Franz Graf Pocci
Lustiges Komödienbüchlein
Franz Graf Pocci

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Kasperl als Turner

Zwischenspiel in einem Aufzuge

(September 1872)

Personen

        Kasperl Larifari, Privatier

Gretl, Kasperls Frau

Medizinalrat Dr. Fiberer

Barrenreck, Professor der Turnkunst

Zimmer in Kasperls Wohnung.

(Gretl tritt mit Dr. Fiberer durch die Mitteltüre ein.)

Doktor. Nun, wie steht's mit Herrn Kasperl? Sie haben mich wieder rufen lassen. Ich meine aber doch, daß es vor vierzehn Tagen schon etwas besser gegangen, als ich das letztemal bei Ihnen war.

Gretl. Oh, mein Gott! Ich hab's auch geglaubt. Aber auf das letzte Rezept, das Herr Medizinalrat ihm verschrieben haben, ist's beinah' noch schlimmer mit ihm geworden.

Doktor (gereizt). Oho, Madame! das pflegt man mir doch selten zu sagen. Auf meine Ordinationen tritt gewöhnlich Besserung beim Patienten ein. Da müßte ich schon bitten.

Gretl. Diesmal scheint es dann nicht der Fall gewesen zu sein. Aber Sie werden sich gleich selbst überzeugen; ich werde meinen Mann hereinholen, damit Sie mit ihm reden können. (Ab durch die Nebentüre.)

Doktor (allein). Ei, ei, das wäre aber doch! Jetzt kurier' ich schon ein halbes Jahr an Herrn Kasperl, und ich kenn' mich eigentlich selber noch nicht aus, was ihm fehlt. So was darf sich aber ein praktischer Arzt nicht anmerken lassen, oder zu was hätt' ich denn erst vor zwei Monaten den Medizinalratstitel bekommen? Wir Aerzte müssen zusammenhalten, besonders wegen der Homöopathen, die aber sozusagen auch nichts wissen; allein die möchten uns Allopathen ganz ruinieren. Aha! Da kommt er.

(Kasperl tritt ein, große Zipfelmütze auf, ungeheuer wehleidig und affektiert krank und schwach, mit schlotternden Schritten und schwacher Stimme.)

Kasperl. Guten Morgen, Herr Mudizinalrat. Kommen Sie auch wieder einmal zu einem armen kranken Mann? Geltens? Wie ich ausschau! Zum Verschrecken!

Doktor. No, no, 's passiert, Herr Kasperl. Wie ich's letztemal bei Ihnen war, haben S' doch noch viel miserabler ausgesehn, und mit dem Piedestal – scheint mir –geht's doch jedenfalls besser. Sie marschieren ja ganz brav.

Kasperl. Oh, bewahr's Gott! Ich geh' auf meine letzten Füß!

Doktor. Ja, weil überhaupt jeder Mensch nur zwei Füß' hat. Nun also; diskurieren wir ein bißl miteinand. Wie steht's eigentlich mit'm Appetit; denn das ist immer die Hauptsach' beim Menschen.

Kasperl. Gar nit gut. Wenn ich sechs Leberknödl in der Suppen und acht Paar Bratwürst' auf'm Kraut gessen hab', da is mit'm Appetit schon vorbei.

Doktor. Nun, nun, das kann man sich immer gefallen lassen. Der Magen vertragt noch was. Denken Sie nur, daß Sie gar keine Motion machen, Herr Kasperl. Nun – und wie steht's mit dem Durst?

Kasperl. Miserabel! So a halb's Dutzend Liter, wie man's jetzt heißt – die tuen's noch; aber da kann ich höchstens noch a paar Maßl draufsetzen nach'm alten Maß.

Doktor. Das ist immer noch ein ganz erträglicher Zustand und mir scheint doch, daß meine letzte Medizin gewirkt hat. Und jetzt sag'n S' amal, Herr Kasperl, wie ist's mit'm Schlaf? –

Kasperl. Reden Sie mir nur nicht vom Schlaf! Wenn ich mich abends um a 9 Uhr niederleg', so wach' ich um 8 Uhr in der Fruh schon wieder auf und nachher muß ich mich wenigstens noch dreimal umkehren, bis ich noch a paar Stündl schlafen kann. Gelten's, Herr Mudizinalrat, das kann man doch keinen g'sunden Schlaf heißen?

Doktor. 's passiert, 's passiert, Herr Kasperl! Jetzt muß ich nur noch nach'm Stuhl fragen. Der soll in Ordnung sein.

