken sagte, daß die Ideen, die ich hätte, in der praktischen Welt nicht tunlich sind. Es wäre nach Reckes Charakter gar nicht zu erwarten, daß er sich meinen Vorschlag gefallen ließe. Widerstand reize die Männer, und Widerstand einer Frau, die man als sein Eigentum betrachte, ließe im Manne einen Unwillen zurücke, der nicht sogleich verschmerzt werden könnte; ich müßte mich also zur Scheidung entschließen, und auf diesen Fall müßte an einem heimlichen Vergleich gearbeitet werden, denn wenn die Sache vor den Richter käme, so würden wir bloß ein neugieriges Publikum beschäftigen, das sich mit allerlei Anekdötchen herumtragen würde, die meine Delikatesse beleidigen müßten. Denn ich sollte es bedenken, daß das Publikum mehr aus rohen, als feinfühligen Seelen bestünde. – Falls ich mich aber dazu entschließen könnte, mich mit Recke zu vergleichen, so wäre dies das beste, und da könnte für mich so gesorgt werden, daß Recke verpflichtet würde, mir gut zu begegnen, und ich könnte gewiß drauf rechnen, daß meine Ehe glücklich sein würde, falls ich Recke keinen Widerwillen zeigte. Andree sprach wirklich väterlich mit mir, aber er tat meinem Herzen wehe! Ich sagte ihm nicht ohne innigste Bewegung meiner Seele, wie es möglich sei, sich die Annäherung eines Mannes ohne schauderhaften Unwillen gefallen zu lassen, der sich Kränkungen mannigfaltiger Art gegen mich erlaubt. Andree fühlte es ganz, wie meines Herrn Betragen auf mich gewirkt haben müsse, er war bisweilen bis zu Tränen gerührt. Aber er nahm mir alle Hoffnung und erklärte es geradezu, daß es moralisch unmöglich sei, daß Recke mich als seine Frau und doch nicht Frau im Hause dulden würde. Hierzu könne ihn kein Richter zwingen! – Stolzchen! – was wird mir noch alles bevorstehn und wie werde ich mit Mama und Großmama zurechtekommen? ich habe nichts als Gott und ein Herz voll Unschuld, worauf ich mich verlassen kann!

Den 27. August.

Heute kam mein guter Vater! Der stille Schmerz dieses Teuren verwundet meine Seele tief! – Er ist so gütig, so liebevoll gegen mich, daß ich mich um seinetwillen beinah zu allem entschlossen hätte, denn sein Schmerz, der durch mich veranlaßt wird, drückt mich noch mehr, als alles andre. Recke hätte in dem Augenblicke alles von mir verlangen können, da mein guter Vater Friedrikchen auf seinem Schoße hatte, mit betränten Augen gen Himmel sah – mich und die Kleine an sein Herz drückte und dann sagte: »Armes Kind! Liebe, liebste, seelengute Lotte – verzeihe – verzeihe mir es, daß Recke der Vater dieses kleinen Engels ist! – Ach! ach! meine Lotte hatte ja alle Ansprüche, die beste Heirat zu machen! – und so jung stürzten wir dich ins Elend! Ach! meine Lotte, als ich dich hergab, da hoffte ich, du würdest hier glücklich sein – und jetzt!« – Ich stürzte mich zu den Füßen dieses guten, dieses so innig geliebten Vaters, versicherte ihn, daß ich es nicht bereue, Recke geheiratet zu haben, weil meine Leiden mir Erziehung gewesen wären, auch könne ja alles noch recht gut gehen; falls Recke sich besserte, so würde ich nun doppelt glücklich sein! In dem Augenblicke kam Saß und sagte mir mit einem traurigen Gesichte, er sei von Recke abgeschickt, um mir in Gegenwart meines Vaters zu sagen: falls ich es nicht eingestehen wolle, daß ich meine Briefe aus Übereilung geschrieben habe, so könnte ich ferner nicht mehr seine Frau sein, und er beriefe sich ganz auf seinen letzten Brief. Hier fiel mein Vater Saßen ins Wort! – »Dies kann, dies wird meine Tochter nie tun! – denn es ist nur zu bekannt, wie unwürdig Recke sich gegen mein Kind betragen hat!« – Die Rede meines Vaters gab mir Mut, und ich antwortete Herrn von Saß: Meiner Überzeugung nach enthielten alle meine Briefe nur Wahrheiten, die ich nie verleugnen würde, und auch ich bezöge mich auf meinen letzten Brief. Nachdem Saß meinem Herrn meine Antwort gebracht hatte, so wurde mir von Saß in dessen Namen das Kompliment gemacht, daß ich seine Frau gewesen sei, daß ich sein Haus verlassen und mir einen andern Aufenthalt wählen müsse! – Ich erwiderte, ich wisse keinen Ort, der mir anständiger, als Neuenburg wäre, und ich würde diesen nie mit meinem Willen verlassen. Mein guter Vater drückte mich an sein Herz, seine Lippen bebten, aber er sprach kein Wort. – Schwander, Andree und selbst Saß konnten sich in Reckes Betragen gar nicht finden! Andree sagte: » Der Mann hat zwei Seelen, eine gute, eine böse; wenn die böse obwaltet, dann muß mit ihm nicht auszukommen sein. Wie? selbst jetzt, da wir alle hier versammelt sind – selbst jetzt beträgt er sich so herrisch – so unkonsequent!« – Ich schwieg, suchte meinen armen Vater zu beruhigen; nun kam Saß wieder und sagte mit äußerster Bestürzung, Recke sei über meine Antwort höchst aufgebracht und verlange durchaus, daß ich sein Haus verlassen möge, weil mein Anblick ihm durch meinen Trotz unleidlich sei. – Ich erwiderte, daß ich Neuenburg nicht verlassen würde und daß nur der Richter, nicht er mich zwingen könne, Neuenburg zu verlassen. Schwander und Andree wollten, ich sollte Reckes Willen befriedigen; ich aber blieb fest darauf, daß Recke nicht das Recht habe, mich zu verstoßen; fühle er sich durch meine Briefe beleidiget, so könnte der Richter untersuchen, wer von uns Unrecht habe, und ich wolle mich jeder Strafe des Richters unterziehen, nur nach Willkür ließe ich mich nicht behandeln.

Diese Antwort brachte Recke noch mehr auf, und nun ließ er mir sagen: Falls ich Neuenburg mit gutem verlassen wollte, so würde er mir Friedrikchen mitgeben, nicht, weil ihm die Trennung von Friedrikchen leicht sei – bei Gott, sie würde ihm schwer, so wie auch dies ihm schwer würde, mich zu verlieren – aber er könne mich unter diesen Umständen nicht in seinem Hause leiden, ohne sich vor sich selbst zu schämen. Falls ich also glaubte, daß er unsre Tochter mir vorenthalten würde, so könnte ich ruhig sein Haus verlassen, denn Friedrikchen sollte mir folgen, weil er überzeugt wäre, daß sie unter keiner bessern Leitung, als der meinigen, stünde. Weigerte ich mich aber, sein Haus zu verlassen, so würde er allen Leuten den Gehorsam gegen mich untersagen und mich aushungern lassen.

Stolzchen, ich gesteh dir – dies unwürdige Betragen erbitterte mich so, daß ich sagte: ich wäre entschlossen, auch dies noch von Recke zu erfahren. Mein guter Vater billigte meinen Entschluß; Andree und Schwander waren unzufrieden, daß ich Reckes Vorschlag nicht angenommen hatte, und beide sagten, wir könnten und würden nie zusammen passen – dies weiß – dies fühle ich – aber so eigenmächtig soll Recke mich doch nicht von sich stoßen. Schwander und Andree gingen beide zu ihm, besänftigten ihn und brachten ihn dahin, daß er mir sagen ließ, ich könne in Neuenburg ganz ruhig bleiben, er würde sich entfernen und keinen Entschluß ausführen, als bis er Tetsch seinen Rat eingezogen habe; bis dahin würde er mich meiden, weil mein Anblick ihm unleidlich sei.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 30. Aug. 1776.

Heute in der Frühstunde verließ Recke Neuenburg für einige Wochen! Mein Stolzchen! eine wunderbare Wehmut bemächtigte sich meiner, als ich seinen Wagen wegrollen hörte und dieser allmählich meinen Augen entschwand! unwillkürlich stürzte ich auf meine Knie und flehte zu Gott! – aber Stolzchen! ich betete nicht für mich! – Meine Wünsche und Gebete stiegen für den Vater meines Kindes zu Gott empor! Gott lenke seine Seele und gebe ihm die Freuden, die ich für ihn erflehe! – Ach! Stolzchen! wüßte ich nur, daß er mich wirklich liebt, daß sein Schmerz nicht erheuchelt ist! – Aber wie kann ich in meinem Urteile über ihn so wanken! Bisweilen schäme ich mich über die Schwäche meines Charakters, die mich gestern in die Gefahr brachte, mich durch seine Tränen erweichen zu lassen! aber soll ich nicht weinen? entweder entsprangen seine Tränen aus niedriger Heuchelei oder aus wirklicher Reue, und in beiden Fällen verdient er Mitleiden. – Ist seine Reue wahr, dann wird er es eingestehn, daß er sich unedel gegen mich betragen hat, und sein künftiges Betragen wird mich seinen Charakter ehren lehren! – Gott! Gott! wie voll Dank wird meine Seele dann sein, wenn ich im Vater meiner Friedrike den Gefährten meines Lebens werde ehren und als meinen Freund lieben können! – Stolzchen, ich bin wohl eine schwache Törin, daß ich in meiner Seele auch nur eine Minute dieser Hoffnung Raum geben kann? Denke ich seines hämischen, undelikaten und heuchlerischen Betragens gegen mich, vom Anfange unsrer Ehe an bis zu dem Augenblicke, da ich den Mut faßte, die Decke über sein Betragen gegen mich vor ihm aufzuheben, dann, dann schwindet mir auch das kleinste Fünkchen Hoffnung, daß er es mit mir redlich meint. Auch sein jetziges Betragen ist sonderbar und rätselhaft, und manchen Augenblick wird mir es zur Gewißheit, daß sein milderes Betragen nur ein Blendwerk für mich und meine Verwandten ist, um mich zu bewegen, daß ich mich, ohne seine Gesinnungen auf die Probe zu stellen, mit ihm vergleichen soll, auf daß er mich nachher um desto ungestrafter quälen könne. Diese Furcht, zu der er mich berechtiget hat, erhalte ich wach in mir, um mich durch meine Weichherzigkeit nicht überraschen zu lassen.

