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Ein Scheck

Vier Habitués des Spielsaales plauderten gemächlich miteinander, die Füße auf das Kamingitter gestemmt, während im Kamin langsam das Herbstfeuer erlosch.

Sie warteten auf den Diener, der jeden Augenblick auf seinen dicken, weißen Waden durch den Saal kommen mußte, um die Herren zum Essen zu bitten. Unterdessen unterhielten sie sich träge, wie das überflüssige Feuer im Kamin – über gleichgültige Dinge, wie's im Klub Mode ist, wo Fragen und Antworten nicht gerade viel Nachdenken erfordern, sich aber immerhin mit einem Schimmer von mondäner Philosophie zu schmücken wissen und mit angenehmer Eleganz vorgebracht werden. Sie sprachen von den Beziehungen der modernen Liebe zum Gelde. Und die Ansichten, die in neuen Theaterstücken und Romanen darüber vertreten worden waren, waren nacheinander so methodisch wie Whistkarten hingeworfen worden, als auf einmal ein zu gut gekleideter Herr mit einem Gesicht von der Farbe einer unreifen Zitrone, der das j und das ü besonders weich aussprach, das Wort ergriff:

»Ich bin ganz Ihrer Meinung. Das Geld beschmutzt die Liebe. Es demoralisiert die Frauen, es verhindert die Entfaltung natürlicher Sympathien. Alle anständigen Menschen sollten eine Liga gegen den schmachvollen Brauch bilden, ein Geschäft aus der Liebe zu machen. Jeder, der dieser Liga beitritt, müßte sich verpflichten, niemals eine Frau aus der Gesellschaft durch das Angebot von Geld zu beleidigen, und jede Frau, die die Stirn hat, Geld zu verlangen, zu boykottieren.«

»Aber,« bemerkte der dicke Wechselagent, »es kommen Fälle vor ...«

»Ein Mann von Ehre versteht da einen Unterschied zu machen,« unterbrach ihn der Fremde. »Aber man ist schließlich auch verpflichtet, von Zeit zu Zeit einmal so einer unverschämten kleinen Person, die die Sitten der Halbwelt in die Gesellschaft einzuführen versucht, einen Denkzettel zu geben. Ich zum Beispiel ...«

Alle Augen und Stirnen erhoben sich in der Erwartung einer Anekdote.

»Ich zum Beispiel hatte neulich Gelegenheit, eine von diesen Damen zu behandeln, wie sich's gehört. Es war die Frau eines meiner Freunde. Kaum drei Jahre verheiratet. Aber Toiletten, ein großes Haus, Gesellschaften! ... Kurz, gänzlich wahnsinnige Ausgaben, so daß die Leute schon lange sagen: ›Die kleine N. N. ist verrückt ... Sie stürzt sich in Schulden!‹ Die kleine N. N. ist wirklich tief in Schulden geraten; aber verrückt ist sie durchaus nicht: sie weiß, daß sie für den Tag des Krachs eine ergiebigere Hilfsquelle als ihre Mitgift und das Einkommen ihres Mannes besitzt ... Ruhig, unter der Maske der ehrbaren Hausfrau, wirft sie ihre Netze aus.

Die junge Frau meines Freundes tat mir die Ehre an, ihre Netze nach mir auszuwerfen. Ich habe in den letzten Monaten hier im Klub viel Glück gehabt. Sie wußte das. Sie gratulierte mir von Zeit zu Zeit dazu und fragte mich dabei geschickt aus. Sie wollte nicht hineinfallen.

Eines Abends, als ich bei ihnen diniert hatte, nahm sie mich beiseite. Sie fragte mich, ob sie mir gefalle. Ich sagte aus Höflichkeit ja. Sie fragte immer wieder. Ich sagte immer wieder ja. Sie schien befriedigt zu sein.

›Warum aber machen Sie mir denn eigentlich nicht den Hof?‹

›Weil ich die Frauen meiner Freunde respektiere,‹ antwortete ich.

›Aber doch nur bis zu dem Tage wohl, wo es Ihnen selber besser paßt, nicht mehr respektiert zu werden?‹

›Sie haben's erraten. Meine Tugend hat ihre Grenzen, und auch darin soll man nichts übertreiben.‹

Sie lächelte, dachte einige Augenblicke nach und gab dann ganz unvermittelt folgenden Satz von sich, der mich trotz meiner guten Bekanntschaft mit dem Leben und den Frauen doch einigermaßen überraschte.

›So kann ich also an Sie denken, wenn ich eines schönen Tages 'mal einen Scheck nötig habe?‹

›Ich werde ihnen von Herzen dankbar dafür sein,‹ antwortete ich.

