Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher
Platons Werke. Zweiter Theil
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

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Hippias

Das größere Gespräch dieses Namens

In der Übersetzung von
Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher

Einleitung

Der Gegenstand dieses Gespräches ist allerdings rein philosophisch. Denn den Begriff des Schönen zu erklären seinem ganzen Umfange nach, wie er sowohl die körperlichen Dinge befaßt als die unkörperlichen, wäre gewiß sehr der Mühe wert, und eben so wichtig für die Philosophie des Platon, wie der Zweck manches kleineren Gespräches, dem wir seinen Platz in der großen Reihe angewiesen haben. Allein sieht man auf die Behandlung des Gegenstandes: so wird wohl niemand sich wundern, das Gespräch nur hier im Anhang zu finden. Denn sie ist so durchaus skeptisch wie nirgend anders; eine Menge verschiedener Erklärungen des Schönen werden vorgenommen und alle widerlegt. Ja wenn man auch alles zusammennimmt, worauf der Leser eben bei der Widerlegung hingeführt wird oder zurück: so sind es nur ein Paar ganz bekannte Sätze, daß nämlich was das Böse vollbringt kein Vermögen sei, sondern nur ein Unvermögen, und daß das Schöne und Gute nicht dürfen getrennt werden, und eben dies letzte ist das einzige, worüber sich Sokrates deutlich und bestimmt äußert. Wegen dieses Mangels an wissenschaftlichem Gehalt nun können wir das Gespräch unter die eigentlich philosophischen Werke nicht rechnen. So steht es auch in keinem sichtlichen Zusammenhang fortschreitender Entwicklung mit irgend einem andern. Gewiß fällt hiebei jedermann zunächst der »Philebos« ein; und nur wegen dieser Zusammenstellung, nicht um auch nur entfernt eine Zeit anzudeuten, in welcher der »Hippias« könnte geschrieben sein, haben wir ihm seinen Platz hier angewiesen. Im »Philebos« nämlich spricht sich Platon am deutlichsten aus, sowohl über den Zusammenhang des Schönen mit dem Guten, als auch über das Wesen des Schönen selbst, und betrachtet es sowohl in seiner sittlichen Bedeutung, als auch nach den ersten Elementen dessen, was wir in körperlichen Dingen schön nennen. Aber niemand wird dort auch nur die mindeste Rückweisung finden auf die hier angestellten Untersuchungen, noch auch irgendwo im »Hippias« eine nähere Vorbereitung anerkennen auf das, was im »Philebos« verhandelt wird.

Kurz es muß wohl Jedem einleuchten, daß von wissenschaftlicher Behandlung des Gegenstandes, des Schönen nämlich, hier kaum die Rede sein kann, so sehr tritt sie zurück, und Jedem wird eben so sicher das ganze Gespräch den Eindruck geben, daß die polemische Richtung desselben die Hauptsache ist. Zunächst hat diese zwei merkwürdige Erklärungen des Schönen zum Ziel. In der einen, daß das Schöne das Schickliche sei, erkennt man leicht den Geist der hedonischen Schulen, sofern nämlich für sie auch das Gute nur ein willkürlich festgestelltes, also anständiges und schickliches ist; nur kann man sich wundern, daß Sokrates hiebei so ganz in einer fast grammatischen Dialektik bleibt, ohne wie er sonst pflegt die Gesinnung welche zum Grunde liegt etwas bitter herauszuheben. Von der andern Erklärung, das Schöne sei das Angenehme, welches wir durch Gesicht und Gehör aufnehmen, welche allerdings auf dieselben Elemente hinweiset, welche auch Platon im »Philebos« aufstellt, wäre es sehr merkwürdig zu wissen, wer sie wohl zu seiner Zeit grade so vorgetragen, oder ob sie von ihm selbst erdichtet sei, um auf diejenige Eigenschaft des Schönen hinzuweisen, die er im »Philebos« als das wesentliche davon angibt. Allein wenn auch diese Erklärung als gar nahe zur Hand liegend gewiß gegeben worden ist, wenn wir auch den Urheber nicht mehr nachweisen können: so wird man doch unmöglich glauben können, daß auch das wirklich von Andern gegebene Erklärungen sind, die Platon dem Hippias in den Mund legt vom Golde und von dem schönen Mädchen. Und so muß wohl Jeder sich selbst fragen, wie kommt wohl Platon dazu, den nicht unberühmten Sophisten in einem so unerhörten Grade von Dummheit darzustellen, als wäre er nicht einmal im Stande gewesen die Frage, wie ein Wort zu erklären sei, auch nur zu verstehen? Die persönliche Verspottung erscheint hier ohnstreitig weit gröber als irgendwo anders, selbst den »Euthydemos« nicht ausgenommen, wo die Personen doch wahrscheinlich nicht einmal recht geschichtlich sind, und hätte, so übertrieben als sie ist, ihre Wirkung gewiß selbst vernichtet.

