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Sechstes Kapitel

Sie kamen alle drei unter diesem Dache fürs erste noch nicht zum Schlafen. Die Eschen um das Haus rauschten in dem kühlen Gebirgswind, auf den der Pastor vorhin aufmerksam gemacht hatte, lauter und lauter. Der Gast und Phöbe ließen ihre Fenster geöffnet und saßen noch eine geraume Zeit an ihnen, auf die schöne Melodie der Nacht horchend und sich, jedes nach seiner Weise, mit den Erlebnissen des Tages in Frieden abfindend.

Letzteres versuchte auch der Pfarrer; aber das Fenster, welches der Jugendfreund vorhin in seiner kleinen Studierstube geöffnet hatte, schloß er. Dann zündete er seine Lampe an, nahm die Bibel vom Bücherbrett, schlug sie aufs Geratewohl auf und saß vor ihr, den Blick fest, aber, wie nicht zu bezweifeln war, mit Gewalt und nur durch Überwindung eines Hindernisses in seiner Seele auf das offenliegende Blatt heftend.

Es waren seltsamerweise zwei Seiten aus dem Hohenliede, die ihm der Zufall in dieser Stunde, vor seinem schlimmen Wege, vor die Augen legte. Welchen Vers grade sein Auge traf, ist wohl gleichgültig: wir haben das Buch alle gelesen und wissen, wie darin geschrieben worden ist, was dort vor Jahrtausenden von einer entzückten Menschenseele gesungen wurde. Und nun war es fast schrecklich, der mühselige, ernste Mann vor dem heiligen Buche lächelte nicht bloß – er lachte! Aber die Hand, die auf jenen heißen Liebesliedern lag, welche nach den Kapitelüberschriften von Christus und seiner Kirche handeln, zitterte wie im Krampfe.

Und doch erschrak er nicht ob dieses Geräusches, das er durch sein Lachen in der Nacht erregte. Er blickte nicht erschreckt über seine Schulter nach jemand, der gelauscht haben konnte. Er war ehrlich – es war nicht das erstemal, daß er so lachte. Es gehörte zu seinem Kampfe mit der Welt, und als er jetzt das Buch zuschlug, ohne genauer auf mehr als eine Zeile darin hingesehen zu haben, fühlte er und empfand er sich bereit zu seinem Gange nach der Vierlingswiese; und der hätte sich sehr in ihm getäuscht, der sich an die Worte gehalten hätte, mit denen er sich nun doch weiterquälte auf seinem eigenen Wege durch sein Leben im Fleisch.

»Sie schlafen, sie können ruhig schlafen, das Kind, meine Schwester, in Gott ihren Kinderschlaf, dieser Mensch ohne Gott in seiner Selbstsicherheit. Meinen Wunsch einer friedlichen Nacht hat mir der als unnötig mit Spotten zurückgegeben; ich habe es wohl gemerkt, daß er in seiner Welterfahrung wohl wußte, wie ich gleich einem Gespenst in meinen Nächten umgehe. Das Kind in seiner Unerfahrenheit und der kluge Mann in seiner Gesundheit und Kraft wissen von keinem Zweifel; ich aber zerringe mir die Hände in Bangen und bin mir ohne deine Gnade, Herr, Herr, selbst eine Lüge bis in das Mark meiner Gebeine, bis in die Tiefen meiner Seele. Herr, Herr, willst du mich nicht still machen in diesem Leben wie die Unschuldigen und die, welche nichts von dir wissen wollen, o so laß es kurz sein in deiner Gnade, dieses Leben auf dieser Erde, auf der ich keinem begegne, der mir nicht zum Zorn und Überdruß wird, keinem, der mir nicht ein Vorwurf ist, wenn ich nicht in sündiger Überhebung einen Triumph daraus machen kann. O Herr mein Gott, töte dieses bittere, wilde Herz in mir, zu dem niemand spricht, vor dem niemand weint und lacht, ohne daß der Ton erlischt wie ein glühend Eisen in einem Meer von Galle.«

Er erhob sich schwerfällig von seinem Stuhl; aber als er aufrecht stand, jetzt in seiner ganzen, stattlichen Höhe, war jede Spur von Schwäche an ihm verschwunden. Er lachte nicht mehr, aber er lächelte, indem er murmelte:

»Und so wärest du ja wohl in der rechten Stimmung, diesen deinen jetzigen Amtsweg zu gehen, Prudens Hahnemeyer, um mit jenem ratlosen Mann in der Wildnis Vernunft zu reden an dem Leichnam seines Weibes, an der Leiche des Weibes?!«

