Friedrich von Raumer
Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit, Band 5
Friedrich von Raumer

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B. Sachliche Verhältnisse.

 
1) Von den Rechtsquellen.

 
a) Von dem deutschen Rechte.

Natürliche Entscheidungsgründe zweifelhafter Rechtsfragen hatten unter den alten Deutschen ein Gewohnheitsrecht gebildet; sie kannten keine Gesetze außer dem Inbegriffe solcher Gewohnheiten und drangen, als sie eroberten, keineswegs darauf, daß die Überwundenen sogleich jene Gewohnheiten annähmen, obgleich dieselben allmählich niedergeschrieben wurden als Rechte der Franken, Baiern, Schwaben u. a. m. Eben so wenig aber fühlten diese Stämme Neigung oder Bedürfniß, dem römischen Rechte zu folgen, welches unter ganz andern Verhältnissen und für andere Zustände ausgebildet war.

Selbst dem mächtigen KarlEginh. vita Caroli c. 29. wollte es nicht gelingen, die verschiedenen Gewohnheitsrechte der ihm unterworfenen Völkerschaften zu einem gemeinsamen Reichsrechte umzubilden, und nur so viel erlangte er, daß seine Entscheidungen und Vorschriften (Kapitularien) mit Beistimmung des Volkes, den niedergeschriebenen Gewohnheitsrechten einverleibt wurden und allgemeinere Anwendung erlangten. Nachdem sich Frankreich von Deutschland gelöset, änderten sich 317 viele Verhältnisse: die Kapitularien verloren an Einfluß und Kraft, die Volksrechte hingegen behielten insoweit ihre Bedeutung, als jeder nach denselben, nicht nach Landrechten beurtheilt und gerichtet wurde. Auf den Stamm, die Geburt kam es an um zu wissen, welch Gesetz auf jemand Anwendung findeSavigny I, c. 3.: mithin lebten in demselben Lande, ja demselben Orte, oft Menschen verschiedenen Rechtes, und die Landesgränze umzog keineswegs (wie in der Regel zu unserer Zeit) Leute eines und desselben geographisch festgestellten Landrechts. Selbst Mann und Frau behielten, wenn sie aus verschiedenen Stämmen waren, oft ihr verschiedenes RechtMurat. antiq. Ital. II, diss. 22.  Antiq. Estens. I, 172, 329.  Maffei annal. di Mant. 456, 533.  Ughelli IV, 10, 43.  Affò Guast. 335.  Parma II, 340., und nur einzelnen, besonders vornehmeren, verstattete man die Wahl, nach welchem Rechte sie leben wollten. Solche Anwendung der alten Volksrechte finden wir bis über die Mitte des dreizehnten JahrhundertsBeispiele von 1267 in Gattula III, 305, für S. Germano; von 1265 für Tuscien.  Cartepec. di S. Bartol. di Pistoja, wo der italienische Mann das Recht der deutschen Frau annimmt. Beispiele zum eilften, zwölften und dreizehnten Jahrhundert für Deutschland, haben Monum. boica VI, 133, 519; X, 22.  Im Jahre 1216 war es in Mailand Regel, nach einheimischen Rechten zu leben, doch aber auch nach lombardischem oder römischem Rechte.  Giulini 321.  In einer Urkunde des Bischofs für die Bürger von Katania von 1168 heißt es: Latini, Graeci, Judaei et Saraceni, unusquisque juxta suam legem judicetur.  Amico II, 63.; obgleich mehre Gründe, z. B. Vermischung der Stämme, Unbequemlichkeit der Anwendung verschiedener Rechte, allmähliche Ausbildung und größere Verwickelung der Verhältnisse, zu dem Bedürfnisse neuer Gesetze geführt hatten. Die Zeiten erlaubten es jedoch keinem der spätern Kaiser aus eigener, alleiniger, innerer Kraft oder Übermacht, Gesetzgeber des ganzen Volkes zu werden; so daß die Rechtslehre der 318 Deutschen im Mittelalter weit weniger das Werk eines einzelnen schaffenden Mannes ist, als der Widerschein und Abdruck des gesammten Zustandes aller. Schöppen und Richter, Zünfte und Körperschaften, Städte und Stifter, Kaiser und Stände, Staat und Kirche, alle wirkten in größern und kleinern Kreisen, an unzähligen Stellen, zur Fortbildung des Rechts. Überall machte das Örtliche, Persönliche, durch Vertrag und Abkommen Festgestellte einen Haupttheil desselben aus. Doch gab es auch der Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen gar viele, und so treten statt der älteren Rechte kleinerer Genossenschaften und Stämme, allmählich Rechte für größere Theile Deutschlands, Volksgesetze im weitern Sinne hervor. Sie wurden lediglich von Privatpersonen gesammelt; indeß kann der Mangel einer förmlichen Bestätigung von Seiten der Regierung ihr Ansehn nicht entkräften, weil man nur niederschrieb und zusammenstellte, was bereits durch alte Sitte, oder bestimmte Entscheidung Gesetzeskraft gewonnen hatte. Insofern ist es minder wichtig zu untersuchen, wer die Sammlungen verfaßte und wann dies geschah: denn unabhängig vom Sammler bestand das Recht vor und nach seinem Werke.

Die älteste unter den wichtigern Sammlungen solcher Gesetze ist der Sachsenspiegel, welchen Eicke von Repgow während der ersten Hälfte der Regierung Friedrichs II zusammentrug. Jünger ist der Schwabenspiegel; noch jünger und minder vollständig das sogenannte Kaiserrecht oder fränkische Landrecht. An diese Sammlungen allgemeinerer Gültigkeit reihten sich allmählich landschaftliche Rechte, so im dreizehnten Jahrhunderte schon das österreichische an; bis in den Stadtgesetzen wiederum ganz das Örtliche und eigenthümlich Abgeschlossene zum Vorschein kam. Nicht minder wurde das Verfahren vor Gericht beschrieben: Richtsteig Landrecht und Richtsteig Lehnrecht bezeichnen die beiden Hauptzweige.

Die Anordnung dieser Rechtsbücher erscheint sehr willkürlich, Form und Inhalt in vieler Beziehung 319 unvollkommen: allein sie waren dem Geiste und Bedürfnisse der Zeit angemessen und wirkten, der Absicht gemäß, dem Andrange des kirchlichen und römischen Rechtes entgegen, ohne jedoch auf unverständige Weise deren Einfluß ganz zu vertilgen. Immer blieben die beiden Spiegel eine Grundlage allgemeinen deutschen Rechtes: denn sie stimmen in allem wesentlichen überein, und man kann aus ihnen keine Entgegensetzung deutscher Stämme ableiten, oder gar eine Trennung rechtfertigen. Der Unterschied der Rechte ist in Schwaben und Sachsen jetzt größer als damals, und es ließe sich wohl behaupten: das Allgemeine sey in jener Zeit allgemeiner, das Eigenthümliche aber eigenthümlicher gewesen, als in unsern Tagen; auf welchem Wege sich die Selbständigkeit des Ganzen, ohne Nachtheil für das Leben des Einzelnen, vielleicht am besten erhalten läßt.

 
b) Vom Kirchenrechte.

Das kirchliche, das christliche Recht konnte unmöglich um der Stamm- und Volks-Rechte willen ganz zurückgewiesen werden: wohl aber trachtete man dahin, jene Gesetzgebung, welche für eine geoffenbarte, für die höchste galt und die Christenheit zusammenhielt, mit der volksthümlichen zu verbinden und zu versöhnen. Diese Aufgabe ist so natürlich und nothwendig, daß sie nicht für unlösbar gelten kann, vielmehr jeder Versuch, dem kirchlichen oder dem volksthümlichen ganz allein die Herrschaft zu verschaffen, als verkehrt bezeichnet werden mußÄußerungen hierüber in Richtst. Landr.  Vorrede.  Sachsenspiegel I, 1.. Vom Kirchenrechte selbst soll in den kirchlichen Alterthümern das Nöthige beigebracht werden.

 
c) Vom römischen Rechte.

In den von deutschen Stämmen eroberten Ländern, wo bis dahin das römische Recht galt, ward dasselbe nie 320 förmlich und feierlich aufgehoben; doch traten allerdings in Hinsicht der Rechtskenntniß und Anwendung große Veränderungen ein. Die deutschen Gesetze behaupteten ihre eigenthümliche Stelle, manches Römische paßte gar nicht mehr in die neuere Zeit, es fehlte an gründlichen Rechtslehrern, so wie an Kenntniß der vollkommenern Quellen; und aus den neuern sehr unvollkommenen, dem Edikte Theodorichs, dem Breviarium Alarichs u. dergl. ließ sich freilich die Trefflichkeit des Altrömischen nicht erweisen. Doch verschwand die Kenntniß des letzten, besonders in einigen Theilen Italiens nie ganzÜber dies alles hat v. Savigny Bahn gebrochen und auch sogleich die Sachen erschöpft. Wir geben noch einige Beispiele von Erwähnung des römischen Rechtes: 1085 und 1092 lege Romana vivere.  Affò Parma II, 340. – 1098 in einem Processe bei Reggio causidici ostenderunt legem imperatoris Justiniani, in qua continetur, eos qui ab herrario, vel ab augustali domo aliquid accipiunt, statim securos esse.  Nun werden der Kodex und die Institutionen noch angeführt.  Murat. ant. Ital. III, 648.  Orig. guelf. I, 603. – 1109 die Novellen erwähnt und stipulatio Aquiliana und acceptilatioCamici z. d. J. Urk. XII, XIV, p. 72, 76. – 1166 sagt der Bischof von Bamberg: qui auctore praetore possidet, recte possidet.  Monum. boica V, 161. – 1167 wurden römische Bestimmungen über das Veräußerungsrecht der Weiber in die pisaner Stadtgesetze aufgenommen.  Opera della primat. di Pisa, mscr.  Um 1200 waren mehre tüchtige Legisten in Neapel.  Ciarlanti 328, 331.  Im Jahre 1253 nahm man in Sardinien ein Inventarium nach römischen Gesetzen auf.  Op. della prim.  In demselben Jahre entsagte man in der Schweiz omni juri civili et canonico.  Archiv des Finanzr. Urk. von Rüti, S. 121. – 1256 wird in Pommern das jus civile erwähnt.  Dreger cod. I, Urk. 289. – 1266 wird in einer Urkunde Ottokars von Böhmen über die Jagdfolge, auf dasselbe Bezug genommen.  Meichelb. hist. Fris. II, 2, Urk. 83. Spuren desselben in baierischen Urkunden des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts hat Lang verzeichnet. Jahrbücher 333., und weder das Auffinden der pisaner Pandekten, noch ein bestimmter kaiserlicher Befehl, sondern eine große Zahl mannigfacher Gründe veranlaßten im zwölften Jahrhunderte das Wiederaufleben der römischen 321 Rechtsgelehrsamkeit und die Anwendung des römischen Rechts in einem zeither nicht gekannten Maaße. Unter all diesen Gründen war gewiß der erste und wichtigste, die hohe Ausbildung und die Anwendbarkeit desselben auf so viel vorhandene oder neu entstehende Verhältnisse. Minder, und höchstens in einigen Ländern wirkte der Gedanke: das gesammte römische Recht müsse als ein kaiserliches betrachtet und danach vorzugsweise gesprochen werdenNoch 1216 heißt es in den mailänder Gesetzen: ab imperio omnis jurisdictio descendit; doch kehrte man sich nicht an den Kaiser.  Giulini 325.. Bologna war seit Irnerius (welchen die Markgräfinn Mathilde angefeuert haben soll) die Hauptschule für die RechtsgelehrsamkeitUrsp. chr. 291.  Asti della ragione civile II, 134.  Tiraboschi III, 380., so wie Paris für die Theologie; und obgleich die Kirche beide Beschäftigungen nicht vermischen wollte, und manchen Anwendungen des römischen Rechts aus Gründen widersprach, wirkte doch das Erforschen desselben sehr vortheilhaft auf die weitere Ausbildung des kirchlichen Rechtes. Es war so viel innere Natürlichkeit und Verstand in sehr vielen Bestimmungen des römischen Rechtes, es war das Interesse der Wissenschaft so lebendig, daß einzelne Gebote der PäpsteHonorius III sagt: sane licet sancta ecclesia legum saecularium non respuat famulatum, quae satis aequitatis et justitiae vestigia imitantur, so reiche doch das kanonische Recht in der Regel zu allen Entscheidungen hin, und man werde dies, beim Zurücksetzen des römischen, desto sorgfältiger studiren und bilden.  Reg. Hon. III, Jahr IV, Urk. 610.  Ähnliches befahl Gregor IX.  Decret. V, 33, 28., es als entbehrlich ganz bei Seite zu stellen, keinen großen Erfolg haben konnten. Vielmehr berief man sich auch in geistlichen Gerichten auf dasselbe1224 berief man sich in Cefalu vor geistlichem Gerichte auf die Pandekten.  Gregorio II, prove 80.  Über die Anwendung des römischen Rechtes in Südfrankreich.  Hist. de Langued. III, 512, 527., oder übertrug manche römische Bestimmungen in die kirchlichen Gesetze.

