J. L. Pyrker
Lieder der Sehnsucht nach den Alpen
J. L. Pyrker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12. Sonnenaufgang auf der Alpe.

                          Vorabend ist's der hehren Sonnenwende
    Nach kurzer Nacht des längsten Tag's im Jahr.
Johannes Feuer brannten sonder Ende
    Auf jeder Kupp', auf jedem Gletscher-Kar.
Ich forscht', ob ich ein Ruheplätzchen fände?
    Die Alpenhütte both es freundlich dar;
Dort hatt' ich es auf duft'gem Heu gefunden,
In zween nach Mitternacht entfloh'nen Stunden.

Dann eilt' ich fort, – hinaus zum Alpenrande,
    Der sich empor aus tiefen Schluchten thürmt.
So wie das Meer aufwogt am Felsenstrande,
    Von dem der Leuchtthurm, wenn der Nordwind stürmt,
Die Schiffenden, so sehr die Hochfluth brande,
    Des Nachts vor dräuender Gefahr beschirmt:
So sieht man dort die Hügeln auf sich heben,
Die von dem Meer ein treues Abbild geben.

Noch lag die Nacht auf Berg und Thal verbreitet,
    Noch starrt das Auge ungewiß umher;
Nun schwebt ein Licht, das immer mehr sich weitet,
    Empor, und heller wird es immer mehr.
Der Schleier, der die Höh'n verhüllte, gleitet
    In's Thal, und legt sich dort, als Nebel, schwer,
Auf Thürme, Hütten, Flüßchen, Teich' und Seen,
Die noch der Blick nicht deutlich kann erspähen.

Jetzt flüstert leise in des Waldes Zweigen
    Der zartbeschwingte, kühle Morgenwind;
Dem hellen Streif wird Rosenglut zu Eigen;
    Sie dehnt sich weit hinüber, pfeilgeschwind,
Bis endlich auf- die lichten Wölkchen steigen,
    Die dort die Herolde der Sonne sind,
Im Feld und Hain der Vögel Sang ertönet,
Und Berg und Thal von Freudelauten drönet.

Seht hin – seht hin, nun schwebt empor die Hehre!
    Die breite Scheibe glüht noch dunkelroth,
Und als ob Himmelsharmonie es wäre,
    War das, was jetzt ein Jägerhorn mir both:
Vom Wald her kam es, wie aus höherer Sphäre –
    Ich war entzückt, entseelt, im Wonnetod
Hoch auf zu jenem Sternenreich da oben,
Auf Fittigen der ew'gen Lieb erhoben.

Die Welt war rings erneut, in Licht gekleidet;
    Die Nebel schwanden aus dem tiefsten Thal:
All das, woran mein trunknes Aug sich weidet,
    Und was mein Ohr erfüllt mit Jubelschall,
Ist wohl, um was mich der mit Recht beneidet,
    Der also nie aufjauchzte mit dem All –
Im Dankgefühl auf beide Knie' gefallen . . . !
Es war ein Anblick – herrlich über Allen!


 << zurück weiter >>