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Sechzehntes Kapitel

Nachdenken über mich selbst. Ein Todesfall, Ein Brief von Schwander. Gespräch mit meiner Stiefmutter.

Meine Stiefmutter sah mich forschend an, lenkte das Gespräch auf alle kleinen Vorfälle der acht verflossenen, fröhlichen Tage und sagte, es sei so gut als gewiß, daß Fräulein Schlippenbach und Brinck sich heiraten würden; Brinck habe sich mit Vorsatz so wenig mit ihr zu tun gemacht, weil er nicht wolle, daß seine Wahl bekannt würde. Meine Stiefmutter hielt Brinck auf einer Seite eine Lobrede, aber sie bedauerte das blühende Mädchen doch, das einen so kränklichen Sonderling zum Manne bekäme und in der Ehe bei ihm ein hartes Joch haben würde. Mein Herz fühlte sich bei diesem Gespräche unruhig. Sehnsuchtsvoll erwartete ich die Stunde unserer Nachhausekunft; ich wünschte allein zu sein und über alles, was in mir vorging, nachzudenken. Als ich unser Landgut von ferne sah, freute ich mich auf den Augenblick, wo ich die Schattengänge unseres Gartens durchlaufen und mir alles zurückrufen würde, was Brinck gesprochen hatte. Dann erschrak ich vor mir selbst, daß ich zum ersten Male Gedanken in meiner Seele fand, die ich meiner Stiefmutter nicht mitteilte. Die hohen Schattengänge des Gartens durchlief ich schnell und eilte meiner Lieblingslaube zu, die voll duftenden Jelängerjelieber hing. Je länger je lieber wurde Brinck mir, rief ich mir zu, und dies Gesträuch erhielt um seines Namens willen einen neuen Wert für mich, weil ich mit diesem eine Idee an Brinck verband. Ich sah aus meiner Laube auf die kleinen Silberwellen des spiegelhellen Landsees hin, wünschte, daß der See ein Fluß sei, welcher seinen Lauf bis zu Brincks Landgut nehme, und daß dann bei dem Spiele der Wellen mein Andenken ihn beschäftigen, ihm jede Welle lieb machen möge, weil der Strom des Flusses ihm dann Wellen zuführen würde, die längs unserem Garten flössen. Dann nahm ich mein Papier voll der mir heiligen Blümchen hervor, die wir uns zum Abschiede gegeben hatten, und suchte in unserem Garten ähnliche, band mir aus diesen ein Sträußchen, sagte mir: »Wenn Brinck solche Blumen sieht, dann denkt er vielleicht der letzten Stunde, die wir miteinander in Plahnen verbrachten, und mit dieser auch meiner; denn in der letzten Stunde sprach er vorzüglich mit mir. Aber Mama sagte, seine Heirat mit Fräulein Schlippenbach sei so gut als richtig!« Bei diesem Gedanken mußte ich unwillkürlich weinen, schämte mich dann dieser Tränen, suchte Taubens Bild in mir hervorzurufen, aber mein Herz schlug bei dessen Andenken durchaus nicht so. Nun dachte ich der Bälle, wo ich als Lieblingspuppe der Versammlung geglänzt hatte, sagte mir, von diesen Vergnügungen müßte ich Abschied nehmen, falls ich Brinckens Braut würde. Das Bild der seelenfrohen Braut, die nun glückliche Gattin war, schwebte mir lebendig vor, und mein Gefühl für Brinck behielt in meiner Seele die Oberhand.