Der Mann, der mich hier vor ein paar Tagen wollte aushungern lassen, um mich aus seinem Hause zu verstoßen, der es meinem Vater, Schwander und Andree den Abend vor ihrer Abreise durch Saß in meiner Gegenwart sagen ließ, sie möchten ihn entschuldigen, daß er nicht mit uns speisen könne, mein Anblick sei ihm nun durch meinen Trotz unleidlich geworden und meine Gegenwart könne er nicht ertragen – der Mann suchte sich an mich gleich den Morgen anzuschmiegen, nachdem mein guter Vater mich, von tiefem Schmerze gebeugt, unter solchen Umständen hier zurückgelassen hatte, – Gleich den ersten Mittag, nachdem die Fremden weg waren, speiste Recke mit uns; er war ausnehmend artig gegen mich – so als wäre unter uns nichts vorgewesen. Gegen Friedrikchen war er noch zärtlicher, als jemals; er sah bald mich, bald die Kleine an, nahm sie auf seinen Schoß, küßte und herzte sie. Das holde Kind streichelte seine Backen, schlang dann ihre kleinen Ärmchen um seinen Hals und sah ihn mit ihren schönen, großen Augen so liebevoll an, daß mir das Innere meiner Seele tief bewegt wurde und ich meine Rührung kaum unterdrücken konnte. Recke bemerkte dies und sagte zu der Kleinen, daß er wegreisen und nicht zu bald wiederkommen würde; da bat sie ihn, die Mama und sie auch mitzunehmen! – Ach! Stolzchen! dies konnte ich nicht aushalten, ich verließ die Turmkammer, eilte nach meinem Zimmer, warf mich auf meine Knie, machte meinem Herzen durch Tränen Luft und flehte zu Gott um Kraft, meinen Zustand mit stiller Seelenruhe zu ertragen. Gestern morgen schickte mein Herr Lieven zu mir, ließ mich seiner innigsten Liebe versichern und dann den Vorschlag tun, ich möchte nur die Worte zu ihm sagen, daß ich mich übereilt hätte und daß meine Briefe manche Ausdrücke enthielten, die ich bei kälterem Blute nicht geschrieben haben würde. Fände ich dies zu demütigend für mich, dann sollte ich in selbstgewählten Ausdrücken etwas Ähnliches hinschreiben, ihm dies durch Lieven zuschicken, dann würde er zu mir kommen, dies Papier in meiner Gegenwart zerreißen, und alles könnte unter uns auf dem alten Fuße bleiben. Nach der ersten Bewegung meines Herzens wollte ich diesen Vorschlag mit Freuden annehmen; aber mit einem Male stellten sich alle seine Heucheleien meiner Seele dar, und ich sah in diesem Betragen nur ein Gewebe von List, durch welches er mich fangen wollte. Ich sagte unsrem redlichen Lieven, daß die Gesinnungen, die Recke mir seit der Abreise meines Vaters geäußert hat, in mir die schöne Hoffnung rege machen, daß er einiges Interesse an mir zu nehmen anfängt. Wenn sein folgendes Betragen dem gleich wäre, so würde ich gewiß mit der Zeit alle Ursachen vergessen, die er mir zur Unzufriedenheit gegeben hat, und ich hoffe, daß wir auf diesen Fall noch recht glücklich miteinander leben könnten, nur bäte ich ihn, er möge es mir nicht anmuten, eine Unwahrheit zu sagen. Meine Briefe wären nicht aus Übereilung geschrieben, und ich könne es auch nicht bereuen, daß ich den Mut gehabt habe, ihn auf sein Betragen gegen mich aufmerksam zu machen.

Die Antwort meines Herrn war: es täte ihm leid, daß ich sein redliches Anerbieten ausgeschlagen hätte; er würde nun den Rat seines Advokaten einholen und diesen dann erfüllen. Wahrscheinlich würde auf dem Wege, den ich ginge, eine Scheidung unter uns erfolgen. Ich sagte, daß ich dieser so viel als möglich zu entgehen suchen wollte – daß ich mich aber auch ohne Murren den Gesetzen unterwerfen würde. An der Tafel schien er betrübt, gedankenvoll, doch war er gegen mich und Friedrikchen gleich liebreich. Mein Herz war unaussprechlich gepreßt, doch suchte ich, heiter zu scheinen, und wo ich ihm Beweise meiner Achtung geben konnte, da unterließ ich es nicht. Gegen vier hörte ich ihn in der Turmkammer umhergehn, und sogleich ging ich zu ihm. Ich suchte, ihn zu unterhalten, sprach über Gegenstände, die ihm interessant sind, – er setzte sich, sprach auch recht heiter mit mir; mit einem Male blieb er still, tiefsinnig – er brach in Tränen aus – er stand auf, trat an das Fenster, und ich hörte ihn schluchzen. Ich zitterte am ganzen Leibe, mein Herz war ängstlich gepreßt, der Atem fiel mir schwer, und ich dachte, ich würde zu Boden sinken! – ich wollte zu ihm treten, ihn an mein Herz drücken, ihm sagen, daß seine Leiden meine Seele erschüttern und daß er auf meine treuste Freundschaft bauen kann! Gott, mit Freuden hätte ich in diesem Augenblick mein Leben hingegeben, um das seinige zu beglücken, aber mit einem Male stellte sich der Auftritt meiner Seele dar – wie er am Krankenbette meiner Mutter eben so geschluchzet und geweint hatte, wie er sich in der nämlichen Minute im andern Zimmer des wahrscheinlich nahen Todes dieser Frau freute. Ein kalter ängstlicher Schauer durchlief meine Glieder, und mir war, als stockte alles Blut in meinen Adern. Diese gegenwärtige Szene schien mir nur eine durchdachte Komödie – und so innig meine Seele auch durch dies Schauspiel erschüttert war, so faßte ich mich zusammen und verließ das Zimmer. Ich ging in die freie Luft, aber sein Bild verließ mich nicht. Ach! Stolzchen, wenn seine Reue wahr gewesen wäre? – Er reiste heute ohne Abschied weg und ließ sich durch Lieven bei mir damit entschuldigen, daß er zu gerührt sei, um von mir Abschied nehmen zu können! – wie unzusammenhängend ist das Betragen dieses sonderbaren Mannes, an dessen Schicksal meine Seele so innigen Anteil nimmt. Wenn ich doch so glücklich würde, daß ich den Vater meines Kindes hochachten könnte!

Den 31. August.

Eben erhielt ich von Saß aus Scheden und von meinem Herrn einen Brief; ich beantwortete beide sogleich. Hier sind die Abschriften dieser Briefe für dich, für unsern Martini und für Fritzchen. Recke gesteht zwar sein Unrecht gegen mich nicht ein, aber so genau will ich es denn auch nicht nehmen, ich will ihm, falls es sein Ernst ist, die Rückkehr nicht zu sehr erschweren. Doch dabei bleibe ich: ehe er durch ein edles Betragen meine Hochachtung gewinnt, eher kann ich ihm nicht Gattin sein. Gott leite alles nach seiner bessern Weisheit! vielleicht! vielleicht lenkt er die Seele meines Herrn so, daß keine Trennung unter uns stattfindet! Doch, wenn ich alles bedenke, dann verläßt die Hoffnung mich, daß mein Wunsch erfüllt werden kann! Weiser, liebevoller Urheber unsrer Tage, deiner Leitung überlasse ich mich getrost.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 26. Sept. 1776.

Eben brachte mir Petkus die Briefe aus Altautz. Ich enthalte mich alles Urteils über Mama – sie ist meines Vaters Frau, und ich danke es ihr, daß sie mich aus den Händen der Kleistschen Familie dadurch befreite, daß sie mich von Großmama wegnahm und sich liebevoll mit meiner Bildung abgab. Freilich wurde ich das nicht, wozu sie mich bilden wollte! zur galanten Weltfrau, die ihren Mann plagt und beherrscht; dazu bin ich verdorben. Doch! ich will jede Bitterkeit in meinem Herzen unterdrücken! – Aber! Gott! – Gott, ist es möglich zu verlangen, ich soll auf den Fall einer Trennung mit Recke mein Kind in seinen Händen lassen, um so eine größere und glücklichere Heirat zu machen? – Doch auf alles dies und über den Antrag meiner Eltern, in ihr Haus zurückzukehren, werde ich dir in einem meinen Eltern zeigbaren Briefe schreiben. Arme, für mich geplagte Freundin! Du brauchst es mir nicht zu sagen, daß du den Brief schreiben mußtest, daß dein Herz aber jeder Zeile widerspricht. Ich kenne dich, du Liebe, und in deiner Seele haben solche Gedanken keinen Raum! – Jetzt, mein Stolzchen, bin ich dessen gewiß, daß du das Haus meiner Eltern wirst verlassen müssen, und daß ich von diesen und meiner Großmutter den Befehl erhalten werde, dich nicht zu mir zu nehmen. Denn leider wird es mir zu wahrscheinlich, daß Recke und ich uns trennen werden. Und da ich Mamas Vorschlag nicht annehmen kann, halb bei meinen Eltern, halb bei meiner Großmama zu leben, so wirst du, Freundin meiner Seele, dafür büßen müssen.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Neuenburg, 1. Okt. 1776.

Dortchen, Fritzchen und ich waren gestern, als der Befehl meines Herrn mir von einem Kammerdiener überreicht wurde, auf unserm Lieblingsberge; der reiche Segen des Herbstes gab uns zu interessanten Gesprächen Stoff, und unsre Seelen waren voll des Eindrucks, den der Genuß eines schönen Herbsttages einer denkenden und fühlenden Seele gewährt. Ich vermutete es nicht, als ich Reckes Brief öffnete, daß in selbigem der Befehl enthalten sei, Neuenburg den dritten Oktober zu verlassen. Ich erbrach den Brief sogleich, las ihn – sagte aber weder Fritzchen noch Dortchen den Inhalt. In diesem harten Augenblicke genoß ich einer Ruhe, die ich mein ganzes Leben hindurch bei allen traurigen Ereignissen zu haben wünsche. Weder meine Doris noch Fritzchen ahneten den Inhalt von Reckes Briefe. Als wir auf dem Schlosse waren, bat ich beide und meine gute Lievensfamilie auf mein Zimmer, und da gab ich meinem redlichen Lieven den Befehl meines Herrn; er las ihn – vermochte es aber nicht, ihn laut zu lesen, sobald er den Inhalt des Briefes ahnte. – Ach, Stolzchen! die Tränen dieser redlichen Familie machen mein Herz so weich, daß mich jetzt alles zur Wehmut stimmt. Nun weiß es schon jedes im Schloß, daß ich Neuenburg verlassen muß. Bauern und teutsche Leute So nannte man das freie deutsche Hofgesinde im Gegensatz zu den leibeigenen lettischen Bauern. C. strömen zu und bitten mich unter Tränen und Segenswünschen, doch ja ihre gnädige Frau zu bleiben. Sie wollen alle zum Herrn hin, ihn bitten, daß er ihnen ihren Schatz nicht rauben soll. Um dies zu hindern und die guten Leute zu beruhigen, sagte ich ihnen, daß ich wahrscheinlich wiederkommen und nur kurze Zeit entfernt bleiben würde. Dies beruhigte sie, und was die guten Leute in ihrer Hoffnung noch mehr bestärkt, ist, daß ich dem Amtmanne Holst, der mich auf Reckes Befehl fragte, wie viele Posten ich zur Abfuhr meiner Sachen brauche, die Antwort gab, daß, da nur der Befehl da sei, daß ich Neuenburg verlassen solle, meine Sachen aber nicht durchaus abzuführen geboten sei, so würde ich aus Neuenburg nichts, als meine Tochter und deren Wärterin, mitnehmen; beide hätten in dem Wagen Platz, den der Herr bestimmt habe, um mich vom Orte meiner Bestimmung wegzuführen. Der gute Holst fiel dankbar zu meinen Füßen und freute sich sehr, daß ich meine Sachen nicht abholen ließe. Nun ist bei allen Leuten die Hoffnung fest; nur Lieven und meine Doris sind dessen gewiß, daß, wenn ich Neuenburg einmal verlassen habe, mich nachher nichts mehr zur Rückkehr bestimmen wird. Mama Lieven hofft wieder, Recke wird sich noch bis zum 3. Oktober bedenken. – Dies hoffe, dies wünsche ich nun nicht mehr, denn seit gestern hat die Sache schon zuviel Aufsehn gemacht, als daß sie jetzt noch ins Gleis gebracht werden könnte.

