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Der Unruhige

Was habe ich aus meinem Leben gemacht?« sagte Joris zu mir. »Welches Schicksal hat alles, was gleich Glückverheißungen in mir erklang, in Unruhe und Elend verwandelt? ... Rund um mich ist völlige Nacht: ich weiß nicht mehr, was ich nur wünsche; was ich fürchte, hat keinen Namen. Ich fürchte mich vor einem Gedanken, den ich selbst erregt habe. Ich gleiche jenem Zauberlehrling, der Geister um sich heraufbeschworen und das Wort vergessen hat, das sie wieder ins Nichts bannt ...

Dennoch habe ich das Glück mit allen meinen Sinnen gefühlt, oder doch wenigstens etwas wie eine Art lebhafte Freude. Sie hat meinen Geist mit ihren Strahlen gewärmt, und ohne Zögern konnte ich sagen: ›Ich bin glücklich.‹ Ich habe die Freude gekannt, die Kinder an ihren Spielsachen haben, und bei der das Bewußtsein mitspricht, daß es auch eine Freude ist, diese Spielsachen entzweizumachen. So habe ich mit der Liebe der Frauen gespielt, ich habe ihre Liebkosungen genossen und mich dabei im voraus schon wieder auf die Freiheit meines Herzens gefreut, die ich jederzeit wieder gewinnen konnte. Jetzt aber hat dieses Herz leiden gelernt, mit Entsetzen denke ich an all das Unheil zurück, das ich im sorglosen Egoismus meiner ersten Jugend angerichtet habe. War ich schuldig? Ich wußte ja nicht, daß man so leiden kann? ... Ich meinte, die Liebe und die Lüge verbänden sich wunderbar, um mein Leben zu verschönen. Täuschungen, wo es sich um sentimentale Abenteuer handelte, dies Wort hatte für mich einen hübschen, zierlichen Sinn, der sehr verschieden von dem des gemeinen Synonyms: ›Lügen‹ war.

Aber der ungesunde Same, den ich gleichgültig ausgestreut habe, hat gekeimt und ist geheimnisvoll gewachsen. Aus ihm ist der Baum der Lüge erstanden, dessen schwerer Schatten mich jetzt verfinstert und bedrückt.

... Ich war achtundzwanzig Jahre alt, als Germaine mir zuerst begegnete. Mein jugendlicher Egoismus war der unbegrenzten Freiheit des Junggesellentums schon satt und suchte in der Ehe einen neuen Reiz für weitere Abenteuer mit mehr Bequemlichkeit und mehr gesellschaftlicher Bedeutung.

Die Frauen – brauche ich's dir erst zu sagen? – flößten mir alle ein tiefes Mißtrauen ein: aber da ich eine Schwester hatte, die ich liebte und die mir die Reinheit selber zu sein schien, wagte ich noch an die Unschuld einiger junger Mädchen zu glauben. Germaine gewann mich noch mehr durch ihre Unschuld als durch ihre Schönheit. Sie war aus einer ausgezeichneten, wenn auch halb verarmten Familie. Ich war oft bei ihren Eltern, die schon seit langen Jahren mit meinen Eltern bekannt waren; ich eroberte das schutzlose Kind mit der Geschicklichkeit, die einem ein ausschweifendes Leben verleiht. Bald konnte ich nicht mehr daran zweifeln, daß Germaine mir ihr Herz geschenkt hatte.

Ich beschloß jedoch, sie noch einer letzten Prüfung zu unterziehen, bevor ich sie heiratete.

Eines Tages, als ich mit ihr allein war, ihre Hände in meinen hielt und ihr tief in die Augen sah, hatte ich den häßlichen Mut, zu ihr zu sagen:

›Germaine, ich liebe Sie. Wenn mein Leben frei wäre, würde ich Ihre Eltern um Ihre Hand bitten ...‹

Ihr schwanden schon die Sinne ... Ihr Kopf sank auf meine Schulter. Ich richtete sie sanft auf:

›Germaine, ich kann Sie nicht heiraten. Mein Leben ist an das Leben einer andern Frau gekettet, und ich darf diese Bande nicht lösen. Aber ich liebe Sie und werde Sie immer lieben. Wollen Sie mein sein? ...‹

Sie antwortete unter Tränen, die still aus ihren Augen flossen:

›Lieber Freund, ich gehöre Ihnen ... Aber da ich Ihre Frau nicht sein kann, wodurch könnte ich dann beweisen, daß ich Ihnen gehöre?‹

Ich sah wohl, daß die Unschuld ihres Herzens ihr diese Worte eingab.