322 Der Nutzen, wie der Schaden, welchen das römische Recht in mehren Ländern gestiftet hat, ist bald zu hoch, bald zu gering angeschlagen worden. Während einige daran alles Unheil, den Untergang der Volksthümlichkeit, den mittelbaren Sieg des Heidenthums und der Tyrannei zu knüpfen suchen: behaupten andere, hier sey allein Wahrheit, Weisheit, Gerechtigkeit und Mäßigung. Jenen kann man zugeben: daß manches Einheimische irrig zurückgesetzt, manches Fremde übertrieben verehrt und thöricht angewandt wurde: allein man darf andererseits auch behaupten: mehre Theile, besonders des römischen Privatrechts, seyen in sich so vollendet, daß sich nichts wissenschaftlich vollkommneres erfinden läßt. Was das Heidenthum anbetrifft, so wollen wir nicht geltend machen, Justinian sey auch ein Christ gewesen; sondern nur an den Vorzug erinnern, welchen das kirchliche Recht in allen irgend damit verwandten Gegenständen genießt. Die Tyrannei altrömischer Kaiser ist endlich durch das Aufleben des römischen Rechtes nichts weniger als befördert worden; vielmehr die Macht der deutschen Kaiser trotz aller Bezugnahme auf das fremde Recht, seitdem, und nur zu sehr, gesunken. Den übertriebenen Lobrednern desselben muß man entgegnen: Staat, Kirche, Wissenschaft, Volk sind nicht mehr altrömisch, und können es nicht seyn; und wenn schon das kirchliche Recht mit den Volksrechten in Übereinstimmung gebracht werden sollte, so erscheint es noch weit nöthiger, das römische mit beiden in ein richtiges Verhältniß zu setzen. Die wissenschaftliche Vollendung desselben ist hiebei zwar von großer, jedoch nicht von so unbedingter Wichtigkeit, daß das christliche und das deutsche davor zurückweichen müßten. Auch entbehren diese beiden Bestandtheile der wissenschaftlichen Ausbildung keineswegs ganz; ja in mehrfacher Hinsicht läßt sich an dieselben etwas viel großartigeres anreihen, etwas viel tiefsinnigeres aus 323 ihnen hervorrufen, als aus dem römischen. Mit Recht nimmt und nahm also dies, nach dem kirchlichen und dem Landrechte, erst die dritte Stelle der Würdigkeit und Anwendbarkeit ein.

 
2) Von der Gerichtsverfassung.

Schon aus der Entwickelung der persönlichen Abstufungen aller Einwohner und Stände ergiebt sich, daß auch eine Absonderung und Stufenfolge der Gerichte vorhanden, und keineswegs eines für alle Gegenstände und Verhältnisse angeordnet war. Selbst das niedrigste Dorfgericht bildete sich anders, wenn die Gemeine aus lauter freien Leuten bestand, und wenn sie mit Dienstleuten oder Hörigen vermischt warEichhorn in Savigny I, 2, 187.  Potgiesser 326.  Hüllmann Gesch. d. Stände I, 244.. Das untere Gericht, welches dem Herrn zustand, pflegte man mit dem Grundvermögen zu veräußernSchultes koburg. Gesch. Urk. IX.  Weiße Gesch. v. Sachsen I, 292.  Arx I, 307.  Gemeiner Urspr. von Regensburg 26.; weil aber manche Gegenstände dem niedern Richter entzogen waren, und der Graf bei manchen Dingen einzugreifen das Recht hatte, bildete sich die Patrimonialgerichtsbarkeit in diesem Zeitraume noch nicht völlig aus.

Zu jedem Gerichte jeder Art gehörte ein Richter, der wenigstens schöppenbar frei seyn sollte, und Schöppen oder GeschworneSachsensp. III, 54, 81. Eilf Schöppen und ein Schultheiß bilden das Gericht, heißt es.  Richtsteig Landr. 1.  Sächs. Weichb. 10.  Vierzehn Schöppen erwähnt in Wenck II, Urk. 139. – Dafür, daß bei peinlichen und bürgerlichen Sachen, z. B. bei Kauf, Schenkung von Grundstücken u. s. w. Schöppen zugezogen wurden, sind viele Beweise gesammelt in Kindlingers Beitr. III, Urk. 11, 31, 38, 44, 238.  Nach westphälischen Urkunden wurden bisweilen Dinge entschieden, Grundvermögen übergeben u. dergl. in communi conventu populi sub banno regali oder in pleno placitoKindlinger III, 2, Urk. 15, 16.. Erklärte jener eidlich, er wisse nicht, was 324 in der Sache Rechtens sey, so konnte ihn niemand zum Spruche zwingenSchwabensp. 110.. Über sein Weib und seine Ältern durfte er nicht urteln, wohl aber über andere Verwandte und selbst über seine KinderSchwabensp. 197.. Der Richter sollte kein Jude, Ketzer oder Ungläubiger seyn; nicht lahm, taub, blind, stumm oder thöricht; nicht unter einundzwanzig oder über achtzig Jahre alt; nicht meineidig, in der Acht oder im Banne: – sondern im Besitze aller TugendenSchwabensp. 75, 82.  Sachsensp. I. 55; III, 69.  Treffliche Vorschriften für Richter und Beamte erließ Ludwig IX nach seiner Rückkunft vom Kreuzzuge.  Guil. Nang. 362.. Auf der Gerichtsstätte erschien er unbewaffnet, nüchtern, ohne Bedeckung des Hauptes oder der HändeSachsensp. I, 2; III, 55.. Kein Niederer konnte Richter seyn über einen Höheren. Dasselbe gilt von den Geschwornen oder Schöppen; woraus sich schon ergiebt, daß die Frage: wer schöppenbar sey, oder Schöppe werden könne, nach Verschiedenheit des Standes der Parteien, verschieden beantwortet ward. Im engern Sinne verstand man aber allerdings darunter ritterbürtige, von jedem Dienstverhältnisse freie PersonenEichhorn Rechtsgesch. II, 929. Daß auch die Grundherrn bei Entscheidung der Streitigkeiten ihrer Hintersassen, Gerichtsbeisitzer hatten.  Lang Jahrb. 335.. Sonst finden wir die Forderungen über die persönlichen Eigenschaften der Schöppen, fast eben so ausgedrückt, wie die Forderungen an den RichterLünig spic. eccl. von Köln, Urk. 16.  Kindlinger Beitr. II, 234., und in den Städten oft mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß man sie aus den besten und tüchtigsten Bürgern, und nicht aus dem niedern Volke erwählen müsse. Wie oft man mit diesen Schöppen wechselte, welche und wieviel man verwerfen konnte, steht nicht genau fest; wohl aber finden sich ÜbergängeNach einem Freibriefe Friedrichs II für Goslar sollten die Bürger, die vier steten Beisitzer des Advocatus wählen. Lünig Reichsarchiv, cont. IV, Abth. 20, Urk. 1.  Von einem jährlich wechselnden scabinus in Metz.  Gallia christ. XIII, preuv. p. 407. zu bleibender, 325 lebenslänglicher Anstellung derselben; ja der Schwabenspiegel spricht von Vererbung der Schöppenwürde auf den nächsten männlichen Erben, sofern nicht obige Mängel die Übernahme derselben verhindertenSchwabensp. 81.. Will man hierunter nicht bloß die Fähigkeit verstehen, Schöppe zu werden, so wären wir den festern Schöppenstühlen nahe; wie denn überhaupt das Gesetz und die Regel wohl manchen Spielraum ließ, und insbesondere eine künstliche Sonderung der Geschäfte des Richters und der Schöppen, in Hinsicht auf Thatbestand und Rechtsanwendung, wohl selten aufgestellt und noch seltener beobachtet wurde. Das Wesentliche der Einrichtung lag darin: daß jedem Richter, zur Hemmung seiner Willkür, ehrbare Männer an die Seite gesetzt, und daß diese desselben Standes waren, wie die Parteien. Nur diese Gleichgestellten, diese pares hielt man für fähig, sich in deren Lage hinein zu denken und zu fühlen, das Angemessene aufzufinden und das Fremdartige abzuweisen; und dies gleichartige Denken und Fühlen war in jenen Zeiten einfacherer Verhältnisse viel wichtiger, als ein Vorrath wissenschaftlicher Kenntnisse. »Überhaupt (so spricht Möser) glaubten unsere Vorfahren, die Weisheit der Katze könne niemals einen gültigen Spruch wider die Mäuse hervorbringen; sondern Mäuse müßten von Mäusen, und Katzen von Katzen beurtheilt werden. Fremde, ungenosse Richter (die man zuletzt aus der Tatarei verschreiben könnte) möchten sonst aus unverwerflichen Gründen etwa zeigen, daß es vernünftiger sey, die Beinkleider, als den Hut unter den Arm zu nehmen u. s. w.Patr. Phantas. I, No. 51.

Wer vor einem falschen Richter Klage erhob, oder einen angefangenen Rechtsstreit fallen ließ, oder auf die Vorladung des rechten Richters nicht erschien, verfiel in StrafeSachsensp. I, 53, 62; II, 8; III, 87.. 326 Ehehaften, oder genügende Gründe des Außenbleibens waren: Gefängniß, Krankheit, Wallfahrt außer Landes, und des Reiches Dienst. Freie Leute und Dienstmannen mußten sich wegen fahrender Habe binnen vierzehn Tagen vor Gericht stellen, wegen liegender Gründe binnen sechs Wochen und drei TagenSachsensp. I. 67; II, 2.  Kaiserr. 15.  Richtst. Landrecht 7.. Dem ritterbürtigen Manne lief jede Frist sechs Wochen. Erhob jemand Klage in einem Gerichtsbezirke wo er nicht ansäßig war, so stellte er Bürgen, oder haftete mit seiner Person, wenn ihm dies unmöglich war und der Prozeß Verbrechen betrafSachsensp. I, 61.. Jeder konnte ohne Vorsprecher Klage vor Gericht führen, Frauen und Jungfrauen ausgenommenRichtst. Landr. 2, 3., damit Furcht oder Drohung sie nicht unterdrücken möge. Jeder im Gerichtsbezirke Ansäßige mußte nach Wahl der Partei oder Bestimmung des Richters, Vorsprecher werden; nur nicht gegen seinen Herrn, Verwandten oder Dienstmann, sobald die Klage an Leib, Gut und Ehre ging. Wer zuerst um einen Vorsprecher bat, dem ward er gegeben; es sey denn, daß dieser seine Untüchtigkeit beschwor und dadurch die Weigerung des Richters begründete. Der Vorsprecher verwahrte sich gegen Schaden, der ihm aus dem Geschäfte entstehen könnte, durch besondern Schluß des Richters. Ehrlose Leute erhielten keinen RechtsbeistandSachsensp. III, 16..

Von den Rechtsbeiständen oder Vorsprechern sind die Notare ganz unterschieden, welche ursprünglich nur der König ernannte, dann aber auf dessen Verleihung auch Fürsten, Äbte und Städte, oder endlich der Papst aus eigener MachtvollkommenheitRovelli II, CXCI.  Ghirard. I, 130.  Murat. ant. Ital. III, 1174.. Ihnen standen, außer den meisten Geschäften der freiwilligen Gerichtsbarkeit, manche andere nicht unwichtige zu. Sie entwarfen Verträge, beglaubigten 327 Urkunden und gerichtliche Verhandlungen, leiteten Annahme an Kindes Statt, Entlassungen aus der herrschaftlichen oder väterlichen GewaltUrkunde Friedrichs II.  Cod. Vindob. No. 61, p. 53., Bestellung von Vormündern, Festsetzung der Verpflegungskosten unehelicher Kinder, Abhörung von Zeugen u. a. m. Bisweilen war das Amt des Notars mit dem des Richters verbundenSo einst in Pistoja und Volterra.  Cartep. di Pistoja, Urk. von 1156 und Cod. dipl. di Volterra, Urk. 207..

Vor dem siebzehnten Jahre durfte niemand im Gerichte zeugen. Falsches Zeugniß zog harte Strafe und den Verlust der Glaubhaftigkeit auf ein Jahr nach sich. Wer sich unaufgefordert zum Zeugen anbot, ward verworfen; es sey denn, daß man den Beweis allein durch ihn führen konnteSchwabensp. 77, 79, 265, 411, 491.  Sächs. Weichbild 109.  Richtst. Landr. 49.  Sachsensp. III, 37.. Zeugnisse der Knechte gegen ihre Herrn galten in der Regel nur, wenn von Freveln wider den Kaiser die Rede war. In gewissen, besonders peinlichen Fällen forderte man bis sieben Zeugen, zählte aber die Aussage des Richters oder Frohnboten doppelt. Lange galten Zeugnisse der Wenden und Sachsen nicht gegen einander, ausgenommen bei Klagen über VerbrechenSachsensp. 111, 70.. – Urkunden sollten wenigstens von sieben Zeugen unterschrieben seynSchwabensp. 388..