Den 2. Oktober.

Nach Mitternacht. Alles schläft in sanfter Ruhe, nur meine Doris und mein Bruder wachen noch mit mir. Mein Bruder mag dir es sagen, wie mein heutiger Tag dahinfloh – ich vermag es nicht! – Wir haben heute noch alle unsre Lieblingsspaziergänge besucht. Gott, wie schön war die Natur im bunten, welken Herbstgewande! Die Abendröte – wie schön! – und jeder Ort, jede Stelle, die wir betraten, wie heilig war mir die! – Fast ist mir jede Stelle hier durch Rückerinnerungen dessen heilig, daß auf ihr zu meiner Besserung von dem Tränen ausgepreßt wurden, der mein Glück hätte machen sollen. O! könnte ich doch nur die tiefe Rührung meiner Seele jedem verbergen! Heute trete ich eine neue, für mich gefahrvolle Laufbahn an! In meinem 17. Jahre gaben meine Eltern mich an Recke, in meinem 23. gibt er mich mir selbst wieder. Gott beglücke ihn und leite mich! Früh ist mir die Sorge für mich selbst überlassen! Lebe wohl! mein Herz ist gepreßt aber meine Seele ist ruhig.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 5. Oktober 1776.

Vergebens will ich es versuchen, dir, Liebste, meinen Abzug aus Neuenburg zu beschreiben, ich vermag es nicht. Jede lebhafte Erinnerung erstarrt das Blut in meinen Adern und preßt mein Herz so zusammen, daß mir ganz dunkel vor den Augen wird. Fritzchen, der mich morgen abend verlassen muß, kann dir alles ausführlich erzählen. Ich bin, gottlob, gesund, ich bin ruhig, weil ich mir nichts vorzuwerfen habe. Mir ist, als hinge meine Seele jetzt noch mehr, als jemals, an meiner Friedrike, aber oft stimmt der Anblick dieses holden Engels mich zu tiefer Wehmut. Ihr Vater belustigte sich an dem Tage auf der Jagd, als er die Mutter dieses Kindes mit diesem seinem kleinen Lieblinge von sich entfernte. Stolzchen, ich kann dir es gar nicht sagen, wie mir war, als ich das Jagen seiner Hunde hörte und ein paar Jagdhunde mit dem Jägerjungen meinem Wagen vorbeischossen, indessen über fünfzig Bauern bei dem letzten Annenhöfischen Kruge meinen Wagen umringt hatten, um mich noch einmal zu sehn und mich zu bitten, daß ich doch ja ihre gnädige Frau bleiben und wieder zurückkommen möge. Die Liebe der Bauern und die unempfindliche Härte ihres Herrn rührten mich gleich. – Ach! – ich muß mich von dieser Erinnerung loswinden! – Nichts, nichts hat mich vom Vater meiner Friedrike mehr gekränkt, als daß er sich gerade an dem Tage, in der Stunde auf dem Wege, den ich und sein Kind in dieser Lage machten, den Freuden der Jagd überlassen konnte.

Morgen beziehe ich das Stift. Elisa hatte das Anerbieten ihrer Eltern, bei ihnen in Altautz zu wohnen, abgelehnt. Ebenso lehnte sie Reckes später gemachten Vorschlag ab, aus Ersparnisgründen bis zur Entscheidung auf einem seiner Beihöfe ihren Wohnsitz zu nehmen. C.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 9. Oktober 1776.

Seit Fritzchen mich verlassen hat, fühle ich eine noch größere Leere in meinen einsamen Zimmern, die durch die teilnehmende Freundschaft des alten Baron Taube nicht mehr so wüste sind, als sie waren, so lange mein guter Bruder bei mir war. – Der würdige Greis hat mit zärtlicher Vatersorge meine Zimmer meubliert; bis auf den Lichtschirm hat er mich mit allem versorgt, was zur Haushaltung nötig ist, und mich gebeten, mich seines Überflusses so lange zu bedienen, bis ich mir alles selbst anschaffen kann. Er setzte mit unterdrückten Tränen hinzu: »Die Freude, Sie als meine Schwiegertochter lieben zu können, wurde nicht mein, aber mein Herz liebt Sie dennoch mit väterlicher Zärtlichkeit. Von Ihnen ist es edel und schön, daß Sie auf das Vermögen Ihrer Eltern keinen Anspruch machen wollen. Unbegreiflich ist mir es aber, wie diese sich um die Freude bringen, Ihren jetzigen Zustand zu erleichtern!« – Hier sagte ich dem edlen Greise, daß meine Eltern mir ihr Haus angeboten haben, und die Gründe, warum ich dies liebevolle Anerbieten ausschlüge, und daß es eben daher sehr natürlich sei, daß meine Eltern es mir nun überließen, für mich selbst zu sorgen. Taube lobte meinen Entschluß, in einem unabhängigen Zustand zu bleiben, und er, der Kanzler, der alte Graf Keyserlingk, so auch Schwander und Andree haben sich fest vorgenommen, sowohl Großmama, als meine Eltern dahin zu stimmen, daß sie mit meinem Entschluß zufrieden sein werden.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 11. Oktober 1776.

Es ist mir eine Wohltat, daß die gute, alte Generalin Wohl die Vorsteherin des Stifts. C. ihre Türe so früh zuschließen läßt; so habe ich einen guten Grund, um zeitig zu Hause zu sein. Gottlob, die erste Zusammenkunft mit Großmutter ist gut abgelaufen. Fritzchen wird es dir wohl gesagt haben, daß ich Großmama gleich bei meiner Ankunft in Mitau durch einen expressen Boten alles schrieb, was zwischen mir und Recke vorgefallen war. Sie ließ mir bloß mündlich sagen, daß sie bald zur Stadt kommen und dann über alles mit mir sprechen würde: dies nahm ich als ein übles Zeichen an; aber dem Himmel sei es gedankt, ich habe mich betrogen. – Ich war Großmama eine Meile entgegengefahren; sie empfing mich liebreich – nahm mich in ihren Wagen, fragte mich auf verschiedene Art das nämliche, war gegen Recke sehr aufgebracht und verlangte, ich sollte auf die Scheidung dringen. Sie will durchaus nichts von einem Vergleiche wissen. Aber Stolzchen! denke dir es, sie hat schon einige Heiratsprojekte für mich. Vorzüglich stimmt sie für Rutenberg aus Ilsenberg, der, wie sie sagt, sterblich verliebt in mich sein soll. Selbst Tante Kleist macht jetzt für einen von ihren Söhnen auf mich Rechnung, denn man vermutet, daß, wenn ich geschieden sein werde, wenigstens 50 000 Gulden mein sein müssen! – Gott! – Gott, was das für Pläne sind! – Ich hoffe immer noch, daß ich ungeschieden werde bleiben können, aber soll eine gerichtliche Scheidung unter uns stattfinden, so laß ich dies gewiß in die Scheidungsakte setzen, daß, sobald ich wieder heirate, mein Gegenvermächtnis Recke anheimfällt. Mein Vorsatz, ungeschieden zu bleiben, gefällt meinen Eltern sehr.

Den 14. Oktober.

Mein Stolzchen! Auch Mama hat jetzt einen neuen Heiratsplan für mich! Ach, wie man sich doch gar nicht in meine Gefühle versetzen kann! Mein guter, lieber Vater beträgt sich am besten; er beweist mir Teilnahme, äußert mir den Wunsch, mich in seinem Hause zu haben, aber er überläßt mir es auch ganz, einen Weg des Lebens nach meinem Plane zu gehn. Auch hat mein guter Vater mir durchaus nicht Simolins Antrag sagen wollen, Mama hat sich aber der Freude nicht enthalten können, daß ich, ohne noch geschieden zu sein, ohne in der großen Welt zu erscheinen, so viele und so vorteilhafte Heiratsanträge erhalte. Minister Simolin hat beide meine Eltern gebeten, mir zu sagen, daß er keinen schönern Lebensgenuß kennt, als wenn er des Glückes teilhaftig werden könne, mich als sein Eigentum zu besitzen. Er habe mich, so lange als seine Frau gelebt hat, bewundert und verehrt, seit ihrem Tode Recke beneidet, und seitdem Recke den Schatz, den er besäße, von sich entfernt habe, wäre der kühne Wunsch sein, mich als Gefährtin seines Lebens zu besitzen. Um mir und meinen Eltern zu beweisen, daß er nur meine Person, meinen Charakter, meinen Geist und meinen Umgang liebe, so erböte er sich, mein väterliches, mein mütterliches Vermögen, und was mir nach der Scheidung von Recke anheimfallen würde, meiner Tochter ganz zu überlassen; für sie könnten auch die Zinsen dieses Vermögens zu Kapital geschlagen werden. Dies mein Vermögen, welches ich meiner Tochter überlassen könnte, wollte er mir doppelt vergüten, und dies Kapital sollte als mein Eingebrachtes angesehn werden; von seinem übrigen Vermögen würde ich nach seinem Tode das bekommen, was ich als seine Witwe nach Landesgesetzen bekommen muß. Da er mir die Erziehung seiner Töchter ganz zu überlassen denkt, so würde es ihm Freude machen, wenn meine Tochter auf alle Fälle von ihrem Vater bei mir gelassen würde, und er auch würde dieses schöne Kind mit Stolz als Vater lieben und auch für dessen Wohlfahrt mit Vaterliebe sorgen; 2000 Taler setze er mir überdem jährlich zum Nadelgelde aus.

Ich muß dir es gestehen, mein Stolzchen, nie würde ich es vermutet haben, daß Simolin mir so wohl will und eines so großmütigen Antrages fähig sei. Aber annehmen werde ich den nie, so wenig als irgend einen andern Heiratsantrag. Meine Friedrike soll nie zwei Väter haben.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 4. Nov. 1776. Nach Mitternacht.

Auch du, Freundin meiner Seele, wachst gewiß in dieser Stunde und feierst mit Fritzchen, mit Vietinghof und Parthey das Andenken unsres unvergeßlichen Hartmanns. Noch ist keine Stunde meines Lebens verflossen, ohne daß sein Bild meiner Seele vorschwebte und den Vorsatz in mir befestigte, mich seiner wert zu machen. Stolzchen! – Gottlob, wir sterben alle, und dann – »dann trennt kein Schicksal mehr die Seelen, die du, Natur, einander bestimmtest.«

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 16. Januar 1777.

