Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Zweiter Theil
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Philebos

Sokrates • Protarchos • Philebos

(11) Sokrates: Sieh also zu, Protarchos, was für eine Rede du jetzt vom Philebos übernehmen willst, und gegen was für eine von unserer Seite streiten, falls sie dir nicht zu Sinne sollte gesprochen sein. Wollen wir sie uns beide noch einmal wiederholen?

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Philebos nämlich sagt, daß für alles lebendige in dem Wohlbefinden das Gute bestehe, und in der Lust und dem Vergnügen und was sonst mit dieser Gattung zusammenstimmt. Von unserer Seite aber ist das Bedenken, daß vielleicht doch nicht dieses, sondern das Vernünftigsein und das Erkennen und sich erinnern, und was wiederum hiemit verwandt ist, richtige Meinung und wahrhafte Folgerungen, besser sein mag als Lust und trefflicher für alles was nur daran teilnehmen kann, und für die, so es können das vorteilhafteste von allem hieran teilzuhaben, für die jetzigen sowohl als für die künftigen. Behaupten wir nicht dies ungefähr, o Philebos, von beiden Seiten?

Philebos: Ganz unstreitig, o Sokrates.

Sokrates: Und übernimmst du diesen dir jetzt übertragenen Satz, o Protarchos?

Protarchos: Ich muß ihn wohl übernehmen; denn Philebos der schöne ist uns ja ermüdet.

Sokrates: Und auf alle Weise soll doch das Wahre darüber herausgebracht werden?

Protarchos: Das soll freilich.

Sokrates: Wohlan! so laß uns außer dem vorigen auch noch dieses feststellen.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Daß jetzt auch jeglicher von beiden unternehmen muß eine gewisse Beschaffenheit und Verfassung der Seele als diejenige aufzuzeigen, welche allen Menschen vermag das Leben glückselig zu machen. Nicht so?

Protarchos: Allerdings so.

Sokrates: Also ihr die des Wohlbefindens, und wir dagegen die des Vernünftigseins?

Protarchos: So ist es.

Sokrates: Wie aber wenn sich noch eine andere besser zeigt als diese? werden nicht dann, falls sie sich der Lust verwandter zeigt, zwar wir beide von der jene Beschaffenheit festhaltenden Lebensweise überwunden werden, doch aber dann das Leben der Lust den Sieg davon tragen über das der Erkenntnis?

Protarchos: Ja.

(12) Sokrates: Falls aber der Vernünftigkeit verwandter, dann siegt doch die Vernunft über die Lust und diese wird überwunden. Gebt ihr zu, daß dies so fest stehe, oder wie?

Protarchos: Mir wenigstens gefällt es.

Sokrates: Wie aber dem Philebos? was meinst du?

Philebos: Mir ist auf alle Weise annehmlich, und wird es immer sein, daß die Lust siegt. Du aber, Protarchos wirst ja selbst wissen.

Protarchos: Nachdem du uns die Rede übergeben, o Philebos, bist du auch nicht mehr Herr darüber, dem Sokrates dies zuzugestehen oder nicht.

Philebos: Richtig gesprochen. Ich will mich auch nur lossagen, und rufe jetzt die Göttin selbst zum Zeugen.

Protarchos: Auch wir wollen dir dies wohl gern mit bezeugen, daß du das gesagt hast, was du sagst. Allein das weitere, o Sokrates, wollen nun wir mit Philebos Beistimmung, oder wie er es sonst halten will, durchzuführen versuchen.

Sokrates: Das wollen wir versuchen, und zwar von der Göttin selbst anfangend, welche zwar Aphrodite genannt wird, wie dieser behauptet, ihr eigentlichster Namen aber sei Lust.

Protarchos: Ganz richtig.

Sokrates: Meine Angst aber, Protarchos, die ich immer habe wegen der Benennungen der Götter, ist gar nichts gewöhnliches, sondern ärger als jede Furcht. So auch jetzt die Aphrodite will ich, wie es ihr selbst lieb ist, benennen; Lust aber weiß ich, ist ein gar krauses Ding, und eben von ihr, wie gesagt, müssen wir anfangen daran zu gehn und zuzusehen, was für eine Natur sie eigentlich hat. Denn so anzuhören ist sie freilich ganz einfach nur Eins, aber vielfältige Gestalten nimmt sie doch an, und die einander auf gewisse Weise wirklich unähnlich sind. Denn sieh nur, Lust zu empfinden, schreiben wir dem ausschweifenden Menschen zu, und Lust auch wiederum dem besonnenen, eben inwiefern er besonnen ist; und eben so Lust dem Unvernünftigen und mit unvernünftigen Meinungen und Hoffnungen erfüllten, und Lust zu empfinden auch wiederum dem Vernünftigen, eben inwiefern er vernünftig ist; und wer nun von diesen beiden Arten der Lust, daß sie einander ähnlich wären, behaupten wollte, wie sollten wir den nicht mit vollem Recht für unvernünftig halten?

Protarchos: Freilich entstehen diese, o Sokrates, aus entgegengesetzten Dingen, doch aber sind sie selbst einander nicht entgegengesetzt. Denn wie sollte nicht Lust der Lust, dieselbige Sache sich selbst am ähnlichsten sein unter allen Dingen?

Sokrates: Freilich auch Farbe, du Wunderlicher, wird von der Farbe wenigstens was dieses selbst betrifft das Farbesein auch ganz und gar nicht einmal verschieden sein; aber das Weiße, wissen wir doch alle, ist dem Schwarzen außer der Verschiedenheit auch noch das allerentgegengesetzteste. Eben so Gestalt ist mit der Gestalt in derselben Hinsicht der Gattung nach ganz eins, die Arten aber sind den Arten teils ganz entgegengesetzt, teils haben sie tausendfältige Verschiedenheiten von einander. Und vieles andere werden wir finden, daß es sich eben so verhält, (13) so daß du dieser Rede nicht trauen darfst, welche auch das Entgegengesetzteste zu Einem macht. Ich fürchte aber, daß wir manche Lust der andern werden entgegengesetzt finden.

Protarchos: Vielleicht! aber wie soll das unserm Satze schaden?

Sokrates: Weil du sie, werden wir sagen, unähnlich wie sie einander sind, doch alle noch mit einem andern Namen benennst. Denn du sagst ja, alles angenehme sei gut. Daß nun das angenehme nicht alles angenehm wäre, dagegen kann kein Satz auftreten. Aber da vieles davon schlecht ist und auch gut, wie wir sagen, sagst du doch von allen aus sie seien gut, obgleich du zugibst, daß sie einander unähnlich sind, wenn dir es jemand in der Rede abdringen will. Was ist nun das selbige den schlechten gleichermaßen wie den guten einwohnende, weshalb du aller Lust zuschreibst, daß sie gutes ist?

Protarchos: Wie sagst du, Sokrates? Glaubst du wohl, irgend jemand werde einräumen, nachdem er einmal festgesetzt, die Lust sei das Gute, daß er sich hernach gefallen lassen werde, wenn du sagst, einige gewisse Arten der Lust wären zwar gut, andere gewisse Arten aber schlecht?

Sokrates: Doch aber unähnlich wirst du gestehen daß sie einander sind, und einige auch entgegengesetzt.

Protarchos: Nicht doch sofern sie Lust sind.

Sokrates: Da werden wir wieder auf dieselbe Rede getrieben, o Protarchos, und werden auch nicht einmal, daß eine Lust von der andern verschieden sei, sondern daß sie alle ähnlich sind, behaupten müssen. Und alle die eben angeführten Beispiele tun uns nichts; sondern wir werden das versuchen und vorbringen, was die schlechtesten unter allen, und die zugleich in solchen Reden ganz neu sind.

Protarchos: Was doch meinst du?

Sokrates: Daß, falls ich dich nachahmen und mich wehren wollte, wenn ich etwa das Herz gehabt hätte zu sagen, daß das unähnlichste dem unähnlichsten von allen am ähnlichsten sei, ich nur dasselbe zu sagen brauchte, und wir zeigen uns dann wohl jünger als billig, und unsere Rede wird uns festsitzen und drauf gehn. Also laß sie uns nur wieder umwenden. Und vielleicht wenn wir auf die selbigen Wendungen zurückkommen, werden wir miteinander einig werden.

Protarchos: Sage wie?

Sokrates: Nimm an, daß ich nun meinerseits von dir gefragt würde, o Protarchos.

Protarchos: Wonach doch?

Sokrates: Einsicht und Erkenntnis und Vernunft und alles übrige, was ich am Anfang als gut setzte, wird dem nicht, wenn ich nun weiter ausgefragt werde, was doch das Gute ist, eben dasselbe begegnen wie deiner Rede?

Protarchos: Wie so?

Sokrates: Als viele werden uns die sämtlichen Erkenntnisse erscheinen, und einige einander unähnlich. Und werden auch einige gar irgendwie entgegengesetzte: würde ich wohl wert sein jetzt Gespräch zu führen, wenn ich eben dies scheuend sagen wollte, keine Erkenntnis werde je der andern unähnlich, (14) so daß demnach diese Rede uns wie eine Fabel verloren ginge, und wir selbst uns nur auf irgend einer Unvernunft retteten? Sondern das darf keinesweges geschehen, außer das Retten. Und eben dies gleiche deines und meines Satzes gefällt mir. Vielerlei Lust und unähnliche soll es geben, und vielerlei Erkenntnis, und verschiedene. Diese Verschiedenheit nun, o Protarchos, in meinen Gut und in deinem wollen wir uns nicht verbergen, sondern den Mut haben, sie vor uns hinzustellen, ob sie nicht irgendwie weiter durchgeprüft uns zeigen sollte, ob man sagen muß, Lust oder Einsicht sei das Gute, oder ob etwas anderes Drittes. Denn jetzt ist es uns doch wohl nicht darum zu tun, daß das was ich sage den Sieg davon tragen soll, oder das was du; sondern für das richtigste müssen wir doch wohl beide streiten.

Protarchos: Das müssen wir freilich.

Sokrates: Laß also zuerst diesen Satz noch mehr durch Übereinkunft befestigen.

Protarchos: Welchen doch?

Sokrates: Der allen Menschen zu schaffen macht mit ihrem Willen und auch wider ihren Willen manchen und manchmal.

Protarchos: Erkläre dich deutlicher.

Sokrates: Ich meine den, auf den wir jetzt eben gestoßen sind, der von Natur gar wunderbar geartet ist. Denn daß Eines vieles ist und Vieles eines, ist doch wunderbar zu sagen, und wohl leicht zu streiten mit dem, der welches auch von beiden behauptet.

Protarchos: Meinst du wenn jemand sagte, daß ich Protarchos, der ich von Natur Einer bin, doch auch wieder Viele wäre und einander entgegengesetzte, indem er mich als groß und klein setzte und als leicht und schwer und dergleichen noch tausenderlei?

Sokrates: Du bringst nur das vor, Protarchos, was schon gemein geworden ist von diesen Wunderbarkeiten über das Eine und Viele, und kurz zu sagen, von Allen schon eingestanden ist, daß man daran nicht rühren dürfe, welche annehmen dies sei kindisch und leicht und gereiche nur den Reden sehr zur Verwicklung. Ja auch das nicht einmal, wenn einer von einer Sache alle Glieder, die zugleich Teile sind der Erklärung gemäß teilend den, welcher zugäbe, dies alles sei eben zusammen jenes Eine, den auslachte und tadelte, daß er wunderliche Dinge einzuräumen genötiget wäre, daß nämlich das Eine vieles ist und unendliches, und das Viele wiederum nur Eines.

Protarchos: Was meinst denn du, o Sokrates, was noch nicht so zugestanden und gemein geworden ist über denselben Satz?

(15) Sokrates: Wenn jemand, mein Kind, das Eine nicht aus dem Werdenden und Vergehenden nimmt, wie wir jetzt eben taten. Denn hievon und von einem solchen Eins, wie wir jetzt eben besprachen, ist schon eingestanden, daß man es nicht prüfen darf. Wenn aber jemand den Menschen als Einen setzt, und den Ochsen als Einen, und das Schöne als Eins, und das Gute als Eins, über diese und ähnliche Einheiten wird bei fleißigerer Behandlung und Auseinanderlegung leicht Streitigkeit entstehen.

Protarchos: Wie meinst du?

Sokrates: Zuerst ob man wohl annehmen darf, daß es dergleichen Einheiten gebe als wahrhaft seiend. Dann aber auch, wie doch diese, da jede von ihnen immer dieselbe ist, und weder Werden noch Untergang zuläßt, dennoch zuerst zwar eine solche Beharrlichkeit sei, hernach aber in dem Werdenden und Unendlichen wiederum, sei es nun als zerrissen und vieles geworden zu setzen ist, oder ganz in ihnen außerhalb ihrer selbst, was doch für das unmöglichste von allem zu halten wäre, dieses selbige und Eine zugleich in Einem sowohl als in Vielen wird. Dies ist das in dergleichen Dingen Eine und Viele, nicht aber jenes, o Protarchos, was aller Zweifel Ursache ist, wenn es nicht richtig bestimmt wird, aber auch wieder aller Sicherheit wenn richtig.

Protarchos: Also müssen wir wohl, o Sokrates, für jetzt zuerst dieses verarbeiten.

Sokrates: Wie ich wenigstens raten möchte.

Protarchos: Und nimm nur immer an, daß wir hier alle dir in dergleichen folgen. Den Philebos aber wäre wohl am besten, für jetzt nicht durch Fragen aufzustören, da er ruhig liegt.

Sokrates: Wohl! Wobei soll man nun aber wohl diesen großen und vielfältigen Streit über das Bezweifelte anfangen? Etwa hiebei?

Protarchos: Wobei?

Sokrates: Wir sagen doch, daß Eines und Vieles unter der Rede dasselbe werdend überall herumlaufe, wo nur etwas geredet wird, immer und schon lange wie jetzt. Und daß das weder jemals aufhören wird, noch auch jetzt erst angefangen hat; sondern es ist dies soviel ich sehe ein unsterbliches und nie veraltendes Begegnis der Reden selbst unter uns. Wer aber von jungen Leuten zuerst davon kostet, der, froh als hätte er einen ganzen Schatz von Weisheit gefunden, ist ganz begeistert vor Freude, und lüstern jegliche Rede aufzustören, indem er die Sache bald auf die eine Seite wälzt und in eins zusammenrührt, bald wieder sie aufwickelt und zerteilt, zuerst und am meisten sich selbst in Ratlosigkeit stürzend, zunächst aber auch, wen er jedesmal festhält, sei es nun ein jüngerer oder ein älterer oder von gleichem Alter mit ihm, ohne weder des Vaters zu schonen (16) noch der Mutter, noch irgend eines andern Hörers, ja fast auch nicht einmal der andern Tiere, nicht nur der Menschen nicht. Denn Barbaren würde er gewiß keinen schonen, wenn er nur irgend woher einen Dolmetscher bekommen könnte.

Protarchos: Aber siehst du denn nicht, Sokrates, wieviel wir unserer sind, und alles Jünglinge? und fürchtest du nicht, daß wir mit dem Philebos über dich herfallen, wenn du uns schmähst? Jedoch, denn wir verstehen recht gut was du meinst, wenn es eine Art gibt und einen Rat um eine so große Verwirrung aus unserer Rede ganz gelinde los zu werden, und einen bessern Weg als diesen zu unserm Satze zu finden: so sinne du es nur aus, und wir wollen dir nach Vermögen folgen. Denn nichts geringfügiges ist unsere dermalige Rede, o Sokrates.

Sokrates: Freilich nicht, ihr Kinder, wie euch Philebos immer anredet: und einen schönern Weg gibt es nicht, und kann es nicht geben, als welchen ich zwar immer liebe, oft aber auch schon, wenn ich ihn verloren hatte, in der Irre und ratlos zurückgeblieben bin.

Protarchos: Welcher ist dieser? er werde uns nur angezeigt.

Sokrates: Der zu beschreiben zwar gar nicht schwer ist, einzuschlagen aber sehr schwer. Denn alles, was jemals mit der Kunst zusammenhängend ist erfunden worden, hat man durch ihn entdeckt. Siehe nun, welchen ich meine.

Protarchos: Sage nur.

Sokrates: Als eine wahre Gabe von den Göttern an die Menschen, wofür ich es wenigstens erkenne, ist einmal von den Göttern herabgeworfen worden durch irgend einen Prometheus, zugleich mit einem glanzvollesten Feuer, und die Alten besseren als wir und den Göttern näher wohnenden haben uns diese Sage übergeben, aus Einem und Vielem sei alles, wovon jedesmal gesagt wird daß es ist, und habe Bestimmung und Unbestimmtheit in sich verbunden. Deshalb nun müßten wir, da dieses so geordnet ist, immer Einen Begriff von allem jedesmal annehmen und suchen; denn finden würden wir ihn gewiß darin. Wenn wir ihn nun ergriffen haben, dann nächst dem Einen, ob etwa zwei darin sind zu sehn, wo aber nicht, ob drei oder irgend eine andere Zahl, und mit jedem einzelnen von diesen darin befindlichen eben so, bis man von dem ursprünglichen Einen nicht nur daß es Eins und Vieles und Unendliches ist sieht, sondern auch wievieles; des Unendlichen Begriff aber an die Menge nicht eher anlegen, bis einer die Zahl derselben ganz übersehen hat, die zwischen dem Unendlichen und dem Einen liegt, und dann erst jede Einheit von allem in die Unendlichkeit freilassen und verabschieden. So nun haben, wie ich sagte, die Götter uns überliefert zu untersuchen und zu lernen und einander zu lehren. Die jetzigen Weisen unter den Menschen hingegen setzen Eines, wie sie es (17) eben treffen, und Vieles schneller oder langsamer als es sich gehörte, nach dem Einen aber gleich unendliches; das in der Mitte hingegen entgeht ihnen, wodurch doch eben zu unterscheiden ist, ob wir in unsern Reden dialektisch oder nur streitsüchtig mit einander verfahren.

Protarchos: In einigem, o Sokrates, glaube ich dich wohl zu verstehen, von anderem aber muß ich erst noch deutlicher vernehmen, wie du es meinst.

Sokrates: Ganz deutlich, o Protarchos, ist was ich meine an den Buchstaben; fasse es also nur an dem, worin du selbst unterrichtet bist.

Protarchos: Wie so?

Sokrates: Der Laut ist uns doch wohl Einer, der durch unsern Mund ausgeht, und unendlich mannigfaltig ist er auch wiederum bei Allen und Jedem.

Protarchos: Wie sollte er nicht!

Sokrates: Aber durch keines von diesen beiden verstehen wir doch irgend etwas, weder weil wir das Unendliche desselben kennen, noch weil das Eine, sondern weil das wievielerlei und welcherlei, dies ist es, was jeden von uns zum Sprachkundigen macht.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Und eben so was zum Tonkünstler macht ist ganz dasselbige.

Protarchos: Wie so?

Sokrates: Der Laut oder Ton ist es doch auch was jene Kunst ausmacht, und ist nur Einer in ihr?

Protarchos: Wie sollte er nicht!

Sokrates: Laß uns nun aber auch ein zweifaches darin setzen, hohes und tiefes, und das Einstimmige als das dritte. Oder wie?

Protarchos: Allerdings so.

Sokrates: Aber noch lange verständest du nichts von der Tonkunst, wenn du nur dieses wüßtest; sondern nur, wenn du auch dies noch nicht einmal weißt, bist du um es grade heraus zu sagen noch gar nichts wert in dieser Sache.

Protarchos: Freilich nicht.

Sokrates: Aber Freund, wenn du die Zwischenräume der Töne aufgefaßt hast, wieviel deren sind der Zahl nach, und welcherlei an Höhe und Tiefe und die Erklärungen dieser Zwischenräume, und wieviele Verbindungen wieder aus ihnen entstehen, welche eben die Älteren erkannt und uns ihren Nachfolgern überliefert haben sie Tonarten zu nennen, und eben so ähnliche Verhältnisse, die sich in den Bewegungen des Leibes finden, welche man in Zahlen gemessen, wie sie sagen wiederum Takte und Maße nennen muß, und zugleich bedenken, daß man eben so jedes, was hierin Eins und Vieles ist, untersuchen muß; wenn du dies so aufgefaßt hast, dann bist du der Sache kundig geworden, und wenn du irgend etwas anderes auf eben die Weise untersucht und gefaßt hast, dann bist du darin zur Einsicht gelangt. Das unendliche aber jedes Begriffs und in jeglichem Dinge macht jedesmal, daß du in der Kenntnis auch nicht zu Ende kommst, und nicht zu nennen bist in der Sache noch mitzuzählen, da du ja in keiner Sache niemals irgend auf die Zahl siehst.

Protarchos: Sehr schön, o Philebos, scheint mir Sokrates, was er jetzt gesagt hat, vorgetragen zu haben.

Philebos: Auch mich dünkte es eben so. Allein was geht uns doch diese Rede an, daß sie an uns ist gerichtet worden, und was will sie von uns?

(18) Sokrates: Ganz mit Recht, o Protarchos, hat uns Philebos hiernach gefragt.

Protarchos: Allerdings, und antworte ihm also.

Sokrates: Das will ich tun, sobald ich nur noch ein weniges über eben dieses werde auseinandergesetzt haben. Nämlich wie wenn jemanden irgend etwas Eines vorgekommen ist, dieser, wie wir sagen, dabei nicht gleich auf das Unendliche sehen muß, sondern zuvor irgend eine Zahl suchen; so auch auf der andern Seite wenn jemand genötiget wäre das Unendliche zuerst zu nehmen, muß er nicht gleich auf das Eine, sondern wiederum auf eine Zahl, die doch jegliche eine bestimmte Menge in sich begreift, hinsehen, und so von Allen bei dem Einen endigen. Laßt uns aber wiederum an den Buchstaben das jetzt gesagte betrachten.