Kasperl. Ja, ich muß halt seit acht Tag' immer auf'm Lehnsessel hocken, weil an dem Stuhl in mei'm Schlafkammerl zwei Füß' brochen sind und der ist noch beim Tischler zum Leimen.

Doktor. Sie haben mich nicht recht verstanden. Ich mein', ob Sie vielleicht an Obstruktionen leiden? An Konstipationen?

Kasperl. Oh, elend, elend! Von den Destruktionen und Konspirationen haben S' gar keinen Begriff.

Doktor. Hm! hm! – Bewegung, Bewegung! Herr Kasperl! dann werden die Anschoppungen bald aufhören.

Kasperl. Was? Anschopfungen? – Ich nimm mein' Gretl alle Tag beim Schopf, und es nutzt doch nichts.

Doktor. Sie müssen Bewegung machen.

Kasperl. No, ist das kein' Bewegung, wenn ich alle Tag dreimal zum Wirt nübergeh?

Doktor. Alles zu wenig! Ich würde Ihnen das Spazierenreiten empfehlen.

Kasperl. Wie? Das Spazierenreiten? Erstens: Hab' ich keinen Gaul, und zweitens: Wenn ich auf der linken Seiten auf en Gaul aufsitz', so fall' ich auf der rechten gleich wieder nunter.

Doktor. Wissen's was, Herr Kasperl? Probieren Sie's mit dem Turnen.

Kasperl. Oho, ein Turner soll ich werden? Wär' net übel! 365 Staffeln auf'n Frauenturm naufsteigen und nacher oben Hunger und Durst leiden? Tag und Nacht auf- und abspazieren und zum Fensterl nausschau'n, ob's net wo brennt? Aufs Rathaus nunter telegraphieren, anschlagen, Feuertrompeten blasen – oh, oh, was fallt Ihnen ein?

Doktor. Sie haben mich wieder nicht recht verstanden. Ich meine, daß Sie turnen sollen, wie's jetzt überhaupt nach dem neuen Reichsgesetz auch für die deutschen und lateinischen Schulen vorgeschrieben ist. Sie werden doch wissen, was das Turnen ist? Diese herrliche Leibesübung für die deutsche Jugend!

Kasperl. Ja, ich weiß schon; aber ich weiß doch nit, ob die Kommotion mich nicht zu stark angreift.

Doktor. Jetzt gehn wir nur gleich in den »Adler« hinüber. Da kommt der Professor der Turnerei, der Herr Barrenreck täglich zum Essen hin. Ich mache Sie mit ihm bekannt und dann werden wir schon sehen, was zu machen ist.

Kasperl. No ja, meinetwegen! 's Bier ist auch gut im Adler. Gehn wir halt zum Professor Narrenschneck nüber.

Doktor. Barrenreck! Barrenreck, Herr Kasperl.

(Beide durch die Haupttüre ab.)

Verwandlung

Gastzimmer im »Adler«.

(Nanni, Kellnerin, ordnet und deckt Tische.)

Nanni. Aber heut kommen's wieder spät zum Essen, die Herrn; schon gleich halb zwei Uhr und noch keiner da! Richtig! jetzt fallt's mir ein! die Herren Offizier haben ja groß' Inspektions-Manöver; die werden erst gegen Abend kommen. Die Herren Beamten sitzen wieder z'lang beim Schöppeln. Denen ihre Bureaustunden sind auch kurz gemessen. Um 9 Uhr da ziehn's amal auf; um ½12 Uhr geht's zum Schöppeln, um eins zum Essen, nachher zum Kaffee, nach a paar Stündeln aufs Bureau, den Einlauf durchsehen, wie ich's immer reden hör'; nacher zum Nachtessen z'Haus. Da werden die Buben gebeutelt, wer einen hat. Um 8 Uhr in die Herrng'sellschaft bis 11 Uhr. Das ist der Lebens- oder Tageslauf eines Staatsdieners, und wenn er's einige Jahrln so durchg'macht hat, dann bekommt er einen Verdienstorden. (Schritte draußen.) Aha! Da kommt der narrete Professor.

(Barrenreck stürmt herein, lange Haare, Vollbart, Turnerkleidung.)

Barrenreck. Guten Tag, guten Tag, mein Kind! (brüllt singend.)

Turnerei,
Frank und frei!
Immer sei!
Holla hei!

