Franz Graf Pocci
Lustiges Komödienbüchlein
Franz Graf Pocci

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Schimpanse, der Darwinaffe

Intermezzo in einem Aufzuge

(29. Dezember 1873)

Personen

                        Gerstenzucker,
  Professor und berühmter Reisender

Kasperl Larifari

Gretl, seine Frau

Fräulein Blaustrumpf

Bürgermeister Neurer

Schöppler, Magistratsrat

Türmüller, Hausherr

Spritzler, Magistratsdiener

Ein Gerichtsdiener

Schimpanse, ein Affe
 

Leeres Zimmer.

(Nur ein schlechter Stuhl steht in der Mitte, auf welchem Kasperl sitzt und schläft. Gretl eintretend.)

Gretl. No! Jetzt ist's Zeit zum Schlafen! Kasperl! Auf, auf! Hast gar nichts zu tun, als zu schlafen? Essen, trinken und schlafen – das sind deine G'schäften. (Rüttelt ihn.)

Kasperl (erwachend). Oho! Oho! Was gibt's denn! (Schnarcht.)

Gretl. Was 's gibt? Der Hausherr war schon zweimal da. Unsere Möbel hat er schon auf die Gassen nunterstellen lassen. Auszieh'n heißt's! Fort aus'm Logis.

Kasperl. Jetzt hab' ich so sanft geruht und du weckst mich auf wegen dem Bagatell. (Tragisch.) Furchtbares Verhängnis! Ha, ich weiß es. Das schauerliche Ende eines Monats ist eingetreten. Schicksal, ich frage dich: Warum? warum, rum, rum, rum usw.?

Gretl. Warum? – darum: Weilst schon drei Monat den Zins wieder nicht bezahlt hast. Jetzt zieh'n wir heuer schon das fünfte Mal aus. Es ist eine wahre Schand'!

Kasperl. Dieses Aus- und Einziehen ist aber doch alleweil eine gesunde Beschäftigung. Ein sogenanntes Wanderleben, eine Art Nomaderie.

Gretl. Ja – kein Mensch will uns mehr im Haus behalten wegen deiner saubern Wirtschaft.

Kasperl. Was? Wer soll denn die Wirtschaft sauber halten? Wer? – das Woib, welches schon seit Adam und Eva zur Wirtschaftshalterin bustimmt ist. Was sagen Sie dazu? Madame?

Gretl. Was ich sag'? – Daß du das schlechte Element im Haus bist. Ohne mich wären wir schon längst zugrund' gegangen.

Kasperl. Das ist schon gar nicht wahr und nicht möglich. Es gibt nur vier Elemente: Luft, Feuer, Erde und Wasser. Ein fünftes existiert nicht, also kann ich schon gar kein Element sein. Das heißt man Logik.

Gretl. Sei still mit dein'm G'schwätz. Schau dich lieber um ein Logis für uns um. Wir können doch nicht auf der Gassen schlafen.

Kasperl. Wär' auch nicht übel. Untertags im Freien und nachts im Wirtshaus. Bräucht' man nicht einz'heizen. – Aber ich bin der Mann! Und ich will es sein. Jetzt merk' auf, teures Woib: Drin auf'm Fensterbrettl ruht ein einsamer Sechser, eine jetzt noch gangbare Silbermünze. Nimm diesen Gegenstand und begib dich damit zur Basen, der Frau Schneizlhuberin. Macht's euch einen Kaffee, und dort erwarte mich.

Gretl. Ein' Kaffee um ein' Sechser für zwei Personen?

Kasperl. Die Schneizlhuberin soll auch einen Sechser dazulegen, nachher könnt' ihr auch noch eine Brezen dazuhaben. Unterdessen werde ich in das Leben hinausstürzen und eine Logissuchungswanderfahrt unternehmen. Also jetzt fort, fort, hinaus! (Es klopft an die Türe.) Wer kommt denn da wieder?

