Fritz Reck-Malleczewen
Charlotte Corday
Fritz Reck-Malleczewen

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Vorbereitung

Sie hat später im Prozess ausgesagt, dass sie ursprünglich Marat entweder im Konvent »auf den Höhen des Berges« oder an dem für den vierzehnten Juli fälligen Fest des Bastillesturmes auf dem Marsfelde habe töten wollen, im hellen Licht der Sonne und vor aller Augen.

Dass er krank war und dass sie ihn in seiner abseitigen und so grimmig bewachten Höhle aufsuchen musste, hatte sie erst in Paris erfahren – aus dieser von ihr ja nicht vorhergesehenen Tatsache ergibt sich ihr Verhalten und ergeben sich die auf den ersten Blick wirr und widerspruchsvoll erscheinenden Vorgänge dieses Mordtages.

Nicht in allen Einzelheiten sind sie bislang geklärt. Sicher ist, dass sie, das Landkind, ungebührlich früh, zu einer nach Pariser Begriffen wohl gar unschicklich frühen Stunde sich erhob, das braune Reisekleid anzog, den hohen Hut im Stile der Zeit aufsetzte und das Hotel zu einer Stunde verliess, wo das ganze Haus noch in tiefem Schlafe lag.

Dies hier aber ist vor einem glutheissen Tage ein unschuldig frischer Morgen, und in dieser jungfräulichen 212 Frühe promeniert sie eine Weile in den Anlagen beim Palais Royal, das jetzt, im Umschwunge der Zeit, zum »Palais Egalité« geworden ist und seit langen Jahrzehnten schon in seinen Erdgeschossen Speiselokale, Spielhöllen und eine ganze Reihe von Kaufläden birgt. Ein Eisenhändler – sein Name fehlt in den Prozessakten, und seltsamerweise scheint man auch nicht einmal versucht zu haben, ihn festzustellen – ein Eisenhändler also zieht von seinen Auslagen gerade die Vorhänge fort, und gleich darauf sieht er in dieser frühen Stunde, in der noch nicht einmal die Dienstmädchen einkaufen, bei sich eine junge, sehr zurückhaltende und nicht gerade elegante Dame eintreten, der man doch wieder deutlich die gebürtige Aristokratin ansieht und die den Einfall hat, in dieser frühen Morgenstunde und sozusagen auf nüchternen Magen ein Messer zu verlangen.

Ein solides KüchenmesserEs ist aus den Relikten des Corday-Prozesses seltsamerweise spurlos verschwunden. Da die französischen Zeitgenossen dieses Messer sehr verschieden beschreiben und ihm sogar eine silberne Klinge (!) andichten, so soll es hier so wiedergegeben sein, wie die Täterin selbst es geschildert hat. Am Ende wird sie es am besten gewusst haben., das eine fünfzöllige Klinge und, nach Uebung der Zeit, eine Lederscheide hat. Das kauft sie, lässt den verblüfften Ladenbesitzer mit seinem Rätselraten allein und geht . . .

213 Besieht, das erstmalig eine Weltstadt anstaunende Kind, ein paar Schaufenster, kauft bei einem »fliegenden« Buchhändler eine Broschüre über den hier schon erwähnten Fall des Konventsdeputierten Léonard Bourdon, der, ein Lieblingsschüler Marats, in Orléans letzthin versehentlich ums Leben kam und zu dessen Sühnung man jüngst zehn unschuldige Grenadiere erschoss . . .

Diese Broschüre kauft sie. Dann geht sie bis zur Place des Victoires, nimmt sich einen Fiaker und will »zum Bürger Marat« gefahren werden. Da der Kutscher seltsamerweise die Wohnung dieses sonst doch so populären Bürgers nicht kennt, so verstreicht mit mehrfachen Rückfragen und Fehlfahrten einige Zeit, und erst um die frühe Mittagszeit hält das Gefährt vor dem bewussten alten Hause in der Rue école médicine. Und hier ergeben sich einige Fragen, die sich bislang nicht haben beantworten lassen . . .

Weswegen ist der an Marat unter dem zwölften Juli geschriebene und hier gleich zu zitierende Brief erst nach vierundzwanzig Stunden dem Empfänger zugestellt worden, weswegen ist er aus den Prozessakten verschwunden und weswegen kennen wir nur aus einer Abschrift seinen Text? Wie oft pochte sie, ehe man ihr öffnete, vergeblich in der Rue école 214 médicine an, und war sie, wie sie später aussagte, vor dem letzten und erfolgreichen Versuch nur einmal dort erschienen oder musste sie, wie im Prozess die Simonne und die Hausmeisterin Pain behauptet haben, zweimal vergeblich dort anklopfen, ehe sie beim dritten Male schliesslich vorgelassen wurde?

