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Elftes Kapitel

Freuden des Briefwechsels. Geburtstag meiner Stiefmutter. Zunehmende Neigung zum Tanze, Religionsunterricht, Herr von Behr als Freier.

Die Abreise der Medems-Familie vom Landgute meiner Eltern brachte einige Tage hindurch eine trübe Leere in unserm Hause. Das Gefühl der Trennung von geliebten Freunden füllte meine junge Seele mit heißester Schwermut. Sehnsucht nach dem Umgange meiner geliebten Lisette entfaltete neue Gefühle in mir. Ich empfand, daß mein schönster Lebensgenuß Gedankenaustausch mit geliebten Personen war, und daß die Vollkommenheit ihres Geistes und Herzens zu lieben die beste Lebensfreude sei. Meine Stiefmutter war mir das Liebste auf Erden; nächst ihr liebte ich meine geistvolle Lisette, die sogar Verse machte. Auch meine Stiefmutter war durch dies Talent in meinem Vaterlande berühmt. Da die beiden mir liebsten Personen Verse machten, so wollte auch ich durchaus dies Talent erringen; ich versuchte, meine Gefühle der Sehnsucht in Versen auszudrücken, aber in zwei schlaflosen Nächten brachte ich keinen Reim hinaus, und ich mußte zur trockenen Prosa meine Zuflucht nehmen, die mir beinahe ebenso schwer wurde: aber nach dreitägiger Mühe hatte ich einen Brief herausgebracht, der einer jungen Freundin den Schmerz der Trennung, den ich empfand, und die Leere schilderte, die nun auch für meine geliebte Mutter durch die Trennung von ihren so geliebten Freunden entstanden sei. – Meiner Stiefmutter gefiel der Entwurf meines Briefes, und sie sah diese Entwicklung meines Geistes schon als Frucht ihrer Erziehung an. Nun wurde zwischen mir und Lisette ein Briefwechsel festgesetzt, der wohltätig auf mein junges Herz wirkte, mir die Ankunft der Post zur festlichen Stunde machte und meine Kraft zu lieben verstärkte. Meine Stiefmutter wollte meine Briefe in der Folge nicht mehr lesen, weil sie sagte: »Die Freundschaft, wie die Liebe, hat ihre Heimlichkeiten, und ich kenne meine Stieftochter und ihre junge Freundin genug, um überzeugt zu sein, daß sie nichts schreiben werden, was wir Mütter nicht lesen sollten.« – Dies Zutrauen meiner Stiefmutter fesselte mich noch mehr an sie, und ich erlaubte mir keinen Gedanken, ohne diesen erst ihrer Prüfung zu unterlegen. Fritz Medem, der älteste Bruder meiner Lisette, hatte ein Gedicht auf mich gemacht, welches mir der dritte Brief meiner Freundin brachte. Mein junges Herz schlug hoch auf, mich besungen zu sehen; meiner Stiefmutter zeigte ich sogleich diesen Triumph meiner Eitelkeit. Sie las das Gedicht mit Vergnügen, denn sie war als Minerva besungen, unter deren bildender Meisterhand aus der schönsten Grazie Venus Urania geformt werden sollte. Was Minerva, Grazie und Venus Urania bedeuteten, wußte ich nicht. Aber daß es 'was Großes sein müßte, dachte ich mir! Desto besser verstand ich das Lob, welches meine dunkelblauen Augen erhielten, die gleich glänzenden Sternen aus dunklem Gewölke, so aus meinen schwarzen, langen Augenwimpern und schön gezeichneten, schwarzen Augenbrauen, voll himmlischen Feuers leuchteten! Und wenn dies himmlische Feuer Herzen entzündet, dann gösse die liebliche Anmut des schön blühenden Mundes so selige Gefühle in die Seelen derer, zu denen dieser Mund spräche, daß man den Glanz meiner Schönheit ertragen könne, weil eine noch höhere Schönheit der Seele die ganze Gestalt mit einer milden Gloria des Himmels überstrahle. Dies Produkt des Geistes eines vierzehnjährigen Jünglings wurde von meiner Stiefmutter mit Vergnügen gelesen und wieder gelesen. Ich bekam nun ein mythologisches Wörterbuch zum Geschenke und mußte meiner Stiefmutter Banniers Götterlehre vorlesen. Dies machte mir zwar bittere Langeweile, aber in der Hoffnung, viel von der Venus Urania zu erfahren, las ich die dicken Bände fort, verstand nichts, was ich las, und verbrachte manche Stunde vor dem Spiegel; erschrak aber vor mir selbst, als ich in meinem mythologischen Wörterbuch die kurze Geschichte des Narzissus fand. –

