Paula von Preradović
Pave und Pero
Paula von Preradović

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Der Wanderer

Oh, wie bunt sind im März die Hänge und Felder des Smrok! An den Schattenplätzen liegt noch Schnee und leuchtet grell unter dem hoffnungsblauen Himmel, wo aber die Sonne hinkommt, apert die Erde braun und feucht heraus, so daß dies Hell und Dunkel allenthalben nebeneinander zu stehen kommt und der vor kurzem noch so einförmig weißen Landschaft etwas heiter Scheckiges, Gestreiftes, Gemustertes und Lustig-Bewegtes gibt.

Und wie berauschend und lockend ist das süße Licht eines Märzennachmittags, wenn das frühe Jahr und der späte Tag sich zusammentun, um dich mit den herbsten und doch lustvollsten Tönungen zu Traum und Sehnsucht zu verführen.

Du siehst mit einem Glück, nach dessen Ursachen du nicht fragst, wie an den Zweigen der hohen kahlen Waldbäume da und dort schon Knospen ansetzen, du hörst den Abendgesang frühlingstrunkener Vögel, und die Veilchen, die zwischen dem welken Winterlaub hervorschauen, rühren dich auf rätselhafte Weise, obgleich du ihr treuherziges und duftendes Aufblicken schon in so manchem Jahr erlebt hast.

Pero wanderte beschwingt unter den Bäumen dahin. Er trug die schwarze Oberleutnantskappe in der Hand und bot seine Stirn dem frischen Luftzug dar. Den rechten Zipfel des weiten grauen Offiziersradmantels hatte er über die linke Schulter geworfen, und seinen langen Säbel ließ er über den Boden schleifen. Der hoffnungsvolle Geruch der Märzenerde erfüllte die Brust des Schreitenden mit einem Rausch, der ihn wie auf Adlersschwingen dahinzutragen schien. Er legte den Kopf im Gehen zurück, atmete tief und begeistert und blickte immer wieder in einer Art von heischender, 17 besitzergreifender Glückseligkeit in das Frühlingsgefild, wobei er die Augen bald weit aufschlug, bald ein wenig zusammenkniff.

Die Höhe war überschritten, und der Weg begann sich gegen die Stadt Agram zu senken. Rechts waren die von kahlem Wald bestandenen Hänge von Tuschkanaz zu sehen, links der öde Höhenzug der Schalata. Der einsame Waldpfad belebte sich. Landhäuser reihten sich rechts und links, das Georgenkirchlein mit seinem Friedhof stand scharf im klaren Nachmittagslicht da. Die Türme der Kapitelstadt erschienen ab und zu im Tale und wurden wieder verdeckt.

An der Stelle, wo die Georgigasse sich etwas nach rechts wendet und die Häuser der Oberstadt sichtbar werden, erblickte Pero einen großgewachsenen, jüngeren Mann mit braunbärtigem Gesicht, der ihm eiligen Schrittes entgegenkam.

»Stanko! Bruder!« rief Pero und winkte mit der Kappe. »Wie konntest du wissen, daß ich von hier kommen würde?«

Der Dichter Stanko Vraz, der in jenem Frühling 1847 in sein siebenunddreißigstes Jahr ging, erstrahlte über sein ganzes herzliches, leidgeprägtes Gesicht.

»Was kann unser Putnik, unser Wanderer, an einem so königlich köstlichen Frühlingstag wohl anderes tun als wandern? Und wohin wandert man in Agram? Auf den Smrok! Also dachte ich: Geh die Georgigasse hinauf, da triffst du ihn!«

»Großartig, Stanko, großartig! Und mich freut's, mich freut's herzlich, daß wir uns schon hier getroffen haben. Es bleibt uns nun noch etwas Zeit, ehe du mich unter die Leute schleppst. Wie?«

»Es ist vier; vor fünf brauchen wir nicht anzutreten. Kommst du noch ein wenig zu mir hinauf? Du weißt es, ich wohne nicht weit von hier.«

»Die Luft ist so wundervoll, am liebsten bliebe ich noch im Freien. Die Wanderung über die Hügel war göttlich. Stanko, Stanko, euer Agram ist schön! Es 18 berauscht mich wie ein starker Wein, ich könnte jauchzen und singen.«

Stanko Vraz sah den Jüngeren mit bewundernder, brüderlicher Herzlichkeit an. »Es muß auch dein Agram werden, oder vielmehr: es ist schon dein Agram! Du hast es erobert! Unser leuchtendster, unser bester Dichter bist du!«

Pero fuhr mit der linken Hand in den Arm des Freundes.