Gottlob, ich brachte meine liebe Friedrike glücklich her. Sie lag in der Isbuschke Eine Art Wagen. C. mehrenteils auf meinem Schoße! Unter Schmerzen lächelte der holde Engel mich an, und wenn sie schreien mußte, so streckte sie die kleinen Ärmchen nach mir aus, fragte, ob denn der liebe Gott ihr die häßlichen Stecknadeln nicht aus der Brust nehmen könnte? Wenn mir dann die Tränen hinunterstürzten, so sagte sie: »Mutter, du bist nicht artig, du weinst – ich weine nicht, und die Stecknadeln stechen mich so stark.« Ach! Stolzchen! sollte mir auch der Schmerz bevorstehn, daß ich meine Friedrike verliere? Nein, nein! Gott wird mir dies holde Kind erhalten! Mein Herz und mein Verstand kann den Gedanken nicht fassen, daß ich unter solchen Umständen Mutter wurde, um eine so kurze, so teuer erkaufte Seligkeit zu verlieren. – Hofrat Lieb gibt mir Hoffnung, und mein Herz hofft eben so sehr. Diese Nacht hat sie besser geschlafen, und es scheint, als wenn die Reise dem holden Kinde wohlgetan hätte. Das Feuer – der Glanz in ihren großen, blauen Augen sind lebhafter als jemals. Aber ihr Husten läßt nicht nach. Lebe wohl, mein Stolzchen!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 24. Januar 1777.

Immer noch, mein Stolzchen, schwebe ich zwischen Furcht und Hoffnung – das Fieber meiner Friedrike nimmt eher zu als ab: aber Liebs Zuspruch und mein eignes Herz erfüllen mich mit Hoffnung. Was ich Mama von Friedrikchens Äußerungen geschrieben habe, ist wahrlich gar nicht verschönert dargestellt: es ist unglaublich, was für Züge des Geistes und des feinen Gefühls mein kleiner Liebling fast stündlich äußert. Heute lag sie in meinem Schoße, ich konnte mich beim Anblick ihrer Schmerzen, da ihr die spanischen Fliegen vom Leibe genommen wurden, der Tränen nicht enthalten und hielt mein Schnupftuch vor das Gesicht – sie riß mir es weg, reichte mir das ihrige dar und sagte: »Dies wird deine Tränen besser trocknen.« Stolzchen, denke dir, wie mir da war! Ach! dies Kind kann – ich werde es nicht verlieren! – und doch! – –

Den 27. Januar.

Gestern in der sechsten Abendstunde entfloh der holde Geist meiner Friedrike zu dem, der mir sie gab. Sie starb auf meinen Armen, als ich das letzte Lächeln von ihren kalten Lippen angstvoll küßte. Ich weiß nicht, wie mir da war – wie mir jetzt ist! Dies weiß ich nur, nirgends ist mir so wohl, als an der kalten, starren Hülle dieser nun Seligen! ruht sie doch da so sanft, als wollte sie sagen: schön und sanft läßt es sich im kalten Arm des Todes ruhn! – Teurer Engel! Dich hoffte ich zur edlen Weltbürgerin, für die Ewigkeit zu erziehn, und nun wirst du dort vielleicht meine Lehrerin sein! Noch sind die Züge der Holden nicht entstellt, aber kalt und fühllos ist ihre Hülle jetzt gegen meinen tiefgefühlten Mutterkuß. – Mutterkuß? – ach, Stolzchen, ich bin nicht Mutter mehr – werde diesen süßen Namen nicht mehr hören! – Liebes, holdes Kind – dein Eintritt in die Welt kostete mir bittre Tränen, und dein Hingang zu dem, der dich mir gab – ach! jetzt habe ich keine Tränen! – Gott! Auch Recke wird tief gebeugt sein! Hätte ich ihm doch nur die Freude machen können, ihr letztes holdes Lächeln zu sehn! – ach! – er sah ja auch das erste Lächeln dieser nun Seligen nicht!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 5. April 1777.

Eben erhielt ich das Gemälde meiner unvergeßlichen Friedrike, ganz ist die holde Anmut des kleinen Engels nicht erreicht, und doch ist diese Leinwand so lieb! – – Ich will mich von dieser gleich auf einige Tage trennen. Mein Herz macht mir es zur Pflicht, Recke ein solches Bild zu schenken. Er liebte die Kleine so herzlich! – Gott! – hätte ich ihm diese zu seiner Freude erziehn können! – – Jetzt bin ich ungeduldig, auch das zweite Bild bald fertig zu sehn, um Recke die wehmütige Freude zu schenken, die ich heute genoß.

Den 12. April.

Stolzchen, das Bild meiner Friedrike, welches ich für Recke bestimmt habe, ist fertig; im Augenblick will ich es zu Tetsch schicken und diesen bitten, daß er es Recke auf meine Kosten durch eine Stafette nach Neuenburg heute noch schickt. Es ist mir ein süßes Gefühl, dem Vater dieses kleinen Engels die Freude machen zu können.

Tetsch war Reckes Advokat und diente ihm in der Sache wider mich, war aber mein Freund geworden: hier folgt mein Brief an Recke, den ich Tetsch nebst dem Bilde zur Beförderung schickte.

Mein Brief an Recke.

Der Besitz des Gemäldes meiner Friedrike ist mir ein beruhigender Trost. Ich kenne und ehre Ihre Zärtlichkeit für die liebe Selige! ich glaube, daß auch Ihnen das Bild des guten Kindes, welches Sie selbst im Sterben liebte, wert ist, und so kann ich mir die Freude nicht versagen, Ihnen damit ein Geschenk zu machen. Gott raubte mir die, Ihr Kind so zu bilden, daß sie die Freude Ihres Alters geworden wäre! Früh rief er unsern Liebling zu besserm Glücke. – Sein Wille ist immer gut. Wir wollen diesen ehren, auch wenn er unsre Herzen verwundet. Ist meine Absicht, Ihnen durch das Bild unsres Lieblings Freude zu machen, erreicht, so ist mein Wunsch erfüllt. Ich bin mit aller Achtung

Ihre ergebene Dienerin
C. Recke.

Tetsch' Billet an mich.

Wenn man das Glück hat, nahe bei einer frommen Tat zu sein, dann ist einem mehrenteils zu Mute, als wäre man mit fromm gewesen.

Mir ging es so, gnädige Frau, und mit dieser stolzen Empfindung verehre ich auch den Auftrag, den Sie mir gemacht haben, dem Herrn Kammerherrn von der Recke im Gemälde Ihrer Tochter ein Meisterstück Ihres schönen Herzens überliefern zu können. Er wird gewiß mehr als eine Träne vor diesem teuren Bilde fallen lassen. Schon ich konnte mich einer schwermutsvollen Träne nicht enthalten, als ich mir die Bedeutung des schwarzen Topfes dachte, in dem der Rosenstock steckt. Stolz blüht die eine Rose empor, abgewandt von der schönen vollen Rose, die, mit der lieblichen Knospe so dicht vereint, das Haupt traurig zur Erde beugt. Die Hand des geliebten Kindes pflückt die Knospe! Armer Freund! Für dich blüht aus diesem Topfe keine Rose mehr! und welche reiche Ernte hättest du einsammeln können, hättest du den Wert der schönen, vollen, zur Erde niedergebeugten Rose zu schätzen gewußt.

Herr von Recke ist jetzt in Schneppeln und geht von da nach Zierau. Ich habe ihm heute mit der Post Ihr religiöses Geschenk bekannt gemacht und ihm als einen Vorboten seiner künftigen traurigen Freude Ihren Brief vorangeschickt. So geschwinde, als Sie es wünschen, wird Recke das Gemälde nicht bekommen. Doch der zufällige Zwischenraum einiger Tage nimmt weder der Würde des Geschenkes, noch dem Geiste, mit welchem es gegeben worden ist, nichts von seinem edlen Werte.
Tetsch.

Reckes Antwort an mich.

Sie, meine Gnädigste, haben mir durch das Gemälde meiner nie zu vergessenden Friedrike ein mir teures Geschenk gemacht. Dies Bild ist mir doppelt schätzbar, und ich weiß selbigem keinen bessern Platz auszumachen, als wenn ich es an die Seite einer Mutter setze, die dies gute Kind zum Muster aller Mütter liebte und erzog. Mein Herz empfindet bei dem Gedanken an diesen meinen entseelten Liebling mehr, als ich zu sagen vermag! aber gewiß auch eben so viel bei dem Gedanken an die, die sie gebar! Beider Andenken wird nie bei mir erlöschen! Nehmen Sie, Verehrungswürdige, für dies mir liebe Geschenk den achtungsvollsten Dank entgegen und glauben Sie gewiß, daß meine Verehrung, meine zärtliche Hochschätzung gegen Sie mein ganzes Leben hindurch unwandelbar fortdauern wird. Ganz durchdrungen von Ihrem inneren Werte bin ich auch jetzt mit dem innigsten Gefühle

Ihr Sie wahrhaft und ewig verehrender
Georg von der Recke.

Abends gegen 6.

Stolzchen! ich habe einen unerwarteten Besuch gehabt. – Rönne aus Pühren war bei mir, und Stolzchen! – fast glaube ich, der Mann liebt mich noch. Eben hatte ich meinen Brief an Recke und mein Billett an Tetsch geschrieben und wollte beides nebst Friedrikens Bild zu Tetsch schicken. So ging ich zum Saale, dort fand ich Rönne vor den beiden Gemälden meines Kindes stehn. Er hatte geweint, ich war betroffen, machte eine Entschuldigung, daß er allein war, und sagte, ich hätte es nicht gewußt, daß er im Saale sei. – Er sah mich herzlich an und sagte: »Edle Dulderin! ich war hier vor diesem Bilde in Gedanken der Vergangenheit vertieft! Gott, wie glücklich hätte der Vater dieses holden Engels sein können, wenn er den Wert des Schatzes gekannt hätte, der ihm zuteil wurde und der ewig meine innigste Liebe besitzen wird. Meine Frau weiß es, daß meine erste Leidenschaft aus meiner Seele unvertilgbar ist.« Ich unterbrach ihn, fragte nach dem Befinden seiner Frau, seiner Kinder; er sah mich an – sagte dann mit Inbrunst: »Jetzt ist meine Liebe zu Ihnen ganz anspruchslos, doch vor dem Throne Gottes werden Sie es einst erfahren, daß ich Ihrer Liebe nicht unwert gewesen wäre. Aber können Sie denn nicht wenigstens in dieser Welt meine Freundin sein?« – Ich sagte: »Hochachtung bin ich Ihnen schuldig, und Ihre Freundschaft wird mir schätzbar sein.« Wir sprachen von andern Dingen; er sagte, das eine Gemälde meiner Tochter würde wahrscheinlich für meine Eltern bestimmt sein. Ich antwortete, der Vater dieses Kindes habe noch näheres Recht, und ich hielt es für meine Schuldigkeit, ihm diese Freude zu machen. Hier sprang Rönne auf, faßte meine Hand und sagte mit Feuer: »Bei Gott, ich muß Sie fliehn, ich darf nicht ferner in Ihrer schönen Seele lesen, wenn ich nicht wahnsinnig werden will! – So – so können Sie gegen einen Mann handeln, der Sie mißhandelte? – Gott, warum wurde dies Weib nicht mein?« – Er flog zur Stube hinaus, und obzwar Rönne der Mann nicht ist, den ich hätte lieben können, so schlug mein Herz bei seiner Rede doch ganz sonderbar, und als er fort war, mußte ich meinem Herzen durch Tränen Luft machen!