Protarchos: Wie das?

Sokrates: Nachdem nämlich zuerst den Laut als ein unendliches aufgefaßt hatte, war es nun ein Gott, oder irgend ein göttlicher Mensch, wie denn in Ägypten eine Sage geht welche sagt, es sei dies ein gewisser Theuth gewesen, welcher zuerst die Selbstlauter in diesem Unendlichen unterschied, nicht als Eines, sondern als mehrere, und dann wiederum andere, die zwar keinen Laut eigentlich, wohl aber ein gewisses Geräusch geben, und wie diese ebenfalls eine gewisse Zahl ausmachen, und der endlich noch eine dritte Art der Buchstaben unterschied, die wir jetzt stumme nennen: nächstdem aber sonderte er sowohl die laut- und geräuschlosen einzeln ab, als auch die Selbstlauter und die mittleren auf dieselbe Weise, bis er ihre Zahl zusammenfassend jeden einzeln und alle insgesamt Buchstaben nannte. Und da er sah, daß niemand von uns auch nicht Einen für sich allein ohne sie insgesamt verstehen kann: so faßte er wiederum dieses ihr Band als Eines zusammen und als diese alle vereinigend, und benannte es daher als das Eine zu diesen die Sprachkunst.

Philebos: Dies habe ich nun noch deutlicher als jenes nämlich in seiner Beziehung unter sich verstanden, o Protarchos. Dieselbe Kleinigkeit aber fehlt mir an der Rede auch jetzt noch wie vorher.

Sokrates: Etwa, o Philebos, was dies wohl zur Sache austrägt?

Philebos: Ja das ist es, wonach Protarchos und ich schon lange suchen.

Sokrates: Wahrhaftig, ihr seid schon eben dabei, und sucht es doch, wie du sagst, noch immer?

Philebos: Wie doch?

Sokrates: War uns nicht von Anfang an die Rede von Vernünftigkeit und Lust, welche von beiden zu wählen wäre?

Protarchos: Wovon anders?

Sokrates: Und jede von beiden sagen wir doch ist Eins?

Philebos: Freilich.

Sokrates: Eben dieses also fragt die vorige Rede uns ab, wie doch jede von beiden Eines ist und Vieles, und wie nicht gleich unendlich, sondern zuvor jede ihre bestimmte Zahl hat, ehe das einzelne in ihnen unendlich geworden ist.

(19) Protarchos: In eine gar nicht schlechte Aufgabe, o Philebos, hat uns ich weiß nicht auf welche Weise rings herumführend Sokrates hineingeworfen. Siehe daher zu, welcher von uns beiden das jetzt gefragte beantworten soll. Denn vielleicht ist es wohl lächerlich, wenn ich, der ich die Rede vollständig zu übernehmen mich erklärt habe, nun, weil ich das jetzt gefragte nicht zu beantworten vermag, es dir wieder zurückschiebe; noch lächerlicher aber bei weitem, glaube ich, wenn keiner von uns beiden es vermöchte. Überlege also, was wir tun sollen. Nach den Arten der Lust nämlich scheint mir Sokrates jetzt zu fragen, ob es deren gibt oder nicht, und wieviele und was für welche, und nach der Einsicht eben so auf dieselbe Weise.

Sokrates: Vollkommen richtig, o Sohn des Kallias. Denn wenn wir dies nicht mit jedem Einen und ähnlichen und selbigen zu tun wissen, und eben so mit dem Gegenteil davon: so wird, wie die eben durchgeführte Rede uns nachgewiesen hat, keiner von uns in nichts auch nur irgend etwas wert sein.

Protarchos: So scheint es fast wohl, o Sokrates, sich zu verhalten. Allein schön ist es freilich alles zu wissen dem Weisen; doch die nächstbeste Fahrt wenigstens scheint zu sein, daß man sich selbst nicht verkenne. Was mir damit jetzt gesagt sein soll, will ich dir erklären. Du hast uns allen, o Sokrates, diese Unterredung hier zugestanden und dich selbst um zu bestimmen, welches wohl unter den menschlichen Besitztümern das vortrefflichste sei. Denn da Philebos behauptete Lust, Vergnügen und Freude, und alles was es dergleichen gibt seien es, so hast du dem widersprochen, nicht dies wäre es, sondern jenes, was wir uns oft absichtlich wiederholen, und mit Recht, damit dem Gedächtnis wohl eingeprägt beides geprüft werde. Du behauptest nämlich, wie zu sehen ist, was mit Recht ein besseres Gut als die Lust wenigstens genannt werden könne, sei Vernunft, Erkenntnis, Verstand, Kunst, und alles damit verwandte, welches man müsse zu erlangen suchen, nicht aber jenes. Da nun beide Meinungen nicht ohne Widerspruch sind vorgebracht worden, haben wir dich scherzhafterweise bedroht, wir würden dich nicht nach Hause lassen, bis diese Reden so zu Ende gekommen, daß etwas genügendes darüber bestimmt wäre. Und du hast eingewilliget, und hiezu uns dich selbst hergegeben. Also sagen wir wie die Kinder, was einmal ordentlich geschenkt ist, kann nicht zurückgenommen werden. Höre demnach auf, dem jetzt gesagten auf diese Weise zu begegnen.

Sokrates: Auf welche meinst du?

Protarchos: Daß du uns in die Enge treibst, und immer weiter zurück nach solchen Dingen fragst, worauf wir dir im Augenblick (20) keine befriedigende Antwort zu geben wissen. Denn das wollen wir nicht gelten lassen, daß jetzt die Sache mit unser aller Ratlosigkeit endigen soll; sondern wenn wir es auszurichten unvermögend sind, mußt du es ausrichten, denn du hast es versprochen. Gehe also nun selbst mit dir zu Rate, ob du die verschiedenen Arten der Lust und der Erkenntnis aufstellen sollst, oder es lassen, falls du etwa auf eine andere Weise kannst und willst das jetzt unter uns streitige irgend anderswie deutlich machen.

Sokrates: Nun habe doch ich nichts arges mehr zu erwarten, da du dich hierüber so erklärst. Denn dies, wenn du willst, macht aller Furcht über alles ein Ende. Überdies aber hat mir wohl ein Gott selbst etwas in Erinnerung gebracht, zu unserm Besten.

Protarchos: Wie so? und was?

Sokrates: Reden, die ich schon lange gehört habe im Traume oder auch wachend, fallen mir jetzt ein über Lust und Einsicht, daß keines von beiden das Gute ist, sondern ein anderes drittes von ihnen verschiedenes und besseres als Beide. Zeigte sich uns nun dieses jetzt deutlich: so wäre es mit der Lust schon vorbei, und sie könnte nicht siegen, denn das Gute wäre nicht mehr einerlei mit ihr. Oder wie?

Protarchos: Allerdings so.

Sokrates: Und der Arten der Lust bedürften wir dann zur Bestimmung gar nicht mehr, wie ich meine und die Rede selbst im Fortgang es noch deutlicher zeigen wird.

Protarchos: Vortrefflich gesagt, und führe es nun auf diese Art weiter.

Sokrates: Nur einiges wenige laß uns vorher noch mit einander ausmachen.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Ist das Los des Guten wohl, notwendig vollendet zu sein, oder nicht vollendet?

Protarchos: Vor allem andern offenbar doch das vollendetste, o Sokrates.

Sokrates: Und wie? ist das Gute genügend?

Protarchos: Wie sollte es nicht! und noch dazu übertrifft es hierin alles andere.

Sokrates: Und dies muß man doch am allernotwendigsten davon sagen, daß alles erkennende danach trachtet und strebt es zu gewinnen und für sich zu haben, und sich um alles übrige nichts kümmert, als nur um das, was mit dem Guten zugleich erlangt wird.

Protarchos: Dagegen ist nichts zu sagen.

Sokrates: Betrachten wir also, und beurteilen nun das Leben der Lust, und das der Einsicht, indem wir sie getrennt betrachten.

Protarchos: Wie meinst du das?

Sokrates: Weder soll in dem der Lust irgend Einsicht sein, noch in dem der Einsicht irgend Lust. Denn wenn eines von beiden das Gute ist, darf dies weiter sonst gar nichts bedürfen. Zeigt sich aber eines von beiden noch bedürftig, so kann uns dies nicht mehr das wahrhaft Gute sein.

Protarchos: Wie sollte es auch!

(21) Sokrates: Wollen wir also den Versuch machen, an dir dieses zu prüfen?

Protarchos: Immerhin.

Sokrates: So antworte denn!

Protarchos: Sprich nur.

Sokrates: Möchtest du wohl so leben, o Protarchos, daß du dein ganzes Leben hindurch an allen größten Vergnügungen dich vergnügtest?

Protarchos: Warum nicht?

Sokrates: Würdest du wohl glauben daß dir noch etwas fehle, wenn du dies ganz vollkommen hättest?

Protarchos: Keinesweges.

Sokrates: Sieh doch zu! von Einsehn und Wissen und gehörigem Folgern, möchtest du davon nichts auch nur sehn?

Protarchos: Und wozu? Denn ich hätte ja alles weil ich das Vergnügtsein hätte.

Sokrates: Auf diese Art also lebend würdest du zwar immer an jeglicher größten Lust dich vergnügen –

Protarchos: Freilich.

Sokrates: Von Vernunft aber und Erinnerung, von Erkenntnis und richtiger Meinung, auch nicht das mindeste habend, mußt du doch zuerst schon dieses, ob du vergnügt bist oder nicht, offenbar nicht wissen, da du ja aller Einsicht leer bist.

Protarchos: Notwendig.

Sokrates: Und eben so, da du ja gar kein Gedächtnis besitzest, kannst du offenbar weder dessen, daß du einst vergnügt warst, dich erinnern, noch kann dir von der Lust, die dir im Augenblick zufällt, auch nur das mindeste Andenken zurückbleiben. Wiederum da du auch keine richtige Meinung hast, kannst du nicht einmal, indem du dich freust, urteilen daß du dich freust. Und da du aller Folgerungen beraubt bist, wirst du auch nicht einmal, daß du in Zukunft noch vergnügt sein wirst, berechnen können, und so nicht ein menschliches Leben leben, sondern irgend eines Polypen oder eines Schaltieres wie man sie im Meere findet. Ist es so, oder können wir uns die Sache irgend anderswie vorstellen?

Protarchos: Wie nur!

Sokrates: Ist uns nun wohl ein solches Leben zu wählen?

Protarchos: Ganz zum Verstummen hat mich diese deine Rede jetzt gebracht.

Sokrates: Laß uns nur noch nicht abstehn, sondern nun auch das Leben der Vernunft vornehmen und betrachten.

Protarchos: Was für eines meinst du?

Sokrates: Ob wohl einer von uns leben möchte, so daß er zwar alle Einsicht und Vernunft und Wissenschaft und Erinnerung vom allem hätte, Lust aber weder viel noch wenig genösse, und eben so wenig Unlust, sondern für dieses alles ganz unempfänglich wäre?

Protarchos: Keine von diesen beiden Lebensweisen ist mir wünschenswert, noch wird sie wohl irgend einem andern glaube ich so vorkommen.

(22) Sokrates: Wie aber eine beiderseitige, o Protarchos, aus beiden ganz gemeinschaftlich gemischte?

Protarchos: Aus Lust meinst du, und aus Vernunft und Einsicht?

Sokrates: So, und eben eine solche meine ich.

Protarchos: Diese wird wohl jeder eher als irgend eine von jenen wählen, und zu jenen dazu; nicht etwa nur einer, und ein anderer wieder nicht.

Sokrates: Verstehen wir nun wohl, was uns aus der bisherigen Rede folgt?

Protarchos: Allerdings; es sind uns drei Lebensweisen vorgelegt worden; von ihrer zweien aber war keine genügend noch wünschenswert weder für Menschen noch für irgend ein anderes lebendes Wesen.

Sokrates: Ist nun nicht von diesen schon soviel gewiß, daß keine von beiden das Gute in sich hatte? Denn sonst müßte sie ja genügend sein, und vollständig und allen Gewächsen und Tieren wünschenswert, denen es nur irgend möglich wäre, so ihr ganzes Leben hinzubringen. Und wenn dennoch jemand von uns etwas anderes wählte, so ergriffe er das gegen die Natur des wahrhaft erwählungswerten wider Willen aus Unwissenheit oder vermöge sonst einer unseligen Notwendigkeit.

Protarchos: So muß es sich allerdings wohl verhalten.

Sokrates: Daß man also des Philebos Göttin, und das Gute nicht für einerlei halten darf, das dünkt mich hinlänglich gezeigt zu sein.

Philebos: Aber auch deine Vernunft, o Sokrates, ist nicht das Gute, sondern unterliegt wohl denselbigen Einwendungen.

Sokrates: Vielleicht, o Philebos, die meinige wohl, die wahrhafte und göttliche Vernunft aber glaube ich wohl nicht, sondern mit der wird es sich wohl ganz anders verhalten. Um den ersten Preis also streite ich mich nicht mit jenem gemeinsamen Leben für die Vernunft. Wegen der zweiten Stelle aber, müssen wir nun zusehn und überlegen, was wir tun wollen. Denn von diesem gemeinsamen Leben könnten wir nun jeder der eine die Vernunft für die Ursach halten, der andere die Lust. Und so wäre zwar keine von diesen beiden das Gute selbst, aber für die Ursache desselben könnte doch einer eine von beiden ansehn. Darüber nun möchte ich noch um so lieber mit unserem Philebos streiten, daß, was das auch sei in diesem gemischten Leben, wodurch es zugleich erwählungswert ist und gut, diesem nicht die Lust sondern die Vernunft das verwandtere und ähnlichere ist. Und sonach könnte man von der Lust weder daß ihr die erste, noch daß ihr die zweite Stelle zukäme, irgend mit Recht sagen, ja auch noch weiter als die Dritte steht sie zurück, wenn meiner Vernunft für jetzt irgend zu glauben ist.

Protarchos: Allerdings, o Sokrates, scheint mir wenigstens jetzt, die Lust gefallen zu sein gleichsam tödlich getroffen von diesen jetzigen Reden. Denn um den ersten Preis kämpfend unterliegt (23) sie. Der Vernunft aber muß man, wie es scheint, nachsagen daß sie sehr weislich um den ersten Preis sich nicht beworben hat; denn ihr wäre dasselbe begegnet. Geht nun die Lust auch des zweiten Preises verlustig: so würde ihr das ja auf alle Weise zur Schande gereichen bei ihren Verehrern, denn und auch denen würde sie nicht mehr so schön wie sonst erscheinen.

Sokrates: Wie also? ist es nun nicht besser sie lieber gleich lassen, und nicht indem wir sie auf die schärfste Probe nehmen und ganz durchprüfen, ihr wehe tun?

Protarchos: Das ist nichts gesagt, Sokrates!

Sokrates: Etwa weil ich etwas unmögliches ausgesprochen, der Lust weh tun?

Protarchos: Wenigstens nicht darum allein, sondern auch weil du nicht bedenkst, daß keiner von uns dich loslassen wird, bis du dies ganz zu Ende führst in deiner Rede.

Sokrates: Weh also, Protarchos, über die vielen Reden die wir noch vor uns haben, und die gar nicht leicht sind für jetzt. Denn es zeigt sich wohl, daß noch anderer Künste bedarf wer für die Vernunft auf den zweiten Preis losgehn will, um andere Pfeile zu haben als unsere vorigen Reden. Doch vielleicht sind einige auch wohl dieselben. Also wollen wir nur.

Protarchos: Wie sollten wir auch nicht.

Sokrates: Den Anfang aber laß uns ja versuchen recht vorsichtig festzustellen.

Protarchos: Was für einen meinst du?

Sokrates: Laß uns alles was jetzt ist in dem Ganzen, in zwei Teile teilen, oder lieber wenn du willst in dreie.

Protarchos: Wolltest du wohl erklären wonach?

Sokrates: Einige von den vorigen Reden wollen wir wieder aufnehmen.

Protarchos: Welche denn?

Sokrates: Gott, sagten wir ja wohl, habe von dem Seienden einiges als unbegrenzt gezeigt, anderes mit Grenze.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Diese also setzen wir als zwei von diesen Arten; als die dritte aber das aus diesen beiden in Eins zusammengemischte. Ich werde aber wie es scheint lächerlich, wenn ich nach Arten etwas gehörig auseinander stelle, und zusammenzähle.

Protarchos: Wie meinst du das, Guter?

Sokrates: Mir kommt schon wieder vor, als ob noch eine vierte Gattung nötig wäre.

Protarchos: Sage welche.

Sokrates: Sieh doch auf die Ursache der Vermischung dieser beiden mit einander, und setze mir diese zu jenen als die vierte.

Protarchos: Wirst du etwa auch eine fünfte noch brauchen, welche ihre Trennung bewirkt?

Sokrates: Vielleicht; doch glaube ich für jetzt wohl nicht. Sollte es indes nötig sein, so wirst du mir schon nachsehen, wenn ich noch auf eine fünfte Jagd mache.

Protarchos: Warum auch nicht.

Sokrates: Zuerst nun laß uns von diesen vieren die dreie aussondern, und versuchen, da wir die zweie von ihnen jedes gar vielfach zerspalten und zerrissen sehen, ob wir, wenn wir sie werden jedes in Eins zusammengebracht haben, bemerken können wie wohl jedes von ihnen Eins und Vieles war.

Protarchos: Wenn du mir dies noch deutlicher erklärtest, könnte ich vielleicht folgen.

Sokrates: Die zweie also, die ich vorlege, sollen sein die eben (24) genannten, das eine das unbegrenzte, das andere das begrenzte. Daß nun das unbegrenzte gewissermaßen Vieles ist, will ich versuchen dir zu erklären, das begrenzte aber soll auf uns warten.

Protarchos: Es warte.

Sokrates: Sieh also. Es ist freilich schwierig und streitig, was ich dich auffodere zu betrachten, aber betrachte es doch. Zuerst an dem wärmeren und kälteren sieh doch ob du wohl eine Grenze bemerken kannst, oder ob nicht das Mehr und Weniger, welches diesen Gattungen einwohnt, so lange es ihnen einwohnt, gar kein Ende entstehn läßt; denn sobald ein Ende entstände, wäre es selbst auch zu Ende.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Und immer, behaupten wir doch, ist in dem kälteren sowohl als wärmeren das mehr und weniger.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Immer also, deutet unsere Rede an, werden diese Beiden kein Ende haben, und da sie also ohne Ende sind, sind sie doch auf alle Weise unbegrenzt.

Protarchos: Und das gar stark, o Sokrates.

Sokrates: Sehr gut, lieber Protarchos, hast du dies aufgefaßt und mich erinnert, daß auch dieses Gar stark, was du jetzt ausgesprochen hast, und das Gar schwach ganz dieselbe Bedeutung haben, wie das mehr und weniger. Denn worin sie sich befinden, das lassen sie nicht bestimmter Größe sein; sondern indem sie in jegliche Handlung ein stärkeres als das schwächere und umgekehrt einzeichnen, bewirken sie ein mehr und minder, und machen die bestimmte Größe verschwinden. Denn wie wir eben sagten, wenn sie die bestimmte Größe nicht verschwinden machten, sondern diese und das gemessene in die Stelle des mehr und minder und stark und schwach eintreten ließen: so müßten diese selbst aus ihrer Stelle verloren gehn in der sie sich befanden. Denn sie wären nicht mehr wärmeres und kälteres, wenn sie die bestimmte Größe aufnähmen. Denn immer vorwärts schreitet das wärmere, und bleibt nicht, und eben so auch das kältere. Das von bestimmter Größe aber steht still, und ist aufgehalten im Fortschreiten. Dem zufolge also wäre das Wärmere unbegrenzt, und sein Gegenteil auch.

Protarchos: Das leuchtet freilich ein, o Sokrates; aber wie du auch sagtest, es ist nicht leicht zu folgen. Wird es indes wieder und immer wieder vorgetragen, so muß wohl erhellen, daß Fragender und Gefragter hinreichend darüber einverstanden sind.

Sokrates: Sehr wohl bemerkt, und wir müssen versuchen es so zu machen. Jetzt aber sieh doch zu, ob wir nicht dieses als ein Merkmal von der Natur des Unbegrenzten annehmen wollen, um nicht alles durchgehend die Sache in die Länge zu ziehn.

Protarchos: Welches meinst du?

Sokrates: Alles woran wir sehen, daß es mehr und weniger wird, und das stark und schwach und sehr und alles dergleichen annimmt, dies alles müssen wir unter die Gattung des (25) Unbegrenzten als unter eins zusammenstellen nach unserer vorigen Rede, da wir sagten, daß wir alles zerspaltene und zerrissene nach Vermögen müßten suchen unter Einen Begriff einzuzeichnen, wenn du dich erinnerst.

Protarchos: Wohl erinnere ich mich.

Sokrates: Also was nun dieses nicht annimmt, sondern alles entgegengesetzte hievon annimmt, zuerst das Gleiche und die Gleichheit und das zwiefache und was sonst Eine Zahl ist zu einer anderen und Ein Maß zum andern, wenn wir dies alles unter das Begrenzte rechneten, würden wir wohl ganz recht daran tun. Oder wie meinst du?

Protarchos: Ganz vortrefflich, o Sokrates.

Sokrates: Wohl! aber das Dritte aus diesen beiden gemischte, welche Gestalt sollen wir sagen daß dieses habe?

Protarchos: Auch das, denke ich, wirst du mir wohl sagen.

Sokrates: Ein Gott wohl, wenn anders einer meine Bitten erhören will von den Göttern.

Protarchos: So bete denn, und sieh zu.