»Stanko, lob mich nicht so sehr! Über allen Urteilen steht mir das deine. Aber ich weiß meinen Platz im Felde unserer jungen Literatur. Ja, meine Gedichte haben manch einen aufwecken dürfen; wunderbar ist das, wie so ein Lied aus der tiefsten Seele kommt, aus den eigensten geheimsten Ursachen geboren wird, aus der verborgenen vergrabenen Wurzel unseres Herzens wächst und dann doch das aussagt, was die anderen Herzen fühlen, wünschen und ahnen. Dies ist das Wunder des Dichterseins, seine größte Gnade: daß man der Mund derer sein darf, die nicht reden können!«

Sie gingen langsam die Georgigasse gegen den Bildplatz hinab.

Pero sprach weiter: »Aber wem sag' ich das alles? Stanko, du weißt es doch selbst. Du wirst gehört, gesungen und geliebt! Gibt es ein Mädchen, gibt es eine schöne Frau, die deine ›Apfelblüten‹ nicht nachts auf ihrem Tischchen liegen hat? Hast du ihnen nicht allen aus der Seele gesprochen? Hast du sie nicht alle bezaubert? Nein, nein, Stanko, überschätze mich nicht! Ja, unten in Zara, dort scheint es mir mitunter, als sei ich der einzige Sohn unseres Volkes, der aufgerufen ward zu singen, als sei ich der einzige Dichter, den die Erde trägt. Aber hier! Bei euch! O Stanko, als ich jetzt durch die Waldhügel wanderte und Agram nicht sah, wohl aber hinter der Kurve der Hügel verborgen wußte, wie hat mein Herz da vor Glückseligkeit gebrannt beim Gedanken an den Reichtum, der hier herangewachsen ist, an die Vielfalt eurer Gaben, an die Blüte der Dichtkunst, 19 die Gaj's Beispiel und das deine, Bruder, in diesen letzten zehn, fünfzehn Jahren hat heraufwachsen lassen! Wie war ich selig, indes ich unter den Bäumen der Heimat wanderte, selig, Bruder, daß ich einer von euch sein darf, daß ihr mich nicht verschmäht, daß ihr mich so herzlich, so brüderlich aufnehmen wollt, da ich als ein fremder Wanderer zu euch gekommen bin.«

»Alles schön, Pero«, sagte Stanko Vraz mit seinem leisen, geduldigen und tief herzlichen Lächeln, »du bist aber doch der Größte von uns allen!«

Pero hob die Schultern und machte eine Gebärde mit der Hand, als schiebe er etwas fort.

»Sag das nicht, Stanko, nochmals bitt' ich dich! Es beschämt mich und mehr als das, es macht mich traurig. Ich will gar nicht der Größte unter euch sein. Einer von euch zu sein, das war meine Sehnsucht. Sag mir, Stanko, wen werd' ich also treffen dort in dem Haus, in das du mich führst? Wen werd' ich kennenlernen von denen, die ich verehre?«