Stolzchen, ich fühle es, ich hätte als Mutter und Gattin sehr glücklich sein können, wenn die Vorsehung mir einen Gatten gegeben hätte, den ich hätte ehren und lieben können! – Meine Mutterfreuden liegen im Grabe! sie sind auf ewig dahin, weil ich durch eine unglückliche Ehe schon vor meinem zwanzigsten Jahre Gattin zu sein aufgehört habe. – Wiederverheiraten? Stolzchen! so viel ich mich kenne, so ist es mir nicht wahrscheinlich, daß ich mich je zu einer zweiten Heirat entschließe. Ach, hätte Gott mir meine Friedrike gelassen, dann würde mein Liebe bedürfendes Herz seine Kraft in vollem Maße haben üben können! – Doch! habe ich nicht Geschwister? nicht Freunde? – in Euch werde ich meinen Ersatz finden.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Altautz, 22. April 1777.

Du, mein Stolzchen, bist mir so gegenwärtig, als lebte ich an deiner Seite! Fritz von Medem und Mademoiselle Stoltz hatten im Verlaufe ihrer schwärmerischen Freundschaft eine wachsende Liebesneigung zu einander empfunden. Fritz äußerte die Absicht, die Gouvernante zu heiraten, ein Gedanke, der insbesondere die Stiefmutter empörte und der zur Folge hatte, daß Mademoiselle Stoltz aufs ungnädigste von Altautz nach Königsberg zu ihrer Tante fortgeschickt wurde. Die Stiefmutter unterstellte der Erzieherin dabei, sie ginge darauf aus, Fritz zu verführen, um daraufhin von ihm geheiratet zu werden. Diese Angelegenheit hatte weiter zur Folge, daß Fritz, der die Liebe seiner Stiefmutter nie besaß, nun auch die seines Vaters verlor, und nach Straßburg geschickt wurde. C. Alles, was ich hier sehe, bringt dein teures Bild vor meine Seele! Bei jedem Schritt, den ich hier tue, weckt das Bild der Vergangenheit unsägliche Gedanken in mir auf! – Wehmut und Freude wechseln in meiner Brust! – die Freude behält die Oberhand, weil meine Seele, zur Liebe geschaffen, es fühlt, daß ich dich ewig lieben werde! – Hier! – Hier ward unsre Freundschaft geknüpft, die eine Ewigkeit hindurch währen wird! – unwillkürlich führen meine Schritte mich am öftersten auf die Stellen, wo meine Friedrike mir in ihrer letzten Krankheit so viele Beweise einer Seele gab, die Größe und unaussprechliche Kraft zum Guten hatte. Teures Kind! ich sage mit Klopstock: »Blume! – du stehst verpflanzt, wo du blühest!« – Ob Hartmann sich nicht vielleicht der frühen Ankunft meines Lieblings gefreut haben mag? – Ach! – der Gute hätte mir gewiß so gerne Mutterfreuden gegönnt! – doch! da sie beide nun dem Geist der Welten näher, als ich, sind, so ist es mir ein süßer Gedanke, sie mir zusammenzudenken.

Mein Fritz, auf dem alle meine Kraft zu lieben doch vorzüglich ruht, den ich mehr als Euch liebe, ohne Euch darüber Abbruch zu tun – mit dem habe ich soeben im Saale in dem Fenster, ich welchem ich mit Hartmann und dir das letztemal sprach, ein sehr interessantes Gespräch gehabt. Nein, so wie mein Fritz mich versteht, wie er die feinsten Nüanzen meiner Empfindungen zu entwicklen weiß, so ist meine Seele doch mit keinem in Harmonie gestimmt. Ich sagte meinem Fritz die Gefühle, die ich hatte, als Hartmann hier den letzten Abend mit dir und mir über Leben und Tod sprach! Es war ein schöner Septemberabend – der Mond leuchtete sanft – doch funkelten einige Sterne am Himmel. Hartmann nannte uns beiden einige dieser Gestirne. Ich und Hartmann, wir bogen uns hinaus, um die Stellung des Orions zu sehn – sein Gesicht kam mir so nahe, daß ich den Hauch seines Atems fühlte; er nahete sich mir noch mehr, da zog ich mich zurücke, der Krummkamm fiel aus meinen Haaren, meine Haare wehten ihm ins Gesicht, er küßte die Spitzen meiner Haare, ergriff meine Hand, küßte diese – ich fühlte seine heißen Tränen, ein nie gefühlter süßer Schauer durchbebte mich – von Euch beiden riß ich mich los! Dich schloß er dann in seine Arme – ich sah dies – und es tat mir wohl! Aber noch wohler wurde mir, da ich, ungesehn von Euch, Hartmanns heiße Tränen von meiner Hand küßte. Mein Fritz schloß mich, da ich über alles dies mit ihm sprach, in seine Arme und sagte: »Gottlob, daß du meine Schwester bist, Bruderliebe zu solch einer Schwester ist das höchste Wonnegefühl!« Ich sagte ihm, ich habe oft, so lange Hartmann gelebt hatte, gewünscht, daß er mein Bruder sei.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau 19. Juli 1777.

Morgen, mein Stolzchen, werden mein Bruder und ich nach Brucken reisen, dort wird dieser unser Liebling von Großmama Abschied nehmen. Stolzchen, mir läuft es wie Eis durch alle Adern, wenn ich daran denke, daß dies die letzte Reise ist, die ich mit meinem Liebling mache. Fritz sollte zur Universität nach Straßburg abgehen. C Gott! was ist das Leben des Menschen, und wie vorüberfliegend sind alle Freuden! – Wie nahe grenzt Schmerz und Vergnügen aneinander! – Doch, von andern Dingen! Recke wendet jetzt alles mögliche an, um mich zurückzuhaben. Landrat Firks und Landrat Derschau waren von ihm abgeschickt, um mir sehr große Anerbietungen zu tun, falls ich zurückkehren wollte. Ich versicherte, daß, wenn ich nicht die zu feste Überzeugung hätte, daß unsre Charaktere durchaus nicht für einander passen, ich gewiß zurückkehren würde, aber daß ich mich zu sehr schätze, um mich für Geld zu verkaufen. Recke will meine Pension um dreimal erhöhen, falls ich ihm wieder einen Erben oder eine Erbin schaffe, und mein Onkel aus Creutzburg sagte mir sogar unter den schmutzigsten Redensarten, daß, wenn Recke nur ein Kind von mir hätte, so könnte ich nachher auch wieder entfernt von ihm leben – er wolle mir auf diesen Fall noch 1200 Taler mehr zu verzehren geben, als mir jetzt ausgesetzt ist. Stolzchen, du kannst dir es wohl denken, wie so etwas mein Herz verwundet! – Guter Gott! Was für Menschen leben auf deiner schönen Erde! – Was mich aber sanft erschütterte und den Wunsch in mir erregte, daß es möglich sei, mit Recke leben zu können, war eine Gesandtschaft der Neuenburgschen und Annenhöfschen Bauerschaft.

Über zwanzig Bauern waren von allen Gebieten Reckes zu mir abgeschickt, um mich zu bitten, den Wünschen ihres Herrn Gehör zu geben. Der Annenhöfsche Ältste und der Neuenburgische Meyer führten das Wort. Ersterer sagte: »Gott hat auf unser Flehen gehört, er hat das Herz unsres Herrn so gelenkt, daß er es fühlt, welchen Schatz er in Euch verloren und welches Glück er uns dadurch entzogen hat. Kommt zurücke, verzeiht unsrem Herrn, Ihr werdet jetzt gewiß gute Tage bei ihm haben. Mit Freuden wollen wir im Schweiße unsres Angesichtes den Reichtum unsres Herrn vermehren, wenn wir nur die Hoffnung haben, daß Eure Kinder über unsre Kinder herrschen werden.« Dann fing der Meyer wieder an: »Wenn wir Sonntags zur Kirche gehn, dann eilen wir aufs Schloß, sehn dort Euer Bild und weinen, daß wir Euch selbst nicht mehr dort haben. Unser seliges Fräulein hängt neben Euch; Gott, wenn die noch lebte! – Aber das Grab gibt keine Toten wieder! Tränen und Gebete sind da umsonst! Ihr aber lebt! Ihr könnt uns wieder eine Erbin gebären! Merkt auf unsre Tränen! hört auf unser Flehn! – werdet wieder unsre Mutter! unsre Versorgerin! – um unsertwillen verzeiht unserm Herrn!« – Alle zwanzig Bauern stürzten auf die Knie und riefen schluchzend: »Verzeiht – verzeiht unserm Herrn!«

Lebte unsre Friedrike noch und wäre Recke in diesem Augenblicke gegenwärtig gewesen, mein Herz hätte sich überraschen lassen; jetzt aber folgte ich meiner Vernunft.

Um die guten Bauern nicht zu sehr zu betrüben, so ließ ich ihnen einige Hoffnung, ermahnte sie zur Liebe gegen ihren Herrn, und so verließen sie mich unter tausend Segenswünschen. So wie die guten Leute mich verlassen hatten, schrieb ich an Lieven, bat diesen, daß er Recke in meinem Namen bitten möge, keine solchen Auftritte zu veranlassen, das gebe ein pourparler in der Stadt, und ich respektierte ihn zu sehr, als daß es mich nicht schmerzen sollte, daß er sich so viele vergebene Mühe mache. Recke hat mir sagen lassen, es sei der eigne Einfall seiner Bauern gewesen, daß sie so en corps zu mir gekommen wären. Seit ich Neuenburg verlassen hätte, sei noch kein Sonntag verflossen, daß seine Bauern es nicht von ihm gefordert hätten, er möge ihnen ihre lieb-gnädige Flau wiederschaffen. – In diesem Augenblicks erhalte ich von Recke eine Menge der schönsten Blumen, die die Jahreszeit mit sich bringt.

Wie sonderbar! Als ich seine Gattin war, entfernte er alles, was mir Freude machte, von mir, und jetzt! nein, es ist nicht möglich! sein werde ich nie! Gott lasse es ihm wohlgehn – meine Leiden waren mir Erziehung! – und diese Blumen will ich in Ehren halten. – Stolzchen, erinnerst du dich des Fremden, den wir vor zwei Jahren im Konzert bei Wessel sahen? der uns so gefiel, dessen interessantes Wesen, dessen bescheidner Blick auf unsern Hartmann solchen Eindruck machte und den niemand in der Gesellschaft kannte! Diesen interessanten Mann habe ich in der reformierten Kirche letzten Sonntag wiedergesehn – rate, wer es ist! – Stolzchen, es ist eben der Holtei aus Satticken, von dem unser Fritz uns so viel Gutes gesagt hat und von dem meine Louise Louise, die Tochter des Landmarschalls von Medem. C. immer mit solcher Begeisterung spricht. Ich habe ihn nun genauer beobachtet; wahr ist es: nie sah ich eine edlere Physiognomie, als die seinige. Stimmt seine Seele mit seiner Gestalt überein, so wünsche ich meinem Fritz zu diesem Freunde Glück. Doch! wie lange wird mein Fritz in seiner Nähe leben! Ach bald! – bald wird er von uns allen entfernt sein! – Gott! – wenn ich auch diesen Bruder nicht mehr um mich haben werde!

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 21. August 1777.