Sokrates: Ich sehe schon, und es dünkt mich allerdings, o Protarchos, einer von ihnen uns jetzt gewogen zu sein.

Protarchos: Wie meinst du das, und woran erkennst du es?

Sokrates: Das will ich dir eben sagen; folge du nur meiner Rede.

Protarchos: So sage denn.

Sokrates: Wir nannten doch eben etwas wärmeres und kälteres. Nicht wahr?

Protarchos: Ja.

Sokrates: Nimm nun auch noch trockneres und feuchteres dazu, und mehr und weniger, und schnelleres und langsameres und größeres und kleineres, und was wir sonst noch vorher unter den das mehr und minder annehmenden Begriff zusammengestellt haben.

Protarchos: Du meinst unter den des unbegrenzten?

Sokrates: Ja. Und mit diesem vermische hierauf wiederum die Familie der Begrenzung.

Protarchos: Was für eine?

Sokrates: Die wir auch vor kurzem, wiewohl wir gesollt hätten, so wie wir die des Unbegrenzten in eins zusammenbrachten, so auch die des grenzartigen zusammenbringen, nicht zusammengebracht haben. Aber vielleicht wird es auch jetzt noch das nämliche bewirken; haben wir diese beiden zusammengebracht, so wird uns auch jene deutlich werden.

Protarchos: Welche und wie meinst du?

Sokrates: Ich meine die des gleichen und zwiefachen, und jede welche sonst noch macht, daß das entgegengesetzte aufhört sich ungleich zu verhalten, und welche durch Einbringung des gleichmäßigen und zusammenstimmenden eine Zahl hervorbringt.

Protarchos: Ich verstehe. Du willst nämlich offenbar sagen, daß, wenn ich diese mische, gewisse Erzeugnisse aus jedem derselben herauskommen werden.

Sokrates: Das will ich offenbar.

Protarchos: Sprich also weiter.

Sokrates: Pflegt also nicht bei Krankheiten die richtige Gemeinschaft beider das Wesen der Gesundheit zu erzeugen?

Protarchos: Allerdings.

(26) Sokrates: Und wenn in hohes und tiefes, in schnelles und langsames, als unbestimmt, eben dieses selbige hineinkommt, wird es nicht indem es eine Begrenzung bewirkt zugleich die gesamte Tonkunst aufs vollkommenste darstellen?

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und wenn in Kälte und Hitze hineinkommt, so wird das allzuheftige und unbegrenzte aufgehoben, und darin das angemessene und ebenmäßige bewirkt.

Protarchos: Wie anders?

Sokrates: Hieraus also entstehn uns die geregelten Zeiten und alles was nur schön ist, wenn das unbegrenzte und das die Begrenzung in sich habende vermischt werden.

Protarchos: Wie anders!

Sokrates: Und tausenderlei anderes übergehe ich anzuführen; wie nächst der Gesundheit auch Schönheit und Stärke, und in der Seele wiederum vielerlei anderes herrliches. Denn Übermut und jegliche Schlechtigkeit aller Art sah diese Göttin wohl, schöner Philebos, daß keine Begrenzung weder der Lust noch der Sättigung in ihnen sei, und hat daher Gesetz und Ordnung als Begrenzung in sich habend eingerichtet; und du zwar sagtest, sie erschöpfe, ich aber behaupte sie erhalte. Wie aber erscheint es dir, o Protarchos?

Protarchos: Gar sehr, o Sokrates, ist es so auch nach meinem Sinne.

Sokrates: Diese dreie also hätte ich abgesprochen, wenn du dich besinnst.

Protarchos: Ich glaube Wohles zu verstehen, eines nämlich denke ich erklärst du als das unbestimmte, eines, das zweite nämlich, als die Bestimmung in den Dingen, das Dritte aber habe ich noch nicht recht inne, was du damit sagen willst.

Sokrates: Die Menge hat dich eben verwirrt, o Bester, in der Erzeugung dieses dritten. Wiewohl ja auch das unbegrenzte uns viele Arten darbot, doch aber eingezeichnet unter das mehr und seines Gegenteils Begriff erschien es uns als Eins.

Protarchos: Richtig.

Sokrates: Die Begrenzung aber hatte weder vieles unter sich, noch waren wir auch im mindesten schwierig, daß sie vielleicht nicht eins wäre ihrer Natur nach.

Protarchos: Wie konnten wir auch!

Sokrates: Gar nicht freilich. Unter dem dritten aber sage nur meinte ich das gesamte Erzeugnis dieser beiden als eines setzend, die Erzeugung zum Sein durch die mit der Begrenzung sich ergebenden Maße.

Protarchos: Ich habe verstanden.

Sokrates: Aber wir behaupteten, es sei noch ein vierter Begriff zu den dreien zu untersuchen; und das ist eine gemeinsame Untersuchung. Denn sieh nur, ob dich notwendig dünkt, daß alles werdende kraft einer Ursache werde.

Protarchos: Allerdings; denn wie könnte es wohl ohne dies werden?

Sokrates: Also der Begriff des bewirkenden ist nur dem Namen nach von dem der Ursache verschieden, und das Bewirkende und Ursächliche würde mit Recht eines genannt.

Protarchos: Mit Recht.

(27) Sokrates: Eben so das Bewirkte und das Werdende finden wir gewiß auch, wie das obige, nur dem Namen nach verschieden. Oder wie?

Protarchos: Allerdings so.

Sokrates: Und das Bewirkende führt doch immer an, seiner Natur nach, das Bewirkte aber folgt als werdendes jenem.

Protarchos: Freilich.

Sokrates: Ein anderes also und nicht dasselbe ist die Ursache, und das der Ursache bei dem Werden dienende.

Protarchos: Wie anders?

Sokrates: Also das Werdende und das woraus wird insgesamt stellten uns jene drei Begriffe dar.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Was aber nun jenes sämtlich bildet, wollen wir für das vierte erklären, die Ursache, als hinlänglich für verschieden von jenen anerkannt.

Protarchos: Das wollen wir.

Sokrates: Gut wäre es nun wohl, nachdem wir sie alle viere bestimmt haben, wenn wir sie wegen besserer Erinnerung jedes Einzelnen noch einmal der Reihe nach aufzählten.

Protarchos: Sehr gut.

Sokrates: Den ersten also nenne ich das Unbegrenzte, den zweiten die Begrenzung, dann den dritten aus diesen das gemischte und gewordene Sein; und wenn ich nun der Mischung und des Werdens Ursache den vierten nenne, würde ich dann wohl fehlen?

Protarchos: Wie solltest du?

Sokrates: Wohl! worauf geht nun weiter unsere Rede? und weshalb sind wir hierauf gekommen? War es nicht dieses, daß wir, wem der zweite Preis zukäme, untersuchen wollten, ob der Lust oder der Vernünftigkeit? War es nicht so?

Protarchos: So war es freilich.

Sokrates: Können wir nun nicht jetzt, nachdem wir dies so unterschieden, vielleicht auch das Urteil richtiger abfassen über das erste und zweite, worüber wir vorher im Streit waren.

Protarchos: Vielleicht.

Sokrates: Wohlan! als Sieger erkannten wir doch das gemischte Leben aus Lust und Vernunft. War es nicht so?

Protarchos: Es war.

Sokrates: Und dieses Leben sehen wir doch leicht was für eines es ist, und von welcher Gattung.

Protarchos: Wie sollten wir nicht!

Sokrates: Und werden wohl denke ich behaupten, es sei ein Teil unserer dritten Gattung. Denn nicht aus irgend zweien gemischt ist jene, sondern aus allem unbegrenzten von der Begrenzung gebundenem, so daß mit Recht dieses gekrönte Leben ein Teil von jener wäre.

Protarchos: Mit ganz vollkommenem Recht.

Sokrates: Wohl! wie aber nun deines, o Philebos, was nur angenehm und ungemischt ist, unter welche von den beschriebenen Gattungen würden wir es zu setzen haben um es richtig zu setzen? Antworte mir aber so, ehe du dich erklärst.

Philebos: Sprich nur.

Sokrates: Haben wohl Lust und Unlust eine Grenze? oder gehören sie zu dem das Mehr und minder aufnehmenden?

Philebos: Ja zu dem das Mehr, o Sokrates. Denn die Lust wäre ja auch nicht alles Gute, wenn sie nicht unbegrenzt wäre, sowohl der Menge als dem Grade nach.

Sokrates: Und so doch auch die Unlust, o Philebos, nicht alles Übel. So daß wir wohl auf etwas anderes sehen müssen, als auf die Natur des unbegrenzten, um den Lüsten einen Anteil (28) an dem Guten zu sichern. Aus diesem unbegrenzten also sei sie dir hervorgegangen. Vernunft aber und Erkenntnis und Einsicht, welchem von den vorherbeschriebenen, o Protarchos und Philebos, müssen wir diese wohl beigesellen um nicht zu freveln? Denn es dünkt mich nicht wenig darauf zu beruhen, ob wir über diese Frage richtig entscheiden oder nicht.

Philebos: Du willst eben deinen Gott recht hervorheben und verherrlichen, o Sokrates.

Sokrates: Auch du Freund deine Göttin. Das gefragte aber ist uns doch zu beantworten.

Protarchos: Daran sagt Sokrates ganz recht, und wir müssen ihm gehorchen.

Philebos: Für mich aber hast du dich ja schon anheischig gemacht zu reden, Protarchos.

Protarchos: Freilich wohl. Jetzt aber weiß ich fast keinen Rat und bitte dich Sokrates, du wollest selbst unser Wortführer sein, damit wir nicht gegen deinen Kämpfer uns versündigend etwas mißtöniges vorbringen.

Sokrates: Darin muß ich dir Folge leisten, o Protarchos; auch legst du mir nichts schweres auf, sondern ich habe in der Tat, wie Philebos sagt, dich im Scherz durch Feierlichkeit aus der Fassung gebracht, als ich fragte, zu welcher Gattung Vernunft und Erkenntnis gehörten.

Protarchos: Das hast du freilich sehr, o Sokrates.

Sokrates: Es ist aber gar leicht. Denn alle Weisen stimmen darin zusammen, recht um sich selbst zu verherrlichen, daß die Vernunft der König ist Himmels und der Erden. Und vielleicht haben sie Recht. Laß uns aber ausführlicher die Untersuchung über ihre Gattung anstellen.

Protarchos: Führe sie nur wie du willst, und wende nicht vor, sie wäre zu lang; denn dadurch wirst du uns nicht zuwider sein.

Sokrates: Wohl gesprochen! und laß uns etwa mit dieser Frage anfangen.

Protarchos: Mit welcher?

Sokrates: Ob wir wohl, o Protarchos, sagen wollen, über alles insgesamt und über dies sogenannte Ganze walte die Gewalt des Vernunftlosen und des Zufälligen und das Ohngefähr, oder im Gegenteil, wie auch unsere Vorfahren gesagt haben, eine wundervolle Vernunft und Einsicht beherrsche alles anordnend?

Protarchos: Gar ist ja beides nicht zu vergleichen, du wunderbarer Sokrates; denn was du jetzt sagst, ist ja nicht einmal erlaubt. Zu sagen aber, daß Vernunft es alles anordnet, ziemt dem, der Welt und Sonne, Mond und Sterne und den ganzen Umschwung anschaut, und nie möchte ich etwas anderes darüber sagen oder glauben.

Sokrates: Willst du also, daß auch wir mit den Früheren einstimmend behaupten, dies verhalte sich so, und zwar nicht nur in der Meinung wir könnten wohl fremdes ohne Gefahr nachsagen, (29) sondern daß wir auch mit die Gefahr tragen und den Tadel teilen, wenn ein gewaltiger Mann sagt, es verhalte sich so nicht, sondern ganz unordentlich.

Protarchos: Wie sollte ich das nicht wollen!

Sokrates: So komm und sieh was uns hierüber nun weiter folgt.

Protarchos: Sage nur.

Sokrates: Was zur Natur der Leiber aller Lebendigen gehört, Erde, Feuer, Wasser und auch Luft, wie die Beklommenen rufen, finden wir doch in der Zusammensetzung des Ganzen.

Protarchos: Gar recht. Denn beklommen sind wir wahrhaftig auch aus Ratlosigkeit in unsern jetzigen Verhandlungen.

Sokrates: Wohl! Von dem allen nun, wie es in uns ist nimm nur dieses an.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Daß von diesen jegliches sich nur gar sparsam in uns findet und schlecht; und nirgend irgend etwas rein und den seiner Natur eigenen Kräften ganz entsprechend. Nimm es nur an einem recht wahr, und sieh dann wie es überall dasselbe ist. Wie Feuer ist doch in uns, und ist auch in dem Ganzen?

Protarchos: Wie sollte es nicht?

Sokrates: Und nicht wahr, wenig ist doch dessen in uns, und schwaches und schlechtes; das aber in dem Ganzen ist bewundernswürdig viel und schön und in der vollen Kraft, welche dem Feuer zukommt?

Protarchos: Ganz richtig ist was du sagst.

Sokrates: Wie aber? nährt sich etwa und entsteht aus diesem, und wird beherrscht das Feuer des Ganzen von dem Feuer in uns? oder im Gegenteil hat nicht von jenem das meinige und deinige und das aller andern Lebendigen eben alles dieses?

Protarchos: Diese Frage verdient nicht einmal eine Antwort.

Sokrates: Ganz recht; und dasselbige denke ich wirst du auch sagen von der Erde in den Lebendigen hier und der im Ganzen, und von allem übrigen wonach ich nur eben fragte. Antwortest du so?

Protarchos: Wen dürfte man wohl für ganz bei Sinnen halten, wenn er anders antwortete?

Sokrates: Wohl niemanden. Aber folge nun auch dem nächsten. Alles eben erwähnte, wenn wir es in Eins verbunden sehen, nennen wir es dann nicht Leib?

Protarchos: Wie sollten wir nicht?

Sokrates: Dasselbe nimm nun auch an, von dem was wir Welt nennen. Denn ganz auf dieselbe Weise wäre es doch auch ein Leib, da es zusammengesetzt ist aus demselbigen.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Wird nun wohl von diesem Leibe insgesamt unser Leib, oder von dem unsrigen jener genährt werden, und was wir vorhin schon davon sagten, erhalten und haben?

Protarchos: Auch dies, o Sokrates, ist gar nicht der Frage wert.

Sokrates: Etwa aber folgendes mehr? Oder was wirst du sagen?

(30) Protarchos: Laß nur hören was.

Sokrates: Unser Leib, wollen wir nicht sagen, der habe eine Seele?

Protarchos: Offenbar wollen wir das.

Sokrates: Woher aber, o lieber Protarchos, sollte er sie erhalten haben, wenn nicht auch des Ganzen Leib beseelt wäre, dasselbe habend wie er, und noch in jeder Hinsicht trefflicher?

Protarchos: Offenbar wohl nirgends anders her, o Sokrates.

Sokrates: Denn wir glauben doch nicht, o Protarchos, daß jene vier, die Begrenzung und das Unbegrenzte und das Gemeinsame und der Begriff der Ursache, welcher allen insgesamt als das vierte einwohnt, daß dieser bei uns zwar, die Seele bildend, und die Leibesstärke hervorbringend und des kränkelnden Leibes Heilkunst, und anderwärts anderes zusammensetzend und herstellend, deshalb die gesamte und vielfältige Weisheit genannt wird, daß aber, wiewohl eben dasselbe alles im ganzen Himmel sich findet in großen Massen und noch dazu schön und rein, es dort nicht sollte Rat gewußt haben für die Hervorbringung des schönsten und vortrefflichsten?

Protarchos: Das ließe sich ja keinesweges denken.

Sokrates: Also wenn das nicht ist, würden wir wohl jener Rede folgend richtiger sagen, daß, wovon wir nun schon so oft gesprochen haben, des Unbegrenzten in dem Ganzen gar vieles ist, und auch Begrenzung genug, und außer diesen eine nicht schlechte Ursache, welche Jahre und Jahreszeiten und Monate ordnend und bestimmend und mit vollem Rechte Weisheit und Vernunft kann genannt werden.

Protarchos: Mit vollem Recht freilich.

Sokrates: Weisheit und Vernunft aber können doch ohne Seele unmöglich sein?

Protarchos: Freilich nicht.

Sokrates: Also in der Natur des Zeus, wirst du sagen, wohne eine königliche Seele und königliche Vernunft von wegen der Kraft der Ursache, und anderes Schöne in anderem, nenne man es wie es jeglichem lieb ist.

Protarchos: Gewiß.

Sokrates: Und diese Rede, o Protarchos, glaube ja nicht daß wir etwa umsonst herbeigeführt haben, sondern sie ist zuerst jenen schon längst ausgesprochenen, daß immer über das Ganze Vernunft herrscht, genau verbündet.

Protarchos: Das ist sie gewiß.

Sokrates: Und dann hat sie auch die Antwort hergegeben auf meine Frage, daß nämlich die Vernunft zu der als das Ursächliche in allem beschriebenen Gattung gehört unter den vieren, von denen uns diese auch eine war. Denn nun hast du ja schon unsere Antwort.

Protarchos: Und ganz befriedigend, wiewohl ich nicht gemerkt hatte, daß du antwortetest.

Sokrates: Es gewährt ja eine Erholung von dem Ernst, o Protarchos, bisweilen zu scherzen.

Protarchos: Wohl gesprochen.

Sokrates: Zu welcher Gattung also die Vernunft gehört, und welche Kraft sie besitzt, das ist uns nun ja wohl gehörig erklärt.

(31) Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und die Gattung der Lust hat sich uns ja auch schon längst gezeigt.

Protarchos: Ja freilich.

Sokrates: Laß uns aber auch dieses von beiden wohl im Sinne behalten, daß die Vernunft der Ursach verwandt war und aus dieser Gattung, die Lust aber selbst unbegrenzt und aus der weder Anfang noch Mitte noch Ende von selbst in sich habenden noch je haben werdenden Gattung.

Protarchos: Das wollen wir behalten. Wie sollten wir auch nicht!

Sokrates: Nächstdem müssen wir, worin jedes von beiden ist und durch welches Ereignis es wird, wenn es wird, wohl erwägen zuerst von der Lust, wie wir auch ihre Gattung zuerst erforscht haben, so auch dieses zuerst. Abgesondert jedoch von der Unlust möchten wir die Lust wohl schwerlich jemals gehörig erforschen können.

Protarchos: Also wenn wir diesen Weg gehn müssen, laß ihn uns gehn.

Sokrates: Dünkt dich nun wohl von ihrer Entstehung dasselbe, wie mich?

Protarchos: Was doch?

Sokrates: In der Gattung des gemischten scheinen mir ihrer Natur gemäß Lust und Unlust zugleich zu entstehen.

Protarchos: Das gemischte, lieber Sokrates, bringe uns nochmals in Erinnerung, welches von den vorher beschriebenen du dadurch bezeichnen willst.

Sokrates: Das soll nach Vermögen geschehen, du Wunderbarer.

Protarchos: Wohl gesprochen.

Sokrates: Unter dem gemischten also wollen wir das verstehen, was wir unter den vieren als das dritte aufgeführt haben.

Protarchos: Was du nach dem Unbegrenzten und der Begrenzung aufstelltest, wohin du auch die Gesundheit glaube ich und die Zusammenstimmung rechnetest?

Sokrates: Sehr schön gesagt. Nun aber merke möglichst auf.

Protarchos: Rede nur.

Sokrates: Ich sage also, daß wenn die Zusammenstimmung in den Lebendigen aufgelöst wird, zugleich auch eine Auflösung der Natur und eine Erzeugung von Schmerz alsdann erfolge.

Protarchos: Das läßt sich hören.

Sokrates: Wird sie aber wiederum gestimmt, und geht in ihre eigentümliche Natur zurück, dann, müssen wir sagen, entsteht Lust, wenn wir über das größte in wenigen Worten aufs schleunigste uns erklären sollen.

Protarchos: Ich glaube wohl, daß du richtig erklärst, o Sokrates. Laß uns aber doch versuchen, dasselbe noch einleuchtender zu sagen.

Sokrates: Also, das alltägliche und augenscheinliche ist doch am leichtesten zu erkennen?

Protarchos: Welches?

Sokrates: Der Hunger ist doch eine Auflösung und Unlust.

Protarchos: Ja.

Sokrates: Wenn aber durch Speise wieder eine Erfüllung entsteht, so ist das Lust.

Protarchos: Ja.

Sokrates: Der Durst wiederum ist Verderben und Unlust; und die das ausgetrocknete wieder mit Feuchtigkeit anfüllende Tätigkeit ist Lust. Wiederum die Zergehung und Auflösung, welche widernatürlich in der Hitze bewirkt wird, ist Unlust, (32) die naturgemäße Wiederherstellung aber und Erfrischung ist Lust.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Auch im Frost ist die dem Lebendigen widernatürliche Erstarrung der Feuchtigkeiten Unlust; treten sie aber wieder in den vorigen Zustand zurück und zergehen, so ist diese naturgemäße Veränderung Lust. Und mit einem Wort, sieh zu, ob dir die Erklärung gerecht ist, welche aussagt, daß wenn die aus dem Unbegrenzten und der Begrenzung gemäß der beseelten Natur entstandene Art, welche ich in dem vorigen schon erklärt habe, verdirbt, ihre Verderbnis Unlust sei, der Weg aber in ihr Sein und Bestehen, diese Rückkehr wiederum sei in allem Lust.

Protarchos: So sei es; denn das scheint mir doch eine Gepräge zu haben.

Sokrates: Dies also wollen wir setzen als Eine Art von Lust und Unlust in diesen beiderlei Zuständen.

Protarchos: Es stehe fest.

