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10. Die Wohnstätten.

Den Keim der Baukunst, die erste Hütte, rief ein Bedürfnis hervor, das primitiv und allgemein ist. Kein Volk lebt auf die Dauer in hohlen Bäumen, wie zu Cooks Zeit gewisse Gruppen der Tasmanier, oder in Felsenspalten, wie die versprengten Betschuanen im Matabelereich. Jene erste Hütte war freilich sehr einfach und vergänglich. Was eigentliche Baukunst ist, d. h. dauerhaftes und dann verziertes Bauen, liegt näher der Jetztzeit zu.

Das Schutzbedürfnis legt den ersten Keim, aus dem sich später die naturvergeistigende Herrlichkeit der Baukunst entfalten sollte. Wir erwähnen zuerst jene Anlehnungen an die Natur, wozu das Bedürfnis zwingt. Die Benutzung herabhängender Zweige, die flüchtig verflochten und befestigt werden, wie es halbnomadische Buschmänner üben, steht der nahezu tierischen Sitte des Baumwohnens bei mehreren Völkern noch nahe. Das Abhauen von Zweigen oder Stämmchen, das Einstecken in den Boden im Kreise, das Verbinden der oberen Enden und das Bedecken dieses flüchtigen Baues mit Zweigen oder Fellen ist der nächste Schritt zum einfachen Hüttenbau, wie wir ihn bei Feuerländern und Hottentotten, bei Galla und Somal finden. Von hier aus führt nun eine lange Reihe von dauerhafteren und nach und nach verzierteren Bauten bis zu den reichverzierten Holzhäusern der Papua und Malayen, der Palau-Insulaner, den steinlosen Palästen der Mangbattu- oder Waganda-Könige. Den Schwesterkeim zur Steinbaukunst legte das Höhlenwohnen, in der Urzeit weitverbreitet und auch in der Jetztzeit noch geübt. Einen Vorzug hat es in der Dauerhaftigkeit des Materials voraus, dafür den Nachteil, der Verzierung, der Ornamentierung weniger entgegenzukommen. Aber es überwiegt jener Vorzug diesen Nachteil, denn sobald das Schöne angestrebt wird, ist es hier im Ebenmaß, der Grundbedingung aller architektonischen Schönheit, leichter zu finden.

Wie wenig der harte Druck der Notwendigkeit im stande ist, eine größere Thätigkeit zur Befriedigung des mit dem rauheren Klima, der ärmeren Pflanzen- und Tierwelt gebieterischer auftretenden Schutz- und Nahrungsbedürfnisses hervorzurufen, beweisen die Feuerländer, die, es mag unglaublich klingen, nicht mehr, sondern weniger thun als weniger ungünstig gestellte Völker. So durften die Tasmanier als die im Hüttenbau rückständigsten aller Australier bezeichnet werden. In Australien selbst ist es überraschend, zu sehen, wie gerade in den wärmsten Teilen der Hüttenbau am weitesten vorgeschritten, in den kältesten am kümmerlichsten ist; hier ist die Hütte thatsächlich mehr Schutz fürs Feuer als für die Menschen. Wenn sich eine solche Thatsache anderwärts wiederholt (wir finden es so in Südamerika und Südafrika), so gewinnt sie den Wert eines Experiments, das bestätigt, daß nicht die Lehrmeisterin Not es ist, die den wichtigen Fortschritt zur Kultur erzwingt, sondern daß nur in der ruhigen Entwickelung, die Friede und Überfluß gewähren, auch im Hütten- und Häuserbau höhere Stufen erstiegen werden.

Was vor allem anderen gefordert werden muß, ist die Stetigkeit. Tiefer, als man glaubt, greift der Nomadismus in das Leben auch der ackerbauenden Völker ein. Die vielgerühmte Kunst der raschen Herstellung von Wohnstätten im Bienenkorbstil, jener Hüttenform der Hottentotten und Betschuanen, die die biegsamen, halbdicken Stämmchen der Mimosen voraussetzt, zeigt eben nur, daß sich zwischen diesen Hütten und dem Zelte der Unterschied noch nicht herausgebildet hat. So rasch diese Gebilde entstehen, so rasch vergehen sie auch wieder. Die ebenmäßigsten und zierlichsten Hütten der Neger, wenn sie auch, wie im oberen Nilgebiet, von Stamm zu Stamm andere Formen des Grundrisses, der Dachform, andere Größenverhältnisse aufweisen, sind doch oft flüchtig aus Rohr und Gras aufgebaut; und allein schon ihre Vergänglichkeit hindert die Entfaltung eines Kunststiles, der sich an Vorbilder anlehnt und neue Werke auf Grund der älteren schafft. Zu der Hinfälligkeit des Baues kommt die Zerstörungskraft der Natur. Überall in tropischen Breiten sind die leichten Behausungen raschem Verfall durch Bohrkäfer, Termitenfraß, die tropischen Gewitter unterworfen. Außerdem kleben ihre menschlichen Bewohner keineswegs am Boden; sie haben im Gegenteil ihre Lebensweise ganz im Sinne dieser Natur geregelt, in der »alles fließt«, und statt zu renovieren, verlegen sie ihre Wohnungen schon, um bequem jungfräulichen Boden für ihre Kulturen zu gewinnen.