Auch diese Trennung ist überstanden! Auch ihn habe ich zum letzten Male an mein Herz gedrückt. Zum letzten Male? – mir ist es, als hätte ich mich von der bessern Hälfte meines Selbst getrennt! Gottlob, jetzt habe ich Tränen! – Gestern um vier Uhr morgens verließ ich Altautz! – nur Dortchen wußte es, daß ich dem Lieblinge meines Herzens entfliehen würde! Ich ersparte meinem Fritz das Gefühl des letzten Augenblickes! Zu oft hat er mir es gesagt, er wisse nicht, wie ihm da sein – wie er das überstehn würde, wenn er mich zum letzten Male in seine Arme schließt, ohne Hoffnung eines nahen Wiedersehens! – Ich! – ich habe dies Gefühl gehabt und bin froh, daß ich ihm dies ersparte. Von Mitau aus schrieb Elisa ihrem Bruder aus tief ergriffenem Herzen am selben Tage einen Abschiedsbrief, aus dem wir folgende Stelle hier anführen: »Noch immer, Liebster, bin ich stumm, noch hat mein Auge keine herzerquickende Träne. Aber mit aller Gewalt fühl' ich's schon, was es heißt, nicht mehr die Blicke desjenigen haben zu können, an welchen das Herz gekettet ist. Liebster! Das meine ist fest an Dich geknüpft, fester, als ich es selbst dachte. – ... Lieber! Du wirst es mir verzeihen; kein lautes Lebewohl gab ich dir; aber mit aller Gewalt fühlte ich's tief im Herzen, da ich mich gestern Abend aus Deinen Armen wand, – wie ich Dir ins Angesicht blickte, in meine Arme Dich schloß und dachte – das letztemal – der Liebe weiß es nicht – das letztenmal – o Gott – Bruder, ein herzquälender Gedanke ist's – Jetzt freue ich mich des! Dir, Liebster, erspart' ich das Gefühl des letzten Augenblicks. Aber das kann ich Dir nicht sagen, wie mir da ward, da ich in den Wagen stieg und so immer ferner aus der Luft kam, in welcher du atmest,« C. Den letzten Abend verbrachten ich und Dortchen noch bis elf Uhr auf seinem Zimmer. Er und Parthey ahnten es nicht, daß dies die letzten Stunden waren! Fritzchen war voll Geist und Leben. Scherz und Witz floß von seinen Lippen, ihn freute der Gedanke, daß er mich noch bis Mitau begleiten – mich noch einen ganzen Tag haben würde! Ach, Stolzchen! ich mag mir dies nicht alles so zurückrufen, und doch kann ich jetzt nichts denken, als an ihn. Unsre letzte Reise nach Brucken hat mir den Geist dieses mir einzigen noch lieber gemacht! Wir reisten nach Elley, dort besuchten wir das Grab unsrer Mutter und meiner Friedrike! Ich ließ den Sarg meiner Friedrike öffnen, hoffte, noch Spuren von der Schönheit zu sehn, die dies holde Kind auch als Leiche hatte. Aber Stolzchen! nichts als Staub war da – nichts – nichts, woran meine Augen sich nun weiden konnten! aber meine Seele hatte durch den Gedanken Freuden, daß, wenn mein Körper einst in Staub zerfällt, mein Geist mit denen vereint sein wird, die ich im Leben liebte. Fritzchen und ich umarmten uns da – wir schwuren es uns, vereint nach Würde der Seele zu streben. Ein ängstlicher Schauer ergriff mich bei dem Gedanken, daß auch sein Auge sich früher, als das meinige, zur dunklen Grabesnacht schließen könnte; ich sank schweigend an sein pochendes Herz; er schloß mich in seine Arme und sagte: »Schwester! – edle Liebe ist stärker, als der Tod! Seelen, die sich lieben, sind nie getrennt! wir schweben alle im großen Universum und finden uns einst wieder.« Lebe wohl, Stolzchen! wir alle finden uns einst wieder!

 

(Der folgende Brief ist von Lisette von Medem auf einem von Elisa begonnenen Brief an Mademoiselle Stoltz, vom 30. September 1777, geschrieben.)

Ich nehme die Feder meiner Lotte, um Ihnen Dinge zu sagen, die sie Ihnen verschweigt oder sich selbst nicht gesteht. – Wissen Sie wohl, daß ich und alle jungen Freundinnen unsrer Lotte darauf dringen müssen, daß sie zu Recke zurückkehrt oder sich scheiden läßt und dann wieder heiratet? Bei Gott! sonst bleiben wir ohne Männer. Die gescheiten und die süßen jungen Herrn, alle sind nur von Lotten bezaubert, haben für sie nur Augen, keiner wagt ihr den Eindruck zu gestehen, den ihre Reize machen, desto mehr aber schütten sie mir ihr Herz aus. Sie müssen mich doch für ein frommes, gutmütiges Geschöpf halten, daß sie zu mir immer von den Reizen eines andern Weibes sprechen. Rutenberg aus Ilsenberg schwebt immer um mich, so daß man ihn für meinen Liebhaber halten müßte, aber statt mich von mir zu unterhalten, so unterhält er mich von meinem liebern Selbst, von meiner und Ihrer Lotte; er erzählt mir die Gründe, warum Lotte geschieden werden muß, und sagt, daß er sich nichts Glücklicheres denken kann, als ein solches Weib zu besitzen. Ropp, für den seine Verwandten eine reiche Braut ausgesucht haben, seufzet, daß diese ihm nicht wie Lotte gefällt. Er sagt: die Luft um sie her sei bezaubert, und er fühle sich nie so edel und gut, als in ihrer Atmosphäre. Mirbach spricht weniger von Lotten, aber seine Augen sprechen um so mehr; ganz zuletzt nenne ich Ihnen einen Mann Gemeint ist Johann Dietrich von Holtei auf Satticken. C. – einen Mann, der Männern und Weibern gefällt, wie Lotte beiden gefällt, und der, wie Lotte, die Bescheidenheit selbst ist. Der Blick seiner schönen, braunen Augen ist so sanft, so seelenvoll, als unsrer Lotte blaue Augen sind. Diese braunen Augen bekommen einen Glanz, der mit einer himmlischen Glorie zu vergleichen ist, sobald sie Lotte anschauen; oft senken sich seine schwarzen Augenwimpern nieder, wenn er sich bei einem solchen Blicke überrascht sieht. Freilich spricht er nie von Lotten und wenig mit ihr – mich, Louischen Medem und Lottchen Hahn sieht er um so mehr. Ist Lotte gegenwärtig, so spricht er nur mit uns, und Geist und Leben fließt dann von seinen Lippen. Spricht er zu Lotten, dann wird der melancholische Ton seiner Stimme noch rührender. Ich habe ihn gestern mit Lotte eine Menuette und eine Allemande tanzen sehn – beides war einzig in seiner Art und die schönste Augenweide, die ich gehabt habe! Aber, bei Gott, seine Hand zitterte, als er Lotten in der Menuette die Hand gab. Die Allemande mag ihn sehr glücklich und – unglücklich gemacht haben! Sie wissen, wie unnachahmlich seelenvoll und reizend Lotte diesen Tanz tanzt. Rutenberg wollte aus der Haut fahren! Sowie Lotte den Tanz vollendet hatte, nahm Rutenberg sie auch zur Allemande auf, nun setzte der interessante Mann mit den schönen, braunen Augen sich neben mich und sah Lotten mit Rutenberg tanzen. Ich sprach mit Fleiß von Lotten, von ihrem Tanze; er sagte, selten habe er so schön, und nie mit der bescheidenen Grazie tanzen sehn. Mehr konnt ich aus ihm nicht herauskriegen; könnte er aber über seine Augen wie über seine Reden wachen, dann wäre ich noch ungewiß – jetzt aber habe ich Lotten und Louisen meine Vermutung gesagt! Gute Louise! die Augen, die so trunken von Lottens Reizen sind, für die kannst du kein andres Interesse haben, als daß du Lottens Freundin bist. Und hiermit Gott befohlen – ich werde mich freuen, wenn ich unrecht sehe. Frau Großmama ist jetzt ganz allerliebst. Sie will, Rutenberg soll Lottens Mann werden. Ich aber gönne unsrer Lotte keinen von allen diesen Herrn. Warum? Stolzchen, Sie kennen das Herz Ihrer Lisette Medem.

Hier fehlen die Seiten 354 und 355. Re

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 8. April 1778.

Wie soll ich den Ton meiner Briefe anders einrichten? – Stolzchen, ich verheimliche dir nichts, vielleicht verheimliche ich mir selbst etwas! – Nun, was ich mir verberge, wie sollte ich dies meiner liebsten Freundin offenbaren? – Sei ruhig, Liebe, und freue dich dessen, daß deine Lotte mehr, als jemals, deiner Liebe und der Achtung derer wert ist, die die Pflichten edler Freundschaft kennen. Eine meiner besten Freuden ist die, daß Dortchen und Mirbach sich immer lieber gewinnen. Ich werde also die Freude haben, meine Schwester so glücklich zu sehn, als ich hätte werden können, wenn meine Stiefmutter mich nicht für die Neuenburgischen Güter an Recke verkauft hätte. Mama ist bitterböse auf mich, daß der Stamm dieser Familie durch mich nicht fortgepflanzt werden kann.

Recke hat sich die Erlaubnis erbeten, mich bisweilen besuchen zu können; ich habe es ihm sagen lassen, daß es mir angenehm sein würde, seine Stunden erheitern zu können; als seine Freundin könne er mich betrachten, nur darauf müsse er nicht rechnen, daß ich jemals wieder seine Frau werde. – Vorige Woche kam er zum ersten Male zu mir. Was mein Herz bei seinem Anblick fühlte, vermag ich nicht zu sagen. Saß aus Scheden begleitete ihn zu mir. Recke hatte mich bitten lassen, daß ich allein sein möchte – ich war also allein. Er fiel zu meinen Füßen, weinte, bat mich um Verzeihung, daß er meine Tage so getrübt habe, versprach, sein ganzes Leben dahin zu verwenden, mich so glücklich zu machen, als er mich unglücklich gemacht hätte. Ich bat ihn, eine Stellung zu verlassen, die sich für ihn nicht schicke, sagte ihm, er könne meine Tage nur dadurch beglücken, wenn er mein Freund sein und es vergessen wolle, daß wir verheiratet gewesen wären. Ich versprach ihm, als Freundin, wo ich könnte, für seine Zufriedenheit zu sorgen; nur seine Gattin könnte ich nicht wieder werden. Allmählich lenkte ich das Gespräch auf andre Gegenstände, Recke verließ mich nach einer Stunde, er schien zufrieden, sagte, er würde sehr oft wiederkommen. Ich erwiderte, daß es mir sehr angenehm sein würde, wenn mein Umgang ihm Vergnügen mache, und versprach ihm immer einen ähnlichen Empfang. Mama war sehr böse, daß der Besuch so abgelaufen ist, und Großmama wurde auch mürrisch; sie sagte, die Sache müßte auf die eine oder die andre Weise beendigt werden.

