Paula von Preradović
Pave und Pero
Paula von Preradović

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Ewig rauschen die Wasser um Lukoran

Ewig rauschen die Wasser um Lukoran . . .

Du magst wiederkehren, von wo immer du willst. Du magst auf riesigen neuen Dampfern durch fremdes Meer gefahren sein und in fernsten Ländern gewohnt haben; du magst Geld aufgestapelt und Ruhm geerntet oder all das deine eingebüßt haben. Viel Zeit mag vergangen, dein Haar mag grau und dein Angesicht runzlig geworden sein. Draußen in der Welt mögen sie Städte erbaut und Reiche zertrümmert haben. Auf den Inselrücken hier aber wird Ginster und Thymian wachsen wie vor alters, hinter ihren Hirten werden Schafe über die scharf riechenden Hügel ziehen, und auf verborgenen Klippen werden Möwen ihre Nester haben, die niemand kennt. Schmetterlinge werden den Oleander umtaumeln, aus der brüchigen Mauer wird lang und braun die Schlange sich winden, um auf einem Bett von abgefallenen Föhrennadeln zu liegen und ihr kühles Blut zu wärmen. Durch die blaue Meerflut aber, so weit unten, daß sie schwarz ist vor Tiefe, werden große silberne Fische mit bösen Gesichtern leise dahinschwimmen, und vom kräftigen Stoß ihrer Rückenflosse werden Blasen zitternd aufsteigen und in der grünlichen Finsternis zergehen.

Gischtig wird die Brandung aufspritzen, wenn der wilde Wind aus Südwesten kommt, scharf und kalt wird die Bora vom Gebirge niederfahren, grau und schleimig-feucht werden Meer und Insel in der Schirokkoluft liegen.

Wenn aber Maëstral weht an einem Junitag, dann wird er dein Boot froh und blitzschnell über den Meeresarm treiben, und mag dein Herz auch noch so schwer sein. Die weiße Stadt wird hinter dir zurückbleiben, 380 kaum daß du dich dessen versiehst, die Peilungen, die den halben Weg bezeichnen, werden im blauen Meeresdunst an dir vorbeifliegen, und das Boot wird früher, als es dir lieb ist, in den kleinen runden Hafen einlaufen. Denn die lange fortgewesen sind, fürchten die Wiederkehr. –

Pero sprang aus dem Boot und ging über den Molo auf das Haus zu. Mit sehnsüchtiger Angst hatte er seit seiner Ankunft in Zara auf den Tag gewartet, da er hier an Land gehen und dies weiße Gemäuer wiedersehen würde, das ihm der Inbegriff seiner glücklichsten Tage war. Aber beim ersten Blick schon, den er auf das einstöckig am Ufer hingestreckte Gebäude und die sein rotes Ziegeldach von rückwärts überragenden Bäume getan hatte, war es ihm, als dem Dichter, der er war, schmerzlich klar geworden, daß wir von Anfang an alles in uns tragen und nirgendwo etwas finden, wir hätten es denn selber hingebracht.

Hatte er gewähnt, wieder als der lodernde Jüngling von einst in diese Tür eingehen zu dürfen, als der Dichter, der seine junge Liebe und das erwachende Vaterland feurig und hoffnungsselig besungen hatte, in Liedern, die klangen wie die Lieder von Lerchen?

Hatte er gedacht, Pave, die nun tot war, würde ihm hier entgegentreten, wolkenzart in rosenfarbenem Kleide? Würde das Türchen öffnen und ihn in den Schatten des Gartens rufen?

Das Haus sah Pero abweisend an, fremd und seelenlos lag es in der Sonne, ein Schrein, aus dem das Geschmeide entwendet worden war. Nie hätte ich hierherkommen dürfen, dachte Pero, denn nirgendwo kann meine Einsamkeit mir bitterer bewußt werden als hier.

Er ging in den rückwärtigen Garten und legte sich zwischen den wildblühenden Oleanderbüschen auf die sonnentrockene rote Erde. Der Stamm der großen Föhre, die sie »Peros Föhre« genannt hatten, stand breit vor der Bläue des Himmels. Eine Kreuzspinne hatte an der nadelscharfen Spitze eines Agavenblattes ihr Netz befestigt, 381 darin sich mehrere Fliegen gefangen hatten, und während Pero trübe und bang vor sich hinträumte, betrachtete er immer wieder die kleine Mörderin, die ihre Beute bewachte.

Nirgends, nein nirgends hätte Paves Tod ihm sinnloser erscheinen können als hier in diesem Garten, der nach so langen Jahren noch die Spuren ihrer kleinen Füße zu bewahren schien. Hatte sie nur dazu geblüht, als die Holdeste von allen, um Leid zu leiden, Leid zu bringen und elend zu sterben? Hatte sie nur dazu geliebt und gehofft, um in Bitternis ohnegleichen zu münden?

Wie hatte der Tod es wagen dürfen, gerade sie von lange her zu zeichnen und grausam zu fällen? Was war sicher vor dem Tode, wenn er Pave hatte knicken dürfen und Cotia, die noch nicht gelebt hatte und die so überschwängliche Blüte zu verheißen schien?

