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Einundzwanzigstes Kapitel

Wir haben in dieser stürmischen Winternacht von zwei Briefen zu berichten, die im Laufe des Tages in dem Pfarrhaus des Pastors Prudens Hahnemeyer abgegeben waren, der eine in Begleitung einer Kiste und mit ausländischen Poststempeln und sonstigen Signaturen, der andere ganz aus der Nähe und überschrieben und gesiegelt in einer Weise, der man es ansah, daß Absender oder vielmehr Absenderin in dergleichen Dingen nicht die geschickteste Hand hatte.

Den ersten hat der Pastor Prudens auf seinem Schreibtisch liegen, er kam erst gestern abend an. Der andere, der nur an Fräulein Phöbe Hahnemeyer allein adressiert war, ist schon am Morgen angelangt, und Fräulein Dorette Kristeller hat ihn geschrieben, und er lautet:

»Mein Herzenskind, vielleicht weist Du es besser als wie ich selbst und Du kanst es mir sagen warum ich grade heute an Dich schreiben muß! Denn es ist als ob ich nichts dazu könte, und eine Gewald mir die Feder in die Hand gäbe und mir die Feder führrte. Nämlich mein Herzenskind es ist mir an den unfreundlichen Tag bei den Regen und Sturm grade aus Deiner Gegend als passirte Dir was, wobei ich bei sein müßte zu meinem und Deinem Trost. Ist es eine Ahnung oder irre ich mich, so soll es mir lieb sein nähmlich das letzte. Aber das Herz ist mir recht schwer bei die dunkelen Tage, wo man schon um vier Uhr Licht anstechen muss, und es war so schön im Sommer, im Monath Juli mit uns Zweien. Du weißt schon wo. Bei uns in der unruhigen, bösen, argen Welt, wo jeder denkt was ich koche gilt und ist doch blos Topf und Kessel auf 1nem Feuer! Wo ich auch Deinen Herr Bruder nicht ausnehmen kann, denn wie sollte ich sonst dazu kommen und Dich nicht ihm alleine lassen?

Was haben wir erlebt in dem Sommer! ich mit meinen 75 Du mit Deinen zwanzig Jahren. Ich als Beilage zu meinem schon übergewichttigen Überdruß Du in Deinen Kindergottesfrieden hinein. Liber Himmel, und ich dachte, daß ich die Menschen und was sie einander gegenseitig erleben lassen können, schon in und auswendig kennte und nichts, garnichts zu zu lernen brauchte.

Da bist Du gekommen, mein Herzensschmerzenskind. Ja da bist Du gekommen wie aus dem Abendhimmel mit Deinem Bündell und hast die alte Gifttante von weiland der Apteke zum wilden Mann in die Schule genommen, und hast mich gelert, daß ich mich doch nur hätte schämen sollen die Jahre lang nachdem Oberst Agonnistah da war und meinen Bruder Philipp seligen und mir in Herzlichkeit und Vergnügen das Fell abzog und sich gar nichts Schlimmes dabei dachte. Es war ein Irthum von mir, daß dies ein Ausnahmsfall von Menschen und Menschenwerk und Thun gegen einander sei. Es ist die Regel und die Ausnahme kommt alle hunderd Jahr nur einmal und weiß gar nichts von sich und für mich heißt sie diesmal und in alle Ewigkeiten Fräulein Föbechen, meine liebe Föbe, meine Goldföbe wie aus der Kindergeschichte und auch auß dem Brief an die Römer, wo schon von ihr geschrieben steht im Sechzehnten im 2. Verß, sie hat Vielen beistand gethan, auch mir selbst.

Kind, als mir mein Wohlstand genommen ist, habe ich doch Gott sei gedanckt meine guten Augen behalten und mein Aufpassen was Leute thun und denken ist wohl noch genauer geworden, und auch das ist mir in meiner Vergrelltheit und Einsamkeit zu einem neuen bittern Gift geworden, bis ich auf Dich und Dein Thun und Denken habe passen dürfen in den Jullitagen im hiesigen Armenhaus, Du weist wohl bei welcher Krankenflege. Daß must Du mir verzeihen, das ich Dir das jetzt beichte, denn es ist wohl mein letzter bester Trost in meinen letzten Tagen!

Liebe Föbe, wärest Du nicht Du und säßest Du nicht fest in Deiner Burg, so hätten der liebe, freundliche und höffliche Mann, den wir im Juli vom Tode zu Leben verhalffen, und das unhöfliche feine Frauenzimmer, die Valeri, die Dir Deinen Erdenlohn in Dein Dorf trug, Dir noch Schlimmeres zu wege bringen mögen, als meines Bruders Freund mir. Denn meines seligen Bruder Filipps Freund tatschte doch nur in unser täglich Auskommen; aber Deines Bruders Prudens Freund hätte Dir noch viel Schlimmeres angethan, ohne daß er eine Ahnung und also ein Gewissen hatte.

