Wilhelm Raabe
Meister Autor oder Die Geschichten vom versunkenen Garten
Wilhelm Raabe

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Neuntes Kapitel.

Wir standen noch einen Augenblick um die Stange des Stadterweiterungsplanes her, und dann wendeten wir uns alle ab und dem Hause zu. Um zu demselben zu gelangen, mußten wir das gleichfalls mit einem bemoosten Rande von Sandstein eingefaßte Wasserbecken umschreiten.

»Das Ding hat eine merkwürdige Tiefe,« sagte Signor Ceretto. »Mynheer und ich haben es ausgemessen. Der Grund ist weit hinabwärts versumpft und verschlammt; ob man allerlei Andenken aus der alten Zeit finden wird, wenn das Bauamt den Fleck trockenlegt, kann ich nicht sagen. Es hat aber vieles und wunderliches Menschenvolk hier im Hause gewohnt.«

Hier im Hause! Wir standen jetzt vor dem Hause, in welchem zuletzt Mynheer van Kunemund gewohnt hatte, und welches jetzt dem Trudchen Tofote als Eigentum zugefallen war.

»Zu seiner Zeit war es, trotzdem daß es nicht sehr groß ist, ein Wunderwerk,« meinte der schwarze Gartenhüter. Und wahrlich, ein Wunderwerk war es auch heute noch, und vielleicht grade heute mehr denn je.

»Oh!« rief Gertrude Tofote, nach der Hand des Meisters Autor greifend, aber sie sofort fallen lassend, um die breiten Steintritte, die sich an der ganzen Vorderseite des Gebäudes herzogen, hinaufzueilen. Und wäre jetzt aus der Glastür in der Mitte der Erbauer im Brokatrock mit der Allongeperücke und dem zierlichen Degen, den dreieckigen Hut unter dem Arme, hervortreten, um sich mit der ganzen feierlichen Zierlichkeit des Jahres Siebenzehnhundert über ihre Hand zu neigen und das schöne Kind in sein Besitztum einzuführen, – niemand von uns andern, die wir noch auf dem heißen gelben Sande vor den breiten Treppenstufen standen, würde einen außergewöhnlichen Schauder darob verspürt haben.

»In der Umgegend von Batavia trifft man auch solche kuriose alte Gartenhäuser,« sagte der Matrose. »Aber sie versinken allmählich im Sumpfe.«

»Ruppig aber wunderschön!« rief der Meister Autor. »Und das wollen sie auch wegbrechen, ihrer dummen Straße wegen?«

»Das erst recht, Herr Kunemund. Ich meine doch, es hat lange genug gestanden,« sägte Ceretto, »aber die Herrschaften sehen, die junge Herrin wird ungeduldig – gehen wir hinein; inwendig ist's noch viel absonderlicher, und wir haben gleichfalls das Unsrige geleistet, um die Wirtschaft für das gnädige schöne Fräulein so bunt als möglich herzurichten. O, darauf verstanden wir uns: ich und der selige Herr. Wir haben beide, jeder in seiner Art, die Welt danach abgegraset.«

Wir erstiegen nun auch die breiten Steinstufen zwischen den beiden verwitterten Sphinxen und standen vor der schon erwähnten Glastür und den fast bis auf den Boden herabreichenden Fenstern des Hauses.

An der Türe erwies sich der wunderliche Führer aber nochmals als ein für seine Aufgabe vollkommen passender Mann.

Mit einem lächelnden Blick auf Getrude deutete er nochmal zurück auf den Garten, – die Blumen, den ausgewucherten Taxus, das sonstige Gebüsch und die mannigfachen Bildwerke, die aus dem Grünen hervorsahen: Blumenkörbe tragende Nymphen, Pansflötenbläser und bausbackige Kinderfiguren.

»Sie haben alle gewartet!« sagte er. »Sie haben auf das Fräulein gewartet. Sie haben sich gelangweilt über hundert Jahre.«

»Das glaube ich!« brummte der Leichtmatrose Karl Schaake. »Es war zwar sehr freundlich von ihnen, aber nötig war's nicht. Was haben sie mit dem Trudchen zu schaffen, die lächerlichen alten Galionbilder? . . . Nichts!«

»So?!« sagte der Meister Autor Kunemund. »Hast du deshalb dem Kerl da einen solchen grimmigen Nasenstüber versetzt, Karl?«

Und er zeigte auf einen mit einem kaum noch erkennbaren Bogen bewaffneten knieenden Amor unter einem Rosengebüsch, gerade der Eingangstür des Hauses und dem im Sonnenlicht glitzernden Wasserbecken gegenüber. Sicherlich wußte Herr Autor durchaus nicht, wie fein er sich durch sein Wort und seine Handbewegung erwies. –

 


 


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