Wilhelm Raabe
Meister Autor oder Die Geschichten vom versunkenen Garten
Wilhelm Raabe

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Achtes Kapitel.

Wenn meine Leser nun etwa glauben sollten, daß wir auf dieses Zusammenfahren und diese Mahnung hin jetzt wie Besessene von dannen stürmten, der Hinterlassenschaft Mynheers van Kunemund zu, so würden sie sehr irren. Wir nahmen uns doch noch Zeit und hatten derselben auch zur Genüge.

»Davon hat mir Trudchen schon gesagt, Herr Kunemund,« sprach der Matrose und zwar, wie es schien, mit einem etwas befangenen und gedehnten Tone. »Eine Erbschaft haben Sie – hat sie gemacht! Wirklich?«

»Und was für eine!« rief der Meister. »Ich, Gott sei es gedankt, nicht; aber das Mädchen da! Frage nur den Prasem, was für eine gute Partie es geworden ist, und was für süße Augen er ihr machen würde, wenn Moses und die Propheten und vor allen Dingen seine Perl nichts dagegen einzuwenden hätten.«

»Gerechter – mein lieber Herr Kunemund!« rief der alte Jude.

»Leugnen Sie es nicht, Salomo,« rief der Meister, »und dir, Karl, wiederhole ich es mit Nachdruck, der Kleine reibt sich sicherlich heute morgen da oben, oder – da unten die Hände. Eine Goldprinzessin ist das Trudchen und zwar ganz ohne ihr Zutun. Da der Herr Bergassessor von Schmidt meint, es gehöre auch ins Märchen, und kurios ist's auch, obgleich ich bis dato noch nicht herausgebracht habe, was der Herr eigentlich mit der Rede im Sinne hat.«

»Das ist auch gar nicht nötig, alter Hexenmeister!« rief ich lachend; doch über das offene ehrliche Gesicht des jungen Seefahrers war ein sonderbarer Schatten gefallen. Er blickte das schöne Kind, die Gertrud Tofote bedenklich von der Seite an und zerrte unruhig an seinem bunten Halstuche; ich aber las in seiner Seele, und zwar folgendes:

»Also so steht die Geschichte? Und deshalb aus dem Alltagsverdruß und der Leineweberei durchgebrannt und auf See gegangen, um ihr mit dem Sack voll spanischer Dublonen und sämtliche Taschen voll Demanten und Perlen eines Tages vor die Nase in allerhöchster Glückseligkeit treten und sie fragen zu können: Na nu Gertrud? –! Uh! Himmel und Hölle, wenn ich ihr jetzt käme mit dem, was mir die Hadschis eingebracht haben! O verflucht, da wäre es doch am besten, ich hätte das alte Land gar nicht wieder angelaufen.«

Ich beobachtete einen tiefen Griff beider Hände des jugendlichen Abenteurers tief in beide Hosentaschen hinunter, und sagte wie er in bei Tiefe meiner Seele:

Ja, ja – ja! –

Aber jetzt war es wirklich die höchste Zeit zum Aufbruch geworden, und der Meister sprach nur noch:

»Herr Bergsekretär, den Karl Schaake nehmen wir mit; denn so halb und halb gehört er doch, von seinen ersten dummen Streichen an, zur Familie;«– dann gingen wir, und hatten nun sogar zu laufen, um die verlorene Zeit einzuholen.

Wir liefen, und die ganze Gaststube in der Stadt Lübeck stellte sich auf die Zehen, um uns respektvoll und mit den notwendigen Glossen nachzusehen. Wir liefen, und statt sich mit Händen und Füßen gegen die Begleitung des Trudchens in das unmenschliche Glück hinein zu wehren, lief Karl selbstverständlich mit der Erbin voraus.

Es schlug gerade feierlich zwölf Uhr auf Sankt Katharinen, als wir uns an der alten Kirche vorüber dem Tor zuwendeten.

»Umstände werden sie uns freilich wohl nicht mehr machen. Wir können uns dreist in den Honigtopf hineinsetzen,« sagte der Meister Autor, und es verhielt sich selbstverständlich so, wie er sagte.

Wir schritten langsamer den jungen Leuten nach durch das Tor, vorüber an einem der Kirchhöfe der Stadt, und dann durch eine enge im Zickzack laufende Gasse, zwischen Planken und lebendigen Gartenzäunen etwa zehn Minuten fort. Dann standen wir, Gartenhecken, Gärten, Gitter, Gartenhäuser rechts und links, und suchten uns zu orientieren. Dann fanden wir uns zurecht und schritten in eine Nebengasse hinein, in welcher wir dann natürlich wieder so ratlos als vorher standen.

