Wilhelm Raabe
Meister Autor oder Die Geschichten vom versunkenen Garten
Wilhelm Raabe

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Neunzehntes Kapitel.

Ich ließ mich erkundigen, wie es dem Steuermann Schaake gehe und erhielt die Antwort: Schlecht! – Er liege im argen Fieber, berichtete mein Bote, – er spreche das tollste Zeug und halte sich meistens auf dem Wasser auf.

Mein Bote selber hatte ihn, von der Tür aus, reden hören.

»Es wird einem ganz schwindlig dabei zumute«, sagte er. Der alte Hafenkapitän aber hatte geweint und ließ sagen: wenn es mir möglich wäre, so würde es ein Trost im Hofe sein, wenn ich noch einmal im Laufe des Tages vorsprechen wolle.

Ich ging am Nachmittage und ging ebenfalls aus der »langweiligen Dasselbigkeit des Daseins«, aus der Trivialität der Werkeltagswelt und des Alltagslebens hinaus auf die hohe – hohe See.

Und sie kamen in langgezogenen weich-gewaltig sich rundenden und majestätisch vornüberbrechenden Wogen heran, die großen Wasser. Sie wälzten sich eine nach der andern her gegen das Ufer jener Dasselbigkeit, von der Marina spricht; aber es war eine Täuschung, daß die Wellen den, der sich in sie eintauchte, freudiger und lustiger an diesen langweiligen Strand zurückbringen würden. Die bittern Wasser zogen dem Lebendigen die Füße vom Boden weg, hoben und trugen ihn – aber sie spielten mit ihm; nicht er mit ihnen! – nur die Leichen und Trümmer kamen zurück an den Strand.

Es war heiß in den Gassen der Stadt, aber kühl in dem dunkeln mittelalterlichen Hofe, in welchem der Steuermann von der See träumte. Ich saß am Bette des fiebernden Kranken zu Häupten, die Muhme zu Füßen, und sie, die dem braven Schiffsmann so oft seinen guten, sichern, behaglichen Ankerplatz hinter dem Hafendamm angewiesen hatte, sie hatte die Schürze über den Kopf gezogen und den Mut verloren.

Es hatte sich in der Tat mit dem armen Karl verschlimmert. Die Ärzte sagten das, was sie zu sagen hatten, mit dem bekannten gedämpften Tone. Sie hatten wenig Aussicht, ihren Patienten am Leben zu erhalten und gestatteten sich bereits vor der Tür die Bemerkung, daß dieser Mann von Rechts wegen eigentlich nicht auf dem Lande und zwar so tief im Binnenlande hätte begraben werden sollen. Es war eine naheliegende Bemerkung. –

Der Verwundete erkannte mich noch; er hatte mir die heiße Hand entgegengestreckt und gerufen:

»Das ist schön! Nun was sagen Sie aber? das Schiff ist klariert bei Zoll- und Hafenbehörde; – alles fertig – mit der Ebbe seewärts, und – hoffe, Maat, daß Sie nicht ausspucken werden, wie ein Chinese, wenn er eine Sternschnuppe sieht.«

Ich sagte natürlich etwas Angemessenes; aber der Kranke, von einer neuen Welle weiter von mir weggezogen, schüttelte heftig den Kopf:

»Da! ich sagte es doch, – steif aus Norden. Leichte Segel fest! da haben wir's – große Royalrah zum Teufel. Wie gut, daß sie es so gut am Lande, im Walde hat, – wenn ich nur des Alten Hunde noch einmal in der Ferne hinter den Büschen anschlagen hören könnte! . . Was? . . und das schon die Berge von Ceylon? . . . eben klarste Kimmung und bezogene Luft im Augenblicke drauf! Der Teufel werde klug aus dem Wetter, daß man den Wald vor Bäumen nicht sieht, wie der Meister Autor sagt.«

Nun erkannte er mich wieder und rief, das letzte Wort aus seinen Phantasien mithernehmend:

»Es ist doch schön im Walde, in dem alten Hause bei dem Tofote – man muß die See befahren haben, um das auszufinden. Ay, Sir, aber Gertrud – unser Trudchen, unser Trudchen, kennen Sie unser Trudchen Tofote? Sie haben mir gesagt, der Herr Förster sei gestorben; aber das ist bloß der Nebel auf dem Meer – die bezogene Luft – sehen Sie, Kapitän, wie ich es gesagt habe – gegen Abend schönes Wetter, abnehmender Seegang, leichte ebene Brise und – da stehen wir dicht unter der Küste von Travancore, es wird sich schon machen, Supercargo, daß wir auch Arabien noch einmal im Mondschein liegen sehen.«

»Nun hören Sie ihn nur! Haben Sie ihn gehört?« flüsterte die Muhme Schaake in einer Pause, während welcher der Kranke unruhig hinschlummerte. Ich aber nahm jetzt die Hand der Greisin und hielt sie stumm fest; der Kranke fing bald wieder an, von neuem zu reden.