Das Monumentale fehlt der Architektur der Neger, und doppelt scharf tritt gerade dadurch in diesem Lande des nomadenhaften Bauens die Bedeutung der Dauerhaftigkeit hervor. Der Granit von Syene und der schwarze Kalkstein von Persepolis, die die feinsten Skulpturen und die glatteste Politur bis auf unsere Zeit herab erhalten haben, sind als zuverlässige Stützen und Träger der Überlieferung von hoher geschichtlicher Bedeutung. Sie bezeugen die Wahrheit eines Wortes von Herder: » Kein Kunstwerk steht tot in der Geschichte der Menschheit.« Welchen Einfluß hat schon auf uns die Thatsache geübt, daß uns jene Reste, die räumlich und zeitlich der heutigen Kultur des Nilthales so fern stehen, unbeschädigt überliefert werden konnten! Aber wieviel größer war der Wert dieser steinernen Zeugen der Größe, der Thaten, des Glaubens, des Wissens der Nation für das Volk, das unter diesen Denkmälern wandelte! Dieser harte Stein gab der Tradition gleichsam ein Knochengerüst, das vorzeitigen Verfall hintanhielt. Jedenfalls wirkt die Ansässigkeit in steinernen Häusern, die an Festigkeit mit »der Erde Grund« wetteifern, bedeutend anders als die Ansässigkeit in Bambus- und Reisighütten.

In einer Klassifikation der Völker nach ihrer Bauweise würden an der untersten Stufe die nomadischen Jäger- und Fischervölker vom Typus der Feuerländer, Buschmänner, Tasmanier und vieler Australier stehen, die keine Hütten nach bestimmtem Plane und in regelmäßiger Zusammenstellung zu Dörfern bewohnen, sondern sich zeitweilig Schutzstätten aus Reisig oder Röhricht bauen. Die zeltbewohnenden Nomaden, seien ihre Zelte die Lederzelte der Araber oder die Filzjurten der Mongolen, Sifan etc., erheben sich im Bauplan wenig über sie, aber allen prägt der Schutz der Herden die Notwendigkeit auf, sich im Kreise zu schließen; und so entstehen regelmäßigere Anlagen mit Kreiszaun oder -Wall und Thoren. Ihnen würden sich jene teils nomadischen, teils ackerbauenden Neger anschließen, die Hütten von Bienenkorb- oder Kegelform in den verschiedensten Stadien der Vollendung bauen. Jene Neger Zentralafrikas, die von den Wagogo bis hinüber zu den Fan und Dualla rechteckige Häuser mit mehreren Gemächern und mit ornamentierten Thüren bauen, bilden den Übergang zu den Malayen Madagaskars und des Indischen Archipels und den Völkern des Stillen Ozeans, deren reich ornamentierte, mannigfaltige, oft auch große Häuser das Vollkommenste leisten, was im Holzbau bei Naturvölkern vorkommt, bei denen sich aber gleichzeitig (auf der Osterinsel u. a.) Anfänge von Steinbau im Zusammenhang mit monumentalen Werken der Bildhauerkunst finden. In Steinbauten oder in Hütten, wo Schnee an die Stelle des Steines tritt, wohnen die Polarvölker. Eine Zone mehrstöckiger Steinbauten zieht sich durch Indien, Arabien und das berberische Afrika. Zusammenhängende Steinhäuser für Hunderte von Familien kommen bei den Indianern Neumexikos und Arizonas vor. Und an diese schließen sich dann die Errichter der größten Monumentalbauten der außerhalb der altweltlichen Kulturkreise stehenden Völker an, die Mexikaner, Mittelamerikaner und Bewohner der südamerikanischen Hochebenen.

