Wilhelm Raabe
Meister Autor oder Die Geschichten vom versunkenen Garten
Wilhelm Raabe

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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Als ich dem Herrn Kunemund am folgenden Tage, das heißt am Tage nach dem Begräbnis des Steuermanns Schaake, im Cyriacihofe meine Verlobung mitteilte, schien er sich im Anfange ein wenig zu wundern. Ich muß es ihm aber lassen, daß er sich rasch zu fassen und seinen Glückwunsch in gebührender Form abzustatten wußte.

»Sie werden doch unser Trudchen im Hause behalten, Sie und Ihre liebe Frau Gemahlin?« fügte er dann an. »Hier im Hofe findet sie sich eben in keiner Weise, das ist mir jetzt schon von neuem klar aufgegangen. Und was sollte sie bei mir und der Alten in unserm Dorfe? Das Kind ginge da einfach zugrunde.«

Ich beruhigte ihn in der Beziehung, und es blieb nicht nur Signor Ceretto in unsern Diensten, sondern auch Fräulein Gertrud Tofote behielt auch fernerhin ihren Unterschlupf im Hause der Frau Christine; bis sie nach unserer Verheiratung in mein Haus herüberkam. Es tat uns unendlich leid, als sie im nächsten Sommer schon aus demselbigen wieder fortging.

Wir verheirateten sie richtig mit unserm Vetter Vollrad von Wittum!

Wir verheirateten sie? . . . Der richtige Ausdruck ist das eigentlich nicht. Herr Autor Kunemund hatte nicht das geringste mit dem glücklichen Ereignis zu schaffen, ich wenig, meine Frau nicht wenig und das meiste die liebliche Braut selber. Wie viel oder wie wenig der Vetter Vollrad dabei beteiligt war, das zu berechnen werde ich einfach dem Guten selber überlassen.

Der Meister Autor kam nicht zur Hochzeit; aber wir schickten das junge Paar zu ihm. Wir ließen die jungen Leute beim Antritt ihrer Hochzeitsreise den kleinen Umweg machen, und Trudchen schrieb uns später von Schaffhausen aus sehr gerührt über den Empfang, den ihr und ihrem Gatten der arme gute Onkel bereitet habe. Der Vetter hängte an den Brief seiner kleinen Frau ein Postskriptum, in welchem er den Meister Autor für einen prächtigen Burschen erklärte, der ihn lebhaft an seinen verrückten seligen Onkel mit den Intaglien erinnert habe.

»Siehst du, Emil,« sagte meine kluge Frau, »man glaubt alle Augenblicke vor einer Wand zu stehen, um jedesmal zu finden, daß ein Weg um dieselbe herumführe.«

»Das ist ein Wort aus dem Lebensbuch des alten Kunemund, meine Beste,« erwiderte ich, und Frau Christine von Schmidt sprach:

»So? . . . Das habe ich nicht gewußt.« –

Es führt freilich stets ein Weg um die Mauer. Der gute treue Hafenmeister des armen Karl Schaake, die blauäugige Base im Cyriacihofe ging noch vorher aus demselbigen fort, ehe die Maurer und Zimmerleute kamen, um sie auszutreiben. Wir hatten uns ihretwegen so sehr vor dem ersten Schlag der Spitzhaue auf das alte Gemäuer gefürchtet, und – wie es sich nunmehr zeigte – ganz ohne Grund. Spitzhaue und Schaufel kamen zwar auch ins Spiel, aber die Base Schaake ließ sie ruhig gewähren, ließ still sie ihre wühlende Arbeit beginnen und endigen. Bei dieser Gelegenheit kam der Meister Autor noch einmal von seinem Dorfe in die Stadt, besuchte mich in meiner neuen Häuslichkeit, und da auch ich selbstverständlich der Base die letzte Ehre gab, so gingen wir wieder einmal auf einem und demselben Wege Schulter an Schulter.

»Denken Sie sich, die Alte wollte diesmal durchaus mit in die Stadt und die Gelegenheit benutzen, um unserm Trudchen eine Visite zu wachen,« sagte er. »Diese unglückliche Kreatur, die sich kaum noch auf den Beinen hält und an der die Stimme und das Gemüte das einzige Unveränderte geblieben ist! Ich bin ihr wieder mal durch die Hintertür entwischt.«

Er sprach noch manches andere in der Art auf dem nachdenklichen Gange, daß ich mehr als einmal leise seine Hand aufgriff und sie ihm herzlich drückte, denn er zeigte mir durch diese seine Weise klar, daß ihm so wenig wie dem wirklichen Meister Autor, Wolfgang von Goethe, »ein Sarg noch imponieren könne.«

Von dem Grabe der Base weg machten wir der jungen Frau Gertrude von Wittum und ihrem Gemahl einen Besuch. Wir trafen das reizende Weibchen vor ihrem Pianoforte, an welchem sie eine in der Tat allerliebste Miene zu einem außergewöhnlich bösen Spiel machte. Den Vetter Vollrad störten wir aus einem etwas unerquicklichen Vormittagsschlafe vom Diwane auf. – Das junge Paar empfing uns in der herzlichsten, und, nachdem es sich ein wenig gesammelt hatte, auch heitersten, ja fröhlichsten Weise. Wir wurden gebeten zu Mittage zu bleiben, aber Herr Autor Kunemund hatte bereits meiner Frau die Ehre zugesagt und hielt Wort. –