Meine Stiefmutter suchte mich im Garten auf. Ihr Anblick überhäufte mich, ohne daß sie ein Wort sagte, mit Vorwürfen, denn mein Gewissen warf mir es vor, daß sich in meiner Seele Gefühle regten, die sie nicht billigen würde, weil sie es als höchste Vollkommenheit des Weibes darstellte, ein freies Herz zu behalten! Der Beifall, die Liebe dieser Frau waren mein höchstes Gut! Ein wunderbares Gemisch von Unwillen gegen mich selbst und gegen Brinck, durch den ich im Begriff stand, nach meiner Idee gegen meine Wohltäterin zu fehlen, ergriff mich! Aber bald schwand in meiner Seele der Unwille gegen Brinck, und ich sagte mir: »Die Schuld ist ja nicht sein, daß sein Verstand mich so interessiert! Alle, die ihn kennen, haben ihn ja gern! Wenn ich Brinck nur so lieb halte, wie Taube mir lieb ist, dann hat Mama gewiß nichts dagegen!« Ich riß mein Blumensträußchen von der Brust, versprach es mir im Stillen, indessen meine Stiefmutter von anderen Dingen zu mir sprach, nie mehr die mit Jelängerjelieber umzogene Laube zu besuchen und da bloß an Brinck zu denken. Mein Vater kam zu uns, es wurde beschlossen, daß in meiner Lieblingslaube voll Jelängerjelieber Tee getrunken werden solle. Mein Herz schlug bei diesem Vorschlage so sonderbar; mir ahnte, als wisse meine Stiefmutter, was ich in diesem Augenblicke gedacht hatte.

Der Postillon kam mit der Brieftasche; sie wurde eröffnet und ein Brief mit schwarzem Rande kündigte die unerwartete Todesbotschaft an, daß der alte Starost Igelströhm sein hübsches, junges Weibchen verloren habe, das ihm vor einigen Jahren schon als fünfzehnjähriges Mädchen mit der Erwartung gegeben wurde, einst als reiche, junge Witwe zu glänzen. Nur eine Tochter hatte sie geboren; das Kind, welchem das Publikum einen anderen Vater zuschrieb, war da sieben Jahre alt und die Lebensfreude des Greises, der seine verstorbene Gattin innig liebte und von dieser so beherrscht wurde, daß er immer der Herzensfreund der Liebhaber seiner reizenden Gattin war, die durch ihren Hang zum Vergnügen ihr Leben früh endete. Sie war die vertrauteste Freundin der Starostin Ropp; aber so gehaßt diese ihres hämischen Charakters wegen war, so sehr liebte man die Verstorbene wegen ihres sanften Sinnes, ihrer Wohltätigkeit und wegen der Anmut ihres Umganges. Man bedauerte sie, daß dies Mißverhältnis der Jahre sie nicht zur so verehrungswürdigen Gattin mache, als sie edle Menschenfreundin, treue Freundin, gute Mutter und liebliche Gesellschafterin war, die das Herz ihres Gatten zu fesseln und diesem ihre Untreue zu verbergen wußte. Wie meine verstorbene Mutter auch nach dem Tode ohne Tadel fort geliebt zu werden, war schon früh der heißeste Wunsch meines Herzens. Bei der Todesbotschaft der eben Verstorbenen verglich ich wieder den Nachruf meiner Mutter mit dem ihrigen, und der Grundsatz befestigte sich noch mehr in mir: Tugend muß ein Zusammenhang des ganzen Lebens sein, wenn man den Schauplatz dieser Welt ohne Reue verlassen und ins Grab den Segen aller derer mitnehmen will, mit denen man lebte. Nachdem viel über die Verstorbene geurteilt worden, ihr ganzes Leben zergliedert war, meine Stiefmutter ihre Schwächen durch das Alter des Mannes entschuldiget hatte, sagte sie, ihr ahne, daß Igelströhm mich nun zur Frau wünschen würde. Mein Vater erwiderte: »Wenn Lottchen sich dazu entschließen kann, sein Alter treu zu pflegen, um in der Folge als reiche Witwe ein noch glücklicheres Leben zu genießen, so habe ich nichts dagegen. Igelströhm ist schon über sechsundsiebzig, Lottchen erst dreizehn Jahre und wenn er auch noch zehn Jahre lebt, so ist Lottchen ein blutjunges Weib, das sich durch stilles, eingezogenes Leben mit ihrem alten Manne Ehre und Vermögen erworben haben wird und dann nach ihrer Neigung einen jungen Mann glücklich machen kann.« Meine Stiefmutter erwiderte, daß sie es nie zugeben würde, daß ihr Lottchen, welches sich unter den reichsten Männern des Vaterlandes den wählen könne, der ihr am besten gefiele, an diese kalte Leiche gebunden würde, die vielleicht noch zwanzig Jahre unter den Menschen wandeln könne, denn solche vegetierende Greise würden sehr alt. Mein Vater fragte mich, was ich zu diesen Betrachtungen sage. Ich erwiderte: als Kind habe ich Igelströhms Umgang die besten und einzigen Freuden meiner Kindheit zu danken gehabt, und da mir gesagt würde, daß ich durchaus reich heiraten müsse, ich Igelströhm ebenso gerne als einen andern nehme. Ich wäre noch jung, ich müsse noch so manches lernen, und da könne ich mich vereint mit seiner Tochter unter der Leitung meiner Eltern erziehen. Aber dann würde ich es nicht so, wie seine verstorbene Frau, machen. Ich würde durchaus in gar keine große Gesellschaft gehen, sondern einzig und allein für Igelströhm, für meine Eltern und Geschwister und für seine Tochter leben, und mit dem Gelde, welches er mir jährlich geben würde, wollte ich den Armen recht viel Gutes tun. Lange wurde über diese Idee gesprochen, beide meine Eltern lachten über mich, und mich lächelte die Idee an, Igelströhms Frau zu werden, denn diesen Greis hätte ich lieber geheiratet, als die mehresten unserer jungen Herren.