Sie waren an dem von Lindenbäumen bestandenen Bildplatz angekommen, der nach einem kleinen Bildstock seinen Namen hatte. Zur Rechten wand sich die Gasse schmäler werdend in das Häusergewirr der Oberstadt, zur Linken glitt der Weg am Außenrand des Hügels hin und bot einen freien Blick auf Dom und Kapitelstadt und die Plätze und Gassen der sich rasch vergrößernden Unterstadt. Mitten zwischen den beiden Wegen, dem Bildstock gegenüber, stand eine kleine hölzerne Hütte, über deren Tür ein naiv beschriftetes Schild besagte, daß dies ein Kaffeehaus sei. Stanko Vraz trat hinzu und rüttelte an der Tür. »Geschlossen! Schade! Wir hätten hier zusammen einen Schwarzen trinken können. Es ist unser gewöhnlicher Treffpunkt. Aber es ist ohnedies zu früh im Jahre, um im Freien zu sitzen. Du mußt bleiben, Bruder, bis es wärmer ist. Denn hier vor diesem Miniaturkaffeehaus, an drei, vier kleinwinzigen runden Tischen, die jetzt, soviel ich vermute, im Innern der Hütte verstaut sind, hier ist viel von unserem besten Leben vor 20 sich gegangen. Diese Bäume da sind Zeugen unzähliger Gespräche geworden, in denen die illyrische Idee geboren und gefördert wurde. Unser Zähneknirschen unterm ungarischen Joch, unsere Seufzer nach Freiheit, unsere Sehnsucht nach einem einigen Volksbewußtsein, hier unter diesen Linden sind sie laut geworden. Man sollte sie die illyrischen Linden nennen und eine Leier, die illyrische Leier, in ihren Zweigen aufhängen!«

Pero hatte mit glänzenden Augen zugehört. »Schön wäre es, hier mit euch zu Füßen der kleinen Bildsäule zu sitzen! Wen mag sie wohl vorstellen, die verwitterte Gestalt?«

»Einen Heiligen, ich weiß nicht welchen. Wie er aber auch heißen mag, ein guter Schutzpatron ist er uns jedenfalls gewesen.«

Pero hängte sich in den Freund ein. »Ach, Bruder Stanko, gern würde ich euer herrliches Leben teilen. Aber ich kann nicht bleiben, in acht oder zehn Tagen muß ich fort. Es ist mir nur eine kurze Frist gegönnt, eine kurze Rast, ein kurzes Kennenlernen.«

»Warum?« fragte Stanko Vraz mit herzlicher Betrübnis. Sein gütiges, sinnendes, aber etwas müdes Gesicht mit den tiefliegenden Augen war dem jungen Freunde zugewandt. »Warum kannst du nicht bleiben? Es wäre wichtig für dich, deine Beziehungen zu den hiesigen Patrioten durch persönliche Bekanntschaft zu vertiefen. In ein paar Tagen kannst du das nicht.«

Pero lächelte bitter: »Du weißt wohl nicht, ihr alle hier könnt es nicht wissen, ein wie armer Hund von Oberleutnant ich bin. Die paar Monate in Pest gab es ein kostspieliges Hausen und keine Zulage. Urlaub hätte ich wohl noch, aber das Geld ist aus. Und dann ist da noch etwas. Du weißt, ich bin verlobt.«

»Ich hörte davon reden.«

»Jetzt, während meiner Pester Bestimmung, war ich beim Grafen Gyulay, unserem Regimentskommandanten, und bat ihn um die Erlaubnis zu heiraten. Er hat es mir glattweg verweigert. Er will keine verheirateten 21 Oberleutnants, hat er gesagt. Da gibt es nichts als kuschen oder quittieren. Und wenn man kein Geld hat, kein Magnat ist, kein Schloßherr oder Kapitalist, bleibt nichts als das Kuschen und das ewige Warten. Das Mädchen aber, meine Pave, verläßt Zara binnen kurzem. Sie ist Waise, ihr Bruder hat sich vermählt, eine Schwester ist in Ragusa verheiratet. Bei dieser wird sie nun leben, bis wir heiraten können. In wenigen Wochen wird sie sich einschiffen und hinabfahren müssen. Du begreifst, daß ich nicht zu spät kommen darf, daß ich sie noch sehen muß. Seit September waren wir getrennt.«

»Ja, das verstehe ich. Dann aber heißt es, die Tage hier um so besser zu nutzen!« Die beiden Dichter waren auf den schmalen Weg hinausgetreten, der an der Außenseite der Bastei am Fuße einer Reihe sehr stattlicher Adels- und Patrizierhäuser hinlief und unweit von Stanko Vraz' eigenem Hause in die zur Unterstadt führende Lange Gasse mündete.

