Wilhelm von Polenz
Wald
Wilhelm von Polenz

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VII.

Das wurde mit einem Schlage anders, als Hellmut ins Haus kam. Den Gatten zu täuschen, war der jungen Frau nicht schwer aufs Herz gefallen, aber das unschuldige Gesicht ihres Jungen wurde ihr zum schneidenden Vorwurf.

In voller Arglosigkeit war Hellmut stets um die beiden; wie hätte er auch ahnen können, daß er im Wege sei! Seine wißbegierigen Augen, seine verfänglichen Fragen, die naiven Bemerkungen, die er nach Kindesart gelegentlich fallen ließ, machten die Mutter erzittern. Der Junge war schließlich doch das stärkste Band, das sie an Haus und Gatten fesselte, der lebendige Mahnruf an ihre Mutterpflichten.

Nicht daß das plötzlich erwachte mütterliche Gewissen das liebende Weib in ihr nun ertötet hätte! Ihr Lieben hatte nur eine andre Färbung angenommen. 114 Es war nicht mehr das erste, unüberlegte Hingeben, das nach nichts anderm fragt, das einfach dem Triebe folgt. Die Blindheit war von ihr gewichen, sie sah, was sie that und war erschrocken, als habe sie jemand im Nachtwandeln angerufen.

Mit um so verzweifelterer Gewalt klammerte sie sich an den Geliebten. Ihre Leidenschaft war bewußter, schlug in höherer, verzehrender Flamme auf, als habe sie neue Nahrung erhalten durch Gegenwind.

Rüstädt aber begann die Fesseln schwerer und schwerer zu fühlen, die er sich mit diesem Verhältnis auferlegt hatte. Er schmeckte den tragischen Beigeschmack sofort mit, den Annas Neigung in dem Augenblicke bekommen hatte, da das eigene Fleisch und Blut ihr wieder vor die Augen trat. Und auf seiner Zunge mußte dieser Geschmack zu Galle werden. Der tödlichste Feind jeder Leidenschaft, das Moralisieren, nistete sich bei ihm ein. Nur noch wie ein Dieb, der die Entdeckung fürchtet, wagte er von der verbotenen Frucht zu kosten. Auf kurze Augenblicke des Taumels folgten lange Stunden unbehaglicher Selbstvorwürfe, die ihm die Freude in der Knospe zerfraßen.

Zwar redete er sich zur Besänftigung des Gewissens vor, daß er weniger Verführer als Verführter sei; aber diese Entschuldigung genügte ihm nicht, sie half ihm vor allem nicht über das unheimliche Bewußtsein hinweg, daß er einen arglosen Biedermann, der ihm 115 im besten Glauben sein Haus geöffnet, schmählich hintergehe. Die Gegenwart des Oberförsters wurde ihm geradezu unerträglich. Er kam sich in Gegenwart eines Mannes, den er in seiner Ehre kränkte, selbst ehrlos vor. Daß er gezwungen war, ihm gegenüber das bisherige freundliche Verhältnis aufrecht zu erhalten, diese schlechte Komödie, empfand er als tiefe Demütigung.

Eines Tages bekamen Seltmanns Besuch von ihren Verwandten, Pastor Waibel und Frau. Man saß bei schönem Sommernachmittagswetter in der Gartenlaube. Rüstädt, der bei offenem Fenster in seinem Zimmer auf dem Sofa lag und las, mußte das Klappern der Tassen und Löffel und das Durcheinanderreden mit anhören. Die Gäste fragten auch nach ihm, und er sah im Geiste Annas Erröten, wie sie darauf Rede und Antwort zu stehen hatte.

Dieses Anhören einer Unterhaltung, die nicht für ihn berechnet war, wurde ihm peinlich; er nahm Hut und Stock und rief Unkas. Möglichst unbemerkt wollte er das Haus verlassen.

Aber dieser Plan mißlang. Pastor Waibel bemerkte den Major und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu, sofort eine Unterhaltung beginnend. So konnte Rüstädt nicht umhin, auch zu der Frau Pastorin zu treten, um sie zu begrüßen. Und bald sah er sich an dem Tische sitzen, vor sich eine Tasse Kaffee, neben sich die Pastorin.