Türmüller (tritt ein). Ich bin's, Herr Kasperl. Heut schon zum dritten- – aber letztenmal. Machen S' nur gleich, daß aus'm Haus kommen.

Kasperl. Herr Türmüller, das ist nicht die Manier, wie man mit gebildeten Leuten und soliden Parteien sich zu benehmen hat. Ich weiß sehr gut, daß ich Ihr miserables Logis zu verlassen habe; allein der Anstand würde erhuischen, daß Sie mit der Modifikation zeitgemäßer Rücksicht auf ein Familienetablissement zweier allgemein respektierter kinder- und elternloser aber nicht sittenloser Personen, wie ich und meine Gemahlin, Ihre nicht unbilligen Forderungen zu rektifizieren belieben möchten und nicht als ein wirklicher Türmüller einem mit der Tür ins Haus fallen.

Türmüller. Das ist mir alles einerlei. Sie haben drei Monat Ihren Zins nicht bezahlt, ich hab' Ihnen aufg'sagt, also Marsch, aus'm Haus!

Kasperl. Was? Wie? »Marsch«. Aus welcher Stufe von Bildung stehen Sie, daß Sie einen Ausdruck gebrauchen, den man schon vor dem neuen preußischen Reglement nur auf dem Exerzierplatze gehört hat?

Türmüller. Jetzt machen's nur keine Flausen. Zahlen S' mir meine 15 Gulden und machen S', daß fortkommen. Es zieh'n andere Leut' ein.

Kasperl. Was die 15 Gulden anbelangt, so ist das eine Kleinigkeit, von der wir gar nicht reden wollen.

Türmüller. Was – nicht reden? Machen Sie oder ich mach' ernst.

Kasperl (gibt ihm eine Ohrfeige). Da haben Sie eine kleine Abschlagszahlung.

Türmüller (schlägt ihn ebenfalls). Und da haben S' die Quittung.

Kasperl. So ist's recht! Zahlen und quittieren.

(Unter Geschrei und Balgerei alle zur Türe hinaus ab.)

Verwandlung

Zimmer des Professors Gerstenzucker.

Schreibpult, Karten, Globus, ausgestopfte Tiere, Retorten, Gläser. Bücher, ad libitum charakteristisch ausstaffiert.

(Gerstenzucker sitzt in seinem Lehnstuhle am Schreibpulte. Vor ihm auf dem Boden liegt ein toter Affe.)

Gerstenzucker. Er ist dahin! Mein treuer, guter Schimpanse – erschrecklich! Dieses kostbare, mir unersetzliche Exemplar! Das wichtigste Resultat meiner Reise um die Welt! – Was fang' ich jetzt an? Der lebendige Beweis des Darwinismus, das evidenteste Subjekt für die Theorie, daß das Menschengeschlecht seinen Ursprung nur im Affen zu suchen hat; und wieweit in der Kultur war er durch meine Erziehung gebracht! Er war beinah schon ganz Mensch (es klopft) und nun ist er eine Leiche! Jetzt gerade eine Störung. Man soll nicht wissen, daß mein Schimpanse krepiert ist.

(Kasperl plumpst durch die Türe herein auf den Boden.)

Kasperl. Bitt' um Verzeihung, gehorsamster Diener! die Tür muß nit recht zug'wesen sein. Bitt' untertänigst –

Gerstenzucker. Wer sind Sie, mein Herr, daß Sie so ohne weiteres eindringen?

Kasperl. Wer ich bin? Ach! ein Unglücklicher, Hoimatloser.

Gerstenzucker. Wieso? Was wollen Sie hier?

Kasperl. Ich habe in einem Blattl ausgeschrieben gelesen, daß ein Herr Professor einen Budienten sucht, auf dessen Redlichkeit und Fleiß er sich verlassen könne. In dem Anfragsbureau hat man mich hierher gewiesen. Und da bin ich halt g'schickterweis' gleich höflich zur Tür hereing'fallen.

Gerstenzucker. Sie suchen also einen Dienst? (Für sich.) Ein kurioses Exemplar, das.