Von der Schneeschmelze war viel Feuchtigkeit in der Luft. Der herbsüße Märztag war dabei, sich vollends einem noch winterlichen Abend zu ergeben. Im Süden und Westen war der Himmel rot gefärbt, im Zenit aber und im Osten blinkten entrückten Glanzes silbrige Sterne aus einer Bläue, die zugleich blaßte und dunkelte. Ein zarter Sichelmond stand über den knorrigen Wehrtürmen, die den Dom umzingelten. Unter dünnen aufsteigenden Nebelfloren begannen die Lichter der Stadt zu erglänzen, fern in der Ebene ahnte man das Band der Save.

»So hast du schon Ernstes und Schweres zu dulden gehabt, Bruder«, sagt Vraz mit gütigem und teilnehmendem Blick.

»Ja, so ist es, ich muß dienen ums liebe Brot, wo zu dienen es mich oftmals anwidert. Ich muß auf die Erfüllung meiner Liebe warten, obgleich die Sehnsucht mich brennt wie ein zehrendes Feuer. Aber was verschlägt es, Bruder, da ich zu euch habe kommen dürfen, da ich als ein Wiedergekehrter, als ein Wanderer, der heimgefunden hat, diese Tage hier erleben darf.« 22

Ehe Stanko Vraz, der gerührt dem Ausbruch des Jüngeren zugehört hatte, es sich versah, fühlte er sich umarmt und kräftig gedrückt, und Peros stolze rote Lippen mit dem kleinen hängenden Schnurrbärtchen berührten heftig seine Wangen.

»Und nun sage mir, wen ich treffen werde? Ich möchte vorbereitet sein. Ivan Mažuranić?«

»Ich sah ihn heute mittag. Er ist verhindert und erwartet dich morgen bei sich. Du kennst ihn ja schon?«

»Erst flüchtig. Also sage, wen? Und wer sind die Gastgeber?«

»Vancaš ist einer der Unseren, ein treuer Genosse. Seine Frau aber ist schön, klug und gütig, und ihr Haus ist unser Heim. Sie nennt uns ihre Söhne, und wir nennen sie unser Mütterchen, obgleich sie weit jünger ist als wir. Sie hat eine feurige Seele, und die illyrische Sache kann nirgendwo heller brennen als in ihrem edlen Herzen.«

»Weiter! Wen noch?«

Sie schritten durch ein schmales kurzes Gäßchen und befanden sich nun in den vielfach verwinkelten, gebogenen Gassen der Oberstadt, wo im Licht großer Öllampen Palastfronten aus dem Dämmer traten und alte Bäume sich über Parkmauern neigten oder hinter schmiedeeisernen Gittern dunkelten.

»Gaj hat versprochen zu kommen, er ist neugierig auf dich.«

»Ah, Gaj! Welches Glück! Wie an ein fernes Gestirn habe ich an ihn gedacht.«

»Ja, und Gaj muß man sehen. Seine Macht liegt nicht in dem, was er denkt und schreibt, sondern in dem, was er blickt und spricht. Er ist kein Skribifax, er ist ein Menschenfischer. Alles, was er in unserer Sache geleistet hat, ist dank seines persönlichen Fluidums geschehen.«

»Ich freue mich! Wer noch?«

»Schulek wird da sein, ein vorzüglicher junger Patriot und Schriftsteller, du weißt es.« 23

»Ihn habe ich schon bei dir gesehen. Werde ich Rakovac und Trnski kennenlernen?«

»Ich weiß es nicht, aber du wirst es bald wissen. Wir sind da.«

Die stillen Gassen lagen in unwirklichem Zwielicht wie die verzauberten Wege einer Traumstadt. Die Schritte der beiden Freunde hallten zwischen den Fronten der vornehmen alten Häuser wider, spitzenverhangene Fenster sahen stumm herab, Erker träumten, ein großes Tor öffnete sich lautlos unter dem Druck von Stankos Hand, und eine schön erleuchtete Treppe knarrte unter dem Schritt der beiden. Mit Herzklopfen betrat Pero hinter Stanko Vraz das große Gemach, aus dem Stimmengewirr und Lachen drang. Stanko Vraz rief in den heiteren Lärm hinein: »Hier bringe ich unserem Mütterchen einen neuen berühmten Sohn!«

Eine schlanke junge Frau, reizend nach der Mode und doch eigenwillig gekleidet, sprang von ihrem Platz hinter einem weißgedeckten, mit chinesischen Tassen, Weingläsern, silbernen Backwerkkörben und Blumen besetzten Tisch auf, und mehrere Herren, die sie umgaben, erhoben sich gleichfalls.