116 Rüstädt ärgerte sich über sich selbst, daß er diesem unerwünschten Zusammensein nicht geschickter aus dem Wege zu gehen verstanden hatte. Er war zerstreut. Dabei wußte er ganz gut, daß es galt, auf der Hut zu sein. Der Blick der Pastorin eilte von ihm zu Anna und zurück. Was hatte die unselige Person, deren Gesichte einem lebendigen Fragezeichen glich! Wieviel wußte sie bereits?

Und Anna schien durch seine Anwesenheit erst recht den Kopf verloren zu haben. Sie errötete ein über das andre Mal, verhetterte sich in der Unterhaltung und ließ schließlich mit zitternder Hand den Deckel der Meißener Kanne fallen, der eine Untertasse des besten Geschirrs zerbrach. Das trug ihr ein barsches Anfahren von seiten des Gatten ein.

Rüstädt saß wie auf Kohlen. Eine wahre Erlösung bedeutete es für ihn, als Hellmut jetzt angesprungen kam. Pastor Waibel, der, selbst kinderlos, seinen Hang zum Schulmeistern gern an andrer Leute Kindern befriedigte, nahm den Jungen alsbald ins Gebet; der mußte ihm vordeklinieren und konjugieren und Genusregeln aufsagen.

Hellmut, der eigentlich einen Ausgang in den Wald zum Schießen von jungen Holztauben geplant hatte, war natürlich von dieser unvorhergesehenen Abhaltung wenig erbaut. Er warf flehende Blicke nach dem Major hinüber; der war doch sein Freund, der hatte ihm doch 117 früher stets geholfen,. der mußte doch Mittel und Wege finden, ihn hiervon zu befreien. Aber der Major saß stumm und teilnahmlos da, an ihm vorüberblickend.

Hellmut wußte nicht viel; aus der gedehnten, nachlässigen Art zu antworten hörte man deutlich seinen Widerwillen heraus. Der Pastor fuhr im Examinieren fort, nörgelte an jeder Antwort herum und gab zu verstehen, daß Hellmuts Wissen erstaunliche Lücken aufweise. Die Pastorin saß mit schadenfroher Miene dabei, Anna war sehr erregt, bei dem Oberförster schwoll die Zornader bedenklich. Ein Gewitter war im Anzuge, noch vor Abend würde es wohl einschlagen, und Hellmut hatte schon eine dumpfe Ahnung, bei wem.

»Setz dich ein wenig hinter die lateinische Grammatik, mein Sohn, den Rat gebe ich dir! Sonst wird nie etwas aus dir werden,« sagte Pastor Waibel.

»Die ganzen Ferien kein Gewehr mehr angerührt!« platzte der Oberförster heraus.

Das war zu viel für Hellmuts bisher nur mühsam bewahrte Fassung. Er brach in Thränen aus und ging heulend ab. Anna war ganz bleich geworden und konnte die Thränen auch nicht zurückhalten.

Rüstädt entfernte sich hierauf mit kurzem Abschied von der Gesellschaft. Das schiefe Verhältnis, in das er neuerdings zu allen Personen dieses Familienkreises geraten, war ihm noch nie so klar geworden wie durch dieses kleine Erlebnis.

118 Er durfte Anna nicht helfen, mußte stumm und unthätig zuschauen, wie sie gequält wurde. Und auch für ihren Liebling konnte er nicht einschreiten. Früher, ja, da hatte er ihn schützen können. Aber wie mochte er das jetzt noch wagen!

Wie hatte sich alles geändert! Sein Verkehr mit Hellmut hatte die Harmlosigkeit eingebüßt. Der Anblick des Kindes war für ihn noch mehr als ein bloßer Vorwurf, er bedeutete ihm die peinliche, nicht wegzuleugnende Thatsache, daß die Geliebte einem andern angehört hatte und kraft des Gesetzes angehörte.

Und wenn er sich auch hundertmal sagte, daß Liebe stärker sei als Gesetz, das Bewußtsein, daß er der Draußenstehende sei, blieb. Es lag so etwas Unvornehmes in diesem Diebesgefühl. Von vornherein klebte dem jungen Glück eine Unsauberkeit an, es lag wie ein Mehltau auf ihrer Neigung.