Halten wir uns an die Prozessakten . . .

»Bürger Marat, ich komme aus Caen. Ich nehme an, dass Sie in Ihrer Vaterlandsliebe mit Interesse einen Bericht über die unseligen Ereignisse in diesem Teile der Republik anhören werden. Um ein Uhr spreche ich wieder vor. Haben Sie die Güte, mich zu empfangen und mir eine kurze Unterredung zu gewähren, ich will Ihnen Gelegenheit geben, Frankreich einen grossen Dienst zu erweisen.

Paris, am zwölften Juli.

Charlotte Corday.«

Der Brief, den die Schreiberin vom zwölften Juli datiert hat, ist dem Empfänger erst am dreizehnten abends, wenige Minuten vor der Bluttat, ausgehändigt worden. Charlotte aber hatte immerhin mit der Möglichkeit einer kürzeren Laufzeit und mit der Möglichkeit einer Aushändigung schon in den frühen Morgenstunden gerechnet, sie hatte sich eben verrechnet und stand nun vor der Tatsache, dass Marat das Billett auch jetzt, kurz vor zwölf Uhr mittags, noch 215 gar nicht besass, dass er also seine unterschiedlichen Pförtnerinnen noch nicht entsprechend angewiesen hatte und dass diese Pförtnerinnen ihr nun die Tür vor der Nase zuschlugen. Als sie nämlich Einlass begehrt, will schon die Hausmeisterin Pain sie abweisen, als sie, an der Pain vorbei, trotzdem die Treppe hinaufläuft, verfängt sie sich sofort in der »zweiten Linie« dieses lebendigen Verteidigungssystems. Es öffnet die Simonne, und als diese fremde Besucherin den Wunsch äussert, »dem Bürger Marat eine interessante und wichtige Mitteilung zu machen«, wird sie zurückgewiesen mit dem Bescheid, dass Marat sehr krank sei und niemanden empfangen könne. Es kommt ausserdem, als sie sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben will, Cathérine Evrad hinzu und mischt sich mit der mürrischen Bemerkung ein, »dass eine Besuchsmöglichkeit sich für die nächste Zeit überhaupt nicht bestimmen lasse«. Und da daraufhin die Tür zugeschlagen wird, bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich zu entfernen.

Marat.
Porträt aus seinen letzten Lebensjahren

Sie geht ins Hotel zurück. Gegen ein Uhr wird aus seinem an der Rue Pagerin gelegenen Laden ins Hotel de la Providence der Friseur Férieux gerufen. Der Meister, der die »Dame auf Nummer sieben« frisieren soll, verrichtet seine Arbeit, versucht vergeblich, mit dieser Dame ein kleines Schwätzchen zu beginnen, wird mit eisigem Schweigen abgewiesen. 216 Kopfschüttelnd packt er seine Sachen zusammen, sieht dabei auf dem Tisch ein langes Messer liegen, geht; kann aber, nach seinen späteren Erzählungen, den ganzen Tag über dieses schreckliche Messer nicht vergessen und kommt sich am nächsten Morgen, als die Mordtat in aller Munde ist, als Friseur der schönen Marat-Mörderin sozusagen wie eine historische Persönlichkeit vor.

Was Charlotte anbetrifft, so mag sie den ungnädigen Empfang bei Marat mit ihrer nachlässigen Morgentoilette in Zusammenhang gebracht und von einer sorgfältigeren sich auch eine bessere Wirkung versprochen haben: sie kleidet sich um, legt ein weisses, rosa geblümtes Morgenkleid an, geht und wiederholt, wenn wir der Pförtnerin Pain glauben dürfen, zwischen drei und vier Uhr ihren Besuch in der Rue école médicine . . .

Mit dem gleichen negativen Erfolg. Sie wird dieses Mal von der eben genannten Pförtnerin schon an der unteren Haustür abgefangen und kommt somit nicht einmal bis zur Treppe; und erst beim dritten Male, nach erneutem Warten in der starren Glut des Julitages und nach erneuter Nervenfolter, gelingt es ihr kurz nach halb acht Uhr, erneut bis zum eigentlichen Wohnungseingang und bis zur Simonne vorzudringen. Da aber die Simonne nachgerade genug hat von dieser nun zum dritten Male auftauchenden 217 aufdringlichen Frauensperson, so fährt sie sie an, und gerade dieser erregte Disput am Wohnungseingang setzt es in Bewegung, das gespenstische Hebelwerk der Mordtat.