»Ah, hier ist er!« rief Josefine von Vancaš. »Hier ist er, den wir aus der Ferne geliebt haben. Unser dalmatinischer Sänger, unser illyrischer Bruder, unser Wanderer, unser Putnik!«

Ohne daß ihr Überschwang hätte verletzen oder lächerlich wirken können, sprudelte sie ihre leidenschaftliche Anrede auf eine entzückend natürliche, ernsthafte und doch leichte Art hervor. Sie trat Pero entgegen, streckte beide Hände nach ihm aus, betrachtete mit scherzhafter Genauigkeit sein Gesicht und drückte ihn auf einen Sessel an ihrer Seite nieder, nachdem sie auch Stanko Vraz, den sie nahe zu kennen schien, auf herzliche Weise begrüßt hatte.

»Nun, und wir werden nicht vorgestellt?« ertönte eine tiefe und sehr klangvolle Stimme hinter Pero, eine Stimme, die zugleich hinreißend und verständig, 24 verläßlich und lockend klang und die man auf das erste Hören hin lieben mußte. Als Pero aufstehend sich umsah, erblickte er einen großgewachsenen schlanken Mann, etwa in der zweiten Hälfte der Dreißig. Sein hochstirniges, schmal gebautes Gesicht war ebenmäßig und von erquickender Schönheit. Schmale Bartstreifen, in deren Kastanienbraun schon etwas Grau gemischt war, liefen ihm von den Schläfen zu den Wangen nieder, volles Haar lockte sich über der breiten und hohen Stirn, und große graue Augen strahlten wie kräftige Magnete unter den gewölbten Brauen hervor. Er trug die Surka, den verschnürten kroatischen Leibrock, und Pero bemerkte, daß mehrere der anwesenden jungen Männer ebenso gekleidet waren.

»Doktor Ljudevit Gaj!« sagte Josefine Vancaš und deutete mit der Hand auf den schönen Mann.

»Wir haben Sie schon ungeduldig erwartet, Herr Oberleutnant, denn wir kennen Sie alle und lieben Sie«, sagte er, und Pero hörte die Worte, die von dieser unwiderstehlichen Stimme gesprochen wurden, wie eine bezaubernde Musik. »Darf ich Sie mit den andern Freunden bekannt machen, die sich zu Ihrer Begrüßung eingefunden haben, denn die verehrte Hausfrau scheint durch Ihre Ankunft so verwirrt, daß sie das Vorstellen vergessen hat.« Mit schalkhaftem Lächeln sah er zu Frau Josefine hin, die dabei war, Gläser und Teetassen zu füllen und den Scherz nur mit einem Lachen erwiderte.

»Hier ist unser verehrter Gastgeber, Doktor Vancaš, hier Herr Doktor Rakovac, hier Doktor Schulek, der sich rühmt, Sie schon zu kennen.« Pero drückte die dargebotenen Hände, er sah in treue und begeisterte Augen, einige junge Studenten, die bescheiden den Hintergrund des Zimmers füllten, traten heran und neigten ihre surkabekleideten schlanken Oberkörper vor dem Dichter.

Zwischen Josefine Vancaš und Ljudevit Gaj sitzend, fühlte Pero einen beglückenden Strom von Zustimmung, 25 Begeisterung und Liebe über sich zusammenschlagen. Er hätte Lust verspürt, alle diese treuen und begeisterten Dichter und Vaterlandsfreunde zu umarmen, wie er eben noch Stanko Vraz auf dem Basteiweg umarmt hatte. Aber eine bescheidene Scheu schloß ihm den Mund, er dachte einen Augenblick an Pave und wünschte sie herbei, dann hörte er sich abermals von Gaj angeredet.

