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Elftes Kapitel

Rosenzeit und Mondscheinnächte und Nachtigallenschall!

Nein, nein, sagte Drude, als Friedel sie fragend ansah.

Nein –? Du bist so tugendhaft geworden, Drude!

Ach, weißt du, ich werde schon auch wieder einmal nötig haben, etwas Verbotenes zu tun; aber jetzt habe ich es noch nicht nötig.

Ha, dann sag mir's, wenn es mal wieder so weit ist.

Junge, du scheinst mir das letzte Mal zu gut weggekommen zu sein. Du hast wohl Frau Hell dein Gedicht gebracht?

»Und klingt sie nicht von Himmelsschöne,
Die helle Nacht?«

Ja, nickte Friedel.

Und da war sie einfach gut zu dir?

Ja! Sie sagte, es wäre ganz merkwürdig, wieviel besser ich mich ausdrücken kann, wenn ich schreibe, als wenn ich spreche. – Ich glaube, sie verglich mich mit dir. weil ich doch nie so poetische Dinge sagen kann wie du, Drude. Und du, du machst nie Gedichte.

Na, ihr Dichter habt's gut, sagte Drude. Erst habt ihr die ganze Seligkeit, daß ihr dichten könnt, und dann sind auch noch die Menschen so gut zu euch. Das Leben verwöhnt euch ein bißchen, finde ich.

Das finde ich auch, sagte Friedel überzeugt, mit glücklichen Augen. Also mit unserm heimlichen Mondscheinspaziergang ist es nichts?

Keine Rede, sagte Drude. Gute Nacht.

 

– Aber den nächsten Tag beim Mittagessen sagte Frau Hell: Heute ist Vollmond. Sie lächelte Drude dabei an. Drude errötete ein wenig und sah auf ihren Teller. Alle andern aber machten erwartungsvolle Gesichter.

Und sie fuhr fort: Und weil doch meine lieben Kinder sich alle diese Mondscheinabende ganz musterhaft betragen haben und zur Zeit schlafen gegangen sind, werden wir heute zur Belohnung alle miteinander Vollmondnacht feiern.

Ein Jubelschrei war die Antwort.

 

Gleich nach dem Abendessen wanderten sie aus. Den schönen Weg am Hange gingen sie, dessen Windungen dem staunenden Blick das liebliche Tal von immer neuen Seiten darboten. Dann kamen sie durch den Buchenwald. Sommerlich gestillt breiteten sich die schönen Zweige. Die Maikäfer waren fort, und die Blätter waren fest. Nur wie ein Nachhall war noch in der Färbung von der seligen Ekstase des Frühlings.

Dann traten sie auf eine Wiese hinaus und gingen an dem Rain entlang, der war ganz voll Heckenrosen. Dort saßen sie eine Weile, denn von hier aus konnte man weit in das Land schauen, über all die Berge und Täler, und weithin zu der fernen Rheinebene mit ihrem breiten Silberschein. Der Himmel strahlte vom Abschiedslicht der gesunkenen Sonne, und auf allen waldigen Höhen war ein rötlicher Widerschein, und die Blumenwiesen leuchteten.

Eine Weile saßen alle still, in Schweigen versunken. Deutschland! Deutschland! klang es in Drudes Seele. Und sie gedachte der Kämpfer jenseits des Rheins und ihrer heißen Not und ihrer tapferen Treue. Viele waren darunter, die sie kannte und lieb hatte; junge Wandervogelführer, die zu Vater gekommen waren, die hatten sich gleich in den ersten Tagen stürmisch als Freiwillige gemeldet. Leidenschaftlich bemüht hatten sie sich, nur ja anzukommen, »damit man nicht etwa fertig würde ohne sie«. Ach Gott, wie schwer, wie schwer habt ihr es nun! dachte Drude; Jahr für Jahr, Jahr für Jahr, – und viele sind gefallen.

Ihr Blick ging zu Friedel und Werner. Ob die auch noch hinaus müssen werden? Ach, Deutschland, Deutschland! Die ganze Welt steht wider uns, was soll es denn nur noch werden?

Jetzt fingen sie an, Volkslieder zu singen. Das war Drude so lieb. Da ihr Blick aber auf Marianne fiel, wie sie da saß, still und schön und fromm und gut, strahlend von Liebe, da dachte sie: Apfelblüten gibt es ja keine mehr, es wäre auch Sünde, sie zu brechen. Aber aus Heckenrosen sollte ich ihr einen Kranz machen. Und sie stand auf, sammelte die Blütenzweige, pflückte sorgfältig die Dornen ab und fügte mit geschickten Händen die Zweige zu einem Kranz. Als sie ihn Marianne aufsetzte, sagte die mit ihrer innigen Stimme: Ach Drude, wir liebreich bist du!