Plan der Wohnung Marats
Zeichnung von Victorien Sardou

Zehn Minuten zuvor nämlich hat der Postbote jenen Brief abgegeben, in dem eine eben aus Caen angekommene Bürgerin interessante Neuigkeiten über die dortselbst keimende girondistische Rebellion in Aussicht stellt – in diesem Augenblick, wo draussen an der Tür des Vorzimmers die beiden Frauen streiten, hält in seiner Badewanne Marat den Brief in der Hand, und gerade jetzt muss der Zufall auf einen zweiten Hebel drücken . . .

Eben nämlich verlässt den Bürger Marat der vorher mit den Korrekturbogen des »Journal« gekommene Setzer, und da dieser Setzer die Glastür zwischen Vor- und Badezimmer eben nur anlehnt, so kann innen Marat jedes Wort des draussen begonnenen Frauendisputs verstehen.

So also hört er, wie draussen eine fremde Frauenstimme erregt fragt, ob denn nicht der Brief . . . der bewusste Brief mit der Ankündigung der Caenner Enthüllungen, eingetroffen sei, und da er diesen Brief ja eben in der Hand hält und da er nun annehmen muss, dass es die Verfasserin ist, die draussen so resolut Einlass begehrt, so ruft er nach der Simonne . . .

Ruft nach der Simonne und befiehlt ihr, die Fremde einzulassen. Als die Simonne, wenig einverstanden 218 mit dieser Order und noch immer in halblautem Protest, mit der Fremden wiederkommt, ist das Unternehmen geglückt. Wenigstens in seinem Vorspiel. Der Hauptakt wickelt sich dann wesentlich rascher ab.

Szenerie und Verlauf können wir uns nur nach den Ergebnissen des Lokaltermins und nach den Prozessaussagen rekonstruieren. Marats Badezimmer ist ein enges, mit rotem Ziegelfussboden und einer schmutziggelben Tapete versehenes Kabinett, an der Wand hängen zwei gekreuzte Pistolen mit der lapidaren Unterschrift »Der Tod«. Im Augenblick, da es draussen schellte, hat die Simonne auf das neben der Badewanne stehende Tischchen gerade das Abendessen für ihren Freund – Kalbsbries und Hirn, nach heutiger Anschauung eigentlich nicht die richtige Kost für einen Stoffwechselkranken – niedergesetzt, von hier aus ist sie nach der Aussentür gegangen, um zu öffnen. Charlotte tritt, sowie die Einlassorder gekommen ist, allein ein. Im Augenblick aber, wo Marat nach einer kurzen Begrüssung sie zum Niedersitzen eingeladen hat, kommt nochmals die Simonne, streift mit argwöhnischem und nicht eben freundlichem Blick die Besucherin und fragt ihren Freund, ob die Portion da ausreiche. Die Frage wird ziemlich zerstreut und nicht sehr freundlich bejaht. Die Simonne geht, und die beiden sind allein.

219 Für das Weitere sind wir im wesentlichen auf die Aussage der Täterin angewiesen. Die fühlt in dem Augenblick, wo sie auf dem neben der Badewanne stehenden Stuhl Platz genommen hat, nun doch ihre Kräfte schwinden, beginnt zu zittern und fühlt es schwarz vor den Augen werden.

Das aber dauert nur ein paar Augenblicke. Marat, der das alles gar nicht bemerkt hat, fragt sie nach den Vorgängen in Caen, sie fasst sich und hat eben geantwortet, dass die achtzehn Girondisten Herren der Lage seien, als die Simonne, gefoltert von ihrem Argwohn und vielleicht auch von Eifersucht, zum zweitenmal eintritt und ein Gefäss mit Mandelwasser und Tonerde, Marats selbstverordnetem Heiltrank, bringt. Sie fragt noch, ob genug Tonerde in der Karaffe sei, Marat prüft das Getränk und meint, »es sei wohl eher ein wenig zuviel, als zuwenig«, und damit geht die Simonne mit ihrem Tablett und der leer getrunkenen Karaffe zum zweiten Male, um ihren Freund bei Leben und Gesundheit nicht wiederzusehen. Sie hat nämlich in der Küche kaum das Geschirr niedergesetzt und mit ihrer Schwester ein paar Worte über diese aufdringliche Besucherin gewechselt, als vom Badezimmer her Marats Todesschrei »A moi, ma chère amie« . . . zu Hilfe, liebste Freundin . . . zu hören ist.