Sokrates: Denke dir nun aber auch in Bezug auf die Erwartung dieser Zustände das Vorgefühl der Seele selbst vor dem angenehmen angenehm und ermutigend, das vor dem unlustigen aber fürchtend und schmerzlich.

Protarchos: Dies ist also eine andere Art von Lust und Unlust, welche ganz abgesondert von dem Leibe der Seele allein durch die Erwartung entsteht.

Sokrates: Richtig aufgefaßt. Und an diesen Zuständen glaube ich nach meiner Meinung wenigstens, da beide rein entstehen wie es scheint und unvermischt Lust mit Unlust, wird offenbar werden, wie es um die Lust steht, ob die ganze Gattung begehrungswert ist, oder ob dieses wohl nur einer andern von unsern vorher beschriebenen Gattungen beizulegen ist, der Lust und Unlust aber, wie dem warmen und kalten und allem dergleichen, nur daß sie bisweilen wohl begehrungswert ist, bisweilen aber auch wieder nicht, weil sie nämlich Güter wohl nicht sind, bisweilen aber doch und einige von ihnen die Natur des Guten annehmen können.

Protarchos: Ganz richtig sagst du, daß auf diesem Wege irgendwie das herauskommen muß worauf wir Jagd machen.

Sokrates: Zuerst nun laß uns dieses bedenken, daß wenn wirklich, wie wir sagten, Schmerz ist wenn das Lebende verdirbt, und wenn es sich wieder herstellt Lust, wir doch in Bezug auf die welche eben jetzt weder verderben noch sich wiederherstellen, überlegen müssen, was für eine Beschaffenheit wohl jedes Lebendige dann an sich haben muß, wann es ihm auf diese Art ergeht. Gib aber sehr wohl Acht, und sage, ist es nicht ganz notwendig, daß in dieser Zeit jegliches Lebendige eben so wenig Lust haben kann als Unlust, weder viel noch wenig?

Protarchos: Notwendig freilich.

(33) Sokrates: Also gibt es für uns noch einen dritten solchen Zustand, außer dem des Vergnügtseins und dem des Betrübtseins.

Protarchos: Wie sollte es nicht!

Sokrates: Wohlan, also diesen suche nur im Sinn zu behalten. Denn es kommt nicht wenig darauf an bei der Beurteilung der Lust, ob wir diesen im Sinne haben oder nicht. Ein weniges aber laß uns, wenn du willst, von ihm durchgehn.

Protarchos: Sage nur was.

Sokrates: Den der die Lebensweise der Einsicht gewählt hat, weißt du wohl, daß nichts hindert auf diese Weise zu leben.

Protarchos: Du meinst so, daß er weder vergnügt sei, noch unlustig?

Sokrates: Denn es wurde damals gesagt bei der Vergleichung der Lebensweisen, daß wer die der Vernunft und der Einsicht gewählt habe, der Lust weder viel noch wenig haben müsse.

Protarchos: So ist freilich gesagt worden.

Sokrates: So könnte es demnach um jenen stehen, und vielleicht ist es nichts wunderbares, wenn unter allen Lebensweisen diese die göttlichste ist.

Protarchos: Wahrscheinlich ist es wenigstens nicht, daß die Götter Lust haben oder das Gegenteil.

Sokrates: Gar nicht wahrscheinlich. Unziemlich für sie wäre wenigstens beides. Allein dies wollen wir hernach noch bedenken, wenn es zur Sache gehört, und wollen es der Vernunft zum zweiten Preise, wo wir doch zum ersten nicht können, zulegen.

Protarchos: Sehr richtig gesagt.

Sokrates: Nun aber, jene andere Art der Lust, welche wir der Seele allein zuschrieben, entsteht doch ganz durch das Gedächtnis.

Protarchos: Wie das?

Sokrates: Es scheint wir werden wohl zuerst vornehmen müssen, was Gedächtnis ist, und noch früher als Gedächtnis wohl die Wahrnehmung, wenn uns diese Dinge irgend deutlich werden sollen.

Protarchos: Wie meinst du das?

Sokrates: Nimm an, daß von den jedesmaligen Verkommenheiten an unserm Leibe einige in dem Leibe selbst sich verlieren, ehe sie zur Seele hindurch gelangen, so daß sie jene unteilnehmend lassen, andere aber durch beide hindurch gehend, gleichsam eine eigentümliche und beiden gemeinschaftliche Erschütterung zurücklassen.

Protarchos: Das stehe fest.

Sokrates: Wenn wir nun sagen, daß die nicht durch beide hindurch sich entstreckende unserer Seele entgehen, die aber durch beide ihr nicht entgehen, würden wir dann wohl ganz richtig sprechen?

Protarchos: Warum nicht?

Sokrates: Denn verstehe nur das Entgehen nicht so, als meinte ich hier das Entstehen eines Vergessens; denn das Vergessen ist das Aufhören der Erinnerung, und diese ist da wovon jetzt die Rede ist noch nicht entstanden; und von einem Verlust dessen zu reden was weder ist noch schon geworden ist wäre ungereimt. Nicht wahr?

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Also vertausche nur die Namen.

Protarchos: Wie?

Sokrates: Anstatt zu sagen, daß etwas der Seele entgehe, wenn sie unteilnehmend bleibt an den Erschütterungen des Leibes, so nenne dies was du jetzt Entgehen nanntest Bewußtlosigkeit.

Protarchos: Ich verstehe.

Sokrates: Wenn aber in Einer Erregung Seele und Leib gemeinschaftlich (34) begriffen sind, und so auch gemeinschaftlich bewegt werden, wenn du dann diese Bewegung wolltest Empfindung oder Wahrnehmung nennen, würdest du nicht aus der Weise reden.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Also nun verstehen wir schon, was wir Wahrnehmung nennen wollen?

Protarchos: Wie sollten wir nicht.

Sokrates: Und wenn nun einer das Aufbehalten der Wahrnehmung Gedächtnis nennte, würde er wohl nach meiner Meinung richtig reden.

Protarchos: Freilich richtig.

Sokrates: Sagen wir aber nicht, daß vom Gedächtnis die Erinnerung verschieden sei?

Protarchos: Vielleicht.

Sokrates: Nicht etwa so?

Protarchos: Wie denn?

Sokrates: Wenn was der Seele mit dem Leibe zugleich begegnet ist, sie dieses ohne den Leib für sich allein möglichst zurückholt, dann sagen wir doch, daß sie sich erinnert. Nicht wahr?

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Aber auch wenn sie nachdem das Andenken sei es nun einer Wahrnehmung oder einer Kenntnis verloren gegangen war, sie dies wiederum selbst bei sich selbst wiederholt, auch dies insgesamt nennen wir doch Erinnerung oder Gedächtnis.

Protarchos: Richtig.

Sokrates: Weshalb aber dieses alles gesagt worden, das ist dies.

Protarchos: Welches doch?

Sokrates: Damit wir aufs beste und bestimmteste auffassen könnten, die Lust der Seele, abgesondert von dem Leibe, so richtig und deutlich als möglich aufzufassen und zugleich auch die Begierde. Denn um deswillen gewiß ist dieses beides erklärt worden.

Protarchos: So laß uns also, o Sokrates, das nächste nun vornehmen.

Sokrates: Vieles von der Entstehung der Lust und ihrer ganzen Gestalt müssen wir, wie es scheint, notwendig besprechen. So auch jetzt müssen wir offenbar zuerst vornehmen, was wohl die Begierde ist, und wo sie entsteht.

Protarchos: So laß es uns überlegen. Wir verlieren ja nichts dabei.

Sokrates: Allerdings verlieren wir, o Protarchos, wenn wir gefunden haben, was wir jetzt suchen, die Ratlosigkeit über alle diese Dinge.

Protarchos: Gut abgewehrt. Versuchen wir nun aber das folgende zu berichtigen.

Sokrates: Sagten wir also nicht eben, Hunger und Durst und vielerlei anderes dergleichen wären Begierden?

Protarchos: Gar sehr.

Sokrates: Was ist doch also dieses selbige in ihnen, worauf wir sehen, indem wir so sehr verschiedene Dinge mit Einem Namen benannten?

Protarchos: Beim Zeus, das ist wohl nicht leicht zu sagen, o Sokrates, doch aber muß es versucht werden.

Sokrates: Holen wir es nur wieder eben von dort her.

Protarchos: Von wo?

Sokrates: Wir sagen doch immer daß etwas durstet?

Protarchos: Freilich.

Sokrates: Und das heißt doch, daß es sich leer befindet.

Protarchos: Was denn sonst?

Sokrates: Ist nun der Durst eine Begierde?

Protarchos: Ja, nach Getränke doch?

Sokrates: Nach Getränk, oder nach Anfüllung mit Getränk?

Protarchos: Ich glaube wohl nach Anfüllung.

(35) Sokrates: Wer also von uns leer geworden ist, wie es scheint, der begehrt das Gegenteil von dem, das ihm begegnet. Denn ausgeleert wünscht er angefüllt zu werden.

Protarchos: Ganz offenbar.

Sokrates: Wie nun aber? kann wer zum erstenmal ausgeleert ist, wohl sei es nun mit der Wahrnehmung auf die Anfüllung treffen, oder sei es mit dem Gedächtnis, auf etwas was ihm weder in der gegenwärtigen Zeit begegnet, noch ihm jemals vorher begegnet ist?

Protarchos: Wie sollte das doch?

Sokrates: Aber der Begehrende begehrt ja doch etwas, sagen wir?

Protarchos: Wie sollte er nicht!

Sokrates: Also auch nicht dasselbe was ihm begegnet begehrt er. Denn er hat Durst, und das ist Ausleerung, er aber begehrt nach Anfüllung.

Protarchos: Ja.

Sokrates: Irgend etwas also an dem Durstenden muß doch irgendwie auf die Anfüllung treffen.

Protarchos: Notwendig.

Sokrates: Der Leib aber unmöglich, denn der ist ja ausgeleert.

Protarchos: Ja.

Sokrates: Also bleibt nur übrig, daß die Seele die Anfüllung trifft vermittelst des Gedächtnisses.

Protarchos: Offenbar.

Sokrates: Denn womit anders sollte sie sie treffen?

Protarchos: Es gibt wohl kaum etwas.

Sokrates: Merken wir nun wohl, was uns aus diesen Reden folgt?

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Diese Rede behauptet, daß es eine Begierde des Leibes nicht gibt.

Protarchos: Wie so?

Sokrates: Weil sie immer ein den Zuständen jenes entgegengesetztes Streben andeutet.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und der Trieb wie er auf das Gegenteil des jedesmaligen damaligen Zustandes führt, offenbart doch, daß ein Gedächtnis da ist von dem Gegenteil dieses Zustandes.

Protarchos: Freilich.

Sokrates: Indem also unsere Rede die zu dem Begehrten hinführende Erinnerung aufgewiesen hat, hat sie zugleich gezeigt, daß Trieb und Begierde sowohl als die gesamte Regierung eines jeglichen Lebendigen der Seele angehören.

Protarchos: Ganz richtig.

Sokrates: Daß also unser Leib hungere oder durste oder dergleichen etwas erleide, das nimmt unsere Rede keinesweges an.

Protarchos: Völlig der Wahrheit gemäß.

Sokrates: Auch dieses aber laß uns noch über dasselbige bemerken. Diese Rede nämlich scheint uns einen eigenen Lebenszustand eben hierin offenbaren zu wollen.

Protarchos: Worin und von was für einem Leben redest du?

Sokrates: In dem angefüllt werden und ausgeleert sein und allem, was sich so auf die Erhaltung und das Verderben der Lebendigen bezieht, und wenn jemand von uns in einem von beiden begriffen Unlust hat, und dann wieder Lust, je nachdem es wechselt?

Protarchos: So ist es.

Sokrates: Wie aber nun, wenn einer sich in der Mitte von beiden befindet?

Protarchos: Wie so in der Mitte?

Sokrates: Vermöge seines gegenwärtigen Zustandes hat er zwar Unlust, erinnert sich aber des gewesenen angenehmen; so könnte er vom Schmerz Ruhe haben, er ist aber noch nicht angefüllt. Wie dann? sollen wir behaupten oder läugnen, daß er sich in der Mitte zwischen beiden Zuständen befindet?

Protarchos: Behaupten wollen wir es freilich.

Sokrates: Als lauter Unlust habend, oder Lust?

(36) Protarchos: Beim Zeus nein, sondern als von doppelter Unlust gequält, dem Leibe nach durch den unmittelbaren Zustand, der Seele nach durch das sehnsüchtige der Erwartung.

Sokrates: Wie doch, o Protarchos, hast du das gemeint mit der doppelten Unlust? Kann nicht bisweilen einer von uns der ausgeleert ist in der sicheren Erwartung stehen angefüllt zu werden, ein anderesmal aber im Gegenteil sich hoffnungslos befinden?

Protarchos: Freilich wohl.

Sokrates: Und dünkt dich nun nicht, daß er als hoffend angefüllt zu werden, sich freut wegen der Erinnerung, zugleich aber, weil ausgeleert, in derselben Zeit auch Unlust empfindet?

Protarchos: Notwendig.

Sokrates: Dann also wird der Mensch und die andern Tiere zu gleicher Zeit Unlust haben und Lust.

Protarchos: So kommt es heraus.

Sokrates: Wie nun aber, wenn der Ausgeleerte ohne alle Hoffnung ist, zur Anfüllung zu gelangen, wird nicht dann erst jener zwiefache Zustand der Unlust eintreten, welchen du eben vorhin wahrnehmend in der Meinung standest er finde schlechthin statt?

Protarchos: Vollkommen richtig, o Sokrates.

Sokrates: Diese Untersuchung also über diese Zustände wollen wir hiezu anwenden.

Protarchos: Wozu?

Sokrates: Ob wir sagen wollen, diese Empfindungen der Lust und Unlust wären wahr oder falsch, oder einige wahr andere teils nicht.

Protarchos: Wie aber, o Sokrates, könnte wohl Lust oder Unlust falsch sein?

Sokrates: Wie aber, o Protarchos, wäre dann Furcht wahr oder falsch? und Erwartungen wahr oder nicht? und Vorstellungen wahr oder falsch?

Protarchos: Vorstellungen möchte ich wohl zugeben, das andere aber nicht.

Sokrates: Wie sagst du? da werden wir wieder eine gar nicht kurze Rede aufregen müssen.

Protarchos: Darin kannst du Recht haben.

Sokrates: Aber ob sie auch zu dem vorigen sich schickt, Freund, das müssen wir doch überlegen.

Protarchos: Das wohl gewiß.

Sokrates: Allen übrigen Weitläuftigkeiten also wollen wir absagen, und allem und jedem über das gebührliche hinaus gehenden in der Rede.

Protarchos: Richtig.

Sokrates: Sage mir also, denn ich wundere mich immerfort über diese Schwierigkeiten, die wir jetzt vorgelegt haben.

Protarchos: Wie meinst du?

Sokrates: Also Lust könnte nicht einige wahr sein und andere falsch?

Protarchos: Wie ginge das wohl?

Sokrates: Also weder wachend noch im Traum gibt es nach deiner Behauptung noch im Wahnsinn oder sonst einem Zustand von Unvernunft irgend einen der wohl einmal glaubt sich wohl zu befinden, befindet sich aber gar nicht wohl, noch auch wiederum glaubt Unlust zu haben, hat aber gar keine.

Protarchos: Alle nehmen wir immer an, o Sokrates, daß sich dies alles so verhalte.

Sokrates: Aber auch mit Recht? oder müssen wir erst untersuchen, ob dies richtig so gesagt wird, oder nicht?

Protarchos: Untersuchen muß man es wohl, würde ich wenigstens behaupten.

Sokrates: Bestimmen wir aber noch genauer das eben gesagte (37) von Lust und Vorstellung. Wir nennen doch etwas vorstellen?

Protarchos: Ja.

Sokrates: Und etwas Lust empfinden?

Protarchos: Ja.

Sokrates: Und das vorgestellte ist doch auch etwas?

Protarchos: Wie sollte es nicht!

Sokrates: Und doch auch das, worüber das Lustempfindende Lust empfindet?

Protarchos: Ei freilich.

Sokrates: Und dem Vorstellenden, mag es nun richtig oder auch nicht richtig vorstellen, geht doch das niemals verloren, daß es in der Tat vorstellt?

Protarchos: Wie wäre das auch möglich!

Sokrates: So auch dem Lustempfindenden, mag es nun richtig oder auch nicht richtig empfinden, wird doch, daß es nicht in der Tat Lust empfinde, niemals verloren gehen?

Protarchos: Richtig, auch dies verhält sich so.

Sokrates: Auf welche Weise nun soll uns wohl die Vorstellung zwar gern falsch werden, oder wahr, die Lust aber allein wahr, da doch das in der Tat vorstellen und Lust haben beiden gleichermaßen zukommt?

Protarchos: Das müssen wir bedenken.

Sokrates: Etwa daß zur Vorstellung immer Wahrheit und Falschheit hinzukommt, und sie dadurch nicht nur Vorstellung, sondern auch jede eine von einer gewissen Beschaffenheit wird, meinst du, wir müssen dies bedenken?

Protarchos: Ja.

Sokrates: Nächstdem aber müssen wir auch, ob denn diese zwar von gewisser Beschaffenheit sind, Lust aber und Unlust nur was sie sind, nicht aber von einer gewissen Beschaffenheit werden, auch darüber uns einigen.

Protarchos: Offenbar.

Sokrates: Allein das ist ja gar nicht schwer zu sehn, daß auch sie von gewisser Beschaffenheit sind. Denn schon lange sagen wir ja, daß Lust und Unlust beide auch groß und klein und heftig und gelinde werden.

Protarchos: Allerdings wohl.

Sokrates: Wenn nun, o Protarchos, einer von ihnen Schlechtigkeit zukommt, so werden wir doch sagen, daß so die Vorstellung schlecht wird und auch die Lust schlecht.

Protarchos: Wie könnten wir wohl anders, o Sokrates.

Sokrates: Wie nun, wenn Richtigkeit oder das Gegenteil der Richtigkeit einer von ihnen zukommt, werden wir etwa nicht die Vorstellung wenn sie Richtigkeit hat, eine richtige nennen, und die Lust eben so?

Protarchos: Notwendig.

Sokrates: Wenn aber das vorgestellte verfehlt ist, dann müssen wir doch die verfehlende Vorstellung nicht als richtig anerkennen, noch für richtig vorstellend?

Protarchos: Wie könnten wir auch!

Sokrates: Und wie wenn wir eben so eine Lust oder Unlust in Absicht auf das woran Unlust empfunden wird oder das Gegenteil, fehlen sehen, sollen wir sie dann richtig oder gut oder mit sonst einem schönen Namen nennen?

Protarchos: Das ist freilich nicht möglich, wenn nur die Lust wird fehlen können.

Sokrates: Aber es ist doch klar, daß die Lust uns oft nicht mit einer richtigen sondern mit einer falschen Vorstellung entsteht.

Protarchos: Wie sollte sie nicht? und die Vorstellung, o Sokrates, nennen wir ja in einem solchen Falle dann falsch; nur die Lust selbst wird doch wohl nie jemand als falsch beschreiben.

(38) Sokrates: Du verteidigest ja jetzt die Sache der Lust gar eifrig.

Protarchos: Gar nicht; ich sage nur was ich gehört habe.

Sokrates: Soll uns denn gar kein Unterschied sein, o Freund, zwischen der Lust die mit richtiger Vorstellung und mit Erkenntnis, und der welche mit falscher und mit Unwissenheit oftmals jedem von uns einwohnt?

Protarchos: Sie müssen ja wohl nicht wenig verschieden sein.

Sokrates: So laß uns denn zur Betrachtung ihrer Verschiedenheit schreiten.

Protarchos: Führe wie es dir gut dünkt.

Sokrates: So will ich denn so führen.

Protarchos: Wie?

Sokrates: Vorstellung, sagen wir doch, gibt es falsche und gibt auch wahre.

Protarchos: Die gibt es.

Sokrates: Und diesen, wie wir auch eben sagten, folgen Lust und Unlust gar oftmals, der wahren Vorstellung meine ich und der falschen.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und nicht wahr aus dem Gedächtnis und der Wahrnehmung entsteht uns jedesmal die Vorstellung und das Bestreben durch Vorstellung zu unterscheiden.

Protarchos: Ganz gewiß.

Sokrates: Dünkt es uns nun nicht notwendig, daß wir uns hiebei so verhalten?

Protarchos: Wie?

Sokrates: Manchmal, wenn einer etwas von weitem erblicktes nicht recht genau sieht, kommt es doch wohl, sagst du das nicht auch, daß er beurteilen will, was er sieht?

Protarchos: Das sage ich auch.

Sokrates: Und dann möchte wohl ein solcher sich selbst so anreden.

Protarchos: Wie?

Sokrates: Was ist doch wohl das, was mir da bei dem Felsen zu stehen scheint unter einem Baume. Meinst du nicht daß einer so zu sich selbst redet, dem irgend einmal dergleichen zu Gesicht kommt?

Protarchos: Was sollte er nicht?

Sokrates: Und demnächst könnte er wohl gleichsam sich selbst antwortend bei sich sagen, es ist ein Mensch, aber nur so aufs Geratewohl.

Protarchos: Sehr leicht.

Sokrates: Kommt er aber näher hinzu, dann möchte er vielleicht sagen, was er gesehen sei ein Schnitzwerk, das einige Hirten gemacht.

Protarchos: Ganz wohl.

Sokrates: Und wenn jemand mit ihm wäre, dann würde er das bei sich selbst gesagte dem Anwesenden durch die Stimme darstellen, und so würde er wiederum ganz dasselbige wirklich aussprechen, und was wir vorher eine Meinung nannten, wäre dann eine Rede geworden.