Nach einigen Wochen hielt Schwander bei meinen Eltern um mich für Brinck schriftlich an. Noch ist mir der Inhalt von Brinckens Brief an Schwander und Schwanders Brief an meinen Vater sehr gegenwärtig. Brinck hatte seinem edlen Lehrer eine Klage über sich selbst geschrieben, daß er, durch die Lieblichkeit meiner Gestalt hingerissen, für mich eine Liebe fühle, die seine Vernunft nicht billige, weil sein Verstand ihm sage, daß ein dreizehnjähriges Mädchen weder zu lieben, noch weniger Gattin und Mutter zu sein wisse. Wenn er aber sehe, mit welchem innigen Enthusiasmus ich meine Stiefmutter liebe, wie lebhaft ich alles schön und gut empfände, dann male seine Einbildungskraft ihm in der innigsten Verbindung mit solch einer jungen Seele die höchste Erdenseligkeit vor, und er wünsche, der Mann zu sein, für welchen dies reizende Geschöpf die erste und einzige Liebe empfände, wie ich gewiß seine einzige Liebe sein würde. Schwandern lege er hiermit seine Wünsche mit dem Vorsatze ans Herz, sich ganz von ihm in dieser wichtigsten Lebensangelegenheit leiten zu lassen. Schwander hatte meinem Vater den Brief seines geliebten Zöglings zugeschickt, mit Ernst und Würde über das wahre Glück der Ehe geschrieben, meinem Vater gesagt, daß er gewiß einen reicheren, nie so edlen Mann für mich finden könne. Er beschwöre meinen Vater als Universitätsfreund und Ordensbruder – denn zu der Zeit wurde das Band der Freimaurer untereinander als etwas Heiliges angesehen – diese Sachen ernstlich zu prüfen, sie mir und meiner Stiefmutter vorzulegen und einer so edel fühlenden Seele, als Brinck sei, die Bewerbung nicht zu gestatten, falls nicht die größere Wahrscheinlichkeit da sei, daß diese Heirat vollzogen werden könne.