220 Das Gespräch, wie es inzwischen im Badekabinett geführt und durch das Dazwischentreten der Simonne nur kurz unterbrochen worden ist, muss also ziemlich rasch beendet gewesen sein. Ihre spätere Prozessaussage bildet für den Verlauf den einzigen Anhaltspunkt. Danach hat sie ihm, der in diesem Augenblick eigentlich schon ein Sterbender war, auf Befragen allerlei über die in ihrer Heimat entstehende Freiwilligenarmee berichtet, Marat hat nach den militärischen Führern und nach den Namen der achtzehn gefragt, und im gleichen Augenblick, wo die Simonne zum zweiten Male das Zimmer verlässt, hat sie, Charlotte, gerade mit dem Aufzählen der Namen begonnen. »Gut, ich werde dafür sorgen, dass sie in kürzester Frist hier in Paris guillotiniert werden.« Das hat, nach ihrer Aussage, Marat, übrigens unter vertraulicher Berührung ihres Armes, gesagt und hat damit sein Schicksal besiegelt. Unmittelbar darauf ist, von oben gegen die Schlüsselbeingegend geführt, der Stich erfolgt. Das Weitere ist, soweit es sich in diesem Raum abspielt, bereits erzählt worden und bedarf wohl nur noch hie und da der Ergänzung.

Die zunächst herbeigeeilten drei Frauen und der nebenan mit dem Falzen der Zeitung beschäftigt gewesene Faktor Bal sehen die Täterin zunächst am Fenster stehen, sehen sie dann, wie sie, übrigens ohne jedes Zeichen der Angst, nach dem Vorzimmer geht 221 – Bal schlägt sie mit dem Stuhl nieder und ruft den unten auf der Strasse gerade vorübergehenden Sektionskommissar Cuisinier herauf. Die Männer zerren die Daliegende hoch, setzen sie auf einen Stuhl, wo sie, während nebenan die beiden an Ort und Stelle erschienenen Aerzte sich um Marat bemühen, sehr ruhig und stumm auf alle die aufgeregten ersten Fragen verharrt. Mit den dem Sicherheitsausschuss angehörigen vier Konventsdeputierten Maure, Drouet, Legendre und Chabot erscheint die Polizei, und es beginnt jenes erste Verhör, bei dem wir den Faden wieder anknüpfen können.

Es hat mit all ihren Aussagen – hier und später im Prozess – seine ganz besondere Bewandtnis. Nie hat eine Angeklagte sich so wenig in Widersprüche verwickelt, nie hat eine so rücksichtslos gegen sich selbst ausgesagt, nie hat eine Attentäterin, der man so sehr die Ausrede auf Anstiftung nahelegte, so standhaft Gebrauch gemacht von jener scharfen Waffe, die da Wahrheit heisst. Schon in diesem Augenblick der ringsum waltenden Panik erleben wir nicht einen Moment, wo sie ihre Würde verliert und wo ihre Antworten hohl und nach »doppeltem Boden« klingen. Sie hat getötet mit Absicht und voller Ueberlegung, sie hat Marat gemordet, weil seinetwegen der Bürgerkrieg auszubrechen drohte und sie das Land davor hat bewahren wollen . . .

222 Niemandem hat sie ihren Plan mitgeteilt, sie ist ganz und gar aus eigenem Entschluss dazu gekommen.

Die verfängliche Frage nach ihren Lebensumständen und nach ihrem in der Heimat gepflogenen Umgange wird rückhaltlos beantwortet, und was Marat angeht, so ist er von ihr in jenem Augenblick getötet worden, als er die Absicht äusserte, die in Caen anwesenden Girondisten auf die Guillotine schicken zu wollen . . .

Die Beamten sind nicht gewandt genug, um sofort an diesem heiklen Punkt weitere Fragen zu stellen – Subalterne, die sie sind, fragen sie schemamässig nach ihrem Pariser Aufenthalt, und hier zum ersten Male spricht sie, wofern man ein Verschweigen so nennen darf, die Unwahrheit.