Und denke dir, ich war so niederträchtig, dies Kind als meine Braut zu behandeln, obgleich ich ihr sagte, sie könnte niemals meine Braut oder meine Frau werden. Wie hätte sie mir widerstehen können? Sie liebte mich. Wenn sich ab und zu doch die Stimme des Gewissens in mir regte, brachte ich sie zum Schweigen, indem ich mir sagte: ›Was tut das, da ich ja doch den festen Willen habe, Germaine zu heiraten? Da es nur eine Probe ist, da die Geschichte von meiner Liaison erlogen ist? ...‹ Und wirklich war alles nur ausgedacht. Ich fand dies Mittel, das ich anwandte, um zu erkennen, ob Germaine mich liebte, durchaus erlaubt und sogar genial; denn die Gefährlichkeit der Ehe, sagte ich mir, liegt darin, daß das junge Mädchen, so ehrlich und aufrichtig es auch sein mag, oft selbst nicht weiß, ob sie den Mann, den sie heiratet, auch wirklich liebt ... Sie liebt den legitimen Bewerber, die gesicherte Position, die Mutterschaft, die ihr in Aussicht gestellt wird. Ich aber wollte wie ein Geliebter geliebt werden. Und ich war stolz auf meine Geschicklichkeit, als Germaine, verliebt und verzweifelt, wie sie war, mir versprochen hatte, mir zu folgen, wohin es auch sei, und meine heimliche Geliebte zu sein, solange ich es wollte.

Am Morgen nach dem Tage, wo ich dies Versprechen ihren fieberheißen Lippen entrissen hatte, die jetzt den Sinn der Worte, die sie sprachen, kannten, suchte ich sie auf. Sie glaubte, ich käme, um ihr mitzuteilen, was für einen Fluchtplan ich entworfen hätte. Ich aber sagte ihr:

›Germaine, ich bringe Ihnen eine glückliche Neuigkeit. Ich habe die Verbindung, die mein Leben belastete, gelöst. Ich bin frei. Wollen Sie meine Frau werden?‹

*

Wenn es einen Lohn für die Lüge gibt, so habe ich ihn empfangen. Stelle dir die Frau – und die Geliebte – vor, die im ersten Jahre meiner Ehe gleichzeitig dies anbetungswürdige Kind für mich war; ihre Reinheit, die meine Liebkosungen mit Absicht getrübt hatten, erstand in der Ehe wieder ... Wir kannten wirklich keine jener Banalitäten, die ich im legitimen Besitz befürchtet hatte: Germaine betete mich sogar um der Leiden willen an, die sie durch mich erduldet hatte, um der Gewissensbisse und Tränen willen, die ich ihr gekostet hatte ... Und sie vergötterte mich auch deshalb, weil ich ihre verzweifelte Seele so plötzlich mit überraschendem, unermeßlichem Glück überschüttet hatte.

Ja, wir waren glücklich. So glücklich, daß das Zusammenleben mit dieser Frau mich unmerklich verwandelte, mir ein neues Herz gab. Meine unschuldige Genossin lehrte mich lieben ... Mein Egoismus schmolz an der zärtlichen Glut ihrer Selbstlosigkeit. Ich wurde besser; ich ahnte ein höheres Glück; aber zugleich erwuchs in mir die Fähigkeit, zu leiden, die mir früher gefehlt hatte. Ich merkte es nicht gleich, denn ich war glücklich. Jetzt, wo ich unglücklich bin, fühle ich wohl, daß ich nie so unglücklich sein könnte, wäre ich der Mann von einst geblieben, der ich vor meiner Heirat war.

Ich bin unglücklich, und doch bin ich reich, gesund und liebe meine Frau, die mich auch über alles und ungeteilt liebt. Was mich elend macht, kommt weder von ihr noch von mir: es ist keine Eifersucht, denn man kann auf sich selbst nicht eifersüchtig sein, nicht eifersüchtig auf das, was man gewesen ist ... Diese Angst ohne Grund und ohne Namen ist mir ganz unmerklich gekommen; ich kann kein Datum, keine Tatsache anführen ... Die Angst war zuerst unbestimmt wie das Jucken eines Geschwürs, das erst im Entstehen begriffen ist; dann war das Geschwür auf einmal da und jetzt frißt es unablässig am Patienten. Ich bin schweigsam und verdrießlich geworden. Ich fürchte, wahnsinnig zu werden oder zum Selbstmord zu kommen ... Germaine, die mich voll Schmerz beobachtet, ist unglücklich, sie ist außer sich und versucht vergeblich, mich zu beruhigen oder zu zerstreuen. Sie begreift nicht, wie der Mann, den sie vergöttert, und dessen heftige Liebe nicht kälter geworden ist, ihr ein so trauriges Gesicht zeigen, eine so gemarterte Seele haben kann ... Sie sucht es durch Zärtlichkeiten und durch Tränen zu ergründen ... Ich antworte ihr nicht, ich kann ihr nicht antworten ...

Wie soll ich's dir klar machen, daß die Lüge von einst an mir zehrt ... Daß ich Qualen ausstehe, wenn ich daran denke, daß sie fast die Geliebte eines Mannes geworden wäre, daß ihr Fall damals nur von der Gnade eines Mannes abhing? ... Dieser Mann war ich selbst, ich weiß es ja ... Aber ganz einerlei. Ich war es, und doch war es ein anderer. Ein liederlicher Egoist, ein versuchslüsterner Lebemann, ein Verächter der Frau ... In einen solchen Mann war sie verliebt; so einem hätte sie beinah' ihre Keuschheit geopfert, so einem ihre Liebe ohne Entgelt geschenkt, nur aus Freude, in seinen Armen zu liegen ... Und die Geliebte dieses Banditen ist jetzt meine Frau! Und sie kann es nicht fassen, weshalb ich sie zuweilen mit brutalem Grausen zurückstoße, wenn sie mir ihren Mund entgegenhebt und ›mein liebster Mann!‹ zu mir sagt.« –

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