Es war bald gegen Mitternacht, als er das Haus verließ. Er hatte, wie schon gesagt worden ist, die Tür nicht zu verschließen. Die stand freundlichen und feindlichen Mächten offen bei Tage und bei Nacht. Aber ehe er jetzt in diese Nacht wieder hinaustrat, horchte er noch einen Augenblick an den Türen seines Jugendfreundes und seiner Schwester und sagte, als er von drinnen keinen Laut vernahm, neidisch:

»Ja, sie schlafen ruhig.«

Er ging jetzt barhäuptig. Er, der seinem heutigen Gast vorhin in der warmen Abendstunde von körperlichem Frösteln gesprochen hatte, schien jetzt nichts von der Kälte der Gebirgsnacht, von dem scharfen Wehen über die Hochebene her zu verspüren. So schritt er durch den Vorgarten, in welchem so viele Kinder seiner Vorgänger im Amte seit wohl mehr denn zweihundert Jahren ihre Spiele getrieben hatten, so schritt er über die versunkenen Gräber dieser Vorgänger zwischen seiner Gartenhecke und der Kirche, begleitet von dem Rauschen in den Wipfeln umher.

An der Ecke der Kirche trieb ihm der Wind die Haare in das Gesicht, und als er sie zurückstrich, sah er zum erstenmal auf zu dem jagenden Nachtgewölk und den Sternen, die zwischendurch flimmerten. Da er aber das wenige Gefühl für Naturschönheit, das er je besessen haben mochte, ohne viel Mühe in sich ertötet hatte, sagte ihm das nichts. Er fühlte den Wind in seinem Rücken nur als eine andere treibende Kraft, wovon er so wenig wußte, wie daß er jetzt wieder dem Morgen zuschreite auf dem nämlichen Wege, auf dem seiner Schwester und dem Jugendgenossen vor wenigen Stunden die Abendsonne ins Gesicht geleuchtet hatte.

Das Rauschen in den Laubbäumen war nun in den hohen Tannen an dem Rande der Vierlingswiese zu einem singenden Zischen geworden, doch auf der Wiese selbst hätte dem Wanderer kaum ein wirklicher Sturm das Haar mehr bewegt. Die lag zu nahe im Schutze des Forstes, und der Wind sang da nur in dem obersten Gezweige.

Aus dem offenen Türloch der Fieberköte fiel noch Licht – oder besser Feuerschein in die Nacht hinein, wie der Pfarrer es vorausgesetzt hatte. Der Schauder, den jeder andere, weichere Mensch im Daraufzuschreiten wohl bis ins Tiefste verspürt haben würde, zeigte sich bei diesem jetzt in seine Pflicht gewappneten Mann nur in einer kaum bemerkbaren abweisenden Kopf- und Handbewegung. Im nächsten Augenblick stand er in der Hütte und fand sie alle so tief im Schlaf darin, daß der der Lebendigen sich in nichts von dem der Toten unterschied.

Die Tote suchte dieser nächtliche Gast und Trost- und Ratbringer zuerst beim Flackern des auf dem roh aus Bergsteinen zusammengeschichteten Herde in sich zusammensinkenden Feuers. Da die Luft von allen Seiten fast ungehinderten Zutritt in die Höhle hatte, war der Dunst darin lange nicht so arg wie in den Krankenzimmern und Sterbesälen besser situierter Mitbrüder und Mitschwestern auf dieser Erde. Es füllte sogar ein Wohlgeruch aus dem Walde und von der Wiese den Raum, ein Duft des Lebens, der jeden Weihrauchduft um Sarg und Katafalk zu einem Spott machte. Es hinderte in dieser Beziehung den Pfarrer, wie er sich jetzt über die starre, lang hingestreckte Gestalt der gestorbenen Feh beugte, nichts am freiesten Atemholen, und er fuhr auch nicht auf und um, als nun von der anderen Seite der Hütte her ein heiseres Lachen erscholl und der Räkel rief:

»Ho, ein Nachtvogel! Wie kommen wir denn jetzt schon zu dieser Ehre? Hast das Aas auch gewittert und kommst noch gar in der Düsternis, weil du Fänge und Schnabel nicht bändigen kannst bis zum nächsten Morgen? Dachtest wohl, der Fuchs könnte dir schon bei nächtlicher Weile mit seiner Füchsin durchgehen? Konnten aber ganz ruhig sein, Herr Pastor, hat die Familie ihr Elend am hellen Tage gehabt, will sie auch ihren Spaß am hellen, lichten Tage haben. Da ist morgen bei Sonnenschein noch Zeit für alles! Sackerment, oder drückt dich deine Redegabe so, daß du ihr jetzt nur Luft machen willst, weil du weißt, daß du morgen das Nachsehen mit ihr haben könntest? Sackerment, wenn mich die Kinder nicht dauerten, hätte ich wirklich auch Lust, dich gleich auf der Stelle zum Predigen, Heulen und Zähneklappern zu bringen, du heuchlerische Kircheneule. Und wäre deine Schwester nicht, ich drückte dich mit dem Gesicht auf den kalten Leib da, daß du die Pestilenz einsögest wie ein Schwamm. Na, nun heraus damit, mach's kurz mit deinen Fragen! Was wünschen der Herr Pastor eigentlich von dem Gaudieb, dem Volkmar Fuchs? Hast ja deine Spitzbuben von Bauern die ganze Woche um dich zum Salbadern mit ihnen und jeden Sonntag das große Wort allein vor allen ihren alten und jungen Weibern und Schulkrabben. Was suchst du also noch außerhalb von deinem hochheiligen Pferch bei dem Zuchthäusler, dem Wilddieb, dem Fuchs und seinen Jungen? Meinst wohl gar, der Räkel fürchte sich vor der Mitternacht, und meinst, du setzest deinen Amts- und Kirchenpolizeiwillen in der Spukzeit leichter durch? Ja, komme mir nur!«

Der Mann hatte sich von seiner Streu im Sprunge aufgehoben. Auch er war ein hagerer, starkknochiger Mann von vierzig Jahren, der verrufenste Wilddieb der Gegend, der beste Schütz im Gebirge – ein Ritter des Eisernen Kreuzes vom Jahre achtzehnhundertsiebenzig, der Ehemann der Toten und der Vater der zwei Kinder: Volkmar Fuchs, seines Familiennamens wegen und aus anderem Grunde von der Bekanntschaft aus der Jägersprache der Räkel genannt, wie seine verstorbene Frau die Feh. Als er jetzt dem Pfarrer die Hand auf die Schulter legte und so neben ihm stand, fand es sich, daß sie beide von ziemlich gleicher Leibeshöhe und daß sie sich auch mit dem Blick ihrer Augen gewachsen waren.

»Ich habe freilich gewartet, bis niemand im Dorf mehr wachte als wir zwei, Volkmar, um Vernunft mit dir zu reden«, sagte der Pastor jetzt völlig ruhig.

»Zählt mich der Herr Pastor Hahnemeyer wirklich noch mit zu seinem Dorfe?« lachte der Räkel.

»Es ist ein anderer, der dich und die Deinigen mitgezählt hat allewege und allezeit. In seinem Namen habe ich dich aufgesucht an dem Leichnam deines Weibes, armer Mensch –«

»Weil euch die faule Seuche auf die Nägel brennt und ihr in Ungelegenheiten kommt drunten im freien Lande vor den Behörden und in die Zeitung dazu, wenn der Räkel sich jetzt nicht von euch um euren kleinen Finger wickeln läßt, sondern einen öffentlichen Lärm aus seinem Gift macht! Das lohnte sich natürlich, uns in der Vergessenheit mit deiner Barmherzigkeit des Herrgotts aufzustören. Nun, meinetwegen – Sie sehen es ja, Herr Pastor Ehrwürden, die Krabben wachen auch, und die Gemeinde in der Fieberköte haben Sie also wohl vollzählig beisammen, abgerechnet die tote Seele da, wenn Sie die nicht auch noch zu uns zählen; – also, meinetwegen, reden Sie mal Vernunft zu uns. Wirf ein paar Tannensplitter auf den Herd, Junge, daß wir mehr Licht in unsere Dummheit und für den Herrn Pastor kriegen und es besser einsehen, wie er uns besser herumbringt als Fräulein Phöbe in unserm Recht und Willen mit Mutter.«

Es war das kleine Mädchen, das aufsprang aus seinem Stroh- und Laublager und mit einem Kinderarm voll Tannenspäne zu dem verlöschenden Herdfeuer lief. Der Junge rückte sich nur bequemer zurecht im Stroh mit frechtrotzigem Blick, nahm die Knie zwischen die Arme, legte das Kinn auf die Knie und sah mit zwinkernden, aber aufmerksamsten Augen auf seinen Vater und den Herrn Pastor; und der Herr Pastor konnte da über die Schulter in die Augen von unzählbaren Generationen der Vergangenheit wie der Zukunft sehen, wenn er im Augenblick Zeit dazu gehabt hätte.