Protarchos: Wie könnte es anders sein?

Sokrates: Ist er aber allein, und denkt dieses nur für sich selbst, so geht er vielleicht längere Zeit hin und behält es bei sich.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Wie nun? Kommt dir dieses wohl eben so vor wie mir?

Protarchos: Wie doch?

Sokrates: Unsere Seele scheint mir dann einem Buche zu gleichen.

Protarchos: Wie das?

Sokrates: Das mit den Wahrnehmungen zusammentreffende (39) Gedächtnis, und was sonst zu diesen Zuständen gehört, scheinen mir dann in unsere Seelen gleichsam Reden einzuschreiben; und wenn sie richtig geschrieben haben, dann ist dieses Ereignis eine richtige Vorstellung, und es gehen daraus richtige Reden in uns hervor, wenn aber dieser Schreiber bei uns falsches schreibt, so entsteht das Gegenteil von dem richtigen.

Protarchos: Allerdings scheint mir das auch, und ich nehme das so gesagte an.

Sokrates: So nimm dann auch an, daß noch ein anderer Meister sich zu derselben Zeit in unsern Seelen befindet.

Protarchos: Was für einer?

Sokrates: Ein Maler, der nächst dem Schreiber des gesprochenen die Bilder davon in der Seele zeichnet.

Protarchos: Wie tut das der nun wieder und wenn?

Sokrates: Wenn einer von dem Gesicht oder welcher Sinn es sonst sei das damals vorgestellte und ausgesprochene losmachend die Bilder des vorgestellten und gesprochenen irgendwie in sich selbst sieht. Oder geschieht das etwa nicht bei uns?

Protarchos: Gar sehr freilich.

Sokrates: Sind nun nicht der richtigen Vorstellungen und Reden Bilder auch richtige, die der falschen aber falsche?

Protarchos: Auf alle Weise.

Sokrates: Wenn wir nun dies richtig bestimmt haben, so laß uns auch noch dieses dazu untersuchen.

Protarchos: Welches doch?

Sokrates: Ob uns mit dem gegenwärtigen und vergangenen dieses zwar notwendig so begegnet, mit dem künftigen aber nicht.

Protarchos: Mit allem aus allen Zeiten gewiß auf gleiche Weise.

Sokrates: Nun ist doch von der Lust und Unlust der Seele in dem vorigen gesagt worden, daß sie wohl vor der Lust und Unlust des Leibes vorher entstehen könnte, so daß uns also eine Vorlust und eine Vorunlust in Bezug auf die künftige Zeit entsteht.

Protarchos: Sehr wahr.

Sokrates: Gibt es nun solche Schriften und Bilder, wie wir kurz zuvor in uns entstehn ließen, zwar von der vergangenen und gegenwärtigen Zeit, von der künftigen aber nicht?

Protarchos: Ganz gewiß doch.

Sokrates: Sagst du etwa ganz gewiß, weil sie ja alle auf die künftige Zeit bezogen Hoffnungen sind, und wir unser ganzes Leben hindurch immer voll sind von Hoffnungen?

Protarchos: Auf alle Weise freilich.

Sokrates: Wohlan denn, zu dem jetzt erklärten beantworte mir auch noch dieses.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Ein gerechter und frommer und durchaus guter Mann, ist der nicht gottgeliebt?

Protarchos: Wie sollte er nicht!

Sokrates: Und der ungerechte und ganz und gar schlechte, ist der nicht ganz das Gegenteil von jenem?

Protarchos: Wie sollte er nicht!

Sokrates: Und vieler Hoffnungen, wie wir eben sagten, ist jeder Mensch voll?

(40) Protarchos: Wie könnte einer anders!

Sokrates: In jedem von uns also sind solche Reden, welche wir Hoffnungen nannten.

Protarchos: Ja.

Sokrates: Und doch auch die gemalten Bilder. Und so kann einer oftmals sehn, daß er ungeheuer viel Gold hat, und dabei große Lust, und auch sich selbst kann er in sich abgemalt sehn als gar höchlich erfreut.

Protarchos: Gar leicht.

Sokrates: Sollen wir nun hievon sagen, daß was die guten Menschen so geschrieben in sich tragen größtenteils wahr ist, weil sie gottgeliebt sind, was aber die schlechten, ganz im Gegenteil. Oder wollen wir das nicht sagen?

Protarchos: Gar sehr wollen wir es sagen.

Sokrates: Und auch die Schlechten haben eben so gut Lust bei sich abgemalt, nur ist es falsche.

Protarchos: Freilich wohl.

Sokrates: An falscher Lust also ergötzen sich meistenteils die Schlechten, die guten unter den Menschen aber an wahrer.

Protarchos: Ganz notwendig ist es so wie du sagst.

Sokrates: Es gibt also nach dieser unserer jetzigen Rede allerdings in den Seelen der Menschen falsche Lust, welche der wahren nur ins lächerliche sich nachbildet; und eben so auch Unlust.

Protarchos: Es gibt.

Sokrates: Mußte nun nicht, wer nur überall vorstellt, allerdings immer in der Tat vorstellen, aber doch bisweilen was nicht ist noch war noch auch sein wird?

Protarchos: Freilich.

Sokrates: Und dies war es eben, glaube ich, woraus uns denn die unrichtige Vorstellung und das unrichtig vorstellen entstand; nicht wahr?

Protarchos: Ja.

Sokrates: Und wie? müssen wir nicht der Lust und Unlust eine jenen ganz ähnliche Beschaffenheit unter denselben Umständen beilegen?

Protarchos: Wie das?

Sokrates: Daß allerdings wer nur überall, sei es auch noch so eitler Weise, Lust hat, in der Tat jedesmal wirklich Lust hat, bisweilen jedoch an dem was nicht ist und nicht gewesen ist und oft ja vielleicht meistenteils an dem was auch niemals sein wird.

Protarchos: Auch das, o Sokrates, verhält sich notwendig so.

Sokrates: Und dasselbe würde wohl auch gelten von Furcht und Ereiferung und allem ähnlichen, daß alles dergleichen auch bisweilen falsch ist.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und wie können wir wohl anders Vorstellungen schlecht und gut nennen, als weil sie wahr sind oder falsch?

Protarchos: Nicht anders.

Sokrates: Und auch Lust, meine ich, können wir nicht merken, daß sie auf andere Weise schlecht ist, als dadurch daß sie falsch ist.

Protarchos: Wohl ganz das Gegenteil von dem was du sagst, (41) Sokrates. Denn des falschen wegen würde einer Lust und Unlust wohl gar nicht für schlecht halten, wohl aber wenn sie in viele andere große Schlechtigkeit hineingeraten.

Sokrates: Von der schlechten Lust also, welche durch Schlechtigkeit eine solche ist, wollen wir hernach bald reden, wenn es uns noch so bedünkt; wie aber die falschen auch noch auf andere Weise viel und oft uns beschleichen und einwohnen, muß erwähnt werden; denn dies werden wir vielleicht brauchen zu unserer Beurteilung.

Protarchos: Warum nicht? wenn es nur welche gibt!

Sokrates: Aber Protarchos, es gibt deren wohl nach meiner Meinung; und so lange diese Annahme uns vorliegt kann sie unmöglich ununtersucht bleiben.

Protarchos: Schön.

Sokrates: So laß uns denn wie Kämpfer auch gegen diesen Satz uns wieder stellen.

Protarchos: Komm.

Sokrates: Wir haben doch vor kurzem in dem vorigen, wenn wir uns dessen erinnern, gesagt, daß wenn, was wir Begierden nennen, in uns sind, der Leib ganz getrennt und abgesondert von der Seele in seinen Zuständen geteilt ist.

Protarchos: Dessen erinnere ich mich, und es ist vorher gesagt worden.

Sokrates: Und nicht wahr, das was begehrt, nämlich die den Beschaffenheiten des Leibes entgegengesetzten, war die Seele, das aber, was den Schmerz oder irgend eine aus einer Erregung hervorgehende Lust in sich aufnimmt, war der Leib.

Protarchos: So war es freilich.

Sokrates: So rechne denn zusammen was hierin liegt.

Protarchos: Sprich.

Sokrates: Es liegt darin, daß wenn sich dies so verhält, alsdann Lust und Unlust zugleich in uns liegen, und das Bewußtsein beider die doch entgegengesetzt sind uns mit einander entsteht, was sieh uns auch nur eben gezeigt hat.

Protarchos: Das scheint freilich wohl.

Sokrates: War nun nicht auch dieses gesagt worden und steht uns fest als vorher eingestanden?

Protarchos: Welches doch?

Sokrates: Daß Lust und Unlust beide das mehr und minder aufnehmen und zum Unbegrenzten gehören.

Protarchos: Das ist gesagt. Warum?

Sokrates: Was ist nun wohl für Rat um dieses richtig zu beurteilen?

Protarchos: Was nur und wie?

Sokrates: Wenn doch unsere Absicht dieses zu beurteilen in dergleichen jedesmal dahin geht zu unterscheiden, welche von ihnen wohl mit den andern verglichen größer ist und kleiner, und welche es in höherem Grade ist und stärker, sowohl Unlust mit Lust verglichen als auch Unlust mit Unlust und Lust mit Lust.

Protarchos: So ist es allerdings, und dies ist die Absicht der Beurteilung.

Sokrates: Wie also? beim Gesicht leidet die Wahrheit, wenn man Größen von nahe und von fern sieht, und dies bewirkt (42) falsche Vorstellungen, und bei Lust und Unlust sollte nicht dasselbe eintreten?

Protarchos: Noch weit mehr wohl, o Sokrates.

Sokrates: Ganz entgegengesetzt kommt aber das jetzige heraus dem kurz vorherigen.

Protarchos: Welches meinst du?

Sokrates: Damals nämlich waren es die Vorstellungen, welche je nachdem sie wahr oder falsch ausfielen, auch die Lust und Unlust mit dem was ihnen selbst begegnet war anfüllten.

Protarchos: Vollkommen wahr.

Sokrates: Jetzt aber ist sie es selbst, welche weil sie abwechselnd bald von weitem bald von nahem gesehen und zugleich eine neben die andere gestellt wird, und zwar die Lust neben das Unangenehme gestellt größer und stärker erscheint, die Unlust aber neben das Angenehme gestellt im Gegenteil.

Protarchos: Dergleichen erfolgt wohl notwendig aus dieser Ursache.

Sokrates: Wenn du also das um wieviel jede von ihnen größer oder kleiner erscheint als sie wirklich ist, dieses erscheinende aber nicht seiende von beiden abschneidest: so wirst du weder von ihm selbst sagen können daß es richtig erscheine, noch auch wirst du dich jemals, was von Lust und Unlust auf diesen Teil fällt, getrauen richtig und wahr zu nennen.

Protarchos: Freilich nicht.

Sokrates: Gleich nach diesem laß uns nun sehen, ob wir nicht darauf treffen, daß noch ärgere falsche Lust und Unlust als diese in den lebendigen Wesen erscheint und ist.

Protarchos: Wie doch und was für welche meinst du?

Sokrates: Es ist doch schon oft gesagt worden, daß wenn die Natur eines jeden leidet durch Vermischungen und Aussonderungen, durch Anfüllungen und Ausleerungen oder gewisse Vermehrungen und Abnahmen, alsdann Unlust Beschwerde Schmerz und alles was dergleichen Namen führt zu entstehen pflege.

Protarchos: Ja das ist oft schon gesagt.

Sokrates: Wann es aber wieder zu seiner eigenen Natur zurückkehrt, diese Rückkehr setzten wir bei uns fest, sei Lust.

Protarchos: Richtig.

Sokrates: Wie nun aber wenn an unserm Leibe keines von beiden wirklich vorgeht?

Protarchos: Wann könnte das aber wohl sein, o Sokrates?

Sokrates: Die Frage tut gar nichts zur Sache die du jetzt vorbringst.

Protarchos: Wie so nicht?

Sokrates: Weil sie mich doch nicht hindert meine Frage dir noch einmal auf zu werfen.

Protarchos: Welche?

Sokrates: Wenn nun dergleichen jemals gar nicht statt fände, werde ich immer sagen, was würde uns daraus notwendig folgen?

Protarchos: Du meinst, wenn der Leib auf keine von beiden Seiten bewegt würde?

Sokrates: Eben das.,

Protarchos: Offenbar doch wohl dieses, o Sokrates, daß in einem solchen dann weder Lust wäre, noch auch irgend eine Unlust.

(43) Sokrates: Sehr richtig gesagt. Nur meinst du, glaube ich, es müsse dergleichen immer etwas in uns sein, wie die Weisen sagen; denn es fließt alles immer nach oben oder unten.

Protarchos: Das sagen sie freilich, und es dünkt mich gar nicht schlecht.

Sokrates: Wie wollte es auch, da sie selbst nicht schlecht sind! Aber ich möchte dieser Rede gern ausweichen, die mir entgegen kommt. Hieher denke ich deshalb zu fliehen, und fliehe du nur mit.

Protarchos: Sage nur wie.

Sokrates: Das soll freilich so sein, wollen wir zu ihnen sprechen. Du aber beantworte mir nur dieses, ob denn immer alles was nur einem beseelten Wesen begegnet, auch von dem wahrgenommen wird, dem es begegnet; und wir auch nicht einmal wachsen ohne es zu merken und gar vielerlei eben so mit uns vorgeht? oder ganz das Gegenteil? denn fast alles dieser Art entgeht uns gänzlich.

Protarchos: Ganz im Gegenteil freilich.

Sokrates: Also war uns nur das eben gesagte nicht ganz richtig gesagt, daß die Veränderungen nach oben und unten Lust und Unlust bewirken.

Protarchos: Wie so nicht?

Sokrates: Besser und untadelhafter wäre es so ausgedrückt.

Protarchos: Wie doch?

Sokrates: Die großen Veränderungen verursachen uns Lust und Unlust, die mittelmäßigen und kleinen aber ganz und gar keines von beiden.

Protarchos: Richtiger als jenes ist dieses allerdings, o Sokrates.

Sokrates: Und ist nun dieses so: so kommt ja der nur eben angeführte Lebenszustand schon wieder.

Protarchos: Welcher doch?

Sokrates: Von dem wir sagten, er sei schmerzlos und auch ohne Vergnügungen.

Protarchos: Du hast ganz recht.

Sokrates: Wollen wir uns nun hieraus dreierlei Leben bilden, das eine unangenehm, das andere angenehm, das dritte keins von beiden? Oder wie wolltest du es anders sagen?

Protarchos: Gar nicht anders, sondern so daß es diese dreierlei gibt.

Sokrates: Und nicht Unlust haben ist doch niemals dasselbe wie Lust haben?

Protarchos: Wie sollte es auch?

Sokrates: Wenn du also hörst, es sei das angenehmste schmerzlos sein ganzes Leben hinzubringen, was denkst du dir wohl, daß ein solcher dann sagt?

Protarchos: Mir wenigstens scheint ein solcher das nicht Unlust haben für das Angenehme auszugeben.

Sokrates: Von drei verschiedenen also welche du willst setze mir, damit wir nur schönere Namen dafür haben, das eine als Gold das andere als Silber das dritte als keines von beiden.

Protarchos: Das steht nun fest.

Sokrates: Jenes keines von beiden nun, kann das wohl eines von den beiden andern sein, Gold oder Silber?

Protarchos: Wie wäre es möglich!

Sokrates: Also auch der mittlere Zustand kann niemals mit Recht angenehm oder schmerzlich vorgestellt werden, wenn ihn sich einer vorstellen will, noch genannt werden, wenn ihn einer so nennen wollte, nach richtiger Weise wenigstens nicht.

Protarchos: Wie ginge das auch.

Sokrates: Aber doch, o Freund, merken wir welche, die dieses sagen und sich so vorstellen.

Protarchos: Gar sehr.

(44) Sokrates: Glauben sie also dann Lust zu haben, wenn sie ohne Unlust sind?

Protarchos: Sie sagen es wenigstens.

Sokrates: Also glauben sie doch dann Lust zu haben. Denn sie würden es ja nicht sagen.

Protarchos: Das scheint wohl.

Sokrates: Und falsches denken sie also von der Lust, wenn doch nicht Unlust haben und Lust haben jedes etwas besonderes für sich ist.

Protarchos: Etwas besonderes sind ja beide ganz gewiß.

Sokrates: Wollen wir nun bei uns fest setzen, wie eben, daß dieses dreierlei ist, oder soll nur zweierlei, die Unlust das Übel für die Menschen, und die Befreiung von der Unlust, weil eben dieses das gute ist, das Angenehme genannt werden.

Protarchos: Wie denn, o Sokrates, werden wir dies nun von uns selbst gefragt? denn ich verstehe nicht.

Sokrates: Du verstehst eben in der Tat die rechten Feinde unseres Philebos nicht, o Protarchos.

Protarchos: Welche meinst du denn sind es?

Sokrates: Gar gewaltige Leute in Sachen der Natur, welche behaupten es gebe ganz und gar keine Lust.

Protarchos: Wie so doch?

Sokrates: Dies insgesamt wären nur Abwesenheiten der Unlust, was Philebos und die Seinigen jetzt Lust nennen.

Protarchos: Rätst du nun daß wir diesen folgen, o Sokrates, oder wie?

Sokrates: Gar nicht; aber wir wollen sie gebrauchen wie Wahrsager, die nicht aus Kunst sondern aus einer gewissen verdrießlichen Strenge ihrer nicht unedlen Natur wahrsagen, gewaltig erbittert gegen die Kraft der Lust und sie für nichts gesundes haltend, so daß auch eben dieser ihr Reiz ein Zaubermittel sei, nicht Lust. Diese kannst du hiezu gut brauchen, wenn du erst auch ihre andern verdrießlichen Reden noch erwogen hast. Nachher aber sollst du, was ich für wahrhafte Lust halte, erfahren, damit wir so nach Maßgabe beider Reden die Kraft der Lust in Betrachtung und zum Spruch ziehen.

Protarchos: Richtig gesprochen.

Sokrates: Laß uns also diesen als Bundesgenossen auf den Spuren ihrer Verdrießlichkeit nachgehn. Ich denke mir nämlich, daß sie irgend woher von oben anfangend ohngefähr so sagen. Wenn wir nun irgend eines Begriffes Natur in Betracht ziehn wollten, wie die des harten, würden wir, wenn wir auf die härtesten Dinge sähen, sie so am besten auffassen, oder wenn auf die welche nur ein kleinstes Teilchen Härte haben? du mußt aber, o Protarchos, wie vorher mir, so auch nun diesen gestrengen antworten.

Protarchos: Allerdings, und ich sage ihnen also, auf das größte in seiner Art.

Sokrates: Also auch wenn wir nun den Begriff der Lust, was für eine Natur sie wohl hat betrachten wollten, müßten wir nicht auf die kleinsten Lüste sehen, sondern auf die welche für die schärfsten und stärksten gelten.

(45) Protarchos: Das würde dir jetzt wohl jeder zugeben.

Sokrates: Sind nun nicht, die wir gleich bei der Hand haben welche auch die größten Lüste sind, wie wir oft sagen, diese die den Leib angehn?

Protarchos: Wie sollten sie nicht!

Sokrates: Sind nun diese, und werden größer, bei den Kranken oder bei den Gesunden? Wir wollen uns aber in Acht nehmen daß wir nicht voreilig antwortend fehltreten.

Protarchos: Wie so?

Sokrates: Wir könnten leicht sagen, bei den Gesunden.

Protarchos: Wahrscheinlich wohl.

Sokrates: Wie? ragen nicht diejenigen hervor unter den Lüsten, denen auch die größten Begierden voran gehn?

Protarchos: Das ist wohl wahr.

Sokrates: Aber haben nicht die Fieberkranken und mit ähnlichen Übeln behafteten, mehr Durst und Frost, und was sie sonst am Leibe zu leiden pflegen, und beständig mehr Bedürfnisse, und deshalb auch wenn diese befriedigt werden, größere Lust? Oder sollen wir nicht sagen daß das wahr sei?

Protarchos: Allerdings, leuchtet das jetzt sehr ein.

Sokrates: Wie also? scheinen wir nun wohl richtig zu sagen, daß wenn jemand die größte Lust sehen will, er nicht zur Gesundheit sondern zur Krankheit gehn muß, um sie da zu betrachten? Sieh aber zu daß du nicht etwa glaubst, ich meinte mit meiner Frage, daß die Kranken mehr Vergnügen hätten als die Gesunden; sondern denke, ich suche nur die Größe der Lust, und das heftige derselben, wo sich das wohl jedesmal findet. Denn wir müssen einsehen, welche Natur sie hat, und was doch die von ihr meinen, welche behaupten, es gebe sie ganz und gar nicht.

Protarchos: Ich folge nun wohl deiner Rede.

Sokrates: Bald, o Protarchos, wirst du wohl eben so gut selbst zeigen; denn du wirst antworten. Antworte nur. Siehst du größere Lust, ich sage nicht mehrere, aber an Heftigkeit und Stärke hervorragend im Übermut oder in dem besonnenen Leben? Nimm dich aber gut zusammen bei der Antwort.

Protarchos: Ich verstehe schon was du meinst, und sehe einen großen Unterschied. Denn die Besonnenen hält schon das Sprichwort zurück, welches ihnen jedesmal das Nichts zuviel einschärft, und dem sie gehorchen. Die Unsinnigen aber und Übermütigen nimmt die heftige Lust bis zum Wahnsinn ein, und macht sie ganz verrufen.

Sokrates: Schön! und wenn sich dies so verhält, ist doch offenbar daß in einer gewissen Verderbtheit des Leibes und der Seele, und nicht in ihrer rechten Tüchtigkeit, die größte Lust und Unlust entsteht.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Von diesen also müssen wir uns einige vornehmen und betrachten, wie sie sich doch verhalten, daß wir sagen sie seien die größten.