 

An Mademoiselle Stoltz

Mitau, 14. Juni 1778

Ich bin gesund, mein Stolzchen! – Den 2. bekam ich in Groß-Blieden von Parthey die Nachricht, daß mein Fritz tötlich krank gewesen, jetzt aber in der Besserung, nur noch sehr schwach sei. Alles hofft hier seine Genesung; ich wünschte, daß auch du sie hoffen könntest. Hoffnung ist süß! – ich aber habe sie nicht – ich habe nur Resignation! Mir ist jetzt, als wäre die ganze Schöpfung für mich tot! Hoffnung und Freude sind mir ein leerer Schall. – Hier bin ich nun bei geliebten Freunden; meine Louise, Holtei, Schwander, Mirbach, Philipp Hahn sind auch hier. Alle suchen mich zu erheitern, auch mache ich keinem meine trübe Ahnung kund. Holtei sagte mir: »Ich möchte Sie lieber weinen, als mit diesem heitern, bleichen Gesichte sehn. Dies sagt mir das Gefühl, das Sie verbergen!« Es war mir, als weinte mein Herz in diesem Augenblicke, aber meine Augen blieben trocken. Ich konnte Holtei nichts antworten, als: »Vielleicht ist mein Bruder schon glücklicher als wir!« Fritz war in der Tat bereits am 11. Juni in Straßburg »an einem Brustfieber« gestorben. Er hatte sich beim Sterben die geistlichen Lieder Elisas vorlesen lassen, und so, nach einem langen Blick auf das Bildnis seiner Schwester, war er verschieden. Später schrieb Elisa in ihr Tagebuch: »Heute vor zwölf Jahren ergriff in dieser Stunde mich die bange Ahnung, mein Liebling sei an seiner schweren Krankheit gestorben ... War es nur Furcht, mein Lebensglück verloren zu haben, die mich in dieser Stunde ergriff, oder herrscht im Geisterreiche eine solche Verbindung zwischen liebenden Seelen, daß Ahnungen sich dieser bemächtigen ... und uns den Wink geben, daß wir in einer geheimnisvollen Verbindung mit der uns unbegreiflichen Geisterwelt stehen?« Am 10. Januar 1826 bemerkte sie dazu, man dürfe sich keinen Ahnungsgefühlen überlassen, »Um mich von meiner Ahnungssucht zu heilen, schrieb ich ein ganzes Jahr meine gehabten Ahnungen auf; unter zwanzig, die mich gequält hatten, waren nur zwei eingetroffen.« C. – Stolzchen, sprechen – schreiben und denken wird mir schwer! Parthey ist jetzt der einzige, dem ich viel schreiben kann. – Lebe wohl! ich bin gesund und liebe dich.

 

An Mademoiselle Stoltz.

Mitau, 6. Juli 1778

Den letzten harten Schlag, der mich treffen kann, habe ich erfahren! Ich weine, ich klage nicht! Gott! – als ich zum letztenmal ihn in die Arme schloß, da schon ergriff mich der schauervolle Gedanke: »Ihn sehe ich in dieser Welt nicht wieder!« Stolzchen, ich schicke dir unsres Parthey Briefe! Schicke mir diese Zeugen des Wertes unsres Seligen bald wieder! Auch wir, mein Stolzchen, schlummern ihm einst nach, um uns auf ewig seiner zu freuen.

 

An Mademoiselle Stoltz

Wilzen, 12. Juli 1778

Mein guter Vaterbruder und meine Tante haben mich auf einige Tage zu sich herausgebracht. Louischen, Lisette, Holtei, Mirbach und Philipp Hahn sind auch hier. Alle suchen, mich zu erheitern! – Der tiefe Schmerz, den ich hier auf jedem Gesichte lese, tut mir wohl! – Gottlob, daß meine Tante mich aus Mitau weggebracht hat. Mamas Anblick kann ich jetzt noch nicht ertragen, ohne daß mein Herz zerrissen wird. Die Frau vermag es nicht, ihre Freude zu verbergen. Den 1. Juli war beim Landmarschall Ball – eben als Mama zum Ball fahren will, erhält sie die Nachricht vom Tode unsres Lieblings – sie sagt nichts – führt uns alle zum Ball, ist so heiter und froh, als hätte sie die beste Botschaft; sie fordert mich einige Male zum Tanz auf. Ich konnte ihr nur dies sagen: »Ach, einer solchen Lüge bin ich nicht fähig. Tanz ist der Ausdruck der Freude, und in diesem Augenblick ringt vielleicht mein Bruder mit dem Tode.« Mir wurde bei Landmarschalls so schlimm, daß Schwander und Mirbach mich fast ohnmächtig zum Wagen brachten. – Mein Herz sagte es mir, daß mein Bruder tot ist, aber Gewißheit hatte ich noch nicht. Den 2. Juli kam Schwander des Morgens um acht zu mir, eine Stunde, in welcher er nie auszugehen pflegte. Wie er zu mir kam, rief ich ihm entgegen: »Sie bringen die Nachricht von meines Bruders Tod!« – Der edle Mann weinte und sagte: »Ja!« – Ich weinte nicht, sagte nur: »Gewiß hat Mama schon gestern meines Bruders Tod gewußt!« – Schwander sagte: »Ja! – Woher wissen Sie dies?« – »Weil ich Mama seit lange nicht so froh als gestern sah!« – Stolzchen, kaum aber hatte ich dies gesagt, so tat es mir wehe, daß ich so bitter gewesen war. – Und doch, und doch konnte ich mich nicht überwinden, Mama den Tag zu sehn! Ich gestand Schwander meine Schwäche. Schwander übernahm es, mich bei meinem Vater und meiner Stiefmutter zu entschuldigen, daß ich sie den Tag nicht besuche. Louischen holte mich zu sich ab, bei meinem Vaterbruder wurde mir mein Herz wieder zerrissen. Ich blieb auf Louisens Zimmer, weil ich allein zu sein wünschte. Beide Brüder Holtei baten um die Erlaubnis, zu mir zu kommen. Auch Carl Holtei ist ein liebenswürdiger und interessanter Mensch. Dieser und meine Tante verlangten es durchaus, daß ich eine Meile aus der Stadt hinausfahren und den Tag im Grünen verbringen sollte.

Carl Holtei bot seinen offenen, viersitzigen Wagen an; er besorgte die Equipage, und der edle, der gute Holtei aus Satticken gab mir es mit so sanfter Bescheidenheit zu verstehen, daß es ihm Beruhigung sein würde, mich und Louischen diesen Tag nicht zu verlassen, daß ich mir diesen Herzensgenuß nicht versagte. Wäre Lisettchen oder Lottchen Hahn statt Louischen mit mir gefahren, so hätte ich mir die Freude des Umganges dieses edlen Freundes versagt. Nun aber fuhren beide Brüder mit uns, und wir blieben bis abends gegen acht in einer Bauernhütte. Beide Brüder unterhielten uns auf die interessanteste Art – wir sprachen viel über Leben und Tod – über unsere Vermutungen vom Zustande nach dem Tode und über die Seligkeit eines innigen Seelenbandes. Ich sprach mehr mit Carl Holtei und ließ Louischen bisweilen mit dem Sattickschen allein. Carl Holtei ist verheiratet, er liebt, er ehrt seinen Bruder über alles. Und – ach! – Stolzchen! – Wünsche edler Menschen, die einem so lieb sind, nicht befriedigen zu können, selbst wenn unser Herz mit ihren Wünschen nicht übereinstimmt, dies schmerzt. Aber das Gefühl, daß man der Pflicht, der Freundschaft seine Neigung opfert, dies ist auch süß. – Der zweite Juli wird mir in mehr als einer Rücksicht unvergeßlich bleiben. Sehe ich meine Louise einst als Holteis Gattin glücklich, so will ich mich dieses traurigen, mir aber doch schönen Tages freuen.

Als wir zu Hause kamen, ließ Mama mich durch meine Tante befragen, wie ich meinen Bruder betrauern würde, weil meine Eltern sich hierin nach mir richten wollten. – Ich sagte, ich würde meinen Verlust nur in meinem Herzen betrauern und mich zu freuen suchen, daß mein Bruder jetzt so glücklich und sein Andenken allen denen heilig ist, die seinen Wert kannten. Fritzchen verlangte es am Grabe unsrer Mutter von mir, daß, wenn er früher, als ich, stürbe, ich ihn nicht durch Kleidung betrauern möge, und diesen Wunsch meines Bruders würde ich erfüllen.

Den andern Tag speiste ich bei meinen Eltern. Ich fand meine Stiefmutter, meine Geschwister schwarz gekleidet – mein Vater und ich hatten bunte Kleider an. Es tat mir wohl, meinen Vater nicht im schwarzen Kleide zu sehen. – Von Fritzchen wurde nicht gesprochen, dies hatte Schwander bewirkt. Als der Braten gebracht wurde, trat der Bediente, der vormals bei Fritzchen war, mit dem Surtout hinein, welches Fritzchen auf unsrer letzten Reise anhatte. Mein Herz wurde schmerzhaft zusammengepreßt, ich sank ohnmächtig nieder und erhielt mein Bewußtsein nicht eher, als gegen Abend. Da fand ich mich in meinem Bette, man hatte mir die Ader geöffnet, Lisetts, Louischen, Schwander und Mirbach saßen an meinem Bette. Mirbach drückte meine Hand an seine Lippen – an sein Herz und sagte: »Liebe Teure! – Sie sollen in mir einen Bruder haben, der Sie liebt – Sie ehrt – Sie heiliget, wie Ihr Fritz Sie liebte!« – Da weinte ich die ersten lindernden Tränen. – Mirbach ist mit wahrer Bruderliebe für mich besorgt, aber nichts – nichts ersetzt mir meinen Fritz.

 

Hier bricht die von Elisa selbst für eine spätere Veröffentlichung Veröffentlichung besorgte Zusammenstellung ihrer Briefe ab. – Der schwer geprüften Frau hatte die Bekanntschaft mit Holtei neue Herzenskämpfe gebracht, die die letzten Briefe bereits ahnen lassen. Wenn sie am 13. Oktober 1777 an Mademoiselle Stoltz schrieb: »Holtei weiß, daß ich nicht geschieden bin, ein Mann wie er wird gewiß nicht in meiner Lage auf meine Hand Anspruch machen. Nein! nein! vor diesem Leiden der Seele wird der Himmel mich bewahren!« so sah sie sich darin getäuscht: am 9. Februar 1778 bewarb sich Holtei um ihre Hand. Elisa schlug den Antrag aus gegen die Stimme ihres Herzens, da sie wußte, daß ihre geliebte Base Louise denselben Mann gleichfalls liebe, und sie des Glaubens war, dieser würde, von Elisa abgewiesen, um sie freien. Mit tiefer Wehmut aber mußte sie später erkennen, daß sie das Opfer umsonst gebracht hatte. Am 9. Februar 1790 um 10 Uhr morgens schrieb sie in ihr Tagebuch: »Wie ganz anders erscheinen die Dinge, wenn wir nach dem Zwischenraum einiger Jahre uns vergangene Begebenheiten von neuem vor die Seele führen! Was mir heut' vor zwölf Jahren heroische Tugend schien, erscheint mir nun überspannte Schwärmerei. Vergl. Seite 360, den letzten Satz. C. – O du teurer, du edler Freund, wie glücklich hätten wir sein können, wenn ich die himmlische Gabe deiner Liebe angenommen, mein Schicksal mit dem deinigen verbunden haben würde! – Den härtesten Kampf der Seele hatte ich heut vor zwölf Jahren in dieser Stunde – ich schlug deine Hand, du teurer, aus, obzwar mein Herz im stillen deine Liebe erwiderte. Dir, du Geliebter, verbarg ich es, was du mir warst, denn meine Jugendfreundin hatte mir ihre Leidenschaft vertraut, ehe du, zarte Seele, mich kanntest! – Es schien mir, als raubte ich meiner Cousine ein Herz, welchem sie vielleicht lieb geworden wäre, wenn der zartfühlende Holtei nicht meine Bekanntschaft gemacht hätte.