Unabhängig von allen diesen Abwandlungen entfalten sich eigenartige Wohn- und Bauarten auf Grund des Schutzmotivs. Zur Begründung dauernder Wohnstätten im Wasser, weniger in Buchten des unzuverlässigen und gewaltthätigen Meeres als in ruhigen Landseen oder langsam strömenden Flüssen, trieb den Menschen offenbar der Wunsch an, sich zu schützen vor Raubtieren und vor Feinden des eigenen Geschlechts, dann auf höheren Kulturstufen der Zwang und Drang großer Menschenansammlungen auf beschränktem Raume, wie in dem übervölkerten China und an einigen Punkten in Hinterindien. Im ersteren Falle sind Pfahl- und Stockwerkbauten das beliebte Mittel, sich mit dem schützenden Wasser zu umgeben; im anderen dienen breite Flöße, abgedankte Kanalschiffe zu Wohnstätten, oder es entwickeln sich daraus ebenfalls Pfahlbauten, aber in größerem Maßstabe als auf jener mehr durch Vereinzelung als Zusammendrängung gekennzeichneten Stufe. Pfahlbauten werden auch in unserer Zeit noch zahlreich bewohnt: die meisten Völker des Indischen Archipels und Melanesiens, die meisten Nordwestamerikaner, einzelne Stämme Afrikas, Mittel- und Südamerikas sind Pfahlbauer, und man hat hier Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß dies eine ebenso natürliche wie wenig seltene Erscheinung ist. So bedürfen auch unsere europäischen Pfahlbauten keiner künstlichen Hypothesen von eigenen Pfahlbauvölkern, etruskischen Handelspfahlbauten zu Warenniederlagen und dergleichen. Oft mag später der Schutz überflüssig geworden und in Vergessenheit geraten sein, während die Sitte bestehen blieb. Es braucht nicht immer der Pfähle, solche Wohnungen aufzubauen: viele andere Mittel werden angewandt. Wohnstätte und Vorräte zu isolieren, zu schützen. Wir erinnern an die Packwerkdörfer Altirlands, an unsere Pfahlroststädte Amsterdam, St. Petersburg und Venedig. Dem Streben nach möglichster Sicherheit zugleich mit dem nach gesünderer Lage entspringt auch die Sitte der an fremden Küsten ansässigen Kaufleute, ihre Wohnung auf den Schiffen (Hulks) zu nehmen, die in den Flüssen oder Häfen verankert sind und zugleich ihre Warenlager umschließen. Demselben Zwecke dient in geringerem Maße der Pfahlbau im Trockenen, bei den Malayen sehr allgemein, auch in Afrika zu finden, besonders überall bei Vorratshütten angewandt. Das Baumwohnen der Battak auf Sumatra, vieler Melanesier, südindischer Stämme schließt sich hier an, denn es ist nicht etwa eine primitive Stufe des Wohnens, die dem Baumbewohnen des Orang-Utan nahestünde, sondern die Bäume dienen einfach als Pfähle; die Hütten aber, die sich darauf erheben, gehören zu den besseren Werken ihrer Art.

Die Wirkung des Schutzbedürfnisses geht weder weit noch tief, wo es wesentlich nur isoliert; es regt aber Entwickelungen von gewaltiger Tragweite an, wo es die Menschen zusammendrängt. Die großen Städte, die zu den merkwürdigsten Entwickelungen der Kultur gehören, stehen am Ende dieser die Menschen mit ihren Wohnstätten um einen Punkt vereinigenden Wirkungen. Am besten läßt aber ein Blick auf die Städtelagen die Macht des Schutzmotivs erkennen. Wir finden die befestigten Dörfer auf den Gipfeln der Berge oder auf Inseln, in Flußbiegungen, auf Landzungen zusammengedrängt. Da die Anlage der meisten Wohnplätze erst in Zeiten beginnender Ausbreitung einer dünnen Bevölkerung stattfindet, wo die Gefahr feindlicher Überfälle noch lebhaft vor Augen ist, so findet sich die Rücksicht auf den Schutz der Lage häufig stark ausgeprägt. Man vergegenwärtige sich die Lage fast aller älteren Städte Griechenlands und Italiens auf oder an Hügeln oder Bergen, erinnere sich an die Thatsache, daß fast alle älteren Seehandelsstädte auf Inseln liegen. Die Zusammendrängung mag zuletzt ins Extrem gehen, wie bei jenen bald höhlen-, bald kastellartigen Wohnstätten, der Indianer im Südwesten Nordamerikas, die auf engstmöglichem Raume zahlreiche Menschen beherbergen und oft nur vermittelst einer einzigen Felstreppe oder Leiter zugänglich sind.