Kasperl. Ja, ich suche einen Dienst, aber allein nur meiner Xalifixation angemessen und einen der Befriedigung meiner Substanz entsprechenden Aufenthalt.

Gerstenzucker (für sich). Der kommt mir gelegen. Vielleicht könnte ich ihn wohl gebrauchen. (Zu Kasperl.) Wo haben Sie Ihre Zeugnisse? Ihre Referenzen?

Kasperl. Ich busitze weder Zuignisse noch Deferenzen. Wer nicht meiner Phusionomie traut, wer (erhaben) mir nicht offen und ehrlich in mein blaues Auge schauen kann – der ist nicht mein Mann. Ich war bisher freier Staatsbürger – –

Gerstenzucker. Sie sind also wohl durch Verhältnisse genötigt, einen Dienst zu suchen?

Kasperl. O ja! Sehr ja! (seufzt) Die Verhältnusse, die Stricksale, die Wirren – Zwirren – – alles, alles – –

Gerstenzucker. Gut. Ich will es mit Ihnen versuchen, wenn Sie auf meine Bedingungen eingehen.

Kasperl. O sehr, denn ich bin schon oft eingegangen.

Gerstenzucker. Sie werden gut bezahlt und gut genährt. Ich hatte die Fatalität, meinen bisherigen treuen Diener zu verlieren –

Kasperl. Und nicht mehr zu finden?

Gerstenzucker. Zu verlieren – durch den Tod! Hier ist seine Leiche.

(Kasperl sieht den toten Affen, macht einen Sprung zurück.)

Kasperl. Pfui Teufel! Dieser Budiente hat ja einen Schwoif?

Gerstenzucker. Ich habe ihn zwar als Wilden aus Afrika mitgebracht; allein er war ein treffliches Subjekt.

Kasperl. Und jetzt soll ich dieses Vieh vorstellen?

Gerstenzucker. Es ist meine Livree. Nun, also? –

Kasperl. Erlauben S' nur, daß ich mich ein bißl businne. (Für sich.) Gut bezahlt, gut genährt. 25 Gulden monatlich muß er mir geben. – Ah, auf einige Zeit kann ich's ja probieren und auf die Maskerad' kommt's mir auch net an; da kennt mich kein Mensch – auch meine Gretl nicht. Das gibt einen Hauptspaß. – (Zu Gerstenzucker.) Mir ist's recht und ich bin dabei; aber monatlich 25 Gulden und alles frei!

Gerstenzucker. Einverstanden. Folgen Sie mir in das Nebenzimmer. Nehmen Sie Ihren Vorgänger mit. (Ab durch die Seitentüre.)

(Unter komischem Zögern zieht Kasperl den toten Affen am Schwanze nach und folgt dem Professor.)

(Fräulein Blaustrumpf in extravaganter Toilette, tritt großartig durch die Haupttüre.)

Fräulein. Alle Türen offen! Freier Eintritt in das Heiligtum der Wissenschaft. Dies ist groß! Dies ist würdig! – So denke ich mir auch den Mann. Nun soll ich ihn kennen lernen, Aug' in Aug', diesen berühmten Mann. Schon dieses Zimmer, in welchem sein Geist schafft und wirkt, ist eigentümlich reizend. All diese Objekte! Und hier auf seinem Pult noch die kaum eingetunkte Feder! keine Stahlfeder! Nein, der alte würdige Kiel! Auch dies ist eigentümlich und groß. – – Er kommt!

(Kasperl mit Affenmaske vor dem Gesichte und hinten an der Hose ein langer beweglicher Schwanz, im übrigen ganz in seinem gewöhnlichen Kostüme, Spitzkappe auf dem Kopf usw. tritt ein und klotzt das Fräulein an.)

Fräulein. Ach! Was seh' ich? – Dies ist wohl sein Schimpanse – sein Diener. Merkwürdig! (Spricht ihn an.) Schimpanse! Schimpanse!