Gottlob, daß es so abgelauffen ist was von ihn bloß ein Einfall gewesen ist!! ein Einfall auf dem Wege, um sich selber zu helfen, zufällig auf einem Kirchhof, zufällig auf Eurem Kirchhof und gegen den Schlingel, den Räkel, den ich von meinen Bruder her ganz gut kenne und weiß das es gar nicht nöthig war. O wie gut ist, daß Dir dieses nicht biß in's Hertz gedrungen ist, sondern daß Du nur geglaubt hast, Du müßtest in Gottesnahmen Deine Flicht ausfüllen, biß zum letzten! Ueber das Mädchen, sein jetzigt Weib, den andern Besuch bei Euch, hast Du mir ja mit Deinen traurigsten Augen den Mund verbotten. Ach, Föbe, und sie betrug sich in ihrer Angst auch nur so ungerecht, alß wir andern ordinären Frauensleute in unsern Lebenßnöthen alle!

Gottlob, nun sitzst Du wieder oben bei Dir alleine, wie ich hier unten bei mir. Allein hat mans immer am besten auf Erden, denn der Besuch wie Du ist zu sellten. Nun ist der Winterschnee auch dißmal eine Mauer, die Gott um Dich aufbaut und Du bisst dahinter in Sicherheit mit Deinen lieben Herzen und denkst an den unruhigen Sommer und Deinen Gast nur als einen Traum. Du bist wieder frei von dem Mann aus der fremden Weld in Deiner Seele und auch mit Deinem sterbbligen Leibe. Es weiß Keiner wo er begraben wird und bei wem, sieh nach in der Biebel.

O wie hast Du Deine Pflicht gegen diesen freundlichen Menschen gethan! Und welch' ein Seegen bist Du auch mir altem Geschöpff durch dieses auf meine alten Tage geworden!

Denn nun sitze ich hier noch in der alten Armuth und Verlassenheid; aber die Wände rundum dünken mir nicht mehr kahl und mein Bett hart und der Ofen rauchich. Und die Winterwitterung draußen macht mir viel weniger als vorig Jahr. Das ist doch, als ob die alte Mamsell Kristeller die letzten zähn zwölf Jahr an meinem bekümmerten Leben alß wie an einem Eksempel gerechnet hätte und konnte es nicht aufkriegen, biß Du gekommen bist mit Deinem Bündel und hast mir geholfen – mir die ich doch in meinem Zorn auf die Welt und Menschheid ein ganz anderer Räkel war als Euer armer Tropf da oben im Wald.

Da brauchtest Du nur eine Viertelstuhnde bei mir zu sitzen auf der Banck unterm Fenster im Abendlichte, daß ich mich an die Stirne klopffen konnte und sagen:

Es war doch so einfach, Dorette!

Nun mögte ich Dir gern von unsern damaligen 8 Tagen wieder reden. Wie Dein Sterbens- und also auch Lebenskamerad, der nette, kluge, gelerte vornehme Mann alle Profezeiung des Narren, des Doktors Hanf täuschte und sich für dißmal mit dem Tod durch einen Typus von leichter Sorte abfand. Wie er aus seinem Schlaf auferwachend Dich zu seinem Staunen und will hofen auch Schrekken an seinem Bett im Siechenhaus vorfand, und wie Du ihn mir da ließest und Dein Bündel schnürtest und gingest wie Du gekommen warest, wo ich denn Gelegenheit kriegte und nahm, diesem Mann mit seiner Hafergrütze verschiedenartige nüzliche Wahrheiten einzugäben.

Denn sieh mal, er mag ja wohl ein schöner Mann sein und alle Kunst und Wissenschaft und alle Avanksen in der Welt für sich haben, er ist doch nur ein armer schwacher Mensch wie wir Andern Alle, und geht nur mit der Stunde und was darin mit ihm stimmt wie meines seligen Bruders Freund der Oberst aus Brassilien, der Don Agonistha. Er weinte Thränen als Du ihm zum letzten Mal die Hand gabest und als ich ihm seine Briefe aus seiner Welt zu lesen gab, da ist er ein Kind gewesen, das sich an seine Stirne gestoßen hat und einen Apffel zum Trost kriechte. Die Thränen mogten wohl aus der Schwäche von seiner schlimmen Krankheid herrühren, aber das Lachen das stammte aus seinen gesunden Tagen und aus der Welt zu der er gehört und nicht herraus kan. Wie gut, daß wir Beiden nichts mehr mit beiden zu schaffen haben. Ihm geht es wieder so weit nach seinen Wünschen in seinem Leben und uns Zwei auch.