»Eben, bevor Sie kamen, zerbrachen wir uns den Kopf, wieso Sie von Pest her zu uns kommen. Für uns war Ihre Person verwachsen mit dem Gedanken an Zara, an das dalmatinische Meer und an die ›Morgenröte‹, die Sie leiten.«

»Eine kurze Kommandierung hat mich ein halbes Jahr in Pest festgehalten. Ich bin auf dem Rückweg nach Zara.«

»Sie sind Dalmatiner?« forschte Gaj weiter.

»Nein, Herr Doktor, ich bin ein Grenzerssohn aus dem Gjurjevacer Bezirk. Aber seit fast fünf Jahren bin ich in Zara in Garnison, und hoffe noch eine Weile dort zu bleiben.«

»So werden Sie also weiterhin bei der Herausgabe der ›Morgenröte‹ tätig sein? Nichts kann uns erfreulicher und wertvoller dünken. Nirgends vielleicht bedürfen wir so sehr eines befeuernden Anwaltes und tapferen Vorkämpfers unserer großen Sache wie in Dalmatien, wo, wie wir wohl wissen, die Widerstände bedeutend sind.«

Pero drehte seinen Stuhl ein wenig zu Doktor Gaj herum: »Bedeutend sind die Widerstände allerdings. Die Dalmatiner sind Separatisten. Eine gemeinsame Orthographie, ein einiger Dialekt, die der Zusammenschweißung des Volkes als Basis zugrunde liegen müssen, sind ihnen ein Greuel, ja, sie scheinen ihnen eine wahre Ketzerei. Man kann leider sagen, daß es in ganz Dalmatien keine sieben erwachsenen Leute gibt, die sich als Kroaten, als Illyrier, als Südslawen fühlen. Die Jugend aber ist anders. Sie müssen wir ergreifen, aufrütteln und entzünden!« Pero atmete tief auf und sah Doktor Gaj in die Augen. 26

»Daß diese Jugend heute schon anders ist, daran haben Ihre Lieder den Löwenanteil, Pobratime. Komme ich wieder nach Dalmatien, dann will ich keinen jungen Burschen mehr sehen, der ohne die Surka herumläuft. Unser Gedanke schreitet fort, bald werden wir ein freies einiges Volk sein. In Zukunft wird jedes Kind unserer Idee geboren werden.«

Der grauäugige schlanke Mann erhob sich von seinem Sitz, er zog Pero gleichfalls empor, und aus seinem Blick strahlte ein warmes und überzeugendes Licht. »Ist es nicht so, Brüder? Ist es nicht wundervoll, daß die Zukunft uns gehört, daß wir die Zukunft sind?!«

Pero fühlte sich miterfaßt von einer brausenden, jauchzenden Begeisterung, er, der sonst ruhig war und es vermied, hervorzutreten und sich zu enthüllen, wenn viele zugegen waren, er ergriff nun das Glas, das Josefine Vancaš ihm gefüllt hatte, erfaßte Gajs Hand mit starkem Druck und rief mit bebender Stimme: »Da unser Volk einen Mann wie Ljudevit Gaj hervorgebracht hat, darf keiner mehr daran verzagen. Wo eine solche Blüte sich entfalten durfte, da ist die Wurzel stark und gut!«

Ein wildes und freudiges Durcheinanderschreien und Živiorufen setzte nun ein, das ganze Zimmer kam in Bewegung, jeder wollte mit jedem anstoßen. Stanko Vraz, der etwas abseits vom Tisch gestanden hatte, trat vor, ein prächtiges Mandelküchlein in der Hand, sah lächelnd zu Josefine Vancaš hinüber, küßte das süße Plätzchen und sagte: »Und nun wollen wir unser Mütterchen leben lassen! Unser Mütterchen, das uns nicht nur fördert und begeistert, sondern deren Mandelkrapfen wahre und köstliche Gedichte sind!«

»Ach, warum nicht gar!« rief sie munter, »ich hoffe, daß wir hier noch andere Gedichte zu schmecken bekommen werden, als meine armen Küchlein. Sie glauben doch wohl nicht«, redete sie nun Pero an, »daß Sie einzig zu Ihrem Vergnügen hergekommen sind? Alle, wie wir da sind, hoffen aus Ihrem Munde eines Ihrer berühmten Gedichte zu hören, mit denen Sie die Herzen verzaubert 27 haben. Ich bekomme doch wohl keinen Korb?« Kokett sah sie zu ihm hinüber.