(Kasperl macht ungeheuere Reverenzen und Sprünge.)

Kasperl (für sich). Was ist denn das für eine kuriose Figur?

Fräulein. Wie kann ich mich ihm wohl verständlich machen! Ist der Herr Professor zu Hause? Monsieur le Professeur, est-il chez lui?

Kasperl (sehr schnell). Ja, ja, ja, ja, oui, oui, oui, oui! (Streckt den Schwanz in die Höhe.)

Fräulein. Intelligentes Wesen! – Willst du mich melden? Fräulein Blaustrumpf.

Kasperl (springt auf den Tisch). Pr, pr, pr, pr, pr!

Fräulein. Ich bin Privatgelehrtin und Touristin.

Kasperl. Schnurrnurrschnurrnurristin! (Lacht fürchterlich, springt mit einem Satze durch die Seitentüre ab.)

Fräulein (allein). Allerliebst! Da sieht man es unwiderlegbar: Darwin hat recht. Ein Affe und so intelligent, wie irgendein menschliches Wesen – allerdings zwar auf etwas niedrigerem Kulturstandpunkte; so mögen wohl die Urmenschen gewesen sein. – Er naht, der süße, holde Gerstenzucker!

(Kasperl ohne Affenmaske im Schlafrock.)

Kasperl (im Eintreten für sich). Mein Professor schläft, also kann ich's riskieren, den Herrn zu spielen. (Zum Fräulein.) Ha! Ah! Ha! Habe die Oehre; also Fräulein Blaustrumpf? Selbst Stiftstellerin? Sehr erfroit, die Ehre zu haben.

Fräulein. Ja, ich bin Adalgise Blaustrumpf. Glücklich, wenn Ihnen vielleicht mein unbedeutender Name schon einmal vorgekommen!

Kasperl. O sehr, sehr – budeutend! budeutend!

Fräulein. Mein sehnlichster Wunsch ist in Erfüllung gegangen! Ich – eine Ihrer größten, begeistertsten Verehrerinnen – stehe nun an dem Born der modernen Wissenschaft, dem Träger des Darwinschen Systemes!

Kasperl (immer sehr hochdeutsch). Allerdings, Mademoisell.

Fräulein. O, wie könnte ich Ihnen huldigen?

Kasperl. Sie schuldigen mir gar nichts. Apripos! Wie gefällt Ihnen mein Affe! A netter Kerl, nit wahr?

Fräulein. Der lebendige Beweis für die neue Lehre. Wie vortrefflich erläutern Sie dies in dem 45. Hefte Ihres Journals »Die Weltkugel«!

Kasperl. Was? – Weltkugel? Weltkugel? Kegelkugel, Kegelkugel – ja, ja, ja, ja, ja!

Fräulein. Nicht wahr? Sie haben dieses Exemplar von Ihrer Reise aus der südlichsten Spitze Südafrikas mitgebracht?

Kasperl. Ja, aus der niedlichsten Spritze von Paffrika. (Für sich.) Das Fragen wird mir z'wider. (Laut.) Das Sprüchl aus'm Abcbüchel wissen Sie g'wiß:

»Der Affe gar possierlich ist,
Zumal, wenn er den Apfel frißt.«

Fräulein. Bitte, bitte: Solche Naivität bei solcher Gelehrsamkeit?

Kasperl. Womit kann ich eigentlich aufwarten?

Fräulein. Herr Professor haben auf Ihren großen Reisen doch höchst interessante Momente erlebt.

Kasperl. O ja, die Monumente besonders; – allein meine Monumente sind kostbar und ich bin immer sehr auf das Honorar für meine kostbare Zeit gespannt, sogenanntes Douceur?

Fräulein. Sehr natürlich. (Etwas überrascht.) Ich hätte mir so gerne die Freiheit genommen, Ihnen die ersten Bogen meiner neuesten Novelle vorzulesen –

Kasperl. Forelle? blau abg'sotten oder gebacken?