Sie verschweigt nämlich alles, was mit Duperret zusammenhängt. Sie hat eben, nach ihrer jetzigen Darstellung, am Donnerstag, dem Tage ihrer Ankunft, nur die Reisemüdigkeit ausgeschlafen, ist am folgenden Tage nur ein wenig in der ihr unbekannten grossen Stadt umhergeschlendert, hat dann im Hotel Briefe geschrieben, die man dortselbst finden werde.

Und das ist alles. Von Duperret kein Wort. Wozu den Mann belasten, der ihr, im Falle Forbin, doch einen Dienst erweisen wollte und mit ihrer Tat nicht das mindeste zu tun hat?

223 Man fragt sie noch, ob sie vorhin, ehe Bal sie niederschlug, durch das Fenster habe flüchten wollen, und auch hier, wo die Gelegenheit zu einer heroischen Antwort gegeben ist, meidet sie jede Pose. Durchs Fenster wäre sie bestimmt nicht gesprungen, durch die Tür wäre sie wohl gern fortgegangen, wofern sie's gekonnt hätte. Das sei ja aber unmöglich gewesen.

Die Beamten schütteln den Kopf, können nicht viel anfangen mit dieser seltsamen Person, die alles zugibt, ohne eine Entlastung auch nur zu versuchen, beginnen mit der Leibesvisitation. Resultat: eine Barschaft von etwa 165 Livres nebst etwas Silber- und Kleingeld, ein an Marat adressierter Brief»Ich habe Ihnen, Marat, diesen Morgen geschrieben. Haben Sie meinen Brief erhalten und darf ich auf eine kurze Audienz hoffen? Wenn Sie den Brief erhalten haben, so hoffe ich, dass Sie mich nicht zurückweisen werden, da die Sache von Wichtigkeit ist. Es genügt, dass ich sehr unglücklich bin, um auf Ihren Schutz ein Recht zu haben.« Dies der Text. Wahrscheinlich war der erste, vom zwölften datierte und mit der Abendpost des dreizehnten bestellte Brief unvollkommen adressiert, da sie ja selbst am Vormittage des Mordtages die Adresse Marats noch nicht genau gekannt hat. Dieser Umstand bedingte wohl die Verzögerung in der Bestellung. Charlotte hat nun, offenbar nach ihrem zweiten vergeblichen Besuch, den eben zitierten Brief zur persönlichen Uebergabe und für den Fall geschrieben, dass der erste auch am Abend nicht bestellt worden wäre und dass man ihr auch beim dritten Vorsprechen die Tür gewiesen hätte. Eine Uebergabe aber erübrigte sich, weil der erste Brief ja kurz vor ihrem dritten Eintreffen bestellt worden war und ihr Marats Tür endlich öffnete.
    Hier ergibt sich übrigens ein weiterer schwerwiegender Beweis gegen die Hypothese einer girondistischen Anstiftung. Hätte Duperret ihr nämlich den Mordplan nahegelegt, so hätte er ihr ja wohl auch die allen bekannte Wohnung des Opfers benannt. Wir sahen aber, dass sie mit ihrem Fiaker stundenlang diese Wohnung suchen musste. Befremdlicherweise ist diese schwerwiegende Tatsache in der ganzen Corday-Literatur bislang überhaupt nicht zur Sprache gekommen.
, der Pass, eine goldene Uhr, ein Kofferschlüssel, ein kleines Knäuel weissen Fadens. Ausserdem ihr Taufschein, 224 der gestern an die Nation gerichtete Aufruf und endlich, im Busen des Kleides, die Lederscheide des bewussten Messers. Das ist alles. Chabot, der die ihr abgenommene Golduhr allzulange in der Hand behält, wird, wie sie später und wohl mit einiger Ausschmückung an Barbaroux berichtet, von ihr derb zurückgewiesen. Als er, unter diesen Befragern der Gewandteste, wissen will, wie sie zu solch stattlicher Barschaft komme, erhält er die Antwort, es handele sich lediglich um einen Teil ihres BarbesitzesSehr glaublich, da der alte Corday ihr, was er bei seinem späteren Verhör bestätigt, des öfteren erhebliche Summen zuwendete, wozu er nach gewonnenem Prozess durchaus in der Lage war.. Und damit ist dieses allererste Verhör beendet. Sie ist, nach allseitiger Bekundung, ruhig und fest geblieben, sie zittert, wie wir gesehen haben, erst, als man sie in dem unten wartenden Wagen in die Tuilerien überführt und sie erstmalig das tausendköpfige Ungeheuer der Pariser Masse vor sich sieht. Chabot, der 225 Exkapuziner, der diesen Transport leitete, soll ihr freilich unterwegs mehrfach angedeutet haben, dass man sie nach einem weiteren Verhör kurzerhand dieser Menge überlassen werde.