Beweis durch Eid ward verstattet, an Festtagen aber keiner abgelegtSachsensp. II, 19.  Richtst. Landr. 39, 49.. Der Kaiser schwur nur einmal bei Übernahme der Krone und nachher nie wieder; sein Wort galt als EidNur wenn der Papst behaupte, er habe nicht den rechten Glauben, möge sich der Kaiser durch Eid reinigen, woran sich jener indeß nicht kehrte.  Sachsensp. III, 55.. Den verklagten unterthänigen Mann konnte sein Herr durch den Schwur, daß jener unschuldig sey, von der Strafe befreien; nur nicht wenn der Spruch auf 328 Ehrlosigkeit hätte lauten könnenSachsensp. II, 19.. Der schwörende Jude stand auf einer Schweinehaut und legte die Hand auf die Bücher MosisSchwabensp. 350.. Die Eidesformel enthielt unzählige Verwünschungen für den Meineidigen. Vorladungen, Pfändungen, Ausweisungen aus dem Besitz u. dergl. leitete der Frohnbote, des Richters Gehülfe und Diener. Stets ging er unbewaffnet, bot aber gegen Widersetzliche die Hülfe der Gemeine aufSachsensp. II, 56.  Schwabensp. 27, 28, 37.. Er war frei, besaß wenigstens eine halbe Hufe Landes und nahm Theil an den Bußen und Gebühren, welche niemand eigenmächtig erhöhen, oder auch nur mit Unbilligkeit beitreiben sollte. Für jedes gerichtliche Geschäft erhielten die Schöppen einen SchillingSchwabensp. 12.  Sächs. Weichb. 73.  Ludwig IX verbot, daß Richter Gerichtstage wozu Fuhren nöthig waren (cavalcatae), ansagten und dann für Geld wieder abbestellten.  Guil. Nang. 364.. Wenn hiebei Mißbräuche statt fanden, kam es bisweilen (wie in Benevent) zu abhelfenden Beschlüssen der BürgerInnoc. ep. I, 257.; bisweilen setzten die Kaiser (so Friedrich I für den Bezirk von Ravenna) die Sätze fest, welche man nicht überschreiten durfteMittarelli ann. IV, app. 125.  Fantuzzi IV, 70.  Nach Friedrichs Entscheidung für Borgo S. Donnino sollen die Konsuln von Geistlichen nicht mehr als decimam litis nehmen.  Affò Parma II, 374.. Kaiserliche Schutzbriefe kosteten nur ein Mäßiges; theurer war man im Gerichtshofe Heinrichs des LöwenMauris 36. – Die Holsteiner löseten der zu hohen Kosten wegen manche Urkunde nicht aus.  Helm. I, 91.; am eigennützigsten zeigte sich Richard Löwenherz, welcher vorgab sein Reichssiegel verloren zu haben, und für die, der Sicherheit wegen nothwendige zweite Besiegelung der Urkunden, neue und hohe Gebühren forderteMath. Par. 110..

Über dem niedern Gerichte stand das des Grafen; 329 allein die bereits entwickelten Veränderungen in Hinsicht der Stellung desselben, der Fürsten, Herzöge, Äbte, Prälaten, die mannigfachsten Freibriefe und VerleihungenStrube Nebenst. V, 126. 147. u. a., bestimmten alles so örtlich und eigenthümlich, daß eine allgemeine gleichartige Regel in Hinsicht der Abstufung der Rechtsbehörden und der Berufungen an dieselben, kaum aufzufinden ist. An die Stelle der alten Einrichtungen traten allmählich in mehren Landschaften allgemeine Landgerichte1247 majus tribunal comitatus Hassiae erwähnt.  Guden. cod. I, 598.; zuletzt ging die Berufung an den König, wobei laut der Rechtsbücher folgendes Verfahren statt fand. Man wählte zum Anmelden der Berufung schöppenbar freie, oder doch unbescholtene Männer, deren jeder auf der Reise und während des Geschäftes täglich drei Gerichte, einen Becher Wein, hinreichend Brot und Bier, und für die Knechte verhältnißmäßig weniger erhielt. Mehr als sechs Knechte und acht Pferde wurden nie gut gethan, und für ein Pferd auf Tag und Nacht sechs Garben gerechnetSachsensp. II, 12.  Schwabensp. 108.  Richtst. Landr. 41.  Wibaldi ep. 88.  Biener I, 2, 63.. Wer verlor, bezahlte die Kosten, und dem Könige, wie dem Richter, eine besondere Strafe. War jemand mit des Königs Urtheil nicht zufrieden, so konnte er sich zum Kampfe von sieben wider sieben erbieten: die Sieger gewannen das Recht. Die Gegenstände, worüber man an das höhere Gericht und an den König gehen konnte, waren nicht genau bestimmt, und die Berufung überhaupt wohl mehr durch die unvermeidlichen Kosten, als durch ein Gesetz beschränktStreit wegen nicht entrichteten Zinses von Weinbergen zwischen Edlen und dem Bisthum Minden, entschied der Kaiser.  Würdtw. subs. I, 372.. Auch kamen jene Sendungen und der Kampf als höchste Entscheidung außer Gebrauch.

Alle Rechtspflege betrachtete man als Ausfluß der 330 Hoheit des Königs; wenigstens wurden ihm während seiner Anwesenheit in einer Landschaft, alle Gerichte erledigt, und nur schwebende Processe mit seiner Bewilligung vor dem gewöhnlichen Richter weiter geführtSachsensp. III, 60.  Schultes Gesch. von Henneberg II, 238.  Schwabensp. 26, 36.  Strube Nebenst. I, 412.. Den König begleiteten in der Regel HofrichterJudices aulae imperialis.  Tirab. Nonant. II, Urk. 407, von 1210.; zog er aus dem Reiche hinweg, so bestellte er gewöhnlich ein höchstes Gericht, in welchem zumeist der Pfalzgraf den Vorsitz führte. Indeß versprach König Heinrich noch im Jahre 1235Alberic.: er wolle des Monats wenigstens vier Tage persönlich zu Gericht sitzen; wobei die Ebenbürtigen und Räthe ihre Meinung und Beistimmung abgeben solltenSententia ab omnibus adstantibus approbata.  Besold. mon. Urk. 799, von 1231.. Weil man aber das Bedürfniß eines festen höchsten Gerichtshofes, bei der Menge der Prozesse und der häufigen Abwesenheit des Kaisers, immer bestimmter fühlte: so ernannte Friedrich II im Jahre 1235 einen Hofrichter, der täglich an seiner Statt Gericht halten und jedesmal, seltener oder öfter wechselnde, Urtheiler und Beisitzer zuziehen mußtePütter Entwickel. I, 210. – Gassari 1420.. Nur wo es Reichsständen und hohen Leuten an Leib, Ehre und Leben ging, führte der Kaiser nach wie vor selbst den Vorsitz und sprach Recht.

 
3) Vom Erbrechte.

Im allgemeinen richtete sich das ErbrechtWir heben nur das Abweichendste und Folgenreichste heraus, und verweisen hinsichtlich des Erbrechts der Bauern auf Band V, S. 27. nach der Blutsverwandtschaft; es ward aber theils durch Verträge und Hofrecht, theils durch das Lehnrecht gar mannigfach abgeändert und näher bestimmt. Dem zufolge sonderte man 331 zunächst dasjenige, was schon seine anderweite Bestimmung hatte: also Lehn- oder Dienst-Gut, Gerade, Heergewette, Leibzucht u. s. f. Was der Mann seiner Frau für die Mitgabe an Leibzucht oder Abfindung ausgesetzt hatte, durfte ihr nach dessen Tode niemand streitig machen; nur mußte der Betrag vor Gericht festgesetzt, und die Frau des Empfanges nicht durch Frevel unwürdig geworden seynSachsensp. I, 20, 22, 27, 31.. Erbgüter fielen an die männliche oder weibliche Linie, aus welcher sie herstammten. Dreißig Tage nach dem Tode des Mannes mußte die Frau das Gut verlassen, welches sie nicht erbte. Vor Ablauf dieser Zeit durfte der Erbe sich wohl einfinden und seine Gerechtsame wahrnehmen, aber außerdem nichts anordnen. Dann ward zunächst dem Gesinde, sofern es der Erbe nicht behalten wollte, der rückständige Lohn ausgezahlt, und der Vorrath von Lebensmitteln zwischen der Frau und dem Erben getheilt. Dieser berichtigte die Schulden des Erblassers, Spielschulden ausgenommenWenigstens bis auf den Werth der fahrenden Habe.  Sachsensp. I, 6..

Zum Heergewette, das dem männlichen Erben anheim fiel, sonderte man das ihm Nothwendige und vorzugsweise Brauchbare aus; oder laut näherer Angabe: das beste Pferd, ein Bett, Kissen, Betttuch und Tischtuch, zwei Schüsseln, eine Handquele, einen kleinen Kessel, Kesselhaken und Spieß; endlich des Mannes tägliche KleiderSächs. Weichb. 25.. Waren Brüder zum Heergewette berechtigt, so erhielt der älteste das Schwert zum voraus und alles übrige ward getheiltSachsensp. I, 23.; war der älteste Bruder allein großjährig, so bekam er das ganze Heergewette und blieb Vormund der andern Geschwister. Wenn eine Erbschaft an zwei Großjährige und Gleichberechtigte kam, so theilte der Älteste, und der Jüngste wählteSachsensp. III, 29..

Zu den Geraden, welche nur in weiblicher Linie 332 vererbten, rechnete man an vielen Orten: Schafe, Gänse, Kisten mit Deckeln, Garn, Betten, Bettzeug, Tischtücher, Becken, Leuchter, Ringe, Armbänder, Teppiche, Bürsten, Spiegel, geschnittene Leinewand, weibliche Kleider und gottesdienstliche BücherSachsensp. I, 24; III, 38.  Sächs. Weichb. 22, 26. An manchen Orten, z. B. in Braunschweig und Lüneburg, bewirkten die Bürger eine Aufhebung der Erbgesetze über Heergewette und Gerade, welche in die neuen Verhältnisse nicht recht passen wollten.  Orig. guelf. IV, 200, 213, Urk. für 1244 und 1247.; alles übrige gehörte den Erben. Starb die Frau vor dem Manne, so mußte diejenige, welche die Gerade erbte, dem Wittwer lassen: ein Bett, den Tisch mit dem Tischtuche, die Bank mit dem Pfühl, den Stuhl mit dem Kissen bedeckt.

Zwitter, Zwerge und Krüppel erbten weder nach Landrechte, noch nach LehnrechteSachsensp. I, 4.; die nächsten Verwandten sollten für sie sorgen. Stumme, Blinde und Einfältige erbten nach Landrecht, aber nicht nach Lehnrecht; sobald jedoch diese Gebrechen erst während des Besitzes entstanden waren, ging er nicht verloren. Uneheliche Kinder beerbten weder Vater noch MutterSchwabensp. 167.  Über das Erbrecht der spurii, Miraei op. dipl. I, 203.. Das Grundvermögen erhielten in der Regel die Söhne vor den Töchtern, und zahlten den letzten nur gewisse Summen herausSchwabensp. 285.. War ein Kind schon beim Leben der Ältern vollständig abgefunden, so konnte es nur miterben, sofern es das Erhaltene einzuwerfen bereit warSachsensp. I, 13.. Dasselbe mußte die verheirathete Tochter thun, wenn sie die Gerade mit der unverheiratheten erben wollte. Das neugeborne Kind, das die Augen öffnete und die Wände ansah, beerbte die sterbende Mutter. Enkel von verstorbenen SöhnenSchwabensp. 298.  Das Recht der Enkel ward unter Otto I durch Kampf entschieden.  Witich. II, 644. beerbten die 333 Großältern auf den Theil ihres Vaters, nicht aber die Enkel von Töchtern.

Der Mönch erbte nach Landrecht nicht mit den BrüdernSachsensp. I, 25. Näheres in den kirchlichen Alterthümern. – Kein Jude oder Saracene durfte, nach den pisaner Gesetzen, Güter eines Christen Verwandtschafts halber in Anspruch nehmen.  Stat. pis. 173.; ein Kind, das aber vor dem funfzehnten Jahre in ein Kloster gethan worden, konnte es binnen Jahresfrist verlassen und nach Land- und Lehn-Recht erben. Mußte ein Mann, der ohne seines Weibes Zustimmung Mönch geworden war, diesen Stand wieder verlassen: so erbte er nach Landrecht, nicht aber nach Lehnrecht: denn er konnte, ohne die Frau zu befragen, seinen Heerschild niederlegen. Der Weltgeistliche theilte nicht allein mit den Brüdern das Erbe, sondern mit den Schwestern auch die Gerade; den Fall ausgenommen, wenn er bereits eine Pfründe hatte, die Schwester aber noch nicht ausgestattet warSachsensp. I, 5.. Hinterließ jemand keine Kinder, so erbte der Vater, dann die Mutter, dann der vollbürtige Bruder, dann die vollbürtige Schwester, dann die nächsten Verwandten; wobei aber, nach sächsischem Rechte, alle Zählung und Verwandtschaft mit dem siebenten Grade aufhörte, nach schwäbischem oder späterem Rechte aber unbegränzt warEichhorn II, 1012..