Fräulein. Die Novelle heißt: »Der Sieg des Geistes über die Finsternis.«

Kasperl. Ha! »Finsternis!« Da muß es sehr dunkel, sehr dunkel sein. Aber – meine Zoit ist sehr kostbar, wessenwegen ich mir alle Visiten bezahlen lasse, wie die Doktoren, die die Leut' umbringen.

Fräulein. Da will ich nicht länger stören und werde ein andermal so frei sein – – (Will fortgehn.)

Kasperl. Halt e bißl, das geht nicht so schnell. Zuerst fünf Gulden – nachher können S' abblitzen.

Fräulein. Wie – Herr Professor? – Sonderbar – in Ihrer Stellung – –?

Kasperl. Nicht sonderbar, sondern bar. Wenn nicht – so könnte ich einige gelehrte Gewaltmittel in Anwendung zu bringen mir erlauben.

Fräulein. Es ist nicht möglich, solch ein Betragen! Sie wollten – –?

Kasperl. Ja, ich wollte – kurz, wenn Sie nicht einen Fünfguldenschein hergeben, so werden Sie dieses Zimmer auf eine etwas ungenehme Manier verlassen – –

Fräulein. Das überschreitet alles! Ich gehe, aber enttäuscht!

Kasperl. Nur hinaus, wenn Sie nicht zahlen.

Fräulein. Schändlich! –

(Kasperl stößt sie hinaus.)

(Professor Gerstenzucker stürzt aus dem Nebenzimmer herein.)

Gerstenzucker. Was ist das für ein Lärm?

Kasperl. Nur ein kleiner Wortwechsel.

Gerstenzucker. Aber was sehe ich? Wer hat Ihnen erlaubt, meinen Schlafrock anzuziehen? Welche Kühnheit!

Kasperl. Glauben Sie denn, daß ich alleweil den Affen machen will? Ich bin gleich auch einmal als Professor aufgetreten. Sie können Ihren Affen bisweilen selber machen.

Gerstenzucker. Was fällt Ihnen ein? In einer solchen Weise beginnen Sie, Ihre Dienste bei mir zu leisten?

Kasperl. Jetzt bin ich schon einen halben Tag bei Ihnen und hab' noch kein' Bissen zu essen und keinen Schluck zum Trinken bekommen!

Gerstenzucker. Welch ein Benehmen! Er ist der Diener, und ich bin der Herr. Schweig' Er also! Das übrige wird sich finden.

Kasperl. So also? Da muß ich schon anders auftreten.

(Schlägt den Professor.)

Gerstenzucker. Schändlicher Bursche! (Dringt auf Kasperl ein.)

(Balgerei, in welcher beide durch die Seitentür abgehen.)

Verwandlung

Offene Straße in der Stadt.

(Gretl, später Spritzler.)

Gretl. Zwei Stunden hab' ich jetzt schon auf den Kasperl gewart't. Wo steckt der wieder? Er hätt' mir schon lang' die Antwort bringen können, ob er ein Logis für uns g'funden hat. Gewiß ist er wieder in einem Wirtshause hängen geblieben. Der Mensch ist unverbesserlich. Da kommt ja der Magistratsdiener: der hat's aber pressant heut'!

Spritzler (eilt herein). Guten Morgen, Madame. Halten S' mich nur nit auf; ich hab' keinen Augenblick Zeit.

Gretl. Nu, was gibt's denn gar so Wichtig's?

Spritzler. Nu – denken S' Ihnen, Madame Kasperl: Dem Professor Gerstenzucker ist sein Aff' ausgekommen. Sie kennen ihn ja?

Gretl. Freilich! Ich hab' ihn schon öfters mit sein'm Affen spazierengehen sehen. Der ist aber ganz zahm; wie a Lampl ist er mit ihm gegangen.

Spritzler. Nun, das Vieh ist auf einmal rabiat worden, hat 'n Herrn Professor selbst beutelt und ist ausg'sprungen.

Gretl. Das kann aber ein Unglück geben.