Mit Schrecken nahm Anna eine Unruhe bei ihm wahr, ein Zurückweichen. Der weibliche Argwohn ist schnell rege. Sie glaubte, er wolle sich ihr entziehen, sei ihrer wohl gar überdrüssig. Manches, das er ihr vordem erzählt, die Bilder und Andenken, die sie bei ihm gesehen, fielen ihr ein und beunruhigten sie. Er unterhielt vielleicht doch Beziehungen zu andern Frauen, dachte wenigstens noch an sie.

Es kam zum ersten bitteren Wortwechsel zwischen ihnen. Sie warf ihm bei nichtigem Anlaß vor, daß 119 er sie nicht mehr liebe, daß er sie, da sie ihm alles geopfert, verachte. Und während er sie zu beruhigen suchte und ihr seine ungeschwächte Neigung beteuerte, fühlte er im Grunde, daß sie recht habe, und daß er lüge.

Schon drückte ihn die Bürde der Verantwortung, die er auf sich genommen, schwer. Wie in ein unsichtbares Netz fühlte er sich verstrickt; Spinnweben waren es anfangs gewesen, mit der Zeit wurden Ketten daraus, die tiefer und tiefer ins Fleisch schnitten, je heftiger man sich ihnen zu entwinden suchte.

*

In dieser Zeit kam aus der Residenz eine Nachricht, die die ganze Gegend in die größte Aufregung versetzte. Der Landesfürst wollte im Quellenhayner Revier jagen. Im Gebiete der Oberförsterei lag nämlich ein Jagdschlößchen, das der Fürst in früheren Jahren oft, in letzter Zeit nur selten besucht hatte. Jetzt war befohlen worden, dort schleunigst Vorkehrungen für den Empfang des erlauchten Gastes und seines Gefolges zu treffen.

Dem Oberförster kam das sehr wenig gelegen. Er war von Natur und Erziehung keineswegs Hofmann, und wenn er auch jedem, der seinen loyalen Unterthanensinn anzuzweifeln sich vermessen hätte, einen 120 gehörigen Denkzettel gegeben haben würde, so liebte er es doch mehr, die Hoheit aus der Ferne zu verehren, als in allzu nahe Berührung mit ihr zu kommen. Und diesmal gab es für ihn besonderen Grund, das Kommen des Landesvaters nicht zu wünschen; er hatte nämlich als Weidmann kein ganz reines Gewissen. Es war den Förstern nur eine beschränkte Anzahl Wild jährlich abzuschießen gestattet. Was von starken Hirschen und Böcken nicht gerade Wechselwild war, wurde für den Monarchen zurückbehalten. Da nun aber Seine Königliche Hoheit sich in den letzten Jahren dem Reviere ferngehalten, war der Oberförster sicher geworden und hatte, von der Jagdpassion fortgerissen, die Grenzen des gestatteten Abschusses etwas stark überschritten. Das, fürchtete er, würde jetzt schrecklich an den Tag kommen. Und der Fürst, sonst ein nachsichtiger, liebenswürdiger Herr, verstand in dieser Beziehung, wie allgemein bekannt, keinen Spaß. Der Oberförster, obgleich gerade kein Hasenfuß, sah dieser Begegnung entgegen, wie etwa ein Schuljunge, der eine Dummheit gemacht hat, das Kommen des Rektors erwartet.

Seine letzte Hoffnung in dieser heikeln Lage war der Major. Seltmann hatte die Vorstellung, daß ihm Herr von Rüstädt, als ehemaliger Hofmann, hier sicherlich werde helfen können.

Überhaupt war der Major, seit das Kommen des 121 Landesherrn feststand, allgemein in den Vordergrund der Erwartungen getreten. Vereine und Privatleute wandten sich an ihn, als einen Sachkenner, mit allerhand Fragen. Man plante großartige Ehrungen: Fackelzug, Umzüge, Deputationen, und was alles die Loyalität des Volkes bei solchen Anlässen zu ersinnen vermag. Es wurde Rüstädt schwer, den Eifer der guten Leute zu beschwichtigen; sie wollten es ihm nicht glauben, daß der Landesvater am liebsten ganz von solchen Dingen verschont bleibe.