»Einen Korb? Wie wäre das möglich!« Pero blitzte die schöne Frau an. »Aber ich habe nichts bei mir, war auf dieses Verlangen nicht vorbereitet.«

»Nun, hier haben wir doch Ihre ›Erste Ernte‹, Ihr wunderschönes, funkelnagelneues Buch!« Von einem Tischchen, wo es bereitgelegen hatte, nahm sie Peros schmalen Erstlingsband, der im Laufe des Sommers erschienen war, und reichte ihn herüber.

»Und was soll ich lesen?« fragte er und blickte in die Runde.

»Mehreres, vieles! Aber als erstes natürlich Ihr Schönstes! Ihr Heimkehrlied! Ihren Wanderer!«

»Den Wanderer! Ja! Den Wanderer!« rief Doktor Gaj, Stanko Vraz rief es, und die verschnürten Jünglinge im Hintergrund stimmten dröhnend ein.

Mit einem Blick erbat Pero Frau Josefinens Zustimmung, er erhob sich, neigte ein wenig den Kopf und begann mit einer Stimme, die anfangs ganz leicht zitterte, aber von Zeile zu Zeile sicherer und tönender wurde, sein Gedicht vom Wanderer vorzutragen, unter dessen Gleichnis er das Los eines Menschen gezeichnet hatte, der, vom eigenen Volk getrennt, bei Fremden Zuflucht suchen will. Er irrt klagend durch Nacht und Nebel, er pocht bei einer fremden Mutter an und bittet um Obdach und Hegung, sie aber schickt ihn mit dem Bescheid fort, aller Raum in der Hütte werde von ihren eigenen Kindern in Anspruch genommen. »Warum er denn nicht bei seiner Mutter einkehre? Der Hinausgewiesene nimmt sich die Mahnung zu Herzen, er besinnt sich auf die eigene Mutter, das eigene Volk, die eigene Sprache, und aus der Fremde lenkt er seine Schritte dorthin, wo die vergessene Heimat ihn erwartet.

Berauschte Rührung erfüllte das Zimmer, als Pero die Strophen seines in beschwingten vierhebigen Trochäen geschriebenen Gedichtes, als er die Musik seiner Reime, die beredte Klage und Glückseligkeit des Heimgefundenen 28 mit einer Stimme, in der Tränen der Erregung schwangen, in die beiden ergreifenden an die Heimat gerichteten Verse ausklingen ließ:

»Gib mir Rast in deiner Erde,
Schmück mein Grab mit deinen Blüten!«

»Hoch der Wanderer! Hoch der Heimgekehrte! Živio! Es lebe Kroatien!« riefen die Männer durcheinander. Josefine Vancaš flüsterte Gaj zu: »Er hatte auf den hohen Schulen das Kroatische so völlig vergessen, daß er die eigene Mutter nicht mehr verstand. Er hat in fremder Sprache gedichtet. Aber er ist wiedergekommen!«

»Er ist in Wahrheit wiedergekommen!« sagte Stanko Vraz feierlich, und sein blasses Gesicht leuchtete. »Trinken wir auf unseren Petar, der mit seinen wenigen Liedern schon mehr für die Heimat getan hat als wir mit all unserer emsigen Arbeit, unserer Etymologie und Organisation. Es lebe unser großer Dichter! Es lebe der Putnik! Es lebe die Heimat!«

Peros Hand wurde von vielen Händen gedrückt, Gläser klirrten begeistert an sein Glas, leuchtende Augen blickten in seine Augen, und sein Herz schwang stolz und stürmisch in einem Jubel ohnegleichen. 29

 


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