Diese mit der Geschicklichkeit und Feinheit des Platon nicht recht vereinbare Art oder vielmehr Unart kann vielleicht Manchem Zweifel erregen gegen die Ächtheit des Gespräches, weil man sie allerdings sehr natürlich finden wird bei einem minder gewiegten Nachahmer, welcher fühlte, er müsse es sich leicht machen, wenn ihm die Ironie und die Dialektik seines Vorbildes einigermaßen gelingen sollte. Und ist der Verdacht einmal aufgeregt, so wird sich gewiß mehreres finden, was ihn zu bestätigen scheint. So gleich im Anfang gefällt sich Sokrates in einer sophistischen Dialektik, die uns aufheben möchte, daß nicht etwas das was es ist schlecht sein könne, ein Kunststück, welches eines der Männer im »Euthydemos« nicht unwürdig wäre. Sollte dies Parodie sein auf irgend etwas ähnliches, so sollte man meinen, Platon hätte sie lieber dem Sophisten in den Mund gelegt als dem Sokrates. Dagegen benimmt sich Hippias hiebei mit einem schlichten Verstande, den er hernach nicht recht zu behaupten weiß, und mit einer Mäßigung, die ihm Sokrates nicht sonderlich vergilt. Dann fällt es gewiß in der Anordnung des Ganzen als etwas sehr fremdes auf, daß in der ersten Hälfte des Gespräches alle Erklärungen über das Schöne von Hippias ausgehn, und in der letzten wiederum alle von Sokrates, der sich dann auch meist auf eine unnatürlich rasche Art selbst widerlegt, ohne etwa durch den Gang des Gespräches dazu gleichsam gezwungen zu werden, sondern es recht von weitem her darauf anlegend. Endlich ist auch der Scherz mit dem Manne im Hinterhalt, dem Sokrates immer Rechenschaft ablegen muß, fast etwas zu plump ausgeführt für die Hand des Platon, daß der Mann ihn schlagen will wie die Aspasia im »Menexenos«, daß hernach Sokrates sich selbst mit Namen an dessen Stelle setzt, aber ohne daß klar wird er habe von Anfang an nur sich gemeint, und so daß gar keine besondere Wirkung davon hervortritt, und ganz abschmeckend ist es, daß hernach doch noch wieder dieses dritte vorkommt. Allein diese Gründe sehr ernsthaft geltend machen wollen könnte doch leicht vorwitzig sein; und wir möchten es nicht verantworten dies Gespräch in eine Klasse zu setzen mit denen die wir streng und unbedingt verworfen haben. Die Lustigkeit des Ganzen ist überschwänglich, und wenn man etwas genügsam annimmt, daß es auf diese vorzüglich sei abgesehen gewesen, daß aber mancherlei gleichzeitiges unter dem Namen des Hippias sowohl als des Sokrates im zweiten Teil gerügt wird: so wird man die Übertreibungen sowohl als die Ausschweifungen der Laune gern verzeihen. Überdies aber sieht man leicht, wie überall der Polemik viel Selbstverteidigung zum Grunde liegt. Das irdene Küchengerät und der goldene Querl sind recht zum Trotz für diejenigen da, die sich über die von geringfügigen Dingen hergenommenen Beispiele lustig machten; und so ist auch jener Aufpasser da als die höchste Spitze der bisweilen vorkommenden Manier, daß Sokrates seine Mitunterredner fragt, was er wohl einem andern, der dies oder jenes einwendete, antworten solle. Wer kann nun wissen, wieviel andere persönliche Beziehungen noch hier verborgen sind, durch welche auch manches andere noch schöner ist als es uns erscheint! Auch die unverständigen Erklärungen des Hippias können Parodien sein auf andere ähnliche, oder auf die oberflächliche Art, wie von Vielen das Gute und Schöne ohne in sein wahres Wesen einzudringen in dieses und jenes einzelne gesetzt wurde. Warum aber eben Hippias den Namen dazu hergeben muß, darüber wird wohl Niemand Auskunft fordern. Nur das ist fast unwahrscheinlich, daß Platon ihn zweimal und beidemal in reinem Zwiesprach mit Sokrates zum unglücklichen Helden sollte gewählt haben, zumal beide Gespräche ohne irgend eine innere Beziehung auf einander sind. Wenn nun eines platonisch sein soll und das andere nicht, so wird doch der Sieg dem größeren bleiben. Denn es sind manche Spuren da, daß bei Abfassung des kleineren der größere vor Augen gelegen. Einzelne spöttelnde Ausfälle gegen den Mann, die der größere mit wenigen Worten abtut, sind in dem kleineren mit unverhältnismäßiger Weitläuftigkeit ausgesponnen, und das Redegastmahl zu welchem in dem größeren Gespräch der Sophist den Sokrates einladet, ist in dem kleineren eben beendiget.


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