Spritzler. Er ist zwar ein gelehrter Aff', aber halt doch ein Aff'. Er beißt und kratzt wie die andern. Beim blauen Bockwirt ist er gleich neing'rumpelt, hat 'n Wirt, d'Wirtin, d' Kellnerin abgebeutelt, hat sich Bier und Würst geben lassen und ist nachher zum Fenster nausg'sprungen.

Gretl. O mein, o mein! Wenn ihm nur mein Kasperl nicht in die Händ' lauft –

Spritzler. Jetzt hat man ihn –

Gretl. Den Kasperl? –

Spritzler. Nein – den Affen, beim Cafetier unter die Bögen hineinspringen sehen. Ich hab' den Befehl, ihn zu fangen; aber ich muß erst einen Gerichtsdiener requirieren; denn allein trau' ich mich nicht über das wilde Tier. Adieu, Frau Kasperl. Ich kann mich nimmer aufhalten. (Ab.)

Gretl. No, machen S' nur, daß 'n bald kriegen. (Nach der andern Seite ab.)

(Bürgermeister Neurer und Magistratsrat Schöppler, letzterer ungeheuer dick und rotnasig. treten zusammen auf.)

Neurer. Das ist doch wirklich eine tolle Geschichte, Herr Magistratsrat: Ein Aff' bringt die halbe Stadt in Alarm.

Schöppler. Da müssen Sie halt eine Sitzung zusammenberufen, Herr Bürgermeister.

Neurer. Aber ich bitte Sie, Herr Rat! Eine Sitzung wegen eines ausgekommenen Affen.

Schöppler. Das Ereignis ist ein Novum. Da können Sie nicht ohne Magistratsbeschluß verfügen.

Neurer. Ein einfacher Polizeifall! Da muß ich mir freie Hand vorbehalten.

Schöppler. Und ich meinerseits als Ratsmitglied müßte protestieren – nach Paragraph 125 des neuen Polizeistrafgesetzes und nach Paragraph 9 der Gemeindeordnung. Das Gesetz bestimmt noch dazu öffentliche Sitzung.

Neurer. Ich bin gewiß möglichst für Kollegialverfahren und öffentliche Verhandlung, allein hier liegt ein Ausnahmsfall vor, wo rasches Einschreiten angezeigt ist. Ich nehme die Verantwortung auf mich als Bürgermeister.

Schöppler. Das ist Ihre Sache, Herr Bürgermeister. Wenn Sie den Gegenstand so auffassen, kann ich nichts dagegen haben. Ich gehe vorläufig auf einen Schoppen ins Weinhaus. Wenn Sie mich brauchen, so kann man mich dort finden.

(Geschrei hinter der Szene.) Halt's 'n auf! fangt's 'n! (Andere Stimmen.) Der Aff', der Aff'!

(Neurer und Schöppler fahren erschreckt auseinander.)

Neurer. Das ist kein Spaß, Herr Magistratsrat!

Schöppler. Da haben wir's. Da kommt der Aff'! Hätten Sie nur gleich eine Sitzung anberaumt.

(Kasperl in der Affenmaske springt herein, rumpelt Neurer und Schöppler über den Haufen, macht die tollsten Sprünge. Neurer läuft davon. Schöppler fällt auf den Bauch, Kasperl prügelt ihn, Schöppler rafft sich auf und geht ab.)

Kasperl. Platz, Platz! Gikeriki! Pr, pr, prrrr. (Lacht ungeheuer.) Das ist a G'spaß! Das freut mich! Alle fürchten's mich. Mein' Hausherrn hab' ich auch umgerennt! – Aber jetzt muß ich wirklich a bißl ausschnaufen. Gegessen, getrunken, was in mich hineingegangen ist – beim blauen Bockwirt, im Kaffeehaus, im Schnapsladel – nachher das Springen und Laufen –no! Das eschaufferiert weiter net! Potz Schlipperment! Da seh' ich meine Gattin kommen. Mit der muß ich auch einen Jux haben. Ich versteck mich. (Versteckt sich hinter den Kulissen.)