Wozu lebte man, wenn der Tod die Macht besaß, zu knicken, was die beste und süßeste Frucht versprach? War es nicht unwert eines Menschen, imstande, Gottes Namen zu nennen und Sein Wesen zu ahnen, daß er unter die Botmäßigkeit des Todes gezwungen war? Wenn Gott den Menschen als Sein Ebenbild geschaffen hatte, warum hatte Er, wie über den Wurm und die Ameise, auch über ihn den Tod gesetzt? –

Die Kreuzspinne war plötzlich mit großer Eilfertigkeit die wunderbaren Bahnen ihres Netzes entlanggelaufen und hatte eine der Fliegen, die dort gefangen hingen, ohne Umstände verzehrt, worauf sie breit neben den Resten ihres Opfers hocken blieb.

Pero sah mit einem Male den Tod vor sich, wie er als ein riesenhafter Würger über die Erde ging, dem alle Wesen ohne Unterschied zufielen. Er sah, wie nicht die Tiefe des Meeres und nicht der entlegenste Bergeskamm Sicherheit boten vor seinen mörderischen Krallen. Nie verstummendes Klagegeschrei begleitete seinen Weg, jegliche Kreatur bettelte um Gnade, doch keine blieb verschont.

War es nicht das Würdigste und Sinnvollste, sich dem 382 Tode freiwillig zu ergeben, da niemand ihm entrinnen konnte?

Da er aber so einsam lag und sich umgeben sah von der üppig blühenden, lebendurchschwirrten, in der Sonne siedenden Landschaft, da überkam es ihn, als ergössen sich in seine Seele alle Wasser der Welt; alles Licht schien sich darin zu sammeln, Vulkane stiegen aus der Flut und barsten in gigantischer Erschütterung. Um den Rand der Krater aber wuchsen zauberhafte Blumen, eilige Tiere mit glänzenden Fellen spielten da, jagten einander und paarten sich.

Ihn aber traf es jählings mit der Gewalt eines Blitzes:

Bist du denn nicht ein Mensch? In immer neuen, zahllosen Geburten steht die Natur vom Tode auf. Aus der Verwesung wachsen ihre Keime neu, der Moder ihrer Toten düngt das Frühlingsfeld. Aber du, der du mehr bist als Stoff, weißt du denn nicht, daß auch dein Tod nicht Ende ist, daß du durch ihn hindurchgehen mußt als durch ein Tor und einen Übergang, daß er der Weg ist in das Andere. Daß diese Wandlung keinem erspart bleibt, und daß der Tag und die Stunde, wann sie dich ereilt, nicht wichtig sind. Daß aber keiner sie auf sich nehmen darf, der nicht gerufen ward. Daß das Leben heilig ist, Tapferkeit äußerste Pflicht und Entrückung über den Leib hinaus letzte und höchste Krone.

Daß wir verlieren müssen, um den Besitz zu begreifen und die Angesichter erst erkennen, die uns nicht mehr lächeln; daß wir geboren werden, um zu sterben, und daß wir nicht leben können, im Fleische nicht, noch im Geiste, wir seien denn zuvor tausend Tode gestorben bis zu dem einen, dem letzten Tod. Denn durch das immer neue, immer gleiche Leben und Sterben der Natur geht der Mensch, dessen Leben schwerer, dessen Tod schmerzlicher, dessen Berufung aber ewig ist.

Pero stand auf und schüttelte die Blätter und Nadeln aus seinen Kleidern. Das Erdreich seiner Seele schien gelockert. Es lag nicht mehr trocken da, ausgedörrt vom Samum seiner Qual, festgestampft von unbarmherzigen 383 Hufen. Er fühlte eine feuchte Unruhe in seinem Herzen, eine gelöste Bereitschaft, frischen Samen in seine Furchen aufzunehmen. Würden neue Lieder daraus aufwachsen, andere als er bisher geschrieben hatte? War ihm nicht, als ob er sich nun, gesalbt mit dem Öl unendlichen Leides, an noch größere und tiefere, bisher nicht angetastete Aufgaben würde wagen dürfen? Als ob er den Tod im Liede würde umkreisen dürfen, seine rätselhaften und gewaltigen Umrisse zeichnen und ihn durch Entschleierung entgiften? Und das Volk – fühlte er sich nicht mächtig, auf eine noch weltenweitere, noch liebendere Weise von ihm zu singen? Und würde er nicht mit hallender Stimme zu Gott rufen, den Saum Seines Gewandes anrühren dürfen in feierlicher Verherrlichung? Hatte nicht der unermeßliche Schmerz der letzten Wochen die klingenden Lieder in ihm verschüttet, um die Seele freizumachen für großen Gesang?

Er fühlte tapfer keimende Hoffnung in sich und einen neuen, unbändigen Willen. Er breitete die Arme aus: Ich lebe! Ich lebe! Ich lebe! rief sein erlöstes Herz. Zum Tode ward ich geboren; um zu leben, bin ich durch den Tod gegangen und werde wieder sterben, um zu leben. O Gott, wer bin ich, daß ich mit Leid mich schmücken darf als mit einem Kranze und daß die Bitternis mir süß wird? O Gott, wer bin ich, daß Du im den Acker meiner Qual die Saat der Lieder säest mit Deiner eigenen Hand? Wer bin ich, daß ich das Leben und den Tod mit gleicher Inbrunst lieben darf? Ist es denn wahr, daß die Dichter Deine eigensten Söhne sind?

Und sein Herz ward weit und getrost.

Der Maëstral fuhr ihm durch die Haare, Möwen flogen ihm schreiend zu Häupten, Salz beizte seine Lippen, und an das steinerne Ufer schlug raunend die steigende Flut.

 


 


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