Ja, mir auch! was ich nicht mehr geglaubt hätte und nur Dir zu verdankken habe. Die Welt ist eine harte Nus zu knakken, und wenn man sie auf hat, ist sie hohl; dieses war mir bekannt als ein altes wahres Wort. Aber nun weiß ich durch Deinen Umgang in den paar Tagen im Juli, daß das Wort doch nur halb oder auch gar nicht wahr ist. Mein liebes Herzenskind durch Dich weis ich nun die Weld hat einen Kern, sie hat einen süßen Kern, nur aber die Zunge oder was sonst zu der gehört, hat nichts damit zu thun, darauf schmekkt man ihn nicht. Und nun weiß ich auch wie oft mein seliger Bruder Philipp mir das gesagt hat. Nicht mit Worten, sondern mit seinem lieben, armen, sanften, guten Leben und zuletzt noch mit seinem freundlichen Abscheiden in seiner Todesstunde mit seinem zufriedenen Einverständniß mit seinem harten Los.

Dem that wie Dir, Niemand ein Leid an; und nun verzeih, wenn ich mir geirrt haben sollte und dieser Brief heute doch ungelegen kommen sollte. Ich konnte mir gegen den Drang nicht helffen, ich mußte Dir grade zu dieser Stunde schreiben, obgleich das immer eine schwehre Arbeid für mich gewesen ist und jetzt in meinen hohen Tagen noch viel mehr.

Es ist mir doch als ob ich erst seit wo Du im Siechenhaus mir Gesellschafd geleistest hast gelernt habe drauf in richtiger Weise acht zu geben, was eigentlich um einen ist, und nicht bloss mehr auff mich selber paßte. So alt mußte man werden um zu lernen, was der Wind sagt und der Schnee und der Regen an den Fenster, was mein Seliger Bruder immer gewust hat und dabei an anderer Menschen Wohl und Wehe dachte.

Schiebs also auf den rauhen Winter auch vor Deinem Fenster da oben bei Dir in den Gebirge wenn Dich Deiner ewigen Freundin und alten Griesgramm und Murrkopf Schreibkunst wundert. Ich dachte nur einfach an Dich und konte nichts anderst.

Schreib mir auch wie es Dir geht und was Du sonst treibst und grüße Spörenwagen, und Deinen Herr Bruder, wenn's er nicht übell nimmt auch, Du kommst nimmermehr und niemals mehr aus dem Gedächtniß von Deiner Freundin

Dorette Kristeiler.«

Am Morgen war dieser Brief mit der sonstigen amtlichen und außeramtlichen Korrespondenz des Pfarrhauses angelangt, und Pastor Prudens Hahnemeyer hatte ihn seiner Schwester zugeschoben mit der Bemerkung:

»Der Handschrift nach wieder von deiner andern Sommerbekanntschaft, dem alten Fräulein Kristeller. Willst du meine Meinung hören, Phöbe, so sage ich dir, daß ich eine Fortsetzung dieses Verkehrs nicht grade gern sehe. Ich höre und weiß, daß sie keinen guten Einfluß an den Krankenbetten, zu denen sie als Pflegerin gerufen wird, ausübt. Sie ist durch früheres Unglück verbittert und trachtet nicht auf unserm Wege nach dem, was allein nottut, nach dem letzten Heil und Trost. Ich bin ihr einige Male begegnet bei den Geistig-Armen, und sie hat nie den besten Eindruck auf mich gemacht.«

»Willst du diesen Brief lesen, Prudens?« hatte nach einer Weile Phöbe mit zitternder Stimme gefragt, doch die Antwort war nur gewesen:

»Wozu? Bei Gelegenheit. Augenblicklich bin ich anders beschäftigt, Kind.«

Und während der junge Pfarrer, der Äußerlichkeiten seines Amtes überdrüssiger denn je, sich in ein Konsistorialrundschreiben vertiefte, hatte das Kind leise sich mit seinem Teil von den schriftlichen Eräußerungen der Zeitlichkeit in sein Stübchen zurückgezogen, um ohne Hülfe aus der Nähe und mit wenig Beistand aus der Ferne auch weiterhin mit sich selber allein fertig zu werden und seinen Gottesfrieden mit dem Säkulum aufrecht zu halten.

Es mochten recht schlimme Kämpfe an diesem Tage in der Welt ausgefochten werden, sie waren nicht härter und hatten vielleicht viel weniger zu bedeuten, als der Kampf dieses jungen Mädchens, der zuletzt bloß auf das Wort hinauslief:

»Wie gut sie es doch mit mir meint! O, und wie wild und böse das Leben gewesen ist, das sie so klug gemacht hat und sie gelehrt hat, auf andere so genau zu achten und in ihren Herzen zu lesen! Gott helfe ihr und mir ferner; allen uns unruhigen Gästen unter seinem Himmel und an seinem Tische helfe er zu seinem ewigen Genügen!«


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