Alle Freunde des Landrechts wollten diese feststehende, gesetzliche Erbfolge ungestört erhalten; alle Fürsten, Verwandten, Lehnsvettern suchten das Recht, letztwillig über das Erbe zu verfügen, möglichst zu beschränken; die Geistlichen endlich begünstigten aus mehren Gründen die Testamente. Diese wurden meist vor ihren Gerichten, unter ihrem Einflusse, oder auf dem Krankenbette gemacht; wo Vermächtnisse für die Kirche, oder (wie man es ausdrückte) für die Seele, fast zur Regel wurdenThomassin. I, c. 24, §. 4.  Möser osnabr. Geschichte II, Urk. 76.  Von dem, was für die Seele ausgesetzt war, sollten eigentlich erhalten: ⅓ die Geistlichen, ⅓ die Armen und ⅓ die übers Meer wallenden Pilger.  Schwabensp. 292, 293., während den 334 natürlichen Intestaterben unter keinem Vorwande und in keiner Form etwas abzugewinnen war. So viel mußte man kirchlicherseits zugeben: gewisse Notherben dürften nicht übergangen und gewisse Vorschriften über die Vererbung des Grundvermögens nicht verletzt werden. Sonst aber standen die Gränzen keineswegs genau fest, und insbesondere war viel Streit: inwiefern auch Unfreie das Recht hätten, letztwillig zu verfügen. – Die Landrechte bestimmenSchwabensp. 289, 291.  Sachsensp. III, 76.  Sächs. Weichb. 65.  Die Form der Testamente wich wohl sehr von einander ab. Oft findet man sie von sieben Zeugen unterschrieben.  Cartep. di S. Bartol. di Fiesole, Urk. von 1243. – Testamentsvollzieher sollten nichts aus dem Nachlasse kaufen.  Würdtw. subsid. I, 372.: von der fahrenden Habe darf der Vater einem Kinde doppelt so viel vermachen, als dem zweiten, sobald diese Festsetzung in gesunden Tagen erfolgt ist; auf dem Krankenbette darf er dem ältesten nur ein weniges mehr zutheilen, als dem jüngsten. Überhaupt soll niemand auf dem Siechbette, ohne Zustimmung der Erben, mehr als fünf Schillinge weggeben. Hat ein Mann seine Kinder bereits ausgestattet, so darf er die fahrende Habe ganz der Frau vermachen: bleibt diese aber mit den Kindern in ungetheiltem Besitze, so nimmt sie bei der eintretenden Theilung so viel an Morgengabe, Gerade u. s. w., als ihr beim Tode des Mannes zugefallen wäre. Heirathet sie unter der Zeit und stirbt, so erhält der überlebende zweite Mann die fahrende Habe, aber keine Gerade oder Gebäude. – Erblose Grundstücke fielen bis zu einer Größe von drei Hufen dem Schultheisthume, bis dreißig Hufen dem Grafen anheimSachsensp. III. 80. Diese Regel litt aber sehr viele Ausnahmen; auch stand die Zeit, binnen welcher man noch Ansprüche geltend machen könne, nicht unbedingt fest. Sachsensp. I, 29.  Richtst. Landr. 17.  Österr. Landr. 16.; was mehr betrug, war stets dem König erledigt. Bewegliche Güter, zu denen 335 sich kein Erbe fand, blieben ein Jahr lang im Gerichte und wurden dann zum Besten des Richters verkauft, wenn nicht besondere Gründe für die Verlängerung der Frist sprachenSachsensp. I, 28.  Vergl. sächs. Weichb. 59. – Grundvermögen konnte in der Regel nur vor dem Richter übertragen werden; es wurde in Sachsen immer nach Landesrecht, nicht nach dem Rechte der Person besessen. Über fahrende Habe durfte der Mann, solange er noch gerüstet ein Pferd besteigen konnte, nach Willkür verfügen.  Sächs. Weichb. 61.  Sachsensp. I, 30, 52. – Zur Festhaltung der Erbgüter, war den Mitberechtigten oft ein Vorkaufsrecht zu sehr geringen Preisen verstattet. Sie sollten z. B. geben zehn Mark cum merde canina.  Gudeni cod. I, 496. Viele Tauschgeschäfte bedurften höherer, selbst königlicher Bestätigung.  Ludwig. reliq. I, 7, 12, 25..

 
4) Vom peinlichen Rechte.

Als Regel nahm man an, daß die peinliche Rechtspflege allein dem Könige zustehe, und ohne ausdrückliche Verleihung von niemand ausgeübt werden dürfe. Und selbst in der Zeit, wo jene Regel durch eine Menge von Freibriefen gar viele Ausnahmen bekam, hielt man noch an gewissen Beschränkungen fest: z. B. aus der Übung der bürgerlichen Gerichtsbarkeit folge noch kein Anrecht auf die peinliche; schwere Verbrechen blieben dem königlichen Gerichtshofe vorbehalten, wenn ihre Bestrafung nicht namentlich mit überwiesen seyEppenst. dipl. Urk. 10.  Sächs. Weichb. 88.; die Verleihung des Blutgerichts könne nur an Personen höhern Standes, bis zum vierten Heerschilde, nie aber an Prälaten statt finden; oder wenn es diesen, was allmählich auch geschah, übertragen worden, so durften sie es wenigstens ohne Genehmigung des Königs nicht weiter verleihenSchwabensp. 19, 87, 108, 111. Als 1266 Herzog Ottokar aller Gerichtsbarkeit im Bisthume Passau entsagt, heißt es noch: Verbrechen welche die Todesstrafe verdienen, gehören vor den weltlichen Richter (Hund. metr. I, 388); aber schon früher ward der Blutbann ohne Beschränkung an Prälaten überlassen, z. B. von Otto IV, dem Patriarchen von Aquileja.  Aquil. patr. vitae 43.. Im allgemeinen fand also, nur etwas 336 langsamer, hinsichts der peinlichen Gerichtsbarkeit derselbe Gang statt, wie bei der bürgerlichen; und allein Friedrich II setzte für Neapel den allgemeinen Grundsatz durch: keine Übertragung der ersten an Prälaten oder Barone sey gültigBand III, S. 479..

Unter dem Namen der Freigrafen und der Freigrafschaft erhielten sich in einigen Gegenden Deutschlands peinliche, nur vom König abhängige Gerichte, welche zum Theil in Vehmgerichte übergingenDie Freigrafen gingen wohl aus den alten Grafen hervor, und hatten zugleich die Aufsicht über Straßen und Königswege, Veräußerung des Eigenthums, Untersuchungen über persönliche Freiheit u. dergl. Das Nähere gehört in einen spätern Zeitabschnitt.  Kindlinger I, 1–36; III, 1, 225.. Ihre Hülfe, so wie die der beliehenen Richter, war aber nicht selten zu langsam und entfernt; deshalb durften drei Gemeinen einen Gaugrafen erwählen, welcher, in Abwesenheit des gewöhnlichen Richters, über ein Verbrechen auf frischer That urtelte. War aber der Thäter nicht binnen Tag und Nacht zu überführen, so fiel die weitere Untersuchung dem höhern Richter anheim. Eine Gaugrafschaft dieser ArtSachsensp. I, 55–57.  Von dieser Gaugrafschaft sind die Grafen über einen ganzen Gau wohl zu unterscheiden. ward nicht auf lebenslang oder erblich verliehen; sondern die Bauern wählten für jeden einzelnen Fall. In vielen Gegenden haftete die gesammte Gemeine dafür, daß dem Beleidigten Recht zu Theil werde, und hatte eine Rückbürgschaft an dem Gute des Beleidigers; aus welchem Grundsatze wiederum folgte: keine Aufnahme von Gliedern, keine Theilung oder Veräußerung von Grundstücken könne statt finden, ohne Einwilligung der MarkgenossenSo in Westphalen nach Kindlinger II..

Ward der Verbrecher nicht ergriffen, so zahlte in 337 manchen Theilen der Lombardei jeder Ortseinwohner Strafe, und König Ladislaus setzte 1078 für Ungern festTirab. Humil. III, 245.  Engel Gesch. I, 179.: in Dörfern wo häufig Diebstähle vorfielen, sollte man den zehnten Mann ausheben und zur Untersuchung ziehen. Bei solchen Ansichten war es doppelt nöthig, über den Schutz und die Verfolgung von Verbrechern feste Grundsätze aufzustellen. Die Landrechte sagen deshalb: seinen Gast und seinen Weggenossen darf man schützen gegen jedermann; öffnet man aber dem dreimal auffordernden Richter die verschlossene Thür nicht, so überkommt man die VerantwortungSchwabensp. 198.  Von den Asylen ist in den kirchlichen Alterthümern die Rede.. Früher mag man selbst jemandem, nur nicht einem Geächteten, zur Flucht behülflich seyn. Wer einen ausdrücklich bezeichneten Verbrecher in seiner Burg schützt, fällt in die Acht, sofern er nicht binnen sechs Wochen seine Unschuld und Unkenntniß erweiset. Läßt aber ein Herr den Kläger und sechs Frohnboten in seine Burg, um den Beklagten zu suchen, so findet keine weitere Verantwortlichkeit stattSachsensp. II, 71, 72.. Jeden Verbrecher verfolgt die Gemeine; nur der Geistliche, Küster, Hirte und die Weiber sind von dieser Pflicht entbunden.

Ein im Gerichtsbezirke Ansässiger stellte, selbst bei leichtern Verbrechen, keinen Bürgen, sobald seine Güter mehr Werth hatten, als das Wehrgeld betrugSachsensp. II, 5.; für schwere Verbrechen haftete man dagegen mit seiner eigenen Person, und Bürgenstellung war nicht erlaubt. Kein peinlich Angeklagter durfte mehr als dreißig ungewappnete Männer zur Gerichtsstätte mitbringenDoch durften sie ein Schwert tragen.  Sachsensp. II, 67.  Nach dem Schwabensp. 14 durfte niemand vor Gericht bewaffnet erscheinen.. Floh der Thäter aus Furcht zum Gerichte und klagte sich selbst an, so behielt ihn der Richter sechs Wochen und einen Tag im Gefängnisse, 338 abwartend, ob jemand Klage erhöbe. Nach einem Jahre war er innerhalb Landes alles Anspruches ledig; außerhalb Landes mußte er zehn Jahre lang Rede stehen.

Peinliche Strafen gingen in ältester Zeit nicht an Leib und Leben, weil man dies in der Genossenschaft nicht preis geben, sondern besser daran seyn wollte, als der Ungenosse und der Feind. Nun gab es aber Fälle, wo Geldstrafe ungenügend, voller Ersatz unmöglich schien; auch war die Befehdung und Blutrache neben diesen Strafen weder aufgehoben, noch zu verhindernMöser osnabr. Gesch. I, 23.  Eichhorn I, 187.. Daher mußten für schwere Vergehen allmählich öffentliche und auch solche Strafen gesetzt werden, die an Leib und Leben gingen. Wörtliche Beleidigungen, Schlagen, Stoßen ohne blutige Wunden, wurden im zwölften und dreizehnten Jahrhunderte noch immer bloß mit Gelde gebüßt; ja in der Regel alle blutenden Wunden, oder auch noch schwerere Verbrechen, sofern sich der Beleidigte dabei beruhigteSachsensp. II, 13.  Schwabensp. 116, 118, 203.  Richtst. Landr. II, 25.  Sächs. Weichb. 83.  Orig. guelf. IV, 242.  Monum. boica XII, 346. – Selbst die Päpste bestimmten oft Geldbußen für schwere Verbrechen.  Murat. antiq. Ital. II, 36.  Nach einem Gesetze für Bremen von 1248, kosteten Schimpfreden, zur Erde werfen, Maulschellen ½ Mark, Verwundungen eine Mark; Schwächung eines Gliedes zwei, Verstümmelung vier Mark. Bei Todschlag trat der gewöhnliche Rechtsgang, Verweisung und eine Buße von dreißig Mark ein, für den Erzbischof und die Stadt. Wer jene Strafen nicht zahlen konnte, ward mit Ruthen geschlagen und mußte die Stadt meiden. Lünig Reichs-Arch. Abschn. 6 von Bremen, Urk. 4.. Sonst ging es oft Auge um Auge, und Hand um Hand. Von kleinen, ohne Vorsatz oder Hinterlist zugefügten Beleidigungen reinigte der Eid; freventlich unternommene Verwundung mit dem Mordgewehr ging an den Hals, mit dem Schwerte an die Hand. Auch die Entscheidung durch Kampf zog in solchen Fällen körperliche Züchtigung nach sich; über neununddreißig Schläge wurden aber zur Strafe nie ertheilt. Die Bußen theilte 339 man nicht immer nach gleichen Grundsätzen zwischen dem Kläger und dem Richter; der letzte erhielt oft weniger, nie mehr als der ersteZ. B. ⅔ der Kläger, ⅓ der Richter.  Miraei op. diplom. I, Urk. 42, 45.  Schwabensp. 166.  Sächs. Weichb. 127..

Buße und Wehrgeld war nicht bloß verschieden nach Maaßgabe des leichtern und schwerern Verbrechens, sondern auch nach dem Stande des Beleidigten. Die allmähliche Entwickelung der staatsrechtlichen Stellung der Freien, Freiherrn, Fürsten u. a. wirkte bedeutend auf diese Lehre zurückUrsprünglich sollte Buße und Wehrgeld für diese gleich und nur für die beiden letztgenannten in Golde gezahlt werden. Die alten Sätze aber waren abgekommen, und wo ein Fürst 100 Pfund Strafe gab, zahlte der Geringere wohl nur zehn Pfund.  Sachsensp. III, 45.  Schwabensp. 402.  Otto Fris. vita II, 29.. Die Buße für ein Weib betrug halb so viel als die Buße für den Mann, dessen Frau oder Kind sie war. Zwei wollene Handschuh und eine Mistgabel hieß der Tagelöhner Wehrgeld; Spielleuten und andern, die Gut für Ehre nahmen, verstattete man nicht Buße am Leibe und Gute, sondern nur am Schatten des BeleidigersRichtst. Landr. II, 25. Schwabensp. 402.. Auch auf Verwundung und Todschlag von Thieren stand Wehrgeld und Buße, z. B. für einen Esel acht, für einen Hofhund drei Schillinge, für ein Kalb sechs Pfennige, ein Lamm vier, eine Gans einen, für ein Huhn einen halben PfennigSachsensp. III, 51..