›Also abgemacht,‹ sagte sie.

Sie erhob sich, lächelte mich beim Fortgehn mit Mund und Augen an, – und setzte sich neben eine alte Dame von hohem Rang, die die Zierde und der Glanz der Tafel gewesen war.

Ich muß gestehen, ich hielt dieses Gespräch und den Vorschlag, den sie mir zum Schluß gemacht hatte, für ein leichtfertiges Spiel mit Worten, ohne Bedeutung und ohne praktischen Zweck. Ich dachte schon nicht mehr an die Geschichte, als ich in der Woche darauf ein Stadttelegramm bekam, das ganz unbefangen mit dem Namen der jungen Frau unterzeichnet war.

Ich las:

›Morgen, Donnerstag, um drei Uhr werde ich zu Ihnen kommen, um mir den Scheck zu holen. – Lucy.‹

Was hätten Sie an meiner Stelle getan? Einfach die Tür verschließen? ... Das wäre sehr grob gewesen. Ihr den Scheck ohne Gegenforderung zuschicken? ... Das wäre dumm gewesen ... Meinem Freunde Mitteilung machen? ... Ein Ehrenmann respektiert die Geheimnisse einer Frau, welcher Art sie auch sein mögen. Der Zufall gab mir ein Verfahren ein, das der Dame eine heilsame Lehre sein mußte und mich doch in ihren Augen weder als dumm noch als fanatischen Moralisten erscheinen lassen konnte.

In dem Augenblick, wo mir das Stadttelegramm gebracht wurde, lag zufällig gerade ein Scheck auf meinem Tisch ... ein Scheck über ungefähr zweihundert Louis, zahlbar an den Überbringer ... es war ein Scheck auf die River Plate Bank ... Ich hatte ihn aus meiner Heimat zugeschickt bekommen. Dieser Scheck war durchaus in Ordnung und glich in jedem Punkt allen anderen Schecks derselben Bank, er war vom Absender richtig datiert, ausgefüllt und unterzeichnet. Nur zog sich quer durch die Mitte ein kleines durchbrochenes Muster, ein einfaches Wort, das hineingelocht war, es hieß:

Duplicata

Sie wissen wohl, meine Herren, daß es Sitte ist, Schecks, die über See gehen, doppelt auszufertigen und die beiden Exemplare mit verschiedenen Schiffen abzusenden, um Verzögerungen und Verluste zu verhindern.«

»Ja, das stimmt,« sagte der Wechselagent.

»Darauf baute ich meinen Plan. Ich bereitete am andern Tage alles zum Empfang der jungen Frau vor. Sie kam ganz präzise zur angegebenen Stunde. Das erste, was ich tat, war, daß ich ihr den Scheck gab. Sie hüpfte vor Freude wie ein kleines Mädchen, das ein Spielzeug geschenkt bekommt. Sie ließ sich erklären, wo und wie sie die Summe erheben könnte. Darauf barg sie den Scheck in ihrem Portefeuille und war zwei Stunden lang reizend zu mir ... Wir schieden als die besten Freunde der Welt, ohne ein neues Rendezvous zu verabreden, aber wir sagten uns: Auf Wiedersehn! ...«

Der Erzähler verstummte, als seine Geschichte zu Ende. Aber er mußte auf den Gesichtern seiner Zuhörer so etwas wie Unruhe und Unsicherheit lesen, denn er fügte hinzu:

»Ich hatte den Original-Scheck, wohlverstanden, schon vor vierzehn Tagen eingelöst.«

In diesem Augenblick ging der Diener durch den Saal und sagte mit vernehmlicher und dennoch diskreter Stimme:

»Bitte die Herren zu Tisch.«

Alle erhoben sich. Der fremde Herr und der Wechselagent gingen voran. Ihre beiden Klubgenossen folgten ihnen in einigem Abstand.

»Dieser Herr ist ein angenehmer Plauderer,« sagte einer von diesen beiden mit halblauter Stimme, »ist er schon lange im Klub?«

»Sechs Monate, glaube ich ...«

»Wirklich! ... Wer hat ihn eingeführt?«

»Oh, Bürgen, die über jeden Zweifel erhaben sind,« antwortete der andere.

Und der Diener mit den dicken, weißen Waden, der, als sie vorübergingen, seinen atlasglänzenden Bauch einzuziehen suchte, hörte die Namen der Herren, die jenen eingeführt hatten:

»Der Marquis von Soundso ... Don Alonzo Soundso ...« usw.

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