Von dem zweiten Verhör, das in tiefer Nacht der in den Tuilerien zusammentretende Sicherheitsausschuss mit ihr anstellt, hat als Ohren- und Augenzeuge der Konventsdeputierte Harmand uns interessante Einzelheiten übermittelt. Chabot nämlich, der Zyniker Chabot, entdeckt ein Papier, das die Beamten zuvor übersehen habenEs war eines der von den Girondisten in Caen verbreiteten Manifeste., und bei dieser Gelegenheit, als der in jeder Beziehung unsaubere Mensch ihr das Kleid herabreisst und ihre Brust entblösst, verliert sie zum ersten Male die Fassung. Da sie gefesselt ist, kann sie, ihre Blösse zu verbergen, nichts tun, als das schöne Haupt tief auf die Knie beugen, ohne dass einer der sonstigen Anwesenden, die übrigens Anstand und Rücksicht wahren und Chabots Benehmen missbilligen, sie zum Aufgeben dieser Stellung bewegen könnte. Kläglich bittet sie, man möge ihr doch die Fesseln lösen, damit sie ihr Kleid in Ordnung bringen könne, was ihr denn auch gewährt wird. Als man diese Gelegenheit benützt, um sie das Protokoll unterzeichnen zu lassen, und als man ihr vorher nochmals ihre Aussagen vorliest, 226 wehrt sie zunächst mit der Bemerkung ab, »dass das alles ja doch ganz unnütz sei«, korrigiert dann aber, nach Harmand, »mit bewundernswerter Festigkeit und einem unglaublichen Gedächtnis« alle Stellen, an denen der Protokollant ihren Aussagen eine willkürliche Fassung gegeben hat. Ehe man sie von neuem fesselt, zeigt sie die in der Maratschen Wohnung von den Riemen am Handgelenk gesetzten Wunden, äussert eine sanfte Bitte . . .

»Wenn es Ihnen, meine Herren, nicht sonderlich daran liegt, mich zu quälen, ehe Sie mich töten, so erlauben Sie mir freundlichst, dass ich vor der Fesselung meine Aermel umschlage oder zuvor mir Handschuhe anziehe.« Man gestattet ihr beides. »Sie war«, so schildert Harmand sie bei dieser Szene, »eher kräftig als zart, ihre blauen Augen waren durchdringend und blickten streng, Hand und Arm waren vorbildlich schön. Ihre Bewegungen und ihre Haltung waren voll keuscher Anmut, ihre gesamte Erscheinung verdiente wohl den Meissel eines Praxiteles oder den Pinsel eines Apelles.«

So weit Harmand als Augenzeuge dieses Verhörs. Legendre, der Metzgermeister, der Marat so oft bei sich beherbergt und nun in seiner Mörderin durchaus eine verdächtige Person wiedererkennen will, die sich auch ihm schon einmal bedrohlich genähert habe . . . Legendre also wird von ihr sehr kühl mit dem 227 Bescheide abgefertigt, dass »er kaum, wie Marat, das Format eines Tyrannen habe, dass sie ihrerseits nur einen Marat habe töten wollen und sich mit ihm, Legendre, nie abgegeben hätte«. Und auf Chabots Frage, wie sie denn Marat sofort so sicher habe treffen können, erfolgt die Antwort, »dass Empörung ihre Hand sicher geführt habe«.

Das wäre also die Haltung einer tapferen und stolzen Frau, die gross auch in dieser Stunde ist und mehr als Mannesstärke ins Treffen zu führen hat.

Als man sie nach dem Verhör zum nochmaligen Lokaltermin in Marats Wohnung bringt, wo vor dem Bette mit dem blutigen Leichnam die weinende Simonne kauert, da schauert sie wohl zusammen vor der entblössten Todeswunde, gewinnt aber ihre Festigkeit sofort wieder.

»Ach gewiss, ich bin's, die das getan hat!«

Um drei Uhr nachts, in der allerersten Frühdämmerung des hochsommerlichen Tages, wird sie endlich in die Abtei gebracht.

 


 


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