»In Arabien erzählt man Geschichten; die Bücher von den tausend Nächten sind daher, sagt man. Damn, die Korallenbänke und blinden Klippen! die ganze Küste von Aden soll zur Hölle fahren! Nicht wahr, Herr, die Gertrud kommt so her wie aus dem arabischen Märchen und – Mynheer – van Kunemund auch; – wir gingen alle in den schönen Garten – Schiff glatt vor dem Winde unter beiden Marssegeln, und wäre der Stein der Abnahme nicht gewesen, so hätt' mir kein größerer Spaß widerfahren können. Hab' ich's nicht gesagt, Kapitän? von Aden an Sturm, – da haben wir's, und das Kajütendeck fängt sofort an zu lecken – warmes Regenwasser in den Grog – und da – Bab el Mandeb – das Tor des Todes! . . .ich wollte, wir säßen sicher auf dem Lande und wär's auch bei Dscheddah in der Wüste auf Mutter Evas Grabe!«

»Das muß man nun anhören!« klagte die Muhme Schaake. »Von Mutter Evas Grabe hat er die letzten Tage durch alle Augenblicke angefangen zu sprechen. Er muß wohl einmal dagewesen sein; – o lieber Herr, manchmal hat er während der letzten Tage fürchterlich auf die Weiber geschimpft, der arme Junge. Ich habe es ihm für meine Part nicht übelgenommen, von mir mochte er sagen, was er wollte; aber er muß uns auch wohl von allen Farben gesehen haben – schwarz und gelb und braun – von den melierten und den weißen gar nicht zu reden.«

Der Kranke lachte jetzt in seinem Fieber; es mußte doch wohl etwas von den Worten der Greisin sich in seinem Bewußtsein festgehäkelt haben; er sprach aber weiter nichts, sondern fiel in einen etwas festern Schlummer.

»Es wäre arg gewesen, Frau Schaake, wenn er von Ihnen etwas Böses hätte sagen wollen,« bemerkte ich, jedoch ein wenig zerstreut, denn – bei Mutter Evas Grabe, ich sah plötzlich die Hexe vor mir – ja die Hexe im Märchen – hübsch, jung, wohlhabend und lebensfroh, und ich dachte daran, daß sie mich auf morgen abend zum Tee eingeladen, und daß ich dem Zaubermohr Signor Ceretto Wichselmeyer aus Bremen versprochen habe, zu kommen.

Eine ziemliche Zeit saßen wir einander nun stumm gegenüber, die alte Frau und ich, und horchten den keuchenden Atemzügen des Verwundeten. Dann flüsterte die Greisin:

»Und den Kunemund versteh' ich doch nicht. Jetzt müßte er doch Ihren Brief längst erhalten haben.«

Ich konnte nur die Achseln zucken:

»Man weiß eben nie, was anderen Leuten passierte, während das Schicksal einem selber in das Nackenhaar griff. Wenn der Meister morgen nicht kommt, werde ich zu ihm gehen.«

»Oh, Herr, wenn Sie das tun wollten!« rief die Alte. »Sie verdienten sich einen Gotteslohn an uns. Wenn einer dem armen Karl noch ein gutes Wort sagen könnte, so ist das der Autor Kunemund. Nach uns Weibern hat der Junge von keinem Menschen soviel in seiner Abwesenheit gesprochen, als von dem Kunemund. Sehen Sie, es ist so gut von Ihnen, daß Sie doch ganz von selber darauf gekommen sind, – von meiner Seite wäre es zu unverschämt gewesen, Sie darum anzugehen.«

Ich wies diese gute Meinung natürlich mit Wort und Gestus weit von mir.

»Dick mit Regen! wenn es gegen Abend nicht abklart, kriegen wir eine harte Sturmböe dicht vor dem Ankerplatz; – werden uns dem Hafenmeister mit allen Segeln in Fetzen präsentieren!« rief der Steuermann, und die Alte mit dem Schürzenzipfel wieder vor den strömenden blauen Wunderaugen flüsterte:

»Da spricht er wieder von mir! O Gott, zu solchem Elend so alt werden zu müssen!«

Ich ging bald, und saß den Abend noch eine Stunde im Theater und sah den geharnischten Geist des alten Dänemark über die Bretter schreiten, hörte das: Sein oder Nichtsein – sah die Komödie in der Komödie, aber sie spielten und sprachen alle mit falschem Pathos und verrenkten Gliedmaßen, und die ganze Geschichte kam mir entsetzlich einfältig vor. Wer hebt die Gärten, die uns versinken, wieder herauf aus der Tiefe? –

 


 


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