Nur dann sollte das Bekenntniß durch gewaltsame Mittel herbeigeführt werden, wenn jemand wider das Zeugniß eines oder zweier rechtlicher Männer im Leugnen verharrteSchwabensp. 491.. Vor dem vierzehnten Jahre ward kein Kind am Leben oder mit Verstümmelung bestraftSchwabensp. 119, 150.; wohl aber mit Schlägen, und bei Diebstahl mit Ersatz aus dem eigenen Vermögen. Alles Gestohlne mußte, sofern man es nicht 340 ohne Schaden zurückgab, zweifach, Kirchenvermögen dreifach ersetzt werdenSachsensp. II, 13, 28, 39.  Schwabensp. 162, 187, 212, 490.. Wer bei Tage, über den Werth eines Schillings, Getreide, Holz oder Gras stahl, dem ging die Strafe an Haut und Haar; ward der Diebstahl des Nachts begangen, oder betrug der Werth über neun Schillinge, so trat Todesstrafe ein. Wissentliche Hehler von Dieben hatten dieselbe Strafe verwirkt. Menschendiebstahl kostete das Leben; denn ein Mensch sey mehr werth, als viele Güter. Wer einen Leichnam ausgrub, büßte mit Schlägen und mit Gelde, oder man schor ihm das Haupthaar ab. War jemand schon einmal des Diebstahls überführt, so konnte er sich nicht mit einem Eide reinigen, sondern hatte nur unter dreifachem die Wahl: glühendes Eisen zu tragen, in kochendes Wasser zu greifen bis an den Ellenbogen, oder mit dem gestellten Kämpfer zu fechten. Im lübischen Rechte von 1240 heißt es sehr sonderbar: die Frau welche für Diebstahl verdient hat aufgehangen zu werden, soll man der Ehre des weiblichen Geschlechts wegen – lebendig begrabenPro honore muliebri viva tumulabitur.  Westph. monum. III, 626.  Vielleicht nach der alten Ansicht: oportet flagitia abscondi.  Tacit. Germ. 12.. Schwangere Weiber wurden nicht hingerichtetSachsensp. II. 3.. Wer den Frieden brach, oder einen Mann widerrechtlich im Gefängnisse hielt, oder ihn schlug, daß er davon starb, wurde geköpftSachsensp. II. 13.. Durch das Zeugniß dreier Männer konnte man Todschlag als Nothwehr beweisenSchwabensp. 164, 168.  Der Sachsensp. I, 64 verlangt sieben Zeugen, welche Zahl in der Regel nöthig war, wenn die Strafe an das Leben ging. Zwei Zeugen genügten, wenn sie nur an die Hand ging; Kampf stand immer frei.; der Reinigungseid fand nur statt, wenn niemand zugesehn hatte, und wurde mit darauf gerichtet, daß der Thäter wenigstens drei Schritte zurückgewichen sey. Todschlag an Juden bestrafte man wie 341 Todschlag an Christen, denn er galt für FriedensbruchSachsensp. II, 2, 7.; wer aber einen bewaffneten Juden oder Priester erschlug, durfte sich durch Buße lösen, weil kein im Reichsfrieden Begriffener Waffen tragen sollte.

Mörder, Mordbrenner, Verräther und Räuber wurden gerädertSchwabensp. 116.. In Hinsicht des Raubes kostete es Mühe, die Gränzen der Privatfehde von dem verbrecherischen Übermaaße zu sondern und die Meinung mancher Ritter zu vertilgen: jeder Raub sey eine Art offenen Krieges und wo nicht ein ehrenvolles, doch erlaubtes Gewerbe. Allein die tüchtigern Kaiser und die angesehenern unter den Fürsten machten mit solchen Raubrittern keine Umstände, sondern ließen sie oft, wenn das Vergehen irgend erwiesen war, ohne Rücksicht auf ihren Stand aufhängenWeingart mon. 791.  Wildenberg 304.  Montag II, 409.  Heisterbach 516.  Chron. Colon. S. Pantal. zu 1156.. Ja Robert von Flandern befahl im Jahre 1112 einen Ritter, der einer armen Frau zwei Kühe geraubt hatte, mit voller Rüstung in siedendes Wasser zu werfenIperius 607.. Herzog Albert von Braunschweig ließ den Grafen von Eberstein erst als Räuber bei den Beinen aufhängen und dann als Grafen ehrenvoll begrabenLerbeke 511. – Um 1130 war das Brandstiften in einem großen Theile Europas so verbreitet, daß die weltliche und geistliche Macht kaum vereint den Freveln steuern konnte.  Concil. XII, 1448..

Ehre und Gut verloren der Wortbrüchige und der Ausreißer aus dem ReichsheereSachsensp. I, 40. Schwabensp. 119, 150. 389, 392.; die Hand verlor, wer falsche Urkunden gemacht hatte. Betrug an Maaß und Gewicht büßte man öffentlich mit Schlägen; bedeutend verfälschtes Gewicht selbst mit dem Leben. – Wer einem Weibe Gewalt anthat, ward enthauptet; wer einer Jungfrau, lebendig begrabenSachsensp. II, 13. Schwabensp. 116, 354.  Österr. Landr. 7.. Kein Weib konnte über einen Monat 342 nach der That wegen Nothzucht klagen. Ketzer, Zauberer, Giftmischer litten den Tod durch das Feuer. Einem Gotteslästerer wurden auf Befehl Ludwigs IX die Lippen mit glühendem Eisen gebranntGuil. Nang. 364.  Dulaure II, 248..

Die peinlichen Strafen unterlagen übrigens nicht allein manchen gesetzlichen AbänderungenMartene thes. I, 766., sondern man glaubte auch bisweilen: daß Richter, Schöppen und Geschworne ohne strenge Bezugnahme auf den Buchstaben eines Gesetzes, das Angemessene für einen vorliegenden Fall nach innerer Überzeugung finden könntenZ. B. in Verona.  Campagnola c. 82, 92.. Manche andere Eigenthümlichkeiten kamen von der kirchlichen Seite her in das peinliche Recht. So sollte jemand, der bei Eroberung einer Burg dem Bischofe von Katanea die Zunge ausgeschnitten hatte, nach der Entscheidung Papst Innocenz des drittenInnoc. epist. V, 77., vierzehn Tage lang, nur mit kurzem Hemde bekleidet, die Zunge an einem Faden gebunden und zum Theil aus dem Munde hervorreichend, vor der Kirche liegen. Er sollte Wasser und Brot zur Nahrung erhalten, mit Ruthen gegeißelt werden, drei Jahre lang nach Palästina pilgern u. s. w.

Sofern damals viele Vergehen, ja Verbrechen nur mit Gelde gebüßt wurden, erscheint die Gesetzgebung milder, als in späterer Zeit, und auch hinsichts der Martern ging man nicht so häufig in wilde Grausamkeit über. Doch fehlte es nicht ganz an harten Vorgängen. Mördern des Grafen von Flandern z. B. stach man die Augen aus, hieb ihnen Nasen und Arme ab, und erschoß sie dann auf dem Rade allmählich mit PfeilenSager vita Ludov. VI, 316.  Velly III, 75.. Einen andern Mitschuldigen band man fest, und daneben einen Hund, welcher ihn, durch Schläge gereitzt, wüthend ins Gesicht biß. In Bologna 343 steckte man Mörder in ein mit Nägeln durchschlagenes Faß und rollte es zum RichtplatzeGriffò zu 1253..

 
5) Von der Acht, dem Kampfe und den Gottesurtheilen.

Wer sich vor dem niedern Richter nicht stellte, verfiel in die niedere Acht, erhielt jedoch sicheres Geleit, um sich ohne große Mühe aus derselben zu lösenRichtst. Landr. 52.  Sachsensp. II, 71; III, 24.. Geschah dies aber nicht binnen sechs Wochen, so verfiel er in die Acht des höhern Richters, und mußte dann für jeden Gerichtsbezirk die früher nur einfache Strafe zahlen. Doch konnte sich der Geächtete selbst an befriedeten Tagen und in allen Gerichten, wohin die Acht sich erstreckte, von der Schuld reinigen: denn einem reuigen Sünder solle man zu jeder Stunde Gnade gewährenRichtst. Landr. 150.  Sächs. Weichb. 5.  Sachsensp. I, 38; II, 71; III, 17.  Schwabensp. 100, 103, 115.. Zog sich jemand binnen Jahresfrist nicht aus der Acht, so ward endlich die Reichs- und Ober-Acht des Königs nachgesucht, und wenn keine besondern Hindernisse entgegenstanden, nach vorhergegangener Prüfung auch ausgesprochen. Das Lehn ward dem Lehnsherrn, das Allode aber dem Reiche eröffnet, wenn es die Erben nicht binnen Jahresfrist durch einen Reinigungseid auslöseten, oder ein anderer Herr an den Dienstmann ein näheres Recht hatte. Der Geächtete konnte weder Klagen erheben, noch verfolgen, noch Zeugniß ablegen, und in manchen Fällen ging sogar seine Ehre verlorenUrsp. chr. 315.. Nur der König lösete aus der Reichsacht. Den Beweis, daß es geschehen sey, führte man durch zwei Schöppen und den RichterSachsensp. III, 16, 18.  Schwabensp. 156.; drei andere Zeugen oder des Richters schriftliches Zeugniß erwiesen die Aufhebung einer niedern Acht. Oft 344 ward verlangt, nie aber allgemein durchgesetztSchwabensp. 100.  Sachsensp. III, 63.  Urk. Ottos IV von 1208 bei Bonelli., daß sechs Wochen nach dem Achtsspruche der Bann, und nach dem Banne die Acht folgen solle. Bann, ohne hinzukommende Reichsacht, schadete nach Land- und Lehn-Recht dem Gute nicht. Das letzte ward in manchen Fällen zurückgegeben, wenn der Geächtete im Reichsheere gegen einen feindlichen König stritt; sonst gab Aufhebung der Reichsacht zwar den vorigen Stand, aber nicht das abgesprochene Gut wiederSachsensp. I, 38.. Keinem Geächteten wurde das Leben ohne besonderes Urtheil genommen.

Nur eine Nacht durfte man wissentlich einen Geächteten aus Gastfreundschaft beherbergen; längere Verhehlung zog die gleiche Strafe nach sich. Bewilligte eine Burg oder Stadt öffentlich die Aufnahme, so sollten ihre Mauern niedergerissen und ihre Gräben ausgefüllt werdenSachsensp. III, 23, 68.  Schwabensp. 153, 155.  Siehe daselbst noch nähere Bestimmungen..

Die Grundsätze, wenn jemand auf Kampf antragen, oder der Richter darauf erkennen dürfe, lauteten nicht überall gleich. Am häufigsten trat er ein, wenn die Beschuldigung Friedensbruch, Blutwunden oder Raub betraf; dann aber auch wegen Todschlag, Mord, Brand, Verrath, Nothzucht, GiftmischereiSchwabensp. 228.  Schöpfl. hist. Zar. Bad. V, 59.. Ja zum Beweise der Keuschheit und zur Entscheidung zweifelhafter Fragen über die Gesetzgebung, hat Kampf statt gefundenDitmar II, 42.  Wittich. II, 645.. In jenen Fällen durfte man den Kampf nur verweigern, wenn anderweite volle Beweise zur Hand warenÖsterr. Landr. 8.  Sachsensp. I, 43.  Schwabensp. 53, 171.  Richtst. Landr. 49.  Gemeiner Chron. 325., wenn der Beklagte unter vierundzwanzig oder über sechzig Jahre zählte, oder der Kläger nicht ebenbürtig war. Doch fiel die letzte Entschuldigung dahin, sobald wegen Todschlags gekämpft werden sollte. 345 Jeder Niedere mußte sich hingegen dem Höhern stellen, jeder ebenbürtige Mann mußte seine angeklagte Verwandte vertreten. – Nur Vormittags ward gekämpftSachsensp. I, 63.  Schwabensp. 172.  Sächs. Weichb. 35.. Die Herausforderung geschah dadurch, daß man das Hauptkoller des Gegners mit zwei Fingern berührte. Unter Aufsicht der vom Richter bestellten Personen, kleideten sich die Kämpfer nach Willkür in Leder oder Leinwand, doch mußten Haupt und Füße vorn entblößt, der Rock ohne Ärmel und die Handschuhe nur dünne seynKampf mit Stöcken fand früher, besonders unter Personen geringern Standes, auch statt.  Rovelli II, 184.  In einigen Gegenden Spaniens ließen sich Beleidiger zur Genugthuung vom Beleidigten eine gewisse Zahl Stockschläge geben. Innocenz III tadelt, daß sich Geistliche freiwillig dieser Sitte unterwarfen und sogar von Laien ausprügeln ließen.  Innoc. epist. IX, 4.. Jeder hielt ein Schwert in der Hand und umgürtete sich mit dem zweiten. Das Schild in der linken war von Holz oder Leder, und nur die Buckeln von Eisen. Nachdem zum Kampfplatze ein Kreis von fünfundzwanzig Fuß im Durchmesser abgesondert und bezeichnet, die Sonne gleich getheilt und dem Volke Stille geboten worden, beschwur der Kläger vor dem Richter: sein Anbringen sey wahr und gerecht; der Beklagte, er sey unschuldig an der That. Weigerte sich jemand solchen Eides, so durfte er, bloßer Gewalt vertrauend, den Kampf nicht beginnen. Wer verwundet wurde, niederfiel, oder aus dem Kreise wich, galt für besiegt: den Beklagten traf die gesetzliche Strafe, den Kläger Buße und Verlust der gegebenen Bürgschaft. Erschien der Beklagte auf dreifache Ladung nicht zum KampfeSchwabensp. 172.  Von diesem in den deutschen Rechtsbüchern beschriebenen Verfahren fanden in andern Ländern manche Abweichungen statt. In Verona z. B. ward auch Abgabenfreiheit durch Kampf erstritten, in Parma und Mailand ließ man ihn unter Leuten geringen Standes wegen Diebstahl zu; jedoch nicht bei einander entgegenstehenden Zeugen. Siehe Campagnola XVI.  Affò Parma III, 183.  Giulini 318, zu 1216.  Das Verfahren im Königreiche Jerusalem ist genau beschrieben bei Wilken I, 415. – Oft ward der Besiegte dem Sieger als ein eigener Mann übergeben.  Gislebert 390, 391., so schlug der Kläger zweimal 346 an sein Schild, stach mit dem Schwerte nach der Sonne, stieß es dann in die Erde und ward als Sieger betrachtet.