Nein, gar nicht, sagte Drude erstaunt, das tat ich nur aus Stilgefühl. Marianne lächelte und sagte: Dann mache aber den andern auch Kränze! Komm, ich helfe dir. Und Drude wand für Erika einen Kranz, – voll und reich, so wie es sich für die blühende Schönheit schickte, und dann für Doras liebes, schmales Gesicht, und sie sagte: Ja, Marianne, und du für die Kleinen; ich muß jetzt noch mal sehn, wie Friedel aussieht, wenn man ihm einen Kranz aufsetzt. – Richtig, sagte sie, wie sie damit fertig war, Junge, Junge, Friedel, du müßtest immer Rosenkränze tragen. Da sieht man doch, daß du ein Dichter bist! sonst, mit deinen ewigen zerkratzten Mückenstichen – weißt du, und wenn du jetzt einmal deine langen Arme und Beine etwas an dich nehmen wolltest!

Laß nur, Drude, sagte Marianne liebevoll, das kommt schon mit der Zeit. Schließlich ist er doch in den Flegeljahren.

Ja, aber das steht besser zu dem Rosenkranz, sagte Drude. So, siehst du?

Wirklich geriet Friedel auf einmal in eine ganz malerische Haltung. Drude lachte heimlich und dachte: Jetzt spinnt er an einem Gedicht.

Und ich? sagte Werner, ich allein bekomme keinen Kranz?

Nun bemühte sich ja Erika schon die ganze Zeit um einen Kranz für Werner, aber er geriet nicht. Drude sah ihr zu und lachte: Das ist auch ganz in Ordnung, Werner muß gar keinen Kranz haben. Zu den kurzen Haaren? Das sitzt ja nicht. Und zu dem Anzug? Das ist ja stilwidrig!

Werner errötete. Ich will nicht nachmachen, sagte er, halb entschuldigend. Mit der Zeit wird es schon von innen her kommen.

Das ist so richtig von dir, Werner, sagte Frau Hell, daß du dafür einen Kranz verdienst!

Ich könnte mir ja wenigstens die Stiefel ausziehen, meinte Werner schüchtern. Drude lachte gerührt. Das tu ja nicht! Zum ersten Mal barfuß bei einem stundenlangen Spaziergang im Dunkeln, da vergeht einem das Vergnügen! Und dann die Stiefel in der Hand, soll das Stil sein)

Ach Drude, sei nicht grausam mit deinem Stil, sagte Frau Hell. Er ist doch in der Mauserung.

Eben, sagte Drude, Mauserstil ist doch auch ein Stil!

Als sie Werner den Kranz aufsetzte, sagte sie: Aber Werner, du mußt wirklich deine Haare etwas länger tragen! Damit man doch sieht, wie dein Gesicht gemeint ist!

Eben, und damit der Kranz auch hält, sagte Werner lächelnd.

Aber Drude wurde ganz eifrig. Hör, Werner! Dies ist die Tracht der Unfreien! In alter Zeit mußten die Unfreien mit kurzgeschorenen Köpfen gehn, und auch heute noch müssen es die Zuchthäusler. Mein Vater sagt: Es ist recht bezeichnend für die Kinder unserer Zeit, daß sie unwillkürlich die Tracht der Unfreien wählen, weil sie wirklich so unfrei sind.

Werner stand auf. Aber wir wollen doch wieder frei sein! Er sagte es mit einer schönen, jünglinghaften Kraft, wie unter der heimlichen Einwirkung des Kranzes, – der ihn berührte wie ein Grüßen aus freieren, reicheren, blühenderen, seelenvolleren Möglichkeiten, als die er bis jetzt erlebt hatte. So daß ihm die andern, freudig überrascht, mit einer feierlichen Stille antworteten. – Da fing Frau Hell an, zu ihnen von der Zeit zu sprechen, von dieser wunderbaren Zeit, in die ihre Jugend fiel – so voll von heimlichem neuem Leben, das doch überall noch zugedeckt war vom Alten und verdorrten, wir werden sicherlich noch viel Schweres erleben, und noch viel Herrliches. Nur ganz echt sein! So dienen wir dem kommenden Guten und werden seinen Sieg erleben.