Aber wie wir alle zu jeder Zeit hatte er keine Zeit; die angstvolle, verantwortungsvolle Gegenwart nahm ihn für das Nächstliegende gefangen, und das Nächstliegende war die Tote vor seinen Füßen. Auch redete der Räkel noch weiter.

»Mußt es doch selber sagen, Pastor, daß es für unsereinen eigentlich eine Kuriosität sein muß, wie das so still liegen kann, während die arme Seele für ihr Elend im Hundeleben in euerm ewigen Pech, Öl und Schwefelfeuer bratet und der Satan mit der Bratengabel sein Gaudium am Backofen hat. Zum Teufel, des Jokus halber bin ich ja auch wohl am Sonntage in deiner Komödie gewesen und habe dich die Hölle deinen Dorfhalunken heiß machen hören. Denen zuliebe wünschte ich selber, daß du die Sache so genau wüßtest, wie du von der Kanzel ausschreist. Und die Bälger holt ihr mir ja mit der Gewalt und Polizei in die Schule, wenn sie nicht das Fieber zur Abwehr haben; und sie bringen genug heim, um ihrem Alten, dem Räkel, das Verständnis für eure Flausen aufzuknöpfen, die ihn für sein eigen leiblich Aas im Leben und Sterben nicht kümmern sollen; über sein Pläsier an euch Komödianten hinaus nämlich. Na, so tu doch das Maul auf; des bloßen Hinstarrens lohnte sich doch die Mühe des Weges aus deinem weichen Bette nicht. Guckst aber wirklich ein bißchen erbärmlich in die Geschichte. Willst du einen Schnaps, ehe du im Fuchsbau vor dem Räkel, seinen Jungen und vor seiner verendeten Feh privatim aufs Seil gehst? Da sauf und stärke dir dein heilig Herz, ehe du Vernunft wegen der Anständigkeit und eines christlichen Begräbnisses der Anna Fuchs zu ihrem Mann redest.«

Der wüste Gesell hielt dem Pfarrer wirklich die Branntweinflasche hin und grinste dabei, als ob das der beste Witz sei, den er je im Leben fertiggebracht habe. Aber um so verblüffter stand er da, als der Pastor Hahnemeyer die Flasche nahm, aus ihr trank, sie zurückgab und sagte: »Ich danke dir, Volkmar.«

»Sackerment!« brummte der Räkel, seiner Betroffenheit nur mühsam Herr werdend. »Na ja«, murmelte er bei sich, »daß sie Courage haben, seine Schwester und er, das wußte ich ja freilich!«

Daß der Pastor Prudens die rechte Art, mit dem Räkel in seiner Stimmung umzugehen, getroffen hatte, bestätigte derselbe ihm dadurch, daß er ihm einen von den zwei Schemeln der Hütte zuschob und, wenn auch verstockt, so doch merklich geduckt und als ein Mensch, der Verstand hatte und Vernunft annehmen konnte, sagte:

»Nun denn, so probieren Sie's in Gottes Namen, Herr, ob Sie es mit Ihrer Gelehrsamkeit besser fertigkriegen als Ihre liebe Fräulein Schwester, den zwei Waisenkindern da und ihrem Vater den Begriff davon beizubringen, daß sie alle drei im Unrecht sind mit ihrem Willen hier am Leichnam gegen das Dorf und alle Behörden, ob sie Kaiser, Papst oder Polizei und Ortsvorsteher heißen. Jawohl, Sie haben recht darin, Herr Pastor, daß es wohl billig ist, daß Fuchs sich nicht vor den Worten derjenigen fürchtet, die allein keine Angst haben vor dem Gift, das er in seinem Elend an sich tragen mag, die mit ihm aus der Flasche trinken, welche er seiner Kranken an den Hals gehalten hat, und die ihm die Hand auf die Jacke legen, welche er ihr auf ihre armen Füße gebreitet hat. Kind, Mädchen, lege dich nieder, schlaft weiter, Racker, beide; der Herr Pastor hat noch mit Papa zu reden.«

Aussehen mochten sie, wie sie wollten, gut gezogen waren sie, die zwei jungen Füchse, einerlei ob von dem Räkel oder von der Feh. Sie gehorchten aufs Wort. Das kleine Mädchen, dessen scharfe Augen gestern abend den Groschen der Reisegesellschaft zuerst im Grase der Vierlingswiese entdeckt hatten, begriff sofort, daß es nicht gut tue, den Vater und den Herrn Pastor durch das leiseste Rascheln im Bettstroh und Laub zu stören. Nachdem es wieder zu dem Bruder gekrochen war, hörte man nichts mehr von den zweien; aber die vier dunkeln Augen leuchteten wie wirkliche Fuchsaugen beim Flackern der Tannenspäne auf dem Herde aus ihrem Winkel in der Köte. Und es war vielleicht gut, daß die beiden Männer wußten, daß sie nicht unter sich allein waren. Sie vergaßen es leider doch nur zu oft während der nächsten halben Stunde.