Weil nun viele Personen außer Stande waren selbst zu kämpfen, sich auch nicht immer Verwandte zu ihrer Vertretung fanden: so kam es, besonders in Italien, dahin, daß manche Personen ein Geschäft daraus machten, gerichtliche Kämpfe für Einzelne, oder auch für ganze Gemeinen zu übernehmenCarli Verona III, 5-7.  Affò Parma III, 183.  Campagnola 125, 126.. Bisweilen wurden sie von den Richtern auf gewisse Zeit mit Ausschließung anderer angestellt, ihr Lohn gesetzlich bestimmt, und dem Beklagten unter zwei etwa gleich starken Männern die Auswahl gelassen. In der Regel lautete der Eid der Kämpfer auch darauf, daß weder Betrug, noch Zauberei, noch irgend eine andere Hinterlist obwalte. Trotz aller Vorsicht ging es aber bei diesem gewaltigen Rechtsmittel nicht immer ruhig her. Als z. B. in Reggio wegen Streit über Eigenthum und Grundstücke ein Zweikampf beginnen sollte, warf der Stellvertreter des klagenden Abtes, aus Spott einen Weiberhandschuh auf den Kopf seines von den beklagten Unterthanen gestellten GegnersOrig. guelf. I, 603, zu 1098.. Erzürnt über diesen Schimpf mischten sich die Zuschauer in die Sache, prügelten den Kämpfer des Abtes, und schnell entstand hieraus eine ganz allgemeine Schlägerei.

Beweisführung durch Kampf widersprach ganz den kirchlichen Ansichten und Vorschriften; bisweilen verhinderten ihn daher die Prälaten, oder weigerten sich dessen beharrlichAls eine Kirche in Florenz ihr Recht durch Kampf beweisen wollte, nannte Honorius III dies novitatis injuria, et injuriae novitas.  Regesta Jahr II, Urk. 672. – Kölnisches Dienstrecht bei Kindlinger II, Urk. 13.  Wibaldi ep. 145.  Verci Trevig. I, Urk. 59, 60.  Murat. antiq. Ital. III, 6412., 347 oder setzten wenigstens durch, daß er zwischen ihren eigenen Unterthanen nicht statt finden sollte; bisweilen mußten sie sich aber auch zu dieser Form bequemen, um ihrer Rechte nicht ganz verlustig zu gehn. Ganz verwerflich erschien es aber eifrigen Kirchenlehrern, wenn ein geistliches Gericht den Zweikampf selbst billigteBouquet XV, 163.. Viele Städte erhielten, wie wir sahen, die Begünstigung, daß niemand auf Kampf ansprechen durfteLudwig reliq. II, 194.  Lünig Reichsarchiv, Suppl. 7, von Österr., Urk. 168.  Eben so viele südfranzösische Städte.  Hist. de Langued. III, 527.; doch blieb derselbe ausnahmsweise, z. B. in Lübeck verstattet, wenn Todschlag sonst schwer zu erweisen warWestph. mon. III, 627.  Schon 1186 erhielten die Steiermärker einen Freibrief gegen den Gebrauch des Kampfes.  Lünig Reichsarchiv, von Steiermark, Urk. 75..

Wenn jemand nicht kämpfen konnte, oder wollte, einen andern zu bezahlen außer Stande war, oder bestimmte Ankläger und sonstige Beweismittel fehlten: in diesen und einigen verwandten Fällen ließ das Gericht Gottesurtheile zu, oder ordnete sie an. Die gebräuchlichste unter ihnen war die Probe des glühenden Eisens, des kalten und des siedenden Wassers; obgleich auch noch anderer Erwähnung geschiehtZ. B. judicium panis vel casei, wo der, welcher einen unter manchen Feierlichkeiten eingesegneten Bissen Brot oder Käse verschlucken konnte, für unschuldig galt.  Murat. antiq. Ital. III, 614.. Zu jeder Probe dieser Art fand durch Gottesdienst, Gebet und Fasten eine Vorbereitung statt. Während z. B. bei der Probe des Eisens, dasselbe unter gewissen Formeln vom Altare genommen, ins Feuer gelegt und glühend wurdeNach einer alten Vorschrift.  Engel Gesch. von Ungern I, 319., las der Priester Messe und gab beiden Theilen das Brot mit der Warnung, es nicht zum Verderben ihrer Seele zu genießen. Wenn der Angeklagte, nach wiederholter feierlicher Aufforderung, die Schuld zu 348 bekennen, seine Unschuld behauptete, gab man ihm das Eisen in die Hand, betete, daß Gott die Wahrheit offenbaren möge, und ließ die Theilnehmer beschwören, daß Betrug, künstliche Zubereitung der Hand, oder Zauberei nicht statt finde. Nächstdem ward die Hand mit Leinwand überwickelt, versiegelt und nach drei Tagen, zufolge des Befundes, auf Schuld oder Unschuld erkannt. Von dieser Probe des glühenden Eisens war die FeuerprobeHohenst. Band I, S. 191.  Bei einer solchen Feuerprobe 1103 in Mailand waren die Holzstöße zehn Klafter lang, vier hoch und der Weg 1½ breit.  Land. jun. 10.  Formeln des Gottesdienstes, der Einsegnung u. s. w. hat Pez. thesaur. II, 2, 635. noch verschieden, wo jemand, unter Beobachtung ähnlicher Feierlichkeiten, leicht bekleidet, zwischen zwei Holzstößen hindurchgehn mußte. Bei der Probe des siedenden Wassers wurde der Arm bis an den Ellenbogen hineingesteckt, bei der Probe des kalten Wassers der Entkleidete in dasselbe hineingeworfen. Den Schuldigen nahm das Wasser nicht auf, er schwamm oben; den Unschuldigen nahm es auf, und so wie er untersank, zog man ihn heraus.

Mit noch größerem Eifer, als gegen den Beweis durch Kampf, erklärten sich die Päpste gegen die GottesurtheileInnoc. ep. V, 107; XI, 46; XIV, 138.  Reg. Hon. III, Jahr X, Urk. 98.  Münter Beiträge I, 105. Lünig Reichs-Archiv, cont. IV, Abs. 23, Urk. 8.  Concil. XIII, 956, No. 18.  Harzheim III, 532.  Pasquier rech. IV, 326., und straften die Priester, welche dabei hülfreiche Hand geleistet hatten. Allein sie konnten ihren Willen nur in den geistlichen Gerichten durchsetzen, und wir finden während des zwölften und dreizehnten Jahrhunderts noch manches Beispiel, daß Geistliche durch ihre Theilnahme den Gottesurtheilen höhere Feierlichkeit gabenWürdtw. nova subs. VII, 90; X, 11.  Westph. mon. III, 1469.  Potgiesser 664.  Noch 1171 bestätigte Erzbischof Adalbert von Salzburg dem Kloster S. Veit: judicium aquae aut ferri, in ipso monte S. Mariae vel in Ecclesia S. Johannis, sicut et dudum ibidem indultum fuisse cognovimus.  Aber in den päpstlichen Freibrief von 1178 ward dies nicht aufgenommen.  Monum. boica V, 238.. Mehre Städte erhielten 349 eine völlige Befreiung von denselbenSo in Italien Bari, S. Germano, aber selbst unter dem Hause Anjou waren noch Gottesurtheile.  Murat. antiq. Ital. III, 628.  Gattula III, 305.  Pecchia I, 168; II, 232., und Ludwig IX untersagte, sofern nicht von Raub und Mord die Rede war, Kampf und Gottesurtheile ganz allgemein, welcher Befehl indeß nur in seinen Besitzungen zum Vollzuge kamVita Ludov. IX, 471.  Etabl. de S. Louis I, c. 2, 80.. Wie verständig Friedrich II diesen Punkt behandelte, ist anderwärts erzähltHohenst. Band III, S. 522..

Gewiß mußte schon beim Kampfe mancher Unschuldige leiden; noch weniger können die Gottesurtheile, sofern man nicht für jedes ein Wunder annehmen will, für ein taugliches Beweismittel gelten, und mit Recht hat die Kirche zur Verwerfung falscher Wunder hingewirkt. Damit uns aber, wegen der Ansichten und Formen unserer Tage, nicht voreilig der Hochmuth beschleiche, möchten wir fragen: ob sich die durch göttliches und menschliches Recht verbotenen Zweikämpfe späterer Zeiten besser rechtfertigen lassen, als die Gerichtskämpfe früherer Zeit, und ob nicht in der Tortur ein noch häufigeres und ungerechteres Gottesurtheil aufgestellt und lange vertheidigt worden ist? Zuletzt mögen folgende Äußerungen MontesquieusEsprit des lois XXVIII, 17, 25. hier ihren Platz finden: »der Beweis durch Kampf hatte einen, auf Erfahrung ruhenden, Grund für sich. In einem durchaus kriegerischen Volke läßt die Feigheit auch auf andere Laster schließen, beweiset, daß Ehrgefühl fehle und Gleichgültigkeit gegen die Achtung oder Verachtung anderer eingebrochen sey. Kampf und Gottesurtheile standen damals in genauer Übereinstimmung mit den Sitten, und die dahin gehörigen Gesetze waren mehr ungerecht, als daß sie Ungerechtigkeiten hervorbrachten, sie verletzten mehr die Billigkeit, als die Rechte, 350 zeigten sich unschuldiger in den Wirkungen, als in den Ursachen. Und überhaupt: so wie viele vernünftige Dinge sehr thöricht behandelt werden, so giebt es auch Thorheiten, die man sehr klug zu leiten verstand.« – Sobald beim Kampfe ganz fremde, bezahlte Personen zugelassen wurden, fällt indeß Montesquieus entschuldigender Gesichtspunkt dahin; und schwerlich möchte bei den Gottesurtheilen eine eigentlich verständige Leitung möglich erscheinen. Giebt man, mit der Kirche, den Glauben an das Wunder auf, so bleibt nur Zufall oder Betrug auf gleich verwerfliche Weise übrigWenn, wie in Mailand, der Beklagte ein unschuldig Kind an einen Strick binden, ins Wasser lassen, wenn es sank gleich in die Höhe ziehen durfte, und dann für unschuldig erklärt ward, so hatte man freilich die Gefahr eigentlich umgangen.  Giulini 318, zu 1216..

 
6) Vom Lehnrechte.

Vom Lehnwesen, als dem wichtigsten, durchgreifendsten aller Rechtsverhältnisse des Mittelalters, hätte, aus manchen Gründen, zuallererst die Rede seyn können, und es ward auch an mehren Stellen darauf hingewiesen: andererseits zieht es sich so sehr durch alle Kreise und Verhältnisse hindurch, giebt ihnen in so vieler Hinsicht eine andere Haltung, Eigenthümlichkeit und Bedeutung, daß sich erst jetzt am Schlusse der bisherigen Darstellungen von ihm genauer handeln, manches Unverständliche aufhellen, oder Zerstreute zusammenfassen läßt.

Das Lehnwesen ist weder etwas willkürlich gemachtes, oder abzuschaffendes, noch ein an sich verkehrtes; sondern es tritt auf einer gewissen Entwickelungsstufe bei den meisten Völkern hervorSpuren des Lehnwesens finden sich z. B. bei den Afghanen, Türken, in der Südsee, in Ägypten (Abulf. zu 1311), Persien (Elphinstone Reise II, 120) u. s. w., und umfaßt dann eine nothwendige und heilsame, obgleich keineswegs von allen Mängeln freie Bildungsperiode. Nirgends aber ward dasselbe zu einer solchen 351 Höhe und Vollkommenheit gebracht, als unter den deutschen Völkern. Bei dem Anfange der hohenstaufischen Zeit war es in Westeuropa, neben der Kirche, die zweite Grundlage aller öffentlichen Verhältnisse; obgleich jedes Land seine Eigenthümlichkeiten zeigte, und schon der Inhalt der allmählich entstandenen lombardischen Rechtsbücher von den deutschen in mehren Punkten, z. B. hinsichtlich des Erbrechtes, abweichtWahrscheinlich erhielten die libri feudorum durch Hugolinus (stirbt 1233) ihre jetzige Gestalt.  Eichhorn II, 657, 988. – Deutsches Lehnrecht und Lehnrecht in Romania terra wird 1180 bei einer Urkunde aus Lausanne genau unterschieden.  Ruchat Urk. 23..

Nichts war nach den ältesten deutschen Grundsätzen Lehn, wovon keine Kriegsdienste geleistet wurdenAuct. de benef. I, 4.  Schwäb. Lehnr. 115.; mithin hatten Priester, Bauern, Kaufleute, Weiber, welche keine Kriegsdienste leisten konnten, auch kein Lehnrecht. Wollte man aber hienach das ganze Lehnwesen nur wie eine vereinzelte Einrichtung betrachten, um ein Heer zu bilden; so wäre dies eben so irrig, als wenn man es später nur wie eine Sammlung von Vorschriften ansah, gewisse privatrechtliche Verhältnisse, besonders über das Grundvermögen, zu ordnen. In der Regel gab der Höhere dem Geringern das Lehngut; es finden sich aber auch sehr viele BeispieleMiraei op. dipl. I, Urk. 69.  Gerken V, Urk. 60, wo selbst Reichslehne dargeboten und zurückgenommen werden., daß der letzte dem ersten seine freien Besitzungen übergab und als Lehn zurückerhielt; ja daß Höhere von Niedern, insbesondere geistlichen Standes, gern die Lehne und Belehnung annahmenHüllmann Gesch. der Stände II. 249.  In Italien gaben Adeliche bisweilen ihre Güter in den Schutz der Kaiser, ohne eigentliche Lehnsmannen zu werden.  Lami lezioni I, CIX.. In diesen Fällen wünschte bisweilen der Darbietende und der Prälat Schutz zu gewinnen; bisweilen war der größere Vortheil auf Seiten der 352 Lehnsherrn; in der Regel erschien beiden Theilen das neue Verhältniß angenehm und vortheilhaft.