Protarchos: Notwendig.

(46) Sokrates: So betrachte denn die Lüste in solchem krankhaften Zustande, auf welche Weise sie sich verhalten.

Protarchos: In was für welchem?

Sokrates: Die Lust der Schamlosen, die eben von unsern vorigen Verdrießlichen so ausnehmend gehaßt wird.

Protarchos: Was für welche?

Sokrates: Nun wie sie sich zum Beispiel die Krätze heilen durch Reiben und mehreres dergleichen was keines andern Mittels bedarf; denn eben dieses Gefühl bei den Göttern was sollen wir denn sagen daß es in uns ist? Lust oder Unlust?

Protarchos: Ein gemischtes Übel, o  Sokrates, scheint dies zu sein.

Sokrates: Gar nicht des Philebos wegen habe ich diese Rede vorgebracht, o Protarchos; allein ohne diese Lust und die damit zusammenhängenden, wenn man sie nicht beachtet, würden wir fast nicht im Stande sein das zu entscheiden, wonach jetzt gefragt wird.

Protarchos: So laß uns denn weiter gehn zu den mit diesen verwandten.

Sokrates: Welche an der Mischung Teil haben, meinst du.

Protarchos: Eben die.

Sokrates: Es gibt also einige Mischungen die nur den Leib betreffen in den Leibern selbst, andere der Seele allein in der Seele, die aber worin des Leibes und der Seele Lust und Unlust untereinander gemischt vorkommen, werden wir finden daß sie zusammengenommen bald Lust bald Unlust genannt werden.

Protarchos: Wie so?

Sokrates: Wenn einer in der Wiederherstellung oder in der Störung entgegengesetztes zugleich erleidet, als ein Frierender sich wärmt, oder als ein Erhitzter sich abkühlt, indem er eigentlich sucht, so denke ich, das eine zu haben und das andere los zu werden: so verursacht dieses gemischte sogenannte Bittersüße, wenn es anhält, weil das eine nicht verschwinden will, Unwillen und hernach eine heftige Spannung.

Protarchos: Sehr richtig trifft das eben erklärte.

Sokrates: Sind nun nicht diese Mischungen teils aus gleicher Lust und Unlust, teils aus einer von beiden überwiegend?

Protarchos: Wie sollten sie nicht.

Sokrates: So sage denn, die in welchen mehr Unlust als Lust sich findet seien eben diese itzt angeführten von der Krätze und dem Gurgeln, wenn das brennende und entzündete inwendig ist und einer mit Reiben und Kratzen nicht dazu kommt, sondern nur die äußere Oberfläche reizt, indem man sie bald in das Feuer bringt, und in das Gegenteil, wobei bisweilen aus überschwänglicher Lust doch nur Hülflosigkeit herauskommt, bald aber im Gegenteil pflegt man den innern Teilen um die Unlust in den äußeren damit zu vermischen, wohin es nun auch ausschlage, Lust zu erregen, indem man bald verbundenes mit Gewalt trennt, bald gesondertes mischt, und somit der Unlust Lust beigesellt.

Protarchos: Vollkommen richtig.

(47) Sokrates: Und nicht wahr, wenn in allem diesem ein größerer Anteil Lust gemischt wird, so verursacht die beigemischte Unlust nur gelinden Reiz und Unruhe, die weit reichlicher eingeflößte Lust aber spannt an und macht bisweilen springen, und indem sie allerlei vielfach wechselnde Farben und Gebärden und Atemzüge herausbringt, bringt sie unsinniges Entzücken und Geschrei hervor?

Protarchos: So ist es freilich.

Sokrates: Und macht daß einer von sich selbst sagt und auch Andere, es sei fast zum Sterben wie diese Lüste ergötzen. Und diesen geht nun jeder um so mehr nach, je unbändiger und unvernünftiger er ist, und nennt diese die größten, und wer in diesen am meisten lebt, den schätzt er für den glückseligsten.

Protarchos: Alles, o Sokrates, wie sich bei den Menschen aus der Menge die Meinung ergibt, hast du ausgeführt.

Sokrates: Von denen Lüsten nun, o Protarchos, wobei zu einem zusammengesetzten Zustande des Leibes allein inneres und äußeres gemischt ist, und von denen wobei die Seele dem Leibe entgegengesetztes beiträgt, Unlust sowohl zur Lust, als Lust zur Unlust, so daß beides in eine Mischung eingeht, haben wir dieses zwar vorher schon ausgeführt, daß wenn einer ausgeleert ist er nach Anfüllung strebt, und sofern er hofft sich zwar freut, sofern er aber ausgeleert ist Schmerz hat, dieses aber haben wir damals nicht erklärt, sagen es aber jetzt, daß wo die Seele von dem Leibe abweicht, in allen diesen unzähligen Fällen, alles in Eine Mischung von Lust und Unlust zusammenfällt.

Protarchos: Du scheinst vollkommen richtig zu reden.

Sokrates: Von allen Mischungen der Lust und Unlust ist uns also nur noch eine übrig.

Protarchos: Welche meinst du?

Sokrates: Welche wir sagten daß die Seele selbst für sich oftmals annimmt.

Protarchos: Wie aber meinen wir dies eigentlich?

Sokrates: Zorn und Furcht und Verlangen und Wehmut und Liebespein und Eifersucht und Neid und was dergleichen ist, setzest du das nicht als Unlust der Seele selbst?

Protarchos: Ich allerdings.

Sokrates: Und werden wir dies alles nicht unsäglicher Lust voll finden? oder ist erst Not uns zu erinnern an das, »der selbst, zu Zorn nämlich und Eifer, auch den Weiseren pflegt zu erbittern, der weit süßer zuerst denn sanft eingleitender Honig«, und an die Lust welche bei Wehmut und Sehnsucht mit der Unlust gemischt ist?

(48) Protarchos: Nein, sondern nur so und anders nicht kann dieses sich verhalten.

Sokrates: Und wenn sie die Tragödien sehen, erinnerst du dich doch wohl, wie sie zugleich sich ergötzend doch weinen?

Protarchos: Wie sollte ich nicht!

Sokrates: Wie aber unsere Seele bei den Komödien bewegt ist, weißt du wohl, daß auch darin eine Mischung von Lust und Unlust liegt?

Protarchos: Das verstehe ich nicht recht.

Sokrates: Ganz gewiß ist es auch gar nicht leicht, o Protarchos, hierin den jedesmaligen Zustand dieser Art zu erkennen.

Protarchos: Freilich nicht, wie mir wenigstens scheint.

Sokrates: Nehmen wir indes dies um so lieber vor, je dunkler es ist, damit einer auch in andern Fällen desto leichter eine Mischung von Lust und Unlust erkennen könne.

Protarchos: So erkläre es denn.

Sokrates: Was wir eben vorher auch nannten, Neid, verstehst du unter diesem Worte eine Unlust der Seele? oder wie?

Protarchos: So.

Sokrates: Wer aber neidet, der wird sich wohl immer über die Übel des Nächsten erfreut zeigen.

Protarchos: Gar sehr allerdings.

Sokrates: Und ein Übel ist doch Unwissenheit, und was wir sonst Unfähigkeit nennen?

Protarchos: Wie sollte sie nicht!

Sokrates: Hieraus nun sieh, welches eigentlich die Natur des Lächerlichen ist.

Protarchos: Sprich nur.

Sokrates: Es ist also eine Schlechtigkeit, die von einer gewissen Beschaffenheit beigenamt wird, und zwar von der gesamten Schlechtigkeit der Teil welcher den entgegengesetzten Zustand enthält des von dem delphischen Spruch ausgedrückten.

Protarchos: Meinst du das Kenne dich selbst, o Sokrates?

Sokrates: Allerdings. Und offenbar wäre doch sich selbst nie zu kennen das Gegenteil von jenem in dem Spruch ausgedrückten.

Protarchos: Wie sollte es nicht?

Sokrates: O Protarchos, versuche also eben dieses dreifach zu teilen.

Protarchos: Auf welche Weise meinst du? ich werde es wohl nicht können.

Sokrates: Du meinst also wohl, für diesmal soll ich es nur abteilen?

Protarchos: Und bitte dich darum außer dem daß ich es meine.

Sokrates: Muß nun nicht denen welche sich selbst verkennen dies in Absicht auf drei Stücke begegnen?

Protarchos: Wie so?

Sokrates: Zuerst in Absicht auf Geld und Gut, daß sich einer für reicher hält als sein Vermögen beträgt.

Protarchos: Sehr Vielen begegnet dieses.

Sokrates: Und noch mehreren wohl, daß sie sich für größer und schöner und was sonst den Leib betrifft für ausgezeichneter halten, als ihnen der Wahrheit nach zukommt.

Protarchos: Freilich.

Sokrates: Bei weitem die meisten aber glaube ich verfehlen es in Absicht des dritten Stückes, nämlich dessen was in der Seele ist, indem sie sich selbst für besser halten in der Tugend, ohne es zu sein.

Protarchos: Bei weitem allerdings.

Sokrates: Und unter allen Tugenden ist es nicht vorzüglich auf die Weisheit, daß die Menge auf alle Weise Anspruch macht, und deshalb voll Streites ist und falscher Dünkelweisheit.

(49) Protarchos: Wie könnte es anders sein.

Sokrates: Und wer nun jeden solchen Zustand ein Übel nennte, würde ihn wohl ganz recht benennen.

Protarchos: Gar sehr gewiß.

Sokrates: Dieser nun muß noch halbiert werden, o Protarchos, wenn wir den scherzhaften Neid sehen und darin eine wunderbare Mischung von Lust und Unlust erkennen sollen.

Protarchos: Wie sollen wir ihn nun halbieren? sage es nur.

Sokrates: Alle welche diese falsche Meinung von sich selbst unsinnigerweise hegen, von denen muß doch, wie von allen andern Menschen so auch ganz notwendigerweise von ihnen, Einigen Stärke und Macht zukommen und Andern denke ich das Gegenteil.

Protarchos: Notwendig.

Sokrates: Hiernach also teile, und so viele von ihnen aus Schwachheit solche sind, und unvermögend, wenn sie ausgelacht werden, sich zu rächen, wenn du von diesen sagst, daß sie lächerlich sind, wirst du wohl ganz richtig reden, die sich aber rächen können, wenn du die als furchtbar und schändlich und feindselig bezeichnest, wirst du dir selbst die richtigste Erklärung über sie geben. Denn die Unwissenheit der Mächtigen ist feindselig und schändlich, denn sie ist auch den Nächsten verderblich, sie selbst und ihre Abbilder; die schwache aber fällt uns in die Natur und das Gebiet des Lächerlichen.

Protarchos: Vollkommen richtig. Allein die Mischung der Lust und Unlust darin ist mir noch nicht deutlich.

Sokrates: Nimm also zuerst das Wesen des Neides vor.

Protarchos: Erkläre es nur.

Sokrates: Er ist doch eine ungerechte Unlust und Lust?

Protarchos: Das wohl notwendig.

Sokrates: Nun ist doch über der Feinde Übel weder ungerecht noch neidisch sich zu freuen?

Protarchos: Wie sollte es!

Sokrates: Wenn man aber Übel der Freunde sieht, dann bisweilen sich nicht zu betrüben sondern zu freuen ist das nicht ungerecht?

Protarchos: Wie sollte es nicht?

Sokrates: Und die Unwissenheit sagen wir doch ist ein Übel für Alle?

Protarchos: Richtig.

Sokrates: Wie nun? Der Freunde Dünkel Weisheit und Dünkelschönheit, und was wir eben anführten als unter drei Arten verteilt, ist doch lächerlich soviel davon schwach ist, verhaßt aber soviel davon stark ist? Oder wollen wir nicht mehr zugeben, was ich vorhin sagte, daß diese Beschaffenheit, wenn einer der Freunde sie auf eine für Andere unschädliche Art an sich hat, lächerlich ist?

Protarchos: Allerdings wollen wir.

Sokrates: Und erkennen wir sie nicht als ein Übel an, da sie doch Unwissenheit ist?

Protarchos: Gar sehr.

Sokrates: Freuen wir uns nun oder sind wir betrübt, wenn wir über sie lachen?

(50) Protarchos: Offenbar freuen wir uns.

Sokrates: Und Lust an der Freunde Übel, sagten wir nicht daß der Neid es sei der diese bewirke?

Protarchos: Notwendig.

Sokrates: Wenn wir also über unserer Freunde Lächerlichkeiten lachen, sagt die Rede, daß wir Lust dem Neide beimischend die Lust der Unlust beimischen; denn der Neid sei uns schon lange bestimmt als eine Unlust der Seele, das Lachen aber als Lust, und beides sei hiebei zu gleicher Zeit vorhanden.

Protarchos: Richtig.

Sokrates: Und so deutet uns die Rede an, daß auch in Klaggedichten und Trauerspielen, nicht denen auf der Bühne nur, sondern auch in dem gesamten Trauerspiel und Lustspiel des Lebens, Unlust mit Lust zugleich gemischt sei und so in tausend andern Dingen.

Protarchos: Es ist unmöglich dies nicht einzugestehn, o Sokrates, wenn einer auch ganz hartnäckig auf dem Gegenteil bestehen wollte.

Sokrates: Und Zorn und Sehnsucht und Wehmut und Furcht und Liebe und Eifersucht und Neid hatten wir uns doch vorgehalten, daß darin, wie wir behaupteten, das nun schon so oft genannte sich müßte vermischt finden. Nicht wahr?

Protarchos: Ja.

Sokrates: Und wir sehen doch ein, daß von Wehmut und Neid und Zorn das jetzt durchgeführte alles wirklich handelt.

Protarchos: Wie sollten wir das nicht einsehn?

Sokrates: Viel anderes aber ist doch noch übrig?

Protarchos: Gar sehr.

Sokrates: Weshalb nun denkst du wohl, daß ich dir vorzüglich die Mischung in der Komödie gezeigt habe? Nicht des Beweises wegen, weil in Furcht und Liebe und dem übrigen noch leichter ist die Mischung aufzuweisen, damit wenn du dies bei dir selbst festgestellt hättest, du mir erlassen möchtest nicht erst zu jenen auch zu gehen und die Rede dadurch in die Länge zu ziehen, sondern dieses schlechthin annehmen, daß sowohl der Leib ohne die Seele als die Seele ohne den Leib und beide mit einander in ihren Zuständen voll sind der mit Unlust gemischten Lust. Nun sage also, ob du es mir erläßt, oder ob du Mitternacht heranbringen willst. Ich denke aber, wenn ich nur noch weniges gesagt habe, von dir zu erlangen, daß du mich gehen läßt. Denn von diesem allen insgesamt will ich dir Morgen Rechenschaft ablegen; jetzt aber möchte ich auf das übrige lossteuern zu dem Urteile welches Philebos fodert.

Protarchos: Wohl gesprochen, o Sokrates. Also nimm nur durch was wir noch vor uns haben, wie es dir lieb ist.

Sokrates: Der Natur gemäß sollten wir nun nach den gemischten Vergnügungen vermöge einer Art von Notwendigkeit zu den ungemischten an ihrem Teil übergehn.

Protarchos: Wohl gesprochen.

(51) Sokrates: Ich will also versuchen umwendend sie euch zu bezeichnen. Denn denen welche sagen, daß alle Lust nur Hemmung der Unlust sei, kann ich nicht recht glauben; sondern wie ich schon sagte, ich brauche sie nur zu Zeugen dafür, daß es allerlei scheinbare Lust gibt, welche wirklich keine ist, und daß noch vielerlei andere gar groß erscheint, welche aber zugleich gemischt ist mit Unlust und mit Erholungen von den größten Schmerzen in Ratlosigkeit Leibes und der Seelen.

Protarchos: Aber welche, o Sokrates, könnte wohl einer als wahr annehmen, der richtig darüber denken wollte?

Sokrates: Die an den schönen Farben und Gestalten, und die meisten die von Gerüchen herrühren und Tönen, und alles was nach einem unmerklichen und schmerzlosen Bedürfnis uns eine merkliche und angenehme Befriedigung rein von Unlust gewährt.

Protarchos: Wie ist das nun wieder eigentlich gemeint, o Sokrates?

Sokrates: Freilich ist wohl nicht sogleich deutlich was ich meine, man muß aber versuchen es deutlich zu machen. Ich versuche also als Schönheit der Gestalten dir nicht, was wohl die meisten glauben möchten, zu erklären, etwa die der lebenden Körper oder die gewisser Gemälde; sondern ich nenne etwas grade, sagt meine Erklärung, und etwas rund und aus diesen wiederum die Flächen und Körper, welche gedreht werden, oder durch Regel und Winkelmaß bestimmt, wenn du mich verstehst. Denn diese, sage ich, sind nicht in Beziehung auf etwas schön wie anderes, sondern immer an und für sich sind sie ihrer Natur nach schön, und haben eine eigentümliche Lust, die nichts mit der des Kitzels zu schaffen hat; und so auch Farben sind nach dieser selbigen Weise schön und haben ihre Lust. Aber verstehen wir es auch, oder wie?

Protarchos: Ich bemühe mich wohl, o Sokrates; bemühe nur auch du dich es noch deutlicher zu erklären.

Sokrates: Ich sage also, daß auch von den Tönen, jene glatten und hellen, welche Einen bestimmten reinen Gesang von sich geben, nicht in Bezug auf etwas schön sind sondern an und für sich, und daß ihnen mitgeborene Lust sie begleitet.

Protarchos: Auch das ist allerdings so.

Sokrates: Die an Gerüchen ist nun freilich eine weniger göttliche Art von Lust als diese; aber daß ihnen doch keine notwendige Unlust beigemischt ist, wo immer und woran uns dieses sich zeigt, das setze ich insgesamt jenen entgegen. Also, wenn du es verstehst, nennen wir dieses die zwei Arten der Lust.

Protarchos: Ich verstehe.

Sokrates: Laß uns nun diesen noch beifügen die Lust an Kenntnissen, wenn doch auch diese uns bedünken nicht einen Hunger (52) nach dem Erkennen bei sich zu haben, noch ursprüngliche aus dem Hunger nach Kenntnissen entstehende Schmerzen.

Protarchos: So dünkt es mich freilich auch.

Sokrates: Und wie? wenn nun denen die mit Erkenntnissen angefüllt sind, hernach Verlust derselben antritt durch Vergessen, siehst du darin einigen Schmerz?

Protarchos: Nicht von Natur wenigstens, sondern nur in den Betrachtungen des Zustandes, wenn einer dem sie verloren gegangen sich betrübt, weil sie ihm fehlen.

Sokrates: Aber, o Bester, wir haben es jetzt nur mit dem Zustande selbst zu tun, wie er seiner Natur nach ist, abgesehen von der Betrachtung darüber.

Protarchos: Dann hast du also ganz Recht, daß jedesmal bei unsern Kenntnissen das Vergessen uns ohne alle Unlust kommt.

Sokrates: Diese Lust also an den Kenntnissen sei unvermischt mit Unlust, müssen wir sagen, und keineswegs für die Menge der Menschen, sondern nur für gar wenige.

Protarchos: Wie sollten wir das nicht sagen.

Sokrates: Nun wir also schon ziemlich abgesondert haben die reine Lust und die welche man mit Recht unrein nennen kann: so laß uns nun in der Erklärung noch hinzufügen für die heftigen Lüste Ungemessenheit, für die welche es nicht sind im Gegenteil Abgemessenheit; und welche das groß und heftig annehmen, mögen sie nun oft oder selten solche werden, denen wollen wir hinzufügen, daß sie von jener unbegrenzten bald mehr bald weniger durch Leib und Seele sich bewegenden Art sind, die aber nicht, daß sie zu den abgemessenen gehören.

Protarchos: Vollkommen richtig, o Sokrates.

Sokrates: Nun ist also nächst diesem noch dies von ihnen auseinanderzusetzen.

Protarchos: Welches?

Sokrates: Was doch wohl zur Wahrheit des Seins beiträgt, ob das reine und lautere oder das starke und viele und große und überflüssige?

Protarchos: Was willst du eigentlich, o Sokrates, mit dieser Frage?

Sokrates: Ich will nur, o Protarchos, nichts versäumen in der Prüfung der Lust und der Erkenntnis, wenn etwa an jeder von beiden etwas rein ist und etwas unrein, damit dann jede dir und mir und allen diesen rein vor Gericht komme, und uns also das Urteil erleichtere.

Protarchos: Ganz richtig.

Sokrates: Wohlan über alles was wir reine Arten nennen laß uns so nachdenken, daß wir zuerst irgend eine von ihnen vor uns nehmen und betrachten.

Protarchos: Welche also wollen wir vor uns nehmen?

(53) Sokrates: Ich denke wir wollen das Weiße zuerst uns ansehn.

Protarchos: Ganz wohl.

Sokrates: Wie nun, und welches wäre uns die Reinheit des Weißen? Etwa das recht viele und große, oder das unvermischteste, worin auch nicht der mindeste Teil irgend einer andern Farbe sich fände?

Protarchos: Offenbar das, welches das unvermischteste ist.

Sokrates: Richtig. Wollen wir also, o Protarchos, nicht dieses als das wahrste und zugleich als das schönste unter allem Weißen setzen, nicht aber das größte noch das meiste?

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Wenn wir also sagen, ein weniges reines Weiß sei weißer und zugleich schöner und wahrer als vieles gemischte Weiß; so werden wir auf alle Weise richtig reden.

Protarchos: Vollkommen richtig ganz gewiß.