»Volkmar Fuchs, der Herr hat Ihr Weib aus einem schweren, wilden Leben zu sich gerufen«, sagte jetzt der Pastor Prudens.

»Aus einem fidelen, einem lustigen Leben, Herr. Das weiß der Himmel! Aber sie hatte sich ja ganz gut hineingefunden, Herr, hat pläsierlich ausgehalten bei Mann und Kind im Leben und Sterben – oder wissen Sie es anders?«

»Gewiß nicht, Fuchs! Sie ist Ihnen eine treue Frau gewesen und Ihren Kindern, so gut sie's sein konnte in ihrem Schicksal, eine gute Mutter. Aber haben Sie an ein solches Dach über ihrem Kopfe, an ein solches Lager unter ihrem kalten Leichnam gedacht, als Sie sie überredeten, zu Ihnen zu kommen für Gut und für Böse, für Gesundheit und Krankheit, für Leben und Tod, Volkmar?«

»Wer kann an so was denken zu seiner Zeit? Der Satan weiß es!«

»Gott der Herr, der es zugelassen hat, weiß es, Volkmar Fuchs! Er, der ihre Seele jetzt, wie wir demutvoll hoffen wollen, in seinem Frieden hält und der in dieser Stunde nur – das da, an dem du deine Erdenlust hattest, dir gelassen hat, fragt dich, ob du dich noch immer nicht bändigen kannst, ob du das, was deine Erdenfreude war, den armen Staub, dem Er Odem einblies, nun mißbrauchen willst, Ihn zu höhnen, indem du Asche zu Asche nicht versammeln willst auf Seinem Acker – Gottes Acker – in deinem kindischen Trotz?«

»Das da!« erwiderte der Räkel hinter seinen aufeinandergeschobenen Zähnen, »Damit haben Sie wohl das richtige Wort getroffen, Herr! Und die da!« (er zeigte auf die Kinder im Stroh) »und der da!« (er schlug sich mit der Faust, im Grimm lachend, auf die Brust) »das, und wenn's aufs Feine und Lustige ging, der Räkel und die Feh und ihre Brut – das sind wir gewesen in gesunden Tagen mitten unter ihnen im Dorfe und im Giftfieber in unserer Verlassenheit allein hier im Fuchsbau, und das wollen wir jetzt bleiben, nicht bloß ihnen zum Tort, sondern unsertwegen! Der Räkel und seine Jungen geben ihre Feh – das da, Herr Pastor! dem Dorfe nicht auf seinen Kirchhof, solange ich Knüppel und Handbeil halten kann und mit dem da umzugehen weiß!«

Bei den letzten Worten hatte er auf seiner Lagerstelle zu Füßen der Leiche unter das Laub gegriffen und hielt dem Pfarrer einen Revolver vor die Augen.

»Sechsläufig, Herr! und daß Volkmar Fuchs einen guten Treffer hat, das weiß die Bande im Dorf ja auch zu allem übrigen; aber Sie mögen dreiste, der bessern Warnung wegen, noch 'n bißchen weiter von dem Spielding zu Hause erzählen.«

»Unglücklicher Mensch, man wird ins Tal um Hülfe schicken –«

»Und den Räkel wieder mal mit Stricken um die Fäuste drunten abliefern? Ja, aber erst nachher, wenn das Tier sich gewehrt hat bis auf den letzten Biß.«

»Mensch, und die Kinder? Wie lieb hat dein Weib ihre Kinder gehabt –«

Da lachte der Mann in der Fieberhütte, wie selber vom grimmigsten Fieber gepackt.

»Und abgerichtet hat sie selber sie hierzu in ihren letzten Phantastereien! Ja, bitte, fragen Sie nur die Kinder, wie leicht Waldlaub, Totenstroh, Fichtenharz und Tannenborke in Feuer aufgehen. Das besorgen sie schon mit einem Scheit vom Herde, ohne daß ich winke. Füchse schmaucht man aus; so weit sind sie aber Menschengeschöpfe, daß sie auch die höchste Behörde im Notfall von ihrer Mutter nach deren letztem, sterbenden Willen wegschmauchen und selber frei durch den Qualm springen.«


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