Rüstädt selbst sah dem fürstlichen Besuche mit geteilten Gefühlen entgegen. Er liebte seinen Fürsten, und der alte Herr war ihm stets wohlgewogen gewesen. Er wußte, daß die Intrigue, der er zum Opfer gefallen war, nimmermehr an höchster Stelle Billigung gefunden hätte, wäre nur die Wahrheit bis dorthin gedrungen. Er war auch jetzt noch eines guten Empfanges von seiten des Fürsten gewiß, aber um keinen Preis wollte er sich aufdrängen. Viel zu stolz war er, mit freundlichem Gesicht zu scherwenzeln, wo er ein Recht zum Groll zu haben glaubte. Darum beschloß er, solange es irgend anging, sich fernzuhalten.

Doch das kam schließlich anders, als er gedacht hatte. Kaum war nämlich der Fürst eingezogen und hatte durch Oberförster Seltmann von Rustädts Anwesenheit auf Quellenhayner Revier gehört, als er umgehend einen Herrn aus seiner Begleitung zu diesem 122 schickte, mit der Aufforderung, sich der Gesellschaft anzuschließen und am Sport teilzunehmen.

Der Zufall wollte es, daß der Überbringer dieser Botschaft einer von der Clique war, die Rustädt ehemals ein Bein gestellt hatte. Er empfing den Betreffenden mit schneidender Kälte und erklärte, er werde es sich sehr überlegen, ob er kommen wolle. Es wurde ihm die Genugthuung, zu sehen, in welches Entsetzen der gute Herr – ein Hofschranze vom reinsten Wasser – bei dem bloßen Gedanken geriet, Seiner Königlichen Hoheit einen ablehnenden Bescheid überbringen zu müssen. Nachdem er den Braven so eine Weile hatte zappeln lassen, ließ er sich schließlich erweichen und sagte zu. Im Ernste konnte eine so liebenswürdige Einladung ja doch nicht ausgeschlagen werden.

Der Fürst empfing seinen ehemaligen Flügeladjutanten aufs zuvorkommendste und bevorzugte ihn auch in der Folgezeit in geradezu auffälliger Weise. Die nächste Folge davon war, daß sich das Gefolge beeilte, den wieder zu Gnaden Aufgenommenen mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit zu behandeln; was er von dieser Art Höflichkeit zu halten habe, wußte Rüstädt.

Der hohe Herr, der sich trotz seines Alters ein ausgezeichnetes Gedächtnis für die einzelne Person bewahrt hatte und der sich gern über die intimsten Verhältnisse eines jeden unterrichtete, zog Rüstädt wiederholt ins Gespräch und ließ sich von ihm über seine 123 Zukunftspläne erzählen. Der Fürst, der auch vom Forstwesen etwas verstand und der es liebte, den Leuten gelegentlich auf den Zahn zu fühlen, stellte hie und da Fragen, die offenbar darauf ausgingen, zu erkunden, wie weit Rüstädt bereits in die Fachkenntnisse eingedrungen sei.

Rüstädt überlegte, ob er nicht doch die Gelegenheit benutzen solle, den Fürsten aufzuklären über die Nichtigkeit der Gründe, die seinen Abschied veranlaßt hatten. Aber er ließ den Gedanken wieder fallen. Zu gut kannte er den alten Herrn in allen seinen Eigenheiten. Der war kein Freund von Enthüllungen, hielt sich alle peinlichen Eindrücke, soweit es irgend ging, vom Leibe. Einer so gearteten Persönlichkeit gegenüber den Unschuldsbeweis anzutreten, wäre völlig zwecklos gewesen. Sicherlich hätte er nur einen Skandal heraufbeschworen, ohne doch die Wahrheit an den Tag zu bringen. Rüstädt begnügte sich also damit, dem Hofgesinde gegenüber seine unverhohlene Verachtung an den Tag zu legen.

Seine Königliche Hoheit schien übrigens irgend etwas mit Rüstädt im Sinne zu haben, denn er erkundigte sich auch bei Oberförster Seltmann nach der bisherigen Thätigkeit des Majors.

Der Aufenthalt des Landesherrn verlief zur Zufriedenheit für alle Teile. Die loyalen Leute der Gegend hatten ihre Deputationen, Böllerschüsse, Reden 124 und Feuerwerke losgelassen. Der Fürst selbst hatte gute Jagdbeute gemacht. Oberförster Seltmanns Befürchtung aber, daß man wegen des allzu reichlichen Abschusses Rechenschaft von ihm fordern werde, war Gott sei Dank nicht in Erfüllung gegangen.

 


 


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