Guten Tag! Heda, Mädchen, was gibt es heute zum Verschlingen? Mich hungert. Habe gerade einen tüchtigen Dauerlauf um die Stadt gemacht mit den Knaben.

Nanni. Heut gibt's g'schnittne Nudelsuppen oder Knödel mit Sauerkraut; sauers Nierl, Schweinsbraten und Erdäpfel – –

Barrenreck. Holla, das ist mein Leibessen. Bringen Sie mir Schweinebraten mit Sauerkraut.

Nanni. Gleich. Bier auch?

Barrenreck. Nein, einen Krug Wasser dazu!

Nanni (für sich). Das ist einer! Nichts als Wasser! Alle 14 Täg' amal a Bier, wenn's ihm ein anderer zahlt. (Ab.)

Barrenreck (singt wieder).

Erwacht ihr Schläfer alle!
Mein Turnerhorn erschalle!
Auf, auf, zu Schritt und Sprung,
Du deutsches Herze, stark und jung!

Nanni (bringt das Bestellte. Barrenreck setzt sich). So, ich wünsch' guten Appetit, Herr Professor!

Barrenreck. Fehlt nicht, fehlt nicht, mein Kind. (Singt.)

Speis' und Trank,
Turners Dank,
Sonder Wank,
Niemals krank!

Nanni (für sich). Wenn der nit noch a ganzer Narr wird, so will ich nit Nanni heißen. A halbeter ist er schon.

(Doktor und Kasperl treten ein.)

Doktor. Guten Tag, Herr Professor und zugleich guten Appetit!

Barrenreck. Ei, Herr Doktor! Sie hier? Eine Seltenheit. Gut Heil! Sie sind ja der Mann des Heiles! (Hebt den Wasserkrug auf, singt.)

Frisch Geselle,
Trink zur Stelle
Aus der Quelle,
Blank und helle!

Doktor. Bedaure, habe keine Zeit mich aufzuhalten, besonders beim Wasser. Meine Patienten warten. Ich wollte nur den Herrn von Kaspar Larifari mit Ihnen bekannt machen. Eine meiner Kundschaften, dem ich vor allem Bewegung verordnet habe, besonders Zimmergymnastik oder Turnen im Freien, und da glaube ich mich an die beste Quelle gewandt zu haben.

Kasperl. G'horsamer Diener! G'horsamer Diener! (Mit Reverenzen.)

Barrenreck. Das ist brav! Turnen ist das Heil der Gesundheit. (Schlägt Kasperl auf die Schulter, daß dieser gleich hinfällt.) Gut Heil!

Kasperl. Oha! Das ist eine kuriose Art, Bekanntschaft zu machen.

Barrenreck. Gut Heil! Bruder! Schüler! Gut Heil!

Doktor. Nun, wie ich seh', ist ja die Bekanntschaft schon gemacht. Hab' die Ehre! (Ab.)

Barrenreck. Nun, also Turnen!

Kasperl. Ich hab' die Ehre, Herr Professor; mein Herr Doktor meint, daß für meinen bedenklichen Zustand so eine Bewegung zuträglich wäre.

Barrenreck. Was »Professor!« »Freund« – »Bruder« – soll's zwischen uns heißen. Sie gefallen mir. Aus Ihren Zügen spricht deutsche Einfalt und Mannhaftigkeit. Lassen Sie uns vor allem ein Glas zusammen trinken und Brüderschaft machen.

Kasperl. Beim Trinken bin ich alleweil. Das ist auch eine gesunde Bewegung, wenn man viel hebt.

Barrenreck. Kellnerin, bringen Sie Bier.

Kasperl. Bravo! Sagen wir nur gleich »Du« zueinand. Du gefällst mir auch, Bruder! (Umarmung. Barrenreck drückt Kasperl so, daß dieser furchtbar schreit.)

Kasperl. Auweh! – Das heiß' ich einen Turnerdruck! (Nanni bringt Bier.) Vivat! hoch!

Barrenreck. Hoch, hoch! Bruder, hast du Geld bei dir? Ich habe meine Turnertasche, in der meine Börse ist, auf dem Turnplatze liegen lassen.

Kasperl. Oh, ich bitt' recht sehr, auf ein paar Maß kommt's mir nicht an.

Barrenreck. So recht, Bruder. Kaspar, nicht wahr, so heißt du?

Kasperl. Außerordentlich ja!

Barrenreck. Also, Bruder Kaspar. Laß uns trinken und singen!

Turnerei,
Frank und frei,
Eins und zwei
Zwei und drei,
Holla hei!