Und auf einmal, während sie noch sprachen, sagte die kleine schwarzäugige Gertrud schelmisch: Da ist er; er stellt sich aus Spitzzehen und guckt über den Berg, um zu sehen, was wir machen! Und richtig schaute drüben etwas Goldenes herüber.

Da ist der Mond! schrie Drude. Sprang auf und rannte den andern voraus – und ging dann langsam, still und feierlich. Denn wie sie hinanstieg, sah sie mit jedem Schritt mehr von ihm, als ob sie in ihn hineinschritte. Wie wunderbar das war! Er war so seltsam riesengroß und nicht mehr rot, nein, ganz leuchtend, wie eine kleine Sonne sah er aus, nur ohne Strahlen. Drude klopfte das Herz. Was ist das nur, was ist das nur, daß dies geheimnisvolle Gestirn so wunderbar auf uns Menschen wirkt? Was ist nur in dir? Sie sagen, du bist eine ausgebrannte, tote Welt – So ein Blech! Du reines, lichtes Leben, du klare, stille Kraft, meine Seele strebt dir entgegen, meine Seele löst sich in dich hinein –

Ach, Gott, dachte Drude, das möchte sie wohl! Und stand still und sehnte sich.

»Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz«

hörte sie hinter sich sagen. Das war Mariannes liebe, hohe, feierliche Stimme. Sie kamen alle heran. Und standen mit ihr. Und saßen auch wieder ein Weilchen und sagten nun ein Gedicht nach dem andern. Und immer feierlicher wurde die Welt, und alles wurde rinnendes Licht, und alles fließende Seligkeit. Und sie gingen wieder weiter, wie anders die Welt nun aussah in dem silberglänzenden Zauberschein! Ja, verzaubert, verwandelt ganz –

Man denkt: Licht ist Licht, sagte Drude, und Wasser ist Wasser. Aber wie ich einmal auf der Kurischen Nehrung war, da gingen wir immer auf den Dünen, und dann sah man links das Haff und rechts das Meer, und da galt gar nicht etwa: Wasser ist Wasser, sondern es waren ganz verschiedene Wesen, – die blickten jeder mit einer andern Seele und weckten ganz andere Gefühle in uns, lösten ganz andere Kräfte aus. So ist es mit Sonne und Mond. Das ist so sehr geheimnisvoll.

Nun, sagte Werner weise, die Sonne ist eine Feuerkugel, und der Mond ist eine ausgebrannte Schlackenkugel, die nur den Lichtschein von der Feuerkugel zurückwirft.

Werner, sei bloß still, sei bloß still, sagte Drude. Ausgebrannte Welt, das kann ich gar nicht hören.

Ich auch nicht, schrie Friedel wütend, du willst uns hier wohl den Mondschein verekeln?

Auch Dora empörte sich: Und dann dieser Friede? diese Stille? diese Reinheit?

Was heißt denn: Ausgebrannte Welt, Schlacken?! sagte Drude. Tot womöglich, ja? Das ist so, als wenn einer denkt: wenn ein Mensch stirbt, dann ist er mausetot und fühlt nichts mehr und weiß nichts mehr – zu dumm, zu dumm. Alles ist lebendig! Und das würde hier bedeuten – Ach Gott, ich kann's nicht sagen, ein Dichter müßte es sagen, als ein himmlisches Märchen müßte er es erzählen –

Na sag! ermunterte Friedel.

Ja, sag! als wenn das so leicht wäre! – Es ist so: Es ist so dunkles unerlöstes Sein, gebanntes Leben, das sich in schlackenhafter Schwere unselig dahinquält, dämonisch und böse, – und nun seht! Zu dem kommt, um ihm zu helfen und an ihm zu arbeiten, es zu erlösen, die allerschönste, allerreinste, die allerklarste, ach allerseligste Sonnenkraft, die aller- allergöttlichste, und die ist es, die berührt uns im Mondenschein. Darum spüren wir ihn so als wundervolles Erlöserlicht, und darum sehnen wir uns so, auch so erlöst zu sein und so erlösend.

Ach Kind, wie ist das schön, sagte Frau Hell.

Es war eine kleine Pause.

Also wie die strahlende Stirn einer himmlischen barmherzigen Schwester, sagte Werner; sehr vorsichtig sagte er's, denn er traute sich nicht recht.