»Sie wissen es ja, wie er sich verholländert hat,« sagte der Meister Autor, »nehmen Sie es also nur nicht übel, wenn ich nach meinem eigenleiblichen Bruder so verrückt frage. – Sagen Sie, junge Frau, wo hat sich denn eigentlich der Dachs verklüftet – ich meine mein kleiner Bruder – ich meine, wo wohnt denn der Herr van Kunemund?!«

Diese Frage war an eine durchaus nicht mehr junge Weibsperson, die, einen Henkeltopf tragend, uns entgegenkam, gerichtet, und sofort erfolgte die Antwort der dem Gespräch nach leicht erreglichen Dame:

»Hören Sie, wenn Sie den meinen, den kleinen, gelben Kerl, mit dem vielen Geld – der lebt gar nicht mehr. Sie alter Narr, wenn aber Sie die Leute vexieren wollen, so gehen Sie da auf den Kirchhof und dann können Sie –«

Was der Meister Kunemund konnte, wollen wir dahin gestellt sein lassen; wir gingen eiligst weiter und trafen ein kleines Mädchen, welches ebenfalls einen Henkeltopf trug, und welches auf unsere Frage, mit dem Finger deutend, sagte:

»Herr Je, da guckt's ja über die Hecke!« und dann sofort Reißaus nahm.

Unsere Augen waren sämtlich der andeutenden Richtung des Kinderfingers gefolgt.

»Richtig!« sagte der Meister. »Nun, Gott sei Dank, jetzt haben wir es doch herausgebracht, wo er sich verklüftet hat.«

Was aber da über die Hecke guckte, das war in der Tat nicht gewöhnlich, und konnte wohl einem, der unvermutet auf den Anblick stieß, einen gelinden Schrecken einjagen. Solch eine kohlschwarze Teufelsfratze mit solchem krausen schlossenweißen Wollenhaar sollte noch zum zweitenmal über eine norddeutsche Hainbuchen- und Nußbaumhecke gucken.

»'s ist sein Mohr, erschrick nicht, Karl Schaake!« rief der Meister; und schon war das Trudchen an der Hecke und reichte dem grinsenden Greuel die Hand in die Höhe. Aber je näher wir andern herankamen, desto mehr versank der Schwarze hinter den grünen Blättern – doch glücklicherweise nur aus Höflichkeit, denn er empfing uns mit einer tiefen Verbeugung an den Rokoko-Sandsteinpfeilern des Gartentores, reichte dem Herrn Kunemund gleichfalls die Hand und sagte:

»Ist es der Herrschaft endlich gefällig gewesen? Wahrhaftig, ich kenne Leute in Bremen, sowie an manchem andern Platze in und um Europa, die eiliger angerannt gekommen wären.«

»Siehst du, Onkel, das habe ich dir auch gesagt!« rief Gertrude Tofote, und damit traten wir über die Schwelle des Gartens und ein in das Erbe, welches Mynheer van Kunemund der Tochter Arend Tofotes gegeben hatte, und wir sahen alle noch einmal zurück über die Schulter, nur die Gertrud nicht; – Gertrud sagte:

»Oh!«
und sah sich nur um.

»Es ist doch wunderlich!« sprach der Meister Autor, kopfschüttelnd nach den dichten dunkeln Baumgipfeln blickend, die in der Ferne die Lage des Kirchhofes andeuteten, auf welchem man seinen kleinen Bruder eingescharrt hatte, ohne daß der Meister dabei zugegen gewesen war.

Was mich persönlich anbetraf, so hatte ich mich seit meinen Kindheitsjahren nicht in einer gleichen märchenhaften, neugierig-bänglichen Stimmung wie die jetzige befunden. Und da sich meine Rolle hier doch nur auf die eines horchenden, zurechtlegenden Beschauers beschränkte, so entging mir wenig dessen, was die Stunde bot; und alles, was ich sah, hörte – paßte in das Märchen – vor allem andern auch der junge, verdrossene Seefahrer, Herr Karl Schaake, der Leichtmatrose.

Da standen wir im Grün und in der Sonne und mitten im verwilderten Rokoko. Aus ausgewuchertem dichten Taxus sahen graue Sandsteinfiguren – bausbackige Kinder, hochbusige Nymphen hervor. Der gelbe feine Sand knirschte unter unsern Füßen, und an einer uralten Sonnenuhr in der Mitte des Rundplatzes machte uns der Mohr Mynheers van Kunemund eine zweite und womöglich noch tiefere Verbeugung:

»Dort ist das Haus,« sagte er, auf ein altersschwarzes, moosbedecktes Ziegeldach deutend, welches in einer Entfernung von etwa hundert Schritten über das Gebüsch emporragte.