Als meine Eltern mir diese Sache vortrugen, mir beide Briefe zu lesen gaben, entstand ein sonderbarer Tumult in meiner Seele. Ich mußte weinen, und wußte nicht warum. Meine Stiefmutter sagte mit unaussprechlicher Herzlichkeit: »Liebes Kind, es ist ja gar nicht die Rede davon, daß du Brinck heiraten sollst! Genieße noch dein sorgenfreies Leben bei uns, aber sage deinen dich liebenden Eltern aufrichtig, wie Brinck dir gefällt?« – »Ach, Mütterchen, besser, besser, als alle anderen Menschen, die ich kenne!« – »Liebes, gutes Kind, du hast Recht; denn er ist auch unter allen jungen Herren der interessanteste! Aber du bist erst dreizehn Jahre alt, viele schöne, reiche, junge Männer, die sich gewiß glücklich fühlen würden, dich zu besitzen, sind noch nicht im Lande. Warum sollen wir uns übereilen. Ich dächte, dein Vater antwortete Schwandern, daß wir durchaus entschlossen wären, dich vor dem zwanzigsten Jahre nicht zu verheiraten, daß wir dir aber die Absicht seines Freundes gesagt hätten, daß du dessen Geist und Charakter hochachtest, Vergnügen in seinem Umgange fändest, aber noch durchaus von keiner anderen Liebe, als der zu deinen Eltern und Geschwistern, eine Idee hast; daß wir Brinck also raten, seinen Wunsch in sich zu verschließen, dein reiferes Alter zu erwarten und zu beobachten, ob auch sein Gefühl für dich mehr, als ein Kind des Augenblicks, sei. Würde sein Gefühl für dich sich in seiner Seele erhalten, würde er dir auch in reiferen Jahren der liebste Mann sein, dann würden deine Eltern ihn mit Freuden als Schwiegersohn lieben. Wir wollen sagen, daß wir Brinck zu viel Edelsinn und Selbstgefühl zutrauen, als daß wir nicht überzeugt sein sollten, er werde es unserer zärtlichen Sorgfalt für dich zu gute halten, wenn wir ihm den Plan zu deinem künftigen Glücke gestünden, und dieser beruhe darauf, daß du zuerst alle diejenigen kennen lernen müßtest, die bis zu deinem zwanzigsten Jahre um dich werben könnten, auf daß derjenige, der dich dann mit der vollen Wahl deines Herzens aus unseren Händen erhält, dann auch die Überzeugung habe, er sei derjenige, den dein Kopf und Herz mit ganz gebildeter Seele sich freiwillig erkoren habe.« Dieser Rat meiner Stiefmutter wurde von mir und meinem Vater als Orakelspruch verehrt. Mein Vater antwortete Schwandern in diesem Geiste. In meinem Kopfe und Herzen ging es bunt umher. Mein Herz hing nicht mehr mit so unruhiger Sehnsucht an Brinck, seit ich mich von ihm geliebt wußte und die Möglichkeit im Hintergründe der Zukunft sah, mein Leben an seiner Seite zu verbringen.

Meine Stiefmutter weckte in allen Gesprächen mit mir meinen weiblichen Stolz, machte meine Eitelkeit rege und zählte mir das Heer von Eroberungen vor, die ich noch machen müsse, ehe ich mich ins Joch der Ehe begebe. Als Joch stellte sie mir diese vor, aber als notwendiges Joch, welches man sich bloß durch Klugheit leidlich machen könne, und welches oft am drückendsten würde, je inniger man liebte. Sich liebenswert zu machen und wenig auf die Liebe der Männer zu rechnen, sei einzig nur das rechte Mittel, glücklich zu sein. Oft sprach meine Stiefmutter von Brinck; sie lobte seinen Verstand, bedauerte seine Kränklichkeit, malte das traurige Los einer Frau aus, die einen kränkelnden Mann zu pflegen hat. Dann stellte sie es mir als stillen Triumph dar, daß ich bei meiner Jugend einen Mann von dem Geiste gefesselt hätte, und wie nun bei meiner ersten Erscheinung in Mitau eine Menge neue Eroberungen auf mich warteten, und wie man nicht wissen könne, ob unter den jungen, reichen Herren, die nun von ihren Reisen zurückerwartet würden, nicht mehrere wären, die Brinck in meinem Herzen den Preis streitig machen könnten.

So schwächte meine Stiefmutter unvermerkt den Eindruck, den Brinck auf mich gemacht hatte. Doch wenn Schlippenbach mit seiner jungen Frau bei uns war, dann wurde Brinckens Bild lebhafter in mir, und die auf der Plahnschen Hochzeit erhaltenen Feldblümchen, die ich als Heiligtum aufbehielt, lispelten mir bisweilen den Gedanken zu: Brinck sei derjenige, mit dem ich einst so glücklich sein könne, wie ich Schlippenbach mit seiner Gattin glücklich sah.


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