(Wird wiederholt; das zweitemal singt Kasperl mit.)

Kasperl. Das laß ich mir gefallen, mit der Turnerei bin ich einverstanden. Mir ist jetzt schon viel leichter und besser! Ein herrliches Mittel.

Barrenreck. Nun aber zur Sache! Kellnerin, bringen Sie wieder ein paar Krüge! Ich bin leer.

Kasperl. Nun, der kann's. (Nanni bringt wieder Bier.)

Barrenreck. Jetzt, Bruder, paß auf. Mach' einmal den Armschwung. (Dreht die Arme.) So, so – – (Kasperl will's nachmachen und schlägt dabei den Barrenreck tüchtig ins Gesicht.)

Barrenreck. Gut, gut, Bruder. Das geht schon. Nun aber das Fersenheben und Beinstoßen. (Macht es vor.)

(Kasperl stößt mit dem Fuße den Barrenreck auf den Bauch, daß er umfällt.)

Barrenreck. Oho, Bruder.

Kasperl. Das g'fallt mir. (Stößt immer zu.)

Barrenreck. Holla! Gut! Halt! Halt! Nun ein bißchen Dauerlauf! (Läuft hinaus. Kasperl ihm nach. bis er erschöpft hinfällt.)

Kasperl. Nein, da dank' ich. Das ist ja zum Umbringen.

Barrenreck. Nun ruhe ein bißchen. Trinken wir wieder. Holla so!

Turnerei
Frank und frei
Wie da sei,
Einerlei!

(Beide werden immer betrunkener.)

Kasperl.

Turnerei,
Hollerbrei
Und mein Wei' – –

Barrenreck. Vorwärts jetzt, versuchen wir den Sturmsprung. (Springt über den Tisch.)

(Kasperl ihm nach. Fällt mit dem Tisch um, alles in Scherben.)

Kasperl. Schlipperment, das war aber ein Sprung!

Barrenreck. So ist's recht, Bruder, das war ein echter deutscher Sturmsprung. Vivat! Gut Heil!

Kasperl. Holla, ho, ho! (Beide schreien fürchterlich. umarmen sich, tanzen herum. Nanni springt herein.)

Nanni. Aber nein! Das ist doch zu arg! Ah – ah –

Barrenreck. Ruhig, edle Walküre! Schenke nur immer ein und schleppe bei – Bruder, nun auf den Barren ins Freie!

Kasperl. Was, auf'n Karren? Warum nit gar.

Barrenreck. Ja, auf den Barren! Hinaus, hinaus!

Nanni. Ja, aber ich muß schon bitten, daß Sie zuvor noch zahlen.

Barrenreck (zu Kasperl). Bruder, das ist deine Sache. (Singt.)

Turnerei
Frank und frei!

Nanni. Die Zech' macht mit allem und allem, was Sie z'sammeng'schlagen haben, 5 Gulden 36 Kreuzer.

Kasperl. Das wär' nit übel – für die erste Lektion? Nix Bruder im Spiel. Das geht nit.

Barrenreck. Bedenke, daß wir deutsche Brüder sind; einer für den andern. Zahle frei!

Kasperl. Ich mag nicht. Das ist eine teuere Bruderschaft.

Barrenreck. Schäme dich!

Kasperl. Ich will aber nit!

Barrenreck. Du mußt. Bedenke unsere Ehre.

Kasperl (schlägt mit der Faust auf den Tisch und stößt Barrenreck auf den Bauch). Schlipperment!

Barrenreck. Wie? Dies mir! (Schlägt den Kasperl.)

Kasperl. Wart' du Turner! (Schlägt und stößt ihn. Balgerei. Nanni ringt die Hände.)

Doktor (tritt ein). Was für ein Lärm? Aber, meine Herren!

Kasperl. Ist der Esel auch wieder da? Was geht Sie unsere Bruderschaft an? (Schlägt ihn.)

Barrenreck. So, Bruder, recht hast du. (Balgerei zu dreien.)

Madame Gretl (tritt ein). Aber nein. Meine Herren! Kasperl! Das ist ja furchtbar!

Barrenreck. Was will denn die alte Hexe da? Fort mit ihr. (Macht sich an sie, sie gibt ihm eine Ohrfeige, er schlägt sie.)

(Die Balgerei wird allgemein, bis alle hinfallen. Kasperl steht auf, singt:)

Turnerei
Frank und frei,
Alleweil,
Wünsch' Gut Heil!

Ende.


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