Alle lachten, Drude auch. Aber an dem Lachen merkte Werner, wie falsch es gewesen war, jetzt einen Scherz zu machen. Und als Drude nun antwortete, zitterte ihre Stimme, und der Ton war wie verwundet und so, als ob sie sich beschämt in sich zurückzöge: Es ist wahr, wenn man es wagt, über die hohen Geheimnisse zu reden, verkleinert man sie nur, und darum soll man es gar nicht versuchen.

Ach Drude! bat Werner. Und sah, daß sie mit sich kämpfen mußte – Doch blickte sie ihn freundlich an und sagte: Es ist doch alles unaussprechlich. Man liebt den Mondschein und sehnt sich, und alles ist Ahnung und Geheimnis.

Und ganz gewiß ist die Wirklichkeit, sagte Frau Hell, viel, viel reicher noch, als wir ahnen und selbst nur ersehnen können.

Ja, so ist's gut, sagte Drude dankbar.

Aber sie ging von den andern fort. Es zitterte so vieles in ihr; sie verstand sich selber kaum. Alle Worte verdunkeln nur, dachte sie, darum soll man schweigen. Und dennoch drängt sich etwas in uns hinein und will sich offenbaren! Dazu wäre die Dichtung da, und alle Kunst, – nur sie dürfte reden, weil sie mit himmlischen Worten sprechen kann, in der Sprache des Schweigens. Reden entweiht.

Wie schwoll ihr die Seele! Und sie fühlte sich in der Welt wie in einem wunderbaren Saal, in dem Dichtungen umherstanden wie schweigsame Götterbilder und in himmlischer Sprache Offenbarung gaben vom Unaussprechlichen. O Wunder, o Wunder, ach kämst du zu mir! Ich wollte sonst nichts vom Leben, nur dich! Drudes Herz erschrak, als sie den Wunsch aussprach. Daß sie das auch nur zu denken wagte! Sie!

Werner war auch von den andern fortgegangen. Er staunte immerfort noch an, was ihm soeben mit Drude geschehen war. Er fühlte sich beschämt davon, daß er Drude verletzt hatte, und fühlte sich doch so bereichert durch diese Erfahrung und so beglückt durch Drudes Art. Also das lerne ich nun, dachte er: wenn eine feine Seele ehrfürchtig nach dem Unbegriffenen tastet, darf man niemals mit einem Wort oder auch nur mit einem Blick sich regen, der nicht ganz ihrer Ehrfurcht ebenbürtig ist. Sonst fühlt sie nämlich das Heiligtum verletzt –!

Er staunte es an, beglückt, und fühlte tief, was ihm die Berührung mit Drude war. Die Berührung mit ihrer viel höheren, reineren und feineren Welt, – wie sie ihn weckte! Wie sie ganz neue Möglichkeiten in ihm entfaltete! Herrgott! lauter schlafende Knospen in ihm fingen an, nach dem Licht zu drängen!

Er kam zurück zu den andern und hörte gerade, wie Erika sagte: Vollmondnacht –! Es klingt nach geheimnisvoller Zauberkraft. Und Dora antwortete: Ja, nach Kräuterfrauchen und Alraunen und Hexen. Und dann begegnete ihm Erikas Blick. O Gott, probierte sie ihre Zauberkraft an ihm aus? Wollte sie ihm Hexenbann spinnen? Werner streckte sich. Für eine Weile fühlte er sich gefeit.

Ja, und dann ist doch heute das große Elfenfest, hörte er Drude sagen. Seht nur, dort im Wiesengrunde sieht man sie ja tanzen! Das heißt, man sieht nur die Schleier, die Körperchen sind zu fein dazu, wir müssen auch recht vorsichtig gehen, damit wir keins zertapsen, wenn sich etwa eins zu nahe an den Weg gewagt bat.

Wir wollen auch tanzen! riefen da auf einmal die Mädchen und liefen an den Waldrand und schlangen alle miteinander einen schönen, wilden, jubelnden Reigen. Frau Hell sah ihnen lächelnd zu. Nur Marianne war bei ihr geblieben. Nun ja, wer kann denn auch so lange hintereinander feierlich sein? sagte Marianne ganz mütterlich.

Ist Drude unter ihnen? fragte Frau Hell.

Ja.

Was ist sie für eine Dichterin! und das Ergreifende ist, sie weiß es noch gar nicht. Daß nur niemand es ihr sagt! Das will ja noch als großes Wunder in ihrer Seele aufgehen!

Ach! sagte Marianne, das ist auch wahr: wie seltsam! daß sie es noch nicht weiß.