Gretl (tritt ein). Das ist erschrecklich, was der Aff' für eine Rebellion macht. Kein Mensch traut sich mehr aus'm Haus. Ich muß nur machen, daß ich heimkomm'. Mein Kasperl hab' ich auch nirgends g'funden!

Kasperl (springt von rückwärts auf Gretl und packt sie). Pr, pr, prrrr!

Gretl (schreit furchtbar). Auweh! auweh! Der Aff'! Helft's mir! Ich bin verloren!

Kasperl. Du, du, du – abscheulich's Weib!

Gretl. Lassen's aus, Herr Aff', ich bitt' gar schön!

Kasperl. Wo, wo, wo ist der Kasperl?

Gretl. Ich weiß net, wo mein lieber Mann ist. Woll'n Sie vielleicht was Gut's? oder einen Kaffee? Was Sie wollen, kriegen S'. Lassen S' nur aus! Sie drosseln mich ja. (Kasperl brüllt und brummt.)

(Im Hintergrund erscheinen Spritzler und der Gerichtsdiener.)

Spritzler. Da ist der Kerl!

Gerichtsdiener. Jetzt aufgepaßt! Kurasch! So krieg'n wir'n gleich. (Beide stürzen von rückwärts auf Kasperl und halten ihn fest.)

Spritzler. Haben wir dich, Bestie?

Kasperl. Oho – ho – ho, pr, pr, prrrr!

(Gretl läuft davon.)

Spritzler. So, jetzt nur gleich auf'n Magistrat mit dir. Da wird man dir's schon zeigen.

Gerichtsdiener. Ja, da wird man dir Mores lehren!

(Führen Kasperl ab.)

Verwandlung

Amtszimmer auf dem Rathause.

Neurer. Das wäre doch des Kuckucks, wenn man der Bestie nicht habhaft werden könnte! Ich habe aber alle Maßregeln getroffen. Der Professor Gerstenzucker muß jeden Augenblick hier erscheinen. Ich muß mich doch mit ihm ins Benehmen setzen und hab' ihn deshalb eventuell zitiert, damit er gegenwärtig ist, wenn man den Affen arretiert hat. (Es klopft.) Herein!

(Professor Gerstenzucker mit verbundenem Kopfe tritt ein.)

Neurer. Ah, Herr Professor! Freut mich, die Ehre zu haben. Aber in welch einem Zustande?

Gerstenzucker. Ich weiß nicht, was mein sonst so zahmer Schimpanse plötzlich für einen Anfall von Wildheit gehabt, daß er mich, seinen Wohltäter, so mißhandelt hat. Er ist eigentlich ganz sanfter Natur.

Neurer. Bedaure sehr; aber, aber: naturam expellas, tandem . . .

Gerstenzucker. Ich kann nur vermuten, daß er über die Flasche Branntwein gekommen ist, welche ich zum Experimentieren gebrauche und aus Versehen auf meinem Schreibpulte stehen ließ.

Neurer. Nach allem, was ich amtlich erhoben, scheint doch seine animalische Tendenz noch zu prävalieren; denn er hat sich unbändig benommen und große Wildheit geoffenbart. Ohne Zweifel wird er aber bald eingebracht werden. Ich habe wackere, couragierte Leute.

Gerstenzucker. Wenn man ihn bringt, zweifle ich nicht, daß er, wie er mich sieht, gleich beruhigt wird. Bisher folgte er mir wie ein Kind; ich habe ihn bereits ein Jahr bei mir und nicht das geringste kam vor.

Neurer. Nicht wahr? Sie haben ihn aus dem unkultiviertesten Teile Afrikas?

Gerstenzucker. Allerdings: Er ist ein Schimpanse aus den antidiluvianischen Urwäldern, ein Darwinexemplar.