Besitz ohne Belehnung (Investitur), und Belehnung ohne Besitz war kein rechtes LehnSchwäb. Lehnrecht 16, 30–33, 43.  Richtst. Lehnr. 22.. Jeder sollte binnen Jahresfrist, von Entstehung seines Rechts an gerechnet, die Belehnung nachsuchen; dem Geächteten, Gebannten und wegen schwerer Verbrechen Angeklagten durfte sie aber der Lehnsherr verweigern, bis er seine Unschuld erwiesen, oder die Strafe überstanden hatte. Ehe der Kaiser die unmittelbaren Reichsvasallen nicht belehnt hatte, durften diese ihren Lehnsmannen keine Belehnung ertheilenOtton. Fris. vita II, 5.  Sächs. Lehnr. 19.  Schwäb. Lehnr. 146., und den letzten lief wiederum obige Frist erst von dem Tage der kaiserlichen Investitur. War der Thron des deutschen Königs über ein Jahr erledigt, so belieh der Pfalzgraf am Rhein mit allen Lehen, nur die Fürstenlehen ausgenommen. Bei der Belehnung fanden mancherlei Feierlichkeiten statt, und manche Sinnbilder wurden angewendetInnocenz III belehnt Richardum germanum de castro Sorano, per cupam argenteam deauratam.  Epist. XII, 5.. Königreiche gab der Kaiser mit dem Schwerte, Landschaften mit der Fahne zu Lehn; Prälaten empfingen die Lehn durch den ZepterRichtst. Landr. IV, 23.  Sachsensp. III, 53, 62.  Schwabensp. 33, 34.  Sächs. Lehnr. 16, 36, 38.. Erledigte Fahnenlehn sollten binnen Jahresfrist wieder ausgeliehen, aber nicht getheilt werden.

So wie sich aus der ursprünglich gleichen Stellung der freien Männer mehre Stände entwickelten, so noch mehre Stufen der Lehnswürdigkeit und LehnsabhängigkeitEichhorn II, 726, 878, 886, 914.. Diese Stufen, welche man Heerschilde nannte, richteten sich nach der Person des Lehnsherrn und des Vasallen, und es werden ihrer gewöhnlich sieben aufgezählt: König, Priesterfürsten, Laienfürsten, freie Herrn, Mittelfreie, Dienstmannen, 353 SemperleuteSchwäb. Landr. 49.  Schwäb. Lehnr. 168.  Sächs. Lehnr. 1, 28.  Schwabensp. 9.. Es würde zu umständlich seyn, Grund und Bedeutung dieser Stufen genau zu untersuchen; weshalb wir uns mit der wiederholten Bemerkung begnügen: daß sie keinen ständischen Unterschied begründeten, und manche nach einander folgende für ebenbürtig galten. Sie bezeichnen mehr die Stellung im Heere, als den Stand, und noch mehr den Rang in dem meist kriegerischen Staate, als eine Dienstordnung im KriegeMontag II, 571, 653.. Minderung des Lehnsschildes, oder Hinabtreten in eine niedere Stufe änderte Stand und Landrecht nicht; begründete aber für den Herrn den Verlust seiner Rechte auf übertragene Lehen. Kein Lehnsherr durfte den Vasallen an einen niedern Lehnsmann abtreten, oder ihm das Lehn kündigen: wohl aber konnte der Vasall (doch wohl nur aus Gründen) dem Herrn das Lehn durch eine bestimmte Formel und in bittender Stellung aufsagenSchwäb. Lehnr. 6..

Kam ein Vasall seinen Pflichten nicht nach, so verlor er, wofern nicht Milderungsgründe statt fanden, das LehnDie Reichsdienstleute waren aber immer beim Reichsheere; so wie überhaupt bei Reichskriegen noch unabhängig von der Lehnsverbindung, die alte Heerbannspflichtigkeit hervortrat.  Godofr. mon. zu 1189.  Möser osnabr. Gesch. II, 154.  Eben so in Frankreich. Velly III, 62.. Andererseits ward aber auch die Kriegslast gemindert, wenn sie zu hoch erschien, oder der Werth des Gutes sich änderteDumont I, Urk. 138.  Amato mem. 37.. Bisweilen schwuren die Aftervasallen dem obersten Lehnsherrn, für richtige Dienstleistung zu sorgen und mitzuhaftenMiraei op. dipl. I, Urk. 89.. Ward ein Lehnsmann gleichzeitig von mehren Herrn zum Dienste geladen, so stellte er sich dem erst Fordernden in Person, dem andern sandte er seine LeuteSchwäb. Lehnr. 59.. Geriethen aber die verschiedenen Herrn selbst in Fehde, oder 354 hatte jemand Lehn von zwei Reichen, z. B. von Frankreich und Deutschland, so ließen sich unangenehme Widersprüche und Verwickelungen kaum vermeidenLünig cod. dipl. I, 361.; weshalb man das Entstehen solcher Verhältnisse zu erschweren suchteFriedrich II verbot, daß Mannen und Leute mehrer deutschen Bischöfe sich, ohne deren Beistimmung, bei andern zu Diensten und Leistungen verpflichteten.  Cod. Vindob. 61, f. 47..

Bei dieser Doppelstellung, und noch öfter weil Lehnsherrn und Vasallen darin ihren Vortheil sahen, gaben die letzten Geld statt des persönlichen KriegsdienstesHume II, 92.  Rog. Hoved. 776.. Dieses Vertauschen der Leistung hob indeß den Begriff des Kriegslehens nicht auf; wogegen ursprünglich bestellte Zinslehne insofern davon geschieden blieben, daß sie jeder erwerben konnte der überhaupt Grundstücke besitzen durfte, und daß jeder rechtliche Mann beim Streite über dieselben Zeugniß abzulegen berechtigt warSchwäb. Lehnr. 95, 102, 112, 128..

So wie aber allmählich Dienstleute und Lehnsmannen zusammenschmolzenTolner, Urk. 70., so gebrauchte man auch allmählich den Ausdruck Lehn, wenn Dienste sehr verschiedener, ja wenn Abgaben und Leistungen der sonderbarsten Art ausbedungen wurden. Wir finden z. B., daß der Lehnspflichtige den Herrn eine Zeit lang verpflegen mußte, daß er Jagdvögel, Wein und Tuch lieferteMiraei op. dipl. I, Urk. 79, 86.  Roland. Patav. XII, 4.  Lünig cod. dipl. II, Urk. 1, 28.. Jemand erhielt ein Lehn für sich und Nachkommen, um dafür die Mönche eines Klosters entweder selbst, oder durch einen geschickten Stellvertreter zur Ader zu lassenGudenus III, 1095.. In England verpflichtete der König den Übernehmer von dreißig Morgen Landes, ihm jährlich vierundzwanzig frische Heringspasteten zu bringen; ein anderer 355 lieferte für diese Grundfläche dem Könige, so oft er in die Grafschaft kam, ein Bund Heu zum AbtrittAnderson II, 61.; ein dritter stellte einen Mann, welcher drei königliche Jagdhunde so lange führen mußte, bis ihm die Schuhe zerrissen!

Ohne Genehmigung des Lehnsherrn durfte man kein Lehngut theilen, veräußern oder verpfänden; schwieg jener indeß Jahr und Tag nachdem er das letzte erfahren, so ward seine Beistimmung vorausgesetztRichtst. Lehnr. 19.  Schwäb. Lehnr. 92; II, Feud. 56.  Gervas. Tilber. 942.  Murat. script. I, 2, 180.  Monum. boica VIII, 30. – Sogar Honorius III befahl für die Champagne: daß die Lehnsherrn durch Verpfändung der Lehne nicht an Diensten leiden sollten.  Reg., Jahr III, Urk. 214.. Am willigsten zeigten sich die Herrn, wenn der Vasall ein Lehn an Geistliche oder Klöster übergeben wollteLudw. reliq. I, 87.  Schlieffen Urk. 2, B..

Die höchst wichtige Frage: inwiefern der Vasall das Lehn einem andern hinterlassen dürfe, und wann es als eröffnet dem Lehnsherrn wieder zufalle, ward weder in allen Ländern noch in allen Zeiträumen gleich beantwortet. Nach der strengsten Ansicht ging das Erbrecht nur auf die männliche Linie des erstgebornen Sohnes; in der Regel nicht weiter, als auf männliche Nachkommen des ersten ErwerbersSachsensp. I, 14.  Schwäb. Lehnr. 5, 39, 103.  Doch konnte der Mann seiner Frau, mit Einstimmung erwachsener Söhne, ein Geding im Lehne aussetzen.  Sächs. Lehnr. 22.. Der Übergang in weibliche Hände mußte durch besondere Einwilligung verstattet werden, und begränzte sich auch dann bald auf die Töchter, bald auf Schwestern, mit Ausschluß entfernterer Seitenverwandten. Freibriefe wodurch das Lehn weiblichen Erben zugewiesen wurde, finden sich schon im 12ten JahrhundertIn beneficiis Stabulensis monasterii haereditant foeminae, ubi masculi non supersunt.  Wibaldi ep. 187, von 1148. – Weiberlehn bei Komo 1159.  Rovelli II, 349.  1190 bei Utrecht.  Lünig cod. dipl. II, Urk. 2.  Desgleichen 1204 in Brabant.  Miraei op. dipl. III, Urk. 86.  Siehe noch Schöpfl. hist. Zar. Bad. V, 152.  Mater. zur ötting. Gesch. II, 224. – Aussprüche, daß die Lehen nicht auf Weiber erben, finden sich von 1157 in Ried cod. I, Urk. 248; von 1230 in Voigt Gesch. von Quedlinb. I, 347. Nicht selten war Streit über die Gränzen des Erbrechts, und es ward wohl für Geld erweitert.  Lünig spic. ecl. von Emmeran, Urk. 29. Bünaus Friedrich I, 169.  Murat. antiq. Est. I, 362. Philipp von Köln gab Lehn an Frauen auf ihre Lebenszeit.  Orig. guelf. III, 599, zu 1189.; aber noch in der zweiten Hälfte des 13ten galt das Gegentheil für Recht und Gesetz. Insbesondere 356 suchten die Könige diesen Grundsatz hinsichtlich der Reichslehen eben so eifrig festzuhalten, als die Fürsten ihn umzustoßen; welches letzte ihnen allmählich besser gelang, obgleich König Richard in UrkundenGebauer Leben Richards 407.  Alberic. 400.  Erath. cod. Queddlinb. 150.  Auct. inc. ap. Urstis. zu 1238. und auch mehre Schriftsteller und Rechtslehrer die Richtigkeit und Anwendbarkeit desselben aussprechen. Die Untheilbarkeit der Reichslehen, auf welche Friedrich I drang, ward häufig verletztRadev. II, 7.  Pfister Gesch. von Schwaben II, 212.  Nach lombardischem Erbrechte trat in der Regel Theilung unter alle Söhne ein, nicht nach fränkischem.  Murat. antiq. Est. I, 355., und Heinrichs VI großer Plan, sie in Allode zu verwandeln, kam nicht zu StandeGesch. der Hohenst. Band III, S. 61.. Mit der Ausdehnung des Erbrechts wuchs die Anhänglichkeit an das Lehn und die Sorgfalt für dessen Verbesserung: allein die staatsrechtliche Bedeutung nahm ab, die Beziehung auf den Krieg verschwand fast ganz, und wenige verstanden wie Friedrich II in Neapel aus dem Untergehenden etwas neues und tüchtiges zu bildenGesch. der Hohenst. Band III, S. 476..

Beschrie ein Kind nach dem Tode des Vaters noch die vier Wände, so erbte es das LehnAuct. de benef. I, 44.. Die Frage über dessen Ächtheit war oft wichtig genug, um sich die ungewöhnlichste Beweisführung gefallen zu lassen. Im Jahre 1126 357 behauptete die Markgräfinn von Meißen nach dem Tode ihres Mannes, sie sey schwanger, während ihre Feinde behaupteten, sie habe sich ein Kissen vor den Leib gebunden. Da berief sie alle Lehnsleute ihres Mannes, stieg auf eine Erhöhung, ließ das Gewand von den Schultern fallen und zeigte die Wahrheit ihrer AussageChron. mont. scr. zu 1126..