Weil sie so demütig ist, sagte Frau Hell. Sie hat die ganz seltene, ganz köstliche Demut des großen Menschen. Und sich, es schlafen ja gerade die reichsten Knospen am längsten.

Und beide freuten sich, wie Drude nun als rechtes Kind mit den andern tollte. Die großen Jungen aber fingen an und spielten ein bißchen Wald- und Wiesenschrat: sie rollten alle den Hang hinunter, viele, viele Male. Ihre Rosenkränze verloren sich in der tauigen Wiese – Die haben dann die ganze Nacht den andern Blumen von den seltsamen Geschwistern erzählt, den Menschenhaaren, die um denkende Stirnen wehn.

Und dann wurden die jungen Menschenkinder müde. Da kamen sie alle an den Wiesenrand, an dem Frau Hell mit ihrer Tochter saß, und setzten und legten sich rund um sie her, eng zusammengekuschelt, jeder möglichst nahe zu der mütterlichen Frau. Drude lag zärtlich an ihrer Brust und dachte: Es ist, wie aus einem von Vaters Bildern die Mutter Erde dargestellt ist: alle ihre Kinder drängen zu ihr heran, möglichst nah, um es möglichst warm und gut zu haben. Ich, ich habe es sehr gut.

Werner aber war nicht unter ihnen. Er ging allein den Rain entlang, still für sich. Für ihn war nur der Platz neben Erika geblieben, und das wäre nicht gut gewesen. Er ging, und sein junges Herz war voll Freude und Trauer und Sehnsucht und Schmerz und voll heimlicher Unruhe.

Ich muß mich zu Drude halten, dachte er; vielleicht erzählt sie mir von zu Hause. Dann kommt immer ein ganzer Strom von erlösender Kraft, wenn sie davon erzählt.

Aber als sie nun alle miteinander nach Hause gingen, blieb Drude innig bei Frau Hell und stimmte mit ihrer süßen Stimme Volkslieder an, und alle sangen mit.

Weit übers Tal durch die stille, mondbeglänzte Nacht klangen die lieben, alten, trauten Weisen. – Stille! stille! sagten sie, als sie aus dem Walde traten. Da unten lag das schlafende Dorf! Und dort oben die lieben Häuser der Schule. Da setzten sie sich noch einmal hin und sangen den Schlafenden zum Gruß das schöne, alte Wächterlied: Hört, ihr Herrn, und laßt euch sagen, – mit dem Kehrreim:

Menschenwachen kann nichts nützen,
Gott muß wachen, Gott muß schützen!
Herr, durch deine Güt' und Macht
Gib uns eine gute Nacht.

– Werner aber hörte es nur aus weiter Ferne; denn er ging mit Erika, und sie waren weit hinter den andern zurückgeblieben. –

Als sie vor dem Hause einander alle gute Nacht sagten, sah Drude Werner stehen. Er sah noch immer nach dem Mond hinauf, und sie sagte herzlich: Gute Nacht, Werner, und träume von dem wunderbaren Licht.

Ach, Drude, sagte er, es ist aber nicht nur Erlösungskraft im Mondlicht. Das Dunkle, Unerlöste, das wirkt auch aus ihm auf uns und bannt uns.

Ach! sagte Drude erschrocken. Ich fühlte das nie.

Nein, du fühltest es nicht, sagte er traurig und sehnsüchtig. Zu dir kommt nur die erlösende Macht. Man muß von Erdkraft umstrickt sein, dann fühlt man's. Aber nicht wahr? aus Märchen und Volkssagen wirst du es ja wissen, daß das Mondlicht auch einen verhängnisvollen Einfluß üben kann?

Aber Werner, da braucht man sich doch nur an das Reine und Erlösende zu halten? Das ist doch ganz einfach!

Ja, sagte Werner liebevoll. Für dich, die du es kannst, ist es ganz einfach. Gute Nacht, Drude.

Mit wem gingst du auf dem Heimwege, Werner? Du warst nicht da?

Ich wollte so sehr, sehr gern mit dir gehen, Drude.

Werner, ich mußte doch an sie alle denken! Man geht gar nicht so allein, man muß sehen, daß alle froh sind. Sieh, wir müssen doch zu den Führenden gehören, nicht? – Werner, sagte sie, komm morgen abend zu mir hinauf, ich zeige dir dann Vaters Bilder und erzähle dir von zu Hause, ja?

Ja, sagte er froh. Gute Nacht, Drude!

Gott behüt dich, Werner. Gute Nacht!


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