Neurer. Ich bin auch ganz der Ansicht, daß die Menschheit ursprünglich ein Affengeschlecht war. Das System ist so klar, so einfach, so natürlich und dem Fortschritt der modernen Wissenschaft ganz angemessen, überhaupt – – (Lärm draußen.) Aha! ich denke, man bringt ihn. (Retiriert sich hinter das Amtspult.)

(Spritzler und Gerichtsdiener bringen Kasperl gebunden herein. Kasperl macht einen ungeheuren Sprung auf den Professor.)

Gerstenzucker. Nun hat man dich, Schlingel? Was machst du aber auch für Streiche? Geschah dir ganz recht. Du brauchst wohl wieder einmal die Peitsche. (Kasperl brüllt und macht pr, pr, prrr.) Sei nur ruhig und brav.

Neurer. Wünschen Sie, daß ich den Delinquenten in amtliches Verhör nehme. Dann müßte ich Sie bitten, den Dolmetsch zu machen.

Gerstenzucker. Ich denke, es wird nicht nötig sein.

Neurer. Jedenfalls ist der Vorfall für Sie nicht ohne Folgen. Es sind bereits Klagen auf Schadenersatz eingelaufen, actio de pauperie. Der Kerl hat viel Unheil angefangen.

Gerstenzucker. Fatal für mich, allein ich werde wohl bezahlen müssen. (Für sich) Ich darf den Kerl nicht verraten, sonst ist mein Ruf kompromittiert.

Kasperl (beiseite zum Professor). Jetzt müssen Sie mich schon als Affen gelten lassen, bis wir draußen sind, sonst sind Sie als Lügner und Betrüger elend blamiert. Und wenn wir zu Haus sind, bitt' ich mir 50 Gulden aus, damit ich's Maul halt'. – – Pr, pr, pr! (Springt auf ihn.)

Bürgermeister. Ein lustiger Bursche, aber mir scheint, daß er doch ziemlich gezähmt ist.

Gerstenzucker. O ja, allein, da wir ihn jetzt hier haben, ersuche ich Sie Herr Bürgermeister, den Burschen einsperren zu lassen und 8 Tage bei Wasser und Brot zu füttern.

Bürgermeister: Wenn Sie es wünschen, soll es geschehen.

Kasperl. Was soll geschehen? Potztausend Schlipperment. Ich laß' mich nicht einsperren.

Gerstenzucker. Unverschämt, man soll wissen, daß er kein Affe ist, sondern ein unartiger Patron.

Bürgermeister. Wie? Was muß ich sehen und hören? Die Stimme ist mir sehr bekannt.

Kasperl. Glaub's gern, daß Ihnen die Stimm' bekannt ist. Sie haben mich oft genug einsperren lassen, Herr Bürgermeister.

Bürgermeister (lacht). Ha, ha, ha! Und heut' ist es Ihnen besonders zuträglich. Was haben Sie wieder alles angefangen, Herr Kasperl!

Gerstenzucker. Und wie hat er sich gegen mich betragen!

Bürgermeister. Also fort! Man führe ihn ins Gefängnis. (Gerichtsdiener will den Kasperl packen.)

Kasperl. Was net gar! Ich bin freier Staatsbürger. Wer mich packen will, den werde ich à la Schimpanse behandeln. (Schlägt den Gerichtsdiener nieder.)

Bürgermeister. Unverschämt, unverschämt!

Kasperl. Ja, unverschämt! Ich bin heute als Aff' das Opfer der Wissenschaft. Sie haben mir gar nichts zu sagen, Herr Neurer!

Gerstenzucker. Welche Frechheit!

Kasperl: Was woll'n denn Sie? Sie Betrüger mit der Darwinkomödie. Jetzt hab' ich's satt. (Springt furchtbar herum, schlägt Gerstenzucker nieder, dann den Bürgermeister usw. Allgemeines Getümmel, alle fallen zu Boden.) Dies ist der Sieg des Darwinismus, der Mensch in seiner Ursprünglichkeit! Juhe, jetzt geh' ich ins Wirtshaus.

(Der Vorhang fällt.)

Ende.


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