Die Schauspiele und Romane machten mir mehr Vergnügen, als Banniers Götterlehre, und die Gespräche mit meiner Stiefmutter waren mein höchster Genuß. Sie sprach immer von der Freude, die ein Frauenzimmer empfände, wenn dies auf viele einen solchen Eindruck machte, wie ich auf Fritz Medem gemacht hatte. Sie sagte zugleich, mir würde es wenig Mühe kosten, alle Männer an meinem Siegeswagen zu sehen, sobald ich in die Welt träte, da ich so schön sei und einen sanften, gefälligen Charakter, einen lebhaften Geist hätte und schön tanzen könne. Nur eine Gefahr sei für mich, – mein Herz wäre zur Liebe und zum Wohlwollen geschaffen; ich möchte mich aber nur an die Freundschaft meiner Freundinnen halten, die Männer als zerbrechliche Spielwerke ansehen, denn jeder Mann, dem es glücke, sich dem Herzen eines Weibes lieb zu machen, würde des Weibes Tyrann und höre zu lieben auf, sobald er sich geliebt wisse. Heiraten müsse ein Mädchen, um Haus und Hof zu haben, aber erst, wenn ich recht meine Freiheit genossen hätte, würde sie mir raten, an eine Heirat zu denken, und da sollte ich denn auf einen reichen, vornehmen Mann sehen, der sehr verliebt in mich wäre; und den ich immer verliebt zu erhalten suchen müsse, weil eine Frau dann nur glücklich ist, wenn sie von ihrem Manne angebetet wird. Eine Frau, die ihren Mann sehr liebt, wohl gar verliebt in ihn wäre, würde immer unglücklich und hart unterjocht sein. Überhaupt sei einem Weibe nichts nachteiliger, als wenn es jemals liebe, und verliebe es sich noch obendrein, dann wäre ihr Lebensglück für immer dahin. Alles um sich in sich verliebt zu machen, selbst aber eine stählerne Brust für Amors Pfeile zu haben, sei die Bestimmung der Weiber, die ihr Leben zu genießen wissen. Die Freundschaft gebe Lebensgenuß ohne Bitterkeit; Liebe für einen Mann vergifte das Leben des Weibes. Doch müßten diese Glückseligkeitsregeln fein still in den Herzen der Weiber begraben sein, auf daß sie dem stärkern Geschlechte keine Waffen gegen sich in die Hände gäben. Diese Regeln und Gespräche meiner Stiefmutter entwickelten wieder neue Gedanken und neue Entschlüsse in mir.