Sokrates: Wie nun? es wird wohl nicht erst noch vieler solcher Beispiele bedürfen für unsere Erklärung über die Lust, sondern es genügt uns auch schon hieraus einzusehn, daß auch insgesamt jede kleine und geringe aber von Unlust reine Lust angenehmer und wahrer und schöner sein muß als viele und große gemischte.

Protarchos: Gar sehr, und das Beispiel reicht hin.

Sokrates: Wie aber nun dieses? Haben wir von der Lust nicht gehört, daß sie immer nur ein Werden ist, und daß es ein Sein der Lust ganz und gar nicht gibt? Denn einige treffliche Leute wagen uns diesen Satz darzustellen, denen man Dank wissen muß.

Protarchos: Wie das?

Sokrates: Dieses eben will ich fragend mit dir durchgehn, o lieber Protarchos.

Protarchos: Sprich nur und frage.

Sokrates: Nimm also zweierlei an, das Eine sei an und für sich, das Andere immer eines anderen begehrend.

Protarchos: Wie und von welcherlei meinst du das?

Sokrates: Das eine ist stets das Herrlichere seiner Natur nach, das andere hinter jenem zurückbleibend.

Protarchos: Erkläre es noch deutlicher.

Sokrates: Wir haben doch wohl schöne und vortreffliche Lieblinge gesehen und zugleich tapfere Liebhaber derselben?

Protarchos: Gar viel.

Sokrates: Diesen zweien ähnlich nun suche zweierlei anderes in allem wovon wir sagen, es sei das dritte für ein zweites.

Protarchos: Sage doch nur deutlicher, o Sokrates, was du meinst.

Sokrates: Gar nichts krauses, o Protarchos, sondern die Rede scherzt nur mit uns beiden, und meint nur, daß einiges immer um eines seienden willen ist, anderes aber eben dasjenige, wegen dessen jedesmal das um eines andern willen werdende wird.

Protarchos: Ich habe es kaum verstanden, weil es so oft gesagt worden.

Sokrates: Vielleicht, Kind, werden wir es noch besser verstehen, wenn unsere Rede fortschreitet.

Protarchos: Warum auch nicht.

(54) Sokrates: Nun laß uns auch diese andern zwei nehmen.

Protarchos: Was für welche?

Sokrates: Eines das Werden von allem, und das Sein das andere.

Protarchos: Diese beiden nehme ich an, das Sein und das Werden.

Sokrates: Ganz richtig. Welches nun von diesen beiden ist um welches willen? Sollen wir sagen das Werden sei wegen des Seins, oder das Sein sei wegen des Werdens?

Protarchos: Das was das Sein genannt wird, ob das wegen des Werdens das ist was es ist, danach fragst du jetzt?

Sokrates: Offenbar.

Protarchos: Bei den Göttern, fragst du mich etwa weiter aus?

Sokrates: Dergleichen, o Protarchos, sage ich zu mir, nimmst du wohl an, behauptest du, daß der Schiffsbau mehr der Schiffe wegen da ist, als die Schiffe wegen des Schiffbaues? und was sonst alles dem ähnlich ist davon sage ich eben dieses, o Protarchos.

Protarchos: Warum antwortest du dir darauf nicht selbst, o Sokrates?

Sokrates: Daran hindert freilich nichts; nimm du nur Teil an der Rede.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Ich behaupte also, daß um des Werdens willen alle Hülfsmittel Werkzeuge und alles was man Stoff nennt überall angewendet werde, daß aber jegliches Werden wegen eines Seins jedes wegen eines anderen geschehe, und das gesamte Werden wegen des gesamten Seins.

Protarchos: Ganz offenbar freilich.

Sokrates: Also auch die Lust, wenn sie ein Werden ist muß notwendig irgend eines Seins wegen werden.

Protarchos: Wie sollte sie nicht.

Sokrates: Nun aber muß doch dasjenige, wegen dessen jedesmal ein um eines andern willen erfolgendes erfolgt, in der Ordnung des Guten befindlich sein: das eines andern wegen erfolgende aber, o Bester, müssen wir in eine andere Ordnung setzen.

Protarchos: Ganz notwendig.

Sokrates: Also auch die Lust, wenn sie doch ein Werden ist, stellen wir ganz richtig, wenn wir sie in eine andere als die Ordnung des Guten stellen?

Protarchos: Vollkommen richtig freilich.

Sokrates: Also, was ich schon am Anfang dieser Rede sagte, dem der uns von der Lust dieses angedeutet hat, daß es nur ein Werden, aber auch nicht im mindesten ein Sein derselben gäbe, müssen wir es Dank wissen. Denn offenbar lacht dieser diejenigen aus, welche behaupten die Lust sei das Gute.

Protarchos: Gar sehr.

Sokrates: Und so auch die, welche sich jedesmal nur in dem Werden befriediget fühlen, wird er ebenfalls auslachen.

Protarchos: Wie so? und was für welche meinst du?

Sokrates: Die welche, wenn sie sich Hunger und Durst und ähnliches ausheilen, was durch ein Werden kann geheilt werden, sich an diesem Werden freuen, weil es eben eine Lust ist, und sagen, sie möchten nicht leben wenn sie nicht hungerten und dursteten, und was man weiter dem anhängend anführen könnte empfänden.

Protarchos: So scheinen sie freilich.

(55) Sokrates: Und das Gegenteil des Werdens sagen wir doch Alle sei das Vergehen.

Protarchos: Notwendig.

Sokrates: Also das Vergehen und Werden würde wählen wer jenes wählt, nicht jene dritte Lebensweise, in welcher weder Lust noch Unlust war, sondern ein soviel als möglich reines Vernünftigsein.

Protarchos: Gar viele Unvernunft also wie es scheint, o Sokrates, folgt daraus, wenn einer die Lust als das Gute setzt.

Sokrates: Gar viele. Denn laß uns das nämliche auch noch so vortragen.

Protarchos: Wie?

Sokrates: Wie sollte es nicht unvernünftig sein, daß es nichts gutes noch schönes geben sollte, weder in den Leibern noch in vielen andern Dingen, sondern nur in der Seele, und auch in dieser nur die Lust, Tapferkeit aber und Besonnenheit und Vernunft und was sonst gutes der Seele zu Teil geworden ist, sollte gar nichts solches sein? und außerdem noch wer nicht Lust hat sondern Schmerz, daß der genötiget wäre zu sagen er sei schlecht, dann wann er Schmerz hat, und wenn er auch der Beste von allen wäre, und wiederum wer Lust hat sei je mehr er Lust hat, dann wann er Lust hat um desto vortrefflicher und tugendhafter?

Protarchos: Dies alles, o Sokrates, ist aufs möglichste ungereimt.

Sokrates: Aber daß wir nun auch nicht die Lust zwar so genau als möglich durchzuprüfen versuchen, dagegen aber scheinen der Vernunft und der Erkenntnis gleichsam gar sehr zu schonen! Sondern dreist laß uns auch hier überall anklopfen, ob vielleicht etwas schlechtes daran ist, bis wir was davon das reinste ist seiner Natur nach erkennen, und uns dann dessen und der wahrhaftesten Teile der Lust bei der gemeinsamen Entscheidung bedienen.

Protarchos: Richtig.

Sokrates: Nun ist uns doch ein Teil der auf bestimmte Gegenstände gerichteten Erkenntnis werkbildend, ein anderer gehört zur Ausbildung und Erziehung. Oder wie?

Protarchos: So ist es.

Sokrates: Erwägen wir nun erst an den ausübenden dieses, ob ein Teil von ihnen mehr an der Erkenntnis hängt, ein anderer weniger, und wir also einige für die reineren erklären müssen, andere für die unreineren.

Protarchos: Das wollen wir.

Sokrates: Diejenigen nun, welche den einzelnen zur Regel dienen haben wir wohl abzusondern.

Protarchos: Welche doch und wie?

Sokrates: Zum Beispiel wenn jemand aus allen Künsten die Rechenkunst und die Meßkunst und die Waagekunst ausscheidet, so ist es grade heraus zu sagen nur etwas geringfügiges was von einer jeden dann noch übrig bleibt.

Protarchos: Geringfügiges freilich.

Sokrates: Es bleibt wenigstens nach diesem nichts übrig als Abschätzen nach Gutdünken und Einübung der Sinne durch Erfahrung und Gewöhnung, indem man dazu nimmt was nur die glückliche Mutmaßung vermag, welche Viele auch eine Kunst nennen, die durch Anstrengung und Sorgfalt ihre Stärke erreicht.

Protarchos: Ganz notwendig ist es so wie du sagst.

(56) Sokrates: Ist nun nicht hievon voll die Tonkunst, indem sie zuerst das Wohlklingende nicht nach Maß zusammenfügt, sondern nur wie man es durch Übung geschickt zu treffen weiß, und so auch der gesamte Teil von ihr, welcher die Kunst die Instrumente zu schlagen begreift, sucht das Maß wie jegliche Saite bewegt werden soll nur durch solche Versuche zu treffen; so daß viel unsicheres in ihr eingemengt ist und wenig festes.

Protarchos: Sehr richtig.

Sokrates: Und mit der Heilkunst und dem Ackerbau und der Kunst des Seefahrers und des Heerführers werden wir finden daß es sich eben so verhält.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Die Baukunst aber, glaube ich, welche sich der meisten Maße und Werkzeuge bedient, wird durch das was ihr so viele Genauigkeit sichert, auch kunstreicher als die meisten andern.

Protarchos: Wie das?

Sokrates: Sowohl wenn sie Schiffe baut als wenn sie Häuser aufführt und auch in vielen andern Zweigen, welche in Holz arbeiten. Denn sie bedient sich da des Richtscheites, denke ich, und des Rundhobels und des Zirkels und der Schnur, und noch eines anderen preiswürdigen Werkzeuges.

Protarchos: Das ist vollkommen richtig, o Sokrates, was du sagst.

Sokrates: Teilen wir also die genannten Künste zwiefach, in solche welche der Tonkunst folgend in ihren Werken nur geringerer Genauigkeit fähig sind, und in solche die der Baukunst folgend größerer.

Protarchos: So sei es.

Sokrates: Sagen aber, daß genauere als diese Künste diejenigen sind, welche wir vorher zuerst genannt haben.

Protarchos: Du scheinst mir die Rechenkunst zu meinen, und die du vorher mit dieser zugleich ausgesprochen hast.

Sokrates: Allerdings; aber, o Protarchos, müssen wir nicht sagen, daß auch diese wiederum zwiefach sind, oder wie?

Protarchos: Auf welche Weise meinst du?

Sokrates: Die Rechenkunst zuerst, muß man nicht gestehen, daß eine ganz andere ist die gemeine, und eine ganz andere wiederum die der Wissenschaftlichen?

Protarchos: Wodurch aber soll man sie unterscheiden, und die eine als eine solche setzen, die andere aber wiederum als eine solche?

Sokrates: Die Unterscheidung ist nicht klein, o Protarchos. Die einen nämlich zählen immer der Zahl selbst ungleiche Einheiten zusammen, wie zwei Läger oder zwei Ochsen und zwei allerkleinste oder auch zwei allergrößte, die andern aber gehn gar nicht mit, wenn einer nicht eine Einheit setzt, welche von jeder Einheit der Teile durchaus nicht verschieden ist.

Protarchos: Da hast du sehr recht, daß dies kein geringer Unterschied ist zwischen denen die mit der Zahl zu tun haben, so daß es Grund genug hat sie als zwiefach zu setzen.

Sokrates: Und wie? die Berechnungskunst und die Meßkunst wie sie von den Baukünstlern und Handelsleuten gebraucht wird, und wie von denen die auf eine wissenschaftliche Weise Messung und Berechnungen treiben, sollen wir diese jede nur (57) für eine erklären oder als zwei setzen?

Protarchos: Dem vorigen folgend würde ich wenigstens meine Stimme dazu geben sie als zwei zu setzen.

Sokrates: Richtig. Weshalb wir dies aber hier beigebracht haben, hast du auch das inne?

Protarchos: Vielleicht. Aber ich will doch lieber, daß du das itzt gefragte bestimmt erklärst.

Sokrates: Mich dünkt nämlich diese Rede noch immer nicht minder als da wir sie anfingen ein Gegenstück zu der Lust suchend hiehergekommen zu sein; sie ist nämlich in der Untersuchung begriffen, ob auch eine Erkenntnis wohl reiner ist, als die andere, eben wie einige Lust als die andere.

Protarchos: Das ist freilich ganz deutlich daß sie deswegen dies unternommen hat.

Sokrates: Wie nun? fand sie nicht in dem vorigen über einer Kunst eine andere als die gewissere, und so auch eine andere ungewisser als die andere?

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und hatte sie nicht von diesen eine Kunst als gleichnamig ausgesprochen, und also auch die Meinung aufgestellt als ob sie eine wäre, und fragt doch nun weiter, als ob es zweie wären, danach, ob das gewisse und reine in diesen Dingen die der Wissenschaftlichen oder die der Nichtwissenschaftlichen genauer enthält?

Protarchos: Freilich scheint sie mir eben dieses auszufragen.

Sokrates: Was für eine Antwort also, o Protarchos, wollen wir ihr geben?

Protarchos: Wir sind ja schon, o Sokrates, zu einem wunderbar großen Unterschied in Absicht auf Gewißheit der Erkenntnisse gelangt.

Sokrates: Werden wir also nicht desto leichter antworten können?

Protarchos: Wie sollten wir nicht? Und so sei denn gesagt, daß diese zwar bei weitem sich auszeichnen vor den übrigen Künsten, unter ihnen selbst aber die welche in dem Geschäft der wahrhaft wissenschaftlichen vorkommen unbegreiflich weit an Genauigkeit und Wahrheit in Maßen und Zahlen sich auszeichnen.

Sokrates: So sei es, dir zufolge, und dir vertrauend wollen wir getrost denen antworten welche Meister sind im Abwägen der Erklärungen.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Daß es eine zwiefache Rechenkunst gibt, und eine zwiefache Meßkunst, und daß dieser eben so mehrere andere solche folgen, und dieselbe Zwiefältigkeit enthalten, wiewohl nur Eines Namens teilhaftig.

Protarchos: Geben wir denn mit gutem Glücke diese Antwort denen, welche du als solche Meister beschreibst, o Sokrates.

Sokrates: Diese Wissenschaften also sollen wir sagen wären die am meisten genauen?

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Aber, o Protarchos, würde nicht die Kunst der vernünftigen Rede uns verläugnen, wenn wir irgend eine andere ihr vorzögen?

Protarchos: Wie aber sollen wir diese wiederum beschreiben?

Sokrates: Offenbar doch ist sie die welche alle bis jetzt genannten (58) erkennt. Denn die sich mit dem wahrhaft seienden und immer auf gleiche Weise gearteten beschäftigt, glaube ich, werden doch auf alle Weise alle insgesamt, denen auch nur ein wenig Vernunft anhängt, bei weitem für die wahrste Erkenntnis halten. Oder wie würdest du, o Protarchos, den Rang bestimmen?

Protarchos: Ich meines Teils, o Sokrates, habe immer vom Gorgias vielfältig gehört, daß die Kunst zu überreden vor allen andern bei weitem den Vorzug verdiene. Denn sie mache sich alles unterwürfig freiwillig und nicht mit Gewalt, und sei also bei weitem die trefflichste unter allen Künsten. Nun aber möchte ich dir nicht gern, aber auch ihm nicht das Widerspiel halten.

Sokrates: Du scheinst mir die Waffen, schon im Begriff zu reden, beschämt wieder im Stich zu lassen.

Protarchos: Es sei also dies so wie du es meinst.

Sokrates: Bin ich aber auch etwa Schuld, daß du es nicht richtig gefaßt hast?

Protarchos: Was denn?

Sokrates: Nicht danach, lieber Protarchos, fragte ich, welche Kunst oder Wissenschaft vor allen andern den Vorzug verdiene deshalb, weil sie die größte und stärkste und uns am meisten Nutzen bringende ist; sondern welche das gewisse und genaue und das wahrste im Auge hat, wenn sie auch nur gering ist und geringes nutzt. Das ist es wonach wir jetzt fragen. Aber sieh nur zu, du wirst es auch mit dem Gorgias nicht verderben, wenn du seiner Kunst zugibst daß sie für die Bedürfnisse der Menschen den Rang behauptet, von der Beschäftigung aber von der ich jetzt rede, laß uns eben wie ich damals von dem Weißen sagte, wenn es auch nur gering aber rein ist, daß es vor dem vielen aber nicht solchen den Vorzug habe, eben dadurch durch die größere Wahrheit, so auch jetzt nach genauer Überlegung und hinlänglichem Durchdenken, nicht auf irgend Vorteile der Erkenntnisse sehend oder auf das Ansehn worin sie etwa stehen; sondern, wenn in unserer Seele von Natur ein Vermögen ist das wahre zu lieben und alles um seinetwillen zu tun, von diesem sagen, da wir die Reinheit der Vernunft und der Einsicht untersuchen, ob wohl diese Erkenntnis es wahrscheinlich am meisten besitzen werde, oder ob wir noch eine andere vortrefflichere werden suchen müssen?

Protarchos: Das überlege ich, und es dünkt mich hart zu gestehen, daß irgend eine andere Wissenschaft oder Kunst genauer an der Wahrheit halte als diese.

Sokrates: Hast du etwa auch als du das eben gesagte aussprachst bei dir bedacht, daß die meisten Künste und soviele sich mit diesen Dingen beschäftigen zuerst nur mit Vorstellungen zu tun haben und was Vorstellung angeht in gehöriger Ordnung untersuchen? Und wenn auch einer glaubt Untersuchungen (59) über die Natur anzustellen: so weißt du doch, daß er immer nur von dieser Welt hier, wie sie geworden ist und wie sie doch dies und jenes erleidet und tut, sein Lebenlang untersucht? Sollen wir das behaupten oder wie?

Protarchos: Vollkommen so.

Sokrates: Also nicht auf das immer Seiende sondern auf das Werdende und Werdensollende und Gewordene hat ein solcher seine ganze Arbeit verwendet.

Protarchos: Ganz richtig.

Sokrates: Und hievon, sollen wir glauben, könne irgend etwas nach der vollkommensten Wahrheit deutlich werden, wovon doch niemals irgend etwas auf gleiche Weise sich weder verhalten hat noch verhalten wird, noch auch nur in dem gegenwärtigen Augenblick verhält?

Protarchos: Und wie wäre das möglich?

Sokrates: Von dem also was auch nicht die mindeste Beharrlichkeit in sich hat, wie könnte uns da wohl auch nur irgend etwas beharrliches zukommen?

Protarchos: Ich glaube auf keine Weise.

Sokrates: Also gibt es auch keinen Verstand davon, noch eine Erkenntnis die wirklich das wahreste enthielte.

Protarchos: Nein wie es wohl scheint.

Sokrates: Dich also und mich und den Gorgias und Philebos wollen wir gänzlich gehn lassen, unserer Rede aber dieses nachzeugen.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Daß entweder von jenem es für uns das beharrliche das reine und wahre und was wir das lautere nannten gibt, von dem immer seienden und auf gleiche Weise unvermischtest sich verhaltenden, oder was wenigstens jenem am meisten verwandt ist, alles übrige aber erst für das zweite und geringere zu erklären ist.

Protarchos: Du sprichst vollkommen wahr.

Sokrates: Und von den Benennungen, die es für dergleichen gibt, ist es nicht am billigsten die schönste dem schönsten beizulegen?

Protarchos: Das ist ja einleuchtend.

Sokrates: Und Vernunft und Einsicht sind doch wohl die Benennungen die einer am meisten in Ehren halten müßte?

Protarchos: Ja wohl.

Sokrates: Wenn diese also dem Wissen um das wahrhaft seiende angepaßt werden, kann man sagen daß sie richtig angewandt sind?

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und was ich damals zur Beurteilung stellte war doch nichts anderes als eben diese Benennungen?

Protarchos: Nichts anderes, o Sokrates.

Sokrates: Wohl. Wenn einer also sagte, daß jetzt, was Vernunft und Lust betrifft Bezugs ihrer Mischung mit einander, uns gleichsam wie Künstlern das woraus oder worin sie etwas arbeiten sollen vorliege, so würde er die Sache ganz richtig bezeichnet haben.

Protarchos: Gar sehr.

Sokrates: Sollen wir nun nächstdem nicht versuchen zu mischen?

Protarchos: Warum nicht?

Sokrates: Richtiger aber würde es wohl gehn wenn wir uns dieses erst vorsagten und in Erinnerung brächten.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Woran wir auch vorher schon gedacht hatten. Das Sprichwort aber scheint wohl Recht zu haben, daß man auch zwei und dreimal das richtige wieder durchgehn müsse in der Rede.

Protarchos: Warum auch nicht?

(60) Sokrates: Wohlan also beim Zeus! ich glaube das damals gesagte war so ausgedrückt worden.

Protarchos: Wie doch?

Sokrates: Philebos behauptet, die Lust sei das richtige Ziel für alles lebendige, und ein jedes müsse dahin zu treffen suchen. Und eben dasselbige sei auch das Gute für Alle, und für diese eine und dieselbe Natur seien die beiden Namen das Gute und das Angenehme mit Recht festgesetzt. Sokrates aber läugnet dieses zuerst, und sagt es sei zweierlei wie auch die Namen, und das Gute und Angenehme habe jedes eine von dem andern verschiedene Natur, mehr Teil aber habe an dem Gebiet des Guten die Einsicht als die Lust. Ist nicht und war dies das damals gesagte, o Protarchos?

Protarchos: Gar sehr allerdings.

Sokrates: Wäre nun nicht auch dieses damals sowohl als jetzt zu bejahen?

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Daß die Natur des Guten sich von allem andern hiedurch vorzüglich unterscheide?

Protarchos: Wodurch?