»Und wo sind die Gerichtsherrn?« fragte Herr Autor Kunemund.

Auf diese Frage hin zog Signor Ceretto grinsend die Schulter in die Höhe:

»Die Sennorita darf sich darauf verlassen, daß sie in ihrem Eigentum ist. Der Herr Kunemund weiß das auch recht wohl; er hat es ja selber auf dem Stadtgericht gehört, daß alles in Ordnung sei. Der selige Herr verstand es bis zum Letzten, Ordnung in allen seinen Angelegenheiten zu machen. Das gnädige Fräulein darf dreist weiter spazieren.«

»Was ist denn aber das?« fragte der Meister Autor vor einer rotweißen Stange stehen bleibend, die mitten im Wege zwischen dem Grün, den Blumen, unter den summenden Bienen, den flatternden Schmetterlingen und den grauen Steinbildern im Boden stand.

»Das Gewächs hat das Stadtbauamt neulich eingepflanzt, Herr Kunemund,« sagte der Mohr. »Es findet alles sein Ende in der Welt. Jede Zeit hat ihr eigenes Pläsier und kümmert sich wenig um das der vorhergegangenen. Uns macht nun das Baumfällen Vergnügen. Den Stadterweiterungsplan haben Sie wohl noch nie zu Gesicht gekriegt, Herr Kunemund?«

»Donner und Hagel, sie werden uns doch wohl hier keine Häuser hinsetzen wollen?!« schrie der Meister Autor, und es wird auch wieder viel Wasser die deutsche Literatur herabrinnen, ehe sie wieder ein Grinsen sieht, wie das, mit welchem Signor Ceretto Wichselmeyer aus dem Schüsselkorb zu Bremen den Aufschrei des Meisters beantwortete.

»Sie wollen mir in meinen Garten Häuser bauen?« rief auch Fräulein Gertrud Tofote, und zum drittenmal verneigte sich der Zaubermohr vor ihr und sagte:

»Nach dem Stadterweiterungsplan geht die Prioritätenstraße grade über das Grundstück. Ich bitte gehorsamst – sehen Sie dort an dem Bassin sieht der zweite Pfahl. Ei, der selige Herr wußte gar wohl, was er tat, als er den Garten kaufte. Es war ein solides Geschäft, – nur schade, daß er die Kommission mit den Meßketten nicht selber mehr an der Tür begrüßen durfte.«

Ich hatte die Hand auf einen die Flöte blasenden Satyr gelegt; der Meister Autor sah mit zusammengezogenen Augenbrauen an den alten hohen Linden empor, der Seefahrer war an den Rand des Wasserbeckens getreten und sah finster hinein, und Trudchen – Trudchen trat zu dem alten unheimlichen Gartenhüter und fragte:

»Aber dürfen sie denn das, wenn ich nicht mag?«

»Sie werden viel Geld bezahlen, gnädiges Fräulein,« antwortete Ceretto. »Für viel Geld bekommt man alles, was man will. Für Geld und für gar nicht viel hat man alle meine Großväter bekommen, und meinen Urgroßvater sogar für eine abgelegte neapolitanische Schiffsleutnantshose. Die Überlieferung davon ist in der Familie geblieben von Abu Telfan im Tumurkielande her bis in den Schüsselkorb zu Bremen. Was mich persönlich angeht, so hatte mich der selige Herr, – ich meine immer Mynheer van Kunemund, für vierzig Taler jährlich und einen neuen Bedientenrock alle Weihnachten.«

»Damals sagten Sie mir, Ihre Angehörigen stammten aus dem Lande Kongo,« sagte der Meister Autor, um doch wieder etwas zu bemerken.

»Aus Banza Sonjo! Nicht wahr? Ja, das ist auch wenigstens zur Hälfte richtig. Aus dem Nest war meine Urgroßmutter; die wurde aber auf einen andern Handel zugegeben und kam mit meinem Herrn Urgroßvater erst in Puerto Principe auf Cuba in Bekanntschaft. Sie konnten beide nichts dafür, es sprachen damals auch Geschäftsrücksichten mit, aber, wahrhaftig, bloß die des kreolischen Pflanzers. Nun, ich will dem gelben Schurken heut ein gut Jahrhundert später keinen bösen Leumund darum machen, zumal – heut heute, schönes, junges, gnädiges Fräulein; denn mir gefällt die Welt heute recht sehr, recht sehr! Ich meines Teils habe bis dato noch immer mein Vergnügen drin gefunden.«

 


 


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