Signor Ceretto stand während der Mahlzeit hinter dem Stuhle des Meisters und sorgte in einer so diabolischen Art und Weise für die Bedürfnisse des Greises, daß ich es endlich nicht mehr aushielt und den schwarzen Schlingel wieder einmal zur Tür hinausjagte. Überhaupt gab mein Hauswesen mir bei dieser Gelegenheit mehrfache Gründe, mich zu ärgern; obgleich, alles in allem genommen, Christine sich besser in den Alten und alle seine Eigentümlichkeiten hineinfand, als ich zu Anfang vermuten konnte. Bei der Suppe saß sie ihm noch recht steif und frostig gegenüber; aber beim Braten schon kam sie behaglich auf die gute Zeit zu sprechen, während welcher der Förster Arend Tofote bei seinem schönen Kinde wohnte. Beim Nachtisch überlief es mich wieder heiß und kalt; denn nunmehr fing sie ganz leise und zärtlich an, unsern Gast auszuholen, weshalb er damals zuerst das harmlose Beisammensein gestört habe und bei Nacht und Nebel den »Freunden« durchgegangen sei? Was sie wahrscheinlich nicht erwartet hatte, trat ein: der Meister sagte ihr ganz unbekümmert seine Gründe und wurde somit in harmlosester, naivster Weise ganz fürchterlich grob und ärgerlich.

Aber Christine faßte sich nach Überwindung der ersten Verblüffung mit bestem Humor.

»Es ist doch schade,« sagte sie, »wir hätten uns früher kennen lernen sollen und dann genauer!« – –

Nun sind wieder zwei Jahre hingegangen. Heute wohnen Vollrad und Gertrud »der Billigkeit«, »der Schönheit der Gegend und der angenehmen Lebensweise« wegen in Freiburg im Breisgau. Ich habe den höchsten Wunsch meiner Frau erfüllt und bin mit ihr nach Berlin übergesiedelt. Ceretto haben wir als eine Art von gutem Genius mit uns dahin genommen. Was dieser schwarze Sündenbock uns in unserer Ehe wert ist, läßt sich weder wiegen noch messen; wir werfen ihn wie einen Federball zwischen uns hin und her, und er läßt es sich mit der besten Laune gefallen. Mir imponiert dieser kuriose Philosoph viel zu sehr, als daß ich es je einmal dahin gebracht hätte, ihn als meinen Bedienten ansehen zu können. – –

Vor vier Wochen sprach ich noch einmal bei Herrn Autor Kunemund vor. Er sah nie sehr gut und weit in seinem Leben, aber jetzt sah er fast gar nicht mehr. Die Alte lebte noch; aber sein alter Dachshund hatte ihm Valet gesagt, und –

»wie ich den Arend kenne, so wäre der imstande gewesen, mir auch diesen guten Freund auszustopfen und in einem Glaskasten hinzustellen. Damit ist es nun freilich nichts,« sagte der Meister auf seiner Schnitzbank nachdenklich den Kopf schüttelnd.

Er saß noch immer gern auf seiner Schnitzbank; doch das gute, künstliche Messer leistete kaum noch etwas in seiner Hand. Das Dorf aber handelte brav an seinem greisen, ins Nest zurückgekehrten Kuckuck; Langeweile konnte der Meister nicht haben, denn der Besuch von jung und alt riß nicht ab, auch nicht während meines Aufenthaltes bei ihm.

Um Mittag brachte er mich auf den Feldweg zur nächsten Station, und unter einer Eichengruppe nahmen wir Abschied voneinander, wahrscheinlich für immer. Er war alt, und der Weg zu ihm mit einigen Unbequemlichkeiten verknüpft. Wie oft auch noch während seiner übrigen Lebenszeit ich von dem Bahnzuge aus sein Dorf in der Ferne daliegen sehen mochte: es stand dahin, ob ich noch einmal einen Lebenstag auf einen Besuch bei ihm verwenden würde.

Zum Schlusse machte der Alte selber eine dahin bezügliche Bemerkung.

»Alles ist in der Welt vorhanden,« sagte er, »aber nichts an der richtigen Stelle. Da ist es denn keinem zu verargen, daß er sich eben drein findet und zugreift, wie es sich schickt. Was mich angeht, so verdenke ich es niemandem, wenn er seinen Garten bestellt, wie es ihm am nützlichsten scheint. Außerdem aber, Herr Baron, meine ich, daß, da über eines jeglichen Felder, Ansichten, Taten und Werke die Fußsohlen, Pferdehufe und Wagenräder der Nachkommenschaft doch endlich einmal weggehen, es gar keine Kunst ist, das Leben leicht und vergnügt und die Erde, wie sie ist, zu nehmen.«

»Sie haben gut reden, Meister!« erwiderte ich etwas gedrückt und fuhr nach Berlin zurück, oder vielmehr, einer Verabredung mit meiner Gattin zufolge, zuerst bis Potsdam. Meine Frau erwartete mich am Bahnhofe und zwar in Begleitung einer lieben aber etwas leicht verletzbaren Tante – einer Erbtante, der wir am folgenden Morgen den Garten des alten klugen Königs Fritz zu Sanssouci zu zeigen hatten. –

 

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