Als dritter Grund kommen gemeinsame Interessen der Arbeit in Frage. Gerade diese wachsen mit fortschreitender wirtschaftlicher Arbeitsteilung immer weiter, bis sie die Lage eines Wohnortes hauptsächlich bestimmen. Schon auf primitiven Kulturstufen sammeln sich größere Bevölkerungen zeitweilig an Stellen, wo nützliche Dinge in größerer Menge vorkommen. Die Indianer eines großen Teiles von Nordamerika wallfahrten nach den Pfeifensteinlagern, andere versammeln sich alljährlich zur Ernte bei den Zizania-Sümpfen der nordwestlichen Seen, die so zerstreut lebenden Australier des Barku-Gebietes kommen von allen Seiten zum Erntefest bei den Sumpfbeeten körnertragender Marsiliaceen. Das sind vorübergehende Ansammlungen. Ist aber einmal der Schritt vom schweifenden Leben zur Ansässigkeit gemacht, so werden gerade derartige Stellen am frühesten dazu gewählt werden; und wenn sich bei seßhaftem Leben die Bevölkerung vermehrt und die wirtschaftliche Arbeitsteilung Platz greift, werden sich größere Wohnstätten herausbilden, bis die von Natur mit irgend einem besonderen Reichtum ausgestatteten Erdstellen auf den höchsten Stufen der Kultur jene ungewöhnlich dichten Bevölkerungen von 10,000 auf der Quadratmeile aufweisen, denen wir in den fruchtbaren Niederungen des Nils und Ganges oder in den Kohlen- und Eisenrevieren Mittel- und Westeuropas begegnen.

Vereinzelte größere Anhäufungen erzeugen sich dagegen an bestimmten Punkten, die der Verkehr zu Kreuzungs- oder Wechselpunkten seiner Strömungen macht, Erst der Wunsch nach Austausch schafft das Bedürfnis der möglichsten Annäherung: der Verkehr schafft Städte, überall, wo die Natur den Verkehr erleichtert oder verstärkt, entstehen größere Ansammlungen von Menschen, seien es nun Weltstädte wie London oder Marktflecken wie Nyangwe.

Gewissermaßen instinktiv nehmen wir einen gewissen Zusammenhang zwischen Städten und höherer Kultur an und nicht ganz ohne Recht, da sich ja in den Städten unsere höchste Kulturblüte kundgibt. Aber daß auch die Chinesen gerade in der Städteentwickelung so bedeutend sind, beweist die Unabhängigkeit einer gewissen materiellen Kultur von der geistigen Kulturhöhe und lehrt eindringlich, wie wesentlich die Städte dem von der Kultur weniger abhängigen Verkehrsleben dienen helfen, ja ihm zumeist entspringen. Wenn die Städte organische Produkte des Völkerlebens sind, sind sie doch nicht immer bedingt durch die Kräfte des eigenen Volkes. Es gibt internationale Handelsstädte, wie Singapur oder in kleinerem Maße die Araber- und Suaheliplätze an der Küste Madagaskars, oder Kolonialstädte, die diesen nahe verwandt sind, wie Batavia, Sansibar oder Mombas. So mächtig ist der Verkehr, daß er mitten in ein fremdes Volkstum hinein die ihm nötige Organisation trägt. Darum führen aber auch wieder ganze Völker, die Organe des Verkehrs geworden, den Stempel des Städtetums an der Stirn. Am allermeisten sind wohl die Wüstenbewohner Städtevölker, denn die Natur ihrer Wohnstätten drängt sie um die Quellen und zum Schutze zusammen und zwingt sie zu dauerhafterem Bauen, als es mit Holz oder Reisig möglich wäre. Auch macht die weite Zerstreuung der Oasen fast jede Ansammlung von Wohnstätten zu einem Verkehrsmittelpunkt in dem weitmaschigen Netz der Wüstenwege unmöglich. Zum Städtewohnen sind auch oft die ersten Eroberer eines bevölkerten Landes gezwungen, unabhängig vom Verkehr, da sie sich nur in dichten Ansiedelungen sicher fühlen. Später haben dann diese Zwingstädte, den Bedürfnissen des Verkehrs folgend, ihre Lage verändert. Voreilige Städtegründungen sind ein Merkmal junger Kolonisationen: wir finden moderne Städteruinen in Nord- und Mittelamerika. Auch im chinesischen Kolonialgebiet sind die zahlreichen Städteruinen auf der Grenze der Nomaden und Chinesen, am oberen Hoangho, charakteristisch für die Berührungszone der Halbkultur und Halbwildheit.


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