Meine Neigung zum Tanze stieg mit jedem Tage, weil sogar mein ernsthafter Vater mich oft liebend an sein Herz drückte, wenn ich eine Menuette, ein ernsthaftes Solo und dann wieder ein munter scherzhaftes pas de deux mit meiner Schwester tanzte. Schleifer erzählte uns oft von den Eindrücken, die Tänzerinnen durch graziöse, pantomimische Bewegungen machen, von der Anmut, die der Tanz auf die ganze Figur verbreitet und dem Gange selbst eine schwebende Anmut, eine Sicherheit gibt, die einzig nur der hat der richtig die fünf Positionen beobachtet. Er sprach mit hinreißender Beredsamkeit von den schönen Folgen der nie überschrittenen Position, die zu jedem Schritte gehöre. Weiterhin fiel mir es oft bei, daß, wenn man in allen Verhältnissen seines Lebens so auf seine Position achten, so jede benutzen würde, wie Schleifer durch die richtige Beobachtung der fünf Positionen seinen Schülern Sicherheit und Anmut im Gange und Tanz zu geben wußte, man im menschlichen Leben ebenso selten Fehltritte machen würde, als diejenigen, die seine Lehren befolgten, auf dem Tanzboden Fehltritte taten. Mich aber hätte Schleifer aus der ganzen Position meines Lebens rücken können, wenn meine Eltern von mir minder geliebt gewesen wären. Je majestätischer ich die Menuette tanzte, je anmutsvoller ich meine entrechats machte, Arme und Körper in sanften Biegungen bewegte, je schwebender meine pas brisé und pas glissé, je leichter mein pas frisé, mein pas sur pas, mein chassé en tournant, meine volte waren, umso trauriger rief er aus: »Ach! Warum ist das kein Schustermädchen! Die sollte mir auf dem Wiener Theater wenigstens 6000 jährlich einbringen und einige Tausend Zuschauer in Bewunderung setzen und was Herzen entflammen!« Meiner Stiefmutter gefielen diese Ausrufungen; ich ließ mir viel vom Nationaltheater erzählen, und mein junges Herz brannte von Verlangen, das laute Bravo von tausend Zungen und die tiefen Seufzer von fühlenden Herzen zu hören. Ich fragte meine Stiefmutter sogar, ob nicht auch eine Person von Stande auf dem Wiener Theater Tänzerin werden könne, da brauche man denn nicht zu heiraten, um Brot zu haben und brauche nicht um die Winke eines Mannes zu spielen; man könne, wenn man keinem Manne angehöre, die Männer am besten beherrschen. Meine Stiefmutter versicherte, ein Frauenzimmer von Stande könne bei keinem Theater engagiert sein, aber auf einem Privattheater als Schauspielerin und Tänzerin glänzen, so daß man dadurch sein Brot verdienen könnte, dies sei Ehre. Die Worte meiner Stiefmutter waren für mich ein Evangelium. Unser Lehrer, ein sehr orthodoxer Theolog, gab mir Religionsunterricht, und da hörte ich wieder Dinge, die mir unbegreiflich waren. Aus meiner Neigung zum Tanze wollte er mir eine Sünde machen, durch die ich die Seligkeit verlieren könne; er malte mir alle die üblen Folgen der Eitelkeit mit übertriebenen Farben aus, und in meiner Seele setzte sich der Gedanke fest, daß, wenn ich die Pflichten der Menschenliebe erfülle, der Tanz mich um den Himmel nicht bringen solle, und daß ich meine Seligkeit nur mir selbst zu danken haben wolle.

Der Geburtstag meiner Stiefmutter traf ein; mein Vater wollte nun der von ihm geehrten Gattin die überraschende Freude, die er gehabt hatte, wieder vergelten. Schleifer erhielt den Auftrag, das Fest im Stillen zu veranstalten, und da hatte er auf einem entfernten Boden ein Theater erbaut. Wir Kinder erlernten ebenso stille ein Schäferspiel von Gellert und ein pantomimisches Ballett. Unsere Kleidungen waren auch, ohne daß meine Stiefmutter etwas gemerkt hatte, von Schleifer besorgt worden. Mein Vater lud die ganze Nachbarschaft zu diesem Feste ein, und Herr von Behr, den die Starostin Ropp vormals zu fesseln wünschte, der mich so oft aus der Kinderstube hervorgerufen hatte, war auch zum Besuche gekommen. Er fand mich schöner, größer und gebildeter, als er es vermutete, und ich fühlte mich sehr glücklich, mich von Behr so verehrt zu sehen. Aber der glücklichste Augenblick meines Lebens, den ich noch bis dahin erlebt hatte, war der, da ich als tanzende Nymphe unter beständigem Bravo in unserm Ballette figurierte, und da ich vom Theater hinunterstieg, von allen Frauen geherzt und von allen Männern mit Lobsprüchen überhäuft wurde. Herr von Behr aus Sutten war ganz verzaubert, und was er noch ein Jahr in seiner Brust verschließen wollte, wurde nun lauter. Er forderte von meinen Eltern das zwölfjährige Mädchen zur Lebensgefährtin, und mein junger Kopf schwindelte voll Freuden, daß der Mann mich zu besitzen wünschte, den die Tyrannin meiner Kinderjahre fruchtlos durch ihre Reize zu fesseln suchte.


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