»Ich entsagte dem Glücke, ihm anzugehören, und hoffte, durch dies Opfer die Verbindung meiner Cousine zu befördern und dann den mir so werten Mann als Verwandten lieben zu können. Auch war mir das Andenken meiner so unglücklichen Ehe noch zu gegenwärtig, und ich glaubte, durch erhabene Freundschaft edler Seelen glücklicher zu werden, als man es gewöhnlich durch das Band der Ehe wird. Mein Opfer war umsonst. Holtei wählte meine geliebte Louise nicht: ein Wesen, das den zarten Gang der Seele dieses tieffühlenden Mannes nicht verstand, wurde die Gefährtin seines Lebens. Die Zartheit, mit welcher er sich in seiner Ehe betrug und beträgt, die liebevolle Sorgfalt, mit welcher er ein weiser Vater ist, der Edelsinn, mit welchem er Freund zu sein und seine Untertanen zu beglücken weiß, machten mir ihn erst recht wert. Mit jedem Jahre fühlte ich es tiefer, wie glücklich mich diese Verbindung gemacht hätte: und nun erst wurde Holtei das Ideal meiner Seele; dies stand seitdem jeder anderen Verbindung im Wege. Obzwar Holtei auch nicht die entfernteste Ahnung hatte, wie sehr er meine Seele beschäftiget, so kann ich doch mit dieser Stimmung des Gemüts keine andere Verbindung eingehen. – Zwar wissen es nur Gott und ich, wie einzig der würdige Mann mir immer gegenwärtig ist! Aber dennoch ist mein Entschluß fest, keine zweite Heirat zu vollziehen, außer wenn ich einen Gegenstand fände, der mir noch lieber als Holtei würde« – Am selben Tage, da sie dieses schrieb, hatte sie dem früheren Adjutanten Friedrichs des Großen, General Grafen von der Goltz, auf dessen Heiratsantrag ablehnend geantwortet. C.

Und 33 Jahre später, am 27. Juni 1823 schreibt sie: »Noch heute habe ich die Überzeugung, daß unter denen, die mich als Lebensgefährtin zu besitzen wünschten, ich nur als Holteis Gattin mein Ideal der glücklichen Ehe an der Seite dieses durchaus edlen Charakters gefunden hätte. Noch jetzt liebt diese schöne Seele mich mit freundschaftlichem Enthusiasmus; heilige Erinnerungen sind in mir und ihm aus unserem erhabenen Seelenbunde zurückgeblieben. Bei jedem Heiratsantrage, der mir in der Folgezeit gemacht wurde, Inzwischen hatte u. a. der letzte Präsident des Reichskammergerichts in Wetzlar, Herr von Seckendorf, im Jahre 1799 um sie geworben, und sie hatte seine Hand ausgeschlagen. Später, im Jahr 1806, hatte Elisa Seckendorf auf dessen Wunsch in Wetzlar aufgesucht, und bei dieser Gelegenheit erneuerte er seinen Antrag, den die Fünfzigjährige jedoch abermals ablehnte. C. trat Holteis Bild vor meine Seele. Die hohe Reinheit dieses durchaus vollendeten Charakters, der keine scharfen Seiten hatte, fand ich bei allen denen nicht, die ihr Schicksal mit dem meinigen zu verbinden wünschten.« –

Ein Jahr, nachdem Holtei sich ihr erklärt hatte, tauchte der Schwindler »Graf« Cagliostro in Mitau auf. Er fand in Elisa einen für seine Absichten geradezu ideal vom Schicksal vorbereiteten Menschen: Im Jahre 1775 war Hartmann gestorben, 1776 hatte sie ihr Mann verstoßen, 1777 entriß ihr der Tod das einzige Kind, 1778 ihren Bruder Fritz, und im selben Jahre hatte sie die aufreibenden Seelenkämpfe wegen Holteis bestanden. In ihrem schmerzzerwühlten Herzen hatte sich die junge Frau mehr und mehr der Sehnsucht hingegeben, mit den Geistern ihrer verstorbenen Lieben, von denen sie sich ja ständig umgeben glaubte, in Verkehr zu treten – und gerade das war es, was der Geisterbeschwörer Cagliostro verhieß! Ist es da ein Wunder, daß Elisa dem Schwindler in die sehr geschickt und mit sicherer Menschenkenntnis ausgestellten Netze ging? Er hatte ja von vornherein gewonnenes Spiel bei ihr! Aber gerade Elisa war es, die dem Ansehen des Abenteurers, der ganz Europa mit seinem theosophischen Mystizismus und sonstigen Schwindel zum Narren machte und ausplünderte, den ersten schweren Schlag versetzte. Eine bedenkliche Äußerung Cagliostros über die körperliche Liebe machte sie stutzig; bald wurde ihr noch anderes an ihm verdächtig, sie zog sich von ihm zurück, und später veröffentlichte sie dann ihre »Nachricht von des berüchtigten Cagliostro Aufenthalt in Mitau im Jahre 1779 und dessen magische Operationen.« Mit großem selbstverleugnenden Freimut bekennt sie darin zur Warnung anderer – und das spricht sehr für die sittliche Größe Elisas – , wie sie dem Wundermanne leichtgläubig und töricht ins Garn lief, und deckt seinen ganzen in Mitau verübten Schwindel auf. In meinem Buche über Cagliostro, das der Verlag Robert Lutz in Stuttgart gleichzeitig herausbringen wird, ist die Enthüllungsschrift Elisas vollständig enthalten. C.

Die Enttäuschung, die Elisa in ihrer Sehnsucht nach dem Reich der abgeschiedenen Geister erlitt, benützte ihr getreuer Freund Schwander geschickt, um sie, insbesondere durch Lessings Nathan, Besonders diese Stelle machte nachhaltigen Eindruck auf Elisa: Nathan: Gewiß, nicht tot! Denn Gott lohnt Gutes, hier Getan, auch hier noch. – Geh! – Begreifst du aber, Wieviel andächtig schwärmen leichter, als Gut handeln ist? Wie gern der schlaffste Mensch Andächtig schwärmt, um nur, – ist er zu Zeiten Sich schon der Absicht deutlich nicht bewußt, – Um nur gut handeln nicht zu dürfen? C. von ihrer leidenschaftlichen Sehnsucht, von ihrer ungesunden Schwärmerei zu heilen. Dieser geistigen Gesundung folgte im Winter 1779/80 eine schwere monatelange Krankheit, die in krampfartigen Zuständen sich auch später noch äußerte. Kaum wiederhergestellt, wurde ihr Herz durch ihren Mann aufs neue heftig erschüttert. Wie im Jahre 1778 machte er, dem inzwischen zum Bewußtsein gekommen war, was er, größtenteils durch eigene Schuld verloren, einen abermaligen Versuch, sich mit seiner Gattin wieder zu vereinigen. Aber ebenso wie damals konnte Elisa auch jetzt seinen Versicherungen, die er über sein künftiges Verhalten gegen sie abgab, den rechten Glauben nicht schenken – auch Holteis Bild hielt ihre Seele gefangen – und sie weigerte sich, mit Recke auf sein Schloß zurückzukehren. Daraufhin leitete er die Scheidung ein, die 1781 erfolgte.

Einige Jahre darauf begann Elisa ihr Wanderleben, das sie durch halb Europa zu Fürstenhöfen, Gelehrten und Dichtern führte. Sie war keine kurische »Landfrau« geworden, auch nicht die »galante Weltdame«, die ihre Stiefmutter aus ihr hatte machen wollen; sie wurde eine berühmte vornehme Frau von Welt und bekannte Dichterin, Eckardt schreibt im 27. Band der »Allgemeinen Deutschen Biographie«: »Literargeschichtlich kommen die poetischen wie die prosaischen Schriften dieser zu ihrer Zeit viel genannten Dichterin höchstens als charakteristische Typen des Zeitalters rationalistischer Schönseligkeit in Betracht. Ihren Ruf hat die Schwester der letzten Herzogin von Kurland nicht sowohl ihrem Talent, als ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihrem Charakter zu danken gehabt, der ungewöhnliche Energie mit ebenso ungewöhnlicher Güte verband.« C. »die erste Frau Kurlands«, die sogar für ihre Schwester, die Herzogin von Kurland, bei fremden Höfen politische Geschäfte führte.

Im hohen Alter von fast achtzig Jahren starb Elisa in Dresden. Sie ist auf dem inneren Neustädter Friedhof zu Dresden beerdigt. In ihrem Testamente hatte sie bestimmt: »Für das Erste ist es mein Wunsch, daß ... mein Begräbnis an dem Orte geschehen möge, wo meine Seele ihre Hülle fallen läßt. Meine Beerdigung sei durchaus prunklos, still und ohne Glockengeläute ... Ohne Sarg werde mein Körper acht Fuß tief in der Erde zur Ruhe gebracht, und meine Gruft decke nur ein Rasenstück.« C. Wer sich für ihre hier nicht mehr geschilderten Lebensschicksale interessiert, der sei auf die zahlreiche Literatur über Elisa von der Recke verwiesen, vor allem auf die von Rachel herausgegebenen »Tagebücher und Briefe«.

Elisas Gatte hat nicht, wie diese es in der Vorbemerkung zu ihrer Briefsammlung wünschte, wieder geheiratet. Zwischen den Geschiedenen war ein auf inniger Freundschaft und gegenseitiger Achtung beruhendes Verhältnis entstanden, und es fand zwischen beiden ein regelmäßiger Briefwechsel statt. Im Herbst 1795 erkrankte Recke in Mitau auf den Tod, und er verlangte nach seiner einstigen Frau, die sofort an sein Lager eilte. Ihr Freund, der Dichter Tiedge, berichtet darüber: »Sie ging sogleich zu ihm und fand ihn im Zustande der furchtbarsten Verzweiflung, womit das Gefühl der Schuld ihn peinigte, wenn er in das Leben und auf das Verhältnis mit seiner ehemaligen Gattin zurücksah. Krampfhaft zuckend griff er nach ihrer Hand und rief: ›Verzeihung! Verzeihung! Sie sind ein Engel, beten Sie für mich!‹ – Wie sehr sie dieser Anblick auch erschütterte, so behielt sie doch Fassung genug, ihm einige tröstende Worte zu sagen. Und da nur ihr Anblick ihm einige Beruhigung gewähren konnte, so wiederholte sie gern die traurigen Besuche. Nach einigen Tagen (am 13. November 1795) hatte er geendet.«

So wird die Geschichte dieser für beide Teile an Qualen überreichen Ehe, die wir aus Elisas Briefen kennen lernten, durch den Geist der Versöhnung nachträglich noch verklärt.


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