Sokrates: Daß welchem Lebendigen dieses beständig auf alle Weise und überall beiwohnt, dieses nichts anderes mehr bedürfe, sondern das hinreichende aufs vollständigste habe. Nicht so?

Protarchos: So allerdings.

Sokrates: Versuchten wir nun nicht in unserer Rede zuerst jedes von beiden abgesondert vom andern in das Leben eines jeglichen zu stellen, Lust unvermischt mit Einsicht, und eben so auch Einsicht ohne daß sie das allermindeste von Lust bei sich hätte.

Protarchos: So war es.

Sokrates: Schien uns nun wohl damals eines von beiden hinlänglich für jemand?

Protarchos: Wie könnte es auch!

Sokrates: Sollten wir aber auch damals etwas übersehen haben, so nehme jetzt wer nur will jenes zurück, und trage richtigeres vor überlegend, wenn er Erinnerung, Erkenntnis, Vernünftigkeit, richtige Vorstellung in Eins zusammenfaßt, ob wohl jemand ohne alles dieses überhaupt irgend etwas, was es auch sei, haben oder bekommen möchte, geschweige denn Lust wieviel ihrer und wie stark sie auch wäre; wenn er weder in Wahrheit die Vorstellung hätte, daß er sich ergötzte, noch überall wüßte in was für einem Zustande er sich eigentlich befände, noch auch wiederum auch nur die kleinste Zeitlang eine Erinnerung seines Zustandes hätte. Und dasselbe sage denn auch von der Vernunft, ob jemand diese ohne alle auch die kleinste Lust lieber haben möchte als mit einiger Lust, oder alle Lüste ohne Vernunft lieber als mit doch einiger Vernunft.

Protarchos: Nicht möglich, o Sokrates, und es ist gar nicht nötig dies noch wiederholt durchzufragen.

Sokrates: Also das Vollendete und Allen wünschenswerte und durchaus gute wäre keines von diesen beiden.

(61) Protarchos: Wie könnte es wohl!

Sokrates: Wir müssen aber doch das Gute entweder genau oder doch einen Umriß davon uns verzeichnen, damit wir wie gesagt bestimmen können, wem wir den zweiten Preis geben sollen.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Einen Weg nun haben wir doch schon zu dem Guten.

Protarchos: Was doch für einen?

Sokrates: Wie wenn einer einen Menschen suchte, und zuerst nur seine Wohnung wo er wohnt richtig erkundete, daran schon etwas Großes hätte zum Auffinden des Gesuchten.

Protarchos: Wie sollte er nicht?

Sokrates: So hat nun auch uns jetzt die Rede angedeutet wie auch schon im Anfang, das Gute nicht in dem ungemischten Leben zu suchen sondern in dem gemischten.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und so ist doch größere Hoffnung, daß das Gesuchte sich in dem wohl gemischten deutlicher wird finden lassen als in dem nicht so?

Protarchos: Bei weitem.

Sokrates: So laß uns denn, o Protarchos, die Götter anflehen, mag es nun Dionysos sein oder Hephaistos, oder welchem andern das Geschäft des Mischens zugeteilt ist, und so laß uns mischen.

Protarchos: Das wollen wir.

Sokrates: So haben wir nun wie Weinschenken zwei Quellen vor uns stehen, der Süßigkeit des Honigs könnte man die der Lust vergleichen, die ganz nüchterne und unberauschende der Einsicht aber einem strengen und gesunden Wasser, welche beide wir nun versuchen müssen aufs beste unter einander zu mischen.

Protarchos: Das sollen wir freilich.

Sokrates: So sprich denn zuerst, werden wir wohl wenn wir jede Lust mit jeder Einsicht mischen das Beste am meisten treffen?

Protarchos: Vielleicht.

Sokrates: Aber nicht sicher. Wie wir aber gefahrloser mischen können, darüber glaube ich eine Meinung mitteilen zu können.

Protarchos: Sage was für eine.

Sokrates: Es war doch, wie wir glaubten, eine Lust mehr wahr als die andere, und so auch eine Kunst genauer als die andere.

Protarchos: Wie könnte es anders sein?

Sokrates: Und auch eine Erkenntnis vorzüglich vor der andern, die eine auf das Werdende und Vergehende sehend, die andere auf das weder werdende noch vergehende sondern einerlei und auf gleiche Weise immer seiende. Die letzte nun hielten wir, wenn wir auf das Wahre sehen wollen, für wahrer als die erste.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Wenn wir nun zusähen zuerst die wahrsten Abschnitte von beiden zusammenmischend, ob diese Mischung wohl hinreicht um uns das wünschenswürdigste Leben zu bereiten, oder ob wir auch noch von dem übrigen was nicht so beschaffen ist etwas mit bedürfen?

(62) Protarchos: Mich wenigstens dünkt wir sollten es so machen.

Sokrates: Wohl! Es sei uns also zuerst ein Mensch richtig denkend in Absicht der Gerechtigkeit was sie ist, und habe auch seiner Einsicht angemessene Reden darüber: und auch in Absicht auf alles übrige, was ist, habe er eben solche Einsicht.

Protarchos: Wohl, der sei uns.

Sokrates: Wird der nun wohl Erkenntnis genug haben, wenn er von der göttlichen Kugel und dem Kreise selbst den Begriff hat, diese menschliche Kugel hier aber und diese Kreise nicht kennt, und sich nun in der Baukunst doch der andern Richtmaße und Kreise bedienen soll?

Protarchos: Da käme ja, o Sokrates, ein lächerlicher Zustand heraus, wenn wir nur die göttlichen Erkenntnisse allein inne hätten.

Sokrates: Wie meinst du? sollen wir etwa des falschen Richtmaßes und Kreises unsichere und unreine Kunst insgemein mit hineinwerfen und beimischen?

Protarchos: Notwendig doch wenn einer von uns auch nur jedesmal den Weg nach Hause finden will.

Sokrates: Etwa auch die Tonkunst, von der wir nur vor kurzem noch sagten, daß sie, weil voll Nachahmung und nur durch Mutmaßung treffend der Reinheit ermangele?

Protarchos: Notwendig scheint das mir wenigstens, wenn unser Leben auch nur irgendwie ein Leben sein soll.

Sokrates: Willst du also, daß ich wie ein Türsteher der von anströmender Menge gedrängt und überwältiget wird, gleichfalls bezwungen, die Türen öffnen und alle Erkenntnisse einströmen lassen soll, so daß auch die dürftigere sich unter die reinere mische?

Protarchos: Ich wenigstens weiß nicht, o Sokrates, was für Schaden einer davon haben könnte, wenn er auch die übrigen alle bekäme, sofern er nur die ersten Erkenntnisse hat.

Sokrates: Also soll ich sie nur sämtlich einlassen, um sich in des Homeros sehr poetischen gemeinsamen Tales Becken zu ergießen?

Protarchos: Allerdings, und sie sind hiemit eingelassen.

Sokrates: Und nun laß uns wiederum zu der Quelle der Lüste gehn. Denn wie wir gedachten sie zu mischen zuerst die wahresten Teile von beiden, so ist es uns nicht geraten; sondern weil uns jede Erkenntnis recht war, haben wir sie zusammen eingelassen ohne Unterschied insgesamt vor den Lüsten.

Protarchos: Du hast vollkommen recht.

Sokrates: Nun ist es also Zeit für uns auch eine Bestimmung zu fassen über die Lüste, ob wir auch diese alle auf einmal einlassen sollen, oder auch von ihnen zuerst nur die welche wahr sind?

Protarchos: Bei weitem ist es doch der Sicherheit wegen besser zuerst die wahren einzulassen.

Sokrates: So sollen denn diese eingelassen sein. Was aber nun weiter? Werden wir nicht wenn nun einige notwendig sind wie dort, auch diese mit beimischen müssen?

Protarchos: Wie sollten wir nicht? Die notwendigen doch offenbar.

Sokrates: Und wenn nun eben wie dort alle Künste zu verstehen (63) uns im Leben unschädlich war und nützlich, so wir auch jetzt dasselbe sagen wollen von den Lüsten, wenn an allen Lüsten lebenslang uns zu ergötzen uns allen heilsam und unschädlich ist, dann müssen wir auch alle mit einmengen.

Protarchos: Was sollen wir nun aber eben von ihnen sagen, und wie es mit ihnen halten?

Sokrates: Nicht von uns, o Protarchos, müssen wir das erfragen, sondern von den Lüsten und Einsichten selbst, indem wir von ihnen gegenseitig dieses zu erkunden suchen.

Protarchos: Was eigentlich?

Sokrates: Ihr Lieben! mag man euch nun Lüste benennen sollen oder mit irgend welchem andern Namen, solltet ihr es wohl nicht lieber zufrieden sein mit aller Einsicht zusammenzuwohnen, als abgesondert von aller Vernunft? Und ich glaube hierauf werden sie ganz notwendig so antworten müssen.

Protarchos: Wie doch?

Sokrates: Daß wie schon vorher erklärt ist, es weder recht gut möglich noch auch nützlich ist, daß ganz lauter irgend eine Gattung einsam und allein sei: eine aber gegen die andere gehalten halten wir fürs beste, daß diejenige uns beiwohne, nämlich welche alles übrige und so auch jede von uns selbst soviel möglich vollständig erkennt.

Protarchos: Daran habt ihr sehr wohl gesprochen wollen wir sagen.

Sokrates: Richtig. Nun aber haben wir auch wiederum die Einsicht und die Vernunft zu fragen. Braucht ihr etwas von Lüsten in der Mischung? würden wir etwa sagen, indem wir nun Vernunft und Einsicht fragten. – Was doch, würden sie vielleicht antworten, für Lüste?

Protarchos: Wahrscheinlich.

Sokrates: Und dann würde unsere weitere Rede etwa diese sein. Außer jenen wahren Lüsten, würden wir sagen, habt ihr etwa nötig auch die größten Lüste bei euch wohnen zu haben und die heftigsten? – Und woher doch, o Sokrates, würden sie wohl sagen, da ja diese uns tausendfältige Hindernisse in den Weg legen, indem sie die Seelen in denen wir wohnen nur in Verwirrung bringen durch unsinnige Bewegungen, und uns am liebsten überall nicht entstehen lassen, auch die von uns erzeugten Kinder größtenteils, indem sie aus Sorglosigkeit Vergessenheit veranlassen, ganz und gar verderben. Andere Lüste aber, die wahren und reinen, welche du ja auch angeführt hast, sieh nur an als uns verwandt, und außer ihnen noch die welche mit der Gesundheit und der Besonnenheit und der gesamten Tugend bestehen können, so viele ihrer gleichsam als Dienerinnen die Göttin begleiten. Diese mische ein; die aber immer mit der Unvernunft und andern Schlechtigkeiten gesellt sind, solche der Vernunft beizumischen wäre doch wohl großer Unverstand für den, welcher da er die schönste und ruhigste Mischung und Verbindung gesehen hat, nun versuchen will an dieser zu erfahren, was doch wohl in dem Menschen (64) und dem Ganzen überhaupt gut sei von Natur, und was man wohl ahnden soll daß der Begriff des Guten sei. Sollen wir nicht sagen, daß die Vernunft ganz verständigerweise und mit Anwendung ihrer selbst, dieses eben gesagte für sich und für die Erinnerung und die richtige Vorstellung antworten werde?

Protarchos: Auf alle Weise freilich.

Sokrates: Aber auch dieses ist wohl notwendig, und anders käme wohl nicht eines zu Stande.

Protarchos: Was doch?

Sokrates: Wem wir nicht Wahrheit beimischen, das kann doch auch nicht wahrhaft werden, noch auch wenn es geworden wäre sein.

Protarchos: Wie könnte es wohl!

Sokrates: Gar nicht. Allein wenn nun noch etwas erfodert wird zu dieser Mischung so sagt ihr es, du und Philebos, denn mir scheint, wie eine unkörperliche Ordnung die schön über einen belebten Körper herrschen soll, die gegenwärtige Rede vollendet zu sein.

Protarchos: Sage nur immer, Sokrates, daß dies auch meine Meinung sei.

Sokrates: Wenn wir also nun sagten, daß wir jetzt schon an dem Eingange des Guten und der Wohnung des so beschaffenen ständen, würden wir wohl ganz richtig reden.

Protarchos: Das dünkt mich wenigstens.

Sokrates: Was ist nun wohl in dieser Mischung das vorzüglichste, und was am meisten Ursache zu sein scheint, daß eine solche Beschaffenheit Allen erwünscht ist? Denn wenn wir dies gesehen haben, können wir hernach erwägen, ob dies in dem Ganzen mehr als der Lust oder als der Vernunft anhängend und eigentümlich sich findet.

Protarchos: Richtig; denn das muß uns am nützlichsten sein für unsere Entscheidung.

Sokrates: Und das ist gewiß gar nicht schwer die Ursache zu sehen bei allen Mischungen, weshalb irgend eine entweder ganz vortrefflich wird oder gar nichts wert.

Protarchos: Wie meinst du das?

Sokrates: Das weiß ja wohl jeder Mensch.

Protarchos: Was aber doch?

Sokrates: Daß was immer für eine Mischung kein Maß und an der Natur des abgemessenen keinen Teil hat, notwendig das gemischte sowohl als auch zuerst sich selbst verdirbt. Denn eine solche kann man ja gar nicht eine ordentliche Mischung nennen, sondern sie ist jedesmal in Wahrheit nur ein unordentlich zusammengewehtes Wehe für Alle denen sie zukommt.

Protarchos: Ganz wahr.

Sokrates: Jetzt also entflieht uns wieder das Wesen des Guten in die Natur des Schönen. Denn Abgemessenheit und Verhältnismäßigkeit wird uns doch überall offenbar Schönheit und Tugend.

Protarchos: Allerdings.

Sokrates: Und Wahrheit, sagten wir doch auch, wäre in der Mischung mit beigemengt.

Protarchos: Freilich.

Sokrates: Wenn wir also nicht in Einer Form das Gute auffangen (65) können, so wollen wir es in diesen dreien zusammenfassen, Schönheit und Verhältnismäßigkeit und Wahrheit, und wollen sagen, daß diese als eines mit Recht als Ursach angesehen werden können dessen was in der Mischung ist, und daß um dieses als des Guten willen sie auch eine solche geworden ist.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Und nun, o Protarchos, kann uns ja wohl jeder ein hinreichender Richter sein über Lust und Einsicht, welche von ihnen beiden dem Besten verwandter und also das vorzüglichere ist bei Menschen und Göttern.

Protarchos: Gewiß freilich; doch ist es besser auch dies in der Rede ordentlich auszuführen.

Sokrates: So laß uns denn einzeln jedes von den dreien in Absicht auf Lust und Vernunft beurteilen. Denn wir müssen sehen, welcher von beiden wir jedes von diesen als verwandt beilegen sollen.

Protarchos: Du meinst Schönheit, Wahrheit und Verhältnismäßigkeit?

Sokrates: Ja. Zuerst also nimm die Wahrheit, sieh dann auf diese drei Vernunft und Wahrheit und Lust, und lasse dir Zeit genug, und antworte dann dir selbst, ob die Lust oder die Vernunft verwandter ist mit der Wahrheit.

Protarchos: Was bedarf es dazu für Zeit? denn der Unterschied ist, denke ich, sehr groß. Denn die Lust ist das unzuverlässigste unter allen Dingen, so daß, wie die Rede geht, in den Lüsten des Geschlechtstriebes, welche für die größten gehalten werden, sogar der Meineid die Verzeihung der Götter erhält, weil nämlich wie Kinder die Lüste auch nicht die mindeste Vernunft haben. Die Vernunft aber ist entweder ganz dasselbe wie die Wahrheit, oder ihr doch unter allen am ähnlichsten und das wahrste.

Sokrates: Nächstdem nun betrachte eben so auch die Verhältnismäßigkeit, ob die Lust mehr als die Einsicht, oder die Einsicht mehr als die Lust davon hat?

Protarchos: Auch das ist eine sehr leichte Untersuchung die du mir vorgelegt hast. Denn ich glaube etwas seiner Natur nach maßloseres als Lust und Ergötzung wird wohl nicht leicht jemand finden können, und so auch wohl nichts abgemeßneres als Vernunft und Erkenntnis.

Sokrates: Sehr wohl gesprochen. Doch aber sage uns auch noch das dritte. Hat die Vernunft mehr Anteil an der Schönheit als die Lust, so daß die Vernunft schöner ist als die Lust, oder umgekehrt?

Protarchos: Aber Vernunft und Einsicht, o Sokrates, hat doch wohl niemand jemals weder wachend noch schlafend häßlich gesehen, oder irgendwie vorgestellt, daß sie so würde oder wäre oder sein würde.

Sokrates: Richtig.

Protarchos: Allerdings aber, wenn wir jemand in Lüsten begriffen sehn und zwar in den größten am meisten, und wir das lächerliche davon oder das allerschändlichste was dabei herauskommt zu sehen bekommen: so schämen wir uns selbst, (66) und suchen es aus dem Gesicht zu bringen und zu verbergen soviel als möglich, indem wir dergleichen alles der Nacht überlassen, als dürfe es das Licht nicht sehn.

Sokrates: Also du wirst auf alle Weise sagen, o Protarchos, magst du es nun durch Boten bestellen müssen oder es Anwesenden erklären können, daß die Lust nicht das erste Besitztum ist, auch nicht das zweite; sondern das erste ist das Maß und das abgemessene und zeitige, und wem ähnlichen man sonst noch zuschreiben muß, daß es die ewige Natur erwählt habe.

Protarchos: Das ist allerdings einleuchtend aus dem eben gesagten.

Sokrates: Das zweite aber ist das gleichmäßige und schöne und vollendete und hinlängliche, und alles was wiederum zu diesem Geschlecht gehört.

Protarchos: So scheint es allerdings.

Sokrates: Und wenn du als das dritte nach meiner Ahndung Vernunft und Einsicht setztest, würdest du wohl nicht weit von der Wahrheit vorbeikommen.

Protarchos: Wahrscheinlich.

Sokrates: Wird nun nicht das vierte sein, was wir in der Seele selbst gesetzt haben als Erkenntnisse und Künste und richtige Vorstellungen, werden die nicht nächst den dreien das vierte sein müssen, wenn sie doch dem Guten näher verwandt sind als die Lüste?

Protarchos: Vielleicht wohl.

Sokrates: Das fünfte also sind die Lüste, welche wir als schmerzlose bestimmt haben, und reine Lüste der Seele allein genannt, welche den Wahrnehmungen folgen.

Protarchos: Vielleicht.

Sokrates: Aber im sechsten Geschlecht, sagt Orpheus, laßt ruhen den Kreis des Gesanges. Gleichermaßen nun scheint auch unsere Rede bei dem sechsten Punkt von ihrem Gericht zu ruhen, und es ist uns sonach nichts weiter übrig als nur dem Gesagten die Krone aufzusetzen.

Protarchos: Das müssen wir also.

Sokrates: Wohlan denn, das dritte Mal dem Retter, laßt uns dieselbe Rede durchgehn und bezeugen.

Protarchos: Welche doch?

Sokrates: Philebos behauptete das Gute sei uns die Lust, die ganze und vollständige.

Protarchos: Zum dritten Male, scheint es meintest du diesmal, Sokrates, sollten wir unsere anfängliche Rede wieder aufnehmen.

Sokrates: Ja, und so laß uns das weitere hören. Ich nun sah schon das was ich jetzt durchgegangen bin, und aufsässig gegen des Philebos nicht nur sondern vieler tausend Anderer öftere Rede, sagte ich daß die Vernunft weit besser sei und trefflicher als die Lust für des Menschen Leben.

Protarchos: So war es.

Sokrates: Und ahndend daß es noch vieles andere gebe, sagte ich, daß wenn uns das sich zeigte, was besser wäre als beides, wollte ich doch um den zweiten Preis für die Vernunft gegen die Lust mitkämpfen, und die Lust sollte des zweiten Preises verlustig gehen.

Protarchos: Das sagtest du allerdings.

(67) Sokrates: Und nachher ja zeigte sich uns von diesen beiden keines als allgemein auf die zulänglichste Weise zulänglich.

Protarchos: Ganz richtig.

Sokrates: Also wurde in dieser Rede gänzlich sowohl die Vernunft abgewiesen als die Lust, daß keines von ihnen beiden das Gute selbst sein könne, da sie der Selbständigkeit ermangelten, und der Kraft des hinreichenden und vollkommenen.

Protarchos: Vollkommen richtig.

Sokrates: Nachdem sich nun aber ein drittes trefflicheres als jegliches von diesen gezeigt hatte, so zeigte sich nun doch wiederum die Vernunft tausendmal mehr als die Lust dem Wesen dieses siegenden verwandt und anhänglich.

Protarchos: Wie sollte sie nicht!

Sokrates: Also das fünfte nach der Entscheidung welche unsere Rede kund gemacht hat wäre dann die Lust.

Protarchos: So zeigte es sich.

Sokrates: Das erste aber doch auch nicht wenn alle Ochsen und Pferde und die andern Tiere insgesamt es behaupteten dadurch daß sie dem Vergnügen nachgehn; welchen eben wie die Wahrsager den Vögeln vertrauend die Meisten das Urteil fällen, die Lust sei uns das vorzüglichste im Leben, und die Neigungen der Tiere für gültigere Zeugen halten, als die Neigungen derer welche mit philosophischer Muse jedesmal weissagen.

Protarchos: Nun sagen wir gewiß Alle, o Sokrates, daß du es vollkommen richtig erklärt habest.

Sokrates: Und laßt mich also auch los.

Protarchos: Ein weniges nur ist noch übrig, o Sokrates; und du wirst doch nicht eher wollen ermüden als wir. Ich will dich aber an dieses rückständige schon erinnern.


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