Aus dem Grundsatze, daß das Lehn zur Leistung des Kriegsdienstes an Kriegsfähige gegeben sey, folgte natürlich der Einfluß des Lehnsherrn auf die Vormundschaft der unmündigen und die Verheirathung der weiblichen Lehnserben. Die eigentliche Erziehung verblieb den Verwandten, insbesondere wenn sie Vasallen desselben Herrn warenSachsensp. II, 58.; aber die Einnahmen des Gutes hob dieser als Entschädigung für ausfallende Kriegsdienste. Einige Male verliehen die Kaiser diese einträglichen Vormundschaften für ganze Bezirke an Fürsten und PrälatenLünig cod. II, 1090.  Ludw. reliq. II, 220.  Olenschlager Urk. 26.; in andern Fällen kauften sich die Vasallen davon los. Lehnsmündig war man in Deutschland mit dreizehn Jahren und sechs Wochen, in Jerusalem mit funfzehn, in Frankreich mit einundzwanzig JahrenDoch finden sich Abweichungen.  Lünig cod. II, 1092.  Sächs. Lehnr. 18.  Du Fresne zu Joinville 92... – Die Lehnsvormundschaft des Herrn bezog sich nur auf sachliche Verhältnisse; in die persönlichsten hingegen griff er durch sein Recht ein, bei der Verheirathung der Lehnsfräulein mitzusprechenZ. B. in Neapel.  Hohenst. Band II, S. 299.. Daher finden wir das natürliche und oft gelingende Bestreben, dies Recht aufzuheben; in einzelnen Fällen aber ward es durch besondere Verträge erneut und wohl gar auf alle Kinder ausgedehnt1264 schwur miles de Hage dem Bischofe von Regensburg, bei Verlust aller von ihm gehenden Lehn, seine Kinder nicht ohne dessen Beistimmung zu verheirathen.  Ried. cod. I, Urk. 500..

Der Lehnsherr war Richter über den Streit seiner 358 Vasallen, welcher Lehn betraf; ja Richter zwischen sich und den Vasallen, sofern die Klage nicht Darlehne, rückständigen Schadensersatz und Anforderungen aus der geführten Vormundschaft betrafRichtst. Lehnr. 1, 4, 5, 7.  Schwäb. Lehnr. 90, 110, 119, 132, 133.  Auct. de benef. I, 112.  Sächs. Lehnr. 32.. Das Urtheil sprach indeß der Herr nicht selbst, sondern einer von den Beisitzern des Lehnhofes. Deren sollten wenigstens sechs, ebenbürtig, fünfundzwanzig Jahr alt und Vasallen desselben Herrn, oder des höhern Lehnsherrn seynRichtst. Lehnr. 9.  Sieben Beisitzer.  Schwäb. Lehnr. 60; zwölf Beisitzer. 84, 94.  Merkwürdig ist folgende Stelle aus einer Urkunde König Heinrichs von 1222: in jure feudali omnis ministerialis feudatarius aeque judicare potest super feudis Nobilium et Ministerialium, exceptis tamen feudis Principum.  Lünig cod. II, Urk. 31.  Miraei op. dipl. I, Urk. 95.. Trug das Lehn jährlich kein Pfund Landgeld, oder hielt es keine halbe Hufe, so fand deshalb weder ein Lehngericht statt, noch hatte der Inhaber daselbst Sitz und Stimme. In diesem entschied die Mehrheit der Stimmen, allein man durfte binnen gesetzlicher Frist an den höhern Lehnsherrn berufenSchwäb. Lehnr. 133.. Kein Lehngericht ward innerhalb geschlossener Wände, oder nach Sonnenuntergang gehegt. An dem Tage wo der Vasall dem Herrn den Steigbügel gehalten, ein Geschenk gemacht oder sonst einen Dienst geleistet hatte, brauchte er nicht im Lehnhofe zu erscheinen. Vor dem achtzehnten Jahre konnte man daselbst kein Zeugniß ablegen; sonst durfte es niemand verweigern, weder der Herr gegen den Vasallen, noch umgekehrt, noch der Verwandte gegen den VerwandtenSchwäb. Lehnr. 23, 24, 38.. Mit zwei Zeugen führte der Lehnsherr Beweis über eine Verschuldung auf welche Strafe stand; sieben Zeugen und ein mit zwanzig Personen besetzter Lehnhof waren erforderlich, um auf den Verlust des Lehns zu erkennenSchwäb. Lehnr. 44, 50, 70, 93.  Sächs. Lehnr. 29.. War die Zahl der Zeugen für und wider den Vasallen gleich, so überwogen jene. In ältern, nicht in spätern, Zeiten verlor der Vasall das Lehn wegen entstehender LeibesgebrechenSchwäb. Lehnr. 35.  Auct. de benef. I, 81.. Klage gegen diesen ward mit Recht erhoben wegen verweigerter Dienste, ehrenrühriger Behandlung oder Beleidigung des Herrn, wenn er das Gut ohne Grund für Allode ausgab, aus der Schlacht geflohen, treulos gewesen war, oder sich rechtlos gemacht hatteRichtst. Lehnr. 8, 9, 11.  Wer sich in Gegenwart des Herrn kratzte, schnaubte, Ungeziefer absuchte, verfiel nach einigen in Strafe, nach andern nicht.  Schwäb. Lehnr. 129.. Blieben Strafgelder über ein Jahr rückständig, so konnte der Herr in den Besitz des Lehns gesetzt werden. Diesen verklagte der Vasall vor dem höhern Lehnsherrn, weil er ihm Recht und Belehnung verweigert, oder das Lehn gewaltsam entzogen hatteSchwäb. Lehnr. 62, 116, 127, 144.  Sächs. Lehnr. 14.. Überall hielt der König Lehnhof mit Recht; selbst in Kirchen und Kirchhöfen, oder an gebannten Tagen, oder auf der Reichsstraße.

In jedem der Länder Europas zeigt das Lehnwesen seine Eigenthümlichkeiten, obgleich die Grundlage dieselbe ist und ein großer Grundgedanke sich hindurchzieht. In England ward es, schneller als anderswo, von Wilhelm I eingeführt; aber auch hier lagen die Keime schon zur Hand und hätten sich allmählich entwickeltEdinb. review, Junius 1816, S. 338.. In Frankreich war das meiste, jedoch nie alles Grundvermögen lehnbar, und über mancherlei Punkte entschied der örtliche Gebrauch, ohne allgemein anerkannte RegelHist. de Langued. II, 512.. Bisweilen z. B. erbte der Erstgeborne das Lehn; bisweilen theilte man dasselbe, ohne daß hiedurch das unmittelbare Verhältniß zum obern Lehnsherrn aufhörteDu Fresne zu Joinville 149.. Nach den Gesetzen Ludwigs IX, durfte der Edelmann seinen nachgebornen Kindern nur ein 360 Drittel seines geerbten Gutes hinterlassenEtabl. de S. Louis c. 8, 9.  Beim homme coutumier hatten dagegen alle Kinder gleiche Erbansprüche, c. 130. Über die Lehnseinrichtungen im lateinischen Kaiserthume siehe merkwürdige Nachrichten in Canciani III, 493.; erkauftes und erobertes hingegen, wem er wollte. Nur wenn dies in nahem Verhältnisse zum Lehngute stand, konnte es der Erstgeborne gegen Zahlung einer angemessenen Summe oder der Kaufsumme von Fremden zurückverlangen. Hatte der Edelmann bloß Töchter, so erbte eine wie die andere; doch bekam die älteste gewisse Dinge zum voraus.

Alle Einzelnheiten, die wir bisher ausgezählt haben, treffen aber noch nicht den Mittelpunkt und Lebensquell des gesammten Lehnwesens. Dieser entspringt vielmehr daher: daß Güter und Personen in ein, bis dahin unbekanntes, höheres Verhältniß traten, und sich hieran eine Lehre von Besitzrechten und Pflichten reihte, welche von der gewöhnlichen Lehre über diese Dinge schlechterdings unterschieden ist. Das auch im Alterthume bisweilen getheilte Eigenthum wurde nämlich damals nach ganz andern, bloß äußerlichen und sachlichen Beziehungen beurtheilt: im Lehnwesen hingegen erschien der Besitz fast als etwas lebendiges, sittliches; das getheilte Eigenthum wurde Zeichen und Beweis, daß auch die beiden Menschen, der Lehnsherr und der Vasall, erst ein Ganzes ausmachten. Der nächste Zweck: sich ehrlich nähren, tüchtig wehren und fröhlich leben, erhielt eine so geistreiche, als gemüthliche Steigerung: indem überall Wechselseitigkeit der Rechte und Pflichten hervortrat, Treue, Wahrheit, Worthalten für die erste Bedingung der Verhältnisse galt, und Lehnsherrn und Lehnsmannen jede Freude, jedes Leid theilen und sich in beiden Lagen zu Hülfe kommen solltenDaher z. B. Loskauf des Herrn aus der Gefangenschaft, Gaben bei Verheirathung der Töchter, dem Ritterschlag der Söhne u. s. w.  (Hist. de Lang. III, 528). Daher Verbot, daß Lehnherrn und Vasallen Klagen wider Leib, Gesundheit und Ehre anbringen dürften.. Es war ein festes, nirgends lückenhaftes, 361 wohlverschlungenes Gewebe; es stand jeder in einem seiner Lage angemessenen eigenthümlichen Kreise und durfte daselbst, so klein der Kreis auch war, nie mit einseitiger Willkür behandelt werden. Stände und ständische Rechte sind ganz untrennbar vom Lehnwesen, und ihm gegenüber stand nun der großartige Bau der Kirche mit ähnlichen Abstufungen, so gegründet auf heilige Gesetze, wie die weltliche Seite auf Treue, Anhänglichkeit, Ehre und Liebe. Gleich weit entfernt von der jämmerlichen Knechtschaft morgenländischer VölkerHallam I, 228., und von dem kalten Gehorsam, welchen viele oberflächlich Aufgeklärte nur als ein nothwendiges Übel betrachten und ungern ihrer Obrigkeit erweisen, steht die persönliche, durch die Kraft des Besitzes gestärkte Anhänglichkeit und Ehrfurcht des Vasallen gegen seinen Herrn und König. Wer das Große, Ideale dieser Ansichten und Verhältnisse leugnet, der ist befangen in vermeintlicher Weisheit des letzten Tages und unfähig andere Zeiten zu begreifen; wer da leugnet, daß sich bisweilen schwere Schatten über jene Dinge hinlagerten, daß sie ihre Kehrseite hatten, der vergißt die nothwendige Mangelhaftigkeit alles Irdischen, treibt thörichten Götzendienst mit einer einzelnen Gestaltung desselben, und will die unaufhaltbare Entwickelung der Schicksale des menschlichen Geschlechtes an einen willkürlich gewählten Punkt fesseln.

Es sey zum Schlusse dieser Darstellung noch ein bildlicher Vergleich erlaubt. Die ebene Fläche und auf ihr eine einzige Säule ist Sinnbild unumschränkter Monarchien. Manche Republiken gleichen der Kugel: jeder Punkt der belebten Oberfläche erschien gleich wichtig und würdig, und aus scheinbar entgegengesetzten Wirkungen und Rückwirkungen entstand dennoch eine Hauptrichtung und Bewegung. Die Pyramide ist das Sinnbild der LehnsverfassungMontesquieu, den manche einseitige Verehrer der frühern Verhältnisse itzt für einen neuernden Jakobiner angeben, sagt von jener Zeit: je ne crois pas qu'il y ait eu sur la terre de gouvernement si bien tempéré; - et il est admirable, que la corruption du gouvernement d'un peuple conquerant ait formé la meilleure espèce de gouvernement, que les hommes aient pu imaginer.  Espr. des lois XI, 8.. 362 Von der Grundfläche bis zur Spitze sind alle gegebenen Theile unwandelbar verknüpft: unten die größte Zahl, immer abnehmend, der König ist der Schlußstein. Die Säule mag umstürzen und in Soldatentyrannei das Volk zerschlagen, die Kugel leicht fortrollen über die angewiesene Bahn: nichts aber ist fester begründet und in sichererm Ebenmaaße, als die Pyramide. Was hat man aber von ihr verlangt und was hat die Zeit an ihr gethan? Zuvörderst ward, im Namen der untersten Steinlagen, vorgebracht: freilich sähen sie wohl ein, daß einer den andern tragen und über sich leiden müsse: allein wozu die allergrößte Menge, die sich künstlich aufeinander schichten ließe? Man möge nur die mittlern Glieder herunterwerfen und ihnen gleich setzen, das erleichtere die Last; der Schlußstein werde dann schon sehen, wo er bleibe, und schwerlich immer einem allein auf dem Haupte liegen wollen. – Die mittlern Lagen sprachen: es sey unbillig, daß sie, von Höhern und Niedern gleich beängstigt, jene stützen, diese überall schonen müßten, damit sie nicht herabstürzten. Besser die Spitze abschlagen, deren sie nicht bedürften; oder auch die Niedern zwingen jene Spitze allein zu tragen, während man ihnen selbst verstatte, für sich ein Gebäude zu errichten und unbekümmert um alles übrige zu leben. – Die Spitze klagte: daß sie zu keiner Seite ausweichen könne, sondern schlechterdings seyn und bestehen müsse, wie sie einmal bestehe. Von den untern Lagen wisse sie immer nur durch die höheren, und es sey höchst unbillig, ihr, wegen ihrer vorzüglichen Würdigkeit, nicht die Einwirkung auf alle Theile nach Belieben zuzugestehn.

So waren die Wünsche und Forderungen, und die Zeit 363 hat sie bewilligt, das heißt, sie hat die Pyramide zerstört. Aber selbst aus den Ruinen läßt sich die Größe des Baues noch ermessen; es lassen sich Elemente, Bestandtheile, Verhältnisse erkennen, deren man sich immer bedienen, die man immer berücksichtigen muß, wenn ein tüchtiger Bau zu Stande kommen soll. Möchte man die Lehren der Vorzeit und die Bedürfnisse der Gegenwart gleich bestimmt ins Auge fassen, und insbesondere Deutschland nicht durch Fremdes, Undeutsches erneuen und beglücken wollen! 364

 


 


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